Stationäre Psychiatrie - ein kleiner Überblick für Laien

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Stationäre Psychiatrie ein kleiner Überblick für Laien
Nur Mut!
Von Sven Dirks unter Benutzung vieler hervorragender Quellen a.d. 2002
Version 1.0, zuletzt aktualisiert am 28.01.03
Vorwort
Der vorliegende Text soll einen ersten Einblick in das Thema Stationäre Psychiatrie bieten.
Er ist gedacht für SMler mit akuten oder erheblichen psychischen Problemen, die ggf.
einen Aufenthalt in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik planen oder brauchen. Er
ist geschrieben aus der Sicht eines interessierten Laien, denn ein solcher bin ich nun mal.
Dieser Text soll dabei helfen, Schwellenängste abzubauen. Er soll sachliche Informationen
über psychische Erkrankungen, die modernen Behandlungsmöglichkeiten und den damit
zusammenhängenden Alltag in einer psychiatrischen Klinik vermitteln. Auf gar keinen Fall
kann dieser Text irgendeine Form von Diagnose oder Beratung durch medizinisches Fachpersonal ersetzen.
In den vergangenen 50 Jahren hat sich in der stationären Psychiatrie vieles geändert. In
mehreren großen Schüben, Anfang der 70er, Mitte der 80er und noch einmal Mitte der 90er
wurden die Behandlungskonzepte gründlich renoviert. Insbesondere neue Neuroleptika
(die viel geschmähten Psychopharmaka) mit weniger Nebenwirkungen, das Instrument
der Behandlungsvereinbarung und die neuen Behandlungsansätze bei Borderlinern haben
für die Patienten ganz erhebliche Verbesserungen gebracht.
Auch die gesetzliche Gleichstellung psychisch und physisch Kranker hat zu dieser Veränderung beigetragen. Der Focus liegt heute im wesentlichen darauf, den Patienten und ihren Angehörigen ein selbst bestimmtes, sozial integriertes Leben mit der Krankheit zu
ermöglichen.
Besonderen Wert habe ich im übrigen darauf gelegt, dass auch die Einflussmöglichkeiten
der Patienten auf ihre Behandlung dargestellt und mit Musterverfügungen handhabbar gemacht werden.
Auch wenn vieles in diesem Text zusammengetragen, abgeschrieben, gekürzt oder zitiert
ist, sind eventuelle Fehler meine alleine. Für entsprechende Hinweise und zusätzliche Informationen bin ich jederzeit dankbar. Für die Richtigkeit der enthaltenen Informationen
kann ich keine Garantie übernehmen.
Wer ein Literaturverzeichnis vermisst – das ist Absicht. Es gibt zum einen einfach derartig
viele Bücher zu diesen Themenbereichen, dass ich keine Empfehlung aussprechen möchte.
Zum anderen gibt es auf den am Ende angegebenen Webseiten ausgezeichnete Literaturverzeichnisse, auf die ich gerne verweisen möchte.
Mein Dank geht insbesondere an Eva, die viel Kritik und wertvolle Hinweise geliefert hat,
sowie an Katja Leonhardt, von der ich schamlos ein ganzes Kapitel einer Studienarbeit
übernommen habe.
Ein Wort zum Schluss: Ich bin kein politisch korrekter Mensch, ich habe mir daher die Freiheit genommen, männliche, weibliche und gemischte Formen im Sinne der Lesbarkeit bunt
durcheinander zu verwenden.
Sven Dirks, November 2002, [email protected]
Anhänge:
–
Muster Behandlungsvereinbarung
–
Muster Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung
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Sven Dirks 2002
Inhaltsverzeichnis
1.Wer kommt für eine stationäre Behandlung in Frage? (Krankheitsbilder)1..........................................5
a. Affektive Störungen...............................................................................................................................................6
b. Persönlichkeitsstörungen......................................................................................................................................9
c. Borderline Persönlichkeitsstörung......................................................................................................................10
d. Angst- und Zwangserkrankungen.....................................................................................................................11
e. Schizophrene Psychosen......................................................................................................................................13
f. Somatoforme Störungen .....................................................................................................................................14
g. Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD)................................................................................................15
h. Und Sadomasochismus?......................................................................................................................................16
2.Wie kommt eine stationäre Behandlung zustande?..................................................................................17
a. Akute Probleme....................................................................................................................................................17
b. Geplante Aufenthalte...........................................................................................................................................18
c. Zwangsweise Aufenthalte...................................................................................................................................18
3.Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten am Beispiel der FU Berlin18............................................18
4.Therapieformen................................................................................................................................................21
a. Psychoanalyse.......................................................................................................................................................22
b. Gesprächspsychotherapie ...................................................................................................................................23
c. Verhaltenstherapie................................................................................................................................................24
d. Psychoedukation (Information zur Erkrankung) ............................................................................................25
e. Ergotherapie..........................................................................................................................................................25
f. Soziotherapie.........................................................................................................................................................26
g. Bewegungstherapie..............................................................................................................................................26
h. Sonstige Therapie- und Behandlungsformen....................................................................................................27
5.Aktuelle Therapiekonzepte...........................................................................................................................27
a. Borderline-Störung23.............................................................................................................................................27
b. Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)....................................................................................................30
c. Depressionen und affektive Störungen..............................................................................................................31
6.Tagesablauf in der Klinik .............................................................................................................................35
a. Allgemeine Informationen...................................................................................................................................35
b. Ausgang und Belastungserprobung...................................................................................................................36
c. Lehre und Forschung...........................................................................................................................................36
7.Psychopharmaka..............................................................................................................................................36
a. Neuroleptika.........................................................................................................................................................37
b. Antidepressiva......................................................................................................................................................39
c. Lithium ..................................................................................................................................................................40
d. Benzodiazepine....................................................................................................................................................41
8.Behandlungsvereinbarung, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht.................................................43
a. Behandlungsvereinbarung..................................................................................................................................43
b. Patientenverfügung..............................................................................................................................................44
c. Vorsorgevollmacht / Betreuungsverfügung.....................................................................................................44
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9.Nachbehandlung..............................................................................................................................................45
a. Sozialpsychiatrischer Dienst................................................................................................................................46
b. Nachsorgemöglichkeiten.....................................................................................................................................46
c. Betreuung und Beratung der Angehörigen von psychisch Kranken..............................................................47
10.Linkliste...........................................................................................................................................................48
a. Fachinformationen................................................................................................................................................48
b. Betroffene, Selbsthilfe...........................................................................................................................................48
c. Organisationen......................................................................................................................................................48
d. Sonstige.................................................................................................................................................................50
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1. Wer kommt für eine stationäre Behandlung in Frage? (Krankheitsbilder)1
Prinzipiell jede(r) psychisch Erkrankte, bei der(dem) ein Notfall (z.B. Suizidgefahr, schizoider oder manischer Gewaltausbruch, Eigen- oder Fremdgefährdung) vorliegt, oder bei
denen mit den behandelnden Therapeuten oder mit dem Klinikum eine stationäre Behandlung vereinbart wurde kommt für eine stationäre Behandlung in Betracht.
Grundsätzlich ist die psychiatrische Versorgung in Deutschland in Netzen organisiert, in
denen die einzelnen Hilfsdienste, Psychologen, Ärzte, Krankenhäuser und öffentlichen
Gesundheitseinrichtungen zusammen arbeiten. Zumindest ist dies der Idealfall. In der
Praxis hängt es sehr von den örtlichen Gegebenheiten ab, wie weit die einzelnen Einrichtungen und Beteiligten verzahnt sind. Psychisch kranke Menschen sind den physisch
Kranken vom Gesetz her gleich gestellt, letztendlich gilt auch hier, dass in einem akuten
Notfall keine(r) abgewiesen wird.
Als kleiner Leitfaden für eine Therapiebedürftigkeit mag der Fragenkatalog des deutschen
Psychiatrieverlags dienen, der jedoch eine eingehende Beratung durch einen Arzt oder
Therapeuten keinesfalls ersetzen kann. Eine Therapie ist möglicherweise angezeigt, wenn
mehr als die Hälfte der Fragen mit „ja“ beantwortet werden.
•
So kenne ich mich nicht! Fühle ich mich anders als sonst?
•
Beunruhigt mich diese Veränderung sehr?
•
Gibt es eine Erklärung für die Veränderung?
•
Reicht diese nicht aus, um die Dauer und Heftigkeit der Beschwerden zu begründen?
•
Kann ich meine tägliche Arbeit nur noch mit Mühe verrichten?
•
Mache ich mir immer Sorgen und habe ich viel Angst?
•
Leide ich unter körperlichen Beschwerden?
•
Ist mein Schlaf gestört, schlafe ich zu wenig oder zu viel?
•
Fühle ich mich oft aggressiv, hasserfüllt, gereizt oder bin ich sehr intolerant?
•
Bin ich oft krank geschrieben?
•
Habe ich häufiger Selbstmordgedanken?
•
Habe ich kaum noch Menschen, mit denen ich über meine Probleme sprechen kann?
•
Helfen Gespräche mit Freunden nicht mehr?
•
Fällt die Veränderung auch anderen deutlich auf?
•
Ist das schon länger als drei Monate so?
•
Ist mir das alles egal?
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Krankheitsbilder
1
Quelle: FU-Berlin
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a. Affektive Störungen
Bei den affektiven Erkrankungen bzw. Störungen bestehen das Hauptsymptom in einer
Veränderung der Stimmung entweder als Depression2 (ggf. mit begleitenden Angstzuständen) oder als krankhaft gehobene Stimmung (Manie3). Diese Veränderungen der Stimmung werden oft von einer Veränderung des allgemeinen Aktivitätsniveaus begleitet. Die
meisten anderen Symptome beruhen hierauf oder sind im Zusammenhang mit dem Stimmungs- und Aktivitätswechsel leicht zu verstehen. Patienten mit affektiven Erkrankungen
neigen zu Rückfällen, d.h. zu einem Wiederauftreten nach längerer Zeit der
Beschwerdefreiheit. Der Beginn der einzelnen Episoden (Phase der Erkrankung) ist oft mit
belastenden Ereignissen in Zusammenhang zu bringen.
Das Risiko an einer affektiven Störung, insbesondere an einer Form der Depression zu erkranken liegt neueren Untersuchungen zu Folge bei über 10% im Schnitt der erwachsenen
Gesamtbevölkerung, wobei Frauen etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Männer.
Problematisch ist die hohe Dunkelziffer. Viele Patienten mit depressiven Episoden werden
falsch oder gar nicht diagnostiziert und behandelt.
Affektive Störungen verlaufen häufig in regelmäßigen „Wellen“. Erleiden die Patienten im
Wechsel depressive und manische Episoden, dann spricht man von einer bipolaren affektiven Störung. Manische Episoden (siehe nächster Abschnitt) sind gekennzeichnet
durch einen unbändigen Tatendrang, meist gehobene Stimmung, fehlendes Schlafbedürfnis, Größenideen (sog. Größenwahn), häufig auch durch Kaufrausch.
Die Zykluszeit kann bei diesen Erkrankungen zwischen etwa einem halben Tag (ultra rapid cycler) und mehreren Monaten (slow cycler) betragen.
Daneben gibt es im DSM IV4 noch die Zyklothymie, eine anhaltende Stimmungsinstabilität
mit zahlreichen (zyklischen) Episoden leichter Depression und leicht gehobener Stimmung, die nicht die Schwerekriterien für manische oder depressive Episoden erfüllen.
i. Depressive Erkrankungen
verlaufen meist in Phasen, die über mehrere Monate, bei einigen Patienten auch über Jahre
anhalten können. Die häufigsten Formen sind:
Unipolare Depression
Episoden unipolarer Depressionen dauern mehrere Wochen oder Monate, insbesondere
dann, wenn die Patienten nicht von Anfang an konsequent behandelt werden. Treten auschließlich depressive Episoden auf, so spricht man von einer unipolaren Depression. Unipolare Depressionen können zyklisch oder unregelmäßig auftreten, die Wahrscheinlichkeit
mehrerer Episoden im Leben einer Patientin ist sehr hoch.
Dysthymie
Die Dysthymie (Erläuterung siehe nächster Abschnitt) ist eine leichter ausgeprägte,
chronisch verlaufende Form der Depression. Diese beginnt meist im frühen Erwachsenenalter. Sie kann sich unerkannt und unbehandelt über Jahre und Jahrzehnte hinziehen, und
eine erhebliche Belastung für die Betroffenen und deren Angehörige bedeuten.
Depressive Erkrankungen können jedoch auch im Rahmen körperlicher Erkrankungen, z.
B. von Schilddrüsenfunktionsstörungen, oder in Verbindung mit bestimmten Medikamenten, z.B. hoch dosierter Cortisonbehandlung, auftreten. Daher ist eine gründliche
2
Die häufigste psychiatrische Erkrankung, die mit Verstimmung, Antriebsarmut, tiefer Traurigkeit, Bewegungshemmung und oft mit schweren Schlafstörungen einhergeht. (s.u.)
3
Zustand mit stark gesteigertem Antrieb, Denkstörungen, Realitätsverlust und Selbstüberschätzung,
wobei sich die Patienten des Zustands meist nicht bewusst sind. (s.u.)
4
DSM IV = Diagnostic and Statistical Manual of Psychic Disorders Version IV, weltweit Grundlage der
Lehre, Forschung und Behandlung in der Psychiatrie.
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Untersuchung dieser möglichen Ursachen vor Aufnahme einer eventuellen medikamentösen Therapie (s.u.) sehr wichtig.
Eine major depressive episode („echte Depression“) nach den Diagnosekriterien im DSM
IV liegt vor, wenn fünf oder mehr der folgenden Symptome mindestens zwei Wochen
andauern, sowie Symptom 1 und/oder 2 vorhanden sind.
1. Depressive Stimmung an fast allen Tagen, für die meiste Zeit des Tages.
2. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Freude an allen oder fast allen Aktivitäten an fast allen Tagen, für die meiste Zeit des Tages.
3. Deutlicher Gewichtsverlust ohne Diät oder (schnelle) Gewichtszunahme.
4. Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf an fast allen Tagen.
5. Psychomotorische Unruhe („Zappeligkeit“) oder Verlangsamung an fast allen Tagen.
6. Müdigkeit oder Energieverlust an fast allen Tagen.
7. Gefühle von Wertlosigkeit oder übermäßige oder unangemessene Schuldgefühle.
8. Verminderte Fähigkeit zu denken oder sich zu konzentrieren an fast jedem Tag.
9. Wiederkehrende Gedanken an den Tod, wiederkehrende Suizidvorstellungen ohne
genauen Plan, tatsächlicher Suizidversuch oder genaue Planung eines Suizids.
Die depressiven Episoden gelten als leicht, wenn 4 bis 5 Symptome gleichzeitig vorliegen,
als mittelschwer wenn 6 bis 7 Symptome gleichzeitig vorliegen, als schwer wenn acht und
mehr Symptome gleichzeitig vorliegen.
Das gleichzeitige Vorkommen (Komorbidität) von Depressionen mit folgenden psychischen Erkrankungen ist mit 75 – 90 % Wahrscheinlichkeit anzutreffen:
•
Angststörungen
•
Zwänge
•
Posttraumatische Belastungsstörungen
•
Essstörungen
•
Substanzmissbrauch und Substanzabhängigkeiten
•
Schlafstörungen
•
sexuelle Störungen
•
somatoforme Störungen
•
psychische Störungen mit organischen Ursachen
•
schizophrene Störungen
•
hirnorganischen Störungen
•
verschiedene Persönlichkeitsstörungen.
Die Frage, ob bei diesen gemischten Krankheitsbildern die Depression primär oder erst in
der Folge der anderen Erkrankungen auftritt, ist nicht zuverlässig zu beantworten. Befragt
man Patienten im Nachhinein, dann erhält man in der Mehrzahl (zwischen 60% und 80%)
die Antwort, dass die Depression den anderen Schwierigkeiten und Störungen nachfolgte
(subjektive Krankheitstheorie!).
ii. Manie / Manische Phase
Bei der bipolaren Störung ist die manische Phase gekennzeichnet durch:
Hochgefühle
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Die Stimmung ist unabhängig von der Situation gut und kann zwischen sorgloser Heiterkeit und fast unkontrollierbarer Erregung schwanken.
Hyperaktivität
Die gehobene Stimmung ist verbunden mit vermehrtem Antrieb und führt zu Überaktivität, Rededrang und vermindertem Schlafbedürfnis.
Hemmungslosigkeit
Übliche soziale Hemmungen gehen verloren, die Aufmerksamkeit kann nicht mehr aufrecht erhalten werden, stattdessen lassen sich die Betroffenen oft ablenken. Die Selbsteinschätzung ist überhöht, Größenideen oder maßloser Optimismus werden frei geäußert.
Man möchte sich möglichst vielen Leuten mitteilen, will allen von den eigenen großartigen
Ideen berichten und kann die überflutenden Gedanken gar nicht schnell genug formulieren. Menschen in einer manischen Episode wirken leicht ungehobelt, geschwätzig und
eingebildet.
Um eine manische Episode als solche einzuordnen müssen drei bis vier der folgenden
Symptome in ausgeprägtem Maß vorhanden sein:
1. Gesteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen.
2. Vermindertes Schlafbedürfnis (z.B. nur noch drei Stunden).
3. Ungewöhnlich redselig bis unaufhörlich plappernd.
4. Ideenflucht oder die subjektive Erfahrung des Gedankenjagens.
5. Ablenkbarkeit durch alle Dinge der Umgebung.
6. Steigerung zielgerichteter Aktivität oder psychomotorische Unruhe.
7. Exzessive Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten, die mit großer Wahrscheinlichkeit unangenehme Konsequenzen haben werden. (Beispiel: Kaufrausch)
Die abnorm veränderte Stimmungslage ist so schwer ausgeprägt, dass sie die berufliche
Leistungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt. Ist die Stimmungslage auf einen Missbrauch die
Psyche beeinflussender Substanzen (vor allem Alkohol, Kokain /Amphetamine, Cannabis,
Ecstasy) oder auf eine organische psychische Störung zurück zu führen, so spricht man
ggf. nicht von einer Manie.
(Anm: Die Unterscheidung wird so sorgfältig abgewogen, weil sie einen wesentlichen
Einfluss auf die Behandlung insbesondere mit den weiter unten beschrieben Psychopharmaka hat)
iii. Dysthymie
Eine Dysthymie ist nach DSM IV eine chronisch depressive Verstimmung (erreicht nicht
die Schwerekriterien für eine major depressive episode, ist ansonsten ähnlich), die für die
meiste Zeit des Tages und an mehr als der Hälfte der Tage besteht und über mindestens
zwei Jahre hinweg andauert. Mindestens zwei der folgenden Zusatzsymptome müssen
ebenfalls auftreten:
•
Reduzierter Appetit oder vermehrtes Essen,
•
Schlaflosigkeit oder vermehrtes Schlafbedürfnis,
•
Energielosigkeit oder Erschöpfbarkeit,
•
reduziertes Selbstwertgefühl,
•
Konzentrationsstörungen
•
Entscheidungserschwernis
•
Gefühle der Hoffnungslosigkeit.
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Für die Diagnose einer Dysthymie dürfen in der Zweijahres-Periode nicht mehr als zwei
Monate Symptomfreiheit bestehen. In den ersten zwei Jahren dürfen keine Episoden einer
Major Depression aufgetreten sein. Wenn bei chronisch depressiver Symptomatik in den
ersten zwei Jahren eine Episode einer Major Depression bestand, wird die Diagnose einer
Major Depression „chronisch“ oder „teilremittiert“ (teilweise zurückgegangen) gestellt.
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b. Persönlichkeitsstörungen
Als Persönlichkeitsstörung bezeichnet man ein psychiatrisches Krankheitsbild, bei dem der
Patient Charaktereigenschaften bzw. -ausprägungen hat, die in Intensität, Dauer und Inhalt
deutlich von der Norm abweichen. Die betroffenen Personen sind dadurch einerseits einem
besonderen Leidensdruck unterworfen, andererseits leidet häufig auch die Umgebung
unter den entsprechenden Krankheitssymptomen. Was heute als Persönlichkeitsstörung
bezeichnet wird, nannte man früher Neurose, Hysterie oder Psychopathie. Diese Begriffe
waren aber sowohl stigmatisierend als auch inhaltlich unklar und werden deswegen
heutzutage nicht mehr gebraucht. Neuer Studien haben gezeigt, dass bis zu 10% aller
Menschen die Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung erfüllen. Grundsätzlich haben
Persönlichkeitsstörungen einen chronischen Verlauf und beginnen schon in der Kind- bzw.
Jugendzeit.
Die Grenze zwischen einer "normalen" Persönlichkeit und einer Persönlichkeitsstörung ist
fließend und deshalb Anlass für vielfältige Diskussionen. Es ist deswegen besonders
wichtig, dass man zwischen einem Persönlichkeitsstil und einer Persönlichkeitsstörung
unterscheidet. Grundsätzlich muss man bei dieser wichtigen Unterscheidung darauf achten, ob ein Mensch durch seine Persönlichkeit deutlich in seiner sozialen Stabilität und seinem Wohlbefinden gestört ist und seine Umgebung durch seinen Persönlichkeitsstil massiv
beeinträchtigt. Erst wenn dies gegeben ist, darf man von einer Persönlichkeitsstörung
sprechen. Ein Mensch, der trotz eines sehr ausgeprägten, vielleicht sogar auffälligen
Persönlichkeitsstils sozial stabil, nicht leidend und im sozialen Umgang für seine Mitmenschen nicht ausgeprägt belastend ist, hat keine Persönlichkeitsstörung.
