Depression und Substanzkonsumstörung Häufigkeiten, Zusammenhänge, Risikofaktoren Kessler et al. (2005): Jahresprävalenz psychischer Störungen Alle Störungen 26,2% Angststörungen 18,1% Mood Disorder 9,5% Substance Use Disorder 3,8% 1/5 als „serious“ 2/5 als „moderate“ 2/5 als „mild“ eingestuft Die Hälfte aller Patienten mit einer psychischen Erkrankung weisen schädlichen oder abhängigen Substanzgebrauch (SUD) auf! Unter den SUD-Patienten weisen 40-60% komorbid andere psychischen Erkrankungen auf (A u. D, Persönlichkeitsstörungen) (6,9%) Depression 205,3 (5,4%) Substanzen 137 (0,9%) Bipolare Störg. 34,9 (1,2%) Psychosen 30,7 (7,0%) Insomnie 18,7 (14,0%) Ängste/Panik 18,2 (0,7%) Zwänge 15,7 (2,0%)PTSD 11,6 0 50 100 150 200 250 Prävalenzen psychischer Störungen (12-Monate %), Menge durch diese Krankheiten verlorene Lebenszeit (DALY) in Europa (Wittchen et al. 2011) Costello et al. (2011): Psychopathologie von der Kindheit ins Erwachsenenalter Diagnosen Angststörungen Depressionen Substanzstörung Alkohol Nikotin harte Drogen Veränderungen Kindheit-Jugend Jugend-Erwachsene Zunahme, Anstieg Zunahme, Anstieg Zunahme, Anstieg - Zunahme, Anstieg Zunahme, Anstieg Zunahme, Anstieg Zunahme Zunahme Zunahme Alegría et al. (2010): Komorbidität von GAD u. SUD (N = 43 093) Lebenszeitprävalenz von GAD+SUD: 2.04% Lebenszeitprävalenz von GAD: 2.10% ½ Patienten mit GAD+SUD zeigten deutlich erhöhte Komorbidität mit weiteren psychischen Störungen (v.a. Externalisierung, Depression), deutlich erhöhte Behinderung (DALY) Drogen und Alkohol werden vor allem zur Angstminderung eingesetzt Breslau et al, 2003; Driessen et al, 2008; Mills et al, 2006; Perkonigg et al 2000 PTSD und SUD Diese Studien zeigen eine 3-5 fache Zunahme an SUD in PTSD-Patienten. Etwa die Hälfte aller PTSD-Patienten zeigen SUD-Komorbidität. Etwa ein Viertel der SUD-Patienten zeigen PTSD-Komorbidität Agosti & Levin (2006): SUD, Depression und Angst Probanden mit einer Lebenszeitdiagnose für Depression (MDE) und Substanzmissbrauch (SUD) bezogen auf Folgejahr: Aktuelle SUD erhöht das Risiko für eine Depression: OR 2.9 Aktuelle SUD erhöht das Risiko für eine Angststörung: OR 2.2 Davis et al. (2005/2006): Depression, Angst und SUD 28% aller eingeschlossenen Patienten mit einer MDE wiesen eine SUD auf (davon 2/3 AL) STAR*D Studie 18% aller Patienten mit einer Angststörung weisen eine SUD auf Bei alkoholabhängigen Patienten liegen zwischen 19 – 44% Angststörungen vor Nikotinabhängige weisen eine MDE in der Lebenszeit von 37-59% auf Davis et al. (2008); Castle (2008): Patienten mit SUD (AL): 65% F, 28% M mit psychopathologischer Komorbidität (D, A) Patienten mit MDE: 1/3 haben komorbid SUD Komorbidität führt zu höherer Suizidrate, mehr sozialer Behinderung Komorbidität führt zu geringerem Behandlungserfolg (Abstinzenz, Symptomreduktion) Alle 588 550 kein Suizid 1 275 Suizide (0.22) SUD 129 767 kein Suizid 461 Suizide (0.36) Stationäre Behdlg. im letzten Jahr 12 028 kein Suizid 93 Suizide (0.77) Keine Behdlg. im letzten Jahr 88 133 kein Suizid 345 Suizide (0.39) No SUD 458 783 kein Suizid 817 Suizide (0.18) Frauen 42 424 kein Suizid 28 Suizide (0.07) Männer 41 638 kein Suizid 786 Suizide (0.19) Kessler et al; Nock et al: SUD (AL) führt zu einem 4,8-6,5fach erhöhten Suizidrisiko Wetterling & Schneider: 54% der 227 Suizidanten zeigten Alkoholintoxikation 27,3 % hatten Depression SUD und Suizid Wunderlich (2012) aus EDSP Studie, München Komorbiditätsmuster