Christiane Andersen Wortfolge im gesprochenen Deutsch. Markiertheit vs. Unmarkiertheit als Kriterien der Nachfeldbesetzung aus kontrastiver Perspektive 1 Vorbemerkung Die Wahl sprachlicher Mittel hängt in der Sprachproduktion von vielen Faktoren ab. Aus kontrastiver Perspektive sind es neben den sprachsystematischen Regeln besonders Faktoren der sprachlichen Norm und der sprachlichen Realisierung in sowohl Herkunfts- als auch Zielsprache, die innerhalb der Möglichkeiten des Sprachsystems den Sprachgebrauch bestimmen. Dieses Verhältnis ist besonders augenfällig, wenn Herkunfts- und Zielsprache sehr ähnlich sind, was im Folgenden am Deutschen und Schwedischen gezeigt werden soll. Interessant ist hierbei eine Lehrsituation, in der die Lerner häufig ad hoc-Bildungen produzieren, die vom Lehrenden nach ihrer Akzeptanz eingeschätzt werden müssen. Wenn Lerner auch als Sprachbenutzer der Zielsprache bewusst wahrgenommen werden, können möglicherweise neue Einblicke in das Verhältnis von Kompetenz und Performanz einerseits und Grammatikmodell und sprachlicher Realisierung andererseits gewonnen werden. 2 Wortfolgeprobleme Wenn nun im Weiteren Wortfolgeprobleme diskutiert werden sollen, dann hat dies zwei Gründe. Erstens gehört die Topologie, d.h. Phänomene der Reihenfolge von sprachlichen Ausdrücken zu den zentralen linguistischen Fragestellungen, mit denen sich vornehmlich Syntax und Pragmatik beschäftigen. Phänomen der Abfolge von sprachlichen Einheiten werden bereits im frühen Erstsprachenerwerb internalisiert, daher sind sie starken sprachsystematischen und psycholinguistischen Regeln unterworfen, die schwer zu beschreiben sind. Zweitens wird die Wortfolge im Deutschen häufig als relativ frei charakterisiert, d.h. es gibt eine Reihe von informationsstrukturellen Phänomenen und daher genügend verwirrende Wortstellungsvorschläge von sowohl Theoretikern als auch Didaktikern. Zwar ist man sich darin einig, dass die Wortfolge durch die drei festen Stellungen des finiten Verbs (Verberst-, Verbzweit-, Verbletztstellung) maßgebend beeinflusst wird, was das Deutsche zum typischen Vertreter der germanischen Sprachen ausweist (vgl. König 1996: 42). Aber im Unterschied zum Englischen sei das Deutsche eine SOV-Sprache, d.h. die Verbletztstellung wird als basaler Stellungstyp vorausgesetzt, was jedoch nur für eingebettete Sätze zutrifft (vgl. König & Gast 2009: 181). Von welchem strukturellen Satztyp bei der Grundwortfolge ausgegangen wird, ist abhängig davon, welcher theoretische Ansatz1 angelegt wird. Im Duden werden „Fremdsprachige“ darauf aufmerksam gemacht, dass das finite Verb im Deutschen unterschiedliche Stellungen einnehmen kann. Die drei Satzformen nach der Stellung des finiten Verbs werden zwar nicht nach einer Rangordnung behandelt, doch wird der Verbzweitsatz als Muster für alle Aussagesätze eingeführt und damit indirekt als Grundform angesehen. Die Freiheiten bei der Anordnung von Satzgliedern und Wortformen in den drei „Satzformen“ seien aber nicht grenzenlos, sondern geprägt von der Satzklammer, die die Verbformen des Prädikats enthält (vgl. Duden 4, 2005: 874-878). Die deutsche Satzklammer schafft daher ein gemeinsames Grundmuster in der Wortfolge grammatischer Sätze: Vorfeld – linke Satzklammer – Mittelfeld – rechte Satzklammer – Nachfeld. Dadurch entstehen typischerweise mit Konstituenten reichlich gefüllte Mittelfelder, die häufig in der Schriftsprache anzutreffen sind und besonders bei Lernern mit einer skandinavischen 1 König & Gast (2009: 159ff.) gehen von einem generativen Ansatz aus, der u.a. bei Abraham (1995: 565ff.) vertreten wird. Herkunftssprache Schwierigkeiten bereiten. Dennoch wird in Fremdsprachengrammatiken aus praktischen Gründen weitgehend von dem grammatischen Satz ausgegangen, was einerseits eine willkommene Vereinfachung nach sich zieht, doch andererseits von vorn herein viele sprachliche Erscheinungen von der sprachtheoretischen und damit auch von der pädagogischen Betrachtungsweise ausschließt. Ehlich bemerkt treffend: „Die Linguistik ist in ihren Kategorien, in ihren Voraussetzungen, vor allen Dingen aber in ihren stillschweigenden Voraussetzungen, den Präsuppositionen bei ihrer Arbeit, in einer erheblichen Weise durch sehr frühe Entscheidungen bestimmt [...]. Ich möchte hier von einem ‚Satz-bias’ der Linguistik reden, von einer Art Drift hin zu diesem Satzkonzept, sozusagen einer schiefen Ebene, auf der das Nachdenken immer wieder fast von selbst sich auf das Konzept ‚Satz’ hin bewegt.“ (Ehlich 2004: 80) In der vorliegenden Untersuchung wird aus strukturellen Gründen dennoch vom grammatischen Satz ausgegangen, wohl wissend, dass im untersuchten Korpus die Grenze zwischen Sätzen und damit zwischen z.B. Nachfeldbereich und sich anschließendem Vorfeld in einer Äußerung häufig schwer festzulegen ist. 3 Stellungsfelder-Konzeptionen für den deutschen und schwedischen Satz Die Beschäftigung mit der Wortfolge des deutschen Satzes ist geprägt durch die auf Erdmann (1886) und Drach (1937) zurückgehende Feldertopologie. Die dänischen Germanisten Bech (1955, 1957) und Diderichsen (1941, 1942) haben ebenfalls gleich nach Drachs FelderKonzeption ein Instrumentarium zur Beschreibung der Linearstruktur des deutschen Satzes entwickelt. Diderichsens Stellungsfelderanalyse gilt für die Beschreibung der Satztopologie der skandinavischen Sprachen bis heute als richtungweisend.2 Man kann daher davon ausgehen, dass die Stellungsfelder-Konzeptionen für das Deutsche und die skandinavischen Sprachen wissenschaftshistorisch eine gemeinsame Grundlage haben, was unter anderem in einer ähnlichen Terminologie wurzelt, die nahe Verwandtschaft der Sprachen trägt ebenfalls dazu bei. Ein Vergleich der Stellungsfeldermodelle in den Referenzgrammatiken der deutschen und schwedischen Gegenwartssprache zeigt aber bei genauerem Hinsehen deutliche Unterschiede, die sich durch eine unterschiedliche Beschreibungssystematik auszeichnen und auch durch sprachsystematische Unterschiede bedingt sind. Letzteres ist besonders für die vorliegende Untersuchung interessant. In der Duden-Grammatik wird die „Wortstellung“ als Abfolge von Satzgliedern und Prädikatsteilen charakterisiert, wobei sich die Satzglieder in Feldern vor, zwischen und hinter einer für das Deutsche konstitutiven Satzklammer platzieren lassen. Ausgehend von der Stellung des finiten Verbs werden drei Satzformen angenommen (vgl. Duden 4, 2005: 875). Vorfeld Svea finite Verbform/ linke Satzklammer hat Svea har Mittelfeld einen Brief an die Bank übrige Verbformen/ rechte Satzklammer geschrieben. Nachfeld skrivit ett brev till banken. Abb. 1: Topologische Felder im Satz nach Duden-Grammatik (2005: 874ff.) Die topologischen Felder Vorfeld, Mittelfeld, Nachfeld, die durch die Satzklammer entstehen, weisen bekanntlich für die einzelnen Satztypen unterschiedliche Grade der Notwendigkeit auf: Während das Vorfeld bei Verbzweitsätzen syntaktisch notwendig ist, wird bei 2 Dazu ausführlich bei Askedal (1986: 194), der einen gründlichen Vergleich zwischen skandinavischen und deutschen Stellungsfeldermodellen durchgeführt hat. Voraussetzung des finiten Verbs in allen drei Satztypen das Nachfeld immer als nicht notwendig angesehen. Die rechte Verbklammer ist nur in Verbletztsätzen obligatorisch (vgl. Zifonun et al. 1997: 1503) Dass Nachfelder grammatisch nicht notwendig sind, hingegen aber vorkommen, um Konstituenten diskursspezifisch hervorzuheben, ist schon länger beobachtet worden. Bereits in der Grammatik von Jung (1966/1990) werden ‚Ausgangspol’ und ‚Zielpol’ für die Satzklammer verwendet und Motive „die Ausrahmung und Nachstellung veranlassen“ eingeräumt (Jung 1966/1990: 137). In seiner richtungsweisenden Untersuchung bespricht Altmann (1981) Ausklammerungen und Rechtsversetzungen. Diese und andere Bezeichnungen weisen auch darauf hin, dass Nachfeldpositionen in Grammatiken als nicht obligatorisch angesehen werden. Die Duden-Grammatik erwähnt ebenfalls, dass bisweilen Satzglieder nachgestellt werden können: „Man spricht hier von Rechtsversetzung oder von Ausklammerung, bei der Satzgliedstelle nach der rechten Satzklammer von Nachfeld.“ (Duden 4, 2005: 901)3 In Abbildung 1 sind ein deutscher Satz und seine Übersetzung ins Schwedische im Feldermodell der Duden-Grammatik kontrastiert worden, um die verschiedenen Wortfolgen zu verdeutlichen. Das Mittelfeld bleibt im schwedischen Satz leer und die Objekte ett brev till banken [ein Brief an Bank+best.Artikel] werden in der unmarkierten schwedischen Satzgliedfolge ins Nachfeld platziert. Ein Mittelfeld wie im deutschen Satz ist daher nicht vorhanden. Die Lernergrammatik Tysk syntax geht ebenfalls von einem deutschen Feldermodell aus, man nimmt hier hingegen an, dass es im Schwedischen keine Entsprechung zum tysk slutfält [deutsches Nachfeld] gebe (vgl. Andersson et al. 2002: 31). Fundament [Vorfeld] Johannes Fin/Binl [finites Verb/|Nebensatzeinleitung] hat Hat dass Fundament Johannes har Har att Mittfält [Mittelfeld] einen Brief an die Bank Johannes einen Brief an die Bank Johannes einen Brief an die Bank Slutfeld [Nachfeld] geschrieben. geschrieben? geschrieben hat Mittfält skrivit ett brev till banken Johannes skrivit ett brev till banken? Johannes har skrivit ett brev till banken Abb. 2: Topologische Felder in einer Lernergrammatik (vgl. Andersson et al. 2002: 31) In der Abbildung 2 zeigt sich nun ein interessantes Bild. Die drei Satztypen werden in dieser Lernergrammatik im Kontrast präsentiert und gleichzeitig wird betont, dass es im schwedischen Satz kein entsprechendes Nachfeld gebe. Im Stellungsfelderschema erscheinen keine Satzklammerfelder, außerdem fallen rechte Satzklammer und Nachfeld zusammen. Das Mittelfeld des schwedischen Satzes enthält sowohl die rechte Satzklammer als auch die sich in allen drei Satztypen rechts anschließenden Objekte. „Der Unterschied zwischen den beiden 3 In der Duden-Grammatik ist zwar erstmalig ein Abschnitt zur gesprochene Sprache zu finden. Dieser Teil wird aber nicht grammatisch beschrieben, sondern aus kommunikationsfunktionaler Perspektive. Wortstellungsregularitäten werden weiterhin größtenteils aus der Schriftsprache abgeleitet (vgl. Duden 4, 2005: 1175-1257). Sprachen beruht demnach darauf, dass das Deutsche eine SOV-Sprache mit Steuerung von rechts nach links ist, während das Schwedische eine SVO-Sprache mit Steuerung von links nach rechts ist.“ (Andersson et al. 2002: 31, Übersetzung C.A.) Damit wird zwar angedeutet, dass der Verbkomplex im Deutschen nach rechts extraponiert wird, doch wird die konstitutive Rolle der deutschen Satzklammer und das sich dadurch bildende Mittelfeld etwas verwischt. In Svenska Akademins grammatik (1999) wird ein Positionsschema für den schwedischen Satz mit den drei Hauptfeldern initialfält, mittfält, slutfält [Vorfeld, Mittelfeld, Nachfeld] vorgeschlagen. Die Positionen des finiten Verbs und der Rest des Prädikats erhalten keine eigenen Feldpositionen, sondern werden ins Mittelfeld und Nachfeld geschoben. Vorfeld Mittelfeld Einleiter eftersom [weil] Subjekt Per [Per] Nachfeld Adverbial nog inte [wohl nicht] Fintites Verb skulle [würde] Rest der Verbformen vilja träffa någon nu [wollen treffen jemanden nun] Abb. 3: Positionsschema typisch für schwedische Nebensätze – af-sats (vgl. Teleman et al. Band. 4, 1999: 7; Übersetzung C.A.) In Abbildung 3 wird die schwedische Wortfolge im Nebensatz dargestellt. Der entscheidende Unterschied zum deutschen Wortfolgeschema ist die Ordnung im Mittelfeld, die durch die Stellung des Adverbials regiert wird. Das Modaladverbial nog inte steht standardsprachlich vor dem finiten Verb im Mittelfeld des Nebensatzes, im Nachfeld schließen sich der Infinitiv des Modalverbs und danach eine weiterer Infinitiv an, gefolgt von Objekt und Temporaladverb. Danach werden zwei Satztypen unterschieden: a) af-sats (Adverbial vor dem finten Verb im Mittelfeld) und b) fa-sats (Adverb nach dem finiten Verb im Mittelfeld). Af-Sätze sind typisch für Nebensätze, während fa-Sätze die typische Wortfolge im standardsprachlichen Hauptsatz ausmachen. Vorfeld Mittelfeld Einleiter Finit. Verb skulle [würde] Per [Per] Nachfeld Subjekt Adverbial Rest der Verbformen (-) nog inte [wohl nicht] vilja träffa någon nu [wollen