Zu jeder Persönlichkeitsstörung gehört deshalb die anhaltend "übersteigerte" Ausprägung
einer normalen menschlichen Eigenschaft, die chronisch zu individuellen bzw. sozialen
Konflikten führt:
Persönlicher Stil
Persönlichkeitsstörung
gewissenhaft, sorgfältig
zwanghaft
ehrgeizig, selbstbewusst
narzistisch
expressiv emotional
histrionisch5
wachsam, misstrauisch
paranoid6
sprunghaft, spontan
borderline (s.u.)
anhänglich, loyal
dependent (abhängig)
zurückhaltend, einsam
schizoid
selbstkritisch, vorsichtig
ängstlich / selbstunsicher
ahnungsvoll, sensibel
schizotypisch
abenteuerlich, risikofreudig
dissozial
5
Nach DSM IV: Laut DSM-IV (APA): Inadäquate Emotionalität, Streben nach Aufmerksamkeit, Gefühlsausdruck oberflächlich und rasch wechselnd, Selbstdramatisierung, Theatralik.
6
Paranoia: sich in einem festen System von Wahnvorstellungen ausbildende Geistesstörung
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c. Borderline Persönlichkeitsstörung
Die Bezeichnung "Borderline" hat eine wechselvolle, wenn auch kurze Geschichte hinter
sich. Trotz seines Status als einer offiziellen diagnostischen Einheit erstmals in der weltweit
anerkannten DSM-III-Nomenklatur Anfang der 80erJahre, ist seine Benutzung als formale
Kennzeichnung bis heute umstritten. Der Begriff Borderline beschreibt ein instabiles
Verhaltensmuster, das sehr unterschiedliche Merkmale zum Ausdruck bringt
(zusammenfassend in Millon, 1996).
Jahrzehntelang galt die Borderline-Störung als psychische Erkrankung, die an der Grenze
zwischen neurotischen7 und psychotischen8 Störungen anzusiedeln war. Erst mit der Verbesserung der Diagnostik wird sie als abgrenzbare spezifische Störung anerkannt, die auf
einer starken emotionalen Instabilität basiert. Bei der Diagnose einer Borderline-Störung
(BPS) erfolgt die Orientierung an den Kriterien aus dem DSM-IV (Diagnostic and Statistical
Manual of Psychic Disorders)
•
Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassen werden zu
vermeiden.
•
Ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch
einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.
•
Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der
Selbstwahrnehmung
•
Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbst schädigenden Bereichen - Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch (Drogenabhängigkeit), rücksichtsloses Fahren, "Fressanfälle" etc.
•
Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandrohungen oder Selbstverletzungsverhalten.
•
Instabiles Gefühlsleben infolge einer ausgeprägten Beeinflussbarkeit der Stimmung
z.B. hochgradige episodische Dysphorie9, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).
•
Chronische Gefühle von Leere.
•
Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z.B.
heftige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen)
•
Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder
schwere dissoziative10 Symptome.
Borderline-Patienten werden von ihrer Umwelt oft als ausgesprochen manipulativ und ichbezogen, aber auch als bunt schillernd und anziehend erlebt.
7
Im Unterschied zur Psychose betreffen Neurosen stets nur Teilbereiche der Persönlichkeit und des
Verhaltens. Der Bezug zur Realität ist nicht nachhaltig gestört, und die Betroffenen haben ein zumindest
vages Bewusstsein von ihrer Störung, unter der sie leiden.
8
Psychose ist die Bezeichnung für verschiedene Formen psychischer Erkrankungen (s. psychische Störung), deren organische und psychische Ursachen meist unbekannt sind und die einen starken Abbau der
Persönlichkeit zur Folge haben.
9
Dysphorie ist eine ängstlich-ruhelose „depressive“ Missgestimmtheit
10
Dissoziation ist ein Zustand, in dem das Bewusstsein nicht mehr in der Lage ist, die Informationen von
außen und von innen sinnvoll in Einklang zu bringen, und in Folge Gedanken und Gefühle getrennt
werden. Dissoziation taucht häufig im Zusammenhang mit traumatischen Erfahrungen auf und wird auch
als das Gefühl beschrieben, neben sich gestanden zu haben.
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Die Diagnose wird in der Regel mit dem erstmals 1978 von Gunderson und Kolb entwickelten „diagnostischen Interview“ gestellt. Es liefert in 5 verschiedenen Bereichen Aufschluss:
•
soziale Anpassung (wahres und falsches ICH)
•
Impulsivität (Aufmerksamkeit auf sich ziehen)
•
Affekte (instabil, Wechsel von normaler Stimmung zu Ärger, Wut)
•
psychotisches Erleben (leichte, kurze psychotische Erlebnisse)
•
zwischenmenschliche Beziehungen (rascher Wechsel von Einstellungen)
Nach der Bearbeitung eines ausführlichen Fragenkatalogs wird anhand eines Punktsystems ermittelt, ob eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorliegt. Das Diagnostische Interview wird überwiegend im stationären Bereich eingesetzt.
Besondere Merkmale:
Das Auftreten der BPS wird auf ca. 1-2% in der Bevölkerung geschätzt. Die BPS wird überwiegend (75%) bei Frauen diagnostiziert. Auffallend sind eine hohe Suizid- und Selbstverletzungsrate. Das höchste Suizidrisiko liegt zwischen dem 20.-30. Lebensjahr. Es besteht
eine hohe Komorbidität (gleichzeitige Erkrankung) zu anderen Störungen. Komorbid
findet man häufig
•
affektive Erkrankungen (siehe oben)
•
Angsterkrankungen
•
posttraumatische Belastungsstörungen (siehe unten)
•
Substanzmissbrauch, also Drogenabhängigkeit und Essstörungen.
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d. Angst- und Zwangserkrankungen
Wenn Angst völlig losgelöst von Bedrohungssituationen oder bei harmlosen Auslösern in
viel zu ausgeprägter Form auftritt, handelt es sich um eine Form der Angsterkrankung
Man unterteilt Angst- und Zwangserkrankungen in 5 große Hauptgruppen. Mittlerweile
werden als 6. Gruppe auch die somatoformen Störungen11 hinzugerechnet:
•
Phobische Störungen (mit und ohne Panik)
•
Panikstörung (episodische Angst)
•
Generalisierte Angststörung
•
Zwangsstörung
•
Posttraumatische Belastungsstörung
•
Somatoforme Störungen
i. Phobie
Es handelt sich um die unangemessene Angst vor einem spezifischen Reiz oder einer bestimmten Situation. Am bekanntesten ist die Spinnenphobie, die aber selten Krankheitswert hat. Klinisch sind am wichtigsten die Agoraphobie und die soziale Phobie.
Bei der Agoraphobie handelt es sich um eine komplexe Phobie, bei der Situationen und
Orte, die als gefährlich erlebt werden, vermieden werden. Dazu gehören Menschenmengen, öffentliche Plätze, weite Entfernungen von zu Hause, oft auch viele andere Ängste wie Höhenangst, Angst vor engen Räumen (U-Bahn, Bus), Angst vor Dunkelheit; sie
kann mit und ohne Panikstörung auftreten.
11
Störungen ohne erkennbare Ursache
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Die Lebenszeitprävalenzrate (Wahrscheinlichkeit einmal im Leben daran zu erkranken)
liegt bei 2 bis 3 %, der Erkrankungsbeginn zwischen 15 und 35 Jahren, ca. 80 % Frauen.
Die soziale Phobie äußert sich durch die unangemessene Furcht vor anderen Menschen
und daraus folgend die Vermeidung sozialer Situationen, insbesondere solcher, wo der Betroffene erwartet, beobachtet und bewertet zu werden, unterschiedliche Ausprägungsgrade von "Furcht, öffentlich zu sprechen bis hin zur völligen Kontaktvermeidung mit
anderen.
ii. Panikstörungen
Es handelt sich um wiederkehrende Angst- und Panikzustände ohne gut erkennbaren
Auslöser (oft ein Gedanke), die plötzlich auftreten und gekennzeichnet sind durch Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel, Depersonalisation (Verlust der
Persönlichkeit, Abflachung der Persönlichkeitsmerkmale) oder Derealisation (Verlust des
Realitätsbezuges). Sie dauern meist 5 Minuten oder etwas länger. In der Folge entwickeln
Betroffene Angst vor der Angst bzw. Angst vor den Symptomen und Konsequenzen der
Angst wie die Furcht zu sterben, Angst, die Kontrolle zu verlieren oder die Angst, verrückt
zu werden.
iii. Generalisierte Angststörung
Typisch hierfür sind ausgeprägte allgemeine und vielfältige Sorgen und Ängste, die länger
als 6 Monate andauern und sich nicht nur auf bestimmte Situationen beschränken. Der Betroffene kann sich schwer kontrollieren, fühlt sich dadurch sehr beeinträchtigt und zeigt
mindestens 3 der folgenden Symptome zusätzlich:
•
Muskelanspannung
•
Ruhelosigkeit
•
Ermüdbarkeit
•
Konzentrationsstörungen
•
Schlafstörungen
•
Reizbarkeit
iv. Zwangsstörung
Es handelt sich um das Wiederkehren von meist als unsinnig empfundenen und ständig
wiederkehrenden Gedanken und Handlungen, die vom Betroffenen nicht einfach beendet
werden können und als quälend empfunden werden. Eine große Zeit des Tages ist damit
ausgefüllt, so dass wenig freie Zeit bleibt, um den normalen Tagesaktivitäten nachzugehen.
Bei einer Lebenszeitprävalenz (Wahrscheinlichkeit einmal im Leben daran zu erkranken)
von 2,5 % und einem Beginn der Erkrankung mit durchschnittlich 15 Jahren, wobei die
Diagnose meist erst 15 Jahre später gestellt wird, führt dies u.U. zu großen Einschränkungen im privaten und beruflichen Leben.
Die häufigsten Zwangsgedanken sind Verunreinigungsgedanken, aggressive Impulse,
ständiges Zweifeln, Gedanken zur Symmetrie und hinsichtlich körperlicher Beschwerden
sowie sexuelle Impulse und Gedanken oder eine Mischung von diesen. Bei den Zwangshandlungen überwiegen Kontrollhandlungen, Waschzwang und Zählrituale.
Posttraumatische Belastungsstörungen: Diese haben einen eigenen Absatz, siehe unten..
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e. Schizophrene Psychosen
Die schizophrenen Psychosen gehören zu den schwersten psychiatrischen Erkrankungen
und zeichnen sich insbesondere aus durch
•
Wahnvorstellungen (z.B. Verfolgungswahn)
•
Wahrnehmungsstörungen (z.B. akustische Halluzinationen)
•
sog. Ich-Störungen (das Gefühl, dass andere Menschen die eigenen Gedanken lesen
können, die eigenen Gedanken sich ausbreiten)
•
formale Denkstörungen (Zerfahrenheit)
•
Störungen des Gefühlslebens
Als Symptome können außerdem auftreten:
•
Leibhalluzinationen (Beinflussungserlebnisse, das Gefühl dass andere den eigenen
Leib manipulieren)
•
eigene Leibmissempfindungen (sog. Zönästhesien, z.B. das „Gürtelgefühl“, bei dem
die Patientin glaubt, ständig in der Mitte eingeschnürt zu sein)
•
Bewegungsstörungen (katatone12 Störungen)
•
Stereotypien (wiederkehrende, meist sinnlose Bewegungs- und Verhaltensmuster)
•
verschrobener Sprachstil
•
Verhaltensauffälligkeiten
Die schizophrene Psychose unterteilt sich in mehrere Unterformen:
12
•
paranoide Schizophrenie: im Vordergrund stehen Wahn und Halluzinationen.
•
katatone Schizophrenie: hier stehen katatone Symptome wie z.B. Erregungszustände,
Stupor13 oder Mutismus14 im Vordergrund der Symptomatik.
•
hebephrene (desorganisierte) Schizophrenie: hier finden sich vor allem Affekt-,
Denk- und Aktivitätsstörungen in Verbindung mit einer sog. heiter-läppischen Gestimmtheit.
•
Undifferenzierte Schizophrenie: diese Form der Schizophrenie erfüllt nicht eindeutig
die Kriterien der 3 erstgenannten Schizophrenien und stellt eine Mischform dar.
•
Schizophrenia simplex: diese Schizophrenie zeichnet sich durch einen symptomarmen Verlauf mit langsam voranschreitender Gefühlsverflachung und sozialem Rückzug aus.
•
Eine schizoaffektive Psychose besteht, wenn neben der schizophrenen Symptomatik
auch ausgeprägte affektive Störungen wie manische oder depressive Episoden bestehen, die in der Schwere den Depressionen oder Manien ähneln.
Katatonie = Störungen der Willkürbewegungen. Man unterscheidet zwei Formen:
1. katatoner Sperrungszustand: Der Kranke ist erstarrt wie eine Statue und ist völlig von der Umwelt zurückgezogen. Dabei ist er hellwach.
2. katatoner Erregungszustand. Bezeichnung für eine schwere psychomotorische Erregung mit sinnlosem
Umsichschlagen. Aus dem Sperrungszustand kann unvermittelt die Erregung durchbrechen, wobei es zu
Selbstverstümmelungen und Suizidversuchen kommen kann.
13
Stupor (lat.) Erstarrung; Bezeichnung für einen Krankheitszustand mit Fehlen jeglicher psychischer und
körperlicher Aktivität bei wachem Bewusstsein. Stupor äußert sich in Bewegungslosigkeit, maskenhafter
Gesichtsstarre, Nichtreagieren auf Außenreize, Stummheit, evtl. Einnässen.
14
Bezeichnung für ein beharrliches Schweigen beim Menschen, obwohl die Sprechorgane intakt sind. Das
Schweigen kann absichtlich geschehen oder aber mit einer psychischen Hemm-Störung in Zusammenhang stehen.
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Sven Dirks 2002
Abzugrenzen von der Schizophrenie sind hauptsächlich
•
die sog. anhaltenden wahnhaften Störungen (Paranoia), die sich durch einen
chronischen (nicht oder nur schwer heilbaren) Verlauf und die Entwicklung einer
einzelnen Wahnidee ohne Halluzinationen, Ich-Störungen und formale Denkstörungen auszeichnen (z.B. Eifersuchtswahn, Liebeswahn, Verfolgungswahn)
•
vorübergehende akute psychotische Störungen, welche kürzer als 1 Monat andauern, meist akut beginnen und vollständig abklingen.
Darüber hinaus können der Schizophrenie ähnliche Beschwerdebilder bei einer Vielzahl
von Krankheiten auftreten (z.B. bei Epilepsien, Stoffwechselerkrankungen, Schlaganfällen,
Autoimmunerkrankungen) sowie bei der Einnahme illegaler Drogen.
Das Erkrankungsrisiko (Wahrscheinlichkeit, mindestens 1 x im Leben an einer Schizophrenie zu erkranken) beträgt 1 %. Die Erkrankung beginnt meistens zwischen dem 15.
und 30. Lebensjahr, bei Männern eher früher, bei Frauen eher später. Die Ursache der Schizophrenie wird heutzutage überwiegend in Erbfaktoren gesucht. Umweltfaktoren scheinen
jedoch auch eine gewisse Rolle zu spielen.
Die Therapie der schizophrenen Psychose besteht grundsätzlich in einer Medikation mit
Neuroleptika. Hier gibt es eine Reihe neuerer Medikamente, die nebenwirkungsärmer als
die sog. klassischen Neuroleptika (siehe unten) sind. Des weiteren ist für Patienten mit
einer Schizophrenie eine Reduktion ihrer Stresserfahrungen, eine sichere, ihren Leistungsmöglichkeiten angepasste soziale Struktur und ein angemessenes Aufgabenfeld von Bedeutung. Entgegen der landläufigen Annahme sind die Heilungsaussichten bei der Schizophrenie relativ gut. Man kann bei mehr als 2/3 aller betroffenen Patienten davon ausgehen, dass sie ein eigenständiges Leben bei voller Arbeitsfähigkeit führen können. Nur bei
weniger als 1/3 aller Patienten kommt es zu einem dauerhaften Anhalten der psychotischen Symptomatik (Residuum).
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f. Somatoforme Störungen
„Ich fühle mich krank und die Ärzte finden nichts“
Übelkeit, körperliche und geistige Erschöpfung, Muskelschmerzen, Bauch- und Rückenschmerzen, Schwindel......., all diesen Beschwerden kann natürlich eine körperliche Erkrankung zugrunde liegen. Etwa 20-30% aller Patienten von Haus- und Fachärzten leidet
jedoch unter körperlichen Beschwerden, für die sich trotz des Einsatzes aller diagnostischer Verfahren der " High-tech"-Medizin keine eindeutige Ursache im Sinne einer strukturellen (z. B. entzündlichen oder bösartigen) Erkrankung finden lässt.
Im deutschen Sprachraum wurden solche Krankheiten häufig als funktionelle Störungen
oder funktionelle Syndrome bezeichnet, d.h. Krankheiten, bei denen nicht die einzelnen
Organe defekt sind, sondern denen gestörte Funktionsabläufe zugrunde liegen. Der erfahrene Untersucher kann die erhöhte Spannung zum Beispiel am Bauch ertasten oder den gestörten Bewegungsablauf beobachten. Mit Hilfe bildgebender Verfahren lassen sich gestörte Funktionsabläufe innerer Organe oder Störungen der Verarbeitung von Körperreizen im Gehirn inzwischen darstellen.
In den letzten Jahren hat sich die Bezeichnung "somatoforme Störung" (Krankheiten, die
wie eine Organerkrankung aussehen) eingebürgert. Für die einzelnen somatoformen Störungsbilder gibt es im jeweiligen medizinischen Fachgebiet, in dem sich die Patienten vorstellen, zahlreiche andere Krankheitsbegriffe.
Beispiele sind:
•
funktionelle Stimm- und Sprachstörungen
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14
Sven Dirks 2002
•
funktionelle Sehstörungen
•
funktionelle Störungen auf zahnärztlichem Fachgebiet
•
funktionelle Bewegungs- und Empfindungsstörungen
•
Atemnot, Herz- und Thoraxbeschwerden ohne organischen Befund
•
abdominelle Symptomatik wie Bauchschmerzen, Völlegefühl, Blähungen, Durchfälle
•
Schmerzzustände verschiedenster Körperregionen
Die Psychosomatik15 befasst sich auch mit Erkrankungen, die mit Störungen des Verhaltens
einhergehen, z.B. Essstörungen (Magersucht, Bulimie, Essattacken mit Übergewicht)
Neben den erwähnten Krankheiten ist die Psychosomatik auch die medizinische Disziplin,
die sich mit Problemen der Bewältigung körperlicher Erkrankungen, die mit Lebensumstellungen und -veränderungen, mit Einschränkungen, Entstellungen, Lebensbedrohung oder chronischen Schmerzen einhergehen, auseinandersetzt.
Psychosomatische Erkrankungen werden in der Regel mit verschiedenen Formen der Psychotherapie behandelt. Eine zusätzliche medikamentöse Behandlung kann im Einzelfall
sinnvoll und notwendig sein.
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g. Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD)
Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer traumatischer Ereignisse. Beispiele für solche Ereignisse sind:
•
Erleben von körperlicher und sexueller Gewalt, auch in der Kindheit,
(so genannter sexueller Missbrauch)
•
Vergewaltigung
•
gewalttätige Angriffe auf die eigene Person
•
Entführung oder Geiselnahme
•
Terroranschlag
•
Krieg und Kriegsgefangenschaft
•
politische Haft
•
Folterung
•
Gefangenschaft in einem Konzentrationslager
•
Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen
•
Unfälle
•
die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit)
Diese Ereignisse können an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt
werden. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses. Als Trauma
wird ein Ereignis verstanden, welches durch seine überwältigende Intensität, Plötzlichkeit
und Qualität die Fähigkeiten des Ich zur Reizverarbeitung überfordert. Das Opfer erlebt
sich dem katastrophale Ereignis völlig ausgeliefert, da die bisherigen Selbstschutzstrategien nicht einsetzbar, nicht wirksam oder sinnlos sind.
Einige der Symptome sind:
15
Beschreibung und Behandlung somatoformer Störungen
Stationäre Psychiatrie Version 1.0
15
Sven Dirks 2002
•
sich aufdrängende, belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma
(Intrusionen) oder Erinnerungslücken, traumabezogene Bilder und Alpträume,
Flash-backs16 und partielle Amnesie
•
Übererregungssymptome wie Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, vermehrte Reizbarkeit, Affektintoleranz (Unfähigkeit eigene Gefühle zuzulassen) und Konzentrationsstörungen
•
Vermeidungsverhalten (Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden
werden)
•
emotionale Taubheit, allgemeiner Rückzug, Interesseverlust, innere Teilnahmslosigkeit
•
im Kindesalter teilweise veränderte Symptomausprägungen, z.B. wiederholtes
Durchspielen des traumatischen Erlebens, Verhaltensauffälligkeiten, z.T. aggressive
Verhaltensmuster
•
Allgemeine Unfähigkeit die normalen Anforderungen des täglichen Lebens zu erfüllen
Die Symptomatik kann unmittelbar oder auch mit (z.T. mehrjähriger) Verzögerung nach
dem traumatischen Geschehen auftreten (sog. late-onset PTSD).
