Praxishandbuch Produktentwicklung Zusatzkapitel Arno Langbehn ist Geschäftsführer der B. Behr’s GmbH & Co. KG, dem führenden Informationsanbieter in der Lebensmittelindustrie. Er beschäftigt sich seit über 15 Jahren intensiv mit nutzwertorientierter Produktentwicklung und hat mit tuwun® eine Vorgehensweise entwickelt, durch die der Erfolg von Unternehmen deutlich gesteigert wird. Arno Langbehn Praxishandbuch Produktentwicklung Grundlagen, Instrumente und Beispiele Zusatzkapitel Campus Verlag Frankfurt/New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-39201-1 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2010 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main. Satz: Fotosatz L. Huhn, Linsengericht Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de Inhalt 1. Entwicklung über Jahrzehnte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Produktentwicklung früher bis heute . . . . . . . . . . . . . 3.Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service . . 4. Marketing, Werbung und Verkauf . . . . . . . . . . . . . . 5. Warum Kunden kaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kundenerwartungen heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kundennutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Prozessmusterwechsel und Komplexität . . . . . . . . . . . 9. Preisfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Fokussierung: spitz statt breit . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Zukunftsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Trend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Ihre Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Die Umsetzung im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 12 48 55 69 74 83 97 135 190 219 236 266 276 306 307 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Anhang Der Fragenkatalog – Anhang zum Kapitel Fragetechnik . . . . . . Formblatt 1: Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 2: No-Report . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 3: Ideenblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 4: Außendienstbesuche . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 5: Verkaufsgespräche in den eigenen Räumen . . . . Formblatt 6: Vertriebsagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 7: Händler im Massengeschäft . . . . . . . . . . . Formblatt 8: Messen, Kongresse und Seminare . . . . . . . . . 335 353 354 356 357 359 360 361 362 Formblatt 9: Interne Auswertung von Postkorbanalysen . . . . Formblatt 10: Produktbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 11: »Zufällige« Gespräche . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 12: Gesprächsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 13: Kriterien für den Interviewer . . . . . . . . . . . Checkliste 1:Quellen zu Vorabinformationen über den Gesprächspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 14: Gesprächsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 15: Informationen zum Gespräch . . . . . . . . . . . Tabelle 7: Varianten der Informationsbeschaffung . . . . . Tabelle 8:Vergleich der sechs wichtigsten Methoden zur ­I nformationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . Tabelle 10: Optimaler Gesprächsablauf . . . . . . . . . . . . Checkliste 2: Vorbereitung Gruppendiskussion . . . . . . . . . Formblatt 16: Feedbackfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 17: Kurzauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 18:Auswertung Lebenswelt und Tätigkeiten bis Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 19: Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 20: Patenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 21: Produktkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 22: Prozessmusterwechsel . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 23:Best Practice, Prozessmusterwechsel und Reduktion der Komplexität entlang der gesamten Wertschöpfungskette . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 24: Umsetzung bei den eigenen Produkten . . . . . . Geistreiches und Zitiertes zu den Kapiteln des Buches . . . . . . 363 364 365 366 369 370 371 372 374 376 377 379 381 382 383 384 385 387 393 394 396 397 Kapitel 1 Entwicklung über Jahrzehnte Eine von Nikolai Dmitrijevich Kondratieff entwickelte Theorie zur zyklischen Wirtschaftsentwicklung beschreibt den Wechsel zwischen wirtschaftlichen Auf- und Abschwüngen jeweils mit einer Wellenlänge von circa 50 Jahren. Zweieinhalb Wellen grundlegender Veränderung konnte er bereits für seine Theorie auswerten, die folgenden Wellen (ohne festzulegen, was diese beinhalten) hatte er prognostiziert. Weltweites Wachstum hängt nicht von den politischen Rahmenbedingungen ab. Jeder Aufschwung war durch ein Grundbedürfnis des Menschen und der daraus resultierenden Durchbruchinnovation beziehungsweise Basisinnovation in diesen Zeitspannen getrieben, die die Welt nachhaltig verändert haben. Länder, die diese Durchbruchinnovationen genutzt haben, hatten einen Aufstieg und wurden jeweils in ihrer Epoche zu einer Weltmacht. Die Durchbruchinnovation der Dampfmaschine zum Beispiel nutzte insbesondere England. Wenn die Optimierung der jeweiligen Innovation kein Wachstum mehr brachte, kam es zum Abschwung. Eine Erhöhung der Produktivität bei Textilmaschinen im ersten Zyklus brachte nichts. Der Transport war das Limitierende, da die produzierte Kleidung nicht an die Kunden verteilt werden konnte. Dieser gelang mit der Eisenbahn (2. Zyklus). Die Zyklen Zu beobachten sind 25 Jahre Aufwärtsbewegung, Scheitelpunkt und anschließend 25 Jahre Abwärtsbewegung. Entwicklung über Jahrzehnte 7 Tabelle 1: Die Zyklen Zyklus Hochpunkt Zeitspanne Durchbruchinnovation Auswirkungen 1 1825 1800 – 1850 Dampfmaschine, hauptsächlich in der Textilindustrie eingesetzt Bekleidung, Erleichterung der Arbeit, starke Steigerung der Produktivität 2 1875 1850 – 1900 Eisenbahn (Dampfmaschine auf Schienen)/ Stahl/Schifffahrt Transport (Verfügbarkeit von Ressourcen) 3 1925 1900 – 1950 Elektrotechnik/Chemie Massenproduktion/ Massenkonsum 4 1960 1950 – 1980 Automobil/Petrochemie Individuelle Mobilität 5 2000 1980 – 2020 Informationstechnik/ Computer Zugang zu Informationen, Globalisierung, ­Kommunikation Aktueller Zyklus Wir befinden uns gerade im Abwärtsgang. Durch die Optimierung der letzten Basisinnovation (Informationstechnik) ist keine nennenswerte Produktivitätssteigerung mehr möglich. Auch ein hundertmal schnellerer Computer erhöht die Produktivität des Menschen nicht mehr drastisch. Der begrenzende Faktor ist heute die Produktivität des Menschen. Früher galt: Maschinen sind Investitionen, Menschen sind Kosten. Denn Maschinen haben die Produktivität gesteigert. Für die Zukunft gilt: Maschinen sind Kosten, Mitarbeiter sind Innovationen. Der limitierende Faktor im 21. Jahrhundert sind die Mitarbeiter. Die heutige Entwicklung ist unter Berücksichtigung der KondratieffZyklen nichts Besonderes. Diese Umbrüche und Veränderungen gab es bei jeder Durchbruchinnovation, sei es der Wechsel von der Agrar- zur Industriegesellschaft beziehungsweise der Wechsel dieser zur Wissensgesellschaft. • Agrarzeitalter (Agrarwirtschaft): Es galt die Macht der Gewalt, die Mehrheit der Bevölkerung arbeitete in der Landwirtschaft. Reichtum war abhängig vom Landbesitz; 8 Praxishandbuch Produktentwicklung • Industriezeitalter (Industriewirtschaft): Wer Kapital hatte, hatte die Macht. Die meisten arbeiteten in Fabriken; • Informationszeitalter (Wissensgesellschaft): Die Macht der Information (insbesondere über den Kunden). Heute ist Wissen das größte Kapital und der ausschlaggebende Faktor. Die meisten sind »Kopfarbeiter«. Hier schlägt die Informationsmacht die Macht des Kapitals. Es werden nur noch die Anbieter Erfolg haben, die über ein weites und tiefes Informationsnetz verfügen. Der wertvollste Rohstoff für die Anbieter sind die Informationen über ihre Kunden. Ein Rohstoff, der nie weniger wird. Er ist wertvoll und hat einen größeren Wert als Produktionsanlagen, wenn diese Informationen zur Produktentwicklung eingesetzt werden. Je tiefgehender und aktueller die Informationen sind, desto wertvoller sind sie. Denn so ist eine gezielte Produktentwicklung möglich und somit auch der Erfolg des Unternehmens. Wissen ist die Währung der Zukunft. Wenn nun eingewendet wird, das Beschaffen von Wissen über die Kunden sei teuer, dann sollten diese Unternehmen es mal mit Unwissenheit versuchen. Das wird teuer! Jeweils von einer Stufe zur nächsten wurden alle bisher geltenden Spielregeln auf den Kopf gestellt. Der nächste Zyklus Die nächste Welle beziehungsweise Wellen ab circa 2020 könnten sein: Gentechnologie, Biotechnologie, Nanotechnologie, regenerative Energien, Gesundheit/Fitness. Dies ist unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen. Entscheidend für den Wohlstand und das Wachstum sind auch hier Durchbruchinnovationen. Schon in der Vergangenheit ist zu beobachten, dass diese Zyklen immer kürzer werden. Die Geschwindigkeit der Veränderung nimmt weiter zu. Wie in den Abschwungphasen reagiert werden kann Nutzen Sie die letzte Durchbruchinnovation. Es sind die Rahmenbedingungen zu nutzen, die in der Aufschwungphase aufgebaut worden sind. Zum Beispiel waren diejenigen erfolgreich, die in der Aufschwungsphase Entwicklung über Jahrzehnte 9 des zweiten Zyklus Eisenbahnaktien gekauft hatten. Die, die in der Abschwungphase noch Eisenbahnaktien hatten, gingen bankrott. In der Abschwungphase haben die Unternehmen Geld verdient, die das, was die Eisenbahn ermöglicht, genutzt haben: Infrastruktur, Warentransport et cetera. Dies ist vergleichbar mit der heutigen Nutzung der Infrastruktur der letzten Durchbruchinnovation: dem Internet (Vernetzung). Wenn es den Unternehmen gelingt, heute das Internet im Sinne ihrer Kunden sinnvoll zu nutzen, können daraus erhebliche Gewinne entstehen. Sinnvoll bedeutet, Internet in das Angebot und den Vertrieb aus der Sicht des Kunden nutzvoll zu integrieren (zum Beispiel Waren weltweit online anbieten). Man sollte nicht technikverliebt alles über das Internet erledigen, nur weil man fortschrittlich sein will. Manche glauben, diesen zyklischen Wandel aufhalten zu können. Doch das ist unmöglich, wie bereits die letzten Jahre zum Beispiel im Bereich des Internets gezeigt haben. Die jetzige Dramatik im Wandel war sicherlich auch in den vorherigen Zyklen vorhanden. So brachte beispielsweise auch der Übergang der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft viele Gewinner hervor – auf der anderen Seite aber auch viele, die am Bestehenden festhalten wollten und so zu den Verlierern gezählt haben. Wachstumsschübe innerhalb der Zyklen Innerhalb der Zyklen gab es jeweils ein Thema, das ein Jahrzehnt dominiert hat. Die Unternehmen, die dieses Thema am besten umgesetzt und professionalisiert haben, sind am stärksten gewachsen. Die Themen waren: • 50er Jahre: Produktion/Produktivitätssteigerung bei ausschließlicher Produktorientierung; • 60er Jahre: Unternehmen konkurrierten überwiegend im Verkauf (»no sales, no job«). Es galt die 3-Hauen-Methode: Kunden anhauen, umhauen, abhauen sowie die 4 P (Product, Price, Promotion, Place). Es war die Absatzära mit Verkaufsorientierung. Überreden war angesagt, nicht so sehr das Überzeugen; • 70er Jahre: Strategie; • 80er Jahre: Konkurrenz über Qualität, ISO; • 90er Jahre: Kundenservice (»no service, no job«); • Jahr 2000ff.: Kundennutzen, Kundenbegeisterung, Erlebnisse, Emotionen; der Mensch steht als Individuum im Mittelpunkt. Nachdem so 10 Praxishandbuch Produktentwicklung vieles optimiert wurde (die Produktion, der Verkauf, die Qualität und so langsam auch der Kundenservice), werden in Zukunft die Unternehmen am erfolgreichsten sein, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und ihnen maximalen Nutzen liefern. Das Hauptprodukt muss den Nerv treffen: »need to have« beziehungsweise »must have« statt »nice to have«. Die vorherigen Stufen sind jeweils Grundvoraussetzung, um im Markt »mitspielen« zu dürfen. Es sind Hygienefaktoren, mehr nicht. Geistreiches und Zitiertes »Informationsmacht über die Lebenskonzepte Ihrer Interessensgruppe entscheidet über die Zukunft.« Edgar K. Geffroy in Das Einzige, was stört, ist der Kunde Entwicklung über Jahrzehnte 11 Kapitel 2 Produktentwicklung früher bis heute Produktentwicklung früher Das Unternehmerdenken bestand überwiegend aus dem Verkauf, der Umsatzerhöhung, der Kostensenkung, dem Gewinn, dem Qualitätsmanagement, den Datenbanken, dem Einkauf, der Produktion, den Lieferanten, dem Kundenservice, der Personalabteilung, der Logistik, dem Marketing, dem Outsourcing, der Technik, der Prozessoptimierung und der Produktivitätssteigerung. Diese Begriffe standen im Mittelpunkt – nicht so sehr die Bedürfnisse der Kunden. Somit waren Kenntnisse in der Produktion notwendig, weniger die über die Kunden. Nur sind diese Faktoren fast alle komplett ausgereizt. Jeder Prozess ist bereits mehrfach optimiert und restrukturiert, die Outsourcing-Grenzen sind erreicht beziehungsweise bereits überschritten. Es flossen fast keine Gelder und Zeit in die Entwicklung von Produkten, die wirklich den Bedürfnissen der Kunden entsprechen, stattdessen wurde immer mehr in die psychologische Beeinflussung der Käufer mittels Werbung investiert. In der Produktentwicklung galt folgende Einstellung: • Wir wissen, was die Kunden wollen. Das weiß niemand besser als wir. Wir brauchen keine Anregungen von außen; • unsere Produktentwicklung hat in der Vergangenheit funktioniert. Wir machen weiter wie bisher; • für andere Märkte übernehmen wir unsere bestehenden Produkte; • wir wissen, was gut für die Kunden ist, wir müssen sie nur überzeugen und es ihnen verdeutlichen. Doch: Die Anbieter haben keinen Therapieauftrag, sondern den Auftrag zu Bedürfnisbefriedigung durch Produkte. Seit Millionen von Jahren haben die Lebewesen am besten überlebt, die sich ihrer Umwelt angepasst haben. Je besser die Anpassung verlief, desto besser konnten sich die Lebewesen entfalten. Kein Lebewesen hat bis jetzt versucht, die Umwelt an die eigenen Vorstellungen anzupassen. Fragt sich nur, warum die Produktentwickler es immer wieder versuchen 12 Praxishandbuch Produktentwicklung beziehungsweise versucht haben, die Kunden ihren eigenen Vorstellungen anzupassen. Die Produktentwicklung wurde an folgenden Rahmenbedingungen im eigenen Unternehmen ausgerichtet: • • • • • • • technische Möglichkeiten im Herstellungsbetrieb; interne Abläufe; finanzielle Vorgaben und Möglichkeiten im Herstellungsbetrieb; Kenntnisse der eigenen Mitarbeiter; bestehende Vertriebsschienen; Ideenpotenzial der Mitarbeiter; Zeit- und Budgetvorgaben in der Jahresplanung. Die Kundenkontakte waren auf den Verkauf und den Service (Wartung et cetera) beschränkt. Somit lagen im Unternehmen von den Kunden nur der Name, die Anschrift, die Kaufhistorie, das Zahlungsverhalten und gegebenenfalls noch die Unternehmensgröße beziehungsweise die Familien­ größe, die Funktion, der Beruf und das Geburtsdatum vor. Manche Anbieter waren sich mit dieser Vorgehensweise nun doch nicht so sicher und testeten ihre Ideen erst einmal. Sie boten auf gut Glück an und warteten das Ergebnis ab. So zum Beispiel bei dem Supermarkt, in dem neue Öffnungszeiten (täglich ab 7:00 Uhr geöffnet) über einen Zeitraum von vier Wochen getestet wurden. Mit einer gründlichen Marktrecherche und Gesprächen mit den Kunden hätte in Erfahrung gebracht werden können, ob die Kunden diese neuen Öffnungszeiten wollen oder nicht. Scheinbar wollten die Kunden sie nicht, denn einige Monate später war der Supermarkt geschlossen. Das Ergebnis dieser Vorgehensweise: über 80 Prozent der neuen Produkte sind ein Jahr nach der Einführung nicht mehr auf dem Markt. Und das Schlimmste ist, dass diese Quote in den letzten Jahren trotz CRM und Datenbanken weiter anstieg. Einige Produkte werden gar nicht wahrgenommen, andere – sogenannte Flashprodukte – kommen bei den Kunden über den Erstkauf nicht hinaus. Der Verkäufermarkt Noch vor einigen Jahrzehnten gab es einen Verkäufermarkt. Die Nachfrage war größer als das Angebot. Somit brauchten die Anbieter nur zu produzieren, der Markt wurde anschließend gefunden und das Produkt erfolgreich verkauft. Entsprechend mussten die Produkte weniger den individuellen Produktentwicklung früher bis heute 13 Kundenwünschen angepasst sein. Dieses Verfahren ist sehr effizient und war auch erfolgreich, so lange die Nachfrage größer war als das Angebot. Auch wurden die Kunden entsprechend von den Verkäufern behandelt. So wurden zum Beispiel Interessenten für Luxusautos vom Verkaufspersonal von oben bis unten gemustert, um festzustellen, ob sie es wert sind, ein so tolles Auto zu besitzen. Wenn ja, durfte der Kunde bis zu zwei Jahre auf sein Modell warten. Individuelle Wünsche waren eingeschränkt möglich. Um immer das neueste Modell zu fahren, bestellten viele den Wagen schon bevor das Modell herauskam. Waren das noch schöne Zeiten! Das hat sich komplett gedreht, auch wenn dies bei so manchem Autoverkäufer noch nicht im Bewusstsein angekommen ist. Der Weg zu Ideen Wenn die Verkäufer früher mit Anregungen von ihren Kunden zurückkamen, wurden diese meist als Hirngespinste abgetan. Die Mitarbeiter meinten – und meinen es heute teilweise immer noch –, selbst die besten Ideen zu haben, was die Kunden wollen. Ideen wurden morgens unter der Duschen entwickelt, während der Autofahrt, die Inspiration kam beim Kindergeburtstag, es wurde im Archiv der Produktflops gestöbert und Ähnliches. Die Produktentwickler projizierten eigene Bedürfnisse auf die Kunden. Hinzu kamen interne Meetings, in denen die Mitarbeiter (Geschäftsführer, Marketing, Produktentwickler) mit oder ohne auserwählten Experten die Ideen am runden Tisch zusammentrugen, die dann das Produkt und dessen Eigenschaften ausmachten. Entwickelt wurde, was die eigenen technischen Möglichkeiten hergaben und dem Ego der Produktentwickler entsprach. Die Mitarbeiter entschieden. Die Produktentwicklung war nach innen gerichtet. Messen und andere Termine bestimmten den Termin der Fertigstellung. Wenn die Zeit eng wurde, wurde auf Teufel komm raus produziert. Liefen die Herstellungskosten aus dem Ruder, wurden Eigenschaften und Funktionen gestrichen und/ oder die Preise erhöht. Die fertigen »Innovationen« wurden dem Vertrieb vorgelegt mit der Maßgabe: »Das Produkt ist genial, ihr müsst jetzt nur noch verkaufen«. Ob der Interessent es überhaupt will, stand jedoch auf einem anderen Blatt. Man hielt das für seine tolle Inspiration. Doch ein Punkt wurde dabei häufig übersehen: erfolgreiche Produktentwicklung ist nur zu 10 Prozent Inspiration und zu 90 Prozent Transpiration, eine schweißtreibende systematische Vorgehensweise. Die Produktentwicklung ist ein Handwerk. Die erfolgreichen Produkte basieren nicht auf plötz­ 14 Praxishandbuch Produktentwicklung lichen Eingebungen auf der Spielwiese genialer Erfinder, sondern sind das Ergebnis einer konsequenten Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kunden. Was die Kunden heute wirklich benötigen und wofür sie bereit sind, Geld auszugeben, unterscheidet sich kolossal von dem, was die Hersteller bezüglich der Bedürfnisse glauben. Der Wert einer Ware wird auch nicht mehr durch den Produzenten erzeugt, sondern entsteht bei den Kunden. Der einfachere und auch schnellere Weg zu neuen Produkten war bezüglich Technik und Materie der oben beschriebene. Die Unternehmen haben sich stärker mit der Technologie befasst als mit den Menschen. Sie nahmen die Kundenwünsche nur war, wenn sich die Kunden von sich aus an die Unternehmen gewendet haben. Die Mitarbeiter mit dem meisten Kundenkontakt (Verkäufer, Kundenservice) hatten im Betrieb nur wenig zu sagen und fast keinen Einfluss auf die Produktentwicklung. Dieses war das Vorrecht der Mitarbeiter in der Produktentwicklung. Die von außen eingeholten Informationen wurden reduziert auf Sekundärdaten, zum Beispiel auf die demografische Entwicklung, das Durchschnittseinkommen, die Familiengröße und Ähnliches. Und wenn dann doch mal direkt der Kunde einbezogen wurde, dann hießen die Fragen: • • • • »Würden Sie das Produkt kaufen?« »Welches Produkt möchten Sie haben?« »Sind Sie mit dem Produkt zufrieden?« »Wie beurteilen Sie die Eigenschaft X des Produkts?« Das sind alles Fragen, die an der Oberfläche bleiben und nicht wirklich für die Produktentwicklung zu gebrauchen sind. Größere Unternehmen beauftragten Marktforschungsinstitute, die Studien durchführten. Meist wurde per Standardfragebogen eine Vielzahl an Probanden nach deren Wünschen und Produktvorzügen gefragt. Und das, obwohl die Konsumenten meist nicht wissen, was sie wollen, geschweige denn, was sie kaufen werden. Am Ende der meist kostspieligen Studie wurde das Ergebnis präsentiert: PowerPoint-Folien mit Allgemeinaussagen und Exceltabellen, in denen die Kundenpräferenzen in Nachkommastellen angegeben wurden. Und dann ab in die Schublade oder in die Umsetzung mit einem hohen Flop-Risiko. Wenn einer Ihrer Produktentwickler morgen mit einer »tollen« Produktidee zu Ihnen kommt, stellen Sie bitte nur diese eine Frage: »Aus welchen Gründen soll der Kunde dieses Produkt kaufen und nicht sein Geld behalten oder sich für ein Produkt der Mitbewerber entscheiden?«. Falls Sie darauf keine überzeugende Antwort erhalten, heißt es nur: zurück auf Los; zum Kunden gehen und sich dort Anregungen für die Produkte holen. Produktentwicklung früher bis heute 15 Die gesamte Wertekette Die Unternehmen hatten die gesamte Wertekette im eigenen Haus: die Produktentwicklung, die Produktion, die Distribution, das Marketing und den Verkauf. Jedoch kann heute kein Unternehmen auf jeder Stufe der Wertkette der Beste sein. Somit folgt die Konzentration auf die Kernkompetenzen in einem oder maximal zweien dieser Bereiche. Lieber in einem Bereich mit Abstand die Nummer eins sein und die anderen Bereiche von anderen Spitzenunternehmen übernehmen lassen, als in allen Stufen nur Mittelmaß zu sein. Die Grenzen der Technik Die Produktentwickler hatten meist eine technische Ausbildung. Für sie zählten Funktionalität, Zahlen und Fakten. Das Ziel war, so viele Funktionen wie möglich in das Produkt zu integrieren. Gerade Ingenieure sahen den Nutzen von Funktionen bereits durch deren Vorhandensein – und zwar unabhängig davon, ob der Kunde dieses auch als Nutzen sah. Technikverliebte Produktenwickler steckten ihre Energie und Zeit in abgehobene Funktionen und waren überwältigt von ihren brillanten Ideen und Inspirationen, statt zu versuchen, so einfach wie möglich den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Das Übermaß an Technologie musste auch bezahlt werden. Daher stieg der Verkaufspreis des Produkts, wodurch die Kundenakzeptanz noch geringer wurde. Um im Weltall schreiben zu können, entwickelten die Amerikaner aufwändige Kugelschreiber, mit denen man auch auf dem Kopf schreiben kann. Die Russen lösten das Problem einfacher: Sie verwendeten Bleistifte. Weniger Technik, dafür zuverlässig. »Der gute Ingenieur hasst seine Kunden«, sagte einst der ehemalige Ministerpräsident von Baden Württemberg, Lothar Späth. Der Ingenieur möchte sein Produkt immer weiter optimieren und hält den aktuellen Stand nur für einen unfertigen Prototyp. Er freut sich, wenn der Kunde das unfertige Produkt nicht kauft, sondern auf die Endversion wartet und wartet und wartet. Technologische Forschung ist zwar wichtig, darf jedoch nie über den Kundenbedürfnissen stehen. Es sei denn, das Unternehmen wird finanziell gefördert und der Verkaufserfolg ist unwichtig. Einige Produkte landeten sofort im Abseits, weil diese das technologisch Mögliche enthalten, jedoch ihrer Zeit zu weit voraus waren oder deren Zeit nie kommen wird. Eines der schönsten Beispiele für die Produktentwicklung von der technischen Seite war die New Economy zur 16 Praxishandbuch Produktentwicklung Jahrtausendwende. Es wurde viel Geld investiert, alles war technisch auf dem neuesten Stand – nur waren die Kunden nicht bereit, die Leistungen zu kaufen. Und so platzte die Blase. Der sprechende und denkende Kühlschrank (zur Neige gehende Bestände werden gleich direkt beim nächsten Supermarkt bestellt) ist seit Jahrzehnten genauso möglich wie das Bildtelefon. Nur wollen die Kunden diese Produkte nicht. Erst wenn neue Technologien mit den Bedürfnissen zusammentreffen, wird das Produkt zum Volltreffer. Der Einsatz von Technik soll den Nutzen für den Kunden erhöhen. Die Technik darf nicht zum Spaßfaktor der Produktentwickler verkommen. Machen Sie Schluss mit Over-Engineering. Zu viel Technik erhöht die Herstellungskosten, verwirrt den Kunden und lenkt vom USP ab. Der Kunde versteht das Produkt nicht, nutzt es nicht und ist nicht bereit, dafür etwas zu bezahlen. Es geht weniger um technische Werte als jetzt endlich um das, was die Kunden wirklich wollen. Computer zogen nicht nur aufgrund der technologischen Möglichkeiten in die Büros ein, sondern durch die Verknüpfung von Technologie und Nutzen für den Kunden. Ein richtiger Einsatz der Technologie im Produkt bedeutet die Befriedigung eines sehr großen Kundenbedürfnisses mit einem geringen Aufwand für die Kunden. Der Produkttest, der keiner war Der Produkttest fand nur in den eigenen vier Wänden mit einem Panel aus eigenen Mitarbeitern statt. Erst der fertige Prototyp wurde einer Testgruppe vorgestellt. Diese wurde rhetorisch dazu bewegt, diesem Geniestreich zuzustimmen. Denn sie durfte nur das bewerten, was ihnen vorgesetzt wurde. Da die Produktentwicklung schon so weit fortgeschritten war, waren weitreichende Modifikationen ausgeschlossen. Oder der Test erfolgte gleich mit dem Produkt unter Realbedingungen im Markt. Differenzierung der Differenzierung wegen Jede Branche versuchte es mit ein und demselben Geschäftsmodell. Daraus folgte ein starker Wettbewerb und Preiskrieg. Um aus dem Preiskrieg auszubrechen, wurden die Produkte so modifiziert, dass diese sich von der Konkurrenz abhoben. Ob damit nun die Probleme der Kunden besser gelöst wurden, war zweitrangig. Differenzierung der Differenzierung wegen ist jedoch kontraproduktiv. Die Differenzierung Produktentwicklung früher bis heute 17 muss den Kunden aus ihrer Sicht einen zusätzlichen Nutzen bringen. Lila-gelb karierte Brötchen sind keine Innovation (außer vielleicht zur Faschingszeit), für die die Kunden mehr Geld ausgeben. Ändern Sie die Spielregeln, aber zum Wohle der Kunden. »Be different and better«, lautet die Devise. Das Anderssein muss dem Kunden einen höheren Nutzen geben. Und dieser höhere Nutzen muss für den Kunden auch erkennbar sein. Nur besser als der Wettbewerb zu sein, ohne dass es jemand bemerkt, reicht auch nicht. Diese oben vorgestellten Vorgehensweisen führten früher noch zum Erfolg, da wir einen Verkäufermarkt hatten. In der heutigen Zeit des Käufermarkts sind diese Vorgehensweisen jedoch überholt. Es muss zuerst bei den potenziellen Kunden geprüft werden, welche Lösungen sie benötigen und auch zu kaufen bereit sind. Trichtermodell der Produktentwicklung früher und heute Früher war der Trichter oben eng, weil nur Ideen von den Mitarbeitern eingebracht wurden. Durch weitere Filter kommen fast keine erfolgreichen Produktideen mehr durch. Heute werden immer mehr Informationen über die Kunden eingeholt, wodurch eine Vielzahl von Produktideen abgeleitet wird. Der Trichter wird oben so weit wie möglich gehalten, weitere Filter so weit wie möglich ausgeschaltet (zum Beispiel durch Kooperation mit anderen Unternehmen). Der größte Filter ist hier der Werbetest sowie der Abbildung 1: Früheres Trichtermodell Nur eigene Ideen Weitere Filter: Ein seit Jahren festgelegtes Kundensegment Betriebswirtschaftliche Vorgaben Begrenzte eigene Möglichkeiten 18 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 2: Heutiges Trichtermodell Informationen über die Kunden Weitere Filter: Segmentierung nach Bedürfnissen Lebensumfeld erkennen USP und Produkteigenschaften ableiten Konzept entwickeln Machbarkeit (technisch, finanziell et cetera) auch unter Einbeziehung von Kooperationen prüfen Test Test der Prototypen beim Kunden, bevor die Vollproduktion anläuft. So wird das finanzielle Risiko minimiert. Produktentwicklung heute Aller Anfang ist schwer. Die Mitarbeiter setzen vieles daran, dass alles so bleibt wie es ist. Sofern der Druck zur Veränderung nicht zu groß wird, wird an den alten Verfahren festgehalten. So auch bei der Produktentwicklung. Doch heute ist der Druck so groß, dass die Unternehmen ihre Verfahren zur Produktentwicklung umstellen müssen. Heute haben wir einen Käufermarkt, das Angebot der Produkte übersteigt die Nachfrage. Unternehmen nahmen früher Kundenwünsche nur wahr, wenn sich die Kunden von sich aus an die Unternehmen gewendet haben. Jetzt steht das Angebot von Lösungen für den Kunden im Vordergrund. Hierfür sind tiefgehende Kenntnisse über den Kunden notwendig. Heute müssen Unternehmen aktiv auf die Kunden zugehen und jede Kontaktmöglichkeit zu ihnen nutzen. Denn hinter jedem Problem Ihrer Kundengruppe steht der Bedarf nach einer Lösung. Diese gilt es herauszufinden und in Form eines Produkts anzubieten. Letztlich entscheiden die Kunden über den Erfolg von Produkten. Und so bleibt nur ein Weg: Machen Sie die Kunden zum Motor Ihrer Produktentwicklung. Produktentwicklung früher bis heute 19 Die ersten Schritte Wie wäre es jeden Morgen mit einer fünfminütigen Aufwärmrunde mit Ihren Mitarbeitern? Stellen Sie sich und Ihre Mitarbeiter jeden Tag die Fragen: • »Was kann jeder von uns und wir gemeinsam heute tun, um die Bedürfnisse unserer Kunden zu befriedigen und ihnen das Leben so einfach und erfolgreich wie möglich zu machen?« • »Was ist heute mein persönlicher Beitrag für den Erfolg unserer Kunden?« • »Was haben unsere Kunden davon, dass es unser Unternehmen gibt?«. Unternehmen, die ihre Existenz langfristig sichern und wachsen wollen, sollten sich diese Frage täglich stellen. Denn der Kunde zahlt die Gehälter, er ist im Grunde der wirkliche Arbeitgeber. • »Würden wir unsere Produkte weiterempfehlen, wenn wir ein Kunde wären? Wenn nicht, wie müssten die Produkte sein, damit wir sie weiterempfehlen würden?