GELERNT IST GELERNT Drehstromtechnik (1) GRUNDLAGEN Mit dieser Ausgabe beginnen wir die neue Serie Drehstromtechnik, die sich nahtlos an die abgeschlossene Serie der Wechselstromtechnik anschließt und im Wechsel mit anderen Beiträgen und Serien monatlich erscheint. Auch mit dieser Serie haben Abonnenten wieder die Möglichkeit, sich ergänzende Lerninhalte online anzuschauen. E in gutes Bild, sich Drehstrom oder auch dreiphasigen Wechsel­ strom vorzustellen, ist der parallele Betrieb von drei Wechsel­ stromgeneratoren. Dieses Bild (Bild 1a) ist auch gut geeignet, um die wichtigsten Grundlagen zu erklären. Natürlich gelten auch hier die bereits besprochenen Grundlagen der Wechselstromtechnik. Doch zunächst legen wir für die Erzeugung von Spannungen eines Dreh­ stromnetzes noch ein paar Rahmenbedingungen fest. Bedingungen für die Erzeugung eines Drehstroms Die drei erzeugten Wechselspannungen müssen für ein symmetrisches Drehstromnetz den gleichen zeitlichen Verlauf haben, das heißt, sie sind alle sinusförmig und haben die gleichen Spitzenwerte a) ûL1 b) Generator 1 120 ° und die gleiche Periodendauer. Sie müssen allerdings so angeordnet werden, dass sie im zeitlichen Gesamtverlauf um ein Drittel der Peri­ odendauer gegeneinander verschoben sind. Aus der Wechselstrom­ technik ist bekannt, dass man im Liniendiagramm die Zeitachse auch als Winkelachse darstellen kann. Daraus leitet sich ab, dass die drei Spannungen um 120 ° gegeneinander verschoben sind (Bild 1b). Dieses erreicht man dadurch, dass man die drei Generatoren so auf einer gemeinsamen Achse befestigt, dass ihre neutralen Achsen um 120 ° verschoben sind. In der Praxis führt man die Generatoren natür­ lich nicht als getrennte Maschinen aus, sondern ordnet die drei Genera­ torwicklungen um 120 ° versetzt in einem gemeinsamen Gehäuse an. Dafür ist natürlich auch nur ein gemeinsames Polrad erforderlich. Eine solche Maschine heißt Drehstromgenerator. Die Erzeugerwick­ lungen sitzen dabei üblicherweise im festste­ henden, äußeren Teil dem Stator. Die Roto­ ren nennt man hier Polrad. Sie sind in der Praxis keine Dauermagneten sondern Elek­ tromagneten, die über einen steuerbaren Er­ regerstrom in ihrer Feldstärke beeinflussbar und damit auch regelbar sind. 120 ° Quelle: K.-H. Bleiß, bfe Media Generator 2 Zeigerdiagramm und Phasenlage Generator 3 ûL2 ûL3 Pfeile entsprechen den neutralen Achsen 120 ° Bild 1a, b: Parallelbetrieb dreier Generatoren mit daraus entstehendem Zeigerbild u Quelle: K.-H. Bleiß, bfe Media UL1 120 ° 120 ° 0 ° 90 ° 180 ° UL2 Bild 2: Zeiger- und Liniendiagramm nach einer Drehung um 120 ° 76 360 ° α 120 ° UL3 270 ° Trägt man jetzt in die jeweilige Ausgangsla­ ge des Polrades den Maximalwertzeiger der erzeugten Spannung ein und überträgt die­ se in ein gemeinsames Zeigerdiagramm, ergibt das die Ausgangssituation aus der sich die Liniendiagramme entwickeln las­ sen. Zur besseren Unterscheidung stellen wir hier die Spannungszeiger in unter­ schiedlichen Farben dar und zeigen den Augenblick, in dem sich das vorige Zeigerdi­ agramm um 120 ° im mathematisch positi­ ven Drehsinn, also entgegen dem Uhrzei­ gersinn, gedreht hat (Bild 2). Auch im Liniendiagramm erkennt man jetzt, dass die drei Spannungen um 120 ° ge­ geneinander verschoben sind. Was ebenfalls gut erkennbar ist, und was später noch in den Betrachtungen eine Rolle spielt, ist fol­ gende Tatsache: Immer wenn zwei Spannungen den glei­ chen Augenblickswert haben (Schnittpunkt der Kurven), dann hat die dritte ihren Maxi­ malwert mit umgekehrter Polarität. de 20.2013 GELERNT IST GELERNT •• Diese Einzelspannungen bezeichnet man als Außenleiterspannung gegen N oder Spannung gegen N •• In einem Drehstromnetz mit geerdetem