treffen jemanden nun] Abb. 4: Positionsschema typisch für schwedische Hauptsätze – fa-sats (vgl. Teleman et al. Band 4, 1999:7; Übersetzung C.A.) Aus kontrastiver Perspektive kann festgehalten werden, dass wir es zwar mit ähnlichen Wortfolgekonzeptionen im Deutschen und Schwedischen zu tun haben, gegeben durch einen gemeinsamen theoretischen Ansatz, doch sind die Felderschemata in beiden Sprachen anders konzipiert, was durch die unterschiedlichen typologischen Hauptmerkmale des grammatischen Satzes in beiden Sprachen bedingt ist. Wir haben es hier mit zwei diametralen Extraponierungen des Verbkomplexes zu tun. Das Deutsche extraponiert den Verbkomplex nach rechts und schafft daher die typische Satzklammer; im Schwedischen wird der Verbkomplex nach links extraponiert, ohne die für das Deutsche so typische Satzklammer zu bilden. Die feste Position des Modaladverbials im schwedischen Nebensatz ist in der schwedischen Referenzgrammatik daher auch Grundlage für die beiden Feldertypen. Das finite Verb erhält im Unterschied zum Deutschen eine ins Mittelfeld integrierte Position. Das Nachfeld ist im Schwedischen entweder gar nicht (vgl. Abb. 2) oder mit Prädikatsrest einschließlich Komplementen und Adjunkten konzipiert (vgl. Abb. 3 und 4). Daraus ergeben sich natürlicherweise verschiedenartige Wortfolgeprobleme. Der schwedische Lerner produziert häufig Wortfolgen, die sowohl durch Transfer4 u.a. aus der Muttersprache als auch durch Reflexion auf die Felderschemata zurückzuführen sind, wie zum Beispiel: (1) *weil ich nicht mehr will treffen meinen Freund heute (2) *weil ich nicht mehr meinen Freund will treffen heute (3) ?weil ich nicht mehr treffen will meinen Freund heute (3a) ?weil ich nicht mehr meinen Freund treffen will heute (3b) weil ich heute meinen Freund nicht mehr treffen will Die Beispiele (1-2) sind mit großer Wahrscheinlichkeit Transfers aus dem Schwedischen, sie weisen die typische Wortfolge im schwedischen Nebensatz auf: Das finite Verb steht vor dem Partizip und es gibt eine Extraposition von Komplementen und Adjunkten nach dem Verbkomplex. In Beispiel (3) liegt eine Extraposition eines Objekts und Temporaladverbs vor; in Beispiel (4) steht nur das Temporaladverb im Nachfeld. Die Wortfolgen in (3) und (3a) sind unterschiedlich stark markiert, d.h. ein möglicher Kontext für diese Wortfolgen liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand, ist aber nicht ausgeschlossen. Für die Beispiele (3, 3a) können in der gesprochenen Sprache dennoch genug Vorkommen nachgewiesen werden, wie weiter unten noch zu zeigen ist. Eindeutig unmarkiert ist die Wortfolge nur in Beispiel (3b). 4 Untersuchungsansatz: markiertes vs. unmarkiertes Nachfeld Aus diesen Beobachtungen hat sich ein neuer Untersuchungsansatz herauskristallisiert. Schwedische Lerner verwenden, wie aus unterschiedlichen Gründen gezeigt wurde, häufig eine Wortfolge mit Extraposition nach der rechten Verbklammer, das betrifft sowohl die Nebensatz- als auch die Hauptsatzwortfolge. Solche Nachfelder weisen unterschiedliche Grade der Markiertheit auf. (Als unmarkiert soll vorläufig nur die rechte Satzklammer ohne Nachfeldbesetzung angesehen werden.) Die Frage ergibt sich nun, inwieweit das Nachfeld wirklich fakultativ ist. Gibt es vielleicht Fälle, wo ein Nachfeld besetzt bleiben muss? Und welche Rolle spielen dabei die Grade der Markiertheit? Wann kann man von unmarkierter Wortfolge bei Besetzung des Nachfelds sprechen? An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich diese Fragestellungen aus der Kontrastperspektive ‚schwedische erwachsene Lerner des Deutschen’ herausgebildet haben. Die Folgeüberlegungen bestehen nun in der Vermutung, dass auch Sprachbenutzer des Deutschen in verschiedenen Situationen des Sprechens und Schreibens eine Nachfeldbesetzung vornehmen: „Das Nachfeld ist viel öfter besetzt, als in den Grammatiken behauptet wird, und zwar nicht nur in der gesprochenen Sprache, und es wird gar nicht so selten durch rechtsverschobene Konstituenten besetzt, von denen übereilig gemeint wird, solche Konstituenten gehören ‚eigentlich’ ins Mittelfeld.” (Dalmas 2009: 371) Solche Schlussfolgerungen ergeben sich, wenn man von vielschichtigen Erscheinungen des Sprachgebrauchs ausgeht und nicht, wie häufig üblich, von Wortfolgeregeln, die durch ein standardsprachliches Modell ansetzt werden. Dann müssten allerdings auch Sprachgebrauchsvarianten erklärt und das Wortfolgemodell differenziert werden, was natürlich zu neuen Fragestellungen führt. 4 Die Begriffe Lerner und Transfer werden hier und im Folgenden nicht weiter definiert. Alle Beobachtungen, die mit Lernvorgangsaktivitäten in Beziehung stehen, sind zwar in meiner Lehrtätigkeit entstanden, aber nicht weiter lerntheoretisch oder psycholinguistisch ausgewertet worden. Aus der Perspektive des Sprachbenutzers werden Wortfolgephänomene letztendlich nach Natürlichkeit d.h. nach Unmarkiertheit eingeschätzt. Hingegen wirkt eine markierte Wortfolge unnatürlich oder ungewöhnlich. Markierte und unmarkierte Wortfolge ist jedoch im Einklang mit einer einzigen Theorie schwer zu beschreiben. In der angewandten Grammatik übernimmt der Lehrende in solchen Situationen häufig eine Art Schietsrichterposition. Er hilft dem Lerner, indem er die produzierten Wortfolgen als ‚markiert’ oder ‚unmarkiert’ bewertet. Was die deutsche Wortfolge betrifft, wählen die schwedischen Sprecher häufig eine Nachfeldbesetzung. Sie produzieren daher in der Regel zwar keine ungrammatischen, hingegen aber ungewöhnliche bzw. markierte Wortfolgen. Das Prinzip der Markiertheit hat ursprünglich Trubetzkoy (1931) für phonologische Oppositionen als „merkmaltragend vs. merkmallos“ eingeführt. Sie wurden sofort von Jakobson (1932) mit „merkmalhaltig vs. merkmallos“ in die Morphologie übertragen. Später hat Jakobson (1957, vgl. Jakobson 1971: 146) diese morphologische Opposition als allgemeines Strukturprinzip zur Beschreibung von grammatischen Kategorien folgendermaßen formuliert: „The general meaning of a marked category states the presence of a certain (whether positive or negative) property A; the general meaning of the corresponding unmarked category states nothing about the presence of A, and is used chiefly, but not exclusively, to indicate the absence of A. The unmarked term is always the negative of the marked term, but on the level of general meaning the opposition of the two contradictories may be interpreted as ‘statements of A’ vs. ‘no statement of A’, whereas on the level of ‘narrowed’, nuclear meanings, we encounter the opposition ‘statement of A’ vs. ‘statement of non-A’.