alle andere psychischen Störungen Angst, Depression, Substanzen Odds Ratio für Suizidversuch 28.8 7.5 Weitere Risiko steigernde Faktoren: Traumatische Ereignisse (insb. sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, körperliche Erkrankungen, Trennung der Eltern, Aufwachsen bei nur einem Elternteil Agrawal et al. (2013): SUD und Suizid 3787 Frauen (Zwillinge) zwischen 18 und 27 Jahren wurden befragt nach Lebenszeit SUD (Alkohol) und Suizidgedanken (SI) 4 Gruppen: (1) SUD(AL)-/SI- (2) SUD(AL)-/SI+ (3) SUD(AL)+/SI- (4) SUD(AL)+/SI+ SUD(AL)+: OR 3.1 für Suizidgedanken, mehr Stress, mehr negative Lebensereignisse, SUD(AL+, SI+): generell erhöhte Psychopathologie, Alkohol als Copingstrategie SI+: mehr Depression, mehr Ängste Verlauf von Depressionswerte bei MDE mit bzw. ohne SUD (AL) 12 11 10 9 8 7 6 5 4 in Klinik Entlassung nach 2 Mon SUD + D D nach 4 Mon Driessen et al. (2001): D & A SUD Probanden mit einer Alkoholabhängigkeit wurden prospektiv verfolgt: 62% keine Komorbidität, 23% komorbide Ängste 15% komorbide Depressionen und Ängste Während Entgiftung und Entwöhnung sank Depressions- und Angstwerte Prognose: ohne Komorbidität: 60,5%, mit Komorbidität: 26,7% abstinent Was kommt zuerst? D SUD SUD D Mögliche Assoziationen zwischen D, A und SUD: 1. SUD als Folge von MDE, A [D,A SUD] 2. MDE, A als Folge von SUD [SUD D, A] 3. Vermehrter Alkoholkonsum während MDE (Coping) 4. D und SUD im Rahmen einer dritten psychischen Erkrankung (gemeinsamer dritter Faktor) 5. Unabhängiges, paralleles Bestehen von SUD, D, A ! Da A und D in Folge des Substanzentzugs auftreten können, ist Diagnose einer A bzw. D Störung erst nach mehrwöchiger Abstinenz gerechtfertigt ! Wunderlich (2012) Daten stammen aus EDSP Studie München n = 1266, 5,5% Suizidversuchsrate Substanzstörungen vor Suizidversuch Affektive Störungen Beginn nach Suizidversuch Angststörungen 0 20 40 60 80 100 Wahrscheinlichkeit einer Depression (über 7 Jahre) nach Substanzabhängigkeit (SUD) Baseline: 12,8 J Wave 5: 19,1 J Baseline: 41% physisch, 12% sexuell, 14% emotional misshandelt, 19% physisch, 38% non-physisch, 16% andere Form von „neglect“ Baseline: 10% klinisch bedeutsame Depression (D) 26% = 208 von 834 5,3% häufiger Substanzkonsum (FSU) 4,3% D und FSU 80,4% weder D noch FSU Prädiktion über 6 Jahre: Clinically significant depression at baseline: OR 2.63** [ND: 9,5%, D: 27,6%] Female: OR 1.64* FSU (alcohol at baseline) : OR 21.03** (für D und D + SUD) FSU (any non-tobacco substance at baseline) OR 37.25** (für D + SUD) Anderson & Libby (2010) Depression with and without comorbid substance dependence in a sample of young adults Fergusson et al. 2009/2011: Causal Links Between Alcohol … and Major Depression Dt indicates major depression symptoms at time t; D, fixed-effects component of Dt; Ut, time-dynamic component of Dt; νt, disturbance term for Ut; At, alcohol abuse or dependence symptoms at time t; A, fixed-effects component of At; Wt, time-dynamic component of At; and τt, disturbance term for Wt. Time: t = 1 ages 17 to 18 yrs, t = 2 ages 20 to 21 yrs, t = 3 ages 24 to 25 yrs Strukturgleichungsmodell Fergusson et al. 2009/2011: Causal Links Between Alcohol … and Major Depression Participants: 1055 Personen im Alter von 17-18, 20-21, 24-25 Jahren Ergebnis: hoch signifikanter Zusammenhang von SUD(AL)und MDE bei Kontrolle konfundierender Variablen (life stress, cannabis use, other illicit drug use, affiliation with