Sternpunkt (Bild 4b) ist die Außenleiter­ spannung gegen Erde gleich der Strang­ spannung Geometrische Addition der Einzelspannungen Bevor wir einsteigen, hier noch das zweite Kirchhoffsche Gesetz, was wir für die weiter­ gehende Untersuchung der Sternschaltung benötigen: www.elektro.net b) G ~ Entstehung des Sternpunkts L1 L1 UL1 UL1 = UStr1 G ~ L2 G ~ Sternpunkt UL2 UL2 = UStr2 G ~ G ~ UL3 L3 L3 G ~ L2 Bild 3a, b: Entstehung des Sternpunktes im Drehstromnetz UL3 = UStr3 a) b) L1 G ~ L1 G ~ L2 G ~ L2 L3 G ~ UL3 N Symbole nach IEC 617-11:1993 L3 N Neutralleiter (N) Schutzleiter (PE) Erdung Quelle: K.-H. Bleiß, bfe Media G ~ UL2 UL2 UL1 UL1 G ~ UL3 Von diesen jeweiligen Ausgangspunkten wer­ den dann Spannungspfeile mit den dazuge­ hörenden Strangkennzeichnungen eingetra­ gen. Die Erzeugerwicklungen des realen Drehstromgenerators, die hier als Einzelge­ neratoren auftauchen, heißen jetzt Stränge, die dazugehörigen Strangspannungen UL1, UL2 und UL3 (Bild 3a). Die drei Anschluss­ punkte ohne Benennung (links) werden jetzt miteinander verbunden. Diese Verbindungs­ stelle heißt Sternpunkt (Bild 3b). Diese Stranganordnung, aus der sich der Sternpunkt ergibt, gilt als eine der Grundschaltungen in Drehstromerzeugerund Verbrauchersystemen und heißt davon abgeleitet Sternschaltung. Für die Versor­ gung in öffentlichen Niederspannungsnet­ zen ist am Generator oder auf der Sekun­ därseite eines Transformators eine Stern­ schaltung erforderlich. Der Sternpunkt wird dabei geerdet und zusätzlich parallel zu den Außenleitern (L1, L2 und L3) als sogenannter Neutralleiter (N) zu den Anschlusspunkten der jeweiligen Verbraucher geführt (Bild 4a). Hier ist es dann möglich, sowohl einphasige als auch dreiphasige Verbraucher anzu­ schließen. Zusammengefasst lässt sich feststellen: •• In der Sternschaltung sind die Einzelspan­ nungen (UL1, UL2, UL3) gleich der Strang­ spannung (UStr) •• In einer Masche ist die Summe der Teilspannungen gleich null (Ma­ schenregel) Die drei zu betrachtenden Maschen sind hier farbig in die Darstel­ lung der Sternschaltung mit Stranggeneratoren eingetragen. Durch diese Verbindungsstelle entstehen zwischen den Außenleitern Ein­ Quelle: K.-H. Bleiß, bfe Media Um eine vereinfachte Darstellung für die Betrachtung der Spannungs­ zählpfeile zu haben, werden die drei Generatoren wieder getrennt darge­ stellt (Bild 3a). Jetzt allerdings als Symbole für einen Wechselspan­ nungsgenerator mit jeweils zwei Anschlüssen. Die Anschlussklemmen (rechts) sind mit den normgemäßen Bezeichnungen für die Außenleiter gekennzeichnet. Im Fachjargon heißen die Au­ ßenleiter auch oft Phasen (einphasiger oder a) dreiphasiger Wechselstrom). Bild 4a, b: Außenleiter- und Strangspannungen einer Sternschaltung gegen Neutralleiter (N) und Erde Ergänzende Lerninhalte online Die gedruckten Inhalte dieser Grundlagenserie werden durch online-basierte Lerninhalte ergänzt. Als »de«-Abonnent haben Sie exklusiv die Möglichkeit, sich parallel zum Durcharbeiten des Artikels im Heft auf einer Lernplattform einzuloggen. Hier steht Ihnen eine Lernsoftware mit zusätzlichen animierten Inhalten und kurzen Aufgaben zur Überprüfung des Lernfortschritts zur Verfügung. Gehen Sie dazu bitte auf unserer Homepage zur Online-Version dieses Beitrags unter www.elektro.net/22030/drehstromtechnik-1. Dort finden Sie dann den Link zur OnlineLernsoftware. 77 GELERNT IST GELERNT G ~ L1 UL1 UL12 UL31 Quelle: K.