Die Häufigkeit von PTSD ist abhängig von der Art des Traumas.
Ca. 50% der Opfer sexueller Gewalt entwickeln PTSD
PTSD geht sehr häufig mit anderen Störungen einher (hohe Komorbidität) z.B. Angststörungen, Depressionen, somatoforme Störungen, dissoziative Störungen, Suchterkrankungen, Substanzmißbrauch, Organerkrankungen etc.
Häufig begeben sich Patienten zunächst mit einer völlig anderen Diagnose (z.B. Depression) in die stationäre psychiatrische Behandlung, PTSD wird dann erst im Rahmen der
therapeutischen Maßnahmen diagnostiziert.
Traumatisierte Menschen kommen für eine stationäre Therapie in Frage wenn
•
die durch das Trauma bedingte Symptomatik in erheblichem Maß ihre Fähigkeit beeinträchtigt, den Alltag und die Berufstätigkeit zu bewältigen,
•
die ambulante Therapie keinen ausreichenden Schutz leisten kann, um das Trauma
zu bearbeiten,
•
besonders bei längerfristigen Traumatisierungen in der Kindheit zusätzliche Krankheitsbilder mit erheblicher Schwere vorliegen, die ein komplexes Behandlungsangebot erforderlich machen
•
im Rahmen einer Chronifizierung der posttraumatischen Störung die Berufsfähigkeit
gefährdet ist.
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h. Und Sadomasochismus?
DSM-IV enthält unter dem Kapitel »Paraphilien« (»Nebenlieben«, das höfliche medizinische Wort für »Perversionen«) nach alter Sitte die Diagnosekriterien für sexual Sadism
(Code 302.84) und sexual Masochism (Code 302.83). Beide sind, wie eh und je seit KrafftEbing, streng getrennt, und nach wie vor gelten Leute, die die Kriterien dafür erfüllen, als
krank.
Aber, und dieses »aber« ist groß, die Kriterien selbst haben sich seit der letzten Revision
des DSM geändert. Es gibt für Masochismus wie für Sadismus deren zwei: Ein »A« Krite16
Wiedererleben der traumatischen Geschehens, blitzartiges Zurückversetztwerden in die traumatische
Situation
Stationäre Psychiatrie Version 1.0
16
Sven Dirks 2002
rium und ein »B« Kriterium. Beide müssen erfüllt sein, damit die Diagnose sexueller Sadismus bzw. sexueller Masochismus gestellt werden darf.
Einmal muss man sexuelles erregende Phantasien, sexuelle Neigungen, oder Verhaltensweisen haben, die damit zu tun haben, den Mitmenschen zu peinigen (für die Sadisten)
oder gepeinigt zu werden (für die Masochisten). Das ist das A-Kriterium. Nun, unzweifelhaft trifft das auf Sadomasochisten zu.
Das B-Kriterium ist die eigentliche Neuerung. Diese Phantasien, Neigungen oder Verhaltensweisen müssen einen klinisch relevanten Leidensdruck beim Patienten hervorrufen,
oder eine Einschränkung der Funktionsfähigkeit im sozialen, beruflichen oder einem
anderen wichtigen Bereich verursachen.
Das B-Kriterium ist für beide Diagnosen gleich. Leidensdruck heißt zum Beispiel, dass man
so unzufrieden mit seiner Neigung ist, dass man sie loswerden möchte. Auch wenn es hin
und wieder Leute gibt, auf die das zutrifft, ist es eine anerkannte Eigenschaft besonders der
subkulturell organisierten Sadomasochisten, dass sie eine »hohe Selbstakzeptanz« haben.
Daher auch die »auffällige Unauffälligkeit« vieler Sadomasochisten: Sie kommen so gut
mit ihrer Umwelt zurecht, dass man ihre Neigung gar nicht anmerkt, wenn sie es nicht
wollen. Von einer Funktionseinschränkung kann wegen des Sadomasochismus alleine jedenfalls keine Rede sein.
Unter Sadomasochisten ist nach wie vor umstritten, inwieweit
•
unter den Sadomasochisten eine erhöhter Anteil an Borderlinern, depressiven- und
PTSD Patienten zu finden ist, oder ob Sadomasochisten einfach generell offener miteinander umgehen, und psychische Befindlichkeiten deshalb auffälliger zutage treten als beim Durchschnitt der Bevölkerung.
•
Sadomasochisten zumindest teilweise sadomasochistische Handlungen als Therapieersatz oder als therapeutisches Mittel einsetzen, um psychische Befindlichkeiten
zu kompensieren.
Eine verlässliche empirische Studie zu diesem Themenkomplex gibt es bisher nicht.
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2. Wie kommt eine stationäre Behandlung zustande?
a. Akute Probleme
Ein akutes Problem ist immer ein Ereignis, mit dem der Patient aus eigener Kraft nicht
mehr fertig wird. Ein akutes Ereignis bedroht ggf. die Betroffenen selbst oder deren Umfeld, sei es durch direkte Gewalteinwirkung oder durch schleichenden Abbau der sozialen
und alltäglichen Fähigkeiten zum Beispiel bei der Sorge für Kinder.
Akute Ereignisse können bei vielen Krankheitsbildern auftreten. Besonders einschneidend
sind zum einen schizoide Episoden mit Wahnvorstellungen und Gewaltausbrüchen mit
Eigen- oder Fremdgefährdung. Zum anderen kommt es bei depressiven Episoden immer
wieder zu akuter Suizidgefahr, die ggf. eine stationäre Behandlung nötig macht.
Weitere häufige Ereignisse, die zu einer Akuteinweisung führen, sind der sog. Delir17 bei
stoffabhängigen Patienten, zum Beispiel Alkoholikern, oder stark psychotisch verlaufende
Entzugsphasen insbesondere bei von mehreren Stoffen Abhängigen.
Praktisch alle Landeskrankenhäuser und viele andere Einrichtungen mit einer psychiatrischen Klinik verfügen über 24-Stunden (Not-)Aufnahmen und eigene Telefonnummern.
(Eine Liste gibt es unter anderem bei mayday unter http://mayday.bdsm.org.)
17
Krankhafte Bewusstseinsveränderung mit Verwirrung, ängstlich-unruhiger Stimmungslage und körperlicher Begleitsymptomatik wie Zittern und starkem Schwitzen. Vorkommen bei Vergiftungen, schweren Infektionen und v.a. bei Alkoholkrankheit, als Delirium Tremens. Letzteres ist häufig tödlich.
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Sven Dirks 2002
Patienten die häufiger mit akuten Ereignissen eine stationäre Behandlung erfahren, haben
mit der Einrichtung bzw. dem behandelnden Personal oft Anweisungen und Vereinbarungen für den Fall ihrer Einweisung getroffen, die beispielsweise in einer Behandlungsvereinbarung oder Patientenverfügung (s.u.) niedergelegt sein können.
b. Geplante Aufenthalte
Längere Aufenthalte in psychiatrischen Einrichtungen werden häufig zusammen mit
einem externen Therapeuten oder im Rahmen einer ambulanten Tagestherapie in der gleichen Einrichtung vereinbart. Für viele Stationen besteht eine Warteliste.
Auch hier gibt es inzwischen immer häufiger die Behandlungsvereinbarung (s.u.), in der
Patient und Mediziner zum Beispiel die Art der Medikamentierung oder andere Behandlungsschritte festlegen, auch und gerade für den Fall, dass der Patient aufgrund seiner Erkrankung einmal nicht in der Lage sein sollte, sich ausreichend klar und selbstbestimmt zu
artikulieren.
c. Zwangsweise Aufenthalte
Diese werden in der Regel gerichtlich verfügt. Zwangsweise eingewiesen werden zum
einen Straftäter, bei denen eine psychische Erkrankung in ursächlichem Zusammenhang
mit einer (schweren) Straftat steht, in Verbindung mit einer ungünstigen Sozialprognose
(Maßregelvollzug). Viele Patienten und Angehörige tun sich im übrigen schwer mit der
zunehmenden Zahl der Maßregelvollzugspatienten in den größeren psychiatrischen Einrichtungen.
Zum anderen werden Patienten, bei denen dauerhaft von einer Selbst- oder Fremdgefährdung ausgegangen werden muss, und die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht
mehr in der Lage sind, ihr eigenes Leben zu führen, oder eine Gefahr für sich und andere
darstellen, nach gerichtlicher Abwägung zwangsweise in geeignete psychiatrische Einrichtungen eingeliefert. Hier handelt es sich in der Regel um Pflegeeinrichtungen, nicht um die
psychiatrischen Einrichtungen der Krankenhäuser, über die wir im Weiteren lesen werden.
Die Polizei hat im Notfall, bei Vorliegen von erheblicher Eigen- oder Fremdgefährdung das
Recht, Menschen zwangsweise in die stationäre Psychiatrie einzuweisen. Binnen 48
Stunden müssen derart eingewiesene einem Richter vorgestellt werden.
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3. Beschreibung der örtlichen Gegebenheiten am Beispiel der FU Berlin18
Die Verhältnisse sind auch in Bonn oder Münster sehr ähnlich, wobei es dort zwei Stationen weniger gibt, die Aufteilung also eine etwas andere ist. Die Therapie erfolgt im
Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans, der unter Einbeziehung der Ausprägungsart und
Schwere der Symptomatik und unter Vermittlung eines Krankheits- und Therapiekonzeptes mit dem Patienten besprochen wird. Insgesamt gibt es in Berlin sieben Stationen
für die stationäre und zwei für die ambulante Behandlung, wobei uns nur die stationären
Einrichtungen interessieren:
-
Station 1: Beschützte Station
Station 1 ist eine geschlossene Intensivstation. Schwerpunkt der Station ist die Behandlung von eigen- bzw. fremdgefährlichen Patienten. Die Patienten werden einerseits im
Rahmen der Pflichtversorgung nach dem Gesetz für psychisch Kranke bzw. nach dem
Betreuungsgesetz oder anderen ggf. landesrechtlichen Vorschriften untergebracht oder
von den offenen Stationen für kurze Zeit hierher verlegt. Die Behandlung der akut erkrankten Patienten umfasst zunächst die psychopharmakologische und verhaltenstherapeutische Behandlung. Ein weiterer Schwerpunkt besteht in der raschen
18
In Berlin heißt die Einrichtung vollständig: Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der
Freien Universität Berlin, Universitätsklinikum Benjamin Franklin.
Stationäre Psychiatrie Version 1.0
18
Sven Dirks 2002
Entaktualisierung („Entschärfung“) der Krisen im geschützten Rahmen durch
Milieutherapie und supervidierte19 psychiatrische Pflege.
-
Station 2: Gerontopsychiatrie20
Station 2 ist eine geschlossene Station für die gerontopsychiatrische Akutversorgung.
Aufgabe ist die diagnostische Abklärung und Therapie besonders von Altersdepressionen und Krisensituationen bei Demenz (Verwirrung, ängstlich-unruhige Stimmungslage, Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen der Grunderkrankung, Krisen durch
die Begleitsymptomatik wie Aggression, Schlaf-Wach-Umkehr etc.) sowie Wahnerkrankungen und Halluzinosen im Alter.
-
Station 3: Affektive Erkrankungen
Station 3 ist eine offene Station. Schwerpunktmäßig werden auf dieser Station Patienten
mit affektiven Erkrankungen behandelt. Dazu gehören die Depressionen die bipolaren
Erkrankungen. Die Behandlung umfasst psychopharmakologische, kognitivverhaltenstherapeutische, sozialtherapeutische, ergo- und bewegungstherapeutische
Angebote.
-
Station 4: Schizophrene und wahnhafte Erkrankungen
Station 4 ist eine offene Station. Schwerpunkt der Station ist die Behandlung von schizophrenen Erkrankungen und anderen psychotischen Störungen. Nach Möglichkeit
wird die Familie in die Psychoedukation (s.u.) miteinbezogen, um die notwendige
Krankheitseinsicht und Compliance21 des Patienten zu fördern.
Das Behandlungskonzept umfasst neben der medikamentösen Therapie, die die
Grundlage der Behandlung von Psychosen darstellt, auch verhaltenstherapeutische,
sozialtherapeutische (Milieutherapie), bewegungstherapeutische und ergotherapeutische Elemente.
Es erfolgt außerdem so früh wie jeweils möglich eine aktivierende und tagesstrukturierende Behandlung. Diese wird einerseits durch Gruppenaktivitäten in der Bewegungs- und Ergotherapie gefördert. Andererseits erarbeitet auch das co-therapeutisch
tätige Pflegeteam in Bezugspflege individuelle Wochenpläne mit den Patienten und
steht den Patienten bei deren Durchführung hilfreich zur Seite.
Die oft reduzierte Konzentrationsfähigkeit der Patienten wird durch gezieltes Konzentrationstraining gefördert. Durch psychoedukative Gruppen und ein Selbstsicherheitstraining in der Gruppe wird das individuelle Krankheitsmanagement verbessert.
-
Station 5: Persönlichkeitsstörungen
Station 5 ist eine offene Station. Schwerpunktmäßig werden auf dieser Station Patienten
mit der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, Borderline-Patienten sowie Patienten
mit einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung behandelt.
Die Behandlung basiert auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen, psychopharmakologischen, sozialtherapeutischen und beschäftigungstherapeutischen Konzepten. Insbesondere für Patienten mit der Borderline-Diagnose besteht ein spezielles therapeutisches Konzept, das eng an das Dialektisch-Behaviorale-Konzept(DBT) von Linnehan
angelehnt ist. Primäres Ziel der stationären Behandlung ist es, ein eigenständiges Leben
im gewohnten sozialen Kontext zu ermöglichen.
19
Supervision ist zum einen die fachliche Aufsicht über Therapeuten und Pflegepersonal. Sie bietet dem
Pflegepersonal und den Therapeuten zum anderen die Möglichkeit, das mit den Patienten Erlebte ihrerseits zu verarbeiten.
20
Alterspsychiatrie, nimmt sich der speziellen psychischen Probleme älterer Menschen an.
21
Compliance = Bereitschaft den Anweisungen des Arztes oder Therapeuten zu folgen, zum Beispiel bei
der Einnahmen von Medikamenten
Stationäre Psychiatrie Version 1.0
19
Sven Dirks 2002
Eine längerfristige ambulante Therapie kann ggf. verhindert werden, wenn Suizidgefährdung, selbstverletzendes Verhalten, wiederkehrende Krisen, Depressionen und
Ängste adäquat behandelt werden.
-
Station 6: Angst- und Zwangerkrankungen
Station 6 ist eine offene Station. Schwerpunktmäßig werden auf dieser Station Patienten
mit Angst- und Zwangsstörungen sowie Somatisierungsstörungen behandelt. Auch
Patienten mit zusätzlichen Begleitdiagnosen wie Depression oder Abhängigkeitserkrankungen können aufgenommen werden.
Die Behandlung beruht auf einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen, psychopharmakologischen und sozialtherapeutischen Gesamtbehandlungsplan, der ergotherapeutische und bewegungstherapeutische Konzepte mit einschließt. Das psychotherapeutische Angebot umfasst neben spezifischen psychoedukativen Gruppen mit vorausgehendem Entspannungstraining nach Jacobson - insbesondere für Patienten mit Angststörungen - regelmäßige Einzeltherapiesitzungen.
-
Station 18b: Intensiv- und Krisenintervention
Die Station 18b ist eine offene Station mit 18 Behandlungsplätzen. Schwerpunkte sind:
Krisenintervention
Akutbehandlung von Jugendlichen und Erwachsenen in Krisensituationen. Zu den
vorherrschenden Krankheitsbildern, die auf dieser Station behandelt werden, gehören
Anpassungsstörungen, Suizidalität, Persönlichkeitsstörungen, affektive und psychotische Störungen.
Behandlung von Patienten mit gleichzeitiger medizinischer und psychiatrischer Erkrankung.
Es werden Patienten mit einer erheblichen medizinischen oder chirurgischen Erkrankung und gleichzeitiger psychiatrisch behandlungsbedürftiger Symptomatik behandelt. Hier besteht die Möglichkeit einer zusätzlichen Betreuung der Patienten durch
mit behandelnde Ärzte anderer medizinischer Disziplinen.
Die Aufnahme erfolgt in der Regel akut über die Erste Hilfe des Klinikums, die Krisendienste der Stadt oder über Voranmeldung durch niedergelassenen Psychiater / Nervenarzt.
▲ Zum Inhaltsverzeichnis (nur HTML- und XML-Version)
Für praktisch alle stationären Aufenthalte gilt22:
Die in der Klinik angebotenen Behandlungen umfassen (zumindest in den größeren
Einheiten) das gesamte Spektrum der als wirksam bekannten und wissenschaftlich geprüften Therapiemethoden. Hierzu gehört die Behandlung mit Medikamenten, Psychotherapie, Verhaltenstherapie, Psychoedukation, Soziotherapie, Ergotherapie, Bewegungstherapie u.a. Ein großer Teil der psychischen Erkrankungen lässt sich heute nicht nur sehr
erfolgreich therapieren, sondern auch vorbeugend behandeln. Welche Art der Therapie im
Einzelfall notwendig ist, wird genau mit den Patienten besprochen.
Die Stationsärzte sprechen die Behandlung regelmäßig mit dem zuständigen Oberarzt
bzw. der Chefärztin ab. Es finden regelmäßig Visiten auf den Stationen statt. Diese dienen
auch der gemeinsamen Abstimmung über die aktuelle Behandlung und das weitere Vorgehen zwischen Patienten, Ärzten und allen Mitarbeitern des therapeutischen Personals.
Zum Behandlungsteam jeder Station gehören auch Sozialpädagogen. Sie stehen an der
Schnittstelle zwischen Klinikaufenthalt und sozialem Umfeld und sind direkt am therapeutischen Prozess beteiligt. In ihren Aufgabenbereich fallen auch Information, Beratung
und Hilfestellung
22
Aus den Informationen für Patienten zum Klinikaufenthalt an der FU Berlin und anderen Quellen
Stationäre Psychiatrie Version 1.0
20
Sven Dirks 2002
•
bei lebenspraktischen Problemen (Arbeitsplatz, Familie)
•
in Angelegenheiten der Sozialversicherungen
•
in Fragen der beruflichen, sozialen oder medizinischen Rehabilitation/ Wiedereingliederung
•
bei der Suche nach Arbeit, Wohnung oder einer geeigneten Einrichtung
•
Soziale Gruppenarbeit (auf einigen Stationen)
Die Kliniken verfügen normalerweise über Ein-, Zwei-, Drei- und Vierbettzimmer. Zu jedem Zimmer gehört heutzutage fast immer ein eigenes Bad mit Waschbecken, Dusche und
Toilette. Im Zimmer stehen zumeist ein Nachttisch und ein abschließbarer Schrank zur
persönlichen Verfügung.
Wenn die therapeutischen Aktivitäten wie z.B. Ergotherapie, Gruppenvisiten oder
Gruppentherapie in den Aufenthaltsräumen stattfinden, müssen Patienten unter Umständen Einschränkungen in den möglichen Besuchs- und Aufenthaltszeiten hinnehmen.
Alkohol- und Drogenkonsum jeglicher Art sind grundsätzlich in der Klinik nicht erlaubt,
da in der Regel auch Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen behandelt werden, und
sich diese Substanzen generell mit akuten psychischen Erkrankungen nicht vertragen. Rauchen ist nur in den dafür vorgesehenen Räumen gestattet.
▲ Zum Inhaltsverzeichnis (nur HTML- und XML-Version)
4. Therapieformen
Was ist überhaupt eine Psychotherapie?
Dazu gibt es eine bis heute gültige Definition des Wiener Psychotherapeuten Hans Strotzka
(1978).
Psychotherapie ist
•
ein bewusster und geplanter interaktioneller (mit gegenseitiger Aktivität) Prozess
•
zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen,
•
die im gegenseitigen Einverständnis (zwischen Patientin, Therapeutin und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden
•
mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal aber auch averbal
•
in Richtung auf ein definiertes gemeinsames Ziel (Symptomminimierung und/oder
Strukturänderung der Persönlichkeit)
•
mittels lehrbarer Techniken
•
auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens.
Das heißt, dass Psychotherapie ohne ein Einverständnis des Patienten nicht stattfinden
kann (und auch nicht funktionieren würde). Psychotherapie findet im Rahmen einer
therapeutischen Beziehung zwischen Patient und Therapeutin statt mit dem Ziel, Krankheiten und Leiden zu beheben. Psychotherapie arbeitet mit psychologischen Mitteln in
Form von Gesprächen und Verhaltensübungen. Vor allem im stationären Rahmen können
auch andere, z.B. körperorientierte oder mit Gestaltung (z.B. Malen) arbeitende Therapieverfahren zusätzlich zum Einsatz kommen, wobei das dort Erlebte in der Regel ebenfalls
besprochen wird.
Die Schritte und Ziele der individuellen Behandlung werden in Absprache zwischen Patient und Psychotherapeut festgelegt. Psychotherapeuten haben eine entsprechende mehrjährige Aus- oder Weiterbildung in einem anerkannten Psychotherapieverfahren
durchlaufen. Psychotherapeuten sind in der Regel Ärzte oder Psychologen.