deviant peers, unemployment, partner substance use, partner criminality) reduziert sich zwar die Stärke des Zusammenhangs, bleibt jedoch statistisch signifikant. Strukturgleichungsmodelle zur Kausalität: SUD(AL) led to increased risk of Depression (+Anxiety Disorder) Conclusions: The findings suggest that the associations between SUD(AL) and MDE were best explained by a model in which problems with alcohol lead to increased risk of affective disorders as opposed to a self-medication model in which Depression lead to increased risk of SUD Fergusson et al. 2009/2011: Causal Links Between Alcohol … and Major Depression Odds Ratios: Auf jeder Altersstufe zeigte sich ein eindeutiger und signifikanter Trend (p≤.01): SUD(AL) erhöht Risiko für D Alle Personen, alle Zeitpunkte 17-18 Jahre 20-21 Jahre 24-25 Jahre 1.90 (1.53-2.37) p≤.001 2.15 (1.50-3.08) p≤.001 1.87 (1.31-2.66) p≤.001 1.99 (1.26-3.12) p≤.001 Modell Goodness-of-fit (Test von 3 Modellen) (1) Reziproke Beziehung SUD(AL) und D .292 (p = .003) B1/B2 (2) uni-direktionale Beziehung SUD(AL) zu D .210 (p = .001) B1 (3) uni-direktionale Beziehung D zu SUD(AL) -.092 (p = .26) B2 Fergusson et al. 2009/2011: Causal Links Between Alcohol … and Major Depression Strukturgleichungsmodell Jaffee et al. 2009: Sagt Alkoholkonsum eine depressive Episode bei Bipolaren Störungen mit SUD vorher? N = 115 über 8 Monate untersucht Anzahl an Tagen mit Alkoholkonsum Zunahme an Tagen mit Alkoholkonsum Vorhersage (OR) von MDE im Folgemonat: Days of Alcohol Use: 1.4 Increase of Days of Alcohol Use: 2.3 Days Heavy Alcohol Use 1.5 Increase of Days Heavy Alcohol Use 2.0 Tage mit Depression (MDE) im Folgemonat Boden, Fergusson, Horwood (2008/2010): Cigarette Smoking - Suicidal Behaviour: a 25-year longitudinal study N = 1041 Personen untersucht (Geburtskohorte NZ 635 m, 630 w) Personen >20 Zigaretten/Tag: OR 3.39 für Suizidgedanken OR 4.39 für Suizidversuche DOCH: nach Kontrolle von Hintergrundfaktoren, Drittvariablen reduzierte sich das OR auf ein nicht signifikantes Niveau [1.00 - 1.84] !! Der wesentliche und entscheidende Hintergrundfaktor ist Armut bzw. niedriger sozioökonomischer Status! Mögliche Entwicklungspfade für Komorbidität ? Kendler et al 2006 Ätiologische Faktoren der unipolaren Depression Prädisponierende Faktoren - Distale Risikofaktoren Demographische Faktoren Vorerkrankungen Biologische Faktoren Persönlichkeitsfaktoren Sozialisationsbedingungen Psychobiologische Vulnerabilität biologische Perspektive kognitiv-emotionale Perspektive sozial-interaktive Perspektive Ereignis/Belastungen/Stress Reaktionsmuster - proximale Risikofaktoren Biologische Perspektive kognitive Perspektive sozial-interaktive Perspektive Depression Folgen der Dysregulation, Verstärkung der psychobiologischen Vulnerabilität Chronifizierung, Rückfälle, Wiedererkankung Prädisponierende Faktoren - Distale Risikofaktoren Demographische Faktoren: weibliches Geschlecht, jüngeres Lebensalter (Adoleszenz) niedriger Sozialstatus, beengte finanzielle Verhältnisse, Arbeitslosigkeit, Hausfrauenrolle, Familienstand Vorerkrankungen: subklinische Depression, Schilddrüsenanamolie, Virusinfektion, Angst, Persönlichkeitsstörungen Biologische Faktoren: Heredität der Depression, Heredität für Angst/Neurotizismus, Anfälligkeit für Veränderbarkeit der Neuromodulatoren, fetaler Hypercortisolismus Persönlichkeitsfaktoren: Introversion, abhgängig-dependente Persönlichkeit, Reassurancetendenz