« Und jetzt kommt der schwierigere Teil: die Antworten finden und diese umsetzen. Denn das ist die Existenzberechtigung eines jeden Unternehmens. Experten in der Produktentwicklung Bleibt die Frage, ob zur Produktentwicklung nicht lieber Experten herangezogen werden sollen. Die Experten, die sich wirklich mit der Materie und der Produktkategorie auskennen. Hierzu gibt es ein klares Nein, wenn es um die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden geht. Experten stecken so tief in der Materie und sehen die Produkte fast ausschließlich von der technischen Seite. Sie haben oft zu viel Hintergrundwissen, um sich in den Kunden hineinzuversetzen, und schaffen es dann nicht, die Expertenbrille abzusetzen. Außerdem haben viele Experten eine Vorliebe für einen bestimmten Bereich, den sie unbedingt im Produkt umgesetzt haben wollen. Bitte beachten Sie: Produkte werden von Kunden gekauft, die mehr oder weniger tiefgehendes Wissen zu dem speziellen Produkt haben. Technisch nicht merkbare oder nicht nutzwertige Eigenschaften sind für die Kunden unbedeutend. Experten können herangezogen werden, um zukünftige Treiber und Rahmenbedingungen der Kunden zu beschreiben, nachdem die Wünsche und Bedürfnisse sowie die weiter notwendigen 20 Praxishandbuch Produktentwicklung Informationen über die Kunden erfasst sind. Dann gilt es, ein Produkt zu entwerfen, das den Kundenwünschen entspricht. Aber Vorsicht! Die Experten sollen in diesem Stadium die Kundenwünsche umsetzen, und nicht »durch die Hintertür« die eigenen. Glück als Grund für erfolgreiche Produkte? Wenn andere Erfolg haben, heißt es immer: Die haben Glück gehabt. Hat ein Unternehmen ein geniales Produkt auf den Markt gebracht, eines, was ihm die Menschen aus den Händen reißen, war es dann nur Glück? In Ausnahmefällen wird tatsächlich Glück die Ursache gewesen sein. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch um das Ergebnis einer über mehrere Jahre erworbenen Marktkenntnis, die in ein Produkt umgesetzt wurde. Maximieren Sie nicht Ihren Umsatz pro Produkt, maximieren Sie den Umsatz pro Kunde In der Vergangenheit war es üblich, den wirtschaftlichen Erfolg im Unternehmen anhand des Umsatzes für die einzelnen Produkte darzustellen und sich entsprechende Ziele zu setzen. Produkte können in Massen erstellt werden, doch das Limitierende ist die Anzahl der Kunden. Das ist das Einzige, was wir meist nicht vermehren können. Somit ist alles auf den Kunden auszurichten. Die mit jedem Kunden (beziehungsweise mit jeder Kundengruppe) zu erreichenden Umsätze sind zu maximieren. Dieses ist durch Mehrfachverkäufe, Angebote zu höheren Preisen oder Verkauf mehrerer Artikel zu erreichen. Die vier Varianten vom Erstkauf zu Wiederkaufraten Ihr Unternehmen hat • eine hohe Quote an Erstkäufern des Produkts und eine hohe Quote an Wiederkäufern: Das ist das Optimum; • eine hohe Quote an Erstkäufern und eine niedrige Quote an Wiederkäufern: Das Produkt muss verbessert werden; • eine niedrige Quote an Erstkäufern und eine hohe Quote an Wiederkäufern: Das Produkt ist in Ordnung, die Werbung ist zu verbessern; Produktentwicklung früher bis heute 21 • eine niedrige Quote an Erstkäufern und Wiederkäufern: Das Produkt und die Werbung sind zu verbessern beziehungsweise das Produkt ist einzustellen. Sog statt Druck – oder: Wer läuft wem nach? Das Marketing geht davon aus, dass die Werbung und die Produkte dem Kunden und somit dem Geld folgen. Ist es für den Anbieter wirklich lohnend, sein Produkt dem Kunden aufzudrücken und ihm hinterher zu laufen? Es lohnt sich nicht, dem Geld (und somit dem Kunden) nachzulaufen, da Geld schneller läuft als jedes Unternehmen. Oder ist es besser, dass das Produkt dem Kunden so sehr bei einer Problemlösung hilft, dass er es unbedingt haben will? Dann läuft das Geld (also der Kunde) dem Anbieter und den Produkten nach. Das ist erfolgreicher und weitaus günstiger, weil nur geringe Werbekosten notwendig sind. Produkte werden heute immer mehr gekauft statt verkauft. Die Varianten der Produktentwicklung Es gibt mehrere Möglichkeiten, mehr Produkte zu entwickeln und zu verkaufen: • den Kunden bestehende Produkte im bisherigen Marktsegment weiterhin – meist mit immer größerem Werbedruck – anbieten. So soll erreicht werden, dass die Kunden häufiger kaufen beziehungsweise die Nichtkunden aus dem Marktsegment zu Kunden werden. Das Risiko ist sehr gering, der Erfolg entsprechend begrenzt; • bestehende Produkte einer neuen Kundengruppe anbieten, zum Beispiel durch Änderung der Werbung. Das Risiko ist gering, der Erfolg jedoch ebenfalls begrenzt; • bestehende Produkte im bewährten Marktsegment weiter optimieren, damit die Kunden bereit sind, mehr dafür zu bezahlen. Ein etwas höheres Risiko mit einem höheren Erfolgspotenzial; • Modifikation der bestehenden Produkte, um diese in anderen Marktsegmenten anzubieten. Hier ist das Erfolgspotenzial schon größer; • Entwicklung von Neuprodukten für die Kunden in bestehenden Marktsegmenten (Sortimentserweiterung). Das Risiko ist etwas größer, das Erfolgspotenzial ist jedoch ebenfalls hoch; 22 Praxishandbuch Produktentwicklung • Entwicklung von Neuprodukten für die Kunden in neuen Marktsegmenten. Das Risiko ist groß, das Erfolgspotenzial kann hier am höchsten sein. Die drei Entwicklungsstufen der Produktentwicklung: 1.Die Entwicklung der Produkte im Unternehmen anhand von eigenen Erfahrungen und Meinungen. Anschließend folgen die Produktion und die Werbung an ein breites Kundensegment; 2.die Entwicklung der Produkte im Unternehmen anhand von eigenen Erfahrungen und Meinungen. Anschließend folgen die Produktion einer geringen Stückzahl und ein Test der Verkaufbarkeit. Erst nach einem Erfolg folgen die umfassende Produktion und der Verkauf; 3.die Kunden werden bereits ab der ersten Phase der Produktentwicklung einbezogen. Aufgrund ihrer Bedürfnisse und Verhaltensweisen erfolgt die Entwicklung. Anschließend wird nach Möglichkeit ein Verkaufstest durchgeführt, ohne das Produkt zu diesem Zeitpunkt bereits erstellt zu haben. Sollten ausreichend Kunden das Produkt bestellen, wird eine kleine Stückzahl produziert und an die Besteller geliefert. Beta-Tester erhalten weitere Exemplare. Diese nehmen das Produkt kritisch unter die Lupe. Aus den Informationen dieser Testgruppe wird das Produkt weiter optimiert. Sofern die Nutzwertigkeit des Produkts von den BetaTestern bestätigt wird, erfolgt die flächendeckende Produktion. Dieses Verfahren hat zwei gravierende Vorteile: Die Produkte treffen besser den Bedarf der Kunden und finden später eine höhere Akzeptanz und falls ein Produkt doch einmal nicht so gut angenommen wird, ist der Schaden minimiert. Die »umgekehrte« Produktentwicklung Die Produktentwicklung beginnt heute mit dem Kundenkontakt. In Zeiten des Verkäufermarkts reichte es, zuerst ein Produkt zu produzieren. Anschließend wurde überlegt, welcher Kundengruppe es auf welchen Werbewegen angeboten werden kann. Der heutige und zukünftige Ablauf muss genau anders herum sein: zuerst die Kundengruppe kontaktieren, dann die Bedürfnisse und die möglichen Werbewege erkunden. Erst ganz zum Schluss wird das Produkt entwickelt und produziert. Der Vertrieb hat jetzt die Aufgabe, das Angebot erfolgreich zu verkaufen. Bereits vor dem ersten Verkaufsversuch steht fest, ob das Produkt »einschlägt« oder ein Ladenhüter wird. Bei einem mäßigen Produkt kann der Vertrieb nur noch Produktentwicklung früher bis heute 23 Schadensbegrenzung betreiben. Der in aller Regel mäßige Erfolg ist vorprogrammiert, der interne Ärger allerdings auch. Wie üblich gibt man sich gegenseitig die Schuld. Der Vertrieb beschuldigt die Produktentwicklung, da das Angebot sich nicht verkaufen lässt. Die Produktentwicklung hält den Vertrieb für unfähig. Auch wenn der Vertrieb noch so sehr geschult ist, kann er keine Wunder vollbringen. In der heutigen Zeit kaufen die wenigsten Personen Angebote, die sie nicht benötigen und von denen sie zudem »überrumpelt« wurden. Die Politiker reden sich nach ihren Wahlschlappen heraus: »Das Wahlprogramm war gut. Jedoch haben wir es nicht geschafft, es den Bürgern klar zu machen«. Mit anderen Worten: »Wir sind super, die Bürger sind nur zu blöd«. Vielleicht war das Programm einfach nur schlecht, oder die Bürger wurden von dieser Partei in der Vergangenheit zu oft belogen. Wenn es einer hier nicht kapiert hat, dann sind es die Politiker. Ob ein Produkt ein Erfolg oder ein Flop wird, bestimmen die Kunden. Entscheidend ist, welche Bedürfnisse die Personen haben und welchen Nutzen die Produkte dazu bieten. Warum also nicht diese Gruppe gleich in die Produktentwicklung mit einbeziehen? Die eigenen Mitarbeiter kaufen nur in den seltensten Fällen die eigenen Produkte. Somit sind deren Wünsche zu den Produkteigenschaften unerheblich. Lassen Sie sich in Ihrem Unternehmen nicht von den bunten Konzeptpräsentationen Ihrer Mitarbeiter blenden. Was zählt, sind die Meinungen der Kunden. Haben Sie schon mal Ihre Kunden zu einer Konzeptpräsentation eingeladen? Wenn nicht, was spricht dagegen? Außerdem finden die Veränderungen im Umfeld der Kunden so schnell statt, dass die Hersteller nicht mehr ohne laufende Informationen von den Kunden auf deren Bedürfnisse reagieren können und sie in die Produktentwicklung einbeziehen müssen. Egal, wie viele Mitarbeiter Sie in der Produktentwicklung haben und wie gut diese sind, gegen das Wissen Ihrer Kunden können diese nicht mithalten. Der Experte in der Produktentwicklung ist der Kunde, nicht der Mitarbeiter. Unternehmen werden nur noch zu »Hilfsmitteln« für die Erfüllung der Kundenbedürfnisse. Die Hauptaufgabe der Produktentwickler ist es, dem Kunden mit den Produkten bei der Problembeseitigung und Wunscherfüllung zu helfen. Je besser das gelingt, desto unentbehrlicher ist der Anbieter. Um wirklich die Bedürfnisse der Kunden zu ergründen, müssen diese Informationen direkt von den Kunden kommen, anstatt über externe Marktforschungsagenturen, Experten et cetera. Die durch diesen Zwischenschritt gefilterten Informationen sind subjektiv und führen häufig in die Irre. Wenn auch das Sammeln und Analysieren von Marktdaten 24 Praxishandbuch Produktentwicklung durch die heutige Technik einfacher geworden ist, bleibt die beste Quelle zur Produktentwicklung weiterhin der direkte Kontakt mit den Kunden in dessen Umfeld. Noch besser ist es, wenn der Produktentwickler einige seiner Kunden den ganzen Tag begleitet. Er wechselt in die Perspektive seiner Kunden, sieht mit den Augen seiner Kunden, hört mit ihren Ohren und fühlt wie sie. So ist zum Beispiel Birgit Mager, Professorin für ServiceDesign an der Köln International School of Design, mit ihrem Team in die Welt und den Alltag der Obdachlosen eingetaucht. Durch dieses Selbstexperiment, den Beobachtungen und den Gesprächen vor Ort, wurden die Bedürfnisse und Wünsche aus erster Quelle erfasst. Daraus entstand »Gulliver«, ein Aufenthaltsort für Obdachlose im Kölner Hauptbahnhof. Der Kunde wird immer mehr der Ausgangspunkt für die Produktentwicklung. Er wird zum Partner und Berater. Er nennt seine Probleme und Bedürfnisse, und die Anbieter lösen diese anschließend mit ihren Produkten. Jeder der Mitarbeiter in der Produktentwicklung muss die Fähigkeit besitzen, dem Kunden naiv zuzuhören, und auch überzeugt von dieser Vorgehensweise sein. Die Unternehmen, in denen die Mitarbeiter ihren Kunden am besten zuhören können, und diese Erkenntnisse anschließend in die Produktentwicklung umsetzen, werden den größten Vorsprung haben. In einer amerikanischen Hotelkette werden die Mitarbeiter geschult, auch die nicht artikulierten Wünsche der Kunden zu erfüllen. Kommt ein Gast verschnupft ins Hotel, wird ihm gleich eine heiße Brühe auf das Zimmer gebracht, ohne dass der Kunde den Wunsch geäußert hat. Den Bedarf dazu hat er sicherlich, ansonsten lehnt er diese Serviceleistung ab. Dieser Service bleibt ihm allemal positiv im Gedächtnis. Um dieses umsetzen zu können, sollten die Produktentwickler mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitszeit vor Ort beim Kunden verbringen. Und zwar – wie bereits erwähnt – ohne direkte Verkaufsabsichten. Bei 3M können die Mitarbeiter in der Produktentwicklung circa 10 Prozent ihrer Arbeitszeit für die Entwicklung eigener Produktideen nutzen. Jedoch sollten die Mitarbeiter die Zeit nicht am Arbeitsplatz verbringen, sondern direkt beim Kunden. Legen Sie in Ihrem Unternehmen fest, wie viel Prozent seiner Arbeitszeit Ihr Mitarbeiter in der Produktentwicklung nicht im Unternehmen sein »darf«, sondern beim Kunden sein muss. Gehen Sie auf die Probleme Ihrer Kunden zu. Grundsätzlich versuchen die Menschen, Problemen aus dem Wege zu gehen. In der Produktentwicklung bekommen die Hersteller jedoch mit dieser Einstellung selbst gravierende Probleme. Denn das Lösen von Problemen beim Kunden ist ihre Hauptaufgabe. Je größer die Probleme Ihrer Kunden sind, desto größer sind die Chancen für die wirklich kundenorientierten Unternehmen. Produktentwicklung früher bis heute 25 Um die Probleme der Kunden besser und früher lösen zu können als Ihre Wettbewerber, müssen Sie diese umgehend heraus bekommen. Bringen Sie vor dem Tag Ihres größten Erfolgs bereits die nächste Innovation Patienten merken in der Regel erst etwas von ihrer Krankheit, wenn die Organfunktion um über 70 Prozent gesunken ist, doch dann ist es meistens zu spät. Entsprechendes ist in den Unternehmen zu beobachten: gehandelt wird erst, wenn das Wasser bis zum Halse steht, doch dann ist die Motivation am Boden und kein Geld mehr für Investitionen vorhanden. Erfolgreiche Unternehmen gelten heute als erfolgreich, weil sie in der Vergangenheit die richtigen Maßnahmen eingeleitet haben. Das garantiert jedoch in keiner Weise, dass diese Unternehmen auch in Zukunft noch erfolgreich sein werden. Unternehmen feiern mittags den Höhepunkt des Wachstums und den größten Erfolg ihrer Firmengeschichte mit ihrem Bestseller und vergessen, dass es ab dem Nachmittag bergab geht, wenn nicht etwas geändert wird. Denn diese Unternehmen – die ja zu Recht erfolgreich sind – halten an den alten Zöpfen fest: »Das, was uns früher erfolgreich gemacht hat, macht uns auch in Zukunft erfolgreich«. Bereits in der Mitte der Wachstumsphase des Produktlebenszyklus sind Veränderungen einzuleiten, damit die nächste Innovation folgt. Denn zu diesem Zeitpunkt sind noch die notwendige Begeisterung der Mitarbeiter sowie die finanziellen Mittel vorhanden. »What goes up, must come down, we can not stop the wave, but we can learn to surf« (und zwar von einer Welle Abbildung 3: Produktentwicklung früher: In eine Innovation beziehungsweise einen Relaunch von Produkten wurden erst investiert, wenn die Lebenszykluskurve sank Umsatz neues Produkt break even Zeit 26 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 4: Produktentwicklung heute: Bereits in der Wachstumsphase muss in eine weitere Innovation beziehungsweise einen Relaunch investiert werden Umsatz neues Produkt break even Zeit zur nächsten), beschreibt Klaus Kobjoll die Suche nach Innovationen vor dem Höhepunkt. Wenn die tragende Welle weg und das Unternehmen auf Grund gelaufen ist, ist es fast immer zu spät für den Turnaround. Hier sei auf Unternehmen wie zum Beispiel Intel verwiesen, die zu jedem Zeitpunkt drei Entwicklungsstufen eines Produkts haben. Die älteste Produktvariante wird gerade verkauft, die zweite ist kurz vor der Markteinführung. Eine weitere Produktgeneration ist mitten in der Entwicklung. Intel stößt somit die eigenen Produkte durch die Nachfolger selbst vom Markt. Machen auch Sie sich selbst Konkurrenz. Viele Anbieter schlachten stattdessen Ihre Cash-Cows auch heute noch bis zum letzten Tropfen aus. Bloß nichts Neues auf den Markt bringen, was einem selbst Konkurrenz machen könnte. Und dann wird gejammert, wenn ein Quereinsteiger dieses Vakuum der Verbesserung nutzt. Damit Unternehmen langfristig erfolgreich sind, sind mindestens alle drei Jahre alle Produkte auf den Prüfstand zu stellen: wird immer noch der Kundenwunsch erfüllt – und zwar deutlich besser als von jedem anderen Anbieter? Wie ändern sich die Bedürfnisse in den nächsten ein bis drei Jahren je nach Branche? In einigen Branchen ist die Zeitspanne von einem Jahr schon viel zu kurz. Die drei großen Gefahren für die Marktführer Sogar die Marktführer müssen sich heute permanent anpassen, sonst sind sie morgen nur noch Mittelmaß und übermorgen bedeutungslos. Die drei großen Gefahren sind: Produktentwicklung früher bis heute 27 1.Die Bedürfnisse und Kundenerwartungen verändern sich und die bestehenden Produkte sind nicht mehr gefragt. Hier hilft nur der permanente Kontakt zu den Kunden, um diese Veränderungen zuerst zu erfahren und zu agieren, statt zu reagieren; 2.die Konkurrenten kopieren die Produkte. Hier unterstützen die emotionalen Elemente im Produkt die Kundentreue. Ebenso sind die Produkte laufend zu optimieren und durch einen Prozessmusterwechsel ganz neue Produkte anzubieten; 3.ein neuer Konkurrent aus einer anderen Branche befriedigt das Bedürfnis besser. Hier hilft auch nur, mit eigenen Innovationen das bestehende Sortiment selbst in Frage zu stellen und sich auf die Grundbedürfnisse der Kunden zu spezialisieren, anstatt auf eine Technologie oder einen Rohstoff. Kunden werden zu Beratern Procter & Gamble startete zu Beginn dieses Jahrtausends die Aktion »Not invented here.« Bei der Aktion ging es um mehr und bessere Ideen, nicht um Outsourcing zur Kostensenkung. 50 Prozent der Innovationen im Unternehmen müssen von außen kommen und auch umgesetzt werden. Das Ergebnis ist erreicht und die Floprate weit unter dem Branchendurchschnitt. Die Ideengeber und Entwickler sind für das Unternehmen tätig, ohne bei ihm angestellt zu sein. Honoriert wird über Geldprämien bei der Umsetzung der Ideen. Es gilt das Motto: »proudly found elsewhere«. Geologen von Goldcorp Inc. konnten nicht mehr bestimmen, wo in den Minen Gold lag. Es drohte die Schließung der Minen. So wurden alle eigenen geologischen Daten im Internet veröffentlicht und ein Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem Internetnutzer Hinweise gaben, wo sich das Graben lohnt. Gezahlt wurden schlussendlich Prämien von 500 000 US-Dollar, gefunden wurde Gold im Marktwert von drei Milliarden Dollar. Der Börsenwert des Unternehmens stieg zwischenzeitlich um den Faktor 100. Es zeigte sich wieder die Schwarmintelligenz: Die Masse ist immer klüger als einzelne Individuen. Die eigenen Forscher reichten in dieser wechselhaften Zeit nicht mehr, um die Position im Markt zu behaupten. Die Kunden haben fast immer ein Wissen und eine Intelligenz, die das der Hersteller um ein Vielfaches übersteigt. Arduino (www.arduino.cc) stellt Schaltkreise her. Um diese weiterzuentwickeln, werden die Baupläne hierzu ins Internet gestellt. Hier können Tüftler Verbesserungsvorschläge einbringen. 28 Praxishandbuch Produktentwicklung Es gibt bereits weitere Plattformen zum Ideenaustausch im Internet. So können Unternehmen beispielsweise auf der Seite der Open Innovation GmbH (www.atizo.com) Problemstellungen ins Netz stellen und von den Mitgliedern (hier Innovatoren genannt) lösen lassen. Bei Tchibo-ideas (www.tchibo-ideas.de) finden ebenfalls Problemstellungen des Alltags eine Lösergemeinschaft. Käufer fragen heute immer mehr Personen aus ihrem Umfeld, wenn es um Produktempfehlungen geht. Das sollten auch die Hersteller machen und die Kunden um Hilfe bitten, wenn es um Produktentwicklung geht. Machen Sie Ihre Kunden zu Ihren Beratern. Die Macht der Konzentration Produktentwickler sind wie Trüffelschweine. Es muss nicht der ganze Wald umgegraben werden, um etwas zu finden. Durch gezieltes Suchen und gezieltes Liegenlassen werden die Ideen in Produkte umgesetzt, die dem Kunden einen wirklichen Nutzen bringen und somit dem Anbieter den Erfolg. Zu viele Funktionen und Werbeargumente verwirren den Kunden. Weniger ist mehr. Beachten Sie die von den Kunden gewünschte Komplexitätsreduktion. Lieber drei Argumente – warum eigentlich nicht nur eines? – als eine Aufzählung von für den Kunden unbedeutenden Produkteigenschaften. Reduzieren Sie Ihr Angebot und die Eigenschaften Ihrer Produkte auf das Wesentliche aus Kundensicht. Bitte pressen Sie nicht alles in die Produkte, nur weil es technisch möglich ist. Effektiv bedeutet, die richtigen Dinge zu tun. Effizient bedeutet, die Dinge richtig zu tun. Leider wird heute immer noch mehr auf Effizienz geachtet. Doch die falschen Funktionen bei Produkten zu optimieren, bringt nichts, sie werden für die Kunden dadurch nicht nützlich und wichtig. Wichtiger ist es, dass die richtigen Funktionen im Produkt enthalten sind, auch wenn diese gegebenenfalls nicht ganz optimiert sind. Die Eigenschaften eines optimalen Produkts • Das Produkt liefert einen maximalen Nutzen für den Kunden; • einen gleichwertigen Nutzen können die Wettbewerber in den nächsten drei Jahren nicht liefern; • die Kunden nutzen das Produkt häufig; Produktentwicklung früher bis heute 29 • die Kunden nutzen das Produkt gern; • das Produkt deckt eine hohe Komplexität beim Kunden ab; • das Produkt trifft den größten Erfolgsfaktor, anstatt nur ein kleines Problem zu lösen, und ist somit ein Must-have-Produkt; • der Erfolgsfaktor bleibt in der nächsten Zeit mindestens auf dem gleichen Niveau; • es gibt große Treiber im Hintergrund; • die Kunden haben bei dem Problem eine hohe Lösungstiefe. Die Zuständigkeit von der Produktentwicklung im Betrieb Die Produktentwicklung ist Chefsache. Die Mitarbeiter in diesem Bereich müssen der Unternehmensleitung direkt unterstellt sein. Die oberste Leitung arbeitet im Tagesgeschäft der Produktentwicklung mit – zumindest teilweise. Eine dauerhafte Beschäftigung mit Strategien, Umstrukturierungen und Zahlen allein oder in Meetings ist passé. Der größte Stellhebel zum Unternehmenserfolg ist der Umsatz. Den erzielen Unternehmen nur mit guten Produkten. Sie müssen von der Produktneuentwicklung und Weiterentwicklung bestehender Produkte durchdrungen sein. Die Produktentwicklung muss zum Alltagsgeschäft in der Chefetage gehören. Häufig jedoch besteht die einzige Informationsquelle über die Basis am Kunden immer noch aus den »untergeordneten« Mitarbeitern. Und die erzählen nur das, was den Chef bei Laune hält, um selbst nicht in Stress zu geraten. Dagegen hilft nur eines: Auch das Topmanagement führt Marktgespräche. Kundenerfolgssteigerungsprogramme Die Gewinne sind das Ergebnis der Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Die Ursache sind gute Produkte, das Ergebnis sind die Gewinne. Warum nur versuchen viele Unternehmen genau den umgekehrten Weg? Denken Sie nicht mehr in Verkaufssteigerungsprogrammen oder Gewinnoptimierung nach dem Motto: hier den Werbedruck erhöhen, dort ein Sonderpreis. Diese Methoden sind ausgereizt und werden vom Kunden eher als eine Belästigung denn als eine Produktinformation empfunden. Heute ist ein völliges Umdenken gefordert. Die Anbieter müssen in Kundenerfolgssteigerungsprogrammen denken und – was noch wichtiger ist – auch so handeln. Da reicht es auch nicht mehr, nur das Problem des 30 Praxishandbuch Produktentwicklung Kunden zu kennen. Das ganze Umfeld des Kunden muss dem Anbieter bekannt sein, um Lösungen zu entwickeln. Erfolgreiche Anbieter sehen sich als Anwalt des Kunden. Hiermit meine ich nicht die Klientel der Juristen, die nur vom Unglück und von Streitigkeiten der Menschen lebt. Setzen Sie sich für die Interessen Ihrer Kunden ein und unterstützen Sie Ihre Kunden dort, wo Sie mit Ihren Produkten nur können, damit Ihre Kunden selbst bessere Geschäfte machen beziehungsweise besser leben. Machen Sie in erster Linie Ihre Kunden erfolgreich. Das ist für viele Unternehmen eine 180-Grad-Wendung des eigenen Geschäfts. Ein bisschen Ausrichtung auf den Kunden reicht nicht. Diese Ausrichtung muss im gesamten Unternehmen vollzogen werden, damit der Erfolg eintritt – von der Führungsspitze über die Produktion, den Vertrieb, den Kundenservice bis hin zum Pförtner. Krisen Wenn die Konjunktur schwächelt, gehen viele Unternehmen zur Konsolidierung und anderen Ansätzen der Kostensenkung über. Es wird gespart, wo es nur geht, was häufig mit Personalabbau verbunden ist. Innovationen, Weiterbildung sowie Neuproduktentwicklungen und damit verbundene Investitionen bleiben meist als erstes auf der Strecke. Mit diesen schmerzhaften Konsolidierungsmaßnahmen wird dann versucht, den Gewinn kurzfristig zu halten und die Krise in der Erwartung des Aufschwungs zu überstehen. Doch wie lange bleiben die so geführten Unternehmen noch marktfähig? Das Kostenbewusstsein ist sicherlich für alle Unternehmen eminent wichtig. Wenn dadurch jedoch die Produktentwicklung auf Eis gelegt wird, verlängert sich zwar noch der Lebenszyklus des Unternehmens, doch die Entfernung zum Point of no Return geht gegen Null. Kosteneinsparungen bei fehlenden Investitionen sind keine funktionierenden Unternehmenskonzepte. Die Umsatzsteigerung ist der größere Stellhebel zur Rentabilität. Gewinneinbrüche sind meist Umsatzkrisen, keine Kostenkrisen. Die Kosten lassen sich nur bis zu einem bestimmten Grad senken, dann ist Schluss. Die Umsatzsteigerung ist nach oben hin offen. Es gibt keine stagnierenden Märkte, nur eine stagnierende Produktentwicklung. Schuld am Umsatzrückgang haben immer nur die Anderen: die Billiganbieter aus Fernost, die Regierung, der Wettbewerb, die Konjunktur und insbesondere der »dumme« Kunde, der unfähig ist, die »genialen« Produkte zu schätzen. Meist liegt die Ursache jedoch bei den Produkten, Produktentwicklung früher bis heute 31 die den Kunden nicht einen so großen Nutzen bieten, dass sie bereit sind, einen Preis dafür zu zahlen. Differenzierung Die Steinzeitmenschen kannten früher zwei Arten der Reaktion, wenn sie auf ein fremdes Lebewesen stießen: angreifen oder flüchten. Diese beiden Möglichkeiten bestehen auch heute noch im dicht gedrängten Wettbewerb. Entweder man meidet einen Markt beziehungsweise zieht sich daraus zurück, weil der Wettbewerb zu stark ist. Dann hat man allerdings auch nichts verkauft. Oder man bietet dem Wettbewerb die Stirn und greift frontal an. Dann hat das Unternehmen mehr Erfolg. Maximal gewinnt dabei der »Sieger«. Häufig verlieren alle beteiligten Unternehmen. Der Verdrängungswettbewerb endet häufig mit Vernichtung. Neben den Unsummen von Werbegeldern kommen die Mitarbeiter oft auf die »geniale« Idee, die Preise des Gegenübers zu unterbieten. Doch mit genau diesem Schritt reagiert auch der Mitbewerber und somit dreht sich die Spirale für alle Anbieter nach unten. Die dritte und wirkungsvollste Methode ist die eindeutige Differenzierung von den Wettbewerbern: different or die. Meiden Sie die Konfrontation mit Ihren Wettbewerbern. Seien Sie aus Kundensicht anders und besser als Ihre Mitbewerber. Befriedigen Sie die Bedürfnisse Ihrer Kunden wirkungsvoller und wenn möglich auf eine ganz andere Art und Weise. Der Wettbewerb der Zukunft wird in den Köpfen der Kunden ausgefochten. Differenzieren Sie sich so weit, dass es auch Ihre Kunden wahrnehmen. Meist sind die Unterschiede konkurrierender Produkte so marginal, dass diese nur von den Produzenten erkannt werden. Wenn Sie aus der Sicht Ihrer Kunden keine positive Differenzierung in Ihrem Angebot haben, dann geht es nur noch über den Preis. Und das nur so lange, bis ein vergleichbarer Anbieter einen noch günstigeren Preis bietet. Von Gewinn und Rendite kann bei diesen Schritten keine Rede mehr sein. Verlassen Sie die Vergleichbarkeitsfalle. Schaffen Sie mit Ihren Produkten eine neue Kategorie. Schaffen Sie nicht kleine Unterschiede zur Konkurrenz, sondern landen Sie den großen Wurf: Apple hat mit seinem iPod eine neue Kategorie von mp3-Playern erschaffen und ist Marktführer, obwohl der iPod der teuerste mp3-Player ist. Starbucks ist nicht nur ein weiterer Coffee-Shop, sondern platziert sich als »Dritter Ort« zwischen Arbeit und den eigenen vier Wänden. Stoßen Sie in eine neue Nutzendimension vor. Auch als kleiner Anbieter können Sie eine neue Dimension schaffen, indem Sie 32 Praxishandbuch Produktentwicklung sich auf den Hauptnutzen konzentrieren und diesen in den Fokus stellen. Wenn Ihr Unternehmen den Kunden nicht die optimale Lösung liefert, wird es sicherlich ein anderer Hersteller gerne für Sie übernehmen. Unterschiedliche Eigenschaften und Differenzierungen der Produkte werden auch unterschiedlich von den Kunden wahrgenommen, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Einige Eigenschaften und Differenzierungen fallen ins Auge und sind kaufentscheidend, andere fallen auf und sind für den Kauf nicht von Bedeutung. Und einige sind so marginal und so versteckt, dass sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle sind und der Kunde dieses bei der Auswahl beziehungsweise bei der Nutzung des Produkts nicht wahrnimmt beziehungsweise gar nicht wahrnehmen kann. Tabelle 2: Unterschiedliche Kundenwahrnehmung Differenzierung wird positiv wahrgenommen Differenzierung wird neutral oder negativ wahrgenommen Differenzierung oberhalb der Wahrnehmungsschwelle Hierauf konzentrieren (Feld 1) Weglassen und Kosten senken. Investition für Feld 1 nutzen Differenzierung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle Weglassen und Kosten senken. Investition für Feld 1 nutzen Weglassen und Kosten senken. Investition für Feld 1 nutzen Müssen neue Marktsegmente her? Nicht unbedingt. Viele erfolgreiche Unternehmen platzieren ihre Neuprodukte innerhalb ihres Kernsegments in den bestehenden Branchen, indem die Neuprodukte den Nutzen signifikant besser treffen als die Produkte der Mitbewerber. Es gelingt häufig, durch Nutzeninnovation der bestehenden Branchen ganz neue Märkte zu schaffen, zum Beispiel die CD als Innovation zu den Schallplatten. Ein Produktentwickler muss auch mal »nein« sagen Investieren Sie nur in die Produkte, bei denen Sie wirklich einen Nutzen für Ihre Kunden sehen und einen deutlichen Bedarf erkennen. Manchmal ist die beste Produktentwicklung diejenige, die man unterlässt und nicht umsetzt. Führungskräfte werden auch für das Neinsagen bezahlt. Produktentwicklung früher bis heute 33 Neue Wege auch für Internetbuchungen möglich L’TUR hat das bedürfnisorientierte Produktangebot auch für Internetbuchungen eingeführt: Die alte angebotsorientierte Suche Der Kunde muss seine Bedürfnisse selbst in Angebotsmerkmale umsetzen und für sich sein gewünschtes Reiseziel wählen. Er hat dann den Ort und meist schon das Hotel ausgesucht, dann prüft er im Internet oder fragt im Reisebüro nur noch nach, ob das Hotel zur gewünschten Zeit frei ist und welche Konditionen gelten. Die neue bedürfnisorientierte Suche Der Kunde trägt im Internet seine Bedürfnisse (vier Gruppen) und Lebensphase (Auswahl aus sechs) ein und wählt aus fünf übergeordneten MotivClustern aus. Seitens des Anbieters werden diese Informationen in eine Bedürfnisstruktur umgesetzt und daraus Angebotsmerkmale abgeleitet. Der Kunde erhält daraufhin Vorschläge zu Urlaubszielen. Die im System hinterlegte Zuordnung der einzelnen Reiseziele zu den Bedürfnissen der Kunden wurde zuerst über die eigenen Einkäufer an den Reisezielen erstellt, später über Zufriedenheitsbefragung der Kunden verfeinert. Denn bei den über dieses System gebuchten Reisen wird am Ende die Zufriedenheit erfragt und dieses mit den Parametern der Datenbank abgeglichen, um die Verknüpfung der Bedürfnisse zu den Urlaubszielen laufend zu optimieren. Dieses System brachte mehr Buchungen pro Zugriffe auf die Internetseite und führte die Kunden zu Zielen, an die sie sonst gar nicht gedacht hätten. So ein System, das die Wahrscheinlichkeit der Buchungen steuert, sollte jedoch nur dazu dienen, die Angebote nach den Bedürfnissen auszurichten – und nicht, um Ladenhüter zu verramschen. Aus welchen Gründen wird diese Reihenfolge nicht auch bei den Anbietern von Computern gewählt? Da kann der Kunde nur zwischen privat und geschäftlich wählen und muss sich die Elemente selbst zusammenstellen. Wie wäre es, wenn die Kunden gefragt werden, wofür der PC benötigt wird (Textverarbeitung, Bildbearbeitung, Urlaubsvideos zusammenstellen et cetera) und erst aufgrund dieser Informationen die technischen Möglichkeiten zusammengestellt werden? 