“ (Jakobson 1971: 136)5 Jakobsons Prinzip der Markiertheit von grammatischen Kategorien soll im Weiteren als Ansatzpunkt zur Beschreibung von Wortfolgephänomenen im Deutschen und Schwedischen verwendet werden. Coseriu (1988) hat diesen Ansatz konsequent in einer diskursfunktionalen Richtung verfolgt, indem er vom „Ort des Korrekten“ beim „Sprechen unter bestimmten Umständen“ ausgeht (vgl. Coseriu 1988: 329). Das Korrekte entspricht nach meinem Verständnis der Unmarkiertheit sprachlicher Mittel im entsprechenden Diskurs. Wenn im deutschen grammatischen Satz nach der rechten Satzklammer das Nachfeld nicht vorhanden ist, dann wird dieser Fall als unmarkiert angesehen. Wenn im schwedischen grammatischen Satz ein Nachfeld vorhanden ist, dann wird dieser Fall ebenfalls als unmarkiert betrachtet. Hiermit liegt eine Kontrastrelation des Deutschen und Schwedischen vor. 5 Nachfeldbesetzung in einem Korpus der gesprochenen Sprache Das Nachfeld, d.h. der Bereich hinter der rechten Verbklammer,6 ist abgesehen von bestimmten satzförmigen Komponenten – die meisten Subjunktionalsätze werden unmarkiert im Nachfeld platziert – eine potentielle Stelle im deutschen grammatischen Satz. Da nichtsatzwertige Konstituenten im Nachfeld keine notwendige Position im grammatischen Satz ausmachen, wird es hauptsächlich für kommunikative Zwecke genutzt. Für rein systembezogene Grammatiktheorien wie etwa die Generative Grammatik ist das Nachfeld bisher kaum von Interesse gewesen und als Problem so gut wie gar nicht vorhanden (vgl. 5 In der generativen Phonologie hat der Begriff der Markiertheit ebenfalls eine große Rolle gespielt (vgl. Chomsky & Halle 1968). Der Begriff der Markiertheit bezeichnet dort nicht nur ein positives Merkmal, das einem Element zukommt, sondern bekommt den Status eines Prozesses bzw. einer Regel. Wissenschaftshistorisch liegt hier meines Erachtens eine Aufarbeitung des Ansatzes von Jakobson vor. 6 Die Terminologie, was diese Position betrifft, ist ausgesprochen vielfältig. Häufig werden Ausklammerung, Extraposition und rechtes Außenfeld mehr oder weniger synonym benutzt. In dieser Untersuchung wird nur ‚Nachfeld’ verwendet. Abraham 1995; Haftka 1993; Inaba 20077). Eine Ausnahme bildet Haftka (1981). In Grundzüge einer deutschen Grammatik behandelt sie ausführlich die Stellung nach der rechten Verbklammer als „Nachtrag“: „Im Deutschen können im Prinzip alle nichtfiniten Stellungsglieder eines Satzes im Vorfeld oder im Hauptfeld [Mittelfeld, Anmerkung C.A.] stehen, jedoch wirken solche Sätze häufig steif, gekünstelt, überladen. Daher wird oft eines der Stellungsglieder dem Satzfeld nachgestellt. Solche Nachträge unterliegen jedoch bestimmten syntaktisch-strukturellen und kommunikativ-pragmatischen Bedingungen.“ (Hafka 1981: 761) Abgesehen von Altmann (1981) gibt es allerdings nur wenige Untersuchungen, die das Nachfeld unter strukturellen und funktionalen Gesichtspunkten gleichermaßen behandeln (vgl. dazu die Arbeiten von Rath 1965, Beneš 1968 und Kromann 1974). Neuere Ansätze aus diskursfunktionaler Perspektive in der geschriebenen Sprache sind bei Vinckel-Roisin (2011) zu finden, Nachfeldbesetzung und Sprachwandel aus pädagogischer Perspektive werden bei Voeste (2009) angedeutet. Durch Beobachtung von schwedischen Sprachbenutzern des Deutschen haben sich hingegen neue Fragen ergeben: Ist das Fehlen eines Nachfelds wirklich immer unmarkiert und woran kann dies gemessen werden? Unter welchen Bedingungen treten im Deutschen Nachfelder auf und inwieweit sind sie markiert? Interessant wäre daher, sowohl deutsche als auch schwedische Sprecher im Dialog zu beobachten. Eine Art Vergleichskorpus mit deutschen und schwedischen Gesprächen müsste allerdings erst erarbeitet werden.8 Fabricius-Hansen und Solfjeld (1994) haben deutsche und schwedische Sachprosa quantitativ miteinander verglichen und die Dichte der Vorfelder untersucht. Ihre Ergebnisse zeigen, dass beispielsweise die Vorfelder im norwegischen Teilkorpus häufiger Subjekte enthalten, im deutschen Teilkorpus hingegen häufiger andere Satzglieder anzutreffen sind (vgl. FabriciusHansen & Solfjeld 1994: 38-41). Zudem scheinen die Vorfelder tendenziell umfangreicher im deutschen als im norwegischen Teilkorpus zu sein (vgl. Fabricius-Hansen & Solfjeld 1994: 31). Für die vorliegende Untersuchung sind diese Ergebnisse insofern interessant, weil man annehmen möchte, dass es eine Wechselwirkung zwischen umfangreichem Vorfeld und fakultativem Nachfeld im Deutschen geben könnte. Umgekehrt ist im Schwedischen ein Zusammenhang zwischen subjektlastigem Vorfeld und häufig umfangreichem Nachfeld nicht ausgeschlossen. Doch sind dies nur Vermutungen, die im einzelnen überprüft werden müssten. Im Weiteren wird vorübergehend die kontrastive Perspektive verlassen und ein Korpus der gesprochenen Sprache des Deutschen nach vorhandenen Nachfeldern durchgesehen. Es handelt sich dabei um die Elizitierten Konfliktgespräche zwischen Müttern und jugendlichen Töchtern. Das Korpus besteht aus 138 Tonaufnahmen und Transkripten (ca. 150 000 Tokens); die Erhebungen wurden zwischen 1988 und 1990 durchgeführt.9 7 In einem weiteren generativen Ansatz behandelt Inaba (2007) aus diesem Grund nur die Subjunktionalsätze als die einzig natürlichen Satzkomplementierungen im Nachfeld des Deutschen. Sie verweist auch auf Konstituenten wie die hier untersuchten, die jedoch fast ausschließlich in der gesprochenen Sprache auftreten würden. Sie sieht daher von solchen Fällen in ihrer Arbeit ab (vgl. Inaba 2007: 9). 