Sozialisationsbedingungen: Depressive Modelle, mangelnde Reagibilität/Vernachlässigung, feindselige/intrusive Überstimulation, fehlende vertrauensvolle Bezugsperson, fehlende soziale Unterstützung, frühe Traumatisierung (körperlich/sexuell) Prädisponierende Faktoren - Distale Risikofaktoren Demographische Faktoren Vorerkrankungen Biologische Faktoren Persönlichkeitsfaktoren Sozialisationsbedingungen Psychobiologische Vulnerabilität biologische Perspektive: Erhöhte Erregbarkeit von Teilen des limbischen Systems, Anfälligkeit für Dysregulation neuromodulatorischer Achsen/Systeme, Sensibilisierung bestimmter ZNS-Strukuturen und Zellverbände, Änderung der Rezeptorstruktur der Messenger Mechanismen, gestörte Schlaf- Wach-Regulation kognitiv-emotionale Perspektive: rasche Konditionierbarkeit, Löschungsresistenz, schnelle Auslösbarkeit negativer Affekte, gesteigerte Selbstaufmerksamkeit, negative Schemata (Wahrnehmung, Gedächtnis) sozial-interaktive Perspektive: negative Selbst- und Fremdrepräsentation, Vermeidungstendenz sozialer Interaktionen, Eingeschränkte soziale und kommunikative Fertigkeiten, reduziertes Repertoire an Bewältigungsstrategien und Problemlöseverhalten Prädisponierende Faktoren - Distale Risikofaktoren Psychobiologische Vulnerabilität Ereignis/Belastungen Reaktionsmuster - proximale Risikofaktoren Biologische Perspektive: funktionales Defizit im Locus Coeruleus (Noradrenalin), Transmitter Imbalance, CFR Überreaktion, starker Cortisol Anstieg, HPA-Achsen Dysfunktion, Zunahme an Beta-Rezeptoren, Störung der Schlafarchitektur und der circadianen Rhythmen Kognitive Perspektive: pessimistischer Explanationsstil, Persistenz negativer Kognitionen (Rumination), selektive negative Informationsverarbeitung, unspezifische Zugriffe auf autobiographische Erinnerungen, reduzierter Zugriff auf positive Inhalte Sozial-interaktive Perspektive: sozialer Rückzug, soziale Anklammerung, reduzierte soziale Verstärker, mangelnde Initiative bzw. Fertigkeiten den Verstärkermangel zu kompensieren Reaktionsmuster - proximale Risikofaktoren Depression Folgen der Dysregulation, Verstärkung der psychobiol. Vulnerabilität weitere biologische Narben Hippocampus Atrophie und Defizite, Fehlfunktion des Anterioren Gyrus Cinguli weitere kognitive Narben Veränderter Zugriff auf autobiographisches Gedächtnis, Störung affektgeleiteter Erwartungsprozesse, Schwierigkeiten bei Verhaltensoptionen und Willensprozessen weitere sozial-interaktive Narben Verstärkerverluste, Mangel an sozialer Unterstützung, Zunahme emotional feindseliger Interaktionen (Partnerschaft, Familie) Ätiologische Faktoren der unipolaren Depression Prädisponierende Faktoren - Distale Risikofaktoren Demographische Faktoren Vorerkrankungen Biologische Faktoren Persönlichkeitsfaktoren Sozialisationsbedingungen Psychobiologische Vulnerabilität biologische Perspektive kognitiv-emotionale Perspektive sozial-interaktive Perspektive Ereignis/Belastungen/Stress Reaktionsmuster - proximale Risikofaktoren Biologische Perspektive kognitive Perspektive sozial-interaktive Perspektive Depression Folgen der Dysregulation, Verstärkung der psychobiologischen Vulnerabilität Chronifizierung, Rückfälle, Wiedererkankung Therapie, Behandlungsoptionen Fall 1 Der 29jährige Student (17. Semester) meldet sich bei uns in der Ambulanz mit Problemen des Studiums (Lernschwierigkeiten, Aufschiebeverhalten, Prüfungsängsten), mit Antriebsproblemen (kommt morgens nicht aus dem