34 Praxishandbuch Produktentwicklung Erweitern Sie Ihre Kundendatenbank Wenn Sie nur wenige Kunden haben, dann sollten die Parameter bei allen Kunden ausgefüllt sein. Diese sind Folgende: • Bestehende Daten (Anschrift, was gekauft, wann gekauft et cetera); • Rahmenbedingungen, Tätigkeiten, Aufgaben, Probleme, Erfolgsfaktoren bei den Kunden; • Zeitpunkt und Art der Kundenanfragen; • Grund der Beschwerde; • Gründe für die Produktwahl; • Nutzung des Produkts (wo, in welchen Situationen, mit welchem Ziel?); • Erwartungen an das neue Produkt; • Verbesserungsvorschläge vom Kunden; • ist eine Bereitschaft zu Marktgesprächen vorhanden? Auch die eigene Homepage ist ein Produkt Auch der eigene Internetauftritt ist ein Produkt. Somit sind auch hier vorab die Bedürfnisse zu erfassen, die technische Ausstattung und das Nutzungsverhalten der Kunden abzuklopfen. Die Praxis in vielen Unternehmen sieht leider anders aus. Ein externer Anbieter wird ausgewählt, der die Technik beherrscht, nur leider von Ihren Kunden nichts versteht. Heraus kommen Einheitsseiten. Kalkuliert werden maximal die Kosten, die später meist aus dem Ruder laufen. Eine Berechnung des Return of Investment wird nicht für nötig gehalten. Spätestens nach einem Jahr sind dann alle im Jammertal angekommen: Die Anzahl der Zugriffe ist zu gering, es gibt zu wenig Bestellungen. Und dazu kommen noch die hohen Wartungskosten. Die Homepage ist ein Produkt wie jedes andere auch. Nur kommen die Wenigsten auf die Idee, vorab mit ihren Kunden Gespräche hierüber zu führen. »Viel zu aufwändig« sagen da viele. Nur: Welche Summen werden in Homepages vielfach versenkt? Produktentwicklung früher bis heute 35 Gegenüberstellung: Traditionelle und zukünftige Produktentwicklung Tabelle 3: Strategie der traditionellen und zukünftigen Produktentwicklung Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Alle Ketten der Wertschöpfung befinden sich im eigenen Unternehmen (Entwicklung, Herstellung, Werbung/Marketing, Vertrieb, Service, …) Unternehmen konzentrieren sich auf den Teil mit der größten Wertschöpfung. Als erstes wird meist die Produktion ausgelagert Konzentration auf die Optimierung interner Prozesse zur Senkung der Herstellungskosten und Produktivitätssteigerung. Dieses sind Wettbewerbsvorteile Optimierung des Nutzens bei den Kunden steht an erster Stelle. Wettbewerbsvorteil Nummer eins ist die Nutzenmaximierung für die Kunden Produktbezogene Definition des Kerngeschäfts. Das Kerngeschäft ist die Herstellung von Produkten Das Kerngeschäft ist die Bedürfnisbefriedigung Produktentwicklungsinnovation an den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Anbieters ausgerichtet Innovation am Kundennutzen ausgerichtet Besitz von Anlagen und Rohstoffen, die Finanzkraft entscheidet Es zählt der Zugang zu Netzwerken (Lieferanten, Kunden, …) und somit entscheidet der Besitz von Informationen. Der Anbieter, der im Zentrum des Netzwerks (oder zumindest an einem Knotenpunkt) steht, hat die größte Einflussmöglichkeit Lange Lebenszyklen erlauben es, mit einer guten Produktidee für die nächsten zehn Jahre unverändert auf dem Markt zu bleiben (»ewige« Longseller) Die Produktlebenszyklen werden immer kürzer, die Konkurrenz kopiert immer schneller. Somit müssen bestehende Produkte laufend optimiert werden und neue Produkte hinzukommen Lange Entwicklungsphasen für Neuprodukte Schnelle Entwicklung ist Grundvoraussetzung, zum Beispiel wurde die Entwicklungszeit in der Automobilindustrie in den letzen zehn Jahren halbiert Denken in Umsatzsteigerungsprogrammen Denken in Nutzenmaximierung für den Kunden Hersteller auf der einen Seite, Kunden auf der anderen. Jeder hat klar voneinander getrennte Interessen Kunden und Hersteller wachsen zusammen. Die Interessen überschneiden sich Funktionsspezifisches Unternehmensorganigramm Kundenspezifisches Organigramm 36 Praxishandbuch Produktentwicklung Tabelle 4: Reihenfolge in der Produktentwicklung und in der Produktion Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Konzepte und Impulse der Produktentwicklung kommen von den Mitarbeitern. Genies im Elfenbeinturm entwickeln Produkte ohne Kontakt zu den »gewöhnlichen« Kunden Impulse der Produktentwicklung kommen von den Kunden Die Idee wird innen entwickelt, anschließend erfolgt die Produktion, dann wird ein Kundensegment gesucht und abschließend überlegt, mit welchem USP geworben werden kann. »Make and sell« (Produzieren und dann einen Markt zum Verkauf suchen) war die Devise Erst Marktsegmentierung, anschließend die Bedürfnisse der Kunden erfahren, dann USP und Perspektiven festlegen, das Produkt im Markt testen und erst abschließend erfolgt die Produktion. »Sense and respond«, also Kundenwünsche aufspüren und dann umsetzen, zählt Unternehmen steuern mit ihren Produkten die Kundenerwartungen (oder glaubten es zumindest) Kundenbedürfnisse steuern die Produktentwicklung der Hersteller Produktentwicklung früher bis heute 37 Tabelle 5: Ideen für die Produktentwicklung Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Wenn Marktforschung eingesetzt wird, dann meist sekundäre Primäre Marktforschung steht im Vordergrund Maximal quantitative Marktforschung (meist Fragebögen) Neben quantitativen Erhebungen überwiegend qualitative Marktforschung. Alle Kanäle werden systematisch genutzt, hauptsächlich die Varianten mit persönlichem Kontakt Einstellung der Mitarbeiter: Nur wir wissen, was der Kunde braucht. Anregungen/Wünsche von den Kunden werden skeptisch betrachtet bis abgelehnt Von außen kommende Informationen werden aufgesogen und zählen mehr als interne Meinungen und Ideen Mitarbeiter in der Produktentwicklung sind Musiker, die selbst etwas entwickeln Mitarbeiter in der Produktentwicklung sind Dirigenten, die aus den Einzelinformationen der Kunden ein vollendetes Ganzes kreieren Produktentwicklung beschränkt sich auf die entsprechende Abteilung, der Verkauf muss nur verkaufen Alle Mitarbeiter (insbesondere die mit Kundenkontakt) werden in die Produktentwicklung einbezogen und sammeln Informationen von den Kunden Kunden sind passive Empfänger der Informationen, der Werbung und des Angebots. Nur Anbieter in der Werbung und im Verkaufsprozess haben Kontakt mit den Kunden Regelmäßiger Kontakt mit den Kunden Kontakt zum Kunden nur mit dem Ziel des Verkaufs Kontakt zum Kunden mit dem Ziel, Informationen für die Produktentwicklung zu erhalten und für den Verkauf Informationen von Kunden werden überwiegend zur Verkaufsunterstützung herangezogen Informationen über Kunden werden überwiegend für die Optimierung in der Produktentwicklung genutzt Anbieter entscheiden, welche Informationen der Kunde erhält und in welchem Umfang die Kunden sich untereinander austauschen Kunden besorgen sich die Informationen, die sie wollen, und tauschen sich außerhalb des Unternehmens untereinander aus 38 Praxishandbuch Produktentwicklung Tabelle 6: Kundennutzen und -erwartungen Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Kunden sind die Zielgruppe Kunden sind Partner. Gemeinsam wird der Wert erschaffen Hersteller bestimmen, was der Kunde zu brauchen hat Kunden entscheiden, was sie wollen Rationalität gewinnt Emotion (Story, dreams come true) und Design schaffen den Vorsprung Kundenzufriedenheit reicht aus Kundenbegeisterung und Kundenverblüffung sind Pflicht Kunden geben sich mit Produkten zufrieden Es werden Lösungen verlangt Kunden haben sich dem Produkt anzupassen Das Produkt passt sich den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Kunden an Kunden sind berechenbar und durchschaubar Kunden sind spontan, individuell und »chaotisch« Langsame Veränderungen der Bedürfnisse bei den Kunden Alles in Lichtgeschwindigkeit Innovation ist das, was anders ist. Innovation der Innovation wegen (ohne dass der Kunde diese Veränderung honoriert) Innovation ist das, was dem Kunden deutlich mehr nützt und wozu er zu zahlen bereit ist Produktentwicklung früher bis heute 39 Tabelle 7: Technik Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Technologie gilt als Wettbewerbsvorteil Erfüllung der Kundenbedürfnisse machen den Unterschied Mitarbeiter mit technischen Innovationen werden belohnt Was zählt, ist der Erfolg beim Kunden Mitarbeiter in der Produktentwicklung sind Techniker Mitarbeiter in der Produktentwicklung kommen aus dem Marktsegment. Mitarbeiter im Unternehmen bilden ein Abbild des Marktsegments Technik und Funktionen bestimmen den Wert des Produkts Nutzen bestimmt den Wert des Produkts Produkte werden gemäß den technischen Möglichkeiten geschaffen Funktionen und Technik werden nur dort eingesetzt, wo es den Kunden Nutzen bringt und der Kunde auch zahlt Konzentration auf Technologie (Plattenspieler, Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen) oder Rohstoffe Konzentration auf ein konstantes Bedürfnis (Musik hören in den eigenen vier Wänden, saubere Wäsche, sauberes Geschirr) Innovationen sind technisch basiert Nutzeninnovationen Kunden passen sich an die Technologie an Die Technologie passt sich den Kunden an Das Produkt steht im Vordergrund Das Produkt ist eine Problemlösung und Bedürfnisbefriedigung für eine definierte Interessensgruppe Je mehr Funktionen desto besser, es gilt die Komplexitätsmaximierung. Kompliziert gilt als hochwertig Weniger ist mehr. Einfach ist genial. Reduktion auf das Wesentliche, Komplexitätsreduktion zählt Inside-out-Thinking: technikgetrieben Outside-in-Thinking: bedürfnisgetrieben IT: Schwerpunkt auf Technologie, nicht auf Information IT: Schwerpunkt auf Information, nicht auf Technologie 40 Praxishandbuch Produktentwicklung Tabelle 8: Verkauf Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Kunden sind passiv und werden von den Verkäufern »gejagt« Kunden sind aktiv und entscheiden immer weniger aufgrund von Verkaufsdruck Trial-and-error-Verfahren, bei dem viele Ideen gesammelt und dann auf den Markt »geschmissen« werden Punktschießen Verkäufermarkt: Nachfrage ist größer als das Angebot Käufermarkt: Angebot ist größer als die Nachfrage Marken werden durch Werbung erzeugt Marken werden durch Erlebnisse der Kunden und Geschichten der Kunden untereinander zum Produkt und zum Unternehmen erzeugt Produkte werden lokal angeboten, internationale Produkte mit Zeitverzug Neue Produkte sind sofort weltweit verfügbar Konkurrenz nur aus der Branche Quereinsteiger werden zu Marktführern, teilweise mit Alternativlösungen, die das gleiche Problem deutlich besser lösen Tabelle 9: Preis Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Differenzierung über den Preis Differenzierung über die einzigartige Bedürfnisbefriedigung Mittleres Preissegment Low Price oder high Price Der Wert eines Produkts entsteht durch das Produkt selbst Ein Produkt ist nur noch die physische Hülle einer geistigen Idee. Der Wert entsteht durch den Nutzen Produktentwicklung früher bis heute 41 Tabelle 10: Prozesse und Produktion Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Prozessoptimierung Optimierung des Kundennutzens Anbieter beschränken sich bei der Produktentwicklung auf das, was ihnen selbst zur Verfügung steht und was sie am besten können Ideallösungen für den Kunden werden erstellt (zur Not durch Kooperation mit anderen Anbietern) Produktion auf Halde, da es nur wenige Variationen gibt Produktion on demand, da immer mehr Individuallösungen verlangt werden Tabelle 11: Marktsegmentierung Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Massenzielgruppe als Kunden, big is beautiful. Ein Produkt für viele. Das Produkt wird für den Durchschnittskunden entwickelt. Diese Standardausführung liefert durchschnittlichen Nutzen für viele Konzentration auf ein kleines Kernsegment, lieber Hecht im kleinen Karpfenteich. Das individuelle Produkt wird so weit es geht für individuelle Bedürfnisse entwickelt. Somit maximaler Nutzen für Wenige. One-to-one-Lösungen werden erwartet Marktvolumen gilt als Grenze des Wachstums Die Nichtkunden der Branche warten nur auf eine bessere Lösung. Diese Gruppe ist meist viel größer. Ebenso die Kunden aus anderen Branchen Kunden werden in Zahlenwerten ausgedrückt (Alter, Einkommen) Der Mensch mit seiner Lebenswelt steht im Mittelpunkt Klassische Segmentierung nach Gruppen (soziodemografisch, geografisch, …) Segmentierung nach unterschiedlichen Interessensgruppen Tabelle 12: Gewinn Traditionelle Produktentwicklung Zukünftige Produktentwicklung Viele Anbieter machen ganz gute Geschäfte und Gewinne, gute Produkte erwirtschaften gute Ergebnisse »The Winner takes it all«. Der Marktführer streicht mit großem Abstand den größten Gewinn ein, wenige machen noch ganz akzeptable Gewinne und viele keine Gewinne bis hin zu Verlusten. Wie bei einem Pferderennen oder 100-MeterSprint entscheidet eine Nasenlänge Vorsprung über Sieg und Niederlage. Der Gewinner erreicht diese Position nicht mit einem Durchschnittsprodukt, sondern mit Spitzenprodukten 42 Praxishandbuch Produktentwicklung Geistreiches und Zitiertes »Mit Werbung ist es wie mit der Musik. Wenn irgendwelche Intellektuellen sich künstlerisch ausleben, geht das voll in die Hose. Wer die Leute erreichen will, muss den Geschmack treffen und gute Unterhaltung abliefern.« Dieter Bohlen »Der Schreibtisch ist ein gefährlicher Ausguck.« John Le Carré »Das Internet bietet viele Beispiele für Firmen, die mit Hilfe von Technologien besser wurden als die Konkurrenz – und für jede Menge Unternehmen, die sich in die Technologie verliebten und darüber die wirklichen Wünsche ihrer Kunden aus den Augen verloren.« Patrick Barwise und Seán Meehan in Simply Better »Wenn man die Forschung nur den Ingenieuren überlässt, hätte man perfekt funktionierende Petroleumlampen, aber keinen elektrischen Strom.« Albert Einstein »Und die Kunden? Sie belohnen Konformität und Vergleichbarkeit des Angebots mit der Höchststrafe: Die Kaufentscheidung fällt nur noch über den Preis.« Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking »Früher haben wir gedacht, wir erziehen das Publikum. Heute wissen wir, dass wir dem Publikum folgen müssen. Wenn wir spüren, was das Publikum bewegt, und diese Themen auf die Bühne bringen, sind wir erfolgreich.« Maik Klokow »Wenn wir nicht von den Kunden gelenkt werden, werden es unsere Autos auch nicht.« Führungskraft bei Ford Redner vor Gruppe: »… und außerdem arbeitet unsere Konkurrenz mit unlauteren Mitteln: Sie passt ihre Produkte bedenkenlos den Kundenwünschen an!« Cartoon aus Blick durch die Wirtschaft »Der Begriff ›Lernende Organisation‹ impliziert, dass man sich auch unangenehmen Dingen stellt. Wenn es sich jeder behaglich macht, lernt niemand etwas.« Don Lehmann Produktentwicklung früher bis heute 43 »Wenn Sie nicht genau sagen können, was Sie zum Erfolg Ihres Unternehmens beitragen, sind Sie draußen.« Tom Peters in Der Innovationskreis. (Dies gilt auch für Ihr Unternehmen und somit für Sie aus der Sicht Ihrer Kunden: Wenn Sie nicht genau sagen können, was Sie zum Erfolg Ihres Kunden beitragen, wird Ihr Unternehmen in naher Zukunft vom Markt verschwinden. Und dann sind Sie auch draußen!) »Was macht Sie so s-e-h-r besonders? So besonders, dass niemand Ihnen das Wasser reichen kann? Ich hoffe, Sie haben darauf eine gute Antwort.« Tom Peters in Re-imagine! »Es gibt jemanden, der kann uns alle – auch mich als Chef – jederzeit kündigen. Das ist unser Kunde.« Sam Walton »Wenn der Kunde erkennt, dass er einen entscheidenden Nachteil hat, wenn er nicht bei Ihnen kauft, sondern woanders, dann beginnt er in Ihre Richtung zu laufen. Und mit ihm auch sein Geld. So einfach ist das.« Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie »Denn es gibt nur eine einzige Gruppe von Menschen, die Ihnen Geld bringt, das Sie nicht zurückzahlen brauchen. Das sind die Kunden. Nicht die ­Banker.« Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie »Der Einzelhandel steht kurz vor dem Aus, und das hat nichts damit zu tun, dass möglicherweise die Einkommen zu niedrig sind oder die Wirtschaft am Stock geht. Der Grund liegt einzig und allein in der weiten Verbreitung der Doppelgängerprodukte.« Tom Peters in Der Innovationskreis »Der fehlende Bezug des Topmanagements zum Markt ist das größte Problem in der Wirtschaft.« Jack Trout in Trout über Strategie »Solange die Ingenieure so arrogant glauben, dass ihre Technologie genau das ist, was der Markt braucht, so lange werden die Produkte fehlschlagen.« Koichi Tanaka 44 Praxishandbuch Produktentwicklung »Wer den Kunden kennt, hat den Erfolg. Ohne Information über die eigenen Kunden ist ein Unternehmen verloren.« Hannes Kunz in Beziehungsmanagement »Fachidiot schlägt Kunden tot.« Verkäuferspruch »Das berühmte Bauchgefühl kann sehr schnell einem Lotteriespiel gleichen, dessen negative Folgen allerdings nicht nur ein verlorener Gewinn, sondern auch ein dauerhafter Verlust sein kann.« Norbert J. Heigl in Schnellkurs Marktforschung »Der Mensch lässt sich leichter von den Dingen überzeugen, die er selbst gefunden und erfunden hat, als von denen, die ein anderer gefunden hat.« unbekannt »Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.« Albert Einstein »Innovationen ohne Nutzen sind gewöhnlich technologiebasiert, futuristisch oder Marktpioniertum und schießen oft über das hinaus, was die Käufer zu akzeptieren und zu bezahlen bereit sind.« W. Chan Kim und Renée Mauborgne in Der blaue Ozean als Strategie »Marketing ist Chefsache und Sache aller Führungskräfte. Daher braucht das Unternehmen keine Marketingabteilung.« Dieter Brandes in Einfach managen »Don’t worry about what is best for the company. Worry about what is best for the customer!« Gary Comer »If you don’t listen, you don’t sell anything.« Carolyn Marland »Wenn es doch nur 6 Prozent der besten Marken mithilfe der mittlerweile hoffnungslos veralteten Strategie, uns permanent auf ihre mittelmäßigen Produkte aufmerksam zu machen, gelungen ist, einen Platz auf dieser Liste [»Die besten Marken weltweit«, ermittelt von Interbrand] zu erobern, wieso in aller Welt sollte diese Strategie dann bei Ihrem Unternehmen funktionieren?« Seth Godin in Purple Cow Produktentwicklung früher bis heute 45 »Stell dich nicht hin, wo ein anderer schon steht.« Regel der Messdiener »An die Stelle des Tauschverfahrens (Ware gegen Geld) tritt das gemeinsame Gestalten.« C. K. Prahalad und Venkat Ramaswamy in Die Zukunft des Wettbewerbs »Wer es in den nächsten Jahren nicht schafft, eine Marke zu werden, der überlebt nicht.« Lovro Mandac »Tauchen Sie ein, damit Sie nicht untergehen. Sorgen Sie dafür, dass nicht nur das Topmanagement und die Vertriebs- und Marketingabteilung, sondern das Unternehmen als Ganzes regelmäßig in den Markt eintaucht. Je öfter alle das tun, desto erfolgreicher wird eine kundenorientierte Grundhaltung aufgebaut werden. Für den direkten Marktzugang des gesamten Unternehmens von der Spitze bis zur Basis gibt es einfach keinen Ersatz.« Patrick Barwise und Seán Meehan in Simply Better »Es gibt noch Politiker, die wissen wollen, wie ›normale‹ Menschen leben und arbeiten. Heute steht der Bundestagsabgeordnete Laurenz Meyer in Lünen als Tankwart an einer Tankstelle […].« Bild Zeitung vom 14.09.2005 über die Aktion »Praktikum für Politiker« »Innovationen der Innovationen willen ist unsinnig, aber konsequente Innovationen zur Verbesserung der Leistungen in Bezug auf kategorie-spezifische Vorteile sind eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg.« Patrick Barwise und Seán Meehan in Simply Better »Was tun, wenn der Kunde nicht kaufen will: … Gib ihm, was er will, dann kann er Dir geben was Du willst.« Paul Arden in Es kommt nicht darauf an, wer Du bist, sondern wer Du sein willst »Viele deutsche Zeitungsverlage verpassen die Chance auf höhere Umsätze, weil sie zu wenig über die Vorlieben ihrer Leser wissen. Jeder dritte Verlag sieht sich beim Kundenbeziehungsmanagement ›schwach‹ aufgestellt und kennt meist nur die Adressen seiner Abonnenten.« Handelsblatt.com, 26.01.2005 46 Praxishandbuch Produktentwicklung »Das Reporting wird ständig ausgeweitet, der damit verbundene Aufwand nimmt enorm zu. Es ist zu befürchten, dass mancher Manager glaubt, den Markt anhand von Reportauswertungen verstehen zu können.« Dieter Brandes in Einfach managen »Indem Sie sich die Energie der Massen zunutze machen, können Geschäftsleute bessere Entscheidungen treffen und größere Gewinne einstreichen.« Barry Libert und Jon Spector in Viele wissen mehr als einer »Wir erleben gerade das Self-Empowerment des mündigen Konsumenten. Wer zukünftig mit dem kritischen Konsumenten ins Geschäft kommen möchte, muss ihn in seinen Bedürfnisstrukturen noch genauer verstehen lernen.« Matthias Horx Produktentwicklung früher bis heute 47 Kapitel 3 Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service Die Tücken der Strategie »Strategie ist das, was Sie einzigartig macht und die beste Methode ist, Ihre differenzierenden Ideen im Gedächtnis Ihrer bestehenden und potenziellen Kunden zu verankern«, sagte Jack Trout. Alle anderen Formen der Strategie sind nur wertlose Papierberge. Die wirkungsvollste und kürzeste Strategie ist immer noch diese: Stellen Sie den Kundennutzen in den Mittelpunkt. Bieten Sie Ihren Kunden die Möglichkeit, im Beruf erfolgreicher zu sein und/oder im privaten Bereich besser zu leben. Und das bitte für den Kunden nachweisbar! Kennen alle Ihre Mitarbeiter den Nutzen Ihrer Produkte für den Kunden? Testen Sie doch bitte mal: Fragen Sie zehn Mitarbeiter (Kundenservice, Produktentwicklung, Vertrieb, Vorstand et cetera) aus unterschiedlichen Abteilungen: »Was hat der Kunde von unserem Produkt X? Was ist das Besondere des Produkts X aus Kundensicht?«. Erhalten Sie verschiedene Antworten, haben Sie ein Problem. Wenn noch nicht einmal Ihren Mitarbeitern der Nutzen deutlich ist, wie soll es denn bei Ihren Kunden sein? Jeder Mitarbeiter muss wissen, wohin die Reise geht und welcher Nutzen den Kunden geboten wird. Nur so kann dieser weiter maximiert werden. Und alle ziehen in Ihrem Unternehmen an einem Strang. Sie können die Frage auch modifizieren: »Was ist unser Kerngeschäft?«. Erhalten Sie darauf Antworten wie »Autos bauen«, »Kleidung verkaufen« oder Ähnliches, dann sollten Sie dort ansetzen. Denn das Kerngeschäft ist immer, den Kunden einen spezifischen Nutzen zu liefern. Optimal wäre es, wenn auch Ihren Lieferanten dieser Nutzen deutlich ist. Denn je nach Fertigungstiefe tragen Ihre Zulieferer erheblich zu Ihrem Unternehmenserfolg bei. Und als dritte und wichtigste Gruppe sollte die oben genannten Fragen auch einheitlich von Ihren Kunden beantwortet werden. Erhalten Sie unterschiedliche Antworten – was ich Ihnen nicht wünsche –, dann gehört dieses Thema auf die Tagesordnung des nächsten Meetings – und zwar vor allen anderen Themen. Denn ein hervorragender 48 Praxishandbuch Produktentwicklung Nutzen bringt einem Unternehmen mehr als eine noch so gute theoretische Strategie. Qualitätsmanagement Bevor nun Missverständnisse aufkommen: Es spricht vieles dafür, dass Unternehmen ihren Kunden höchste Qualität anbieten – und diese gleichbleibende Qualität auch intern und extern prüfen lassen. Die Einschätzung der notwendigen Qualität muss sich jedoch darauf beziehen, welche Qualität der Kunde fordert und für welche er zu zahlen bereit ist. Qualitätsmanagement sollte dem Zweck der Sicherheit und der Kundenerwartung dienen. Es darf nicht zum Selbstzweck verkommen. Wo Qualitätsmanagement lebensnotwendig ist In einigen Industriezweigen ist die 100-prozentige Gründlichkeit Voraussetzung, vor allem wenn mit Produktabweichungen erhebliche Nachteile bis Risiken für den Kunden verbunden sind (unter anderem Transport, Medizin). Doch es gibt viele Unternehmen, die ISO bis zum Exzess betreiben, obwohl davon keine Menschenleben oder die Gesundheit abhängen. Die Mitarbeiter klammern sich häufig an Ordner und Abläufe, damit sie ja nichts ändern müssen und schon gar nicht mit den Kunden reden müssen. Die Grenzen des Qualitätsmanagements Ganze Scharen von Beratern zogen im letzten Jahrhundert durch das Land, um den Unternehmen den Segen der Qualität zu geben und dafür sehr hoch honoriert zu werden. Erfunden wurden wilde Wortkombinationen, von denen eine besser als die andere erschien. Zumindest war die Einführung der Normen für die Unternehmen sehr teuer. Geholfen hat es teilweise den Kunden, bei denen einiges standardisiert wurde. Jetzt, da fast jedes Unternehmen nach einem oder mehreren Standards zertifiziert ist, gilt es nicht mehr als Wettbewerbsvorteil. Die ganze Zertifizierungsarie der letzten Jahre hat insbesondere in Produktionsbetrieben sicherlich ihre Berechtigung. Da die zertifizierten Unternehmen überwiegend selbst bestimmen, was Qualität ist, helfen Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service 49 diese Systeme zur Standardisierung der Abläufe. Der Kunde kann sich darauf verlassen, jeweils immer die gleiche Qualität zu erhalten. Unternehmen können theoretisch auch die Produktion von bleigefüllten Schwimmwesten zertifizieren lassen, solange die Westen immer den gleichen Bleigehalt haben und die Einhaltung regelmäßig dokumentiert wird. Es wäre gleichbleibende »Qualität«. Das sagt jedoch gar nichts über den Nutzen der Produkte aus. Aber ob die zertifizierten Unternehmen auch Produkte herstellen, die die Kunden wollen und somit kaufen, steht auf einem ganz anderen Blatt. So sind Qualitätsmanagement und bedürfnisorientierte Produktentwicklung zwei Seiten einer Medaille. Sie sind unabhängig voneinander, jedoch beide notwendig. Gleichbleibender Nutzen geht nicht ohne Qualitätsmanagement, doch ohne herausragenden Nutzen bringt das ganze Qualitätsmanagement nichts. So verkommt das Qualitätsmanagement zu einem bürokratischen Akt. Bei kurzen Lebenszyklen ist es häufig gar nicht mehr möglich, jedes Produkt über Jahre nach allen Standards zu testen. Wenn Microsoft so vorgehen würde, hätten wir heute noch DOS 3.3 als neuestes Betriebssystem. Heute gibt es praktisch keine schlechten Produkte mehr. Qualitätsmanagement ist kein Wettbewerbsvorteil mehr, sondern ein Hygienefaktor. Die Eintrittskarte, um im Markt mitspielen zu dürfen. Wenn Sie alles richtig machen und die Produkte keine Mängel aufweisen, dann sind Ihre Produkte nur Durchschnitt. Gleichbleibende Qualität wird von den Kunden vorausgesetzt. Es ist kein Anreiz für die Kunden, das eine Produkt dem anderen vorzuziehen. Der Qualitätskrieg ist vorbei. Die Gewinner dürfen alle noch mitspielen. Jedoch können sie leicht verlieren, wenn der differenzierte Nutzen des Produkts aus Kundensicht fehlt beziehungsweise in der Werbung nicht transportiert wird. Und gute Basisqualität gibt es heute schon ganz selbstverständlich aus Osteuropa, Fernost, Südamerika et cetera. Und zwar zu einem Bruchteil des Preises. Was die Kunden von Qualität erwarten Unternehmen hängen QM-Zertifikate häufig in den Kundenbereich, auch wenn die Kunden die Zertifikate gar nicht verstehen. Jedoch bestimmt der Kunde nicht die Zertifikate, sondern in welcher Qualität er das Produkt möchte und wofür er bereit ist zu zahlen. Es ist ein Zeichen von Schwäche, Qualitätsmanagement immer vor sich herzutragen; die meisten dieser Hersteller haben außer Qualitätsmanagement nur wenig Kundennutzen zu bieten. 