Stationäre Psychiatrie Version 1.0
21
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Es gibt derzeit zwei Psychotherapieverfahren, deren Wirksamkeit für verschiedene Störungen durch Forschungsergebnisse belegt ist und deren Kosten bei gegebener Indikation
(d.h. bei Vorliegen eines entsprechenden Leidens oder Störung) von den Krankenkassen
übernommen werden:
•
die tiefenpsychologisch orientierten (analytischen) Verfahren der Psychoanalyse
•
und der Gesprächstherapie
•
die am Verhalten orientierte Verhaltenstherapie
Alle Verfahren gibt es in den vielfältigsten Varianten. Sie können ambulant oder stationär
durchgeführt werden. (Nähere Info siehe z.B.: www.psychiatrie-aktuell.de)
a. Psychoanalyse
Die Psychoanalyse beruht auf folgender Vorstellung: Wenn in der Entwicklung eines
Kindes traumatische Erlebnisse stattgefunden haben, so werden diese aus dem Bewusstsein eliminiert (»Verdrängung«) und können willentlich nicht mehr aus dem
»Unbewussten« abgerufen, also nicht erinnert werden. Dies ist ein normaler und lebensnotwendiger Schutzmechanismus. Wenn er aber bei gravierenden seelischen Verletzungen
lang andauernd einsetzt, können diese Verletzungen nicht heilen, nicht verarbeitet werden.
Sie behalten ihre dynamische Kraft und Wirksamkeit und können deshalb später in
anderer Form wieder auftauchen – als Symptome seelischer Krankheiten. Die eigentliche
Krankheitsursache, nämlich die ursprüngliche Verletzung, ist dabei nicht bewusst. Bewusst ist nur die Belastung durch das entstandene Symptom, beispielsweise eine
Angstneurose.
Erst durch eine tragende therapeutische Beziehung zwischen Patient und Therapeut entsteht die Chance, dass die früheren Erlebnisse des Patienten bewusst gemacht, in ihrer Bedeutung erkannt und so verarbeitet werden. Die Relevanz der frühen Traumata lässt mehr
und mehr nach, die Symptome verlieren ihren ursprünglichen Sinn (den vermeintlichen
Schutz vor diesen Traumata) und schwächen sich ab oder schwinden völlig.
In dieser nicht zuletzt von dem Patienten gestalteten Atmosphäre werden auch jene zahlreichen inneren Vorgänge – die »Abwehrmechanismen« – deutlich, durch die der Patient
sich während des Erwachsenenalters zu schützen versucht, um die als Kind erfahrenen
Ängste nicht immer und immer wieder spüren zu müssen.
So kann übermäßiger Eifer im Beruf eine Abwehr von subjektiv bedrohlichen Gefühlen
darstellen. Eine neurotische Depression kann Ausdruck von massiven aggressiven
Impulsen sein, die jedoch nicht herausgelassen werden, sondern die der Betroffene in Form
einer lähmenden depressiven Stimmung gegen sich selbst richtet.
Psychotische Symptome lassen sich vergleichbar deuten (was nicht heißt, dass das immer
so sein muss): Eigene Aggressionen werden auf einen vermeintlichen Verfolger projiziert,
Halluzinationen in Form von Stimmen können Ausdruck verborgener Gedanken und Befürchtungen des Patienten selbst sein, die dieser aber nicht direkt wahrzunehmen wagt.
Auch die Antriebsarmut (so der Rückzug in das Bett) sieht nur äußerlich wie Faulheit aus,
hat aber vielleicht einen ganz anderen Grund: Sie stellt den Versuch dar, einen Schutzraum
(das Bett) aufzusuchen, um so die gewaltigen Ängste zu reduzieren.
In der psychoanalytischen Theorie wird davon ausgegangen, dass Psychosen bei Menschen auftreten, die eine zu geringe eigene innere Strukturierung, Abgegrenztheit und
Stabilität (des Ich) aufweisen. Entsprechend gestaltet der Therapeut den Rahmen der
Therapie. Während sich der Analytiker in der Therapie der neurotischen Störungen passiv
verhält, greift er bei der Therapie von Psychotikern aktiver ein und strukturiert die
Sitzung, um den Pegel der Anspannung nicht zu groß werden zu lassen, vor allem auch
dann, wenn der Patient selbst schweigt.
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22
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Die Psychotherapie findet in der Form von regelmäßigen Einzelsitzungen statt, bei denen
die Patienten liegend oder dem Therapeuten gegenüber sitzend behandelt werden. Als
grobe Richtschnur mag gelten, das Psychotherapien regelmäßig zweihundert Stunden und
mehr in Anspruch nehmen können, unabhängig von der zu Grunde liegenden Erkrankung. Es gilt natürlich die ärztliche Pflicht zur Verschwiegenheit.
▲ Zum Inhaltsverzeichnis (nur HTML- und XML-Version)
b. Gesprächspsychotherapie
Die Theorie der Gesprächs(psycho)therapie geht davon aus, dass seelische Störungen in
erster Linie dadurch entstehen, dass bestimmte Gefühle nicht gefühlt werden dürfen und
bestimmte Erfahrungen, die wiederum mit bestimmten Gefühlen verbunden sind, nicht
oder nicht vollständig oder nur verzerrt gemacht werden dürfen.
Den Grund dafür sieht die Theorie der Gesprächspsychotherapie darin, dass diese Gefühle
und Erfahrungen von dem betroffenen Menschen als nicht zu sich, als nicht zu seinem
Selbst passend bewertet und damit dem Bewusstsein fern gehalten werden. Dieser
Vorgang der »Abwehr« bzw. Verfälschung bestimmter Gefühle und Erfahrungen ist in der
Regel ein dem Menschen nicht bewusster Vorgang. Gespürt wird häufig nur eine unerklärliche Angst oder es stellen sich Symptome ein, z. B. eine Wahnvorstellung, deren
Herkunft und Sinn dem Betroffenen verschlossen bleibt.
Wie kommen nun Menschen zu einem Selbst, das bestimmte Erfahrungen nicht machen
darf, z. B. festzustellen, bei einer Aufgabe versagt zu haben, und bestimmte Gefühle, vor
allem »negative«, wie Wut auf einen anderen Menschen, nicht fühlen darf?
Die Theorie sagt, dass Menschen nicht mit einem Bewusstsein von sich selbst, d. h. mit
einem Selbst, geboren werden. Das Selbst eines Menschen entwickelt sich erst, und zwar
im Kontakt mit anderen Menschen, vor allem natürlich in Interaktion mit den wichtigsten
Bezugspersonen in der Kindheit, in der Regel also mit Mutter und Vater.
Die Entwicklung des Selbst eines Menschen wird von einem (angeborenen) Bedürfnis beeinflusst, nämlich dem Bedürfnis nach positiver Aufmerksamkeit (»positive regard«).
Dabei werden nur solche Erfahrungen und die mit ihnen verknüpften Gefühle Bestandteil
des Selbst (= Selbstkonzept), die von den wichtigen Bezugspersonen als solche erkannt und
emotional positiv aufgenommen werden.
Ein Kind, dessen Mutter – aus welchen Gründen auch immer – es nicht aushält, wenn ihr
Kind Wutanfälle bekommt, wird diese emotionale Erfahrung – »es macht mich wütend,
wenn ...« – nicht in sein Selbst integrieren können. Ist das Kind später Patient, wird es z. B.
dem Therapeuten erzählen, dass es Angst davor hat, Wut zu spüren, denn wütend sein sei
gleichbedeutend mit böse sein.
Stärke und Art seelischer Erkrankungen scheinen auch davon abzuhängen, wie »stabil«
sich ein Selbstkonzept ausbilden konnte. Das Selbst von Menschen, die psychotisch erkranken, scheint sehr viel brüchiger zu sein als z. B. das von Menschen, die eine Essstörung
entwickeln. Zu einer Psychose kommt es, wenn eine emotionale Erfahrung vom Selbst
nicht integriert, aber auch nicht abgewehrt werden kann. Das Selbstkonzept bricht dann
zusammen. Der akut psychotische Mensch ist dann – zumindest für Außenstehende – nicht
mehr er selbst, sondern »verrückt«.
Die Entstehung des Selbst und seiner Störung mit der Folge seelischer Erkrankung ist natürlich ein viel komplexerer Vorgang als hier angedeutet. Vielleicht reicht das Beschriebene
aber aus, um daraus die wichtigste Aufgabe eines Gesprächspsychotherapeuten abzuleiten: Der therapeutische Prozess soll so gestaltet werden, dass bisher nicht oder nur unvollständig zugelassene emotionale Erfahrungen als Erfahrungen (an-)erkannt werden, die
zum Selbst gehören. Der Weg dorthin führt über verschiedene Etappen. Anknüpfend an
das o. g. Beispiel ist es häufig zunächst erforderlich, bewertende Erfahrungen zu hin-
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Sven Dirks 2002
terfragen. Unser Patient müsste vermutlich zunächst erkennen, dass immer dann, wenn er
sich »böse« fühlt, er eigentlich wütend ist.
Die Gesprächstherapie findet normalerweise in der Form von regelmäßigen Einzelgesprächen statt. Auch hier gilt natürlich die ärztliche Verschwiegenheitspflicht. Die Dauer wird
normalerweise mit etwa 50 – 200 Stunden angegeben.
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c. Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie geht davon aus, dass jedes Verhalten nach gleichen Prinzipien erlernt, aufrecht erhalten und auch wieder verlernt werden kann. Dabei wird unter Verhalten nicht nur die äußerlich sichtbare Aktivität des Menschen verstanden, sondern auch die
inneren Vorgänge wie Gefühle, Denken und körperliche Prozesse. Die Auseinandersetzung mit der Umwelt erfordert zahlreiche Lern- und Anpassungsleistungen. Wir
fühlen uns wohl, wenn wir in der Lage sind, auf diese psychischen und physischen Anforderungen flexibel und unter angemessener Berücksichtigung unserer Bedürfnisse selbstverantwortlich zu reagieren.
Reichen die eigenen Fähigkeiten nicht aus, um zentrale Bedürfnisse wie die nach sozialer
Sicherheit, befriedigenden Beziehungen oder selbstbestimmter Lebensgestaltung zu erfüllen oder stehen äußere Umstände dem entgegen, wird das Wohlbefinden beeinträchtigt.
Die Folgen können seelische und körperliche Erkrankungen sein. Bei schizophrenen Störungen wird davon ausgegangen, dass häufig die Fähigkeit zur Anpassung an die Umweltanforderungen – insbesondere die soziale – durch eine vererbte Verletzlichkeit
(Vulnerabilität) herabgesetzt ist. Unter anderem kann sich dies auswirken auf eine reduzierte Verarbeitungskapazität, die die Aufmerksamkeit und Konzentration erschwert. Unangenehme Reize scheinen häufiger zur Überaktivität des autonomen Nervensystems zu
führen. Dadurch kann in sozial schwierigen oder unübersichtlichen Situationen Stress hervorgerufen werden. Ein emotional belastendes Familienklima oder die soziale Umgebung,
aber auch negative Lebensereignisse, können dann zur Überforderung und zur Schizophrenie führen (Vulnerabilitäts-Stress-Modell).
Die Wirkung der Verhaltenstherapie besteht nun darin, in und außerhalb der Behandlung
Lernprozesse in Gang zu setzen. Der Betroffene soll in die Lage versetzt werden, eigene –
oft gewohnheitsmäßig ablaufende – Verhaltensmuster zu verändern, die bislang seinem
Wohlbefinden im Wege stehen.
So kann ein depressiv Erkrankter während der Therapie lernen, sich selbstsicherer zu
verhalten und damit in der Begegnung mit anderen Menschen befriedigendere Erfahrungen zu machen. Häufig genug tragen auch früh erworbene Denkmuster, wie »ich kann
nur zufrieden mit mir sein, wenn ich mindestens ebenso gut bin, wie alle anderen in
meiner Umgebung« zu Störungen bei. Ein derart verzerrter Maßstab ist auf Dauer nicht
durchzuhalten. Vielmehr führt er zu einer tief sitzenden Unzufriedenheit, Versagensängsten sowie anderen negativen (Selbst)Beurteilungen und kann längerfristig oder in besonderen Belastungssituationen zu einer seelischen Störung oder zu körperlichen
Beschwerden beitragen. Hier gilt es, andere angemessenere und erreichbare Ziele zu entwickeln und sich nach realistischeren Maßstäben bewerten zu lernen.
Wenn es möglich und notwendig ist, wird versucht, wichtige Bezugspersonen in die
Therapie mit einzubeziehen oder Veränderungen in der Umgebung (Wohnung, Arbeit) zu
fördern, die im Zusammenhang mit den Beeinträchtigungen stehen und zu einem gesünderen Leben beitragen können.
Die Verhaltenstherapie kann als Gruppen- oder Einzeltherapie gestaltet sein. Die Patienten
sitzen oder üben sich in Verhaltensmustern, häufig mit Hilfe von Rollenspielen. Dabei
können weitere Hilfsmittel wie beispielsweise Igelball, Kissen oder Puppe eingesetzt
werden, die jeweils Personen, Gefühle oder Handlungen repräsentieren können, oder als
symbolischer „Knoten im Taschentuch“ dienen. Oft kommen praktische Übungen hinzu, in
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Sven Dirks 2002
denen die Patienten das gelernte in der Praxis erproben (Beispiel: Klaustrophobiker gehen
einkaufen). Die Dauer einer Verhaltenstherapie variiert, vielfach werden dreißig oder
fünfzig Stunden als Richtwert angegeben.
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d. Psychoedukation (Information zur Erkrankung)
Psychoedukation ist der Fachbegriff für die zielgerichtete Information des Betroffenen und
seiner Angehörigen zur Erkrankung. Wissensvermittlung zur Erkrankung ist ein wichtiger
Faktor, der das Wiedererkrankungsrisiko senkt bzw. die Schwere einer Wiedererkrankung
deutlich abmildert. Wer über die Erkrankung informiert ist, fühlt sich weniger ausgeliefert
und kann aktiv und gezielt Einfluss nehmen. Wichtige Informationen sind beispielsweise:
•
Erkrankungsbegriffe
•
Ursachen und Auslöser der Erkrankung
•
Symptome der Erkrankung
•
Stoffwechselvorgänge im Gehirn und deren Veränderung während der Erkrankung
•
Behandlung (Medikamentenwirkungen, Nebenwirkungen, weitere Behandlungsmöglichkeiten)
•
Frühwarnzeichen einer möglichen Wiedererkrankung
•
Verhaltensweisen bei Frühwarnzeichen
•
schützende Faktoren, die zu psychischer Stabilität beitragen
Für die Information und Aufklärung gibt es mittlerweile eine Reihe von Programmen und
Materialien. Es wird empfohlen, Psychoedukation in Gruppen durchzuführen. Gruppenprogramme bieten die Möglichkeit, dass Patienten und ggf. Angehörige sich untereinander
über ihre Erkrankung, die damit verbundenen Erfahrungen und die persönlichen
Bewältigungsmöglichkeiten austauschen. Die Teilnehmer erleben in diesen Gruppen u.a.,
dass ihre Erkrankung bzw. die Erkrankung ihres Angehörigen kein Einzelschicksal ist.
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e. Ergotherapie
Die Ergotherapie setzt sich aus zwei Bereichen zusammen: Beschäftigungstherapie (BT)
und Arbeitstherapie (AT). Die Beschäftigungstherapie soll psychisch Kranken die Möglichkeit eröffnen, ihr seelisches Befinden mittels kreativer und handwerklicher Techniken sowie lebenspraktischer Übungen (z. B. Kochgruppe, Hausbesuche) verbessern zu helfen. Bei
diesem Vorgehen sollen vorhandene Kräfte erhalten, bzw. dem Abbau von Eigeninitiative
entgegengewirkt werden. Im Vordergrund steht die Stärkung der gesunden Anteile.
Die aktive Auseinandersetzung mit den angebotenen Techniken, Materialien und Medien
(z. B. Arbeiten mit Ton, Holz, Metall, Peddigrohr, Textilien, bildnerischen Mitteln, Musik,
Literatur) und die gefundenen Umsetzungsmöglichkeiten stärken das Selbstvertrauen und
helfen, das alltägliche Leben zu bewältigen. Eigene Ideen können entwickelt und
verwirklicht werden. Darüber hinaus ist die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen
Arbeits- und Vorgehensweise dabei behilflich, zu einer realistischen Selbsteinschätzung
der eigenen Möglichkeiten zu gelangen. Ausdruckszentrierte Gruppen (z. B. Lesekreis,
Mal- und Musikgruppe) bieten die Möglichkeit, sich mitzuteilen und mit anderen in Kontakt zu treten. So können in der BT neben der Kommunikationsfähigkeit auch z. B. Konzentration, Gedächtnis, Ausdauer und Ausdrucksfähigkeit geübt werden. Die Beschäftigungstherapie appelliert daran, das Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Wenn
in einer Psychose manches aus den Fugen geraten ist, kann das Erleben einer äußeren
Struktur, z. B. durch eine konkrete Aufgabenstellung und das gemeinsame Planen und
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Sven Dirks 2002
Durchführen von Handlungsabläufen, auch dazu beitragen, die innere Struktur wiederzufinden.
Mit Patientinnen und Patienten, die noch sehr stark unter den krankheitsbedingten Symptomen leiden, vor allem bei psychotischen Erkrankungen, ist es in der Regel günstiger,
nicht kreativ und ausdruckszentriert zu arbeiten. Hier besteht die Gefahr der Überforderung, besonders wenn emotionaler Stress nicht mehr ausgeglichen werden kann, bis
hin zu einer psychotischen Dekompensation.
Bei hoher Dosierung der Medikamente ist Vorsicht geboten, da die eventuell auftretenden
Nebenwirkungen die Patienten so extrem beeinträchtigen können, dass diese sehr schnell
an ihre momentanen Grenzen gelangen. Die sonst positive Wirkung der BT kann dann
durch zu frühe und eigentlich ungerechtfertigte Frustrationen ins Gegenteil umschlagen.
Ergotherapien gibt es, je nach Indikation und Gruppenfähigkeit des Patienten, als Einzel-,
Kleingruppen- oder Gruppentherapie.
f. Soziotherapie
Die Soziotherapie dient der der Reintegration des Patienten in die Gesellschaft, insbesondere in Familie, ins Berufsleben oder andere gesellschaftliche Strukturen einschließlich der
Sicherung der Versorgung des Patienten nach der Entlassung einer ambulanten
(Tagesklinik) oder stationären Therapie (z. B. durch Alters- oder Pflegeheime).
Dazu zählen insbesondere Maßnahmen, die die Lebensqualität des Patienten nach seiner
Entlassung sichern oder verbessern, sofern diese Maßnahmen nicht durch medizinische,
psychotherapeutische, logopädische, ergotherapeutische oder pflegerische Maßnahmen
abgedeckt sind.
Diese Maßnahmen umfassen u.a.:
•
Die Organisation der Weiterführung der psychologischen Betreuung
•
Alle Tätigkeiten der Sozialarbeiter/in
•
Kontaktaufnahmen und Vermittlung ambulanter Dienste, wie mobile Schwestern,
Heimhilfe, Essen auf Rädern, psychosozialer Dienste usw.
•
Diätschule
In Deutschland gibt es derzeit zwar Richtlinien, wie die Soziotherapie von den Leistungserbringern zu gestalten und vor allem wie sie von den Krankenkassen zu erstatten ist, letztere tun sich jedoch mit der Umsetzung dieser neuen Richtlinie angesichts der schwierigen
Haushaltslage recht schwer. Die besten Chancen auf die Erstattung der Soziotherapie hat
man derzeit noch bei den Betriebskrankenkassen, die ein besonderes Interesse an der beruflichen (Re-)Integration haben.
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g. Bewegungstherapie
Grundsätzlich ist die Bewegungstherapie jede Form von medizinischer Anwendung gezielter körperlicher Bewegung zur Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. zur Behebung oder Linderung einer körperlichen oder seelischen Störung.
Insbesondere im Zusammenhang mit depressiven Erkrankungen hat man in den letzten
Jahren festgestellt, dass gezielter, regelmäßig durchgeführter Ausdauersport eine ganz
erheblich positive Wirkung auf die Betroffenen hat.
In der stationären Behandlung werden heute schon aus Gründen der Gesunderhaltung der
Patienten in den meisten Fällen auch bewegungstherapeutische Elemente zu finden sein.
Das Spektrum reicht dabei von Gymnastik und Tanztherapie über Bewegungsübungen an
Geräten bis hin zu Bewegungsbädern und Schwimmen, einzeln oder in Gruppen.
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h. Sonstige Therapie- und Behandlungsformen
Es gibt noch eine Vielzahl von Therapieformen. Oft sind sie einfach eine praktische
Anwendung oder ein erlebbarer Rahmen der oben genannten Therapieansätze.
Darüber hinaus gibt es in vielen Kliniken eine Reihe von ergänzenden und stützenden
Verfahren, wie zum Beispiel
•
Akupunktur
•
Hypnose
•
Yoga
•
Autogenes Training
Neben der Behandlung der eigentlichen Krankheit wird in der Regel auch gezielt versucht,
das körperliche Wohlbefinden zu steigern und Techniken zur Entspannung und Stressreduktion zu üben.