Bett), Lust- und Interesselosigkeit verbunden mit Resignation, Niedergeschlagenheit, Schlaf- und Konzentrationsproblemen, Appetitlosigkeit, Suizidideen, Isolation. Sein Leben und seine Beschwerden werde nur erträglich, weil er Marihuana und Zigaretten raucht und sich durch Computerspiele und Surfen im Netz ablenkt. Die Depressionen fingen an, als er nach Studienbeginn mit dem neuen Leben nicht zurecht kam, keine Kontakte hatte, vom Lernen überfordert war. Um überhaupt zu funktionieren und zu Lehrveranstaltungen zu gehen, fing er an Marihuana zu rauchen. Je weiter er ins Hintertreffen geriet und sich isolierte, wurde er von der Computerwelt abhängig. D SUD (Cannabis + Computerspiele) Therapieplan Fall 1: Motivations-, Zielklärung, Kooperation, Antidepressivium, ambulant erreichte Abstinenz (ärztl. Kontrollen, Laborwerte) Entfernung der Pflanzen, Entfernung der Computerspiele, Begrenzung der PC-Zeiten, Umgestaltung der Wohnung, Tagesgestaltung, Interessen und angenehme Tätigkeiten, Sport, Lernstrategien aufbauen, Sozialverhalten aufbauen, Kontaktverhalten zu Mitstudierenden, zu Dozenten, Prüfergespräch, Elternkontakte, Teilnahme an Gruppentraining soziale Kompetenz, Seminar- und Semestergestaltung, Kognitive Interventionen bezüglich Selbstzweifel, Befürchtungen im Umgang mit anderen, Ansprüche. Tägliche telefonische Kontakte, zwei Therapiesitzungen pro Woche, dann nach 6 Wochen wöchentliche Sitzungen Fall 2 SUD (AL) D Die 48jährige Frau, Juristin, alleinerziehende Mutter einer heute 22jährigen Tochter und eines 20jährigen Sohns entwickelte die Alkoholabhängigkeit nachdem vor 15 Jahren ihre Ehe gescheitert war. Sie stammt aus einer Familie (Vater, Schwester), in der Alkoholkonsum eine hohe Bedeutung (gute Laune, Feiern) hat. Die Pat. hatte immer (während Studium, Ehe, Arbeit) Alkohol getrunken, wobei sie immer viel vertragen hat und selten abends ohne eine ganze Flasche (oder mehr) Wein ins Bett ging. Diese Menge steigerte sich langsam nach der Scheidung, vor allem an den Wochenenden und nun, da die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind, sogar täglich auf 3 Flaschen Wein, oft noch gepaart mit hartem Alkohol. SUD (AL) D Fall 2 …. Vor 5 Jahren hatte Sie eine letzte Beziehung, die wegen ihres hohen Alkoholkonsums (schon ab mittags) scheiterte. Seitdem hat sie sich immer mehr zurück gezogen. Völlig in die Verzweiflung abgestürzt ist sie, als vor knapp 2 Jahren ihr Vorgesetzter sie anmahnte und ihre mangelnde Arbeitsleistung kritisierte. Als ich Sie kennen lerne, ist sie seit knapp 8 Monaten krank geschrieben (wegen Antriebsmangel, Interesseverlust, Niedergeschlagen, Schlafstörungen, Schmerzen, Erschöpfung, Gedächtnisprobleme, Rückzug), nimmt ein SSRI gegen ihre Depressionen, doch braucht abends zum Einschlafen noch immer mindestens 1-2 Flaschen Wein. Therapieplan Fall 2: Stationäre Behandlung zu Entzug und Entwöhnung, danach ambulante Therapie (psychiatrisch, psychotherapeutisch). Schwerpunkte der KVT: Risikosituationen im Alltag für Alkohol bewältigen, Gestaltung des Alltags, Situationsanalysen, Aufbau alternativer Fertigkeiten (Sport, Genuss, Achtsamkeit, Gelassenheit) Bearbeitung der eigenen Lebens-, Entwicklungsgeschichte (Prägungen, Schemata, traumatische Erfahrungen, Ehe, Kinder), Bedeutung für heute, angemessener Umgang mit Erfolgen und Misserfolgen Kognitive Interventionen (Selbstzweifel, Selbstwertung) Aufbau neuer bzw. Reaktivierung früherer Sozialkontakte, dabei