50 Praxishandbuch Produktentwicklung Qualität kann in diesem Zusammenhang wie folgt definiert werden: • Qualität = Nutzen für den Kunden; • Qualität ≠ Meinung externer Experten; • Qualität ≠ Meinung der eigenen Mitarbeiter. Qualität definiert der Kunde. Es zählt nicht die Meinungen der Lieferanten oder des Produktionsleiters. Was der Kunde nicht unterscheiden kann, kann er nicht bewerten und ist für ihn nicht kaufentscheidend. Das Produkt muss qualitativ so richtig wie nötig und so begeisternd wie nur irgend möglich sein. Nicht umgekehrt! Das Produkt wird so hergestellt, wie der Kunde es erwartet. Perfektion der Perfektion wegen wird vom Kunden nicht honoriert. Übertriebene Qualität kostet Geld. Zahlt der Kunde diesen Mehrpreis, dann wird sie umgesetzt. Sonst nicht. Mit einer Einschränkung: gesetzliche Vorgaben bei der Qualität sind immer zu berücksichtigen. In den Luxussegmenten ist die Qualität scheinbar gar nicht so wichtig. Ein Ferrari wird nicht danach bewertet, wie oft er zur Reparatur muss, eine Rolex nicht, wie genau sie die Zeit anzeigt. Wären das die Kriterien, würde statt Ferrari vielleicht ein VW gekauft werden und statt einer Rolex möglicherweise eine Quarzuhr. Service Der Service ist ein Dauerthema in Deutschland, zumal dieser oft zu wünschen übrig lässt. Jedoch ist dieser auch keine Wunderwaffe. Die Grenzen vom Service Der Service sind die Schokostreusel, die das Produkt abrunden. Mehr nicht. Erst muss das Produkt den herausragenden Nutzen bringen. Ein »schlechtes« Produkt kann auch nicht durch noch so guten Service gerettet werden. Erst muss die Pflicht erfüllt werden (die Differenzierung über das Produkt), dann kann der Service abrunden. Viele Unternehmen – egal ob Kleinunternehmen oder Großkonzerne – haben ganze Serviceabteilungen eingerichtet. In der Strategie dreht sich alles um den Kunden – zumindest auf dem Papier. Was nützt jedoch die ganze Freundlichkeit an der Reklamationsbehandlung oder der 24-Stunden-Bestellservice? An den Symptomen des Umsatzrückgangs wird seit Jahren gearbeitet. Die Ursache Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service 51 wird wenig beachtet: das Produkt. Dort ist der größte Stellhebel, zumal Serviceleistungen meist sehr schnell von den Wettbewerbern kopiert werden können. Service, wie zum Beispiel das Rückgaberecht bei Erstattung des Kaufpreises oder Bonuskarten, bieten heute fast alle an. Blind ausgewählte Zusatzleistungen schaden mehr als sie bringen. Da nützt auch – bis auf die PR in der Tagespresse – keine Oben-ohne-Bedienung, wie es der Elektrohandel Innova versucht hat. Verzichten Sie auf irgendwelche 24-Stunden-Hotlines, die der Kunde nicht braucht und bei denen er – wenn er doch mal anruft – in einem unqualifizierten Callcenter landet. Wann Sie auf Service »verzichten« können The best service is no service ist ein Buch von Bill Price und David Jaffe. Die Autoren sind der Meinung, dass die Kunden mit dem Kauf voll zufrieden sein müssen. Ein weiterer Kontakt mit dem Anbieter sei dann nicht notwendig. Unternehmen sollen sich mehr darauf konzentrieren, dass die Produkte funktionieren, die Gebrauchsanleitung verständlich ist und Fragen zu ergänzenden Produkten aufgeführt sind. Ist dieses erfüllt, entfallen circa 80 Prozent der auch für Kunden nervigen Serviceanrufe. Denn Service wird von den Kunden häufig als Drohung empfunden. Sätze wie »Dann kommt jemand von unserem Service bei Ihnen vorbei« bedeuten meist, dass ein genervter Angestellter lustlos zum Kunden geht, um ihm zu zeigen, dass er nur nicht clever genug ist, das Produkt zu bedienen. Wo Service Sinn macht Die Serviceleistungen müssen am USP des Produkts ausgerichtet sein und diesen unterstützen. Sie sind dann eine Ergänzung zum Produkt und verstärken die Bedürfnisbefriedigung, die originär immer noch vom Produkt erfüllt sein muss, ist Service als Ergänzung nicht nur sinnvoll, sondern notwendig. Dann können diese Zusätze die Verkaufsquoten und anschließende Kundenbindung erhöhen. Anbieter müssen genau wissen, welche Serviceleistungen für den Kunden wirklich einen Mehrwert darstellen und nur diese anbieten. Qualität vor Quantität. Lieber wenige Leistungen herausgreifen und diese dann zuverlässig umsetzen. Diese vom Kunden honorierten Leistungen können in Marktgesprächen erfasst werden. Wichtig sind dabei honorierte Leistungen. Das heißt der Kunde wäre 52 Praxishandbuch Produktentwicklung bereit, für diese Zusatzleistungen Geld zu bezahlen. Ist dieses nicht der Fall, ist es ihm nichts wert und beeinflusst ihn auch nicht in seiner Kaufentscheidung. Serviceleistungen sind somit genauso auf den Prüfstand zu stellen wie alle Produkteigenschaften. Bei jeder Servicemaßnahme sollte vorab immer Folgendes geprüft werden: • • • • • • Kaufen die Kunden dadurch eher? Kaufen die Kunden dadurch mehr? Kaufen die Kunden dadurch öfter? Bleiben die Kunden dadurch länger dem Produkt treu? Liefert der Service dem Kunden Erlebnisse, die er weitererzählen kann? Würde der Kunde für den Service etwas extra zahlen? Wenn keine der Fragen nachweislich mit ja beantwortet werden kann, dann bitte Finger weg von diesen Spielereien! Selbstverständlich sind in der Planung diese Serviceleistungen ebenfalls zu quantifizieren: Wie groß ist der Aufwand beziehungsweise wie hoch sind die Kosten für jede Serviceleistung und im Gegenzug dazu die zu erwartenden Mehrumsätze? Kommt hier ein negativer Wert heraus, sind diese Serviceleistungen den Kunden nicht so viel wert wie diese den Anbieter kosten. Dann gilt: Streichen dieser Serviceleistung, den Aufwand dafür reduzieren oder den Service so verbessern, dass dieser dem Kunden viel mehr wert ist. Ebenso wichtig wie die Vorkalkulation ist das nachträgliche Controlling: Haben die Serviceleistungen auch wirklich den erwarteten Effekt gebracht? Wie haben die Kunden diesen Service genutzt? Hier im Echttest zeigt sich wirklich, ob diese Serviceleistungen nur Spielereien waren oder tatsächlich zu mehr Umsatz führten. Und lassen Sie sich nicht erzählen: »Das kann man nicht messen«. Wenn der Erfolg nicht gemessen werden kann, ist er auch nicht vorhanden. Dann verzichten Sie bitte auf das Angebot dieser zusätzlichen Serviceleistungen. Geistreiches und Zitiertes »Qualität, definiert durch ›nur wenige Mängel‹, ist in der Automobilbranche eher der Preis für den Markteintritt geworden, sie ist kein Wettbewerbsvorteil mehr.« J. D. Power and Associates, Marktforschungsunternehmen für die Automobilbranche Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service 53 »Qualität steht nicht für Hochwertigkeit, sondern bedeutet, dass die Anforderungen erfüllt sind.« Phil Crosby »Die Qualität muss aus der Perspektive des Kunden gesehen werden.« Tom Peters in Kreatives Chaos »Qualität ist, was der Kunde als für notwendig erachtet, und nicht, was durch unsere Prüfungen als für angemessen erkannt wird.« Tom Peters in Kreatives Chaos »Sie müssen sich mit allem verfügbaren Elan für Service einsetzen, und zwar für Service nach Wünschen des Kunden.« Tom Peters in Kreatives Chaos »Die Hauptvoraussetzung für echtes Kundenbeziehungsmanagement ist ein Produkt, das vom Kunden gewünscht wird. Echtes Engagement in der Beziehungspflege kann zwar viele Produktnachteile aufwiegen und für eine gewisse Zeit kompensieren, dennoch ist der sogenannte Kernnutzen nach wie vor auch Kern der Kundenzufriedenheit. Erfüllt das Produkt den Zweck nicht, nützen die übrigen Aktivitäten wenig.« Hannes Kunz in Beziehungsmanagement 54 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 4 Marketing, Werbung und Verkauf Marketing – wirklich der Markt? Viele Definitionen zum Marketing beschreiben nur die Produkt- und Kommunikationsleistung. Die Kundenseite wird sträflich vernachlässigt. Eine hier herausragende Marketing-Definition hat schon Peter F. Drucker formuliert: »To look at the world from the custumer size«. In vielen Organigrammen von Unternehmen ist die Abteilung »Marketing & Vertrieb« zu finden. Das sind zwei Bereiche, die gegensätzlicher nicht sein können. Vertriebsabteilungen haben die Aufgabe, so viele Produkte wie möglich zum Listenpreis zu verkaufen. Der Bereich Marketing gehört nicht dazu. Das ist Sache der Produktentwicklung. Denn »Marketing ist zu wichtig, um es der Marketingabteilung zu überlassen« (David Packard). Lösen Sie die Marketingabteilung auf. Diese Mitarbeiter werden anschließend in den Marktgesprächen direkt beim Kunden eingesetzt. Denn Marketing steht am Beginn der Produktentwicklung, nicht am Ende, wenn das Produkt fertig ist. Die 4 P – Und wo bleibe ich? Die klassischen 4 P, Product (Produktmix), Price (Konditionenmix), Promotion (Kommunikationsmix) und Place (Distributionsmix), gelten als Basis des Marketings. Fast alle Parameter sind in diesen 4 P enthalten – jedoch wird hier das Marketing auf das Produkt und den Absatzgedanken reduziert. Das reichte zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Theorie im letzten Jahrhundert noch aus. Doch heute liegt kein Verkäufermarkt mehr vor. Heute haben wir einen eindeutigen Käufermarkt. Wer Produkte nur von der Produktseite konzipiert, landet maximal noch Zufallstreffer. Da helfen auch die häufig beschriebenen Ergänzungen nichts: Publicity, Präsentation und Permission. Der wichtigste Teil wird vernachlässigt: People (Kunden). Zudem sollte ein weiteres P Marketing, Werbung und Verkauf 55 hinzugenommen werden: Profit. Denn ohne Profit kann langfristig kein Unternehmen bestehen. Reizüberflutung Alles wird schneller, komplexer, unübersichtlicher: das Internet, der Jobwechsel, die Lebenszyklen von Waren, die Anzahl der Fernsehsender, die Angebotsvielfalt und so weiter. Den Kunden platzen die Köpfe. Sie sind informationsüberlastet, denn die Möglichkeit zur Speicherung von Botschaften im menschlichen Gehirn ist begrenzt. Gemäß einer Studie des Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlands kann insgesamt nur noch weniger als 1 Prozent der auf die Menschen einprasselnden Informationen aufgenommen werden. Unter dieser Informationsflut befinden sich täglich über 5 000 Werbebotschaften (Radio, Fernsehen, Plakatwände, Litfasssäulen, Bildschirme in Bus und Bahn, Zeitungsinserate, Werbung im Internet, Mail, Verpackungen, Werbung auf Tickets, Briefwerbesendungen, Telefonwerbung, Werbung an und in Geschäften et cetera). Davon nimmt der Mensch laut Marktforschungsinstitut Rheingold und BBDO nur 52 wahr, was 1 Prozent entspricht. Über 95 Prozent der Postwerbesendungen wandern ungelesen in den Mülleimer. Diese Selektion muss der Mensch vornehmen, um in dieser Reizüberflutung überleben zu können. Das, was nicht in der jetzigen Situation benötigt wird, wird ignoriert. Und Werbung wird nicht benötigt. Den verbliebenen Prozenten wird überwiegend nur eine Aufmerksamkeitsdauer von einer Sekunde gegönnt. Es zählt nur noch das, was dringende Bedürfnisse wie Wunscherfüllung und Problemvermeidung befriedigt. So reagieren Menschen auf Reizüberflutung: • Verweigerung der Werbung, weil diese unverlangt eintrifft. Viele haben bereits an ihren Briefkästen den Hinweis »Bitte keine Werbung einwerfen«. Dieses Hinweisschild wird häufig schon von der Hausverwaltung gestellt; • um die Gefahr eines Fehleinkaufs zu reduzieren, werden Bekannte oder andere Quellen (zum Beispiel Internetforen) befragt, um Informationen zu Produkten einzuholen. Wenn diese ihm ein Produkt empfehlen beziehungsweise vom Kauf abraten, ist dieses meist kaufentscheidend. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass diese Bekannten Ihre Produkte positiv nennen und nicht die des Wettbewerbers; 56 Praxishandbuch Produktentwicklung • die Fernbedienung am Fernseher ist ein Segen: ohne Aufzustehen kann die Werbung weggedrückt werden. Was nutzen den Werbetreibenden 8 Millionen Zuschauer bei einer Sendung, wenn in den Werbepausen die Werbung ignoriert, der Sender gewechselt oder sich etwas zu trinken geholt wird? Häufig werden die Sendungen auch aufgenommen, um beim späteren Ansehen die Werbeblöcke zu überspringen; • sie sind verunsichert, da morgen eine Werbung ein noch besseres Produkt verspricht. Das führt zu Kaufzurückhaltung; • früher nahm sich Werbung das Recht, bis in die Privatsphäre der Mitmenschen zu gelangen. Heute entscheiden die Kunden, wann, wo und welche Werbung sie konsumieren. Durch die immer noch steigende Reizüberflutung steigt die untere Reizschwelle der Kunden zum Kauf eines Produkts weiter. Es muss schon das herausragende Produkt mit einem ebensolchen Nutzen sein, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Aus welchen Gründen sollen nun die Kunden Ihrer Werbung Aufmerksamkeit schenken und Ihnen zuhören? Die Entwicklung Früher wurden Werbebotschaften vom Kunden wahrgenommen und veranlassten ihn zum Kauf, wenn nur der Werbedruck groß genug war. Personalisierte Briefwerbung war etwas Besonderes. Der Adressat hatte den Eindruck, dass ihm gezielt eine Person schreibt. Da diese Form heute ein Masseninstrument ist, gehen die Briefe unter. Die Bestellquoten sinken dramatisch. Früher haben die Unternehmen die Kunden besucht und ihnen Produkte angeboten. Unternehmen sind den Kunden nahezu hinterhergelaufen und haben sie mit Werbung bedrängt. Heute überlegen Unternehmen, wie die Kunden das Produkt und das Unternehmen finden. Früher wurde die Masse (unter anderem über Fernsehwerbung und Tageszeitungen) beworben und Durchschnittswerte als Erfolgskontrolle herangezogen. Heute wird darauf geachtet, welches Nischensegment das Produkt in großen Mengen bestellt. Diese Gruppe wird gezielt beworben, die anderen weggelassen. Früher haben Verkaufsvertreter noch Termine bekommen. Heute hat für Vertreterbesuche im Business-Bereich keiner mehr Zeit. Vertreterbesuche enden somit immer häufiger schon bei der Sekretärin an der Terminabsprache. Wenn der Nutzen des Angebots nicht einen zwingenden Bedarf trifft, besteht keine Chance zu einem Termin. Früher steckten die Marketing, Werbung und Verkauf 57 »Werbetricks« und die dreisten Drückermaßnahmen noch in den Kinderschuhen. Diese Methoden sind heute bis ins kleinste Detail ausgereift und werden von vielen Anbietern angewendet. Einen Wettbewerbsvorteil aufgrund der Werbung zu holen, ist fast aussichtslos. Werbung verliert an Wirkung, denn: • Kunden wurden zu oft enttäuscht. Die Produkte haben nicht gehalten, was die Werbung versprochen hat. Werbung wird nicht mehr geglaubt; • Kunden wurden durch Werbung zu oft hinters Licht geführt. Zeitschriftenverlage zum Beispiel versenden als Befragung getarnte Werbung. Füllt der Kunde den Fragebogen aus, erhält er als »Geschenk« einige Ausgaben. Danach ist er an ein Jahresabonnement gebunden; • Kunden vergleichen Werbung mit Manipulation. Sie wollen nicht darauf hereinfallen, sondern selbst entscheiden; • Produkte und somit auch die Werbung sind meist austauschbar. Kunden können Slogans wie »Das Beste«, »Noch weißer«, »Die Billigste«, »Billiger geht’s nicht« nicht mehr hören. Das sind alles leere, austauschbare Phrasen. Bei der Lautstärke der Marktschreier flieht der Kunde; • je stärker der Werbedruck wird, desto mehr blocken Kunden ab. Unternehmen verlieren Kunden hauptsächlich aufgrund schlechter Produkte. Kunden werden viel weniger abgeworben als angenommen. Um abwerbwillig zu sein, muss zuerst eine Unzufriedenheit oder höchstens eine mäßige Zufriedenheit mit dem jetzigen Angebot bestehen. Begeisterte Kunden wechseln den Anbieter nicht. Wenn ihnen ausnahmsweise mal etwas nicht gefällt, dann unterstützen sie »ihren« Anbieter häufig noch mit Anregungen. Wenig gewechselt wird aufgrund der Preise beziehungsweise zu wenig oder zu schlechter Werbung. So bitte nicht Breit statt spitz – Masse statt Klasse Massenwerbung im Gießkannenprinzip funktioniert nicht mehr. Dann schon eher wie bei Google: je nach eingegebenem Suchbegriff erscheinen Werbelinks. Das ist individuell und der Suchende empfindet das als weniger störend und sogar häufig als hilfreich bei seiner Suche. 58 Praxishandbuch Produktentwicklung Den Werbedruck erhöhen Klassische Werbung erzeugt Druck auf die Kunden. Wenn zu wenig gekauft wird, wird der Werbedruck weiter erhöht. Egal, ob durch ein Umsatzsteigerungsprogramm, eine Verkaufssteigerungsoffensive, oder eine Absatzturbo-Innovation. Alle diese Aktionen haben eines gemeinsam: Durch Druck sollen kurzfristig die Umsätze erhöht werden. Ob auch die Rendite gesteigert wird, steht meist auf einem anderen Blatt. Denn diese Aktionen kosten Geld. Viel Geld. Und häufig hinterlassen die selbsternannten Power-Seller nur verbrannte Erde, da Werbung auf totale Ablehnung stößt. Immer mehr Werbung bei immer weniger Response ist ein Weg, der immer schneller in die Sackgasse führt. Verkauf ist nichts Negatives, wir benötigen die Vertriebsabteilungen mit ihren Mitarbeitern. Nur: Wenn das Produkt nicht den Bedarf trifft, stehen diese Abteilungen auf verlorenem Posten. Eine Verdoppelung der Werbeaktivität ist eben einfacher umzusetzen als eine kundenorientierte Produktentwicklung. Aus diesem Grund wird der Werbedruck bei Umsatzrückgang erhöht. Preise senken Verkäufer sind meist Preisverkäufer (sie nehmen als Verkaufsargument gern einen niedrigen Preis), weniger Wertverkäufer (sie verkaufen über den Nutzen). Die Nachteile der Preissenkung finden Sie in Kapitel 9 auf dieser CD-ROM. Falsche Werbeversprechen Versprechen Sie Ihren Kunden nie etwas, was Ihr Angebot nicht erfüllen kann. Kunden sind heute so gut informiert, vernetzt und selbstbewusst, dass sie leere Versprechen schnell bemerken und entsprechend reagieren. Und wenn der Vertrieb einem Kunden ein Produkt angedreht hat (Übertreiben der positiven Produkteigenschaften, Weglassen der negativen Eigenschaften), dann ist zwar der Verkaufsabschluss gelungen. Nur: • Ein Produkt, das nicht hält, was die Werbung verspricht, wird der Kunde – sofern dieses möglich ist – zurückgeben und sein Geld zurück verlangen. Die Bestellung folgt der Werbung. Dieses wird beeinflusst Marketing, Werbung und Verkauf 59 • • • • vom Werbeversprechen. Jedoch basieren die Bezahlung, die Empfehlungen und die Wiederkäufe auf dem erfahrenen Produktnutzen; der Kunde wird nie wieder bei diesem Unternehmen kaufen. Dadurch gehen Umsatz und Gewinn verloren, denn eine 5 Prozent höhere Wiederkaufrate bei Kunden erhöht meist den Gewinn um über 25 Prozent; der Kunde berichtet so vielen Bekannten und Freunden wie nur möglich von dem schlechten Produkt und der Täuschung beim Verkauf. Ein unzufriedener Kunde erzählt es mindestens elf Personen, ein zufriedener drei Personen weiter. Bei 100 verkauften Produkten bedeuten 80 Prozent zufriedene Kunden 240 positive Empfehlungen, die 20 Prozent unzufriedenen Kunden bedeuten hingegen 220 negative Berichte. Hier wird deutlich: 80 Prozent zufriedene Kunden reichen nicht, da die 20 Prozent unzufriedenen nach außen die gleiche Wirkung – nur in die andere Richtung – haben. Anbieter sollten sich nicht blenden lassen: Nur ein Bruchteil der unzufriedenen Kunden meldet sich beim Anbieter, die Mehrheit lässt den Frust woanders ab; es ist zwar der Verkauf gewonnen, jedoch der Markt verloren. Achten Sie darauf, dass die Werbeagentur nur die Nutzenversprechen im Briefing erhält, die das Produkt halten kann; der Kunde nutzt das Produkt wenig bis gar nicht. Folgekäufe bei diesem Anbieter sind ausgeschlossen. Die Aufgabe der Werbung besteht darin, neue Kunden zu beschaffen. Kundentreue mit weiteren Käufen erreichen Sie nur über Ihr Produkt. Sofern die Täuschung in der Werbung zu eindeutig ist, gibt es immer noch den »befreundeten Wettbewerb«, der mit gerichtlichen Schritten gegen das Unternehmen vorgeht, um der Konkurrenz zu schaden. Leider geht es hier nicht um das Kundeninteresse. Der Betroffene geht der Einfachheit halber lieber gerichtlich gegen einen Konkurrenten vor, als sich auf die Bedürfnisse der Kunden zu konzentrieren. Verkäufertricks anwenden Jahrzehntelang wurden die Verkaufstechniken perfektioniert: die Fragetechnik, die Einwandsbehandlung, die Körpersprache. Man glaubte, jedes Produkt nur durch die richtigen Methoden den Kunden aufschwatzen zu können. Als die Wirkung der Techniken zurückging und die Techniken auch den Einkäufern ersichtlich waren, kam die nächste Welle: NLP. Die Verkäufer versuchten, die Kunden auf der mentalen Ebene zu beein60 Praxishandbuch Produktentwicklung flussen. Jeder Verkäufer hat mindestens zehn Bücher über diese Techniken gelesen und weit über fünf Verkaufstrainer erlebt. Das Dumme ist nur: Auch der Kunde hat sich zumindest im Bereich des business-to-business (b-to-b) dieses Fachwissen auf vielen Seminaren angeeignet. Egal ob NLP, DISG-Persönlichkeitsprofil, Einwandsbehandlungen, Pencil-Selling und vieles mehr. Der Käufer ist darin genauso ein Profi wie der Verkäufer und erkennt die Techniken. Mehr als ein leises Schmunzeln kann der Verkäufer ihm nicht entlocken. Darauf fällt keiner mehr rein, Verkaufstechniken sind heute die Basis. Diese müssen Ihre Mitarbeiter beherrschen, damit Ihr Unternehmen im Konzert überhaupt mitspielen darf. Ein Wettbewerbsvorteil ist damit nicht mehr zu erzielen. Heute geht es um mehr, als den Arabern Sand zu verkaufen und den Eskimos Kühlschränke. »Beschummeln« können Sie Ihre Kunden nur ein Mal. Dann sind es Ihre Exkunden, wenn sie überhaupt die erste Lieferung bezahlt haben. Setzen Sie auf Motivation Ihrer Kunden statt auf Manipulation. Manipulation ist die Beeinflussung des anderen nur zum eigenen Vorteil. Motivation hingegen ist die Beeinflussung des anderen zum beidseitigen Vorteil. Die falsche Reihenfolge in der Entwicklung Häufig wird in der Produktentwicklung eine Idee bis zum fertigen Produkt umgesetzt. Und dann wird es dem Vertrieb zugeschoben mit dem Auftrag, eine möglichst große Stückzahl zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen: »Das sei doch nun wirklich Aufgabe des Vertriebs«. Die sowieso schon unvollständigen 4 P werden so auf ein P reduziert: Promotion. Die Versäumnisse in der Produktentwicklung sollen jetzt durch aggressive Verkaufsstrategien wieder eingeholt werden. Der Vertrieb hat hier die Produktentwicklung zu unterstützen. Es ist jedoch genau umgekehrt, denn Werbung kann kein Ersatz für schlechte Produktentwicklung sein. So schon eher Die richtige Reihenfolge Das Produkt hat als erstes den Kunden erfolgreicher zu machen, erst dann den Hersteller. Kundenerfolgssteigerungsprogramme statt UmsatzMarketing, Werbung und Verkauf 61 steigerungsaktionen! Somit hat die Produktentwicklung den Verkauf zu unterstützen. Durch nutzwertige Produkte ist dafür zu sorgen, dass der Vertrieb auch wirklich verkaufen kann, und nicht auf Drückermethoden umsteigen muss, um zumindest etwas an den Mann zu bringen. Der Verkauf ist nicht das Absetzen von Produkten, die keinem etwas nutzen. Der Verkauf ist nur der Abschluss eines gut vorbereiteten Prozesses. Die Produktentwicklung ist die Hausaufgaben und das Lernen, der Verkauf nur die Abschlussprüfung. Je fleißiger gelernt wurde, desto einfacher fällt einem die Prüfung und desto besser sind die Noten (entspricht Anzahl und Höhe der Verkaufsabschlüsse). Zäumen Sie das Pferd von der richtigen Seite auf: Geschäftlicher Erfolg ist zu mindestens 80 Prozent ein einzigartiges Produkt und nur zu maximal 20 Prozent ein guter Verkauf. Werbung und Verkauf müssen sein. Jedoch können diese Bereiche nur Erfolg haben, wenn mehr in die Produktentwicklung investiert wird. Es zählt Sog (die Kunden finden von sich aus den Anbieter und verlangen das Produkt) statt Druck mit Werbung. Einige Anbieter werden von den Kunden gezielt gesucht, da sie ein Problem besser lösen als alle anderen. Es zählt weniger die Verkaufspsychologie als die Kaufpsychologie. Er wird immer weniger etwas verkauft, es wird immer mehr etwas gekauft. Vom Hardselling zum Lösungskauf. Trainieren Sie nicht Einwandsbehandlung bei den Verkäufern, sondern Einwandsvermeidung bei Ihren Produktentwicklern. »Product find your market, attraction sells«. Je attraktiver das Produkt ist, umso mehr werden Verkaufswege zu Kapillarsystemen und die Kunden kommen von alleine. Werden Sie Transportunternehmer: Holen Sie die Menschen ab, wo sie sind und liefern ihnen dann genau das, was sie benötigen. Wenn Sie Ware abholen wollen, dann fahren Sie auch dort hin, wo die Ware ist und stoppen nicht einen Kilometer vorher und erwarten, dass die Ware von sich aus zu Ihnen kommt. Sie müssen wirklich bis zum Kunden gehen. Haben Sie schon mal eine Werbung für Viagra gesehen? Fast keiner kennt dieses Produkt (zumindest wenn Menschen danach gefragt werden), keiner nimmt es. Und trotzdem ist das Unternehmen mit diesem Produkt Weltmarktführer. Es befriedigt ein Grundbedürfnis der untersten Stufe in der Maslowschen Bedürfnispyramide: Sex. Für dieses Produkt würden die meisten Kunden sicherlich auch den doppelten Preis zahlen. Gleiches gilt für Medikamente gegen HIV oder Krebs, die in der Entwicklung sind. Der Preis und insbesondere die Verpackung sowie die Verkaufsaktionen wären völlig unwichtig. Bieten Sie einen existentiellen Nutzen und die Interessenten stehen Schlange. Und zwar ganz ohne Werbung. 62 Praxishandbuch Produktentwicklung Weniger ist mehr – auch in der Werbung Von Verkäufern werden meist alle Produktmerkmale (Funktionen et cetera) betont. Die Werbung sollte jedoch nur Merkmale enthalten, die auch einen Nutzen für den Kunden haben. Lieber weniger Merkmale zusammen mit dem Kernnutzen erwähnen, als alle Funktionen gleichwertig nebeneinander aufzählen. Gleichwertig ist gleichgültig für den Kunden. Die Merkmale und deren Nutzen sind klar zu verknüpfen. Kunden sind nicht bereit, sich aus den Merkmalen den Nutzen selbst abzuleiten und zu übersetzen. Weg von produktorientierter Präsentation hin zur Nutzenargumentation, lautet die Devise. Es ist dem Kunden zu verdeutlichen, welchen Nutzen er mit dem Produkt hat und welcher Schaden und welche Nachteile ihm entstehen, wenn er das Produkt nicht hat. Die Verkäufer benötigen Kenntnisse über die Kunden Nicht nur für die Produktentwicklung sind Kenntnisse über die Kunden und ihre Bedürfnisse notwendig. Ohne Kenntnisse der Bedürfnisse feuern die Verkäufer wie mit einer Schrotflinte die Produktmerkmale auf die Kunden ab, in der Hoffnung, dass ein Merkmal schon treffen wird. Die Verkäufer landen stattdessen Volltreffer, wenn sie viele Informationen über die Kunden haben und so die Verkaufsargumentation genau auf die Bedürfnisse eines jeden einzelnen Kunden ausrichten können. Nicht ins Blaue reden, sondern ins Schwarze treffen. Verlagern Sie die Werbeausgaben zu Investitionen in die Produktentwicklung Was würde passieren, wenn Sie 50 Prozent Ihres Werbeetats in Ihre Produktentwicklung investieren würden? Wenn Sie gut investieren, entstehen sicherlich bessere Produkte, was eine weitaus größere Nachfrage zur Folge hätte. Der Werbedruck kann dann reduziert werden. Bevor Sie weitere Euro für Werbekampagnen ausgeben, setzen Sie sich zuerst mit Ihren Kunden zusammen. Fragen Sie nach deren Bedürfnissen. Tauchen Sie in deren Welt ein. Anschließend entscheiden Sie, ob sich weitere Werbemaßnahmen für die bestehenden Produkte lohnen, oder ob ein anderes Produkt her muss. Marketing, Werbung und Verkauf 63 Selbst ist der Mann Bevor etwas – egal auf welchem Weg – verkauft wird, ist es die Pflicht eines jeden Verkäufers, dieses Produkt selbst zu nutzen. Nur wenn der Verkäufer von dem Produkt überzeugt ist und auch dessen Anwendung – mit allen Grenzen – kennt, kann er erfolgreich verkaufen. Denn nur so ist es ihm möglich, alle Fragen des Interessenten kompetent zu beantworten und sich in die Situation des Kunden hineinzudenken. Mund-zu-Mund-Propaganda: Loblied oder Frustbewältigung Empfehlungsmarketing gewinnt immer mehr an Bedeutung. Vor dem Kauf von technischen Geräten, teuren Anschaffungen und auch in anderen Bereichen (Restaurantbesuch, Kinofilm und so weiter) werden fast immer Personen (Verwandte, Kollegen, Bekannte aus dem Wohnumfeld und Freizeitbereich) nach ihren Erfahrungen und Präferenzen gefragt. Seien es Tipps zur neuesten HiFi-Anlage in der Mittagspause, das beste Theaterstück beim Kaffeekränzchen, der ultimative Babybrei in der Krabbelgruppe. Eine anonyme Form von Empfehlungen sind Kundenbewertungen wie zum Beispiel bei Amazon, eBay und Holidaycheck. Dort finden Sie Aussagen von zufriedenen oder weniger zufriedenen Kunden. Das Beziehungsgeflecht eines Menschen umfasst über 50 Personen gleicher Interessensrichtung und Einkommenssituation. Ein Arbeitssuchender kennt Arbeitssuchende, ein Chemiestudent kennt Chemiestudenten, ein Chefarzt kennt weitere Chefärzte und so weiter. Somit ist die Chance groß, dass Ihre Kunden viele andere Personen kennen, die auch zu den von Ihnen gewählten Marktsegmenten gehören. Ein Grund für Empfehlungen im Bekanntenkreis kann einerseits die Bereitschaft zur Hilfe sein. Teilweise kommt hier aber auch die Selbstdarstellung zum Tragen, da der Kunde allen berichten will, was für tolle Produkte er doch besitzt und was er erlebt hat. Das fällt ihm umso leichter, je herausragender und prestigeträchtiger die Produkte sind. Positive Mund-zu-Mund-Werbung hat für Sie viele Vorteile. Empfehlungen erreichen die besten Bestellquoten und das ohne Werbekosten für Sie. Das sind Erfolgsquoten, von denen jeder Verkäufer nur träumen kann. Die Kunden, die über Empfehlungen kommen, sind im Durchschnitt die treuesten, geben am meisten Geld aus und reklamieren seltener. Diese 64 Praxishandbuch Produktentwicklung Kunden widerstehen auch verlockenden Angeboten Ihrer Konkurrenten. Auch späteren billigeren Lösungen widerstehen sie, wenn Ihre Lösungen für sie einen sichtbar besseren Nutzen bringen. Sie akzeptieren sogar Preiserhöhungen, solange Ihr Produkt nur deutlich besser ist. Die Gründe, warum Kunden immer mehr auf Bekannte und weitere eigene Informationsquellen setzen, sind unter anderem die Folgenden: • Sie sind von Werbeaussagen zu oft enttäuscht worden; • Werbung wird immer mehr ignoriert, weil die Kunden informationsüberlastet sind; • die Vergleichbarkeit der Produkte und der Werbung lässt eine eigene Bewertung nicht mehr zu, der Kunde blickt nicht mehr durch. Zu viele Produkte, zu viel Werbung; • die Kunden möchten das Risiko beim Kauf minimieren, insbesondere da viele Produkte gar nicht (zum Beispiel Reisen) oder nicht ohne Begründung zurückgegeben werden können. Sie glauben, dass sie die besten und ehrlichsten Produktempfehlungen von Freunden und Bekannten erhalten, Personen, die das Produkt bereits besitzen oder besessen haben. Denn diese sind ehrlich, weil kein finanzieller Vorteil durch die Empfehlung gesehen wird; • viele Produkte sind erklärungsbedürftig. Die Informationen in der Werbung reichen nicht mehr aus; • Produkte sind nur noch die physische Hülle einer geistigen Idee. Und Ideen lassen sich über Werbung nur schlecht verbreiten. Fest steht: Die passive Empfehlung ist Pflicht, die aktive die Kür. Passive Referenzen und Empfehlungen Ein Interessent fragt im Bekanntenkreis nach dem Nutzwert eines bestimmten Produkts oder nach den Erfahrungen mit einem Anbieter. Ihr Kunde gibt entsprechend Antwort. Hier sollte der Kunde sich positiv zu Ihnen und Ihren Angeboten äußern. Es kann aber auch sein, dass ein Interessent im Bekanntenkreis fragt, ob jemand eine Empfehlung für zum Beispiel einen guten Fernseher oder ein tolles Auto hat. Hier sollten Sie die erste und positivste Nennung sein. Ihr Kunde gibt hier jedoch nur eine Empfehlung, wenn er danach gefragt wird. Marketing, Werbung und Verkauf 65 Aktive Referenzen und Empfehlung Ihre Kunden erzählen von sich aus vielen Personen in ihrem Umfeld – egal ob diese gefragt haben oder nicht – von Ihren tollen Produkten. Dieses machen sie jedoch nur, wenn sie wirklich begeistert sind. Jeder hat doch schon mal Restauranttipps und Ähnliches von Freunden erhalten, ohne danach gefragt zu haben. Wann erfolgt die aktive Empfehlung? Wenn die Kunden deutlich mehr erhalten als sie erwarten. Sie müssen also Ihre Kunden begeistern. Kundenzufriedenheit reicht nicht aus. Denn zufriedene Kunden erzählen es drei anderen Personen weiter, begeisterte Kunden erzählen es fünf anderen Personen weiter, positiv überraschte und verblüffte Kunden erzählen es über zehn anderen Personen weiter. Wie verblüffen Sie mit Ihren Angeboten Ihre Kunden? Stellen Sie bitte in Ihrem nächsten Meeting diese Frage. Wenn jeder Ihrer positiv überraschten Kunden nur zehn weiteren Personen von Ihrem Produkt erzählt und nur jeweils eine dieser Personen Ihr Produkt kauft, dann haben Sie Ihren Kundenkreis verdoppelt. Werbekosten hierfür: 0 Euro. Unternehmen, die ihre Kunden verblüffen, werden zukünftig erfolgreich sein beziehungsweise bleiben. Barhockertest Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Kunden sitzt am Wochenende in einer Bar und wird nach seinen Erlebnissen der vergangenen Woche gefragt. Erzählt er auf die Frage »Wie war deine Woche?