-H. Bleiß, bfe Media G ~ UL2 zu ermitteln und mit dem Maßstab zu multiplizieren. Hier ein Beispiel, wie sich grafisch die Spannung ermitteln lässt: •• Maßstab MU: 50 V/cm; UStr = 230 V •• Länge für Ustr = 4,6 cm •• Länge für UL12 = 8 cm Unsere Rechnung lautet dann: L2 UL23 G ~ L3 UL3 Bild 5: Betrachtung der Maschen der jeweiligen Außenleiter gegeneinander zelkreise, die nun nach dem oben stehenden Gesetz untersucht werden sollen: •• Die drei Maschen machen deutlich, dass sich jeweils eine Außen­ leiterspannung aus zwei Strangspannungen bildet •• Aus der Wechselstromtechnik ist bekannt, dass die Einzelspannun­ gen, die nicht phasengleich sind, nur geometrisch, also als Vekto­ ren, zusammengefasst werden können. Somit ergeben sich aus den einzelnen Maschen folgende Vektoren­ gleichungen: •• grüne Masche : •• blaue Masche : •• rote Masche : Die Regeln der Vektoraddition geben vor, dass ein negativer Vektor grafisch addiert wird, indem man Pfeilende an Pfeilspitze des vorigen Summanden legt, die Wirkungslinie des positiven Vektors durch Par­ allelverschiebung übernimmt, aber die Pfeilrichtung umkehrt. Zur Berechnung der verketteten Spannung UL12, ist aus der maß­ stäblichen Darstellung (Bild 6a) die Länge des resultierenden Pfeils Neben der grafischen Bestimmung der verketteten Spannung (Au­ ßenleiterspannung), zeigt die Grafik auch die Möglichkeit einer rech­ nerischen Bestimmung des Verkettungsfaktors. In symmetrischen Drehstromsystemen sind die Strangspannungen gleich groß und um 120 ° gegeneinander verschoben. Dadurch ergeben sich für die Be­ stimmung der anderen Außenleiterspannungen Additionsfiguren mit der gleichen Geometrie (Bild 6b). Es liegen dann auch die Außenleiterspannungen 120 ° zueinander verschoben: Durch Umstellen erhält man: Schließlich ergibt sich durch Multiplikation des cos 30 ° mit dem Fak­ tor »2« der Wert √3: Allgemein kann man also sagen, dass der Verkettungsfaktor (√3) in allen symmetrischen Sternschaltungen den betragsmäßigen Unter­ schied zwischen Strangspannungen und Außenleiterspannungen be­ schreibt: Unsymmetrische Systeme a) b) – UL2 – UL2 UL12 UL12 30 ° UL1 120 ° UL1 120 ° 30 ° UL12 / 2 Quelle: K.-H. Bleiß, bfe Media 30 ° 0 ° U 12 L2 UL3 UL23 – UL3 30 ° UL31 – UL1 UL3 UL2 Bild 6a, b: Grafische Vektorenaddition einer Sternschaltung – Herleitung des Verkettungsfaktors 78 Wie vorher schon erwähnt, sind in öffentli­ chen Niederspannungsnetzen zwei Span­ nungsebenen gefordert bzw. erwünscht. In Deutschland und vielen europäischen Län­ dern ist die Bemessungsspannung für den Anschluss von Einphasenverbrauchern 230 V / 50 Hz. Die Bemessungsspannung für die Außenleiter ist dann 400 V/50 Hz. Übri­ gens ist es üblich, in Verbindung mit den Be­ messungsspannungen auch die Netzfre­ quenz zu nennen. Sieht man genau hin, so erkennt man, dass 230 V ein abgerundeter Wert ist (231 V wäre korrekter). Will man die­ sen Fehler vermeiden, muss man für die Be­ rechnungen folgerichtig immer mit dem Fak­ tor √3 rechnen. Für die Drehstromverbraucher gilt es zunächst festzustellen, ob es sich um symmetrische oder unsymmetrische Syste­ me handelt. Ein typisches Beispiel für ein unsymmetrisches Drehstrom-Verbraucher­ de 20.2013 GELERNT IST GELERNT system in Sternschaltung ist der Hausanschluss. Da in Wohn- und Geschäftshäusern vorwiegend Einphasenverbraucher betrieben werden, ist durch das Nutzungsprofil der einzelnen Verbraucher­ kreise eine zeitgleich gleich große Belastung praktisch ausge­ schlossen. Je nach Grad der Unsymmetrie kann man einen mehr oder weniger großen Ausgleichstrom im N-Leiter messen. Ist ein im Stern geschal­ teter symmetrischer Verbraucher an einem symmetrischen Netz im Betrieb, so wird man im angeschlossenen N-Leiter keinen Strom mes­ sen. Die Erklärung dafür möchte ich im Heft 22 mit einer Beispielauf­ www.elektro.net gabe liefern. Außerdem ist dann auch die Dreieckschaltung als zweite Schaltung des Drehstromsystems unser Thema. (Fortsetzung folgt) AUTOR Karl-Heinz Bleiß Fachautor, Hatten 79