Viele Kliniken haben besondere Behandlungsschwerpunkte und ein entsprechend angepasstes Therapie- und Rahmenprogramm. Hier alle Möglichkeiten aufzählen zu wollen
würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Die meisten Kliniken sind aber inzwischen mit
einer Seite im Internet vertreten, auf der man sich unverbindlich und anonym informieren
kann.
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5. Aktuelle Therapiekonzepte
Nach meiner Erfahrung sind die weitaus häufigsten psychischen Erkrankungen unter den
Sadomasochisten die verschiedenen Formen von Depression, Borderline-Störung und der
posttraumatische Belastungsstörung. Aus diesem Grunde, und weil gerade bei den letzten
beiden in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte in der Beschreibung und bei den
Therapiekonzepten erzielt worden sind, will ich die aktuellen Therapiekonzepte für diese
Erkrankungen hier kurz vorstellen.
a. Borderline-Störung23
Die Borderline-Störung ist keinesfalls leicht und auch nicht innerhalb kurzer Zeit zu behandeln. Mitte der 90er entwickelte Marsha Linehan in den USA auf der Basis empirischer
Methoden (Nachweis der Wirkung der einzelnen Therapieelemente durch klinische Studien mit einer größeren Zahl von Patienten) die dialektisch-behaviorale Therapie, die heute
als Behandlungsstandard gelten kann, und gute Ergebnisse vorzuweisen hat.
Voraussetzung
Der wichtigste Therapieinhalt ist zunächst der Aufbau einer stabilen und stützenden Beziehung zwischen Therapeut und Patient. Außerdem muss durch geeignete Vereinbarungen die Kontinuität im Therapieverlauf sichergestellt werden. Viele Patienten „testen
und überprüfen“, ob sie gehalten werden, bis an die Grenzen der Belastbarkeit aller Bezugspersonen. Generell sollten alle an der Therapie Beteiligten „an einem Strang ziehen“,
da Borderliner oftmals hochgradig manipulative Persönlichkeiten sind, die versuchen das
Team zu spalten.
Einerseits wollen und brauchen Borderliner feste Regeln (da sie auf der Suche nach nicht
erlebten Verbindlichkeiten sind) und andererseits versuchen sie diese permanent zu übertreten. Erfahrung, Einfühlungsvermögen und Durchhaltevermögen erscheinen als Grundvoraussetzung für die Arbeit mit Borderline-Patienten. Borderline-Patienten provozieren
immer wieder das, was sie am meisten fürchten - einen Beziehungsabbruch, um die
Verbindlichkeit des Therapeuten zu testen.
23
Der folgende Abschnitt ist eng an eine Studienarbeit von Katja Leonhardt aus dem Jahre 2001 angelehnt
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In der dialektisch-behavioralen Therapie wird in erster Linie an vielfältigen Problemlösungstechniken gearbeitet. Im Alltag von Borderline-Patienten gibt es immer eine Vielzahl
von Problemen, an denen sie scheitern. Deshalb wird versucht, sinnvolle Tagesabläufe zu
gestalten bzw. einfache tagesstrukturierte Abläufe zu erarbeiten, die der Therapeut dann
„begleitet“. Therapeuten und Psychologen arbeiten an ganz konkreten Alltagssituationen.
Es gilt, die speziellen Defizite des Patienten zu finden, um danach zu kristallisieren, welches Verhalten gelöscht und welches aufgebaut werden sollte. Man arbeitet schneller realitätsorientiert und bewegt sich nicht allzu lange auf der Problemebene der traumatischen
Erfahrungen.
Der Schwerpunkt liegt offensichtlich mehr darin, einen besseren Realitätskontakt des Denkens, Fühlens und Handelns zu erreichen und Fertigkeiten zu vermitteln, die zum Überleben und zur Bewältigung des Alltags notwendig sind. Die Akzeptanz schmerzlicher Gefühle und problematischer Umweltbedingungen steht dabei im Vordergrund.
Die dialektisch-behaviorale Therapie basiert auf einem biosozialen Erklärungsmodell, das
eine Wechselwirkung zwischen biologischer Disposition und Umwelt postuliert und das
die Borderline-Störung als eine Störung der Gefühlsregulation begreift.24
Die dialektisch-behavioralen Therapie nach Linehan ist eine kombinierte Gruppen- und
Einzeltherapie. Die Therapieziele sind in Reihenfolge ihrer Wichtigkeit:
•
Reduzierung von suizidalem und selbstverletzendem Verhalten
•
Reduzierung von therapiegefährdendem Verhalten (z.B. Stunden ausfallen lassen,
Mitarbeit ablehnen, ...
•
Reduzierung von Verhaltensweisen, die eine Hospitalisierung begünstigen.
•
Reduzierung von Verhalten, das die Lebensqualität einschränkt z.B. schwerer Substanzmißbrauch, kriminelle Verhaltensweisen, ...
•
Erwerb von Vehaltenskompetenz z.B. Umgang mit Gefühlen, Selbstkontrolle, u.U.
Bearbeitung von Traumata
•
Entlassungsvorbereitung
Darüber hinaus soll die persönliche Überempfindlichkeit reduziert werden. Die Patienten
sollen lernen, Verhaltensweisen abzubauen, die zu Krisensituationen führen. Die Fähigkeit
zu realistischen Entscheidungsprozessen und zur angemessenen Lösung von Problemen
des Alltags soll verbessert werden. Die gehemmte Trauer soll vermindert und Gefühle
sollen generell besser wahrgenommen und artikuliert werden.
Die Therapie ist klar strukturiert. Die Eckpfeiler des dialektisch-behavioralen Therapiekonzepts in der stationären Therapie (erstreckt sich in der Regel über mindestens 3 Monate) sind die:
Vorbereitungsphase/Motivationsphase bis zum abschließendem Therapievertrag
(beinhaltet auch einen Non-Suizidvertrag zumindest für die Therapiedauer)
Erste Behandlungsphase (ca. 6 Wochen) mit einer genauen Analyse des Problemverhaltens und die Erstellung eines Therapieplanes (im Vordergrund stehen hierbei Umstände,
die zu einer stationären Aufnahme führten) und Anleitung der Patienten zur Selbstbeobachtung und Protokollführung über ihr dysfunktionales Verhalten, im Mittelpunkt steht
dabei das Erlernen funktionalerer Verhaltensweisen, Ziel ist die Etablierung eines individuellen „Notfallkoffers“ zur Spannungsregulation
Zweite Behandlungsphase (ca. 4 Wochen) Weiterarbeit an den dysfunktionalen Verhaltensmustern, üben der erlernten Verhaltensweisen auf Station und im gewohnten Umfeld ,
langsamer Übergang in die ambulante Therapie. Die stationäre Behandlung steht manch24
In der Praxis werden Verfahren und Ideen u.a. aus dem Bereich der psychodynamischen Therapie, der
biologischen Psychiatrie, der Zen-Philosophie, der deutschen Philosophie (Dialektik von Hegel) sowie
körper- und bewegnungstherapeutische Methoden angewandt.
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mal im Widerspruch zu einer geforderten Selbständigkeit, insbesondere bei Vorhandensein
weiterer Erkrankungen.
Obligatorisch vorgesehene therapeutische Gruppen sind während der dialektisch-behavioralen Therapie:
•
Basisgruppe und Bezugsgruppe
•
Fertigkeitengruppe bzw. Fertigkeitentraining in den Bereichen: „Stresstoleranz“,
„bewusster Umgang mit Gefühlen“, „zwischenmenschliche Fertigkeiten“, „innere
Achtsamkeit“
•
Achtsamkeitsgruppe25 (Modul aus dem Fertigkeitentraining)
•
Kreative Gruppen bzw. 5-Sinne-Gruppe (Gestaltungstherapie, ...)
•
Körpertherapiegruppe
•
Kooperation mit dem Sozialdienst
•
Supervision des Personals
Im Rahmen der Gruppentherapie trifft man sich regelmäßig in einer Basisgruppe, in der
die Patienten über ihre Erkrankung und Behandlungstechniken informiert werden
(Psychoedukation, siehe oben). Hier werden sie zu Experten ihrer Krankheit und es besteht
die Möglichkeit, die Alltagssituation auf der Station zu besprechen, sowie gemeinsam nach
Lösungen für auftretende Probleme zu suchen.
In der Körpertherapie sollen die Patienten nach und nach ein Gefühl für ihren Körper
entwickeln und lernen, diesen zu akzeptieren. So sollen beispielsweise an die Stelle von
selbstverletzenden Verhaltensmustern Entspannungstechniken treten.
Schwierigkeiten in der Therapie
zu den Schwierigkeiten in der Therapie zählen u.a. das therapiegefährdende Verhalten, die
Rückfallgefährdung, das ständige Ausweichen oder das Abbrechen der Therapie. Patienten
provozieren häufig Abbrüche, nehmen sich zurück oder bleiben den Therapieveranstaltungen völlig fern, obwohl sie Probleme haben und unzufrieden sind. Die Motivation
der Patienten ist stimmungsabhängig und stößt deshalb oft an Grenzen.
Angehörigenarbeit
Wenn die Angehörigen der Kranken als positive Bezugspersonen erlebt werden, dann ist
Angehörigenarbeit ein wichtiger und notwendiger Teil der Therapie. Das soziale Umfeld
sollte stabilisierend für den Patienten da sein. Da aber auch Unsicherheiten auf Seiten der
Angehörigen bestehen, muss dafür gesorgt werden, dass die Beziehungen untereinander
sachlicher und stabiler sind, und dass die Angehörigen mehr Wissen über die Krankheit
vermittelt bekommen.
Problematisch ist häufig, dass die Patienten ihre Angehörigen nicht (noch mehr) belasten
wollen oder unter Umständen gar kein intaktes soziales Gefüge beziehungsweise stabile
Bezugspersonen vorhanden sind, auf die die Patienten und Therapeuten zurückgreifen
könnten. Oft sind Beziehungen zur Herkunfts- oder Ursprungsfamilie der Patienten sehr
schwierig, da die Problematik häufig dort verankert ist.
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b. Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)
Die heute gängige Behandlungsmethode für PTSD wurde Mitte der 90er von Reddemann
und Sachsse in Bielefeld entwickelt.
25
Aus dem Zen-Buddhismus übernommene Technik zum Einüben der eigenen Wahrnehmung (Beispiel:
Der Gruppe einen Apfel aus einem Korb voller Äpfel so beschreiben, dass die Gruppe den Apfel eindeutig
identifizieren kann)
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29
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Therapieziel ist, das ehemals überwältigende Traumaereignis zum integrierten Teil der
persönlichen Geschichte zu machen und das Selbsterleben des traumatisierten Menschen
von dem eines hilflosen Opfers hin zu einem handlungsfähigen Menschen zu wandeln.
Weitere Ziele bestehen in einer Stabilisierung der geschädigten Ich- Funktionen und in
einer Besserung der oft mit PTSD einhergehenden weiteren Störungen.
Während der Therapie kann eine sozialarbeiterische Unterstützung oder die Durchführung
von Paar- oder Familiengesprächen notwendig sein.
Voraussetzungen für die Therapie
Eine wesentliche Voraussetzung für die Therapie ist die Beendigung weiterer Traumatisierungen. Da durch die Therapie die bisherigen Bewältigungsmechanismen bearbeitet
und “verlernt” werden, kann mit erneuten traumatischen Erfahrungen und Beziehungen
nicht in alt bekannter Weise umgegangen werden. Es fehlen die alten Schutzmechanismen,
während Neue, besser funktionierende erst während der Therapie erarbeitet werden
müssen. Um sich auf die Therapie einzulassen ist es gut, sowohl in der Familie als auch am
Wohn- und Arbeitsplatz stabile Verhältnisse zu haben. Laufende Prozesse, insbesondere
Rentenverfahren, beeinflussen die Behandlung sehr ungünstig.
Vorbereitungen für die Therapie
In den meisten Fällen ist es sinnvoll, ein aufklärendes und vorbereitendes Gespräch vor
der stationären Aufnahme in eine Klinik zu führen. In diesem Gespräch können sowohl
Patienten wie Therapeuten sich einen Eindruck voneinander verschaffen und abklären, ob
sie sich auf die oben geschilderte Therapie gemeinsam einlassen wollen.
Falls sich eine Sucht oder ein Missbrauch von einem Suchtmittel entwickelt hat, sollte eine
Abstinenz, ggf. eine stationäre Entgiftung vor der Aufnahme in die Traumastation erfolgt
sein. Es sollte eine Bereitschaft bestehen, selbstschädigendes Verhalten zu unterlassen. Bezüglich Selbstverletzungen, Suchtmittelkonsum, Ess- und Gewichtsproblemen, Suizidalität
und risikoreichem Verhalten sollten klare Absprachen getroffen werden.
Die Behandlung gliedert sich in 3 Phasen:
i. Stabilisierungsphase
In dieser Phase, deren Länge je nach Schwere der Traumatisierung sehr unterschiedlich
sein kann, ist es wichtig, eine gute, Sicherheit spendende, therapeutische Beziehung aufzubauen. Den Patienten wird dabei geholfen, innere, zwischenmenschliche und äußere Sicherheit wieder zu erlangen. Sie lernen, Kontrolle über die Symptomatik und das eigene
Verhalten zu entwickeln. Besonders wichtig ist, den Patienten viel Informationen über die
Ursache ihrer Störung, der folgenden Symptomatik und insbesondere auch der Normalität
ihrer Reaktion zu geben. Mit Hilfe von Imaginationsübungen26 erlernen die Patienten, mit
der überflutenden Symptomatik von Flashbacks, Alpträumen und deren körperlichen Begleitreaktionen umzugehen. Oft werde zusätzlich weitere Bewältigungs- und Stressreduktionstechniken wie z.B. QiGong oder autogenes Training eingeübt.
In Einzelgesprächen können neben Diagnostik und Therapieplanung die gemachten Erfahrungen vertieft und besprochen werden. Falls eine Symptomatik mit selbstschädigendem
Verhalten besteht (Selbstverletzung, Suchtmittelkonsum) wird alternatives Verhalten erarbeitet. Ggf. wird die Behandlung mit Medikamenten unterstützt, so z. B. bei starken Depressionen, Schlafstörungen oder Unruhezuständen.
Manche Patientinnen fühlen sich nach dem erfolgreichen Durchlaufen dieser Phase
stabilisiert genug, um in ihren Alltag zurückzukehren. Einige kommen später zu einer gezielten Traumabearbeitung zurück in die Klinik, bei anderen schließt sich diese Phase direkt an.
26
Vorstellungsübungen. Die Patienten konfrontieren sich im Geiste mit schwierigen Szenarien und üben
daran den Umgang mit eben diesen Szenarien.
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ii. Traumabearbeitungsphase
Die Traumabearbeitung erfolgt durch ein strukturiertes, dosiertes und kontrolliertes
Wiedererleben zentraler Aspekte des Traumas. Dadurch wird der Verarbeitungsprozess
der traumatischen Erlebnisse weiter fortgesetzt, die Speicherung der Traumata im Gehirn
verändert sich, durch Wiedererleben kommt es zur Integration dieser Erfahrungen in die
Gesamtpersönlichkeit. Mann könnte auch sagen, dass eine eine Entgiftung mit nachfolgender veränderter gedanklicher und emotionaler Bewertung stattfindet.
Diese führt zu einer Selbstwertstärkung. Im Laufe des therapeutischen Prozesses wandelt
sich die Vorstellung, ein passives Opfer zu sein. Die Patienten fühlen sich als aktiv
handelnde Überlebende. Es entwickelt sich wieder mehr Selbstvertrauen in die eigene Person und die eigenen Fähigkeiten.
Je nach Intensität des traumatischen Erlebens bzw. der durch das Trauma ausgelösten
Symptomatik können sich Stabilisierungs- und Traumabearbeitungsphasen auch abwechseln.
iii. Integrationsphase
In der 3. Therapiephase geht es um die weitere Verarbeitung im Sinne von Integration27 des
Geschehenen. Häufig muss Trauerarbeit geleistet werden. Das Selbsterleben und
Lebensgefühl hat sich verändert, so dass neue Bewältigungsstrategien entwickelt werden
müssen. Wichtig ist, dass die Patientinnen sich wieder stark und im Besitz ihrer Kräfte
fühlen, so dass sie angemessene Entscheidungen für ihr weiteres Leben fällen können.
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c. Depressionen und affektive Störungen
(Im wesentlichen angelehnt an die Artikel aus dem „Kompetenznetz Depression“)
Die Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva) gilt inzwischen
als unverzichtbares und wirksames Heilverfahren. Daneben werden psychotherapeutische
Verfahren, vorwiegend die kognitive Verhaltenstherapie eingesetzt. Wenn möglich,
werden beide Therapieformen kombiniert. Gelegentlich kommt auch die Psychoanalyse
anstelle der kognitiven Verhaltenstherapie zum Einsatz. Zusätzlich Verfahren wie zum
Beispiel Lichttherapie oder Schlafentzug werden in der stationären Behandlung affektiver
Störungen begleitend eingesetzt.
i. Pharmakotherapie mit Antidepressiva
Bei mittelschweren und schweren Depressionen ist eine Behandlung mit Antidepressiva
dringend geboten. Diese Medikamente bewirken bei der Mehrheit der Patienten innerhalb
von zwei bis sechs Wochen ein Abklingen der depressiven Symptome. (Anm: Johanniskrautpräparate wirken ähnlich aber sehr viel schwächer als die Präparate, die bei
Depressionen verschrieben werden.)
Wegen der hohen Gefahr eines Rückfalls muss die Behandlung für vier bis sechs Monate
nach Abklingen der Symptome fortgeführt werden. Ggf. ist eine längerfristige rückfallverhütende Behandlung angebracht. Derartige Maßnahmen können bei vielen Patienten
über Jahre hinweg das Wiederauftreten depressiver Episoden verhindern.
Wie alle Medikamente haben auch Antidepressiva Nebenwirkungen. Meist jedoch stehen
die Nebenwirkungen in keinem Verhältnis zum großen Vorteil der antidepressiven
Wirkung. Der gewünschte Effekt stellt sich in der Regel erst nach einer zwei- bis sechswöchigen Behandlung ein. Eine Gefahr der Abhängigkeit besteht bei Antidepressiva nicht.
27
Integration bedeutet hier, dass das Erlebte als Teil der eigenen Entwicklung anerkannt und sozusagen in
die eigene Person eingebaut wird (ohne es deswegen abzuwerten).
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Die Vorstellung, dass die Medikamente die Persönlichkeit verändern ist zwar weit verbreitet, in der Regel ist es aber die Depression, die die Persönlichkeit verändert, nicht die Medikation.
ii. Kognitive Verhaltenstherapie
Die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie für die Behandlung depressiver Störungen ist bisher am besten untersucht und am deutlichsten nachgewiesen.
Da Denken und Handeln eines Menschen miteinander verknüpft sind, entspricht nach
dem Behandlungskonzept bei depressiven Patienten ein negatives Denkmuster auf der kognitiven Ebene der Niedergeschlagenheit auf der Gefühlsebene und der Antriebsschwäche
auf der Handlungsebene. Denken und Handeln sind bei der Depression oft so stark
miteinander verwoben, dass sie sich gegenseitig verstärken und eine Besserung der Depression erschweren (Depressionsspirale). Ein typisches Merkmal der depressiven Erkrankung ist das subjektive Gefühl vieler Patienten, "in einem Teufelskreis gefangen" zu
sein.
Depressiv gestimmte Menschen wirken oft belastend auf ihre Umwelt oder glauben von
sich selbst, eine Last für die anderen zu sein. Deshalb werden sie von anderen gemieden
oder sie ziehen sich selbst zurück, um die anderen nicht "herunter zu ziehen".
Dieser Rückzug führt zu einem Verlust an Aktivität. Das Fehlen von sozialen Kontakten,
Anregungen und Impulsen von außen verstärkt dann zusätzlich die depressive Verstimmung. Die Folge ist ein noch weiter gehender Rückzug mit noch größerem Kontaktverlust,
der in totaler Isolierung und Passivität enden kann.
Die kognitive Verhaltenstherapie versucht, eingefahrene negative Denkmuster in fünf
Schritten gemeinsam mit dem Patienten zu verändern. Manchmal erfolgt die Therapie in
Gruppen, um durch gemeinsame Arbeitsschritte und -erfolge den Ansporn bei den Betroffenen zu erhöhen und den Teilnehmern zu zeigen, dass sie nicht allein mit ihren
Beschwerden sind.
Schritt 1
Patient und Therapeut definieren die Schlüsselprobleme, der Patient wird in seiner negativen Sichtweise akzeptiert. Einhergehend mit dem Aufbau der therapeutischen Beziehung wird zwischen Patient und Therapeut ein Arbeitsbündnis geschlossen.
Schritt 2
Patient und Therapeut besprechen den Aufbau von angenehmen, positiven Aktivitäten
und den Abbau von belastenden, negativen Aktivitäten. Gemeinsam entwickeln sie Ideen, wie dies im Alltag umzusetzen ist (z.B. häufige Pausen, Entspannungsübungen,
kleine Belohnungen, Ablehnung von überfordernden Arbeitsgängen etc.).