8 Pankow (Andersen) (2007) hat bereits verschiedene Kommunikationstypen des gesprochenen Deutsch und Schwedisch miteinander verglichen und unterschiedliche Strategien bei der Wahl der sprachlichen Mittel festgestellt, jedoch in diesem Zusammenhang keine Wortfolgephänomene untersucht. 9 Elektronisch frei zugänglich am Institut für Deutsche Sprache Mannheim: Archiv für Gesprochenes Deutsch: http://www.ids-mannheim.de/ksgd/agd/ Die Kennzeichnung der Beispiele nach Transkriptquellen ist aus Platzgründen eingespart worden. Alle verwendeten Beispiele sind durchweg Korpusbelege, wo an einigen Stellen die Transkription der Wortformen aus Gründen der Verständlichkeit vereinfacht wurde. Einbezogen wurde jedoch das Symbol /*/, was Pausen signalisiert, da u.a. weiter unten eine Nachfeldklasse durch eingeschobene Pausen konstituiert wird. Im ersten Schritt wurden die Nachfeldbefunde nach ihrer syntaktischen Funktion ausgesondert: Subjekt, Prädikat, Prädikativ, Adverbial, Attribut. Im zweiten Schritt sind die Wortklassen und Phrasen in den Nachfeldern erfasst worden. Dabei zeigte sich, dass nicht alle Wortformen und Phrasen eine Satzgliedfunktion haben. (4) daß daß du des so anziehsch dass du do eiskalt fortgehsch ge * des schnall isch net ab do isch bin ja net altmodisch oder was (5) wolltsch ja als klarinett wolltsch ja a:ch alles lerne mh ja In den Gesprächssequenzen (4, 5) erscheinen in den Nachfeldern Partikeln und Interjektionen (ge, mh, ja). Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie als selbstständige Einheiten in der Interaktion fungieren und nicht zum Aufbau von Sätzen dienen (vgl. Zifonun et al. 1997: 62f., 362ff.). Sie sind daher auch keine syntaktischen Bestandteile des grammatischen Satzes. Der Zusatz /oder was/ bezieht sich auf /isch bin ja net altmodisch/ und hat adverbiale Funktion, er bildet aber eine eigene Intonationseinheit und wird unter anderem deswegen vom Satz separiert (vgl. Zifonun et al. 1997: 1647). Die Korpusbefunde haben weiterhin gezeigt, dass sämtliche Wortklassen (ausgeklammerte Verbformen sind jedoch nicht gefunden worden) und Phrasentypen in den untersuchten Beispielen nachgewiesen werden konnten, d.h. allein aufgrund der morphosyntaktischen Form sind keine Stellungsregularitäten nachzuweisen gewesen. Anders verhält es sich mit syntaktischen und diskursiven Funktionen. Einige syntaktische Funktionen, wie z.B. Adverbiale, sind häufiger in Nachfeldpositionen anzutreffen. Ins Auge fiel auch, dass verschiedenartige diskursive Funktionen dabei eine wichtige Rolle spielen und dass diese in der gesprochenen Sprache auf andere Weise als in der geschriebenen die syntaktischen Strukturen im Nachfeld beeinflussen können. Die Nachfeldkonstituenten sind in einem weiteren Schritt stufenweise geordnet worden. - Stufe 1: ausschließlich ausgeklammerte Konstituenten – nicht Teile des grammatischen Satzes; Stufe 2: häufig isoliert vorkommende Konstituenten – durch Pause(n) vom grammatischen Satz getrennt; Stufe 3: fakultativ an den grammatischen Satz gebundene Konstituenten - durch eine kataphorische Einheit im Mittelfeld oder Vorfeld vorweggenommen; Stufe 4: fakultativ an den grammatischen Satz gebundene Konstituenten; Stufe 5: an den grammatischen Satz gebundene Konstituenten – (obligatorische) Komplemente des Verbs der rechten Satzklammer. Die Stufen 1 bis 5 folgen dem Prinzip des Grades der Gebundenheit an den grammatischen Satz. Nur die zweite Aussonderungsstufe wird explizit durch eine diskursive Funktion (Pausenfunktion) konstituiert. Alle anderen Aussonderungsstufen sind nach rein syntaktischen Kriterien ermittelt worden. Diese syntaktisch motivierten Nachfeldklassen, die sich bei der Analyse abgezeichnet haben, müssen in weiteren Untersuchungen durch ihre diskursiven Funktionen erklärt werden, worin eine weitere Forschungsaufgabe besteht. Hierbei ist anzumerken, dass die syntaktischen und diskursiven Funktionen von Konstituenten im Nachfeld schwer in einem Arbeitsgang zu beschreiben sind, weil verständlicherweise mit unterschiedlichem theoretischen und methodischen Werkzeug gearbeitet werden muss. 5.1 Ausschließlich ausgeklammerte Konstituenten – nicht Teile des grammatischen Satzes Hier handelt es sich um verschiedene Arten von sprachlichen Einheiten, die bisher noch nicht vollständig erfasst worden sind. Ihre Klassifizierung ist immer noch recht sporadisch; dazu gehören Negationspartikeln, Interjektionen und Anredeformen. Sie sind von der Satzeinheit durch Pausen und eigene Intonation10 getrennt, wie in den Beispielen (6-9): (6) da lasse mer doch jedesmal * eigentlich mit uns reden oder? schon ne? (7) der vati sagt die andern sind viel besser als du obwohl du die beste sein müßtest * nach deinem zeugnis von der grundschule her * voila! (8) des des mag isch net hawwe ** almuth (9) wolltsch ja als klarinett wolltsch ja a:ch als lerne mh ja Kennzeichnend für diese Konstituenten ist, dass sie keine syntaktische Funktion in der vorangegangenen Satzeinheit einnehmen, aber immer eine spezifische diskursive Funktion haben. Sie sind die Diskurskonnektoren per se, daher sind sie nicht nur zurückverweisend, sondern sie gliedern das Gespräch auch in Richtung zum Darauffolgenden: in Beispiel (6) rückversichernd, in (7) zusammenfassend, in (8) hörerorientiert, in (9) nachdenklich zusammenfassend. Eine Integrierung ins Mittelfeld ist syntaktisch schwer möglich. (9a) *Wollte ich ja auch alles Klarinette wollte ich ja auch alles lernen hm, ja. (9b) Wollte ich ja auch alles lernen. (FESTSTELLUNG) Wollte ich ja auch Klarinette lernen. (SPEZIFIZIERUNG) Wollte ich ja auch lernen. (WIEDERHOLUNG) Mh, ja. (ZUSAMMENFASSUNG) In (9a) wird gezeigt, dass auch die standardsprachliche Übertragung zwar keinem grammatisch wohlgeformten Satz entspricht, aber diese Art der Äußerung in der gesprochenen Sprache kombiniert mit entsprechenden nonverbalen Mitteln auftreten kann. Es ist eine Feststellung, auf die ein Neuansatz mit einer Spezifizierung folgt und mit einer Wiederholung verschmilzt (9b). Die Sequenz /mh ja/ scheint sowohl zurückverweisend als auch vorverweisend zu sein. Interjektion und Partikel sind diskursfunktional relativ selbstständig. Sie fassen zusammen und bestätigen zugleich. 