Wenn Sodbrennen eine Kettenreaktion auslöst

Werbung
Die Welt
Autor: Gisela Schütte| 06.12.2010
Wenn Sodbrennen eine Kettenreaktion
auslöst
Hamburger Ärzte erforschen Zusammenhang zwischen Magensäureblockern und Osteoporose
Klügere Prävention könnte das Gesundheitssystem jährlich um 2,5 Milliarden Euro entlasten
Eppendorfer Institut ist die größte deutsche Einrichtung für Diagnostik von Osteoporose und
ähnlichen Erkrankungen
Im Fernsehen verspricht die Werbung allabendlich Hilfe bei Sodbrennen. Und viele
Menschen greifen dankbar zu den Präparaten, die ihnen Wohlbefinden versprechen. Ebenso
ein Volksleiden: Rund acht Millionen Menschen in Deutschland leiden an Osteoporose. Bei
ihnen schwindet die Knochenmasse, Knochenauf- und -abbau geraten aus der Balance, es
kommt in der Folge zu Knochenbrüchen. Schuld ist häufig die unzureichende Aufnahme von
Kalzium aus der Nahrung. Und dafür wiederum gilt als eine Ursache der Mangel an Vitamin
D.
Doch dabei ist es mit der Verordnung mit einem Vitaminpräparat allein nicht getan, wenn
man die Knochenbrüchigkeit vermeiden will. Ein Wissenschaftlerteam um Professor Michael
Amling, Direktor des Instituts für Osteologie und Biomechanik (IOBM) am
Universitätsklinikum Eppendorf, hat herausgefunden, dass der Kalziummangel auch die Folge
einer bislang nicht erkannten Kettenreaktion sein kann. Und die hat erstaunlicherweise viel
mit den Problemen des Sodbrennens zu tun.
"Eine wichtige Voraussetzung für die Aufnahme von Kalzium durch den Körper ist nämlich
eine normale Magensäurebildung", sagt Amling. Und das wurde bislang nicht ausreichend
beachtet. Anlass für die Untersuchungen des Hamburger Teams war die Tatsache, dass
Patienten, die über lange Zeit Magensäureblocker, sogenannte Protonenpumpeninhibitoren,
einnahmen, ein "dramatisch gesteigertes Knochenbruchrisiko aufwiesen", sagte der Leitende
Oberarzt Dr. Florian Barvencik. Mehrere Beobachtungsstudien haben die Parallelität der
Medikamenteneinnahme und des erhöhten Knochenbruchrisikos bestätigt. Die notwendigen
Schlussfolgerungen aber wurden lange Zeit nicht gezogen, kritisierte Amling.
Gerade das sei aber von großer Bedeutung, da es einerseits bei bis zu 30 Prozent der
Menschen im Alter über 60 Jahren zu einer Reduktion der Magensäureproduktion komme und
andererseits allein in Deutschland rund acht Millionen Menschen regelmäßig Medikamente
gegen Sodbrennen und Rückfluss der Magensäure in die Speiseröhre einnehmen.
Die aktuellen Forschungen von Amling zielen auf die Klärung des Zusammenhangs zwischen
verminderter Magensäurebildung und der Knochenqualität. Darüber hinaus sollen
therapeutische Ansätze entwickelt werden, um die zerstörerischen Nebenwirkungen der
Magensäureblocker auf die Knochen zu verhindern. Die Zusammenhänge, die im
Laborversuch untermauert wurden und sich mechanistisch auf den Menschen übertragen
ließen, belegten eindeutig, dass bei fehlender Magensäure bestimmte Kalziumverbindungen
(Kalziumkarbonat) vom Organismus nur schwer aufgenommen werden können. Andere
Kalziumverbindungen wie Kalziumglukonat oder Kalziumcitrat dagegen werden unabhängig
von der Magensäure resorbiert.