Schritt 3
Die Wiederaufnahme von Kontakten zu Freunden und Bekannten und das eigene
Verhalten in alltäglichen Situationen stehen im Mittelpunkt dieser Phase. Die
Gestaltung eines sozialen Netzwerks sowie der Aufbau von sozialen Fertigkeiten
werden besprochen. In Rollenspielen übt der Patient mit spezifischen alltäglichen Problemen umzugehen (durchsetzen in Konfliktsituationen, diskutieren mit Arbeitskollegen), die eigenen Interessen wahrzunehmen und seine Kontaktfähigkeit wieder
herzustellen bzw. aufzubauen. Sinn und Ziele des Rollenspiels werden mit dem Patienten besprochen und das Erlernte auf den Alltag übertragen.
Der Patient erkennt seine eigenen Denkweisen als "hausgemachtes Problem", nicht als
unumstößliche Realität. Er lernt den Automatismus eingefahrener negativer Denkmuster zu erkennen, zu überprüfen und gegebenenfalls durch alternative Sichtweisen zu
ersetzen. So lassen sich etwa Grundannahmen wie "Alle sind gegen mich; keiner findet
das, was ich mache, gut" auswechseln.
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Der Patient lernt auch in schwierigeren Situationen die Kontrolle zu behalten und
erlangt seine frühere soziale Kompetenz zurück.
Schritt 4
Die "Erfolg-Vergnügen-Technik" als alternatives Denk- und Wahrnehmungsmodell
wird vorgestellt. Hierzu planen Therapeut und Patient praktische Aktivitäten und deren Umsetzung (z.B. Wochenplanung mit abgestuften Aktivitäten). Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen unangenehmen Pflichten und angenehmen Tätigkeiten
im Tagesablauf herzustellen.
Schritt 5
In dieser letzten Phase geht es vor allem um Erhaltung und Stabilisierung des Therapieerfolgs, den Umgang mit Rückschlägen sowie um vorbeugende Interventionen.
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Ein neuerer Ansatz, der bisher noch wenig Verbreitung in Deutschland gefunden hat, ist
die
Interpersonelle Therapie (IPT)
Auch die Wirksamkeit der IPT bei depressiven Patienten ist belegt worden. Im Mittelpunkt
der therapeutischen Gespräche stehen die Beziehungen des Patienten zu seinen Mitmenschen. Auch wenn Konflikte mit Partnern oder Angehörigen selten eine Depression
auslösen, so werden umgekehrt die Beziehungen des Patienten meist durch die Krankheit
stark belastet. Durch das Aufgreifen von Themen wie Trauer und Abschluss von Lebensabschnitten eignet sich die Interpersonelle Psychotherapie auch besonders gut für ältere Menschen.
Basis der Interpersonellen Therapie bilden Untersuchungen, die gezeigt haben, dass Depressionen mit folgenden vier Bereichen in Verbindung stehen:
•
Verlust von geliebten Menschen und Trauer,
•
menschliche Konflikte,
•
Abschluss von Lebensabschnitten,
•
Kontaktschwierigkeiten.
Aus diesen vier Bereichen werden meist zwei Themen ausgewählt, die für den jeweiligen
Patienten am wichtigsten sind. Ist Trauer ein zentrales Thema, weil z.B. der Lebenspartner
verstorben ist oder ein anderes unglückliches Ereignis eingetreten ist, wird der Ausdruck
von Trauer gefördert, Interessen und neue Beziehungen werden aufgebaut. Stehen
menschliche (interpersonelle) Konflikte im Mittelpunkt, sollen diese zunächst erkannt und
mit dem Partner diskutiert werden. Bei einem problematischen Rollenwechsel, z.B. von der
Berufstätigkeit in die Berentung, ist es von Bedeutung, den Verlust der alten Rolle
anzunehmen und zu betrauern, die neue Rolle positiv zu sehen und das Selbstwertgefühl
wiederherzustellen. Leidet ein Patient unter Kontaktproblemen, wird er beim Schließen
von Freundschaften unterstützt.
Der Therapeut ermuntert den Patienten stets zum Ausdruck seiner Gefühle und Gedanken. Neue oder schwierige Situationen werden immer wieder im Rollenspiel geübt.
Unterstützende Therapieformen für Depressionen:
iii. Elektrokrampftherapie
Bei Patienten mit schweren Depressionen, bei denen zahlreiche medikamentöse und psychotherapeutische Behandlungsversuche fehlgeschlagen sind, ist die Elektrokrampftherapie (EKT) das erfolgreichste Verfahren. Ein kurzer elektrischer Stromstoß löst eine künstlichen epileptischen Krampfanfall aus. Die Behandlung wird unter Kurznarkose durchgeStationäre Psychiatrie Version 1.0
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führt, so dass sie den Patienten in der Regel nicht belastet. Zudem werden muskelentspannende Medikamente gegeben, um stärkere Muskelkrämpfe während des epileptischen
Anfalls zu vermeiden. Den eigentlichen elektrischen Stimulationsvorgang und den
Krampfanfall, der 20 bis 30 Sekunden dauert, bemerkt der Patient nicht. Der Patient erhält,
verteilt über etwa drei Wochen, neun bis zwölf Anwendungen.
Bei der Mehrzahl der therapieresistenten Patienten kann die EKT depressive Phasen durchbrechen, die zum Teil schon seit Monaten oder Jahren andauern. Viele von ihnen erleben
das Abklingen ihrer Depression nach der EKT wie das Erwachen aus einem langen
Alptraum. Daran muss sich häufig eine Pharmakotherapie anschließen, um erneute Rückfälle in die Depression zu verhindern.
Neue Techniken konnten die Nebenwirkungen und Risiken deutlich senken. Es bleibt das
Narkoserisiko, die Gefahr von Blutdruckschwankungen und vorübergehenden Gedächtnisstörungen. Diese Risiken müssen jedoch vor dem Hintergrund der Lebensgefährdung
und dem tiefen Leiden, das eine schwere therapieresistente Depression verursacht, gesehen werden. Die EKT steht in Deutschland in vielen Fachkliniken nicht zur Verfügung. Die
Gründe hierfür liegen jedoch meist mehr in der Sorge wegen des schlechten Rufs der EKT
in der Öffentlichkeit als in begründeten Zweifeln an der Wirksamkeit.
iv. Schlafentzug
90% aller depressiven Patienten leiden unter Schlafstörungen. Vor allem in der zweiten
Hälfte der Nacht und in den frühen Morgenstunden werden im Schlaf manche Botenstoffe
im Gehirn vermehrt, andere vermindert ausgeschüttet. Das Gleichgewicht der Botenstoffe
im Hirnstoffwechsel kommt durcheinander und dies kann unter Umständen depressiv machen. Deswegen empfehlen Ärzte häufig den Schlafentzug als Therapie. Der Patient bleibt
dabei eine ganze Nacht oder die zweite Nachthälfte sowie den darauf folgenden Tag lang
wach. Spielen und Spaziergänge erleichtern das Wachbleiben. So paradox es für den Patienten, der sich nach Schlaf sehnt, klingen mag: Nach einer durch wachten Nacht klingt die
Depression häufig ab. Allerdings hält der positive Effekt nur ein bis zwei Tage an. Trotzdem schöpfen viele Patienten aus der Tatsache Hoffnung, dass die Depression offensichtlich durchbrochen werden kann, und führen, vor allem bei stationärer Behandlung,
den Schlafentzug regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche durch.
Durch sukzessive Verlagerung der Einschlafzeiten gelingt es bei einigen Patienten, den positiven Effekt des Schlafentzugs zu stabilisieren.
v. Lichttherapie
Die Therapie mit Licht wird vor allem bei der kleinen Gruppe der saisonal abhängigen Depressionen, den so genannten Winterdepressionen (siehe Depression und Wetter), als zusätzliches unterstützendes Therapieverfahren erfolgreich eingesetzt. Dabei setzt sich der
Patient Licht von mindestens 2.500 Lux, besser 10.000 Lux aus, und zwar am besten vormittags für 30 bis 40 Minuten. Die Behandlung dauert mehrere Tage bis zu einer Woche.
Der Patient muss immer wieder mit geschlossenen Augen in die Lichtquelle „sehen“, damit über Retina und Sehnerv die Ausschüttung von Serotonin und Melatonin ausgelöst
wird. Auch die Lichttherapie muss man als unterstützendes Verfahren in Kombination mit
Pharmako- und Psychotherapie sehen.
vi. Ausdauersport
Unter fachkundiger Anleitung ausgeführter Ausdauersport (z.B. Joggen, Schwimmen,
Skilanglauf) kann wesentlich zur Stabilisierung der Patienten beitragen. Die Wirksamkeit
sowohl während er Behandlung als auch bei der Rückfallvorsorge ist inzwischen erwiesen.
Insbesondere während der stationären Behandlung werden heute regelmäßig Bewegungstherapie und Ausdauersport empfohlen.
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Sven Dirks 2002
6. Tagesablauf in der Klinik
Der Tagesablauf mag sich von Klinik zu Klinik in den einzelnen Zeitfenstern unterschieden, ist aber im wesentlichen praktisch überall in gleicher Weise strukturiert.
a. Allgemeine Informationen
Es gibt auf jeder Station ein spezifisches Tagesprogramm und einen Wochenplan, der dem
Patienten zu Anfang der Behandlung ausgehändigt und erklärt wird. Er orientiert sich am
Schwerpunkt der Station und umfasst neben dem Zeitpunkt der Visiten auch die Zeiten
der Ergotherapie, der Bewegungstherapie, der Wochenausflüge der Visiten, der diagnostischen Untersuchungen wie Blutentnahmen, EEG- und EKG-Ableitungen, CCT und NMRUntersuchungen sowie der konsiliarische Untersuchungen (Untersuchungen von mit behandelnden Ärzten anderer Abteilungen). Jeder Patient ist gehalten, am Stationsprogramm
teilzunehmen.
Im Rahmen von psychoedukativen Gruppengesprächen können die Patienten und ihre
Angehörigen Strategien zur Überwindung Ihrer Probleme und Ihrer Erkrankung erlernen.
Bei bestimmten Erkrankungen gibt es darüber hinaus spezielle Therapiegruppen, die stationsübergreifend stattfinden wie z.B. die verhaltenstherapeutisch orientierten Angstgruppen, Selbstsicherheitstraining, soziales Kompetenztraining, Gruppen für depressive
Patienten, Konzentrationstraining, Entspannungstraining und entsprechende Angehörigengruppen.
Besuche können die Patienten oft erst nach dem täglichen Therapieprogramm empfangen.
In den meisten Kliniken und Stationen werden externe Freizeitaktivitäten nach dem
Abendessen gerne unterstützt.
Was sollten Patienten von zu Hause für einen stationären Aufenthalt mitbringen?
In der Klinik wird normale Alltagskleidung getragen. Eingepackt wird also Tageskleidung,
für Ausflüge wetterfeste Straßenkleidung, für die Bewegungstherapie Sportbekleidung und
Turnschuhe. Für den persönlichen Bedarf sind kleinere Geldbeträge und zum Telefonieren
eine Telefonkarte sinnvoll. In vielen Kliniken gibt es inzwischen Kartensysteme zur
Abrechnung aller privaten Leistungen, inklusive Telefon.
Ansonsten benötigt man die üblichen notwendigen Utensilien zum Übernachten, wie
Schlafanzüge oder Nachthemden, Morgenmantel, Hausschuhe und Toilettenartikel. Handtücher und Bettwäsche gibt es selbstverständlich in der Klinik. In vielen Kliniken können
Patienten bei Bedarf Wäsche waschen oder diese zum Waschen geben.
•
Patienten können ansonsten vieles mitnehmen, was ihnen Freude bereitet, z.B.
•
Bücher und Zeitschriften
•
Handarbeiten und Spiele
•
Radio mit Kopfhörer (Walkman)
Der eigene Fernsehapparat ist in der Klinik nicht erwünscht. Wertgegenstände, kostbarer
Schmuck oder größere Geldbeträge bleiben am besten zu Hause.
Besuche
Außer auf den geschützten Stationen kann in aller Regel Besuch zu den in der Klinik üblichen Besuchszeiten empfangen werden. Ggf. gibt es im Rahmen der aktuellen Therapie
Einschränkungen bei der Besuchsregelung, im Zweifelsfall sollte dies mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden.
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Sven Dirks 2002
b. Ausgang und Belastungserprobung
Wenn Patienten außerhalb der Klinik Erledigungen zu machen haben und dies ihr gesundheitlicher Zustand erlaubt, dann haben sie dazu selbstverständlich die Möglichkeit. Dazu
braucht man normalerweise eine sog. "Ausgangskarte", die beim Pflegepersonal erhältlich
ist. Das ist aus versicherungsrechtlichen Gründen leider notwendig.
Wer länger als zwei Wochen in der Klinik ist, wird eventuell zu einer sozialen Belastungserprobung über Nacht oder am Wochenende beurlaubt. Diese Belastungserprobung dient
insbesondere auch der Umsetzung von stationär erlernten Strategien im häuslichen Alltag.
Da durch Arzneimittel oder Krankheiten die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt werden kann,
sollten Patienten während des stationären Aufenthaltes auf das Führen eines Kraftfahrzeugs verzichten.
c. Lehre und Forschung
Viele Kliniken sind Universitätskliniken, an der u.a. Medizinstudenten zu Ärzten ausgebildet werden. Dies geschieht im Rahmen von Vorlesungen und Unterricht in kleineren
Gruppen. Dabei sollen die zukünftigen Ärzte auch die Möglichkeit haben, Krankheitsbilder aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Deshalb ist es erforderlich, dass die Patienten bereit sind, Studenten über ihren Erkrankungsverlauf zu berichten, worunter sie
leiden und wie es ihnen bisher ergangen ist. Dies geschieht selbstverständlich nur mit deren Einwilligung.
Eine Universitätsklinik hat auch die Aufgabe, die Wirksamkeit von Behandlungen durch
Ursachen- und Therapieforschung zu verbessern. Dabei arbeitet die Klinik mit anderen
Universitätskliniken aus dem In- und Ausland zusammen. Die Verbesserung von Behandlungsverfahren ist nicht möglich, ohne dass Patienten mitarbeiten. In allen Fällen, in denen
Patienten um Mitarbeit gebeten werden, sind die Untersuchungspläne vorher in der Klinik
ausführlich diskutiert worden und von der Direktorin der Klinik sowie der EthikKommission der Universität geprüft worden. Grundsätzlich gilt, dass wissenschaftliche
Untersuchungen in Zusammenarbeit mit Patienten nur nach vorheriger Aufklärung und
schriftlicher Einwilligung durch die Patienten durchgeführt werden.
Sowohl die Verbesserung der medizinischen Therapie wie auch die gute Ausbildung zukünftiger Ärzte sind ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen. Die Weiterentwicklung der
Behandlungsformen und Therapien ist nur deshalb möglich, weil sich viele Patienten zur
Mithilfe bereit erklären.
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7. Psychopharmaka
Äußerst umstritten sind noch immer die Psychopharmaka, hier insbesondere die Neuroleptika, die jedoch als Bestandteil der psychiatrischen Therapie nicht wegzudenken sind.
Die Behandlung psychischer Erkrankungen trifft oft auf das Problem, dass Patienten und
Angehörige eine medikamentöse Therapie ablehnen. Ursachen dafür sind u.a. ein Informationsdefizit zu den Arten und Schweregraden psychischer Erkrankungen. Das
Wissen zu solch ernsthaften Erkrankungen wie den schizophrenen ist äußerst begrenzt
und eher durch Furcht als durch tatsächliche Kenntnisse geprägt. Ebenso spärlich wie in
der Bevölkerung das Wissen zu den seelischen Erkrankungen ist, so gering ist die Kenntnis
der Psychopharmaka. Die Berichterstattung über Psychopharmaka in den Medien erweckt
zudem oft den Eindruck, es handele sich um unnötige Medikamente, diese seien schädlich,
würden leichtfertig verschrieben und machten abhängig28. Letztendlich wird oft gefolgert,
auf Medikamente könne bei der Behandlung einer psychischen Erkrankung verzichtet
28
Wobei anzumerken ist, dass Psychopharmaka sogar in der Behandlung von Suchterkrankungen eingesetzt werden.
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werden, die Erkrankungen seien lediglich Befindlichkeitsstörungen, welche sich durch
Willensanstrengung überwinden ließen.
Weiterhin wird befürchtet, Psychopharmaka führten zum Verlust der Selbstkontrolle und
raubten letztendlich die Persönlichkeit. Diese Angst ist insofern zu überdenken, da es gerade die akuten psychotischen Erkrankungen sind, die mit Verlust der Kontrolle über Denken und Handeln einhergehen. So erleben sich beispielsweise schizophre Erkrankte gerade
in der akuten Phase oft als fremdbestimmt. Psychopharmaka dienen aber zu einem großen
Teil dazu, dass die Kontrolle über das eigene Erleben und Handeln wiedergewonnen wird.
Psychopharmaka können den Erkrankten wieder dazu befähigen, aus krankheitsbedingter
sozialer Isolation zurückzukehren und an sozialer Gemeinschaft teilzuhaben.
Oft wird auch bemängelt, Psychopharmaka beseitigten nur die Anzeichen einer Erkrankung, nicht aber ihre Ursache. Eine Therapie als rein symptomatisch zu bezeichnen,
diskreditiert diese jedoch nicht. Zum einen wirkt die Therapie mit Psychopharmaka, als
Beispiel sei hier der nachgewiesene Rückfallschutz durch Neuroleptika angeführt. Zum
anderen ist symptomatische Therapie bei anderen Erkrankungen durchaus üblich in der
Medizin. So wirkt die Insulintherapie bei einer Zuckerkrankheit rein symptomatisch, abgelehnt wird sie deshalb noch lange nicht. Gleiches gilt für Bluthochdruck, auch hier wird oft
rein symptomatisch behandelt.
Die Behandlung der Symptome durchbricht zunächst erst einmal den Teufelskreis der
psychischen Erkrankung und macht dadurch andere Therapieformen oft erst möglich.
Wesentlich für die mangelnde Akzeptanz von Psychopharmaka scheint zu sein, dass der
Zusammenhang zwischen den molekular-biologischen Wirkmodellen der Psychopharmaka und den abstrakten allgemeinen Begriffen wie Selbstkontrolle, Persönlichkeit,
Denken und Gefühl bisher kaum bekannt ist. Die biologisch-naturwissenschaftlich
orientierte Psychiatrie verfügt noch nicht über Wissen und das sprachliche Instrumentarium, um in der Öffentlichkeit ihre Behandlungsansätze darzustellen und zu diskutieren.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich dies in Kürze wesentlich verändert. Umso mehr ist es
notwendig, dass Betroffene und Angehörige über die Behandlung und die Erkrankung
aufgeklärt werden und dass diese Informationsbereitschaft immer wieder signalisiert wird.
Dabei ist eine reine, auf Rationalität begrenzte Aufklärung jedoch nicht ausreichend, mit
beachtet werden müssen auch die persönlichen Ängste und Erfahrungen.
Seit der Einführung der Neuroleptika Anfang der 50er Jahre hat sich die Aufenthaltsdauer
von Erkrankten in psychiatrischen Kliniken deutlich verkürzt. Lag diese Aufenthaltsdauer
vor Einführung der Neuroleptika bei durchschnittlich drei Jahren, so ist sie heute auf
durchschnittlich drei Monate gesunken. Echte Alternativen zur Behandlung schizophrener
Erkrankungen mit Neuroleptika gibt es derzeit nicht.
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a. Neuroleptika
Neuroleptika29 dienen in erster Linie der Behandlung von schizophrenen Psychosen.
Neuroleptika haben bei schizophrenen Erkrankungen folgende drei Hauptwirkungen:
Sie
29
•
lindern die akuten Symptome
•
wirken entspannend und schlafanstoßend (Ausreichender Schlaf wirkt positiv auf
manische und aggressive Zustände)
•
bieten einen deutlichen Schutz vor einer Wiedererkrankung (Rezidiv). Aus diesem
Grund wird nach einer akuten Erkrankung die weitere Medikamenteneinnahme
dringend empfohlen (ohne weitere Medikamenteneinnahme kommt es bei bestimmten Erkrankungen zu 80% Rückfallrate innerhalb eines Jahres).
Neuroleptikum heißt in etwa: das die Nerven Beruhigende
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Sven Dirks 2002
Bei der medikamentösen Therapie wird zunehmend mehr Wert auf eine verbesserte Wirksamkeit und eine nebenwirkungsärmere30 Behandlung gelegt. Dazu wurden gerade in letzter Zeit eine Reihe neuer Medikamente entwickelt, die so genannten atypischen Neuroleptika. Diese sind leider noch erheblich teurer als die bisher verwendeten Präparate. Daher werden vielerorts die neueren Präparate nur zögerlich verschrieben. Als Patient sollte
man sich nicht scheuen hier auf sein Recht zu pochen und die Verschreibung nebenwirkungs-armer Mittel verlangen.
Besonderheiten der Neuroleptikaeinnahme
Die wenigsten Präparate zeigen eine sofortige Wirkung auf die Symptome. Der Wirkungseintritt eines Neuroleptikums bedarf eines über Tage bis Wochen behutsam aufgebauten
Medikamentenspiegels. Um das Erleben der bis zum allmählichen Wirkungseintritt noch
vorhandenen Symptome zu lindern, wird die Neuroleptikagabe häufig mit einem rasch
wirksamen entspannenden und angstlösenden Medikament (Benzodiazepin) kombiniert.