5.2 Häufig isoliert vorkommende syntaktische Konstituenten – durch Pause(n) vom grammatischen Satz getrennt Hier sind solche Konstituenten gefiltert worden, die durch ihre syntaktische Funktion zwar an den Satz gebunden, aber durch eine deutliche Pause (im Transkript durch ein oder mehrere Sternchen gekennzeichnet) vom Klammersatz abgetrennt sind. (10) sie is nich sie war dagegen hat sich die bravo awa echt eingehend angekuckt fünf oder sechs * hintereinander durchgelesen un kam dann zu dem entschluß dass die bravo * mehr was für kinder isch * also so für jugendliche wie in unserem alter (10a) (?) mehr was für Kinder - also so für Jugendliche wie in unserem Alter - ist (10b) Die Bravo ist etwas für Kinder. Die Bravo ist etwas für Jugendliche in unserem Alter. In Beleg (10) wird nach einer Pause der Zusatz /also so für jugendliche in unserem alter/ an die rechte Satzklammer /isch/ [ist] angefügt. Zusätze wie dieser haben häufig eine adverbiale Funktion, hier ist es aber Teil eines Prädikativs, der inhaltlich wiederaufgenommen wird, wie in (10a und b) gezeigt wird. Dass es sich hier um einen Zusatz handelt, ist durch die konnektiv-modifizierenden Partikel /also so/ und durch die deutliche Pause begründet (vgl. 10 Die Intonation übernimmt eine wichtige Rolle bei der Abgrenzung zur rechten Satzklammer. Bahnbrechend zur Intonation von Interjektionen ist die Arbeit von Ehlich (1986), der u.a. die Interjektionen MH und ÄH zu den primären Interjektionen zählt (vgl. Ehlich 1986: 215ff.), die in seinen Beispielen jedoch initial vorkommen. Kowall und O’Connell (2004) untersuchen später Interjektionen intonatorisch im Gesprächszusammenhang und stellen fest, dass ÄH „typischerweise“ sehr häufig final auftritt (vgl. Kowall & O’Conell 2004: 90f.). Zifonun 1997:1647f.). Es zeigt sich hier auch, dass sich solche Einheiten nicht ohne Weiteres in das Mittelfeld integrieren lassen, wenn man die Konstruktion in (10a) betrachtet. In Beispiel (11) hingegen liegt ein Einschub vor, der gesprochen durch Pausen und schriftlich durch z.B. Gedankenstrich abgetrennt werden müsste, wie in Beispiel (11a): (11) der vati sagt die andern sind viel besser als du obwohl du die beste sein müßtest * nach deinem zeugnis von der grundschule her * voila! (11a) Der Vati sagt, die anderen sind viel besser als du, obwohl du – nach deinem Zeugnis von der Grundschule her – die Beste sein müsstest. In manchen Fällen wird die Rechtsversetzung durch eine Art Korrelat vorweggenommen wie in Beleg (12): (12) s lernen außerdem ah so wenige in de ferie * fast niemand! (12a) Es lernen außerdem so wenige in den Ferien, fast niemand. (12b) *Fast niemand lernt außerdem so wenige in den Ferien. (12c) ? So wenige und fast niemand lernt in den Ferien. Dieser Fall ist besonders interessant, weil hier ein Subjekt nach einer Pause nach rechts versetzt wird. Das Korrelat /s/ (es) steht unbetont im Vorfeld (vgl. 12a) und verweist daher nur sehr schwach auf das durch Pause betonte /fast niemand/ voraus; die Konstituente /so wenige/ ist das eigentliche Subjekt, das ins Vorfeld gestellt, das Korrelat ersetzt. Die eigentlichen Subjekte /so wenige/ und /fast niemand/ konkurrieren miteinander syntaktisch (vgl. 12b, c); sie sind diskursspezifisch eine Art synonymische Wiederaufnahme, was recht häufig in der gesprochenen Sprache, verstärkt durch eine Pause, rechtsversetzt auftritt. Der Fall in Beispiel (12) ist auch insofern ungewöhnlich, weil hier das Nachfeld nicht durch eine rechte Satzklammer abgegrenzt wird. Streng genommen müsste man hier von einem Mittelfeld ausgehen, wenn man die Pause unberücksichtigt lässt, allerdings müssten dann auch zwei nebengeordnete Subjekte angenommen werden: /so wenige/ und /fast niemand/. Beide Einheiten können im Vorfeld nicht nebengeordnet werden (vgl. 12c). 5.3 Fakultativ an den grammatischen Satz gebundene Konstituenten - durch eine kataphorische Einheit im Vorfeld oder Mittelfeld vorweggenommen In einem weiteren Schritt sind solche Konstituenten herausgefiltert worden, die ohne Pause nach der rechten Satzklammer auftreten und durch eine kataphorische Einheit bereits im Vorfeld oder im Mittelfeld vorweggenommen wurden. Es handelt sich dabei durchweg um Adverbiale und Präpositionsobjekte, die nachträglich (nach rechts versetzt) einen relevanten Gesprächsgegenstand thematisieren. (13) erstens hab isch des selbst hab ich überall nachgelese im lexikon (14) ja ich will ja ich will ja auch keine kleidungsstücke kaufen aber wenn ich jez irgn etwas super seh ne kurze hose oder oder n tishirt oder so ne datschkappe (15) da kam mer sich doch überhaupt nimmer wohlfühle in so einem saustall ? Wenn die Thematisierungseinheiten /im lexikon/, /ne kurze hose oder oder n tishirt oder so ne datschkappe/ und /in so einem saustall/ an die Stelle der kataphorischen Einheit ins Vorfeld oder Mittelfeld eingegliedert werden, scheint sich die jeweilige diskursfunktionale Äußerungsbedeutung zu verändern, wie in (13a, 14a, 15a): (13a) Hab ich im Lexikon nachgelesen. (14a) Wenn ich jetzt eine kurze Hose sehe. (15a) In so einem Saustall kann man sich doch nicht wohlfühlen. Die Nachfeldposition in den Beispielen (13, 14, 15) wirkt natürlicher, d.h. in der dialogischen Äußerung unmarkiert, während die ins Mittelfeld verschobenen Konstituenten in (13a, 14a, 15a) zwar korrekt, aber unnatürlich kontextlos erscheinen, was dafür spricht, dass Nachfelder im Dialog als diskursive Gewichtungsstellen für diskursrelevante Gegenstände und Sachverhalte genutzt werden. Aus diskursfunktionaler Sicht ist daher die im Korpus vorgefundene Nachfeldposition eher zwingend. 