« von seiner Arbeit, dem Fernsehprogramm oder von positiven einmaligen Erlebnissen mit Ihrem Unternehmen? Wenn nicht zumindest auch über Ihre Produkte und Ihr Unternehmen gesprochen wird: aus welchen Gründen nicht? Dort ist anzusetzen. Um zu erahnen, was Ihre Kunden berichten, können Sie sie fragen: »Wie würden Sie einem guten Freund das Produkt beschreiben?«. Wie Sie Mund-zu-Mund-Propaganda fördern Nun gilt es, diese Chance in Ihrem Unternehmen zu nutzen. Schon für positive Referenzen müssen Sie Ihre Kunden zufrieden stellen, für aktive Empfehlungen müssen Sie sie jedoch verblüffen und begeistern. Es ist hier zu prüfen: Was unternehmen Sie, damit Ihre Kunden Ihr Unternehmen und Ihre Produkte aktiv empfehlen? Mund-zu-Mund-Propaganda war vor 100 Jahren auf persönliche Kon66 Praxishandbuch Produktentwicklung takte beschränkt, dann kam das Telefon hinzu. Heute ist eine weltweite Masseninformation möglich (Mails, Foren, Blogs). Bieten Sie Ihren Kunden Plattformen, auf denen sie sich untereinander austauschen können. Liefern Sie Ihren Kunden Erlebnisse, die sie in Form von Geschichten berichten können. Denn Funktionen lassen sich schlecht erzählen. Geistreiches und Zitiertes »Ein Großteil der Werbung ist pure Belästigung.« Jean Etienne Aebi »Marketing is not the art of finding clever ways to dispose of what you make. It is the art of creating genuine customer value.« Philip Kotler »Wir halten uns an fünf Grundregeln bei der Gestaltung einer Werbekampagne: Beginne beim Kunden. Lerne ihn in- und auswendig kennen. Enthülle das Offensichtliche. Bleibe beim Einfachen. Und zieh’ es durch.« Gay Kawasaki in Die Kunst, die Konkurrenz zum Wahnsinn zu treiben »Vergessen Sie Ihre Programme zur Verkaufssteigerung – konzipieren Sie Programme, mit denen Ihre Kunden erfolgreicher werden.« Edgar K. Geffroy »Produkte und Dienstleistungen werden heute immer seltener verkauft und immer öfter gekauft. Die Menschen haben es einfach satt, dass ihnen irgendetwas aufgedrückt wird.« Alexander Christiani »Auch mit Gewalt lässt sich ein Bulle eben nicht melken.« unbekannt »Die Menschen lassen sich nicht täuschen – zumindest nicht lange. Man kann hohe Erwartungen wecken, exzellente Werbung betreiben, für Schlagzeilen sorgen und ein bisschen übertreiben – aber wenn jemand die Erwartungen, die die Öffentlichkeit in ihn setzt, nicht erfüllt, dann wird er früher oder später entlarvt.« Donald Trump in Trump. Die Kunst des Erfolges »Don’t sell, make customer buy.« unbekannt Marketing, Werbung und Verkauf 67 »Versuche zu verstehen, bevor du verstanden werden willst.« Stephen R. Covey »Schließlich liegt die Kunst des Verkaufens nicht mehr in der Vergleichbarkeit zu anderen Produkten oder Verkäufern, sondern in der Einzigartigkeit eines Verkäufers, den zentralen Wunsch des Kunden zu erkennen und zu erfüllen« Edgar K. Geffroy »Telling is not selling. Asking questions is selling.« Brian Tracy »The whole purpose of marketing is to make selling unnecessary.« Brian Tracy »Sie können werben, so viel Sie wollen. Wenn Ihre Zielgruppe in Ihrem Produkt nicht die Lösung eines brennenden Problems sieht, bringt das gar nichts, da sie einfach keinen Druck hat zuzugreifen.« Strategiejournal 02–08 »Wir lassen das Informationszeitalter hinter uns und erreichen das Zeitalter der Empfehlung. Empfehlungen fungieren als Abkürzungen im Informations­ dschungel.« Trendforscher von Frog Design 68 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 5 Warum Kunden kaufen Für die Hersteller geht es darum, das Kundenbedürfnis zu erfüllen und den empfundenen Mangel zwischen dem aktuellen Zustand und dem gewünschtem Zustand zu reduzieren. Hin-zu-Motivation und Weg-von-Motivation Grundsätzlich gibt es nach Frederic Herzberg zwei Motive, die die Menschen antreiben, etwas zu tun: • positive Motivation (Hin-zu-Motivation): eine Belohnung in Aussicht stellen. Diese Belohnung muss jedoch von dem Motivierten auch tatsächlich als Belohnung empfunden werden. Hierzu gehört etwa die Erfüllung von Wünschen; • negative Motivation (Weg-von-Motivation): Diese beruht auf Druck. Es zählt das Vermeiden von Schmerz und das Lösen von Problemen. Hierzu gehört zum Beispiel, mit dem Rauchen aufzuhören, um späteren Lungenkrebs zu vermeiden, genauso wie der Abschluss von Versicherungen, um im Schadensfall abgesichert zu sein. Menschen kaufen Produkte also aus einem dieser zwei Gründe. Sie unternehmen generell mehr, um Schmerz zu vermeiden, als um Freude zu erlangen. Die kurzfristige Auswirkung überwiegt jedoch gegenüber der langfristigen. Kurzfristige Freude ist im Vergleich zu späterem Schmerz wichtiger. Beispielsweise ist bei den Rauchern jetzt der Genuss der Zigarette wichtiger als das Risiko einer späteren Erkrankung. Ein üppiges Mahl und Süßigkeiten werden gesunder Rohkost vorgezogen, auch wenn es langfristig auf die Hüften schlägt. Es gilt somit herauszufinden, wo bei Ihren Kunden die Probleme (der Schmerz) liegen und wo ihre Wünsche sind. Seien Sie dann ihr Problemlöser und bieten Sie ihnen Produkte an, die ihren Schmerz beseitigen und Warum Kunden kaufen 69 ihnen Freude bringen. Nur so können die Kunden zum Kauf motiviert werden. Am besten sind die Produkte, die einerseits Wünsche erfüllen und andererseits gleichzeitig Probleme vermeiden – und zwar besser als die Konkurrenzprodukte. Neben der positiven und negativen Motivation ist außerdem zwischen materiellen und emotionalen Bedürfnissen zu unterscheiden: Tabelle 13: Materielle und emotionale Bedürfnisse materiell emotional/immateriell Lustgewinn Haus, Auto Prestige, Liebe, Ansehen, Zugehörigkeit, Bedeutung Schmerzvermeidung Verlust von Auto, Haus, Vermögen oder Nahrung Krankheit, Ausstoß aus der Gruppe Die Vielzahl der Motive entspricht einer dieser vier Variationen. Somit muss zuerst bei der Produktentwicklung überlegt werden, auf welchem Feld die Kunden in erster Linie angesprochen werden sollen. Zu beachten ist, dass einige Produkte auch mehrere Felder belegen. Jedoch ist vorab festzulegen, auf welches Feld der Schwerpunkt zu setzen ist. Ein Auto kann rein aus materiellen Gründen ausgewählt werden oder hauptsächlich aus Prestige-Gründen. Die auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse ausgerichteten Autos müssen sowohl von der Ausstattung als auch vom Aussehen grundverschieden sein. Umberto Saxer hat in seinem Buch Bei Anruf Erfolg die für den Kauf wichtigen Grundbedürfnisse aufgelistet. Diese Liste wurde nachfolgend noch erweitert. Kunden kaufen aus folgenden Gründen: Profit • Hierzu gehören: Vermögen aufbauen, Umsatz, Besitztümer, Gewinnstreben, Spartrieb, Zeit gewinnen, Produktivitätssteigerung, Kosten vermeiden; • mögliche Lösungen hierfür: Verkaufssteigerungsprogramme, Geldanlagen, Produkte zur Kostensenkung und Produktivitätssteigerung; • zu prüfen ist daher: Wie verdienen Ihre Kunden mit Ihrem Produkt mehr Geld? Wie nutzt Ihr Kunde seine bestehenden Investitionen besser mit Ihrem Produkt? 70 Praxishandbuch Produktentwicklung Wer zahlt Ihren Kunden für die Investition in das Produkt noch etwas dazu? Wie spart Ihr Kunde mit Ihrem Produkt Zeit und Geld? Wo oder wie verliert Ihr Kunde etwas, wenn er nicht von Ihrem Produkt Gebrauch macht? Sicherheit • Hierzu gehören: Vermeidung von Gefahr, Streben nach Stabilität, Vermeidung jeglicher Veränderung (jedes Neue birgt die Unsicherheit des Ungewissen), Wunsch nach Gesundheit, Schutz vor Krankheiten, Existenzsicherung, finanzielle Absicherung, Sicherheit am Arbeitsplatz, Risikofreiheit, Sorgenfreiheit, wirtschaftliches Auskommen, zukünftige Sicherheit, Sicherheit in den richtigen Entscheidungen, Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die Schutz bietet, Sicherheit und Gesundheit für die Familie; • mögliche Lösungen hierfür: Versicherungen, Altersvorsorge, Gesundheitsvorsorge, Produkte zum Schutz der Gesundheit und des Eigentums, Sicherheit beim Kauf von Produkten, einfache und verständliche Produkte (Abbau von Komplexität), Produkte zur Probe, das Sparbuch, alle Produkte, die die Sicherheit des aktuellen Zustands erhöhen. Die Zuverlässigkeit der fehlerfreien Funktion von Produkten und das Renomé des Anbieters zählen ebenfalls hierzu. Hier wirken Referenzen wahre Wunder; • zu prüfen ist daher: Wie fühlt sich der Kunde sicherer durch Ihr Produkt? Wie verbessert das Produkt die Gesundheit oder Lebensgrundlage des Kunden? Welche Unannehmlichkeiten vermeidet Ihr Kunde durch die Nutzung Ihres Produkts? Welche Sorgen muss er sich nicht mehr machen? Wie sichert Ihr Produkt den Fortbestand des Unternehmens oder der Lebenserhaltung Ihres Kunden? Welche Probleme bekommt Ihr Kunde, wenn er nicht von Ihrem Produkt profitiert? Warum Kunden kaufen 71 Komfort • Hierzu gehören: Bequemlichkeit, Ästhetik, Schönheitssinn, Jugend, Aufwandsreduktion, maximaler Nutzen bei minimalem Einsatz; • mögliche Lösungen hierfür: Convenience-Produkte, Design-Produkte sowie alle Produkte, die die Komplexität reduzieren; • zu prüfen ist daher: Wie steigert das Produkt den Komfort und die Bequemlichkeit und warum fühlt sich Ihr Kunde wohler? Wie macht es das Leben des Kunden schöner und/oder ästhetischer? Wie verbessert Ihr Produkt die Atmosphäre? Welche negativen Folgen treten auf, wenn Ihr Kunde Ihr Produkt nicht hat? Ansehen • Hierzu gehören: Stolz, Prestige, Anerkennung, Dominanz, wirtschaftlicher und beruflicher Aufstieg, »in« sein, »dabei« sein, mitreden können, Zugehörigkeitsgefühl, Anlehnungsbedürfnis, Gruppenzugehörigkeit, Jugend, Aussehen, soziales Engagement, Mitreden können; • mögliche Lösungen hierfür: Kleidung, Statusprodukte, die in der Gruppe als »richtig« angesehen werden (das können in einigen Gruppen Luxusmarken sein, in anderen gerade der Verzicht dieser Produkte), Umweltprodukte (sofern dieses vom Umfeld erwartet wird), Produkte, die ein soziales Engagement verdeutlichen; • zu prüfen ist daher: Wodurch gewinnt Ihr Kunde dank Ihres Produkts an Ansehen und Prestige? Wo ist Ihr Kunde der Erste/der Einzige mit Ihrem Produkt? Bei wem erweckt Ihr Kunde Träume und Anerkennung, wenn er das Produkt hat? Zu welcher Gruppe möchte Ihr Kunde gehören, bei wem wäre er gerne »dabei«? Was verpasst Ihr Kunde, wenn er Ihr Produkt nicht besitzt? 72 Praxishandbuch Produktentwicklung Freude • Hierzu gehören: Vergnügen, Großzügigkeit, Schenkungstrieb, Sympathie, Genuss, Faszination, Liebe, Freiheit, Selbstbestimmung, Neugier, Zielerreichung (beruflich und privat), Spaß, Abwechslung, Erlebnisse; • mögliche Lösungen hierfür: Fernreisen in unbekannte Länder, Extremsportarten, Erlebnisevents (Theater, Feste, Gastronomie et cetera), Risiken, Neues, alles was ein schönes Gefühl erzeugt (zum Beispiel ein Einsatz für die Umwelt); • zu prüfen ist daher: Wie macht Ihr Produkt Ihrem Kunden Spaß und steigert seine Lebensfreude und das Vergnügen? Wie kann Ihr Kunde sich selbst mit Ihrem Produkt etwas Gutes tun? Wie kann Ihr Kunde mit Ihrem Produkt anderen etwas Gutes tun? Wie drückt Ihr Kunde mit Ihrem Produkt seine Liebe zur Familie aus? Welche negativen Folgen treten auf, wenn der Kunde sich nicht für Ihr Produkt entscheidet? Ein Produkt aus einer Kategorie (zum Beispiel Auto) kann mehrere Motive ansprechen. Zum Beispiel Profit (geringere Beschaffungskosten), Sicherheit (Sieger bei allen Crashtests), Komfort (großer Innenraum und Kofferraum), Ansehen (Luxusmarke oder geringer Verbrauch), Freude (Sportwagen). Auch nach dieser Aufteilung wird deutlich, dass es verschiedene Autos sein müssen, die die unterschiedlichen Motive befriedigen. Bitte entwickeln Sie nun nicht auf Basis dieser Liste Produkte. Als erstes müssen Sie heraus bekommen, welche Kundenbedürfnisse genau in Ihrem Marktsegment dominieren. Warum Kunden kaufen 73 Kapitel 6 Kundenerwartungen heute »Es muss schon etwas mehr sein« ist heute die Erwartung der Kunden. In diesem Kapitel werden die immer weiter steigenden Erwartungen der Kunden aufgezeigt. Mit diesen Kenntnissen können Sie Ihr bestehendes Sortiment kritisch durchleuchten. Außerdem legen Sie dadurch die Messlatte für Ihre Neuprodukte auf ein höheres Level, um den Kundenwünschen zu genügen. Vom »Sein« über das »Tun« zum »Nutzen« Viel zu sehr werden bei Angeboten immer noch die Produkte an sich und die enthaltenen Funktionen hervorgehoben. Diese sind jedoch für den Kunden unwichtig. Es zählt ausschließlich das Ergebnis, das er mit den Produkten erreicht. Nachfolgend wird dieses anhand von Beispielen verdeutlicht. Bespiel 1: Taxifahrt »Sein«: Ein Taxifahrer zeigt Ihnen am Flughafen seine Lizenz und ver- langt dafür Geld. Hier geht es um das »Sein«. Er ist Taxifahrer. Reicht Ihnen das? Sicherlich nicht. Nur dafür, dass er Taxifahrer ist, zahlen Sie ihm nichts. »Tun«: Nun steigen Sie ein und er fährt 10 Minuten. Auch dafür sind Sie nicht bereit, etwas zu zahlen. Was nützt es Ihnen, wenn er Sie 10 Minuten wahllos durch die Stadt fährt? »Nutzen«: Sie zahlen nur für das »Ergebnis«. Das heißt, dass er Sie auf dem schnellsten Wege sicher zu Ihrem Ziel bringt. Das ist für Sie der Nutzen: heil und schnell ankommen. Nicht mehr, jedoch auch nicht weniger. 74 Praxishandbuch Produktentwicklung Beispiel 2: Saftpresse »Sein«: Eine Saftpresse an sich bringt noch nichts. »Tun«: Wahllos Obst zu zerkleinern ist ebenfalls nicht das Ziel. »Nutzen«: Was zählt, ist der Geschmack des Saftes und/oder die damit verbundene gesunde Ernährung. Beispiel 3: ein Abstecher in den Personalbereich eines jeden Unternehmens Wofür bezahlen Sie Ihre Mitarbeiter? »Sein«: Die Sekretärin kommt morgens zu Ihnen und zeigt ihr Abschluss- zeugnis. Danach legt sie den ganzen Tag ihre Arbeit nieder. Das werden Sie nicht akzeptieren. »Tun«: Lustlos erledigt die Sekretärin ihren Job. Damit sind Sie ebenso unzufrieden. Was nützen Ihnen noch so viele abgetippte Briefe, wenn diese voller Rechtschreibfehler sind und erst nach der sechsten Überarbeitung verschickt werden können? »Nutzen«: Es zählt auch hier ausschließlich das Ergebnis, das dem Unter- nehmen einen Nutzen bringt, nämlich die gewissenhafte und korrekte Erledigung der anfallenden Aufgaben. Nur dafür wird das Gehalt gezahlt. Schauen Sie am Wochenende in den Stellenmarkt Ihrer Zeitung. Was wird da gesucht? Sekretärin (Sein). Nachfolgend wird das Aufgabengebiet beschrieben (Tun). Die zu erzielenden Ergebnisse – und nur dafür werden Gehälter gezahlt – werden nur selten erwähnt, obwohl es doch genau darum geht. Kundenzufriedenheit ist heute viel zu wenig Was ist Kundenzufriedenheit? Sie ist das Ergebnis eines Leistungsabgleichs: Kundenerwartungen heute 75 Abbildung 5: Kundenzufriedenheit Was der Kunde erwartet Abgleich/Prüfung Was der Kunde erlebt und erhält Von der Selbstverständlichkeit zum Jubelschrei Die Kundenbewertung gliedert sich in fünf Nutzenstufen: • Unzufriedenheit: Das Produkt erfüllt nicht die Erwartungen; • Selbstverständlichkeit: Eine Basisqualität wird als selbstverständlich vorausgesetzt, sie muss vom Produkt geboten werden. Wenn jedoch nicht mehr als das Selbstverständliche geboten wird, ist der Kunde enttäuscht. Die Basisqualität ist die Eintrittskarte in den Markt. Diese Leistungen werden dem Kunden erst bei Nichterfüllung bewusst; • Erwartung: Von dieser Erwartungsqualität gehen die Kunden aus. Dazu gehört zum Beispiel die reibungslose Funktion. Der wahrgenommene Nutzen entspricht dem Erwarteten. Wenn das Erwartete nicht erfüllt wird, ist der Kunde unzufrieden. Nur die Erfüllung des Erwarteten erzeugt jedoch Langeweile, es entsteht noch keine Kundenzufriedenheit. Die Erwartungsqualität reichte noch vor 50 Jahren: gute, solide Qualität zum guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Heute reicht dies jedoch oft nicht mehr; • Hoffnung: Der Kunde erhält das, was er im Stillen erhofft. Meist ist es etwas, was er in der Vergangenheit woanders schon erlebt hat. Erhält er die erhoffte Leistung, erzeugt dies bei ihm Zufriedenheit. Mehr jedoch nicht; • positive Überraschung/Begeisterung: Übererfüllung der Erwartungen. Diese Überraschungsqualität erzeugt Begeisterung. Nur das bleibt im Kopf des Kunden haften und nur hierüber wird er den Menschen in seinem Umfeld positiv berichten. Die Überraschungsleistung muss es heute schon sein. Hier muss angesetzt werden. Nur über diese fünfte Stufe kann sich ein Anbieter von den Mitbewerbern differenzieren. Denn die 76 Praxishandbuch Produktentwicklung ersten drei, vielleicht sogar vier Stufen werden auch von der Konkurrenz bedient. Aufgrund von Überangeboten reichen erwartete Selbstverständlichkeiten nicht mehr aus. Qualität und Funktion werden vorausgesetzt. Es wird die Einzigartigkeit gesucht. Kunden suchen nach dem Wow-Effekt. Sie wollen die Überraschung bei jedem Produkt, sonst wird das nächste Mal zu einem anderen gegriffen. Bei allem Normalen rümpft der Kunde nur noch die Nase: »Da habe ich mehr erwartet«. Verblüffen Sie immer wieder aufs Neue. Denn Ihr Kunde fühlt sich gut dabei und wird süchtig danach. Machen Sie die Kundenbegeisterung in Ihrem Unternehmen zur positiven Gewohnheit. Die Kunden werden immer anspruchsvoller. Kundenzufriedenheit reicht nicht mehr. Was sie vor einigen Jahren noch zu Jubelstürmen verleitet hat, lockt sie heute nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Mit der Zeit rutschen die Produktleistungen immer eine Stufe tiefer. Wovon der Kunde gestern noch positiv überrascht war, wird heute schon erhofft und bereits morgen erwartet. Fragen Sie sich bitte: Was unternehmen Sie mit Ihrem Angebot, damit Sie Ihre Kunden begeistern, ja positiv verblüffen? Begeistern Sie Ihre Kunden von dem Nutzen Ihrer Produkte. Vergleichen Sie die Attraktivität Ihrer Produkte mit der Nachfrage nach einem Popkonzert oder einem Fußballspiel. Da kreischen die Besucher, stürmen auf die Bühne, jubeln bei einem Tor der eigenen Mannschaft. Sind Ihre Kunden heiß auf Ihre Produkte und stürmen sie Ihr Geschäft? Jubeln sie, wenn sie Ihre Produkte oder Leistungen nutzen? Bitte beachten Sie: Der selbstverständliche sowie erwartete Nutzen muss ebenfalls zu 100 Prozent stimmen und zuverlässig geboten werden. Ein Auto muss fahren, ein Telefon funktionieren. Noch so schöne Überraschungen können nicht über eine schlechte Basisfunktion hinwegretten. Die fünf oben genannten Nutzenstufen werden nachfolgend anhand einer Taxifahrt beschrieben: • Unzufriedenheit: Der Zustand des Taxis ist schlecht (Innenraum dreckig und verraucht); • Selbstverständlichkeit: Das Taxi ist fahrtüchtig; • Erwartung: Der Fahrer kennt den Weg; • Hoffnung: Der Fahrer fragt, welche der alternativen Routen er wählen soll; • positive Überraschung/Begeisterung: Der Fahrer fragt nach Musikwünschen und bietet verschiedene Tageszeitungen an. Kundenerwartungen heute 77 Liefern Sie Ihren Kunden den Nutzen, den sie nie für möglich gehalten haben und • • • • • • • sie kaufen häufiger; sie geben pro Einkauf/Bestellung mehr Geld aus; sie kaufen teurere Produkte; sie wechseln seltener den Anbieter; sie haben eine bessere Zahlungsmoral; sie reklamieren weniger; sie sind eher bereit, sich an der Entwicklung von Neuprodukten zu beteiligen. »Aber bitte mit Sahne« und Schokostreusel Eine bildhafte Darstellung der Nutzenstufen ist das Tortenmodell nach Klaus Kobjoll: • Tortenboden: Basiseigenschaften der Produkte, die vom Kunden vorausgesetzten Leistungen. Dieser Anteil wird durch steigende Kundenerwartungen mit der Zeit immer dicker und bewirkt keinen Wettbewerbsvorteil. Keiner kauft die Torte, weil der Boden gut ist; • Sahnehauben: die Kernfähigkeiten, bei denen Sie mit Ihrem Angebot mindestens 30 Prozent besser als die Konkurrenz sind (weniger als 30 Prozent werden vom Kunden nicht als Unterschied wahrgenommen). Das sind Ihre strategischen Erfolgspositionen. Ihre Wettbewerber benötigen mindestens drei Jahre, um hier nachzuziehen. Andernfalls ist es keine Kernfähigkeit; • Schokostreusel: die Kleinigkeiten, mit denen der Kunde überrascht und verblüfft wird. Sie erzeugen die positiven »Ahs« und »Ohs« bei den Kunden. Diese Schokostreusel müssen zur Kernfähigkeit passen. Sie sind zwar von den Mitbewerbern relativ leicht kopierbar, doch die Summe und die konsequente Anwendung können mit der Zeit zu einer Kernfähigkeit werden. Da viele kleine Überraschungen mehr bewirken als eine große, sind hier insbesondere Kleinigkeiten gemeint. Der Kunde gewichtet nicht, sondern zählt gefühlsmäßig quantitativ zusammen. Die Sahnehauben und die Schokostreusel sacken mit der Zeit in den Tortenboden ab. Sie müssen somit immer oben nachlegen. 78 Praxishandbuch Produktentwicklung »Früher war alles besser« Mittelmäßige Produkte mögen in Zeiten des Unterangebots und mittelmäßiger Anforderungen der Kunden ausgereicht haben. In Zeiten des Produktüberangebots jedoch stehen die Anbieter damit auf dem Abstellgleis. Ein bisschen Kundennutzen hier, ein wenig dort reicht nicht mehr. In der nachfolgenden Tabelle sind die Leistung und der Nutzen des Produkts dem Absatz gegenübergestellt. Tabelle 14: Leistung und Absatz des Produkts Leistung Absatz früher heute mangelhaft mangelhaft nichts (garantierte ­ uslistung) A gut gut mittelmäßig bis mangelhaft exzellent exzellent gut hervorragend hervorragend exzellent bis hervorragend Noch heute sind die meisten Produkte nur Mittelmaß. Sichtbar wird dies unter anderem durch die Bewertungen der Stiftung Warentest. In deren Studien werden im Durchschnitt über 80 Prozent der getesteten Produkte mit dem gleichen Urteil bewertet (häufig mit »gut« oder »befriedigend«). Somit folgt der Wettbewerb ausschließlich über den Preis. Das ist für klein- und mittelständische Unternehmen nicht möglich. Ein gleiches Angebot bedeutet Gleichgültigkeit bei den Kunden. Was nicht bemerkenswert ist, wird nicht bemerkt, sondern ignoriert. Unternehmen müssen raus aus der Vergleichbarkeitsfalle. Als Differenzierungsmerkmal bleibt hier ausschließlich das Produkt. Es gilt: raus aus dem Mittelmaß! Solange die Unternehmen ihren Interessenten nur das bieten, was die Mitbewerber auch bieten, werden sie logischerweise auch nur das bekommen, was alle bekommen: Durchschnitt. Und das bedeutet durchschnittlichen Umsatz und geringe Rendite. Das ist zu wenig, um Geschäfte zu machen. Oder reicht es Ihnen, wenn Sie am Morgen von Ihrem Partner mit den Worten verabschiedet werden: »Ich wünsche dir einen durchschnittlichen Tag«? Versinken Sie nicht im Mittelmaß! Trennen Sie sich von vergleichbaren Produkten, oder der Markt trennt sich von Ihnen. Erfüllen Sie die Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Kunden deutlich besser als Ihre Konkurrenz. Schalten Sie auf Lebenshilfe für Ihre Kundenerwartungen heute 79 Kunden um. Dafür müssen Sie jedoch viele und intensive Informationen über Ihre Kunden haben. In der Vergangenheit stürzten viele erfolgreiche Produkte ab. Gründe hierfür sind unter anderem: • Immer mehr Duplikate kommen immer schneller auf den Markt und so steigt der Preisdruck; • Kunden schrauben ihre Anforderungen immer höher. Geld wird nur noch ausgegeben, wenn der Nutzen deutlich größer ist als der Preis; • die Lebenswelten inklusive Rahmenbedingungen sowie Werte und somit die Bedürfnisse der Kunden ändern sich immer schneller. Bestehende Produkte treffen nicht mehr die Bedürfnisse. Vom Produkt zum System Reine Produktlieferanten sind out. Liefern Sie Systeme, also alles, was zur Lösung des Problems benötigt wird. Wenn Sie dafür Produkte benötigen, die nicht in Ihrem Kernbereich der Herstellung liegen, dann kooperieren Sie und kaufen diese Leistungen hinzu. Sie können nicht in der Herstellung aller Produkte der Beste sein. Sie können jedoch dafür sorgen, dass Ihre Kunden durch Sie ihr dringlichstes Problem lösen können. Der Kunde will den Nutzen sofort und zwar komplett. Hören Sie nicht bei 95 Prozent auf. Ein erklärungsbedürftiges Produkt ohne Beratung, ein Elektrogerät ohne Netzkabel, ein Kinderspielzeug ohne Batterie kommen beim Kunden nicht an. Um beim letztgenannten Beispiel zu bleiben: Gerade wenn Kunden über das Internet kaufen, fehlt häufig der Verkäuferhinweis, dass Batterien nicht im Lieferumfang enthalten sind. Jetzt stellen Sie sich das Geschrei eines Kindes unter dem Weihnachtsbaum vor, wenn das Spielzeug aufgrund fehlender Batterien nicht sofort ausprobiert werden kann. So haben Sie in den Eltern sofort Feinde fürs Leben gewonnen. Im EDV-Bereich sind viele Anbieter diesen Weg bereits gegangen. Das Angebot lautet »integrierte Beratungsdienstleistungen für IT-gestützte Unternehmensumstrukturierungen mit kompletter Implementierung«. HP liefert integrierte Lösungen – meist für das dringendste Problem. Ein schlüsselfertiges System. Nur ganz am Rande wird dann noch ein HP-Server mitgeliefert. Auch hier ist also wieder die Entwicklung vom Produktlieferanten zum Lösungsanbieter erkennbar. In der Versicherungsbranche werden auch nicht mehr Versicherungen angeboten, sondern Produkte 80 Praxishandbuch Produktentwicklung und Dienstleistungen, damit die Kunden ihre Träume verwirklichen können: ein neues Auto, Urlaub, Altersvorsorge oder finanzielle Absicherung. Das Standardprodukt »Versicherungen« ist lediglich die Eintrittskarte in den Markt. Um bestehen zu können, muss den Kunden schon mehr geboten werden. So ist es in allen Bereichen: Wo früher Produkte und Dienstleistungen angeboten wurden, erwarten die Kunden heute Lösungen für ihre Probleme. Dieses beinhaltet auch, was vor und nach der Nutzung des eigentlichen Produkts passiert: Auf- und Abbau, An- und Abfahrt et cetera. Beziehen Sie dies in Ihre Komplettlösung ein. Machen Sie es Ihren Kunden so einfach wie nur irgend möglich. Bieten Sie Nutzen auf allen Ebenen: Produkt, Vertriebswege, Service und Betreuung nach dem Kauf. Nicht nur der direkte Nutzen durch das Produkt ist ausschlaggebend. Die Kundenerwartung ist heute nicht nur eine schnelle Lösung eines Problems, sondern die dauerhafte Garantie, dass das Problem umgehend dauerhaft gelöst werden kann. Hier zählt die Nachhaltigkeit. Kunden wollen laufend informiert werden Auch die Beschaffungswege waren früher eher auf die Logistik der Anbieter ausgerichtet als auf die Präferenzen der Kunden. Die Kunden erwarten heute die Möglichkeit, sich laufend informieren zu können. So können sich beispielsweise bei FedEx die Versender und Empfänger laufend Informationen einholen, wo sich die Ware gerade befindet. Versuchen Sie das doch bitte mal bei einer Überweisung von einer Bank zur anderen. Keine Chance! Geistreiches und Zitiertes »Wenn Sie ihre Erwartungen (der Kundin) einmal nicht erfüllen, wird sie Ihnen vergeben. Erfüllen Sie ihre Erwartungen ein zweites Mal nicht, wird sie sich selbst die Schuld zuschreiben. Wenn Sie ihre Erwartungen ein drittes Mal nicht erfüllen, haben Sie verspielt.« Faith Popcorn in Evalution »Denn nur vom Nutzen wird die Welt regiert.« Friedrich Schiller Kundenerwartungen heute 81 »Denn wer seine Kunden verwöhnt, der wird auch von seinen Kunden verwöhnt, und auf einmal ist ein Kunde mehr als nur ein Debitor.« Daniel Zanetti in Kundenverblüffung »Optimieren Sie den Kundennutzen, statt sich nur auf eine Gewinnerhöhung zu konzentrieren.« Fredmund Malik »Denn jeden Tag ein bisschen besser zu werden, ist heute Standard, gerade mal die Eintrittskarte für den globalen Wettbewerb, die Erlaubnis zum Mitspielen. Besser sein ist gewöhnlich, mehr nicht. Worum es wirklich geht: außergewöhnlich sein. Einzigartig.« Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich »Gib den Menschen nicht das, was sie wollen. Sondern das, wovon sie nie zu träumen wagten.« Diana Vreeland »Wir sind umzingelt von langweiligen Angeboten, die irgendwie ›ganz okay‹ sind.« Anja Förster und Peter Kreuz in Spuren statt Staub »Glühende Anhänger! Nur zufriedene Kunden zu haben ist zu wenig.« Bob Curry »›Gute Produkte‹ reichen nicht mehr aus. Bei weitem nicht. ›Gute Produkte‹ sind lediglich der Ausgangspunkt. Heute haben ›großartige Produkte‹ bereits den Status von Standardware erreicht.« Tom Peters in Re-imagine 82 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 7 Kundennutzen Ausnahmsweise eine Definition »In der ökonomischen Theorie versteht man unter dem Nutzen das Maß für die Fähigkeit eines Gutes oder einer Gütergruppe, die Bedürfnisse eines wirtschaftlichen Akteurs (zum Beispiel eines Privathaushalts) zu befriedigen. Allgemein ist Nutzen eine Vergrößerung des Wertevorrats oder eine Minderung des Werteverlusts.«1 Es geht bei Nutzen also ausschließlich um Bedürfnisbefriedigung durch Wunscherfüllung und Problemvermeidung beziehungsweise -minderung. Der Nutzen wird durch den Kunden definiert Es zählt nicht der objektive (was ist schon objektiv?) Nutzen oder der Nutzen, den der Hersteller vermutet. Es zählt ausschließlich der von den Kunden wahrgenommene Nutzen: • Nutzen = Nutzen für den Kunden; • Nutzen ≠ Meinung externer Experten; • Nutzen ≠ Meinung der eigenen Mitarbeiter. Und dabei ist der relative Nutzen wichtiger als der absolute. Erstgenannter ist der Nutzen des neuen Produkts, verglichen mit dem Nutzen bestehender oder alternativer Angebote. Und dieser relative Nutzen muss hoch sein, damit die Kunden zu Ihnen wechseln. Von Dale Carnegie stammt das Zitat: »Ich esse für mein Leben gern Erdbeeren. Aber wenn ich angeln gehe, frage ich, was die Fische mögen«. Der Wurm an der Angel muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. 1 Aus: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Begriff »Nutzen«. Stand 22.08.2009. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Nutzen Kundennutzen 83 Was dem Fisch schmeckt ist noch einfach zu erfahren. Schwieriger wird es zu erkunden, was den Kunden »schmeckt« und was sie wollen. Und noch eine Stufe weiter: Was sind die Probleme und Bedürfnisse der Kunden, deren Lösungsangebote sie veranlassen, in die Geldbörse zu greifen? Heute bestehen Unternehmen nur noch, wenn sie sich auf die Bedürfnisse der Kunden konzentrieren. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen einer Schweizer Fluggesellschaft wird der Bordservice beworben: Speisen werden auf Porzellangeschirr serviert. Ob nun kalte Brötchen auf Porzellan oder auf Pappe: Die meisten Fluggäste suchen sich die Airline aus, die sie sicher und pünktlich an ihr Ziel bringt. Da bringt es nichts, wenn die Fluggesellschaften am Essen basteln. Sicherheit, Pünktlichkeit und Preis, das reicht. Wie wäre demgegenüber eine Werbung, die hervorhebt, dass keine der Maschinen älter als fünf Jahre ist, die Piloten sich regelmäßigen Prüfungen unterziehen müssen und die Flugzeuge x-mal die Woche gewartet werden? Diese Aspekte sprechen mehr an als Porzellan. Hersteller können nicht erwarten, die Kunden zum Kauf zu motivieren, wenn sie noch nicht einmal wissen, was die Kunden bewegt. Da die zur Verfügung stehenden Mittel in der Regel beschränkt sind, kann der Mensch nicht alle seine Bedürfnisse gleichzeitig befriedigen. Es werden zuerst Bedürfnisse befriedigt, die aus seiner Sicht am dringendsten sind. Je mehr wichtige Motive und Bedürfnisse angesprochen werden, desto mehr will der Kunde das Produkt beziehungsweise die Lösung. Die Befriedigung von Bedürfnissen ruft häufig weitere Bedürfnisse hervor. Einem neuen Haus folgen Bedürfnisse nach neuen Einrichtungsgegenständen und so weiter. In der Produktentwicklung ist zu prüfen, ob Sie das ursprüngliche Bedürfnis befriedigen möchten, oder lieber die nachfolgenden, da hier häufig der Wettbewerb geringer ist. Unterschieden wird zwischen bewussten und unbewussten Bedürfnissen. Unbewusste können zum Beispiel durch Werbung zu bewussten werden. Am erfolgreichsten sind jedoch die Produkte, die Bedürfnisse erfüllen, die den Kunden bereits bewusst sind. Bedürfnisse erst durch Werbung und Produkte zu wecken, ist weitaus schwieriger. Problemrelevanz und Häufigkeit Voraussetzung für ein erfolgreiches Produkt ist, dass das zu lösende Problem den Kunden großen Kummer bereitet. Das Problem kann eine von außen wirkende Gegebenheit (zum Beispiel Zeitdruck, rechtliche Vor84 Praxishandbuch Produktentwicklung gaben, Steuern) sein oder durch Ansprüche auftreten, die die einzelne Person an sich selbst stellt. Die Kunden haben bei hoher Relevanz einen großen Schaden, wenn die Probleme nicht gelöst werden. Dann bereiten die Probleme den Kunden große Sorgen aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahr (Finanzen, Beruf, Gesundheit). Tritt das Problem bei der Kundengruppe häufig auf, haben Sie eine ideale Ausgangsposition: Lösen Sie mit Ihrem Produkt dieses Problem und die Kunden werden Ihnen das Produkt aus den Händen reißen. Gibt es eine hohe Relevanz, aber nur geringe Häufigkeit, ist die Ausgangsposition für ein gutes Produkt immer noch passabel. Eine hohe Häufigkeit bei nur geringer Relevanz reicht nicht aus, ebenso nicht eine geringe Relevanz und geringe Häufigkeit. Abbildung 6: Hohe Problemrelevanz und häufiges Auftreten der Probleme sind Ansätze für ein Spitzenprodukt Problemrelevanz Sehr hoch Spitzenprodukt – große Sorgen – Gefahr/Risiko – starker Druck Schwaches Produkt gering Problemhäufigkeit selten Sehr oft Hauptaufgabe eines jeden Unternehmens Die Kunden wollen keine Produkte mehr, sie wollen Lösungen und gute Gefühle. Die Kunden haben Bedürfnisse und wollen Probleme gelöst, Träume und Wünsche erfüllt bekommen. Sie wünschen sich die Vermeidung von Schmerz, Angst und Ärger bis hin zum Erreichen von Sicherheit, Anerkennung, Freude und Erfolg. Helfen Sie den Kunden, dass sie so leben können, wie sie es sich erträumen. Erfüllen Sie ihnen ihre Träume, lösen Sie ihre Probleme, bieten Sie ihnen Nutzen. Davon kann es nicht genug sein! Sinn und Daseinsberechtigung eines Unternehmens ist nicht die Gewinnmaximierung, sondern das Lösen der Kundenprobleme. Je besser das gelingt, desto höher ist zwangsläufig der Gewinn. Wenn Sie den Kundennutzen 85 Kunden erst den Nutzen geben, kommt der Gewinn von allein, sofern ein Anbieter intern gut wirtschaftet. Es darf primär nicht um Gewinnmaximierung für das Unternehmen, sondern um Nutzenmaximierung für den Kunden gehen. Was ist Ihr Kerngeschäft? Eine produktbezogene Definition des Kerngeschäfts reicht heute nicht mehr. Das geht nur so lange gut, bis ein Konkurrent mit einem Vergleichsprodukt oder ein besseres Produkt auf den Markt kommt. IBM hat in den letzten Jahrzehnten mehrfach sein Kerngeschäft angepasst, sodass die Definitionen des Kerngeschäfts folgendermaßen lauten könnten: • erste Definition: »Unser Geschäft ist die Herstellung von Lochkartenmaschinen« (Produktdefinition des Kerngeschäfts); • zweite Definition: »Unser Geschäft ist die Datenverarbeitung« (problembezogene Definition. Es wurden keine Geräte mehr verkauft, sondern Lösungen angeboten); • dritte Definition: »Unser Geschäft ist es, mit allen Mitteln und Möglichkeiten zu helfen, damit unsere Kunden selbst bessere Geschäfte machen«. Das heißt, das Produkt (Server und Computer) ist nur Mittel zum Zweck, um dieses Ziel zu erreichen. Die letzte Definition bringt es auf den Punkt. Es geht hier nicht um Verkaufssteigerungsprogramme, die bei der heutigen Austauschbarkeit der Werbung und der gut geschulten Einkäufer immer wirkungsloser werden. Bei den Verkaufssteigerungsprogrammen ging es ausschließlich darum, das eigene Unternehmen erfolgreicher zu machen. Die oben genannte dritte Definition des Kerngeschäfts geht in eine ganz andere Richtung. In Zukunft werden Unternehmen in Kundenerfolgssteigerungskonzepten denken und denken müssen. Die Unternehmen, die dieses Denken am konsequentesten umsetzen, werden trotz Wirtschaftsflaute im Umsatz und Gewinn wachsen. Für den Bereich business-to-customer (b-to-c) ist diese Definition leicht zu modifizieren: »Unser Geschäft ist es, mit allen Mitteln und Möglichkeiten zu helfen, damit unsere Kunden ein einfacheres, besseres und glücklicheres Leben haben.« Werden Sie Berater und Lebenshelfer Ihrer Kunden. Nehmen Sie Ihren Kunden ihre Sorgen ab – oder zumindest einen 86 Praxishandbuch Produktentwicklung wesentlichen Teil davon und/oder erfüllen Sie ihre Wünsche. Machen Sie Ihre Kunden erfolgreicher und glücklicher. Machen Sie ihnen das Leben leichter und schöner, und Ihr Erfolg lässt sich nicht mehr vermeiden. Die Aufgabe der Produktanbieter ist und wird in Zukunft immer mehr, den Kunden zu helfen. Schalten Sie auf die Lebenshilfe für Ihre Kunden um. Dafür müssen Sie jedoch viele und intensive Informationen über Ihre Kunden haben: Was sind deren Vorlieben, Werte, Prioritäten, Bedürfnisse, Träume und Wünsche auf der einen Seite? Und was sind die Sorgen, Ängste, Probleme auf der anderen Seite? Sie müssen wissen, wie und was Ihre Kunden wirklich denken und fühlen. Verkaufen Sie heute schon Lösungen oder noch Produkte? Machen Sie den Test: Fragen Sie Ihre Mitarbeiter: »Was ist unser Kerngeschäft?«. Nennen Ihre Mitarbeiter dann Produkte beziehungsweise deren ­Eigenschaften, dann lebt bei Ihnen im Unternehmen noch das Produktdenken. Ein klar definiertes Kerngeschäft hat ein Friseur aus Düsseldorf: »Wir machen Frauen zehn Jahre jünger«. Kein Wort von Haare schneiden. Sie können sich an jeder Straßenecke die Haare schneiden lassen. Doch das Versprechen, dass Sie als Frau danach zehn Jahre jünger aussehen, erhalten Sie nur in Düsseldorf. Da wird der Preis für den Haarschnitt zur Nebensache. Welche Frau – sofern sie über vierzig Jahre alt ist – möchte nicht gern mindestens zehn Jahre jünger aussehen? Wenn der Friseur das Versprechen macht und – aus der Sicht der Kunden – auch hält, so hat er einen großen Wunsch der Frauen erfüllt. Kunden wollen keine Produkte, sondern Lösungen Verkaufen Sie Produkte – entweder physisch oder in Form von Dienstleistungen? Falls Sie jetzt mit »ja« geantwortet haben, muss ich Sie leider enttäuschen. Keiner Ihrer Kunden kauft Produkte. Der Kauf von Produkten ist nur Mittel zum Zweck. Die Kunden haben kein Interesse an Produkteigenschaften und Funktionen, sondern nur an dem Nutzen, den sie mit diesen erworbenen Produkten haben. Es geht hierbei nur um die Bedürfnisbefriedigung, mehr nicht. Das ist Ihre Chance. Befriedigen Sie die Bedürfnisse Ihrer Kunden besser als Ihre Mitbewerber und Preisgespräche gehören der Vergangenheit an. Wenn es in Ihrem Unternehmen um Neuprodukte oder Produktoptimierungen geht, sollten Sie immer hinterfragen, was der wirkliche Nutzen Kundennutzen 87 des Produkts ist. Eine Bezeichnung Ihres Angebots oder eine Beschreibung der Funktion reicht hier nicht. Kunden kaufen: • keine Geschirrspülmaschine, sondern sauberes Geschirr; • keinen Strom, sondern Licht und Wärme; • keine Bohrmaschinen (Produkt) und auch keine Löcher in der Wand, sondern Möglichkeiten, etwas zu befestigen (Hängevorrichtungen, Schrank zusammenbauen, Bilder befestigen). Somit stehen auch PowerStrips durchaus in Konkurrenz zu Bohrmaschinen; • keine Mausefalle, sondern die Abwesenheit von Mäusen; • keine Waschmaschine, Waschmittel, Bügelbrett, Bügeleisen, sondern saubere, glatte Wäsche sowie Anerkennung durch Kleidung (Wann kommt denn endlich mal jemand auf eine gute Produktidee, die das lästige Bügeln erspart? Viele warten darauf!); • kein Auto mit vielen PS, sondern die Möglichkeit der kurzen Wege beim Überholen, des sicheren Einfädelns in den fließenden Straßenverkehr und des Umgehens von Gefahrensituation sowie Spaß, neidische Nachbarn und Prestige; • kein Auto mit wenigen PS, sondern geringen Verbrauch und Schonung der Umwelt; • keine Häuser, sondern Wohlfühlerlebnisse und Lebensqualität; • keinen programmierbaren Thermostaten, sondern geringe Heizkosten und Schonung der Umwelt sowie eine warme Wohnung, wenn man nach Hause kommt; • keine Reise, sondern Erholung, gutes und sicheres Ankommen, das Erleben von neuen Dingen; • keine dicke Angelschnur, sondern die Möglichkeit, große Fische zu fangen; • keine Taxifahrt, sondern das sichere, schnelle und bequeme Ankommen am gewünschten Ort; • keinen Fotoapparat, sondern das Festhalten von Erinnerungen mit einer einfach zu bedienenden Kamera (Hobby-Fotografen), die Möglichkeit des Verkaufs von Fotos oder der Fertigung von Postern mit hochauflösenden Kameras (Profis); • kein Mineralwasser, sondern Durstlöscher; • kein Handy, sondern durchgehende Erreichbarkeit und soziale Kontakte; • keine weiße Wandfarbe, sondern ein Wohlfühlerlebnis zuhause mit geringem Aufwand; • keine Unfallversicherung, sondern Absicherung bei Risiken (Freude an Risikosportarten); 88 Praxishandbuch Produktentwicklung • keine Klimaanlage, sondern wohltemperierte Räume; • keine Lebensversicherung und keinen Sparvertrag, sondern Sicherheit und Auskommen im Alter; • keinen Toaster, sondern ein schmackhaftes Frühstück; • keinen Kühlschrank oder Klimaanlage, sondern Kühlung beziehungsweise länger haltbare Lebensmittel; • keine Ski, sondern Spaß im Schnee. Dieses hat in den letzten Jahren die Ski-Industrie schmerzlich erfahren müssen. Ging die Ski-Industrie jahrzehntelang davon aus, dass der Wettbewerber andere Skihersteller waren, so wurden sie von der neuen Konkurrenz förmlich überrollt: Snowboardfahren war plötzlich in. Der Kunde kaufte auch früher schon keine Ski, sondern Spaß im Schnee. Und dieser Nutzen wird seit Jahren auch mit anderen Geräten geboten; • keine Plattenspieler, sondern die Möglichkeit, in den privaten Räumen Musik zu hören. Top-Unternehmen wie zum Beispiel Dual als ehemaliger Marktführer für Schallplattenspieler sind von den CD-Playern aus dem Markt gedrängt worden. Diese hingegen werden es gegen mp3Player und Computer schwer haben; • keinen Öl-Öfen, sondern Wärme und Behaglichkeit. Dafür zahlt der Kunde nichts Die Anzahl der Patente eines Produkts sind kein Verkaufsargument, auch wenn die Techniker dieses gern hervorheben. Patente können maximal die Werbeargumentation ergänzen. Mehr nicht. Preise und Auszeichnungen bringen nichts. Es gibt zwei Arten von »ausgezeichneten« Produkten: • die, die von einer Expertenjury als innovativ und außergewöhnlich eingeschätzt und prämiert werden. Aber was haben Sie davon, dass Ihr Produkt die Probleme löst und Wünsche erfüllt, die Ihre Kunden erst in zehn Jahren haben werden? Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer zu früh kommt, den bestraft der Kunde; • die, die von den Kunden für innovativ und nutzbringend gehalten werden. Halten Sie sich an die letztgenannte Messlatte. Denn nur die bringt Ihnen den Umsatz. Urkunden und Medaillen sind kein Indiz für Umsatz. Innovation ja, jedoch bitte innerhalb der Probleme und Fertigkeiten der Kunden. Kundennutzen 89 Der Nutzen muss sofort spürbar sein Der Nutzen des Produkts muss sofort erkennbar sein, sonst ist der Schmerz (Kosten) beim Kauf immer höher als die Freude (Nutzen). Und der Nutzen muss möglichst umgehend eintreten. Denn das Gefühl in der Gegenwart beziehungsweise nahen Zukunft bestimmt mehr das Handeln als das Gefühl in weiter Zukunft. Jetzt das Geld auszugeben und erst viel später den Nutzen zu haben, verleitet die Kunden nicht zum Kauf. Ebenso ist es wichtig, dass der Kunde das neue Produkt sofort einsetzen und auch sofort den Erfolg wahrnehmen kann. Ist zum Beispiel die Komplexität zu hoch, sodass der Kunde zu lange probieren muss, ist die Gefahr hoch, dass er von seinem Rückgaberecht Gebrauch macht. »Nice to have« reicht nicht aus »Nice to have« gilt für Produkte, die das Leben angenehmer gestalten, auf die jedoch verzichtet werden kann. »Need to have« beziehungsweise »must have« gilt für Produkte, die ein elementares Bedürfnis befriedigen, ohne den das »Überleben« nicht oder nur sehr schwer möglich ist. Bei Nice-to-have-Produkten hat der Kunde zwei Alternativen zu Ihrem Angebot: Er wählt das Konkurrenzprodukt oder er verzichtet ganz (zum Beispiel Restaurantbesuch, Theaterbesuch, Urlaub, neue Möbel et cetera). Der Verzicht ist hier eine Alternative. Es ist zwar der Wunsch nach diesen Nice-to-have-Produkten vorhanden, jedoch braucht der Kunde diese nicht unbedingt zum Leben. Auf Produkte, die hier ansetzen, wird in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als erstes verzichtet. Setzen Sie am wirksamsten Punkt an Den größten Nutzen liefern Sie, wenn Ihre Produkte das größte Problem lösen beziehungsweise den größten Wunsch erfüllen und ein Must-haveBedürfnis befriedigen. Das ist der Punkt, der entscheidend und dessen Lösung essenziell ist. Betrachten wir ein Beispiel aus der Natur: Liebigs Gesetz beschreibt, dass trotz der Fülle von Substanzen im Boden nur vier Stoffe für das Wachstum von Getreide wichtig sind: Kali, Kalk, Phosphor und Stickstoff. Die Weiterentwicklung der Pflanze ist nur durch den 90 Praxishandbuch Produktentwicklung Minimumfaktor begrenzt, also dem Stoff, der für die Pflanze in Relation zur benötigten Menge am geringsten vorhanden ist. Wird dieser Stoff dem Nährboden gezielt hinzugegeben, wächst die Pflanze so lange weiter, bis es am nächsten Stoff mangelt. Wird auch dieser Engpass beseitigt, geht das Wachstum bis zum nächsten Minimumfaktormangel weiter und so fort. Diese Erkenntnisse revolutionierten die Landwirtschaft und ermöglichten über eine gezielte Düngung eine erhebliche Steigerung der Ernte. Für Sie als Anbieter bedeutet dies, dass Sie den Minimumfaktor beziehungsweise Engpass bei Ihren Kunden finden müssen. Welche Faktoren und Probleme halten die Kunden am stärksten von guten Geschäften ab? Was ist der größte Engpass? Was würde sie weitaus erfolgreicher und glücklicher machen? Schaffen Sie es, dieses Problem mit Ihrer Produktpalette zu lösen, erhält der Kunde einen maximalen Vorteil und Sie werden einen reißenden Absatz bei Ihren Produkten haben. Ist dieses Produkt auf dem Markt, dann wenden Sie sich in der Hierarchie dem nächsten Minimumfaktor zu. Unternehmen und Familien kaufen keine Produkte Familien, Unternehmen, Einrichtungen und Behörden kaufen nichts. Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Gegenwart und auch nicht in der Zukunft. Es sind Individuen, die sich für oder gegen ein Produkt entscheiden. Und genauso individuell wollen sie behandelt werden. Anbieter gehen meist von Familien oder Organisationen aus, die ihre Kaufentscheidungen nach rationalen Gesichtspunkten treffen. Es sind jedoch Menschen mit eigenen Bedürfnissen, die häufiger als wir glauben und wünschen völlig emotional und irrational handeln – und das sowohl im privaten Bereich wie im b-to-b-Bereich. B-to-b und b-to-c unterscheiden sich – wenn überhaupt – dann nur marginal. Gerade im b-to-b-Bereich ist die Ausrichtung des Nutzens auf einzelne Personen eine häufig vernachlässigte Tatsache. Es wird häufig insbesondere im b-to-b-Bereich statt nach Personen nach abstrakten Branchen und Geschäftsfeldern segmentiert: »Unsere Zielgruppe ist die Pharmaindustrie«, »Wir sind in der Computerbranche tätig«. Die Pharmaindustrie kauft keine Produkte. Ebenso wenig die Computerbranche. Es sind die Menschen, die das Produkt auswählen, den Auftrag unterschreiben und das Produkt bezahlen. Ein auf den ersten Blick kleiner Unterschied. Er ist jedoch wesentlich. Menschen entscheiden, ob AngeKundennutzen 91 bote ein Renner oder ein Ladenhüter werden. Der persönliche Nutzen eines Produkts kann im b-to-b-Bereich mit dem Nutzen des Unternehmens, in dem Ihr potenzieller Kunde beschäftigt ist, übereinstimmen. Das muss jedoch nicht sein. Die Produktentwicklung ist ausschließlich auf den Nutzen der Personen auszurichten (beruflicher Aufstieg, sicherer Arbeitsplatz, Anerkennung vom Vorgesetzten et cetera), nicht nach dem Nutzen für das Unternehmen. Gemäß Wilhelm Tell: »Der Mensch denkt an sich selbst zuletzt«, passender ist jedoch: »Der Mensch denkt an sich – selbst zuletzt«. Das Interesse und der Vorteil der Firma stehen bei der Produktentscheidung immer hinten an. Es gilt, das eigene Bedürfnis des Kunden als Angestellter zu befriedigen. Und das gilt für alle am Kauf Beteiligten: Nutzer, Entscheider und Zahler. Egoismus pur? Ja! Kunden kaufen in erster Linie die Produkte, die ihnen Nutzen bringen. Erst in zweiter Linie werden Produkte angeschafft, die für das Unternehmen gut sind. Und dann auch nur, wenn sie dadurch einen Vorteil haben. Der Nutzen im Beruf kann unter anderem Kostensenkung, Umsatzsteigerung oder Zeitgewinn sein. Das sind alles Dinge, die auf den ersten Blick einen Nutzen für das Unternehmen bedeuten. Jedoch wird sich Ihr Kunde nur für die Produkte entscheiden, die auch ihm persönlich nutzen oder zumindest nicht schaden. So zum Beispiel hat er durch die Produkte mehr Anerkennung im Unternehmen, eine Beförderung, eine Gehaltserhöhung, einen sicheren Arbeitsplatz oder einfach einen geringeren Zeitaufwand und kann so abends eher nach Hause gehen. Im Idealfall decken sich die beruflichen Bedürfnisse mit denen des Unternehmens weitgehend. Sie müssen in den Gesprächen an erster Stelle die wahren Bedürfnisse der Gesprächspartner erfahren und diese befriedigen, erst nachgeschaltet die Ziele der Firma. Dann werden Ihre Produkte unentbehrlich für Ihre Kunden. Der Hauptunterschied von b-to-b zu b-to-c ist, dass im Berufsleben der Käufer meist nicht sein eigenes Geld auf den Tisch legt. Unterscheiden Sie zwischen Zahler, Entscheider und Nutzer Ist der Entscheider = Zahler = Nutzer? Meist leider nicht. Diese Funktionen können sich zwar überschneiden. So kann zum Beispiel der Entscheider auch gleichzeitig Nutzer sein, jedoch ist der Zahler eine andere Person. Häufig sind unterschiedliche Personen (leider auch mit unterschiedlichen Bedürfnissen) an dem Kaufprozess für ein Produkt beteiligt: 92 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • Zahler: zahlt das Produkt, ohne es zwangsläufig selbst auch zu nutzen; Entscheider: benutzt nicht und zahlt nicht; Nutzer: setzt das Produkt ein und gebraucht es; Empfehler: benutzt nicht und zahlt nicht, hat jedoch Einfluss auf die vorherigen drei Gruppen. Hierzu gehören Vermittler und Meinungsbildner (zum Beispiel Arzt, Friseur, Internetportal, Blog). Es geht hier nicht um den Nutzen des Produkts, sondern um den Nutzen des Produkts für den Zahler, den Entscheider und den Nutzer. So muss beispielsweise bei größeren Anschaffungen (Geräte, Software, Beratung) in Unternehmen jeweils der Chef (also der Entscheider) gefragt werden, auch wenn dieser später das Produkt gar nicht nutzt. Der Chef (er interessiert sich für die Rentabilität seiner Investition, die Liquidität muss gesichert bleiben), der Einkäufer (möglichst geringe Kosten, der Nutzen ist zweitrangig), Leiter der Logistik (Just-in-time-Lieferung), Angestellter in der Fertigung (möglichst leichte Handhabung, volle Unterstützung durch das Produkt und Zeitersparnis der individuellen Lösung) haben komplett unterschiedliche eigene Interessen. Hinzu kommt, dass der Mitarbeiter dem Chef gegenüber Hemmungen hat, das Produkt einzufordern, da er gegebenenfalls hiermit Defizite seines Könnens aufdeckt. Ein oft gesehenes Beispiel aus dem Bereich der Babybekleidung dafür, dass Entscheider, Käufer und Nutzer oft drei unterschiedliche Personen sind: Die Eltern suchen etwas aus (Entscheider), die Großeltern zahlen (Zahler) und das Baby zieht es an (Nutzer). Hier müssen also nur die Entscheider und Zahler überzeugt werden. Bei Spielwaren wird die Sache schon komplizierter: Hier gilt es neben dem Zahler und dem Entscheider auch noch den Nutzer zu überzeugen. Was nützt es, wenn die Eltern und Großeltern von Lego begeistert sind, das Kind aber lieber mit Playmobil spielt? Spätestens wenn auch der dritte Baukasten ungenutzt in der Ecke liegt, werden die Großeltern und Eltern es aufgeben, weiterhin Legosteine für den Sprössling zu besorgen. Ein Kids-Menü einer Fastfoodkette muss dem Kind gefallen – manchmal auch der Inhalt gut schmecken – und auch den Eltern zusagen. Was nutzt das Obst in der Juniortüte, um den Eltern das Gefühl zu geben, etwas für die Gesundheit der Kinder getan zu haben, wenn der Sprössling Obst als uncool ignoriert? Wenn sich diese Gruppen (Zahler, Entscheider, Nutzer) von den Bedürfnissen her komplett unterscheiden, muss jede Gruppe im Konzept einzeln beschrieben werden. Somit wird die Anzahl der benötigten Marktgespräche verdreifacht, um diese Wirrungen zu erfassen und anschließend in das Produkt und die abschließende werbliche Ansprache einfließen zu lassen. Kundennutzen 93 Denn bereits in der Produktentwicklung ist zu beachten, dass alle Beteiligten (Entscheider, Nutzer und Zahler) einen Nutzen von dem Produkt haben müssen. Da die Interessen dieser drei Gruppen häufig konträr sind, ist dieses besonders schwer. Es wird deutlich, dass es schwer – wenn nicht gar unmöglich – ist, alle Beteiligten von Ihrem Angebot zu überzeugen. Denn indirekt beeinflussen auch die Nutzer, Empfehler und Zahler den Entscheider. Am einfachsten ist die Situation, wenn alle diese Positionen auf eine Person fallen. Dann muss nur diese Person von dem Nutzen Ihres Produkts überzeugt werden: Sie geht in ein Eiscafé und kauft sich ein Eis. Damit ist der Entscheider = Zahler = Nutzer. Im b-to-c-Bereich ist außer bei Großanschaffungen tatsächlich meist nur eine Person beteiligt. Auch dem Zwischenhändler Nutzen geben Wenn Sie über einen Händler (egal ob mit einem Ladengeschäft oder ohne) verkaufen, dann müssen Sie in der Lage sein, auch diesem zu verdeutlichen, warum er Ihr Produkt bei seiner Präsentation in den Vordergrund stellen soll und nicht das der Konkurrenz. Es gilt somit den Händler und den Endkunden zu überzeugen. Überzeugen Sie hingegen nur den Händler, fliegen Sie letztlich im hohen Bogen aus dem Sortiment, weil der Endkunde nicht kauft. Geistreiches und Zitiertes »Optimieren Sie den Kundennutzen, statt sich nur auf eine Gewinnerhöhung zu konzentrieren.« Fredmund Malik »Der Kundennutzen ist der von dem Kunden wahrgenommene Nutzen, nicht der Nutzen, von dem man glaubt, dass der Kunde ihn habe.« Josef Gochermann in Kundenorientierte Produktentwicklung »Die beste Art, die Konkurrenz zum Wahnsinn zu treiben, ist es, Ihre Kunden glücklich zu machen.« Gay Kawasaki in Die Kunst, die Konkurrenz zum Wahnsinn zu treiben 94 Praxishandbuch Produktentwicklung »Wer unfähig ist Probleme zu lösen, wird vom Markt verschwinden.« Kerstin Friedrich in Erfolgreich durch Spezialisierung »Wer ein Problem sichtbar besser löst als andere, der kann seinen Erfolg nicht verhindern.« Arnold Weissman »Vergessen Sie bitte die Detailverliebtheit und Ihre großen technischen Erfindungen und schildern Sie Inhalte, die den anderen interessieren und die er auch versteht.« Joachim Skambraks in Elevator Pitch »Kein Kunde kauft je ein Erzeugnis. Er kauft immer nur das, was das Erzeugnis für ihn leistet.« Peter F. Drucker »Ein erfolgreiches Geschäft beginnt nicht mit einer großartigen Idee oder einem tollen Produkt, sondern mit dem Wunsch, für das Problem eines anderen eine Lösung zu finden. Sie müssen verstehen, dass Sie mit Ihrem Geschäft ein höheres Ziel als Geld verdienen verfolgen. Ihr Ziel muss es sein, zu verstehen, was Sie zur Lösung von Problemen anderer beitragen können.« Jay Abraham in Power Marketing mit kleinem Budget »Am Ende entscheidet der Markt: für den Politiker der Wähler, im Geschäft und in der Technik der Konsument.« John Naisbitt in Mind Set! »Die Hauptvoraussetzung für echtes Kundenbeziehungsmanagement ist ein Produkt, das vom Kunden gewünscht wird. Echtes Engagement in der Beziehungspflege kann zwar viele Produktnachteile aufwiegen und für eine gewisse Zeit kompensieren. Dennoch ist der sogenannte Kernnutzen nach wie vor auch Kern der Kundenzufriedenheit. Erfüllt das Produkt den Zweck nicht, nützen die übrigen Aktivitäten wenig.« Hannes Kunz in Beziehungsmanagement »Der Untergang von Unternehmen wird nicht durch eine gewaltige, blutige Palastrevolution heraufbeschworen, sondern durch einen langsamen und vorsätzlichen Selbstmord durch Ihre Einstellung und Ihr Verhalten gegenüber den Kunden.« Jerry Wilson Kundennutzen 95 »Wer anderen nützt, nützt sich selber.« Seneca »Menschen, die wissen, dass es im Leben darum geht, anderen Menschen Nutzen zu stiften, um dadurch selbst Nutzen zu erfahren, werden immer wieder feststellen, dass die Chancen und Möglichkeiten trotz weltweiter Rezession und wirtschaftlicher Probleme größer sind als die Probleme und Schwierigkeiten, denen jeder täglich gegenübersteht.« Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt? »Wenn der menschliche Primat eine Entscheidung treffen muss zwischen dem, was für das Unternehmen und was für ihn selbst das Beste ist, dann wird er sich in der Mehrzahl der Fälle für das entscheiden, was seine eigenen Karriereaussichten verbessert.