Training von kommunikativen und sozialen Fertigkeiten Berufliche Wiedereingliederung (Halbtagstätigkeit) Evaluation, Effektivitätsstudien, Empirische Evidenz der Psychotherapie Hofmann et al. 2012: Efficacy of CBT: A review of 106 meta-analyses Störung Anzahl Metaanalysen KVT Response Rate Andere Therapien Response Rate Ängste (inkl. PTSD) 13 46-77% 14-50% Depressionen 6 51-87% 45-70% Anzahl von Patienten erforderlich damit ein Patient gebessert (NNT) 2.7 Cuijper et al 2009 Wissenschaftliche Evidenzen (1) KVT IPT STPP Individual treatment A A A Group treatment A B 0 Couple, Family treatment A B 0 Out-patients A A A In-patients B B 0 Mild, Minor Depression A 0 0 Severe Depression A B 0 Combination with Medication A B 0 Maintenance A A 0 Chronic Depression A B 0 Recurrent Depressionen A B 0 Acut unipolare Depression A = „effective“ [2 or more RCT by independent research groups] B = „possibly effective“ [1 RCT or studies by only one research group] 0 = „without evidence of efficacy“ [case reports, no (controlled) trials] Wissenschaftliche Evidenzen (2) KVT IPT STPP Depression in Childhood and Adolescence A B 0 Depression in Later Life (Elderly) A B B Depression during Pregnancy, Postpartum B B B Depression and Comorbid Somatic Illnesses A 0 0 Bipolare affektive Disorders A B 0 Prevention A 0 0 A = „effective“ [2 or more RCT by independent research groups] B = „possibly effective“ [1 RCT or studies by only one research group] 0 = „without evidence of efficacy“ [case reports, no (controlled) trials] deJong-Meyer, Hautzinger, Kühner, Schramm (2007) Spezielle Therapieangebote bei Komorbidität Substanzabhängigkeit und Depression/Angst Hesse 2009: Psychologische Therapie für Komorbidität ( SUD+A, SUD+D) 7 Studien (4 SUD+D, 3 SUD+A) mit kleinen Stichproben Keine zuverlässigen Schlussfolgerungen möglich! SUD+D (N=223 Pat.): ES für D = .58; 14% mehr Tage abstinent SUD+A: keine bzw. nicht-signifikante Effekte Conclusion: Psychotherapeutic treatment for co-morbid depression and substance use disorders is a promising approach … not sufficiently empirically supported. …. for co-morbid anxiety and SUD is not empirically supported! % Pettinati et al. 2013: Co-occurring Mood and Substance Use Disorders: A new target „Overall, findings from the relatively small amount of available data indicate that pharmacotherapy for managing mood symptoms can be effective in patients with substance dependence, although results have not been consistent across all studies. In most studies, medication for managing mood symptoms did not appear to have an impact on the substance use disorder. However, research has only begun!“ 3-65_mod_2015 Bei Komorbidität von Alkoholabhängigkeit und depressiver Störung kann eine PHARMAKOTHERAPIE mit Antidepressiva (empirische Belege liegen vor für Fluoxetin, Desipramin und Mirtazapin) zur Reduktion der depressiven Symptome sowie der Wahrscheinlichkeit eines Alkoholrückfalls (empirische Belege liegen vor für Fluoxetin, Desipramin und Mirtazapin) eingesetzt werden. 