5.4 Fakultativ an den grammatischen Satz gebundene Konstituenten In der darauffolgenden Filterstufe finden sich solche Konstituenten im Nachfeld, die nicht durch ein Korrelat oder eine kataphorische Einheit im Vor- oder Mittelfeld angekündigt werden und als fakultative Komplemente und Supplemente an den syntaktischen Satz gebunden sind. Sie können in der Regel gut ins Mittelfeld integriert werden und gelten dann häufig als unmarkierte Stellungen, während eine Position rechts nach der Satzklammer als markiert gilt (vgl. Duden 4, 2005: 886ff.). In diese relativ große Gruppe fallen viele Adverbiale, wie in Beispiel (16), sowie Präpositionalobjekte in Beispiel (17) und einige Attribute. (16) manschmal wenn isch jetzt an mein schrank geh morgens (17) da steht was drin was euch intressiert über atomkraftwerke über * sport oder was weiß ich für noch alles Diese Nachfeldstellungen werden mehr noch als die vorherige Gruppe als markierte Ausklammerungen angesehen, wenn von der schriftsprachlichen Norm ausgegangen wird, denn hier liegen keine kataphorischen Einheiten im Mittelfeld vor. (16a) Wenn ich jetzt morgens an meinen Schrank gehe. (17a) Da steht was über Atomkraftwerke... drin. In (16a) und (17a) sind sie ganz natürlich im Mittelfeld platziert. Viele verschiedene Verwendungskontexte sind hier denkbar. Als Nachfeldbesetzungen sind sie im Dialog jedoch häufig anzutreffen. Man spricht hier von Nachträgen (vgl. Zifonun et al. 1997: 1671f.) mit der Begründung, dass die Sprecher einzelne Aspekte des Sachverhalts nicht rechtzeitig in die Planung einbeziehen könnten. Diskursspezifisch wird durch die Rechtsversetzung von der Sprecherin (siehe Korpusbeleg 17) eine Teilinformation intendiert hervorgehoben. Wir haben es daher mit einer geplanten Sprecherabsicht zu tun. 5.5 An den grammatischen Satz gebundene Konstituenten – (obligatorische) Komplemente des Verbs der rechten Satzklammer Diese Kategorie umfasst solche Konstituenten, die in keinem der vier Filterschritte erfasst wurden. Es handelt sich um ausgeklammerte Einheiten mit einer maximalen Bindung an den Satz. Damit sind in dieser Gruppe Konstituenten enthalten, die - als Bestandteil des Satzes und in die Satzklammer integrierbar sind, durch keine Pause vom Trägersatz abgegrenzt sind, durch keine syntaktisch gleichwertige Einheit im Vor- oder Mittelfeld vorweggenommen sind, nicht weglassbar sind. Vor allem aufgrund der beiden Tatsachen, dass es sich um obligatorische Komplemente handelt und dass diese durch keine gleichwertige Konstituente weder im Vorfeld noch im Mittelfeld vorweggenommen sind, können sie rechts der rechten Satzklammer nicht wegfallen. Der Satz wäre sonst grammatisch nicht vollständig. (Was nicht heißt, dass auch derartige Sätze in der gesprochenen Sprache ausgeschlossen sind.) (18) isch hab jo gsagt manschmo:! (19) er hat äh gesagt elf mark und dann elf mark und dann wenn ma sich mal so n eis kaufen will (20) wem mer die annern sieht die kommn da an mit so massenweis geld In den Belegen (18, 19) sind die Einheiten im Nachfeld Komplemente des Verbs sagen, die durch ihre Herausstellung nach rechts stark thematisieren; in (19) wird das Komplement zudem noch erweitert und satzwertig ausgebaut. In der Äußerung sind diese Nachfeldpositionen für den Dialog zentral; syntaktisch wären die Sätze bei Wegfall zudem unvollständig, sagen verlangt obligatorisch ein Objekt. Im Beispiel (20) wird ein Präpositionsobjekt zum Verb ankommen ausgeklammert. Die Konstituente /mit so massenweis geld/ ist ebenfalls sowohl syntaktisch als auch diskursfunktional nicht weglassbar. Dennoch sind sie innerhalb der Dialogstruktur völlig natürlich, d.h. unmarkiert. Solche grammatischen Konstruktionen sind zwar in dem untersuchten Korpus nicht gerade häufig vorhanden, dennoch scheinen sie typische Konstruktionen in einer dialogischen Syntax zu sein. In (18) liegt beispielsweise ein Rückverweis auf etwas bereits Gesagtes vor - /manschmo:/ ist bereits früher erwähnt worden und daher überhaupt nur möglich in dieser Nachfeldposition. Auer (2007: 121) spricht neuerdings von „emergenten Strukturen“ in der so genannten online-Syntax. Diese Belege könnten solche Sturkuren sein. In dem hier untersuchten Zusammenhang von Markiertheit vs. Unmarkiertheit ergibt sich eine wichtige Opposition. Die Nachfeldkonstituenten der Gruppe ‚(obligatorische) Komplemente des Verbs der rechten Satzklammer’ wären im generalisierenden Satzfeldermodell stark markierte Positionen bzw. ungrammatisch, im dialogischen Gebrauch hingegen natürlich und daher unmarkiert. 6 Ergebnisse und Neuansatz: Markiertheit vs. Unmarkiertheit Die Durchsicht von einem Dialogkorpus wie die Mutter-Tochter-Gespräche hat eine wichtige Beobachtung bestätigt: Die Grenzpositionen Vorfeld und Nachfeld wurden bisher in einem topologischen Modell festgelegt, das von einem kontextfreien Satzkonstrukt ausgeht. Normalerweise abstrahieren Modelle vom konkreten Sprachgebrauch, d.h. Modelle sind immer Verallgemeinerungen. Nur hat inzwischen das Wortfolgemodell zu der Sichtweise beigetragen, dass Vorfelder in germanischen Sprachen strukturell immer notwenig sind. Nachfelder hingegen sind strukturell nicht notwenig und höchstens aus diskursiver Sicht berechtigt und damit markiert. Die stufenweise Filterung der Konstituenten der Nachfelder im Dialogkorpus hat jedoch deutlich gezeigt, dass Positionen nach der rechten Satzklammer in dialogischen Äußerungen regelhaft häufig auftreten. 11 Von den untersuchten Nachfeldbelegen (vgl. dazu ausführlicher Andersen 2011) ist die Gruppe mit den selbstständigen Konstituenten (selbstK), die nicht Teile des grammatischen 11 In einer meines Wissens bisher einzigen quantitativen Studie zum Nachfeld in der gesprochenen Sprache kommt Zahn (1991) ferner zum Schluss, dass sowohl die Ausklammerung in gesprochener Sprache etwas häufiger auftritt als auch „mehr Stellungselemente ausgeklammert [werden], von denen bisher angenommen wurde, sie seien nicht ausklammerungsfähig [...] also Subjekte [...], Akkusativ- [...] und Dativobjekte [...], Prädikative [...].