« Jack Trout in Trout über Strategie 96 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 8 Prozessmusterwechsel und Komplexität Prozessmusterwechsel vs. Best Practice Dass sich die Rahmenbedingungen immer mehr ändern, ist allgemein bekannt. Die Unternehmen geraten so unter einen erheblichen Veränderungsdruck. Mit der angemessenen Reaktion darauf beschäftigen sich die Unternehmen jedoch deutlich weniger. Reaktionen auf Veränderungen Wenn bei einem Auto die Ölkontrollleuchte blinkt, wird nicht der Strom zur Lampe abgeklemmt, sondern schleunigst Öl nachgefüllt. Warum wird diese Vorgehensweise nicht im Geschäftsleben praktiziert? Wenn plötzlich etwas nicht mehr so läuft wie bisher – wenn sich die Produkte zum Beispiel nicht mehr so gut verkaufen lassen –, tun Mitarbeiter entweder gar nichts oder verdoppeln ihre Bemühungen mit der bisherigen Vorgehensweise, um dadurch etwas zu verbessern. Ein Fehler, denn gerade die Handlungen der Vergangenheit haben doch zur entstandenen Misere geführt. Wo immer Menschen unter Druck geraten beziehungsweise wenn etwas nicht mehr funktioniert, machen sie das, was sie schon immer gemacht haben. Sie machen es nur heftiger, kommen damit jedoch nicht weiter. Beobachtet werden kann das auch an einer verschlossenen Tür, die sonst offen ist: Es wird versucht, diese zu öffnen. Funktioniert es nicht, wird mehrmals heftig daran gerüttelt, ob sie nicht doch aufgeht. Dieses ist zwar logisch verkehrt, psychologisch jedoch verständlich. Dieses Verhalten ist auch in Unternehmen zu beobachten. Es werden die Verfahrensweisen beibehalten, die in der Vergangenheit den Erfolg gebracht haben. Mitarbeiter erhöhen das Bemühen im festen Muster, grundlegende Veränderungen finden nicht statt. Im Falle des zu geringen Absatzes von Neuprodukten wird der Werbedruck erhöht und die bisherigen Maßnahmen intensiviert; es werden nach den alten Methoden neue Produkte entwickelt. Selten wird Prozessmusterwechsel und Komplexität 97 kritisch analysiert, ob das Produkt noch den aktuellen Kundenerwartungen entspricht und die Wünsche erfüllt. Genauso selten wird analysiert, aus welchen Gründen die Käufe ausbleiben. Das wäre jedoch der Ansatz, um das Produkt so zu verändern, dass es den Kundenbedürfnissen entspricht, wirklichen Nutzen liefert und somit gekauft wird. Über Jahre wurden die Produkte mit bestehenden Verfahren in kleinen Schritten optimiert. Produkte müssen jedoch um mindestens 30 Prozent besser werden, damit diese Veränderung vom Kunden auch wahrgenommen wird. Wenn alles im Markt im Wandel begriffen ist, muss es jedoch mehr sein als eine Optimierung: Wie von Professor Peter Kruse beschrieben, muss es zusätzlich zu Best Practice noch Next Practice beziehungsweise Prozessmusterwechsel geben. Denn eine deutliche Verbesserung dessen, was die Unternehmen in den letzten 20 Jahren erfolgreich gemacht hat, ist zu wenig. Zukünftig muss die Neuerfindung in den Fokus rücken. Und zwar gemeinsam mit dem Kunden. Ändern Sie die Regeln, bevor es ein Mitbewerber tut. Innovationen sind immer ein Regelbruch. Wenn ein kleines Kind einen Badestrand mit Sonne und Schneemann malt, dann ist es nicht innovativ, sondern kennt die Regel nicht, dass der Schneemann in der Sommerhitze schmilzt. Das Gemalte ist eine Zufallskombination. Sind solche Unmöglichkeiten bekannt und werden trotzdem kombiniert, kann es als innovativ gelten. Entsprechend müssen Kenntnisse über die Kunden und die Mitbewerber bekannt sein, um die Regeln gezielt brechen zu können und innovativ zu sein. Eine von vielen Geschichten soll die Notwendigkeit zum Prozessmusterwechsel verdeutlichen: Als vor circa 100 Jahren die Gasindustrie die Gefahr erkannte, durch die Einführung des elektrischen Lichts diesen Markt zu verlieren, wurde schnell versucht, die Produktivität zu verbessern, die Preise zu senken et cetera. Kurzfristig konnte so die bestehende Marktposition behauptet werden. Doch es wurde nicht verhindert, dass heute die Städte mit elektrischem Licht versorgt werden. Genauso wenig konnten bessere Fuhrwerke und schnellere Pferde das Auto verhindern. Eine Weisheit der Dakota-Indianer sagt: »Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab«. Das heißt wenn die Produkte sich nicht mehr verkaufen lassen, muss in der Produktentwicklung auf ganz andere »Pferde«, sprich: Produkte gesetzt werden. Stattdessen werden in Unternehmen häufig folgende Maßnahmen ergriffen: • Wir besorgen stärkere Peitschen und dreschen auf das Pferd ein. Übertragen auf das Unternehmen: Motivationssysteme, Bestrafungssysteme, Controlling-Systeme; 98 Praxishandbuch Produktentwicklung • wir wechseln die Reiter aus. Übertragen auf das Unternehmen: alter Vorstand raus, neuer Vorstand rein; • wir haben die Pferde immer so geritten. Wir reiten sie auch zukünftig so, da wir damit auch früher erfolgreich waren. Übertragen auf das Unternehmen: Wir machen das, was wir immer gemacht haben; • wir gründen Arbeitskreise, um Pferde zu analysieren, die tot sind. Übertragen auf das Unternehmen: Es werden die Produkte analysiert, die sich nicht mehr verkaufen lassen, und Gründe dafür gesucht, ohne jedoch zu analysieren, was geändert werden muss, damit ein Verkaufserfolg mit neuen Produkten eintritt; • wir stellen Vergleiche unterschiedlicher toter Pferde an und stellen fest, dass unser Pferd nicht ganz so tot ist wie das Pferd des Nachbarn. Übertragen auf das Unternehmen: Wir vergleichen die eigene Pleite mit dem Index und hoffen, dass wir über dem Index liegen. Trotz Verlust wird das Verhältnis zum Index gefeiert; • wir ändern die Kriterien, die besagen, ob ein Pferd tot sei. Übertragen auf das Unternehmen: Die Messlatte wird dem Abwärtstrend angepasst, damit die Ziele erreicht werden. Es wird dann von einem »erhöhten Nullwachstum« oder »degressivem Wachstum« berichtet; • wir kaufen Leute von außerhalb ein, um das tote Pferd wiederzubeleben. Übertragen auf das Unternehmen: Es werden Unternehmensberater beauftragt; • wir erklären: Kein Pferd kann so tot sein, dass man es nicht noch schlagen könnte. Häufig werden diese Maßnahmen ergriffen, da keine Lösungen vorhanden sind. Es haben eben immer die anderen Schuld. Statt jedoch immer mehr auf bestehende Muster einzudreschen, muss komplett neu gedacht werden. Von Best Practice zu Next Practice. Diese zwei Formen der Veränderung werden nachfolgend beschrieben: Prozessmusterwechsel und Komplexität 99 Tabelle 15: Prozessoptimierung und Prozessmusterwechsel Prozessoptimierung Prozessmusterwechsel Immer mehr Pferde vor Kutschen Auto Kugelkopfschreibmaschine mit Korrekturmöglichkeit Computer Bessere medizinische Geräte und Tabletten zur Behandlung von Krankheiten Neue Verfahren zur Prävention Briefzustellung zweimal pro Tag, um eine schnellere Zusendung zu gewährleisten E-Mail Alte Tapete mit noch weißerer Farbe überstreichen Tapete, bei der sich die aufgetragene Farbe durch chemische Vorgänge von sich aus aufhellt Noch bessere Plattenspieler CD, mp3-Download 5¼-Zoll-Disketten durch 3½-Zoll abgelöst CD CD durch DVD abgelöst USB-Stick mit vielfacher Speicherkapazität Immer größere USB-Sticks Datenspeicherung im Internet (Wolke) Flexa-Wandfarben (im Deckel ist gleich ein Abrollsieb eingebaut) Eine Tapete, die so beschaffen ist, dass sie nie mehr gestrichen werden muss Puppen, die wie Babys aussehen Barbie Noch mehr Müslisorten Müsliriegel Hellere Kerzen mit längerer Lebensdauer Öllampen Öllampen mit geringerem Verbrauch Gaslampen Gaslampen mit geringerem Verbrauch Glühbirnen Segelschiffe mit größeren Segeln Dampfschiffe Immer mehr kleinere Kinos mit umfangreichem Angebot Videoverleih und PayTV Schnellere Entwicklung von Fotos Polaroid und später Digitalfotografie Foto-Filme, auf die noch mehr Fotos passen Digitalfotografie Mehr geöffnete Bankschalter, um Wartezeit zu verkürzen Onlinebanking und Geldautomaten Variationen bestehender Produktkategorien Neue Produktkategorien effizient: das, was bis jetzt getan wird, noch besser machen effektiv: das Richtige tun Evolution Revolution 100 Praxishandbuch Produktentwicklung Dabei ist weder das eine noch das andere per se besser. Es gilt nicht »oder«, sondern »und«. Best Practice (Funktionsoptimierung) Hier geht es darum, das Ergebnis unter Beibehaltung der bestehenden Vorgehensweise zu verbessern, indem das Gleiche nur immer etwas besser gemacht wird. Eine Optimierung erfolgt im bestehenden Rahmen, im alten perfektionierten System, in dem die Spielregeln befolgt werden. Diese Funktionsoptimierung (Best Practice, Kaizen oder Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) genannt) und weitere Methoden der stetigen Verbesserung reichen in Zeiten der Stabilität, da fast alles konstant bleibt, und haben sich dort bewährt. Bei den gerade grundlegenden Veränderungen im Markt ist das Festhalten an bestehenden Strukturen zwar logisch verkehrt, jedoch psychologisch verständlich. Scheinbar kann alles so bleiben wie es ist, es muss nur ein bisschen besser gemacht werden. Am Anfang war mit der Funktionsoptimierung ein hoher Leistungsgewinn zu verzeichnen, dann war das Plateau erreicht und weitere Optimierungen bewirkten nichts mehr (Deckeneffekt). Große Leistungsverbesserungen wie zum Beispiel eine Erschließung neuer Märkte, Produktivitätssteigerung oder Erhöhung der Erfolgsquote bei Produktneueinführungen von 50 Prozent im Verhältnis zum Wettbewerb sind nicht möglich, indem das Gleiche nur mehr und/oder etwas besser gemacht wird. Funktionsoptimierungen beinhalten meist eine Variation der bestehenden Produkte. Die Ideen stammen aus internen Kreativitätstechniken wie Brainstorming, bei denen der Kunde nicht einbezogen wird. So entstehen Müslisorten mit etwas mehr Schokolade und Nüssen, etwas weniger Zucker, einer anderen Verpackungsgestaltung und noch mehr ähnlichen Varianten, die der Kunde nicht unterscheiden kann. Und der Umsatz verteilt sich auf viele Produkte, wodurch der Gewinn sinkt. Die Grenzen von Best Practice Viele Entwicklungen bleiben in der bestehenden Produktkategorie. Es tritt ein Scheuklappendenken ein. An dem bestehenden Produkt wird so lange »herumgeschraubt«, bis eine etwas optimierte Version entsteht. Um wirklich den großen Wurf zu landen, müssen sich Unternehmen davon lösen. Es gilt nicht den 27. Rührmixer zu entwerfen, sondern das ursprüngliche Problem zu lösen beziehungsweise das Bedürfnis zu befriedigen. InsProzessmusterwechsel und Komplexität 101 besondere wenn sich die Rahmenbedingungen so kolossal ändern wie in den letzten Jahren (und das ist erst der Anfang), müssen die Unternehmen, um langfristig Erfolg zu haben beziehungsweise überhaupt noch bestehen zu können, ihre Verhaltensmuster komplett in Frage stellen. Funktionsoptimierung reicht nicht mehr aus, ausschließlich stetige Verbesserungen gefährden die Existenz. Mit diesem Verfahren werden die Produkte nur immer gleicher. Noch eine zusätzliche Klinge beim Rasierer, etwas mehr Weißkraft beim Waschmittel – solche Maßnahmen bringen keinen langfristigen Erfolg. So ragt kein Unternehmen aus dem Gleichheitsbrei heraus, weil der Kunde bei allen Konkurrenten den gleichen Preis mit annähernd gleichem Nutzen findet. Die Gefahr besteht darin, dass ein Anbieter – meist aus einer ganz anderen Branche – ein Verfahren entwickelt, das derart überlegen ist, dass es bestehende Anbieter vom Markt verdrängen kann. Vielleicht eine Creme, damit die Barthaare nicht mehr wachsen, oder Kleidung, die sich selbst reinigt. Mit reiner Funktionsoptimierung würden Sie vom Wettbewerber überrollt und vom Markt ignoriert werden, zumal kleine Verbesserungen schnell von Wettbewerbern nachgeahmt werden können. Machen Sie stattdessen Ihren bestehenden Produkten mit Ihren Neuprodukten Konkurrenz, drängen Sie diese selbst vom Markt, bevor es die Wettbewerber für Sie übernehmen. Die Kunden wollen keine besseren Produkte, sondern ganz andere Lösungen. Entwickeln Sie also ganz neue Produkte! Dies kann in drei Stufen geschehen: 1.Keine Optimierung bedeutet Rückschritt. Zuerst gibt es die gelbe Karte von den Kunden, dann die rote, also die Kaufverweigerung; 2.kleine Optimierung mit den nächsten Modellen. Das ist Standard und wird vorausgesetzt. So wird die Position maximal gehalten, gegebenenfalls mit Tendenz zum Rückschritt. Die Anbieter werden geduldet, haben die Erlaubnis zum Mitspielen; 3.grundlegende Innovation aus Kundensicht. Das ist die Voraussetzung, um als Unternehmen zu überleben. Es gilt, die Bedürfnisse der Kunden nicht besser, sondern völlig anders mit dem Produkt zu befriedigen. Prozessmusterwechsel Die andere Form der Veränderung sind Prozessmusterwechsel: nicht das Gleiche besser machen, sondern etwas ganz anderes. Und zwar so, dass der Nutzen für den Kunden erheblich steigt und sein Bedürfnis auf eine ganz andere Weise noch viel besser befriedigt wird. Erfolgreich waren nicht 102 Praxishandbuch Produktentwicklung die Unternehmen, die in der Vergangenheit schnellere Pferde gezüchtet, noch tüchtigere Segelschiffe gebaut oder die Postboten mit Rennwagen ausgestattet haben. Sondern die, die Dampfschiffe, Autos und Mail-Technologie angeboten haben. Hier hat ein Prozessmusterwechsel die bestehende Nachfrage völlig neu definiert und auf den Kopf gestellt. Ein viel zitiertes Beispiel hierfür ist im Hochsprung der Übergang vom Straddle zum Fosbury-Flop. Vor 1968 sprangen alle vorwärts/seitwärts über die Latte. Irgendwann war ein Leistungslimit (der Deckeneffekt) erreicht, höher ging es mit dieser Technik nicht mehr. Ein junger Amerikaner sprang rückwärts über die Latte. Eine neue Technik war geboren. Er hat nicht die bestehende Technik optimiert, sondern etwas ganz anderes gemacht. Die erste Reaktion auf seinen neuen Stil war die typische Reaktion: »Das muss man verbieten«. Auch nachdem Fosbury 1968 die Goldmedaille gewonnen hatte, sprangen viele noch den Straddle. Selbst vier Jahre später, 1972 in München, sprang nur eine 16-jährige Frau den Fosbury-Flopp. Alle anderen versuchten es nach wie vor mit dem Straddel. Diese Reaktion ist menschlich: Auch wenn nachweislich ein neues Verfahren besser ist, werden die Menschen weiter versuchen, mit dem alten Verfahren erfolgreich zu sein. Das gilt für den Sport wie für den Wirtschaftssektor. Nur der Vollständigkeit halber: Die 16-Jährige war Ulrike Meyfarth und gewann die Goldmedaille. Die typischen Reaktionen bei Prozessmusterwechseln sind: • »Das muss man verbieten«, »Das kann nicht funktionieren«. Erwarten Sie bitte nicht, durch Prozessmusterwechsel in Ihrem Unternehmen geliebt zu werden. Ihre Mitarbeiter werden sich bei Neuerungen – und seien sie noch so gut – an die gewohnten Verhaltensweisen klammern. Neue Ideen werden größtenteils zunächst abgelehnt. Nur einige wenige Mitarbeiter, sogenannte Early Mover, werden begeistert sein. Doch das ist die kleine Minderheit; • auch wenn ein neues Verfahren nachweislich besser ist, werden die Menschen weiter versuchen, mit dem alten Verfahren erfolgreich zu sein; • »Das ist ein zu großes Risiko«. Stimmt, doch in veränderten Märkten haben Sie keine andere Wahl. Wann immer sich das Umfeld ändert, ist das Risiko der Stabilität deutlich größer als das Risiko der Instabilität; • »Wenn das so einfach wäre, hätte ein anderer es schon entwickelt«. Meist ist das jedoch nicht der Fall. Es geht darum, die bestehenden Muster zu hinterfragen, zu brechen und ganz neue Regeln aufzustellen: nicht Funktionen zu optimieren, sondern mit Prozessmusterwechsel zu ganz neuen Generationen von Produkten zu gelangen. So werden Differenzierungen von den Kunden auch wahrgenommen. Prozessmusterwechsel und Komplexität 103 Diese neuen Regeln mit ganz neuartigen Produkten kamen meist nicht von der Konkurrenz der alten Produktgattung, sondern von Quereinsteigern, die den Ballast der alten Muster nicht mitschleppten. Sie definierten ihre eigenen Regeln: zum Beispiel Apple mit iTunes und dem iPhone, eBay, Amazon, Dell, Swatch, Starbucks. Alle wurden so Marktführer in ihrem Gebiet. Hinter diesen Neuerungen steht immer ein konstantes Grundbedürfnis. Dieses besteht heute und auch in der Zukunft. Anbieter, die sich auf Produkte spezialisieren, laufen damit Gefahr, von Innovationen überrollt zu werden. Konzentrieren sich Anbieter hingegen auf die Erfüllung eines konstanten Grundbedürfnisses, werden sie von sich aus die notwendigen Prozessmusterwechsel mitmachen oder diese sogar initiieren. Diese Anbieter sind viel offener für Neuerungen und Trends. Nicht alle Ihre Kunden werden sofort auf Innovationen anspringen, auch wenn diese noch so gut sind. So haben Sie in Ihrem Marktsegment: • die sogenannten Innovatoren/Frühadapter/Early Mover (insgesamt circa 15 Prozent); • die frühe Mehrheit (circa 35 Prozent); • die späte Mehrheit (circa 35 Prozent); • die Verweigerer (circa 15 Prozent. Zum Beispiel diejenigen, die auch heute noch kein Handy haben). Die Voraussetzung für einen Prozessmusterwechsel sind die dazu passenden Rahmenbedingungen. Nur dann funktionieren neue Muster. Zu Fosburys Zeiten gab es als Auffanggrube keine Sandkiste mehr, sondern eine Matte. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er nicht ohne Verletzungen auf dem Rücken landen können. Immer, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, funktionieren neue Muster. Und das sind die besten Gelegenheiten für den großen Wurf. Kalkulieren Sie auch zusätzliche Kosten und einen kurzen Leistungseinbruch ein. Am Anfang läuft es nicht so gut wie mit dem alten Muster. Von den Anforderungen zur Veränderung betroffene Mitarbeiter äußern häufig: »Das geht bei uns nicht. Dafür sind unsere Produkte nicht geeignet«, »Wir sind nicht Red Bull oder Starbucks. Die haben es einfacher«, »Bei uns ist der Markt ausgereift. Da ist nicht mehr drin«. Doch gerade Produkte in »langweiligen« Branchen bieten Ansatzpunkte für Prozessmusterwechsel und somit eindeutige Differenzierung, zum Beispiel: • Magic White: Diese Wandfarbe von Dulux ist beim Aufstrich rosa und wird erst nach circa 30 Minuten weiß. So sieht der Hobbyheimwerker, wo er bereits gestrichen hat; 104 Praxishandbuch Produktentwicklung • Alpina AirClean: Diese Wandfarbe von Alpina baut durch Photokatalyse Verbrennungsprodukte und Fettsäuren in der Luft ab. So sollen unangenehme Gerüche in der Luft verschwinden; • Spezielle Tapete, die durch Faserzusätze elektrische Strahlung abfängt: Die Angst vor Strahlung (DVBT, Handy, WLAN) ist bei einem Teil der Bevölkerung vorhanden und wird hier zur Problemlösung umgesetzt. Also: Ausreden gibt es keine. Binden Sie die Mitarbeiter rational und emotional ein, sonst wollen diese immer wieder in das alte Muster zurück, denn das Gehirn schüttet Belohnungssysteme für Stabilität aus. Um im Wettlauf mit der Konkurrenz an die erste Position zu kommen beziehungsweise dort zu bleiben, brauchen Sie einen Wechsel zwischen Best Practice und Prozessmusterwechsel. Denn der Wettbewerb wird weiterhin die innovativen Unternehmen kopieren und die Merkmale der Branchenführer übernehmen. So versuchen beispielsweise viele Coffee-Shops, Starbucks zu imitieren. In solchen Fällen gilt es für die Branchenführer wieder nachzulegen. Und zwar nicht nur mit kleinen Schritten. Hier muss auch wieder ein Prozessmusterwechsel folgen, wenn diese Unternehmen an der Spitze uneinholbar bleiben wollen. Auch Branchenführer haben Produkte, deren Halbwertzeit aber etwas länger dauert und deren Verfall langsamer vonstatten geht. Der Vorteil der Marktführerschaft beinhaltet auch meist noch die notwendige Finanzkraft, um den nächsten Prozessmusterwechsel zu starten. Dieser Vorteil ist unbedingt zu nutzen. Haben erst einmal die anderen Anbieter aufgeschlossen, wird es ungleich schwerer, wieder den alten Abstand herzustellen. Yahoo war Marktführer bei Suchmaschinen und wurde dann deutlich überholt. Jetzt wurde Yahoo abgehängt. Keiner kann sich mehr auf seinen Lorbeeren ausruhen. Beispiele für Prozessmusterwechsel Dell mit seinen Innovationen entlang der Wertekette: • Auswahl: Dell stellt den Computer individuell nach Vorgabe eines jeden Kunden zusammen; • Angebotsform: Online, kein Geschäft; • Fertigung: erst, wenn die Bestellung vorliegt und bezahlt wurde. Somit nur minimales Lager und kein gebundenes Kapital; • Lieferung: Dell liefert direkt an den Kunden. Es fallen keine Rabatte an Zwischenhändler an. Das Ergebnis sind geringe Preise und ein hoher Marktanteil. Prozessmusterwechsel und Komplexität 105 Swatch • Günstige Uhr aus der Schweiz mit wenigen Teilen; • modische bunte Aufmachung. Starbucks • Auswahl aus circa 80 000 Kaffee- und Tee-Kombinationen, Sonderwünsche noch nicht mitgerechnet; • Ausstattung: Plüsch mit Hotspot und Stromanschluss für den PC (der »Dritte Ort« zwischen Arbeitsplatz und Zuhause); • Kooperation: Wenn einem Gast ein gerade gehörtes Musikstück gefällt, kann er es sofort über sein iPhone identifizieren und kaufen. New Yorker Metropolitan Opera • Übertragung von Aufführungen der Oper in Kinos. Hier wird ein ganz anderes Marktsegment erreicht. Die Berliner Philharmonie überträgt Konzerte im Internet. Handy • Wenn Sie heute jemanden auf der Straße sehen, der Ihnen entgegen kommt und mit sich selber spricht, dann alarmieren Sie nicht mehr die Psychiatrie, denn Sie wissen, dass Ihr Gegenüber einen Knopf im Ohr hat, der mit einem Handymikrofon ausgestattet ist, und telefoniert. 5-Minuten-Terrine • Heißes Wasser drauf und fertig. Andere Convenience-Produkte: auspacken, in den Ofen und fertig. Prada-Store in New York • Auf einem Display erhalten Kunden Hinweise über die Stoffe und zur Pflege. Ebenfalls wird auf einem Bildschirm gezeigt, welche Kleidungsstücke sehr gut zu denen passen, die gerade in der Umkleidekabine anprobiert werden. Steuerberatungssoftware • Für die meisten Angestellten reichen die Programme häufig, um ihre Steuern einzureichen. Wieder ein Beispiel für ein Produkt, bei dem die Konkurrenz aus einer ganz anderen Richtung kam. CNN • 24 Stunden lang Nachrichten. 106 Praxishandbuch Produktentwicklung Ikea • Transport und Endmontage durch den Kunden. Dadurch sind günstige Preise möglich. Ikea baut auf das AAL-Prinzip: Andere arbeiten lassen. Voraussetzung ist die Eis-Regel: Das Produkt muss einfach, interaktiv und selbsterklärend sein. Digitale Fotodatenbanken • Mittels Suchmaschine kann das gewünschte Foto gefunden und für sehr wenig Geld erworben werden. Auch die kommerzielle Verwertung dieser Fotos ist möglich. Cirque du Soleil • Hat den Zirkus neu erfunden: keine Tiere, keine Stars, keine Kapelle, dafür Akrobatik in eine initiierte und dekorierte Geschichte eingebunden. Jede Inszenierung wird gleichzeitig weltweit an mehreren Standorten aufgeführt. Als Orientierung für die Eintrittspreise (40 bis 170 Euro) wurden Theater, Oper und Musical herangezogen und so das Preissegment des normalen Zirkus verlassen. eBay • Auktionen und Verkauf online. Was wirklich zum Durchbruch verhalf, war die Kombination mit paypal, einem Online-Bezahlsystem zwischen Verkäufer und Käufer. Apple hat mit iTunes auch gleich die Musikdatenbank zum iPod geliefert, die Bezahlung erfolgt bequem über die Telefonrechnung. Auch hier führte kein Einzelprodukt, sondern ein System mit dem gesamten Prozessablauf zum Erfolg. iTunes • Früher mussten ganze Schallplatten oder CDs gekauft werden, obwohl nur zwei Lieder gewollt waren. Die Lieder waren in der festgelegten Reihenfolge abzuspielen, ein Probehören war nur in den Geschäften möglich. All diese Einschränkungen wurden von Anbietern wie iTunes und Musikload aufgehoben. Ryanair • Flüge für 1 Euro (zuzüglich Gebühren). Dafür keine Sitzplatzreservierung, Start und Landung meist von Randflughäfen (um Gebühren zu sparen), keine Verpflegung et cetera. Alle Leistungen wurden reduziert, um einen unschlagbar günstigen Preis anzubieten. Prozessmusterwechsel und Komplexität 107 Legitas • Franchiseunternehmen für Anwälte als neue Geschäftsform (www.legitas.de). Amazon • Vertrieb von allen möglichen Produkten über das Internet. Somit große Konkurrenz zum Einzelhandel (auch zu den Billigmärkten, da die Preise bei Amazon häufig noch günstiger sind). Pompduck, Witzigmann • Kombinationen bestehender Produktkategorien: Restaurant mit Variete. Für ein Abendessen mit Show zahlen die Gäste über 120 Euro. Diesen Preis würden die Wenigsten nur für ein Essen zahlen. Künstliche Blumen • Verknüpfung von Optik und Langlebigkeit. Haier • Diese Waschmaschinen der chinesischen Marke kommen ohne Waschmittel aus (www.haier.com). Napster • Hier gibt es Downloads für Musik zum Festpreis. Der Kunde kann mit seiner Flatrate pro Monat Mitgliedschaft so viel herunterladen wie er will. Er mietet nur. Die Nutzungsmöglichkeit endet in dem Moment, in dem der Kunde bei Napster gekündigt hat. Diese Flatrates gibt es auch im medizinischen Bereich: Botox so oft der Kunde möchte und es verträgt (www.shapeandbeauty.de; ein eher fragliches Angebot) oder auch Reinigungen (zum Beispiel Slate NYC in New York, www.slatenyc. com). Notebook-Tastatur • Um den Tragekomfort zu erhöhen, sind diese meist sehr klein. Somit muss der Nutzer sich gegenüber der Standardtastaturgröße umstellen. Abhilfe liefert hier eine Tastatur, die zusammengerollt transportiert werden kann und am Nutzungsort entrollt wird. 108 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 7: Zusammenrollbare Notebook-Tastatur Netflix • Dieser DVD-Verleih (www.netflix.com) erhebt keine Strafe bei verspäteter Rücksendung, da der Kunde die DVDs so lange behalten kann, wie er möchte. Der Kunde zahlt einen Fixbetrag im Monat und erhält jeweils drei DVDs im Tausch. Dieses Bezahlmodell ohne Nachgebühren haben unter anderem auch Anbieter wie Netleih (www.netleih.de) eingeführt. LTU • Teilweise können Interessenten ihre Preisangebote für Flüge abgeben. Innerhalb von 24 Stunden erhalten sie eine Antwort, ob das Angebot von LTU angenommen wurde und sie den Zuschlag erhalten. Fahrradverleih • Fahrräder werden in der Regel gekauft, in Urlaubsregionen hat sich der Fahrradverleih etabliert. In der Regel musste das Fahrrad dort abgegeben werden, wo es entliehen wurde. Zum Beispiel in Hamburg stehen jetzt an mehreren Stationen die Fahrräder, mittels Kreditkarte wird am Automaten bezahlt und über einen Code das Fahrrad von der Basis entfernt. Zurückgegeben werden kann das Fahrrad an jeder Verleihstelle. Ein entsprechendes Modell bietet Zipcar (www.zipcar.com) für Autos. Prozessmusterwechsel und Komplexität 109 Abbildung 8: StadtRAD Hamburg, Teil 1 Abbildung 9: StadtRAD Hamburg, Teil 2 110 Praxishandbuch Produktentwicklung Wylerhof • Die Ausgangslage war für die Landwirte ein geringer Verkaufspreis für Käse an den Handel und somit geringe Gewinnmargen. Kunden können im Wylerhof (www.kuhleasing.ch) und auch bei anderen Anbietern (www.rent-a-cow.ch) eine selbst ausgewählte Kuh zum vereinbarten Preis leasen. Neben der Leasinggebühr kommen noch Kosten für Melken und Käseherstellung dazu. Außerdem helfen die Kunden noch etwas auf der Alm. Als Gegenleistung erhält der Kunde den Lebenslauf »seiner« Kuh mit Zertifikat, den Käse zum Sonderpreis und das Naturerlebnis beim Besuch »seiner« Kuh und seiner Tätigkeit auf der Alm. Die Landwirte sind auf diesem Wege raus aus der Preisfalle der Discountmärkte. Kunden sind sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen, die sich zum Beispiel ein Umweltimage aufbauen wollen. Erweitert wurde das Angebot um das Leasen von Ziegen und Kälbern. Quabb • Wie wurde doch um jeden Cent beim Porto für Briefsendungen gefeilscht. Die Post musste im Centbereich senken, PIN Group hatte Probleme mit seinen Mindestlöhnen und konnte so den Preis der Post nicht unterbieten. Das Unternehmen Quabb (www.quabb.com) bietet nun den Briefversand zum Nulltarif an. Kunden senden ihren Brief per Mail an Quabb und wählen aus, welche Werbung beigelegt werden darf. Der ausgedruckte Brief sowie die Werbung werden dann an den Empfänger verschickt. Das Porto zahlt der Werber. Das ist nicht Optimierung, sondern ein Prozessmusterwechsel. Die Spielregeln der Finanzierung wurden auf den Kopf gestellt. Bei vielen Prozessmusterwechseln treten die technischen Funktionen immer weiter in den Hintergrund. Der Weg zum Prozessmusterwechsel Die Prozessmusterwechsel können in allen Stufen der Wertschöpfung des Produkts vollzogen werden. Wichtig ist, dass dieses jedoch eine wesentliche Verbesserung für den Kunden bringt. Im Zentrum steht immer noch das Produkt. Ansätze zum Prozessmusterwechsel: • Erfolgreiche Unternehmen befolgen keine Regeln, sie schaffen ihre eigenen. Überschreiten Sie Grenzen und zwar zum Wohle Ihrer Kunden – nicht zum eigenem Spaß. Stellen Sie Regeln infrage und auf den Kopf. Dies können sein: Prozessmusterwechsel und Komplexität 111 Regeln des Preises. Kein Preiskampf, sondern das Spielfeld verlagern. Wie beim Pokern im Kasino: einen neuen Tisch aufmachen und so den Gegnern ausweichen. Nicht in den Verdrängungswettbewerb gehen; Regeln der Versandform; Regeln der sechs Perspektiven eines erfolgreichen Produkts (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart, Emotion, Design). • Es ist sinnvoll, den Prozessmusterwechsel frühzeitig anzugehen, bevor Ihnen die Veränderungen im Umfeld eine Veränderung aufzwingt. Je länger gewartet wird und je mehr man unter Druck gerät, desto schwerer und auch kostenintensiver wird der Übergang. Nehmen Sie auch die ersten Signale in Ihrer Umgebung – zum Beispiel bei Ihren Kunden – wahr und reagieren Sie; • man bekommt das Neue nur, wenn man das Alte zerstört. Man muss das Alte nicht nur besser machen, sondern anders. Dynamische Systeme versuchen die Stabilität zu erhalten, solange es geht. Keine Änderung ist möglich ohne die Zerstörung des Bestehenden. Hierzu muss das stabile System in eine instabile Lage gebracht werden. Von einer Stabilität zur nächsten Stabilität geht es nur über eine Phase der Instabilität. Wenn ein System gestört ist, wird das System nach einem neuen stabilen Muster suchen, um wieder in einen Zustand der Stabilität zu gelangen; • suchen Sie Spielregeln und Unterscheidungsmerkmale aus anderen Branchen und prüfen Sie sie auf Tauglichkeit zur eigenen Übernahme. Gegebenenfalls in angepasster Form übernehmen; • stellen Sie Bestehendes bezüglich Kundennutzen laufend infrage; • verbinden Sie Bestehendes mit Bestehendem, was vorher noch nie zusammengebracht wurde (zum Beispiel Produkteigenschaften aus verschiedenen Branchen). Verbinden Sie Neues mit Vertrautem oder Neues mit Neuem, damit etwas ganz Neues entsteht. Durch die richtige Kombination wird nicht addiert, sondern das Produkt ist das Ergebnis einer Multiplikation; • suchen Sie neue Märkte für bestehende Produkte (auf leeres Spielfeld wechseln); • suchen Sie Lösungen für bestehende oder neue Märkte, die es bis dato noch nicht gab; • befriedigen Sie Bedürfnisse, von denen der Kunden noch gar nicht wusste, dass er sie hat. Liefern Sie Lösungen, von denen der Kunde noch nicht gedacht hatte, dass es sie geben könnte; • Ansätze sind auch bei bestehenden Produkten möglich: Eigenschaften ersetzen; übertreiben: Cola-Flatrate bei McDonald’s, lebenslange Garantie bei 112 Praxishandbuch Produktentwicklung Lands’End (Kleidungsstücke können ohne Angaben von Gründen unbefristet zurückgegeben werden. Die Rückgabequote liegt bei circa 1 Prozent); umdrehen: Hotelkunde zahlt am nächsten Tag den Betrag, der ihm die Übernachtung wert war; kombinieren: Handy + Walkman = iPhone; eliminieren: Selbstbedienungsrestaurants; reduzieren: Handy mit nur einer Taste; neue Verfahren: Prepaid-Karten (zahlen, bevor telefoniert wird), laufender Wechsel der Werbung bei Plakatwänden. • Hinterfragen Sie die eigenen und die Branchen-Regeln kritisch: Wer hat die Regeln aufgestellt? Sind die Regeln immer gültig? Gelten diese Regeln auch in allen anderen Branchen? Wenn nicht, welche Regeln gelten dort? Dienen die Regeln wirklich den Kunden? Haben Entscheidungen im Unternehmen dazu beigetragen, dass diese Regeln immer wieder bestätigt wurden und nur deshalb als unumstößlich gelten? • Fragen für Prozessmusterwechsel: Was ist das Problem der Kunden? Wie wird das Problem in der eigenen Branche zum jetzigen Zeitpunkt gelöst? In welcher Branche haben Kunden ein vergleichbares Problem? Wie hat diese Branche das Problem der Kunden gelöst? Aus welchen Gründen funktioniert es dort? Wie können Sie diese Problemlösung auf Ihr Angebot übertragen? Für Best Practice und insbesondere für Prozessmusterwechsel müssen Sie Ihre Kunden sehr gut kennen, sonst schießen Sie mit verbundenen Augen ins Leere. Nur Differenzierung und Prozessmusterwechsel um ihrer selbst willen bringen nichts. Komplexität Früher war das Problem die Beschaffung der Waren (was heute in einigen Gebieten der Welt teilweise immer noch so ist). Heute haben die Anbieter das Problem, dass sie mit ihrer Werbung und ihren Produkten nicht mehr die Aufmerksamkeit ihrer Kunden erreichen. Die Kunden haben jetzt häuProzessmusterwechsel und Komplexität 113 fig die Möglichkeit, ihren Bedarf an Waren weltweit zu decken. Wir leben heute in einer Zeit der »Zuvielisation«: ein Überangebot an Produkten, über 3 000 Werbeinformationen pro Tag, Stress, Unsicherheit (zum Beispiel Arbeitsplatz, Rente) und so weiter. Menschen ertrinken in Alltagskomplexität und es wird für sie immer schwieriger, sich zurecht zu finden. Es gibt immer mehr Reize, doch die Gehirnstrukturen haben sich in den letzten 1 000 Jahren fast nicht verändert. Somit kann nur eine begrenzte Menge an Reizen aufgenommen und verarbeitet werden. Da wundert es keinen, dass im Lebensmittelhandel die Floprate für Neuprodukte bei über 80 Prozent liegt. Produkte stürzen ab, bevor sie von den Verbrauchern überhaupt registriert wurden. Die exponentielle Zunahme von Produkten verwirrt den Kunden. Früher war das Problem, dass die Menschen von allem zu wenig hatten. Heute ist das Problem, dass – zumindest in Europa – die meisten zu viel haben. Das wird heute als Bedrohung empfunden. Was zudem erklärungsbedürftig ist, ist nur schwer zu verkaufen. Einfache Dinge funktionieren schon besser. Am besten gehen die Produkte, die raffiniert einfach sind. Dabei zählt der Grad an Komplexität, den der Kunde für sich empfindet. Was der eine zu kompliziert findet, ist für den anderen einfach. Die Meinung des Verkäufers und Produktentwicklers sind unerheblich. Damit Produkte besser beim Kunden ankommen, wird fälschlicherweise versucht, diese noch komplexer zu gestalten und mit Funktionen zu überladen. Hier werden Arbeit und Leistung mit Wirkung verwechselt. Es geht nicht darum, wie viel Arbeit ein Unternehmen in die Produktion eines Produkts gesteckt hat beziehungsweise wie viel das Produkt leistet. Es geht nur darum, was der Kunde – aus seiner Sicht – von dem Produkt hat, also um die Wirkung. Die meisten Produkte sind reich an Funktionen, aber arm an Nutzen. Die Wertigkeit eines Produkts hängt nicht von der Leistung und Anzahl der Funktionen ab. Je höher jedoch die Komplexität ist, desto schwerer ist