3-66_mod_2015 Bei Vorliegen einer depressiven Störung und einer komorbiden Alkoholabhängigkeit sollte eine antidepressive PSYCHOTHERAPIE zur Reduktion der depressiven Symptome, sowohl als alleiniges Verfahren als auch als Teil einer Kombinationsbehandlung mit einer Pharmakotherapie oder einer suchtspezifischen Psychotherapie (empirische Belege liegen für die KVT vor), angeboten werden . KKP KKP 3-67.2 mod 2015 PSYCHOTHERAPIE bei alkoholbezogenen Störungen und Depression Kognitive Verhaltenstherapie sollte als Behandlungsverfahren bei Personen mit komorbiden psychischen Störungen (Depressionen) zur Besserung des Trinkverhaltens und der depressiven Symptomatik angeboten werden. Zu anderen Psychotherapieverfahren kann aufgrund unzureichender Daten keine Empfehlung ausgesprochen werden. B KVT der Depression Stellen Sie sich einen Mann vor … • • • • • 44 Jahre alt, Informatiker, erfolgreich, vh, 2 Ki Probleme mit Denken, Konzentration Wortfindungsstörungen, Denkblockaden Angespannt, missgestimmt, erschöpft Magenschmerzen, Druck auf der Brust, Kloßgefühl im Hals, Sodbrennen, Hitzewallungen, Schlafprobleme, • Selbstvorwürfe, pessimistische Befürchtungen • Weinerlich („nah am Wasser gebaut“) • • • • • • • • • • • hoher Arbeitsdruck (Projekte, Termine) Schulden durch Hausbau Konflikte, Schulprobleme der pubertierenden Tochter Seit 4 Jahren in jetziger Firma Ankündigung in Firma: Informatikabteilung wird über nächste 3-4 Jahre reduziert (halbiert) Vater (damals 47 J.) verstorben als Pat. 11 J. alt war Immer um Mutter und Familie gekümmert Er hat alles zusammen gehalten Über Umwegen (Abendgymnasium) zum Studium Absprache, Verpflichtungen oder Termin immer eingehalten, geschätzt wegen seiner Gewissenhaftigkeit Seit Jahren Magenprobleme, Schmerzen Problembereiche: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Pessimistisch, katastrophisierende Annahmen Kontrollverlust bezüglich Arbeitssituation Problematischer Umgang mit der Tochter Kommunikationsprobleme (Arbeit, Ehe) Keine Abgrenzung und Selbstbehauptung (Mutter) Rückzug, keine soz. Kontakte (außer Familie, Arbeit) Fehlende Verhaltensalternativen (Tochter, Stress) Mangelnde alternative Interessen (Aktivitäten) Wenig Zugang zu Bedürfnissen, Wünschen, Emotionen Hintergrund Traumatische Erfahrungen, Kontrollverlust, Benachteiligungen, Isolation, Persönlichkeit Biologie Situative Bedingungen, Auslöser Kognitionen automatische Gedanken negative Attributionen, dysfunktionale Bewertungen und Schemata (Haltungen) Kompetenzen Ressourcen, Bewältigungsmuster, Fertigkeiten, Interaktionsmuster, Problemlösen, Selbstkontrolle Aktivitäten verstärkende Erfahrungen, Ablenkung, Tagesstruktur Einbezug von Angehörigen, Partner, Familie Depression Therapiemodell KVT Psychotherapie der Depression (KVT) Modul 1: Aufbau therapeutischer Beziehung, Akzeptanz, Geduld, Lebens- und Krankengeschichte, Krankheitsverlauf, prägende Bezugspersonen erfragen und Erfahrungen (emotionale, kognitive, traumatische) mit denen herausarbeiten, zentrale Probleme erkennen und benennen, Ziele herausarbeiten und konkretisieren (festhalten) Modul 2: Erarbeitung und Vermittlung eines Erklärungsmodells und des therapeutisch hilfreichen Rational (Modell), Struktur und Elemente der Therapie ableiten, Bezug zu den Zielen Psychotherapie der Depression (KVT) Modul 3: Alltagsgestaltung, Tagesstruktur, Beobachtungsaufgaben dazu, welche Art (pos., neg.) Tätigkeiten und Aktivitäten finden statt bzw. dominieren, Verhaltensanalysen, verbunden mit Auswirkung auf Befinden durchführen Herausarbeiten angenehmer, positiv erlebter Tätigkeiten und Aktivitäten, Verhaltensaktivierung (Aktivitätsaufbau) Verwendung von Protokollen und konkreten Planungen, Absprachen und ggf. Hilfestellungen Psychotherapie der Depression (KVT) Modul 4: Erkennen automatisierter (verfestigter) kognitiver Muster und dysfunktionaler