Das ist eine entscheidende Erkenntnis, die zunächst für Osteoporose-Patienten von Bedeutung
ist, deren Magensäureproduktion gestört ist. Die Kalziumpräparate, die in Deutschland
verordnet werden, beruhen überwiegend auf Kalziumkarbonat-Basis. Sie sind deshalb bei
diesen Kranken kaum wirksam. Aber die Bedeutung der Forschungsergebnisse geht weit über
diese Patientengruppe hinaus, denn sie betreffen Millionen Menschen in Deutschland, die
wegen Magenleiden Magensäureblocker einnehmen müssen. Aufgrund der Erkenntnisse
könnten bei ihnen die Gefahren der Osteoporose durch alternative Kalziumpräparate
gemindert werden.
"Genau das ist eine wichtige Aufgabe", sagte Amling. Denn Erkrankungen von Muskeln und
Skelett verursachen in Deutschland rund ein Drittel der Gesundheitskosten. Allein für die
Behandlung und Folgen von Frakturen wegen Osteoporose würden 5,6 Milliarden Euro fällig.
"Würde man die Bevölkerung dagegen präventiv mit ausreichend Vitamin D versorgen und
damit die Aufnahme von Kalzium verbessern, würde das das deutsche Gesundheitssystem um
2,5 Milliarden Euro entlasten. Aber die Osteoporose-Kranken haben keine Lobby."
Im Bereich des Sports seien die heilsamen Wirkungen von Vitamin D längst bekannt. Von der
Fußball-Bundesliga bis zu Sprinter-Stars. Das Vitamin verbessert auch die muskuläre
Leistungsfähigkeit und sollte deshalb in den 50er-Jahren sogar vom Internationalen
Olympischen Komitee auf die Doping-Liste gesetzt werden. Dabei ist eine verbesserte
muskuläre Situation auch für die Knochen wichtig, denn sie senkt die Gefahr von Stürzen und
damit von Brüchen.
Amling hat den bislang einzigen Lehrstuhl für Osteologie in Deutschland inne. Der Arzt,
Pastorensohn aus Rotenburg (Wümme), verheiratet mit einer ebenfalls habilitierten
Unfallchirurgin, zwei Kinder, studierte in Hamburg Medizin, ging in den 90er-Jahren in die
USA an die Yale-Universität, kehrte nach Hamburg zurück und baute seine Karriere als
Osteologe auf dem Weg über Unfallchirurgie und Orthopädie auf.
Dabei fußt das Fach in der Hansestadt auf einer langjährigen Tradition: Die Osteologie in
einem interdisziplinären Dialog von Orthopädie, Unfallchirurgie, innerer Medizin,
Endokrinologie und Sportmedizin. Das IOBM betreibt interdisziplinäre, patienten- und
krankheitsbezogene Forschung im Bereich von Muskeln und Skelett. Die entsprechenden
Erkrankungen, darunter Osteoporose, Arthrose und Knochenkrebs, sind von zentraler
gesundheitswirtschaftlicher Bedeutung, in der Forschungsaktivität international aber
unterrepräsentiert. Das IOBM will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.
Das Eppendorfer Institut ist die größte Einrichtung in Deutschland für die Diagnostik der
Osteoporose und anderer Erkrankungen des muskuloskelettalen Systems. Dafür ist die
Einrichtung mit feinster Medizintechnik ausgerüstet, um nicht invasiv die Dichte und Struktur
der Knochen zu messen. Dabei helfen Röntgendiagnostik und CT mit feinsten Auflösungen
Wichtig ist diese Feindiagnostik auch für Krebs-, Transplantations- und HIV-Patienten, weil
die Medikamente gegen diese Leiden oft auch die Knochen angreifen. So können Amling und
sein Team bei der Untersuchung des Knochengerüsts auf potenzielle Brüche oder
Schädigungen auf ein ausgefeiltes technisches Arsenal setzen.
Das beginnt mit dem Röntgen. Die Bilder offenbaren eventuelle Brüche.
Die Knochendichte wird per DXA (Dual-Energy-X-Ray-Absorptiometrie) gemessen. Mit
pQCT (periphere quantitative Computertomografie) können die Ärzte weitere Erkenntnisse
über die Knochenstrukturen gewinnen. Das Xtreme CT zeigt die Knochenarchitektur von
Patienten bis in ihre feinsten dreidimensionalen Strukturen. Mithilfe von Biopsien und MikroCT können die Knochenproben bis auf vier bis sechs Tausendstel Millimeter untersucht
werden.
Herunterladen