“ (Zahn 1991: 225f.) Satzes sind, die größte, während die Gruppe mit fakultativen Konstituenten (fakK) syntaktisch am vielfältigsten ist. Die fakultativ an den grammatischen Satz gebundenen Konstituenten mit und ohne kataphorischer Einheit im übergeordneten Satz haben sich hier als die typischen Konstituenten im Nachfeld gezeigt. Es sind meistens Adverbiale und Präpositionsobjekte. Ins Nachfeld gestellte Adverbiale und Präpositionsobjekte scheinen offensichtlich typische syntaktische Einheiten im untersuchten Korpus zu sein. Obligatorische Komplemente des Verbs (oblK) wurden zwar in geringer Zahl im Nachfeld ermittelt, sie sind aber dennoch nicht zu übersehen. In diesen Gruppen finden sich auch eine Reihe von Konstituenten, die nicht ohne Weiteres in das Mittelfeld verschoben werden können (siehe Beispiele 12a-c), oder sie sind zwar grammatisch akzeptabel, erhalten aber im Mittelfeld eine andere diskursive Funktion (siehe Beispiele 16a und 17a). Mit Jakobsons Markiertheitsprinzip ist anfangs eine kreuzweise Opposition im Deutschen und Schwedischen festgestellt worden: [- dt NF] UNMARKIERT [- schw NF] MARKIERT [+dt NF] MARKIERT [+ schw NF] UNMARKIERT Während Nachfelder im Schwedischen weitgehend grammatikalisiert sind, werden diese in der deutschen Wortfolge als fakultative Teile angesehen (vgl. Zifonun et al. 1997: 1503). Nachfelder werden als nicht konstitutiv betrachtet, das Vorfeld ist hingegen konstitutiv für Verbzweitsätze: „In keinem Verbstellungstyp muss jedoch ein Nachfeld realisiert werden.“ (Zifonun et al. 1997: 1644) Wenn man von einem (kontextfreien) Feldermodell ausgeht, ist dem wohl auch so. Sowie wir aber die Sprachverwendung einbeziehen, muss diese Grundannahme kommunikationssituativ relativiert werden. Es ist daher kein Zufall, dass in Untersuchungen zur gesprochenen Sprache die Rolle des Nachfelds neuerdings mehr Beachtung findet.12 Ausgehend von dem hier untersuchten Korpus der gesprochenen Sprache kann selbstverständlich nicht behauptet werden, dass Nachfelder für bestimmte strukturelle Satztypen konstitutiv seien. Wohl lässt sich aber in allen Belegen nachweisen, dass die vorkommenden Konstituenten in der Position rechts der rechten Verbklammer diskursfunktional notwendig sind. Das hat allerdings auch Konsequenzen für die Struktur des grammatischen Satzes. Die Konstituenten im Nachfeld (NF) sind, wie anfangs beschrieben, stufenweise vornehmlich nach ihren syntaktischen Funktionen ermittelt worden: [NF (selbstK (Partikeln, Interjektionen))] [PAUSE NF (Adverbial, Objekt, Subjekt, Attribut)] [KATAPHER NF (Adverbial, Präpositionsobjekt)] [NF (fakK (Adverbial, Präpositionsobjekt))] [NF (oblK (Präpositionsobjekt, Akkusativobjekt))] Wenn wir von der Erwartbarkeit von Konstituenten in einem Nachfeld ausgehen, dann sind es im untersuchten Korpus Partikeln, Interjektionen und andere Zusätze, die im Nachfeld häufig zu finden sind. Sie sind daher unmarkiert im Verhältnis zu den anderen Konstituenten: 12 Das gilt für verschiedenen Kommunikationsformen der gesprochene Sprache des Deutschen bereits bei Filpus (1994) und auch Averintseva-Klisch (2005). Für Ausklammerungen und Nachfelder in der Schriftsprache siehe Żebrowska (2007) und Vinckel (2006). Wenn auch die theoretischen Ansätze der Beiträge unterschiedlich konzipiert sind, ist man sich dahingehend einig, dass sich die Position nach der rechten Verbklammer je nach Kommunikationsform bereits in der deutschen Gegenwartssprache etabliert hat. UNMARKIERT [NF (Partikeln, Interjektionen)] MARKIERT [PAUSE NF (Adverbial, Objekt, Subjekt, Attribut)] [KATAPHER NF (Adverbial, Präpositionsobjekt)] [NF (fakK (Adverbial, Präpositionsobjekt))] [NF (oblK (Präpositionsobjekt, Akkusativobjekt))] Weiterhin hat sich ergeben, dass die Konstituenten mit adverbialer Funktion am ehesten im Nachfeld erwartbar sind. UNMARKIERT [NF (Adverbial)] MARKIERT [NF (Präpositionsobjekt, Akkusativobjekt, Subjekt, Attribut)] Diese Ergebnisse zeigen auch, dass ein Neuansatz diskursfunktional verankert sein muss und zwar nicht nur für die gesprochene Sprache - und eine syntaktische Herangehensweise durchaus vertretbar ist. (Schwedische Lerner produzieren in solchen Fällen grammatische Sätze, die diskursfunktional angemessen sind!) Das heißt auch andererseits, dass Nachfelder nicht nur rein diskursfunktional untersucht werden sollten. Es gibt durchaus einen syntaktisch-topologischen Ansatz, der hier zu berücksichtigen ist.13 In diesem Zusammenhang sei noch einmal betont, dass in den bisher aufgenommenen Belegen nur die Konstituenten berücksichtigt worden sind, die unmittelbar rechts der rechten Satzklammer stehen und selbst keine eingebetteten Sätze ausmachen. Diese Konstituenten treten jedoch selten allein auf, sondern ihnen folgen gewöhnlich noch weitere Einheiten im Nachfeld. Es lässt sich daher feststellen, dass Kombinationen von Konstituenten eher üblich sind, wie in der Äußerung (21): (21) also manschmol do wollt er misch halt net weggehn lassen ja * abends * so m ähm wenn de schon halb neun is oder so * un da find isch des dann schon noch * weil isch mhm eigentlisch ziemlisch seltn weggehe Das Adverb abends folgt erst nach der Partikel ja und einer Pause, danach treten weitere Gesprächspartikel auf, gefolgt von einem Temporalsatz und weiteren interaktiven Einheiten (siehe Abb. 6). Nachfeld Partikel + Pause ja* Temporaladverb Gesprächspartikel Temporalsatz abends so m ähm wenn de schon halb neun is Konjunktion + Partikel + Pause oder so* Abb. 6: Weites Nachfeld 13 Dahingehend ist bereits Höhle (1982) der Ansicht, dass so genannte normale Wortstellung mithilfe spezifischer Kriterien und in Abhängigkeit von der Intonation im Satz festgelegt werden kann. Höhle (1982: 76) bringt die ‚normale Wortstellung‘ eines Satzes mit einer ‚normalen Betonung‘ in Verbindung; hier gibt es meines Erachtens Parallelen zum Ansatz ‚Unmarkiertheit’. Nach /oder so/ beginnt möglicherweise das Vorfeld des nächsten grammatischen Satzes. Syntaktisch bzw. strukturell ist aber erst das finite Verb find (Beispiel 21) eine eindeutige Grenze zum beschriebenen Nachfeld. Diese Konstituenten sind diskursfunktional notwendig. Häufig sind sie auch weder syntaktisch weglassbar noch ins Mittelfeld verschiebbar. Nachfelder sind in der gesprochenen Sprache nachweisbar nicht nur regelmäßig besetzt, sondern auch weniger flexibel, was ihre Verschiebbarkeit ins Mittel- und Vorfeld betrifft. Die Stellungsfelderregeln könnten dahingehend neu überdacht werden. Die Regel, rein nach obligatorischen und fakultativen Positionen in der Struktur des deutschen Satzes zu unterscheiden, scheint daher eher eine Übergeneralisierung zu sein. 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