Die Benzodiazepingabe wird im Behandlungsverlauf wieder ausgeschlichen (langsam bis
auf Null reduziert), da Benzodiazepine abhängig machen. Benzodiazepine sind hier jedoch
die einzigen Medikamente mit einem Abhängigkeitspotential, die Neuroleptika selbst
machen nicht abhängig.
Mit dem Absetzen des Medikamentes lässt die Wirkung nicht sofort nach. Dies liegt daran,
dass der aufgebaute Wirkspiegel noch über längere Zeit verfügbar ist (Tage bis Wochen).
Manche Patienten werden dadurch leider darin bestärkt, das Medikament vorzeitig
selbstständig abzusetzen.
Für das Erreichen eines optimalen Wirkspiegels gibt es für Neuroleptika Erfahrungswerte,
jedoch keine ganz genauen Dosisangaben. Man kann also nicht sagen: "Bei einer Dosis von
4 Milligramm ist die optimale Wirkung des Medikamentes gegeben." Die optimale Medikamentenmenge ist von Person zu Person verschieden. Bei manchen Erkrankten lassen
sich schon mit einer sehr geringen Medikamentendosis die Symptome lindern, andere
wiederum benötigen ein Vielfaches desselben Präparates um symptomfrei zu sein und
haben dennoch keine oder nur geringe Nebenwirkungen.
Eine andere Besonderheit der Neuroleptika ist, dass nicht jeder Erkrankte auf jedes Präparat anspricht. Bei ca. 7 von 10 Erkrankten wirkt das verordnete Neuroleptikum ausreichend, bei den 3 verbleibenden muss auf ein anderes Medikament umgestellt werden. Die
Notwendigkeit einer neuroleptischen Umstellung ergibt sich auch dann, wenn nicht zu tolerierende Nebenwirkungen auftreten.
Die Einstellung auf ein Neuroleptikum ist somit ein über mehrere Wochen dauernder, aufwendiger Prozess. Dies verlangt von den Betroffenen und den Angehörigen viel Geduld
und Ausdauer.
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b. Antidepressiva
Medikamente, die stimmungsaufhellend und angstlösend wirken, werden als Antidepressiva bezeichnet. Sie sind weniger umstritten als die Neuroleptika. Die medikamentöse
Therapie mit Antidepressiva ist in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren ein
sehr wirksames und das bis jetzt am besten belegte Therapieverfahren.
Je nach Wirkstoff haben Antidepressiva neben ihrer stimmungsaufhellenden Wirkung
noch einen angstlösenden, beruhigenden, antriebssteigernden oder antriebsdämpfenden
Effekt. Antidepressiva machen nicht abhängig.
30
Einige der Nebenwirkungen besonders der herkömmlichen Präparate sind: Zungenschlundkrämpfe,
Blickkrämpfe, krampfartige Spannung der Kaumuskulatur, erhöhte Spannung der Halsmuskulatur
(Schiefhals), Zittern der Extremitäten, erhöhte Muskelspannung (Rigor) und Bewegungsarmut (Akinese),
Gelegentlich auch eine quälende Unruhe der Beine, vorwiegend im Sitzen (Akathisie). Außerdem kommt
es gelegentlich zu Blutdruckabfall, Herzrasen, Mundtrockenheit, Harnverhaltung, Verstopfung,
Schweißausbrüchen, Hitzewallungen sowie zu einer mehr oder weniger starken Müdigkeit
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Bis sich eine stimmungsaufhellende Wirkung zeigt, können drei bis vier Wochen vergehen.
Steigt der Antrieb bevor die stimmungshebende Wirkung eintritt, ist die Gefahr eines
Selbstmordes wesentlich erhöht. Der Patient bringt dann unter Umständen die Energie
für einen Selbstmordversuch auf, die ihm zuvor wegen seines mangelnden Antriebes
fehlte. Antidepressiva müssen bis mindestens sechs Monate nach Abklingen der depressiven Phase eingenommen werden, da es sonst zu einem Rückfall kommen kann.
Die Nebenwirkungen von Antidepressiva setzen im Gegensatz zur Wirkung meistens sofort ein. Um die Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, ist es deshalb wichtig, dass
Antidepressiva zu Beginn einschleichend (langsam ansteigend) dosiert werden müssen.
Häufige Nebenwirkungen von Antidepressiva sind:
•
Anfangs oft Schwindel und Benommenheit
•
Beschleunigung der Herzfrequenz
•
Kreislaufstörungen mit Blutdruckabfall
•
Verstärkung einer vorhandenen Herzschwäche
•
Mundtrockenheit sowie trockene Schleimhäute
•
Magen-Darm-Beschwerden, z.B. Verstopfung, Übelkeit
•
Störungen der Sexualfunktion
•
Vermehrter Appetit und Gewichtszunahme
•
Kopfschmerzen
•
Müdigkeit.
Generell gilt auch hier, dass ältere Präparate mit mehr Nebenwirkungen erheblich preiswerter sind und deshalb immer noch häufig verordnet werden. Es werden zur Zeit drei
verschieden Klassen von Antidepressiva eingesetzt:
Trizyklische Antidepressiva
Trizyklische Antidepressiva erhöhen die Konzentration der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin im Gehirn. Diese Antidepressiva sind am längsten auf dem Markt und zählen
zu den Antidepressiva der ersten Generation. Sie wirken stimmungsaufhellend und beruhigend.
Trizyklische Antidepressiva sind diejenigen mit den stärksten Nebenwirkungen. Viele Patienten sind insbesondere in den ersten Tagen wie benommen. Diese Nebenwirkungen
können besonders am Anfang der Therapie auftreten, weshalb eine langsame Steigerung
der Dosis notwendig ist. Da die einzelnen Substanzen unterschiedliche Nebenwirkungen
haben, kann es helfen, bei starken Nebenwirkungen auf ein anderes Präparat zu wechseln.
MAO-Hemmer
Die neueren MAO-Hemmer (kurz für Monoaminoxidase-Hemmer) hemmen den Abbau
der Überträgerstoffe Noradrenalin, Dopamin, Serotonin und erhöhen dadurch deren Konzentration im Gehirn. Diese Wirkstoffe werden insbesondere bei Versagen einer Therapie
mit trizyklischen Antidepressiva eingesetzt. Empfohlen werden sie auch bei untypischen
Depressionen, die mit ausgeprägten Angstsymptomen, mit Schlafsucht und
Gewichtszunahme einhergehen. MAO-Hemmer wirken nicht beruhigend, sondern können
v.a. zu Beginn der Therapie Unruhe und Schlafstörungen verursachen.
Der Wirkstoff Moclobemid wird heute wegen seiner geringeren Nebenwirkungen bevorzugt. Aber dessen Einnahme kann nach Genuss tyraminhaltiger Nahrungsmittel (z.B. reifer
Käse, reife Bananen, Rotwein, luftgetrocknete Wurst oder Innereien) zu stark erhöhtem
Blutdruck und Herzrhythmusstörungen führen. Als weitere Nebenwirkungen sind
Schlafstörungen, Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen zu nennen. Bei Leber- und
Nierenschäden dürfen MAO-Hemmer nicht eingenommen werden.
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Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (kurz SSRI) gehören zu den neueren Antidepressiva. Außer zur Behandlung von Depressionen werden sie zur Behandlung von
Zwangsstörungen eingesetzt. Diese Medikamente erhöhen die Konzentration von Serotonin im Gehirn. Die meisten Wirkstoffe wie Paroxetin wirken antriebssteigernd, während
andere Wirkstoffe den Antrieb dämpfen und schlaffördernd sind.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer sind ungefähr genauso wirksam wie die
trizyklischen Antidepressiva, aber besser verträglich. Deshalb werden sie mittlerweile
vermehrt eingesetzt, insbesondere auch bei älteren Patienten. Die Nebenwirkungen der
selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer sind v.a. Verstopfung, Übelkeit, Kopfschmerzen, Unruhe und Schlafstörungen.
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c. Lithium
Die medikamentöse Therapie manischer (akute Manie, Hypomanie) und bipolarer Erkrankungen wird heute überwiegend mit Lithium durchgeführt. Um eine gute Wirkung zu
erreichen, müssen relativ hohe Spiegel des Medikamentes erreicht werden. Daher sind
häufige Spiegelkontrollen (Blutentnahme) notwendig. So werden Überdosierung oder Vergiftungen vermieden.
Da Lithium erst nach ca. einer Woche seine Wirkung zeigt, werden Manien im akuten
Stadium zunächst noch mit weiteren Medikamenten, zum Beispiel Neuroleptika oder
Benzodiazepinen behandelt. Hier muss die Dosierung vorsichtig erfolgen, um unerwünschte Wirkungen zu vermeiden, die von manischen Patienten als besonders unangenehm empfunden werden.
Alternativ oder in Kombination mit Lithium werden auch Antiepileptika wie Carbamazepin oder Valproinsäure eingesetzt. Je nach Verträglichkeit und Therapieerfolg können
diese beiden Substanzen auch gut mit der Gabe von Neuroleptika kombiniert werden.
Seine besonderen Stärken hat Lithium in der Rückfallverhütung. Hier werden Lithium und
ggf. weitere Medikamente in Dauergabe eingesetzt. Neuere Untersuchungen zeigen
außerdem, dass Lithium eine sehr deutliche Verringerung der Suizidgefahr bewirkt.
Nebenwirkungen durch Lithiumsalze
Diese sind bei guter Einstellung glücklicherweise selten. Meist werden die ersten Anzeichen rechtzeitig registriert und gezielt abgefangen. Mit folgenden unerwünschten Begleiterscheinungen ist ggf. zu rechnen:
•
Zittern, meist ein feinschlägiges, gelegentlich auch grobschlägiges Händezittern, vor
allem zu Beginn einer gezielten Bewegung.
•
Schilddrüse: Die Schilddrüsenfunktion kann durch Lithium gehemmt werden. Die
Folge ist ein Kropf. Deshalb selber regelmäßig Halsumfang messen und dem Arzt berichten.
•
Durst und häufiges Wasserlassen: Während einer Lithiumbehandlung kann die Fähigkeit der Nieren beeinträchtigt sein, den Harn zu konzentrieren. Die Folge ist eine bis
dahin ungewöhnliche Harnmenge von 2 bis 8 oder mehr Litern pro Tag, vor allem zu
Beginn einer Lithiumbehandlung.
•
Hautveränderungen: Gelegentlich Juckreiz, Pusteln, Pickel, Hautausschlag usw., und
zwar mit und ohne Jucken, Schuppung oder Austrocknung der Haut. Auch ein vorübergehender Haarausfall ist möglich.
•
Magen-Darm-Störungen: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Magenschmerzen, später gelegentlich weicher Stuhl, manchmal Durchfall.
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•
Ödeme: Schwellungen durch Ansammlung wässriger Flüssigkeit in den Gewebsspalten
von Haut und Schleimhäuten, besonders an Füßen und Händen, an Bauchdecke und
manchmal Gesicht.
•
Gewichtszunahme (häufiger Grund für einen Abbruch der Therapie)
•
Blutbildveränderungen
•
Verminderung von sexuellem Verlangen und Potenz (gelegentlich auch Steigerung der
Libido)
•
vermehrter Speichelfluss
•
Kopfschmerzen und Nackendruck
•
Steifigkeit
•
Schwindelerscheinungen
•
metallischer Geschmack im Mund
•
Krampfanfälle
Ein besonderes Kapitel sind die gelegentlich berichteten seelischen und psychosozialen
Nebenwirkungen wie die Beeinträchtigung von Vitalität, Dynamik, Entschlusskraft, körperlicher Frische, Produktivität, Ideenfluss, Phantasie, geistiger Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit, "innerer Freiheit" usw. Alles scheint "leicht gedämpft".
Die unerwünschten Nebenwirkungen von Lithium lassen sich durch eine Dosisanpassung
meist gut beheben, viele verschwinden nach einigen Wochen von selbst.
Leider besteht ein nur schmaler Grat zwischen wirksamer Dosis und Nebenwirkungen
bzw. Überdosierung und Vergiftung.
Warnsymptome bei Überdosierung sind: Müdigkeit, Verlangsamung, Trägheit, Schläfrigkeit, Konzentrationsschwäche, ggf. Benommenheit oder leichte Verwirrtheit. Ferner
zunehmender Durst, vermehrtes Wasserlassen, ggf. Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen,
dünner Stuhl, Durchfall und Magenschmerzen. Dazu Muskelschwere, Muskelschwäche
("schwere Glieder"), Muskelzuckungen, unsicherer Gang, verstärktes Händezittern. Zuletzt
verwaschene Sprache, heftiger Schwindel, Lichtüberempfindlichkeit, Zittern des Unterkiefers. Bei einer Lithiumvergiftung sind alle obigen Symptome nochmals verstärkt. Ggf.
treten Krampfanfälle oder gar ein Delirium auf.
Überdosierungserscheinungen müssen sofort einem Arzt gemeldet werden.
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d. Benzodiazepine
Benzodiazepine gehören zu den in Deutschland am häufigsten eingesetzten Beruhigungsmitteln. Sie dürfen nur nach ärztlicher Verordnung und nur kurzfristig eingenommen
werden
Benzodiazepine wirken an spezifischen Eiweißstrukturen von Nervenzellen
(Benzodiazepinrezeptoren). Sie beeinflussen bestimmte Transmittersysteme, wodurch die
Erregbarkeit von Nervenzellen gemindert wird. Deshalb wirken Benzodiazepine angstlösend, beruhigend, Aggressivität hemmend und schlaffördernd.
Aufgrund ihrer angstlösenden und beruhigenden Wirkung werden sie zur Behandlung
von Angst, z.B. bei psychotischen Spannungszuständen oder Depressionen, eingesetzt, hier
vor allem Lorazepam, Bromazepam und Diazepam (Valium®).
Außerdem werden Benzodiazepine bei Schlafstörungen verwendet (z.B. Nitrazepam). Ihr
Einsatz ist jedoch nur sinnvoll, wenn die Ursache der Schlafstörung nicht durch andere
Maßnahmen wie Änderung des Lebensrhythmus und Stressbewältigung behoben werden
kann.
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Die Wirkung der Benzodiazepine tritt relativ schnell ein, im Durchschnitt nach 30 Minuten,
aber die Wirkdauer ist bei den einzelnen Wirkstoffen sehr unterschiedlich.
Benzodiazepine sind in der Regel gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen sind:
•
Psychische und physische Abhängigkeit
•
Müdigkeit
•
Mattigkeit
•
Schwindel
•
Benommenheit
•
Einschränkung des Reaktionsvermögens
•
Gangunsicherheiten
•
Appetitzunahme
•
sexuelle Funktionsstörungen
•
Menstruationsstörungen.
•
Bei Langzeiteinnahme Gleichgültigkeit und Antriebsverlust.
Diese Nebenwirkungen werden insbesondere durch den gleichzeitigen Genuss von Alkohol verstärkt und können auch am Tag nach einer Einnahme auftreten.
Werden Benzodiazepine während der Schwangerschaft eingenommen, kann dies beim
Embryo zu Missbildungen führen. Nach der Geburt leidet das Neugeborene eventuell unter einem Entzugssyndrom mit Zittern, erhöhter Muskelspannung, Durchfall und Erbrechen.
Bei Langzeiteinnahme von Benzodiazepinen besteht ein hohes Abhängigkeitsrisiko.
Deshalb sollten sie nicht länger als vier Wochen eingenommen werden. Bei plötzlichem
Absetzen kommt es nach einigen Tagen zu Entzugssymptomen wie Schlaflosigkeit, Unruhe, Zittern, Angstzuständen und Alpträumen, in schweren Fällen zu zerebralen Krampfanfällen (epileptischen Anfällen) und psychotischen Bildern. Um Entzugssymptome zu
vermeiden, sollte die Dosis beim Absetzen über mindestens vier Wochen schrittweise reduziert werden.
Gegenanzeigen der Benzodiazepine sind akute Alkohol-, Rauschgift- oder Arzneimittelvergiftungen. Suchtgefährdete Patienten dürfen ebenfalls keine Benzodiazepine erhalten.
Benzodiazepine werden in der Regel nicht eingesetzt bei psychischen Problemen, die
durch Belastungen im Alltag, bei Problemen mit der Familie oder dem Beruf hervorgerufen wurden.
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8. Behandlungsvereinbarung, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht
a. Behandlungsvereinbarung
Die Behandlungsvereinbarung (BV) als Instrument entstand zunächst Mitte der 90er Jahre
im Umfeld der Bielefelder Klinik Gilead IV (Bielefeld Bethel) und der in Bielefeld ansässigen Selbsthilfegruppe Psychiatrie-Erfahrener. Ziel der BV ist die Vertrauensbildung
zwischen Personal und Betroffenen in den symptomfreien (oder -armen) Zeiten, indem die
Maßnahmen für den Akutfall vorher vereinbart werden. Die BV ist auch bei den Betroffenen nicht völlig unumstritten, die radikaleren Patientenvereinigungen lehnen das Instrument mit der Begründung ab, dass damit vorab unzulässige, unerwünschte oder zu
weit gehende Zwangsmaßnahmen abgesegnet werden, und den Patienten das Selbstbestimmungsrecht in den Akutphasen entzogen würde. .
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Die Handhabung der Behandlungsvereinbarung am Beispiel des Klinikums Hannover,
stellvertretend für viele andere Kliniken, die mit diesem Instrument in ähnlicher Weise
arbeiten:
Seit längerer Zeit besteht in der Klinik die Möglichkeit, dass Patienten eine sog.
"Behandlungsvereinbarung" (BV) zur Sicherstellung einer individuellen und adäquaten Hilfe in
künftigen Krisensituationen treffen. Dabei handelt es sich um ein - in Zusammenarbeit mit dem
Verein Psychiatrie-Erfahrener Hannover e.V. entwickeltes - Schriftstück, in dem einvernehmlich
niedergelegt wird, welche Behandlungsmaßnahmen seitens der Klinik im Falle einer erneut notwendig werdenden Klinikeinweisung vom Patienten erwartet bzw. gewünscht werden, zum
anderen auch, welche Interventionen von den behandelnden Ärzten bzw. vom Pflegepersonal nach
Möglichkeit vermieden werden sollten. Außerdem kann in der Vereinbarung festgelegt werden,
dass umgehend eine hierin aufgeführte bevollmächtigte Vertrauensperson zu benachrichtigen bzw.
hinzuzuziehen ist.
Auch können Wünsche bezüglich des Therapieplans oder des Umgangs mit speziellen Verhaltensweisen, einer bevorzugten Station oder eines Bezugstherapeuten geäußert werden. Besonders
wichtig sind Ausführungen zur medikamentösen Behandlung (ge- bzw. unerwünschte Präparate,
Applikationsformen, Nebenwirkungen etc.) und zum Einsatz von Zwangsmaßnahmen, aber auch
Angaben darüber, welche Maßnahmen und Hilfen bezüglich der Regelung sozialer, finanzieller
und anderer Belange ggf. erfolgen sollten. Falls Veränderungen erforderlich sind, können diese
nach Absprache in die Vereinbarung aufgenommen werden.
Die Einigung über die Inhalte der BV erfolgt grundsätzlich nach der Entlassung in Gesprächen
zwischen Vertretern der Klinik und dem Patienten, nachdem dieser sich in ausreichendem zeitlichen Abstand mit seiner Situation, insbesondere auch der Möglichkeit einer erneut auftretenden
Krise, auseinander gesetzt hat. Ausführlich wird in dem "Vereinbarungsgespräch" erörtert, welche Gesichtspunkte unter Berücksichtigung bisheriger Klinikerfahrungen unbedingt bei künftigen
Behandlungen beachtet werden sollen. Solche Gespräche sind auch deshalb ausgesprochen bedeutsam, weil hier die Chance besteht, eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Behandlungsgeschehen sowie der Erkrankung zu fördern.
Hinterlegt wird die Vereinbarung so, dass sie auch in Notfallsituationen sofort zur Verfügung
steht. Eine schriftliche Fixierung von früher lediglich mündlich getroffenen Absprachen dient der
gegenseitigen Vertrauensbildung, weil definitiv geäußerte Wünsche des Patienten nicht nur auf
dem Papier anerkannt werden, sondern die Behandelnden sich auch bemühen, dem per BV erklärten Patientenwillen bei Wiedererkrankungsfällen zu entsprechen.
Einschränkend ist allerdings zu konstatieren, dass Vereinbarungen über das gewünschte Vorgehen bei akuten Krisen weder die ärztliche Verantwortung bei mitunter lebenswichtigen Entscheidungen noch gesetzliche Unterbringungsbestimmungen außer Kraft setzen können. Aus diesem
Grunde kommt den getroffenen Absprachen auch nicht der Status eines einklagbaren Vertrages
zu.
Immerhin verpflichtet sich die Klinik mit ihrer Unterschrift jedoch, für die Einhaltung der
Absprachen - gerade auch im Notfall - Sorge zu tragen und über notwendigerweise eingetretene Abweichungen später Auskunft zu erteilen. Vor der Einleitung einer per BV nicht
gewünschten Maßnahme wird grundsätzlich die Zustimmung des diensthabenden Oberarztes eingeholt.