Informationsverarbeitungen, Schemata und Grundüberzeugungen, Herausarbeiten des biographischen Zusammenhangs dieser Muster, Erarbeiten alternativer Sichtweisen, Haltungen und kognitiver Muster, Gedankenkontrollstrategien, Training neuer Denk- und Verarbeitungsmuster Übungen, (Spalten-) Protokolle führen, Alltagstests Psychotherapie der Depression (KVT) Modul 5: Erlernen neuer Fertigkeiten und Kompetenzen: Stressmanagement, Sozialverhalten, Selbstsicherheit, Kommunikation und Interaktion (Einbezug von Partner, Familie), Problemlösen sowie andere für die individuelle Situation benötigten Skills. Übungen, Rollenspiele, Exposition und Konfrontation, Alltagstests Modul 6: Vorbereitung auf Krisen, Beibehaltung des Gelernten, Notfallplanung, Auffrischungs- bzw. Stabilisierungssitzungen, Erhaltungstherapie, Rückfallverhinderung Was zeichnet erfolgreiche (nicht nur KVT) Depressionstherapeuten aus? 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Problemorientierung, Zielorientierung Strukturiert, flexibel, aktiv, direktiv Interessiert, neugierig, „sokratisch“ interagierend Akzeptanz, Professionalität, Sicherheit Kooperatives Arbeitsbündnis Gegenwartsnähe, Alltagsnähe, Konkret Erklärungen geben, Information, Rational erarbeiten Fertigkeiten und Ressourcen orientiert Neulernen, Kompetenzen erweitern Beziehung klärend (falls nötig), selbsteinbringend Rückmeldungen, Zusammenfassungen Effect of Cognitive Therapy with Antidepressant Medications versus Antidepressants Alone on the Rate of Recovery in Major Depressive Disorder (Hollon et al. 2014) 452 Patienten mit einer MDD wurden zufällig entweder einer Kombinationstherapie (CBT+ADM) oder einer Monotherapie (ADM) zugewiesen und über bis zu 42 Monate behandelt Ziel: „recovery“ bzw. „remission“ (HDRS < 8 bzw. 12; LIFE < 2) Hinzufügen von KVT günstiger … • Remissionsraten: 73% vs. 63% (HR 1.33) • bei schwereren, nicht-chronischen MDD: 81% vs. 52% (HR 2.34) • schnellere Besserung und Herauskommen aus der MDD • Abbrecher (19% vs. 27%) und SAE (49 vs. 71) Empfehlungen zur Psychotherapie der Depression Zur Behandlung akuter leichter bis mittelschwerer depressiver Episoden soll eine Psychotherapie (KVT) angeboten werden. A Bei akuten schweren Depressionen soll eine Kombinationsbehandlung mit medikamentöser Therapie und Psychotherapie (KVT) angeboten werden. A Wenn ein alleiniges Behandlungsverfahren in Betracht gezogen wird, soll bei ambulant behandelbaren Patienten mit akuten mittelschweren- bis schweren depressiven Episoden eine alleinige Psychotherapie (KVT) gleichwertig zu einer alleinigen medikamentösen Therapie angeboten werden. A Bei schweren und rezidivierenden sowie chronischen Depressionen sollte die Indikation zur Kombinationsbehandlung aus Pharmakotherapie und geeigneter Psychotherapie (KVT) vorrangig …. geprüft werden. A http://www.depression.versorgungsleitlinien.de 2015 Zur Stabilisierung des Therapieerfolgs sowie zur Senkung des Rückfallrisikos soll im Anschluss an eine Akutbehandlung eine angemessene psychotherapeutische Nachbehandlung (KVT) (Erhaltungstherapie) angeboten werden. A Längerfristige stabilisierende Psychotherapie (Rezidivprophylaxe) soll Patienten mit einem erhöhten Risiko für ein Rezidiv angeboten werden. A Bei therapieresistenter Depression sollte den Patienten eine angemessene Psychotherapie (KVT) angeboten werden. A http://www.depression.versorgungsleitlinien.de 2015 Toll, oder? Besser geht’s doch gar nicht! Nun ….