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b. Patientenverfügung
Die Patientenverfügung ist in erster Linie ein Dokument, in welchem der Patient festlegt,
ob und wenn ja welche lebensverlängernden Maßnahmen im Falle einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls ergriffen werden sollen.
Die rechtliche Wirksamkeit solcher Verfügungen ist nach wie vor auch juristisch umstritten, schon alleine deshalb, weil nicht immer eindeutig klar ist, ab wann lebenserhaltene
Maßnahmen „nur“ noch lebensverlängernde Maßnahmen ohne Aussicht auf HeiStationäre Psychiatrie Version 1.0
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lung/Besserung sind. Auch ist der Begriff Lebensqualität in diesem Zusammenhang nicht
immer eindeutig bestimmbar.
Viele Betroffene versuchen, mit Hilfe einer Patientenverfügung die Gabe von Psychopharmaka, die häufig als persönlichkeitsverändernd empfunden werden, zu unterbinden.
In akuten Fällen, oder dort wo Eigen- und/oder Fremdgefährdung gegeben sind, wird in
der Regel der ärztlichen Entscheidung sowohl in der Praxis als auch von der Justiz der
Vorrang vor der Patientenverfügung eingeräumt.
c. Vorsorgevollmacht / Betreuungsverfügung
Seit 1.1.99 gibt es im Betreuungsrecht die Möglichkeit, mit Hilfe einer Vorsorgevollmacht
einer Betreuung zuvor zu kommen. Eine geschäftsfähige Person kann für den Fall, dass sie
aufgrund einer Erkrankung oder Altersschwäche entscheidungsunfähig wird, eine Person
ihres Vertrauens damit beauftragen, bestimmte Angelegenheiten zu regeln. Eine Betreuung
wird damit unter bestimmten Umständen entbehrlich. Wird dennoch eine Betreuung
gerichtlich angeordnet, so können Patienten im Rahmen einer Betreuungsverfügung bestimmen, wer ihr Betreuer sein soll.
Die ARD brachte am 30.01.2000 einen kritischen Beitrag zum Thema zwangsweise
Unterbringung und Vorsorgevollmacht:
Mehr als 120.000 Mal jährlich werden in Deutschland Menschen untergebracht, denen ärztlich
eine psychische Krankheit attestiert wird. Allein in NRW stieg die Zahl der Unterbringungsverfahren innerhalb von zehn Jahren um das Dreifache an. Warum ist das Risiko eines Bayern siebenmal höher als das eines Thüringers, irgendwann in der Psychiatrie zu landen? Gibt es in Bayern
wirklich so viel mehr gefährliche Geisteskranke, vor denen die Gesellschaft geschützt werden
muss? Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung sind überall in Deutschland vergleichbar. Fachleute gehen davon aus, dass immer mehr Menschen in die Psychiatrie gebracht
werden, die einfach nur ein bisschen merkwürdig, ein bisschen anders sind. Längst nicht immer
treffen die rechtlichen Voraussetzungen zu, sich selbst oder andere lebensgefährlich bedroht zu
haben.
Denn § 1906, Abs. 1 BGB regelt klar, wer untergebracht werden darf: nur derjenige, der sich
selbst oder andere lebensbedrohlich gefährdet - so ist es im Betreuungsrecht geregelt. Wenn ein
Mensch unter Betreuung steht, wendet sich der Betreuer an das Vormundschaftsgericht, das eine
persönliche Anhörung des Betreuten und ein psychiatrisches Gutachten als Grundlage für eine
Entscheidung braucht. Unter den selben Voraussetzungen können dann weitere freiheitsentziehende Maßnahmen durchgesetzt werden. Dazu gehören: Fixierung des Patienten, z.B. ans Bett,
und Einsperren in Isolierzellen.
Die ARD rät, einen Menschen des Vertrauens mit der Wahrung der Rechte zu betrauen. Mit
einer Vorsorgevollmacht verhindern Patienten, dass ein Vormundschaftsgericht einen wildfremden Menschen als Betreuer bestellt.
Neben dem Bundesgesetz regeln verschiedene Landesgesetze, die so genannten "PsychKG 's31",
die Zwangseinweisung von Menschen in die Psychiatrie. Auch dabei ist die Grundvoraussetzung:
Dritte halten sie für psychisch krank oder selbst- oder fremdgefährlich. Falls der einweisende Arzt
Ihre Unterbringung gegen Ihren Willen für notwendig erachtet, ist das allein nicht ausreichend.
Eine persönliche Anhörung durch den Vormundschaftsrichter und die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens sind weitere Voraussetzungen für eine Zwangseinweisung, die in der Regel
zunächst für sechs Wochen Gültigkeit hat. Daher ist es wichtig, innerhalb der ersten zwei Wochen
beim Vormundschaftsgericht Beschwerde einzulegen. Falls der Patient selbst nicht dazu in der
Lage ist, kann diese Beschwerde auch vom Betreuer oder vom Ehepartner oder anderen nahe
stehenden Verwandten vorgebracht werden. Bei einer Unterbringung im Rahmen des PsychKG
müssen freiheitsentziehende Maßnahmen nicht noch einmal durch ein Gericht genehmigt werden.
31
In jedem Bundesland gibt es ein solches Gesetz, das die Unterbringung von psychisch Kranken
ermöglicht, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, weil sie andere oder
sich selbst in erheblichem Maße gefährden.
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9. Nachbehandlung
Eine Betroffene:
"Eine weitere Schwierigkeit nach der Entlassung war die Tatsache, dass ich keinerlei therapeutische Weiterbegleitung hatte, die meiner Meinung nach im Anschluss an einen stationären Aufenthalt unabdingbar ist, wenn es »draußen« noch kein stabiles soziales Netz gibt. Ein Hinweis auf
eine geeignete Anlaufstelle, die sofort erreichbar gewesen wäre, wäre wohl das mindeste, was
damals hätte passieren müssen. Ich bin sicher, dass mir dadurch einiges erspart geblieben wäre.
(Brigitte Booke)"
In fast allen Kliniken wird heute ein mehr oder weniger umfangreiches Nachsorgeprogramm angeboten, oft in Zusammenarbeit mit freien bzw. externen Therapeuten, die die
Behandlung ggf. fortsetzen oder begleiten. Art und Umfang der Nachsorge wird zum
einen von der Diagnose und dem Therapieerfolg, ganz wesentlich aber auch von der jeweiligen Gemeinde bzw. dem Landkreis, dem Bundesland, der Verfügbarkeit der vorhandenen Einrichtungen und von der Zugehörigkeit zur jeweiligen Krankenkasse bestimmt.
Grundsätzlich gilt:
Die Qualität einer gemeindepsychiatrischen Versorgungsstruktur zeichnet sich in erster
Linie durch das Angebot für schwer- und mehrfach behinderte psychisch Kranke,
chronisch Abhängige sowie altersbedingt psychiatrisch erkrankte Menschen aus. Es gelten
die von der WHO, der Psychiatrie-Enquete (1975) und der Expertenkommission der
Bundesregierung (1988) aufgestellten Grundsätze. Diese besagen, dass seelisch kranke
Menschen den körperlich Kranken gleichgestellt sein müssen und dass die Versorgung
bedarfsgerecht und gemeindenah sein muss. Dem Sozialpsychiatrischen Dienst kommt
dabei eine besondere Funktion zu. Er zeigt Betroffenen und Angehörigen Wege auf, das
psychiatrische Betreuungs- und Behandlungsangebot in Anspruch zu nehmen. Darüber
hinaus gibt er Impulse, das bestehende System ambulanter und komplementärer Hilfen zu
vervollständigen.
Nach einer Stellungnahme Aktion Psychisch Kranker von 2001 gibt es bei der außerklinischen Versorgung in Deutschland noch gravierende Defizite. In den meisten Ländern
sind verschiedene Träger und Stellen für die Bemessung und Erbringung von Leistungen
zuständig, was zu einer teilweise sehr unbefriedigenden Fragmentierung der Versorgung
führt.
a. Sozialpsychiatrischer Dienst
Ziele und Aufgaben des Sozialpsychiatrischen Dienstes ist die Betreuung und Begleitung
von chronisch psychisch Kranken und deren Angehörigen, im Rahmen der Vorsorge,
Nachsorge und Krisenintervention, in Ergänzung zur ärztlich-psychiatrischen Behandlung.
Der Sozialpsychiatrische Dienst leistet keine Suchtberatung und keine Pflegeleistungen für
Pflegebedürftige.
Konkret sehen die Hilfeleistungen in den meisten Gemeinden etwa wie folgt aus::
i. Vorsorge
• Verminderung von stationären Aufenthalten durch rechtzeitige Kontaktaufnahme und
Betreuung gefährdeter Menschen.
•
Einleitung frühzeitiger Behandlungsmaßnahmen.
•
Beratung und Aufklärung sowohl der Betroffenen und deren Angehörigen, als auch der
Personen im sozialen und beruflichen Umfeld der Gefährdeten.
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•
Allgemeine Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung zum Verständnis für psychisch Kranke.
ii. Nachsorge
• Kontaktaufnahme vor Entlassung aus stationärer Behandlung Unterstützung bei familiärer sozialer und beruflicher Reintegration (z.B. Unterstützung bei
Behördengängen, Vermittlung in Clubs, Einleitung tagesstrukturierender Maßnahmen).
•
Sicherung einer notwendigen fachärztlichen psychiatrischen Weiterbehandlung
iii. Krisenintervention
• Hilfe bei akuten Krisen (vorrangig bei bereits betreuten Personen) in Zusammenarbeit
mit den psychiatrischen Fachärzten/Hausärzten.
iv. Institutsbezogene und koordinative Aufgaben
• Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Allgemein- und Nervenfachärzten, Kliniken
sowie den Gesundheitsbehörden und sonstigen Einrichtungen.
•
Unterstützende Mitarbeit in Clubs und Selbsthilfegruppen, Aufbau und fachliche Begleitung von Tagesstätten, Angehörigen- und Laienhelfergruppen.
•
Koordination der psychosozialen Arbeitsgemeinschaft und bereits bestehender Angebote und Einrichtungen im Einzugsgebiet.
b. Nachsorgemöglichkeiten
Je nach Schwere der Erkrankung und Stadium der Behandlung kommen unter anderem
folgende Nachsorgemöglichkeiten in Betracht:
i. Tagesklinik
Eine voll ausgestattete Klinik mit den üblicherweise angewandten Therapiemethoden,
oft mit weiteren, speziellen Angeboten, je nach Zielgruppe. Üblicherweise begeben sich
die Patienten tagsüber in die Tagesklinik und nehmen an den dort angebotenen
therapeutischen Maßnahmen teil, treffen sich in Gruppen oder verbringen einfach ihre
Freizeit in einem geschützten Umfeld.
Einige Tageskliniken bieten Hilfen zu Wiedereingliederung in das normale Berufsleben
an. Eine Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) übernimmt die ambulante Nachsorge
chronisch psychisch kranker Menschen. Die Möglichkeiten der PIA sind vor allem auf
diese Patienten ausgerichtet, um beispielsweise mit Gruppen- und Beschäftigungstherapien sowie der Betreuung an geschützten Arbeitsplätzen die Wiedereingliederung
in das soziale Leben zu fördern.
ii. Betreute Wohngemeinschaft / Betreutes Wohnen
In verschiedenen Organisationsformen bekommen Patienten hier die Möglichkeit, den
als belastend empfundenen Alltag betreut zu üben. Die Anwesenheit kompetenter Ansprechpartner(innen) alleine genügt häufig, um Krisensituationen zu entschärfen und
den Betroffenen ein adäquat selbst bestimmtes Leben zu ermöglichen. Ziel dieser Form
der Nachsorge ist immer die soziale Stabilisierung und die Hilfe zur Selbstständigkeit.
iii. Psychiatrische Ambulanz
Diese sind häufig in oder in der Nähe psychiatrischer Kliniken zu finden. Sie bieten je
nach Zielgruppe verschiedene ambulante therapeutische Behandlungsmöglichkeiten.
Häufig ist die Möglichkeit der Krisenintervention und Akutversorgung bei Eigen- und
Fremdgefährdung möglich. Psychiatrische Ambulanzen dienen im wesentlichen der
vor- und nachstationären Mitbehandlung. Eine langfristige ausschließliche Behandlung
ist, ähnlich wie in der Unfallambulanz, nicht möglich. Es gibt eine Reihe von Spezial-
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ambulanzen, beispielsweise für die (forensische32) Kriminaltherapie oder die Gerontopsychiatrie33.
iv. Lokale Betreuung
Betreuung durch niedergelassene Psychiater, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter etc.
Einer stationären Behandlung wird in den allermeisten Fällen eine langfristige Psychotherapie oder Kombinationstherapie voran- und nachgehen. Zusätzlich wird ggf. eine
Soziotherapie stattfinden.
v. Psychiatrische Notfallambulanz
An allen Landeskrankenhäusern mit psychhiatrischer Klinik und an vielen anderen Einrichtungen gibt es psychiatrische Notfallambulanzen mit Telefon- und Arztbereitschaften für die Krisenintervention. Diese arbeiten entweder konsiliarisch (sie helfen
anderen Bereichen der Klinik in Notfällen) oder direkt für Betroffene oder deren Angehörige in Notfällen. Dort wo die verschiedenen (Hilfs-)Einrichtungen schon gut vernetzt
sind, gibt es häufig einen oder mehrere gemeinsam betriebene Notfallpunkte, die unter
einer einheitlichen kostenlosen Rufnummer rund um die Uhr zu erreichen sind. In Bonn
ist diese Einrichtung beispielsweise überall unter dem Namen „Nacht und Not“
bekannt. Notfallambulanzen in den größeren Städten verfügen über besonders
geschultes Personal für den Umgang mit psychischen Krisen im Zusammenhang mit
Drogengebrauch.
c. Betreuung und Beratung der Angehörigen von psychisch Kranken
Die Angehörigen psychisch Kranker sind oft erheblichen Belastungen ausgesetzt und
spielen häufig eine wesentliche Rolle in der nachstationären Betreuung. Neben der ärztlichen Beratung in der Klinik gibt es verschiedene Angebote für Angehörige, unter anderem
von
•
Krankenkassen
•
Selbsthilfeorganisationen und -gruppen
•
Betroffenen- und Angehörigenverbänden
•
Kliniken und (Pflege-)Einrichtungen
•
Hilfsorganisationen und kirchlichen Trägern (Diakonie, Johanniter etc.)
In NRW sind beispielsweise fast alle Selbsthilfeeinrichtungen und -gruppen Mitglied bei
SEKIS, der Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle des Landes. Diese unterhält in jeder
größeren Gemeinde eine Kontaktstelle. Eine Einrichtung gleichen Namens und gleicher
Funktion gibt es in Berlin.
▲ Zum Inhaltsverzeichnis (nur HTML- und XML-Version)
10. Linkliste
Viele gute Links findet man auch auf www.psychiatrie-aktuell.de
a. Fachinformationen
www.psychiatrie.de
www.psychiatrie-aktuell.de
www.kompetenznetz-depression.de
www.medizinfo.com
32
gerichtlich, das Gericht betreffend, der Entscheidung von Rechtsfällen dienend, kriminalistisch, der
Aufklärung von Rechtsfällen dienend, gelegentlich auch im Sinne von „nachwirkend“ gebraucht.
33
Alterspsychiatrie
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www.neuro24.de
•
Ausgezeichnete Seite mit ausführlichem Glossar (medizinischem Wörterbuch) und
vielen Informationen rund um psychische Erkrankungen
yavivo.lifeline.de
•
Umfangreiches Gesundheitsportal mit ausführlichen Fachinformationen
•
Fehlerhaft programmiert, im Zweifel Suchfunktion benutzen
b. Betroffene, Selbsthilfe
mayday.bdsm.de
•
Adressen von „kink aware professionals“ (Therapeuten, Ärzte, Anwälte,die mit SM
keine Probleme haben)
•
Notfalltelefon für Opfer sexueller Gewalt (speziell im SM Kontext)
www.selbsthilfe-forum.de
www.selbsthilfenetz.de
•
Adressen von Selbsthilfegruppen in NRW
www.sekis-berlin.de
•
Adressen von Selbsthilfegruppen in Berlin
www.nakos.de
•
Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von
Selbsthilfegruppen
•
Adressen von bundesweit tätigen Selbsthilfe-Vereinigungen und relevanten Institutionen
www.freundeskreise-sucht.de
www.kuckuck.solution.de
•
Links zu auserwählten Themen
(Depressionen, Schizophrenie, Missbrauch u.a.)
•
Angabe von hilfreichen Adressen und lesenswerter Literatur
•
Viele Erfahrungsberichte
•
zu angekündigten Zeiten können im Chat unterschiedlichen Themen diskutiert werden
c. Organisationen
www.aanb.de
•
Arbeitsgemeinschaft Angehöriger Psychisch Kranker e.V.
•
Hilfestellung zur Selbsthilfe, Telefonbereitschaft durch erfahrene Angehörige
•
Links und Adressen von Landesverbänden etc.
www.bapk.de
•
Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker
•
Texte von Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen
•
Informationen zu Diagnose und Therapie
www.dgbs.de
•
Deutsche Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (manisch-depressive Erkrankungen)
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•
Literaturtipps und Auszüge aus Fachbüchern
•
nützliche Adressen und Links
•
Online-Quiz zum Thema bipolare Störungen
•
Job-Börse
www.dhs.de
•
Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e.V.
•
Vermittlung von Basiswissen ("Was ist Sucht?", "Was macht süchtig?" u.a.) inkl. konkreter Zahlen
•
Zeitungsartikel online
www.gfts.de
•
Gesellschaft zur Förderung empirisch begründeter Therapieansätze bei schizophrenen
Menschen
•
Herausgeber der Zeitschrift "Schizophrenie"
•
Weiterbildungsangebote
www.guttempler.de
•
Website der Guttempler, der Abstinenzorganisation der Welt (IOGT)
•
Links zu anderen Selbsthilfe- und Abstinenzverbänden
•
Hinweise auf die Gefahren der Sucht
www.kreuzbund.de
•
Katholische Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige
•
Möglichkeit zu einem Selbsttest
•
Links zu Diözesan-/Landesverbänden, Kreuzbund-Gruppen und Kooperationspartnern
www.leinreiter.de
•
Förderverein für seelische Gesundheit e.V.
•
regionale, soziale und psychiatrische Links und Links von Vereinen mit ähnlichen
Zielsetzungen
www.skfm.de
•
Diözesanverein des Sozialdienstes Katholischer Frauen und Männer (SKFM)
•
Aufklärung über die Grundlagen der Betreuung, zudem die Gesetzestexte aus dem BGB
zum Thema rechtliche Betreuung
•
Links zum Thema Betreuungsvereine, Betreuungs- und Sozialrecht
www.zi-mannheim.de
•
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim
•
Angaben zu Publikationen verschiedener medizinischer Gebiete
www.zwaenge.de
•
Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V. (DGZ)
•
ausführliche Beschreibung der Krankheit, unterteilt in verschiedene Arten von
Zwängen
•
Diskussionsforum für Betroffene
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•
für Experten werden Aufsatzsammlungen, Fragebögen und eine virtuelle Bibliothek zur
Verfügung gestellt
d. Sonstige
www.antipsychiatrie.berlinet.de (Verlag)
•
Publikationen und Organisationen, die an den Interessen Psychiatriebetroffener und
kritischer Angehöriger & Profis orientiert sind
>> Ende <<
▲ Zum Inhaltsverzeichnis (nur HTML- und XML-Version)
Verwendete Quellen u.a.:
•
www.fu-berlin.de
•
medweb.uni-muenster.de
•
www.psychiatrie.de
•
www.psychiatrie-aktuell.de
•
www.klinikum-hannover.de
•
www.uni-duesseldorf.de
•
www.hessenweb-kreation.de/medwort/index-lexmed.htm
•
www.smart-rhein-ruhr.de (zitiert seinerseits www.datenschlag.org )
•
www.netdoktor.de
•
www.kompetenznetz-depression.de
•
yavivo.lifeline.de (Klahre/Deister)
•
Psychosoziale Umschau
•
Deutscher Psychiatrie Verlag
•
ARD
•
DSM IV
•
Stadt Offenbach
•
Katja Leonhardt (Studienarbeit über Bordeline, 2001)
•
Flatten G., Hofmann, A., Liebermann, P., Wöller, W., Siol, T., Petzold, E.R.: Posttraumatische Belastungsstörung Leitlinie und Quellentext. Schattauer-Verlag, Stuttgart, New
York 2001
•
Arbeitsgruppe Leitlinien zur Psychotherapie der Depressionen: (Federführung: Prof. Dr.
med. H. Schauenburg, Göttingen
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Änderungen:
Datum
07.12.02
06.12.02
06.02.03
Änderung
Abschnitt Affektive Störungen und moderne Therapiekonzepte erheblich
erweitert (Depressionen), Sprungziele und -links eingefügt
Layout geglättet und Formatierung vorgenommen, Fehler beseitigt, interne
Links eingefügt
Gründliche Überarbeitung des gesamten Textes, Erweiterung des Abschnitts
über Psychopharmaka, Änderung des Layouts im Sinne einer einfacheren
HTML-Konvertierung
▲ Zum Inhaltsverzeichnis (nur HTML- und XML-Version)
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