das Produkt für den Kunden zu verstehen und desto eher wird es abgelehnt. Der Umfang an Ausstattung und Funktionen löst eher Ängste bei den Kunden aus als Befriedigung. Elektrogeräte werden für Kunden deutlich attraktiver, wenn sie gleich nach dem Anschluss funktionieren und kein vorheriges Studium eines Handbuchs mit mehreren hundert Seiten notwendig ist. Die Lücke zwischen technischem Funktionsumfang und Fähigkeiten (und auch Bereitschaft) der Kunden wird immer größer. Wer von uns ist denn in der Lage, die Peripheriegeräte (Router, Scanner et cetera) für den PC problemlos zum Laufen zu bringen? Wer kennt noch alle Funktionen des eigenen Handys, des Fernsehgeräts und DVD-Players? Haben Sie die Zeit, Gebrauchsanleitungen von über 100 114 Praxishandbuch Produktentwicklung Seiten zu lesen? Die meisten Funktionen dieser Wunderwerke der Technik bleiben den Kunden für immer verborgen. Nach einer Studie der Yankee Group werden über 25 Prozent aller Geräte für den Heimbedarf zurückgegeben, weil der Kunde damit nicht klar kommt. Hier wurde eindeutig am Markt vorbei produziert. Da geht Umsatz verloren. Und zwar erheblich. Was der Kunde nicht versteht, will er nicht bezahlen. Je einfacher ein Produkt für den Kunden zu verstehen ist, desto attraktiver ist es für ihn. Zukünftig werden diejenigen Unternehmen am erfolgreichsten sein, die komplizierte Dinge und Zusammenhänge über einfache Produkte zu lösen wissen und dieses auch einfach darstellen können. Die Anbieter, die diese Lücke schließen, werden Erfolg haben. Es ist doch so einfach: Man gebe einem Interessenten unter Beobachtung ein neues Gerät und prüfe dann, wie lange er benötigt, um die einfachsten Funktionen ausführen zu können. Aus diesen Erkenntnissen würden ganz andere Produkte entstehen. Die Erweiterung des Angebots und somit die Erhöhung der Komplexität wurde in den letzten Jahren durch folgende Faktoren begünstigt: • Digitalisierung: Früher begrenzte die Ladenfläche das Angebot. Wurden neue Produkte ins Sortiment aufgenommen, mussten andere ausgelistet werden. Heute stehen Lager auf der grünen Wiese, auf denen der Quadratmeterpreis einen Bruchteil der 1a-Lagen beträgt. So können auch selten gekaufte Produkte rentabel am Lager gehalten werden; Lieferkosten sind zum Beispiel bei Ebooks nahezu nicht existent. Der Postversand hingegen ist deutlich teurer; vieles, was früher physisch gelagert werden musste, wird heute platzsparend digital archiviert – und zwar sowohl beim Anbieter als auch beim Kunden. Das können berufliche Unterlagen sein, die nicht mehr weggeschmissen werden, oder eine Musiksammlung, die jetzt digital archiviert werden kann, ohne dafür auch nur ein einziges Regal zu benötigen. Lagerplatz bei Anbietern und Kunden reduziert sich in vielen Fällen nahezu gegen null. • Globalisierung: Beim Einkauf geht der Kunde immer weniger in das Geschäft, sondern wählt und bestellt über das Internet. Somit sind große Distanzen zwischen dem Kunden und der Ware möglich. • Günstige Herstellungskosten bei Produktvarianten und kleiner Stückzahl: Amazon bietet Verlagen an, vergriffene Bücher erst nach vorliegender Bestellung herzustellen, Dell produziert die Computer erst nach Eingang der Bestellung. Prozessmusterwechsel und Komplexität 115 • Durch die zunehmende Vernetzungsdichte, zum Beispiel mit Handys und dem Internet, explodieren die Komplexität und die Umfelddynamik – und zwar so schnell, dass die Kunden nicht mitkommen. Beispiele der Komplexitätserhöhung: • Unsere Vorfahren haben sich von dem ernährt, was sie gesammelt und gejagt haben. Heute steht jeder von uns beim Einkauf vor einer so großen Auswahl an Lebensmitteln, dass er leicht den Überblick verliert. In den USA gibt es über 30 000 Artikel im Supermarkt: 1 300 Shampoo-, 200 Getreideflocken- und 250 Softdrink-Sorten. In Deutschland findet man im Supermarkt durchschnittlich über 10 000 Artikel: 30 Sorten Mineralwasser, 50 Sorten Marmelade und 50 verschiedenen Schokoriegel. Und das, obwohl eine Familie ihren Tagesbedarf mit circa 150 Artikeln abdeckt. Da scheinen die Anbieter die Bedürfnisse der Kunden nicht zu kennen. Viele Studien ergeben, dass im Einzelhandel der Umsatz nicht sinkt sondern steigt, wenn in einer Warengruppe die Artikelanzahl bis zu 50 Prozent herabgesetzt wird und die verbleibenden Artikel in größerer Stückzahl ausgestellt werden. Sicher, einige Kunden werden ihre Produkte nicht mehr finden. Das wird jedoch durch die Mehrkäufe überkompensiert; • bei einem Neuwagen kann der Kunde heute zwischen 100 000 Ausstattungsvarianten wählen. Ergebnis: Die Produktion wird unübersichtlicher und es gibt immer mehr Rückrufaktionen wegen der hohen Fehlerrate; • Shop-in-the-Shop-System in Kaufhäusern: Zum Beispiel im KaDeWe in Berlin sind Damenhosen auf über zehn Abteilungen verteilt; • es gibt über 100 Fernsehprogramme. Vor 30 Jahren waren es maximal fünf: ARD, ZDF, Das Dritte und gegebenenfalls noch zwei Programme aus der DDR. Die »Aktuelle Schaubude« auf N3 hatte teilweise über 30 Prozent Marktanteil. Da kommt heute keiner mehr heran; • früher gab es bei Sportschuhen je Marke nur wenige Modelle. Heute gibt es pro Marke je Sportart viele verschiedene Modelle (Jogging auf der Straße, auf Waldwegen; Schuhe für Spreizfüße und so weiter); • das Handy ist gleichzeitig Spielkonsole, Filmkamera, Fotoapparat, mp3Player, GPS, Fernseher – und natürlich Telefon. Es gleicht einem Wettrüsten der Hersteller. Nur bedienen können es die meisten nicht mehr. Eine reine Funktionitis. Oft beherrschen die Kunden ihr Handy erst zu dem Zeitpunkt richtig, wenn es veraltet ist und sie sich ein neues kaufen. Natürlich ist dieses mit noch mehr Funktionen ausgestattet. Nur: Ein Handy bleibt ein Handy. Und es wird nie so gute Bilder machen wie 116 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • • • • • ein Fotoapparat, nie so gute Bässe haben wie ein mp3-Player und nie die scharfen Bilder eines Fernsehers liefern. Ein Handy ist somit diesen Geräten unterlegen, wodurch diese Zusatzfunktionen auch nur bedingt nutzbar sind; Autoradio, DVD-Player mit vielen fast nie gebrauchten Zusatzfunktionen: Da die Tastatur für die vielen Funktionen nicht ausreicht, werden Knöpfe mit mehreren Funktionen belegt. Da reicht nicht mehr ein Knopfdruck. Eine bestimmte Tastenkombination ist notwendig, um eine Funktion zu erreichen. Noch schlimmer: Häufig müssen mehrere Knöpfe gleichzeitig gedrückt werden. Da gilt nicht »plug and play«, sondern »plug and pray«: installieren und beten, dass es funktioniert; Preismodelle scheitern häufig an der Unverständlichkeit bei den Kunden. So war zum Beispiel das neue Preisgefüge bei der Bahn ein Fiasko (nicht einmal die Bahnangestellten blickten durch), die variablen Preisstrukturen der Fluggesellschaften und Hotels (Preise ändern sich teilweise stündlich) führen eher zu Unmut als zu Kundenbindung; über 2 000 Möglichkeiten der Handy-Tarife in Verbindung mit Geräten. Immer mit versteckten Zusatzkosten; Staubsaugerbeutel: über 100 verschiedene Marken und Varianten. (www.staubbeutel.de, www.staubsaugerbeutel.de, www.staubsaugerbeutel-depot.de); über 100 000 Buchneuerscheinungen pro Jahr allein in Deutschland; Computerspiele sind oft so kompliziert, dass man jede Minute seiner Freizeit dafür opfern muss, um sie zu beherrschen. Wer ein Spiel kauft, will jedoch kein Studium der Anleitung absolvieren müssen, sondern spielen. Vielleicht sind schon deshalb die »Atari-Spiele« und andere Altversionen am Computer heute so beliebt; die Anzahl der Publikumszeitschriften hat sich in den letzten 25 Jahren mehr als verdreifacht, verkaufte Exemplare in dieser Zeit sind noch nicht einmal um 50 Prozent gestiegen. Somit sind die durchschnittlichen Auflagen je Titel mehr als halbiert; der Umfang bestimmt die Bedeutung – oder doch nicht? Die Zehn Gebote kommen mit ca. 80 Wörtern (je nach Konfession) aus. Hier ist alles enthalten, was eine christliche Lebensführung ausmacht; die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung benötigt 1 500 Wörter. Sie ist die Grundlage der amerikanischen Demokratie; die Verordnung Nr. 78/890/EWG der Kommission über die Einzelheiten der Zertifizierung von Hopfen hat circa 5 000 Wörter. Gemessen an der Länge wäre diese Verordnung dreimal wichtiger als die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung und 60-mal wichtiger als die Zehn Gebote. Prozessmusterwechsel und Komplexität 117 • durch Verschmelzung von Arbeit und Privatleben steigt die Komplexität. So findet beispielsweise Weiterbildung für den Job oft in der Freizeit statt. Wenn Sie jetzt meinen, das sei vorerst genug Komplexität, dann warten Sie bitte ab, was in den nächsten Jahren passieren wird. Wir stehen erst am Anfang der Spirale. Der Wunsch nach Komplexitätsreduktion Das menschliche Gehirn macht circa 2 Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht jedoch 20 Prozent der Energie im menschlichen System. Je höher der Anteil an bewusstem Denken ist, desto mehr Energie wird im Gehirn benötigt. Seit der menschlichen Urzeit versucht unser System Energie zu sparen, also nur so viele Informationen ins Bewusstsein gelangen zu lassen wie unbedingt nötig. Somit greift der Mensch bevorzugt auf Gewohnheiten zurück, denn wiederkehrende Ereignisse gelangen nicht mehr ins Bewusstsein. Je komplexer die Welt ist, desto mehr besteht der Wunsch nach Einfachheit, Stabilität, Planbarkeit und Orientierung. Dieses wird unter anderem im Convenience-Trend sichtbar. Die vom Kunden gewünschten Lösungen sind meist einfacher, als die Hersteller glauben. Die Kunden wollen Komplexitätsreduktion. Die Anbieter werden in den nächsten Jahren von ihren Kunden dafür vergoldet werden, wenn diese für sie die Komplexität reduzieren. Genau dazu passte zum Beispiel der Werbespot der HypoVereinsbank: »Ich will ja nicht die Welt anhalten. Aber kann sie sich nicht ab und zu mal um mich drehen? Nur so lange, bis ich hier in meinem Eck ein paar Sachen in den Griff gekriegt habe.« Das dazugehörige Lösungsversprechen lautete: »Leben Sie, wir kümmern uns um die Details«. Und ein ehemaliger Werbespot von E-Plus formulierte: »Die Umstände sollten sich unserem Leben anpassen«. Gerade die Google-Generation (Geburtsjahr 1985 oder jünger) ist äußerst ungeduldig und verlangt nach Einfachheit. Diese Eigenschaft übernehmen auch die älteren Generationen. Alles muss • • • • • • • schnell zu finden sein; schnell begreifbar sein (zum Beispiel Preisstruktur); schnell auswählbar sein (zum Beispiel Empfehlungen bei Amazon); leicht bedienbar sein; schnell zu bekommen sein; einfach bestellbar sein; schnell komplett die Bedürfnisse befriedigen. 118 Praxishandbuch Produktentwicklung Vor dem Kauf tendieren die Kunden jedoch teilweise noch zu den Produkten mit möglichst vielen Funktionen, sofern sie das Produkt noch nicht kennen. Da gilt noch: mehr ist besser, auch wenn es zu Lasten der Bedienerfreundlichkeit geht. Ist das Produkt jedoch erst einmal bezahlt und liegt in den eigenen Händen, so wird die Bedienerfreundlichkeit bei komplexen Geräten verflucht. Die Kunden sind einfach überfordert und haben weder Zeit noch Lust, sich so intensiv damit zu beschäftigen. Das heißt je mehr Knöpfe vorhanden sind, desto attraktiver ist das Produkt vor dem Kauf, jedoch desto geringer ist die Kundenzufriedenheit bei der Nutzung. Sie haben mit einem überfrachteten Produkt zwar Erstkäufer, aber viele Kunden werden das Produkt innerhalb der Ansichtsfrist zurückgeben oder beim nächsten Kauf ein anderes Gerät wählen. Und sie werden sich im Bekanntenkreis Luft machen und allen davon abraten, das Produkt zu kaufen. Somit steht hier der kurzfristige Abschluss gegen einen mittel- und langfristigen Unternehmensgewinn. Wer auch morgen noch Gewinne machen will, sollte in erster Linie die Bedienerfreundlichkeit in den Fokus seiner Produktentwicklung stellen. Wie Menschen reagieren Steht Kunden nur eine Sorte einer Produktkategorie zur Verfügung, wünschen sie sich mehr Auswahl. Bei zwei wählbaren Sorten ist dieser Wunsch immer noch vorhanden. Er besteht bis zu circa vier Sorten. Bei noch größerer Auswahl bewirkt die zunehmende Komplexität und Kompliziertheit eine Unsicherheit bis hin zu Angst bei den potenziellen Kunden. Je mehr Produkte und Produktvarianten der Kunde zur Auswahl hat, desto mehr ist er verunsichert und desto länger dauert die Entscheidung, desto schwieriger ist sie und desto weniger wird ausgewählt. Der Kunde überlegt, und überlegt und überlegt … und kauft dann doch nicht. Weniger ist mehr, denn jede Entscheidung des Kunden für ein Produkt ist gleichzeitig eine Entscheidung gegen ein anderes. Ist diese Menge groß, meidet der Kunde jegliche Entscheidung, da er immer Angst hat, sich für das falsche Produkt und gegen die richtigen entschieden zu haben. Diese Kunden bedauern häufiger ihre Wahl und sind unzufrieden. Ein Test im Supermarkt zur Größe der Auswahl im Verhältnis zum Kaufverhalten verdeutlichte dies: In zwei Parallelversuchen wurden 24 beziehungsweise 6 Sorten Marmelade zum Probieren angeboten. Bei 24 Sorten zur Auswahl sahen sich zwar 60 Prozent der Kunden das Angebot an, jedoch kauften nur 3 Prozent ein Glas. Bei 6 Sorten zur Auswahl blieben nur Prozessmusterwechsel und Komplexität 119 40 Prozent der Kunden stehen, aber 30 Prozent kauften ein Glas. Manche Supermarktketten haben ihre Umsätze im zweistelligen Bereich gesteigert, als sie die Angebotsvielfalt halbiert haben. Ein vergleichbares Ergebnis brachte ein Versuch an der Stanford Universität: Studenten wurden in einem Kurs über Sozialpsychologie entweder 6 oder 30 Themen für einen freiwilligen Aufsatz angeboten. Bei der geringeren Themenauswahl entschieden sich mehr Studenten zu dem Aufsatz, außerdem erzielte diese Gruppe bessere Ergebnisse. Auf das Überangebot an Produkten und Varianten, der Vielfalt an Werbung sowie Preismodellen sind folgende Kundenreaktionen zu beobachten: • Der Kunde vermutet, dass morgen ein besseres Produkt zum günstigeren Preis angeboten wird. Und somit kauft er zur Sicherheit heute nicht. Morgen wartet er dann lieber auf übermorgen und so weiter. Diese Kaufverweigerung aufgrund von Unsicherheit ist in vielen Branchen zu beobachten; • der Kunde sucht sich aus allen Produktinformationen die heraus, die er objektiv einschätzen kann: den Preis. Somit wird der Preis in dem Angebotschaos als Entscheidungsgrundlage herangezogen; • die Kunden greifen zu den ihnen bekannten Produkten oder zu bekannten Marken, da sie Markennamen mit Qualität verbinden. Alles, was einfach bewertet werden kann und bekannt ist, entlastet das Gehirn; • Bekannte, die Erfahrung mit den Produkten haben, werden gefragt, um die Floprate beim Kauf zu verringern. Positive Mund-zu-Mund-Propaganda wird dadurch immer wichtiger; • viele Geräte stehen heute bei den Kunden ungenutzt herum, da die Bedienung zu umständlich ist oder nie verstanden wurde. Diese Nichtnutzung bewirkt, dass die Kunden nicht wieder bei dem Anbieter kaufen und in ihrem Umfeld negativ über das Produkt sprechen; • selektiv wird nur das wahrgenommen, was eine große Gefahr bedeutet beziehungsweise einen großen Nutzen bringt und aus der breiten Masse herausragt. Somit muss der Nutzen Ihrer Produkte herausragend sein. Wie Unternehmen reagieren Je mehr Produkte der Hersteller im Angebot hat, desto weniger kann er in jedes einzelne investieren, um dieses für den Kunden optimal zu gestalten, desto weniger kann der Kundenwunsch exakt getroffen werden, desto 120 Praxishandbuch Produktentwicklung aufwendiger wird die Produktion, die Werbung, der Verkauf et cetera. Und der Gewinn sinkt erheblich. Seit Jahren steuern Discounter und Luxusanbieter mit einem reduzierten Sortiment erfolgreich dagegen an. Statt Geräte mit immer mehr Funktionen auszustatten, fand in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel hin zur Vereinfachung statt. Simplify in allen Lebenslagen. Einige Unternehmen merken bereits, dass ihre Produkte zu kompliziert sind und wagen einen neutralen Test. Das von Tim Bosenick gegründet und geführte Hamburger Unternehmen Sirvaluse untersucht im Auftrag von Produzenten die Benutzerfreundlichkeit von Produkten – meist vor der Markteinführung. Die Auftraggeber haben erkannt, dass die eigenen Mitarbeiter so verliebt in die technischen Raffinessen sind und eigene Tests nur durch die rosarote Brille »kritisch« betrachtet werden. Wer ein Produkt selbst entwickelt hat, hat alle Schritte der Entstehung miterlebt und beschäftigt sich den ganzen Tag damit – und hält die Nutzung für einfach. Da hilft nur der gnadenlose externe Test. Besser als der Test durch einen Berater ist es, die Kunden bei der Nutzung zu beobachten und nach der Nutzbarkeit zu fragen. Beispiele der Komplexitätsreduktion: • In den USA und auch schon in Deutschland haben Geschäfte die Komplexität des Preises herabgesetzt: »Alles für 1 Dollar«, heißt es in den Dollarstores mit einfacher Preisstruktur und glatten Preisen. Bei Dollar General (www.dollargeneral.com) gibt es nur wenige verschiedene Preise. Bei Jack’s World kann man das meiste für 99 Cent kaufen; • erste Autohändler haben Festpreise – Feilschen muss nicht mehr sein; • Toys’R’us: Wenige Produkte, jedoch jeweils in großer Stückzahl; • einige Optiker bieten Brillen innerhalb von einer Stunde an (Fertigung direkt im Laden), normal sind zwei Wochen; • McDonald’s hat bis auf Sonderaktionen seit Jahrzehnten die gleiche begrenzte Auswahl an Speisen im Programm. Und das fast weltweit; • Strumpf-Abo von Blacksocks (www.blacksocks.com). Grundsätzlich sind Strümpfe Nebenprodukte mit geringen Margen, da Kunden keine Bereitschaft haben, dafür viel Geld auszugeben. Die Kunden haben in ihren Schränken eine Auswahl an Strümpfen mit unterschiedlichen Farben, Mustern und Längen. Wechselnde Modelle bei den Anbietern erschweren zusätzlich die Zuordnung nach jeder Wäsche. Ist ein Strumpf kaputt, wird auch gleich der dazu passende entsorgt, da die Paare nur jeweils einmal vorhanden sind. Je nach Bestand im Schrank werden in unregelmäßigen Abständen neue Paare erworben. Dieses alles wird durch Blacksocks vereinfacht. Angeboten wird nur ein kleiProzessmusterwechsel und Komplexität 121 • • • • • • • • nes Sortiment: Wadensocken, Kniestrümpfe, Cashmere-Seiden-Socken, Sneaker-Socken, Füßlinge, Skistrümpfe und, jetzt neu, das Modell »Business light«. Seit Jahren gibt es immer die gleichen Modelle. Die Lieferung erfolgt automatisch nach Kundenwunsch zwei-, drei-, vieroder sechsmal pro Jahr. Somit ist für den Kunden kein eigener Einkauf mehr notwendig und er hat immer genügend Strümpfe im Schrank. Die Sortierung ist einfach und die Paare können kombiniert werden, wenn einzelne Strümpfe kaputt sind; mit einem iPod von Apple können Sie »nur« Musik hören. Ist er vielleicht gerade deshalb das erfolgreichste Abspielgerät für Musik? Apple setzt auf Einfachheit, Reduktion auf die Hauptfunktionen. Die Hülle mit den wenigen Knöpfen könnte auch aus der Zeit des ersten Walkmans stammen. Doch diese Funktionen reichen völlig aus. Ob die neu hinzugekommenen Funktionen zum Beispiel beim iPod Nano (unter anderem Radio) ein Erfolg werden, bleibt abzuwarten; vergleichen Sie doch bitte die Seiten www.google.com und www.yahoo. com. Welche Seite ist übersichtlich und welche ist überladen? Ist das der Grund für den Siegeszug von Google? Sicherlich einer der Gründe; ein US-Online-Händler (www.woot.com) hat pro Tag immer nur ein Produkt im Angebot und das zum Sonderpreis; bei dem Camcorder Flip (www.theflip.com) wurde alles auf das Wesentliche reduziert. Das Produkt wurde ein Verkaufsschlager in den USA. Das Gerät wird nicht nur gekauft, sondern im Gegensatz zu den viel zu komplizierten anderen Geräten, die eingestaubt in der Ecke liegen, auch genutzt; Aldi hat nur 500 Produkte im Sortiment. Nicht die Anzahl der angebotenen Artikel entscheidet über den Erfolg, sondern die Anzahl der Käufe. Aldi hat eine Sorte Haarshampoo in drei Varianten (für normales Haar, fettiges Haar, trockenes Haar), andere Supermärkte über 20 Marken in jeweils vielen Varianten; das iPhone stellt eine einfache Bedienung mit nur einer Taste sicher. Auf der anderen Seite haben Kunden die Möglichkeit, ihr iPhone mit herunterladbaren Programmen zu individualisieren. Somit wird auch diesem Trend entsprochen; Flatrate bei Telefon- und Internet-Anbietern, Downloads für Filme und Musik: Festpreis zahlen und ohne nachträgliche Überraschungen das Produkt unbegrenzt nutzen. Kunden lieben Flatrates; teure Geräte werden im b-to-b-Bereich als Leasing angeboten – inklusive aller anfallenden Reparaturen und Wartungen. Die Kosten sind einfach zu überschauen und auch über eine lange Zeit kalkulierbar; 122 Praxishandbuch Produktentwicklung • um die eigenen Produkte einfacher zu gestalten, hat Philipps ein Simplicity Adisory Board gegründet. Hierzu gehören vier externe Personen: ein Architekt, ein Designer, ein Radiologe und eine Modeschöpferin. Alle vier hatten vorher keinen Kontakt mit der Elektroindustrie. Somit waren sie noch »unverdorben« und stellen sich als Kunden die Frage: Geht das Produkt auch einfacher? Die besten Ideen und Anregungen zur Vereinfachung kommen von Amateuren, nicht von TechnologieExperten. Der Weg zur Komplexitätsreduktion: • Der größere Hebel in der Kundenakzeptanz liegt im Weglassen. Es ist nicht interessant, welche Funktionen noch hinzugefügt werden, sondern welche Funktionen weggelassen werden können, um die Nutzung für den Kunden so einfach wie möglich zu machen. Besser sind weniger Funktionen, die so gut ausgereift sind, dass die Produkte ihren Zweck herausragend erfüllen. So kann mit Klarheit und Eliminierung ein Kundenbedürfnis zu 100 Prozent befriedigt werden; • Vereinfachung: Setzen Sie Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten dazu ein, es anderen Menschen mit Ihren Produkten so einfach wie möglich zu machen. Bewirken Sie mit Ihrem Angebot eine Komplexitätsreduktion bei Ihren Kunden. Das Prinzip heißt KISS: keep it simple (and) stupid; • führen Sie regelmäßige Produktentwicklungsmeetings durch mit der Fragestellung: »Auf welche Funktionen können unsere Produkte verzichten?«. Trennen Sie sich von dem Unwichtigen und sofort rückt das für den Kunden wirklich Wichtige in den Fokus; • bieten Sie von einem Produkt nur eine, maximal drei Varianten an, mehr nicht. Diese Varianten sollten sich sowohl von der Bedürfniserfüllung als auch vom Preis deutlich unterscheiden; • machen Sie es Ihren Kunden einfach, Ihre Waren zu kaufen: Bieten Sie sie an, wann und wo immer Ihre Kunden es wollen, und nicht dort, wo es für Sie am kostengünstigsten und bequemsten ist. Erleichtern Sie den Kauf. Gehen Sie zum Kunden, um es Ihren Kunden leichter zu machen. Reduzieren Sie die Komplexität über einen einfachen Bestellvorgang und einfache Reklamation. Machen Sie Ihren Kunden alle Stufen so einfach wie möglich. »Schenken« Sie Ihren Kunden Zeit, indem alle Abläufe schnell gehen – und zwar insbesondere bei den alltäglichen Dingen wie Standardlebensmittel, Reinigung et cetera. Ermöglichen Sie so Ihren Kunden mehr Freizeit; • vereinfachen Sie ebenfalls die Installation, Bedienungsanleitung, Nutzung bis hin zur Entsorgung. Wenn ein Produkt von den Kunden mehr Prozessmusterwechsel und Komplexität 123 Fähigkeiten und Kenntnisse verlangt als diese haben, ist das ein Problem der Hersteller, nicht der Kunden. Alle Bedienerfehler sind Fehler des Produkts; • testen Sie die Bedienbarkeit und die Verständlichkeit Ihrer Gebrauchsanweisung selbst oder bitten Sie einen Freund darum. Seien Sie Ihr eigener Kunde. Sie werden erstaunt sein, was Ihnen und Ihren Freunden alles auffällt und was Sie stört. Machen Sie Ihre Produkte so einfach wie möglich – mit allen Funktionen, die die Kunden wünschen, aber keiner einzigen mehr; • setzen Sie auf ein klares und nachvollziehbares Preismodell. Best Practice, Prozessmusterwechsel und Reduktion der Komplexität entlang der gesamten Wertschöpfungskette Ein Produkt ist nicht nur der physische Teil oder die reine Dienstleistung, sondern alle Kontakte des Kunden mit Ihrem Unternehmen und Ihrem Produkt gehören dazu. Es ist die gesamte Kette zu berücksichtigen: von der Werbung über die Nutzung bis hin zur Entsorgung. Die Wertekette ist so zu gestalten, dass an allen Kontaktpunkten ein Wert für Ihre Kunden besteht und diese bereit wären, für jeden Kontaktpunkt zu zahlen. Jeder dieser Punkte ist für die Kunden ein Moment der Wahrheit, an dem sie die Leistung Ihres Unternehmens bewerten. Bewerten lieber Sie vorab alle Ihre (Haupt-)Produkte und alle Schritte Ihrer Prozesskette. Liefern Sie maximalen Nutzen entlang der ganzen Erfahrungskette oder zumindest an den Punkten, die für Ihre Kunden wichtig und kaufentscheidend sind. Der Kauf ist das Ziel des Verkäufers, jedoch für den Kunden nur ein Schritt der Erfahrungskette. Um positive Mundpropaganda und weitere Verkäufe zu erreichen, müssen Sie den Kunden an so vielen Stellen und Augenblicken wie möglich begeistern und positiv überraschen. Er muss nach jedem Kontakt mit Ihnen oder Ihren Produkten ein besseres Gefühl haben als vorher. Nachfolgend sind die wichtigsten Kontaktpunkte aufgeführt: • Werbung Nervt diese nur oder erhält der Kunde zusätzlich Informationen, die ihn interessieren? • Beratung 124 Praxishandbuch Produktentwicklung Wie kann sich der Kunde zusätzliche Informationen über die Produkte einholen (Zeitrahmen, Qualität der Beratung)? • Angebotspräsentation Einzelhandel, Internet, Messen/Veranstaltungen, privat (zum Beispiel Tupper-Party); wie ist der Weg zum Geschäft (ist das Geschäft leicht zu finden, Parkmöglichkeiten et cetera)?; wie werden das Unternehmen und die Produkte präsentiert? Ist das Geschäft eine Erlebniswelt? »Q110 – Die Deutsche Bank der Zukunft« (www.q110.de) hat in Berlin eine Filiale, in der ein Coffeeshop sowie Kinderbetreuung im modernen Design integriert sind; sie gleicht einer Erlebnislandschaft. Luxusmarken zeigen schon durch die Verkaufsräume, in denen sie angeboten werden, ihren Wert und die Exklusivität (siehe zum Beispiel Prada in New York am Broadway (www.galinsky.com/buildings/ prada/index.htm) oder Armani (www.armani5thavenue.com)). Ähnlich ist es bei Restaurants: Hier ist das Ambiente oft genauso wichtig wie das Essen. Das Ambiente überträgt der Kunde auf die Qualität der Produkte; die Präsentation muss zum Produkt passen. Luxusprodukte können nicht bei Aldi im Regal stehen, sondern sind in wenigen exklusiven Geschäften hochwertig zu präsentieren. Zu überlegen ist, in wie vielen Geschäften/ Portalen das jeweilige Produkt angeboten werden soll. Mehr Vertriebsorte bedeuten nicht zwangsläufig mehr Umsatz und schon gar nicht mehr Gewinn. Je mehr Wiederverkäufer es gibt, umso größer ist die Konkurrenz zwischen ihnen. Je häufiger das Produkt angeboten wird, desto eher kommt es zu einem Preiskampf und desto weniger exklusiv erscheint das Produkt; Öffnungszeiten; Ort: Das Produkt muss dort erhältlich sein, wo es der Kunde braucht. • Bestellwege Heute erwarten Kunden, dass sie über alle Wege bestellen können: per Brief, per Fax, per Mail, über die Homepage, telefonisch oder persönlich. • Auswahl Der Kunde erwartet häufig eine auf seine Bedürfnisse abgestimmte Vorauswahl durch den Anbieter zur Komplexitätsreduktion. So werden zum Beispiel bei Amazon Bücher aufgelistet, die zu den bereits angesehenen oder bestellten passen. • Kauf/Bestellung Wie sieht das Angebot aus? Insbesondere wenn einem Entscheider ein schriftliches Angebot zur Unterschrift vorgelegt werden soll, ist das »Nein« bei Unverständnis vorprogrammiert. Hier sollten zusätzliche Werbeargumente für den Entscheider ins Angebot aufgenommen werden; Prozessmusterwechsel und Komplexität 125 Kunden sollen sich nach der Bestellung besser fühlen als vorher und auf keinen Fall an ihrer Kaufentscheidung zweifeln. • Auftragsbestätigung Muss verständlich formuliert und kein für den Kunden unverständlicher Nummernsalat sein. • Probenutzung Um Misstrauen zu reduzieren, sind Proben hilfreich. Der Kauf ist noch nicht vollzogen, der Kunde kann testen; wenn der Kunde erst einmal das Produkt getestet hat und zufrieden ist, will er es meist auch behalten. Beispielsweise verkaufen Tierhandlungen so teilweise ihre Tiere. Interessenten sollen das Tier über das Wochenende zur Probe mit nach Hause nehmen. Hat die Familie erst einmal das Tierbaby ins Herz geschlossen, wird es für kein Geld der Welt zurückgegeben. • Rückgaberecht Insbesondere wenn das Vertrauen der Kunden zum Produkt oder zum Hersteller noch fehlt, sollte eine Rückgabe ermöglicht werden. Es gibt den Kunden Sicherheit und nimmt die Angst vor Fehleinkäufen. Bei Amazon haben Kunden zum Beispiel über »Blick ins Buch« die Möglichkeit, das Inhaltsverzeichnis sowie einige Seiten zu lesen. Ein Rückgaberecht ermuntert den Kunden zur Bestellung – aber nur, wenn er das Produkt ohne Angabe von Gründen zurückgeben kann. Dieses Gefühl der Sicherheit wird noch verstärkt, wenn der Kunde erst bezahlen muss, nachdem er entschieden hat, das Produkt zu behalten. Das menschliche Gehirn sucht nach Gefahren. Diese sind für den Kunden zu reduzieren; Varianten der Rückgabemöglichkeit: mit oder ohne Begründung, Geld zurück, Gutschein, mit oder ohne zeitliche Befristung, und so weiter. Geldzurück-Garantie bieten heute viele an. Das ist kein Verkaufsargument mehr, zumal der Kunde neben einer erfolglosen Nutzung auch noch die Rücksendung übernehmen muss. Diese Verfahren haben für den Hersteller kein Risiko und er hofft, dass auch bei einem nicht so guten Produkt der eine oder andere Kunde zahlt. Wenn der Hersteller von dem Nutzen seines Produkts überzeugt ist, sollte er folgende Garantie anbieten: »Kompletter Kaufpreis zurück + X Prozent vom Kaufpreis als Aufwandsentschädigung« (mindestens 10 Prozent). Wenn das Produkt hält, was der Hersteller verspricht, werden nur ganz wenige Kunden von dieser Regelung Gebrauch machen beziehungsweise diese missbrauchen. Die Prämien der Mitarbeiter in der Werbung und im Vertrieb sollten an die Rücksendequote gekoppelt sein. Dann wird nur das versprochen, was auch gehalten werden kann. Wenn das Produkt wirklich den versprochenen Nutzen liefert, wird fast nichts zurückgegeben. Wird das Werbeversprechen nicht eingehalten, ist die Rückgabe 126 Praxishandbuch Produktentwicklung noch das kleinste Übel. Außerdem betreibt der Besteller negative Mund-zuMund-Propaganda und wird bei einem weiteren Kauf weitaus vorsichtiger agieren. Eine lebenslange Geld-zurück-Garantie bietet zum Beispiel der Bekleidungsversender Lands’End (www.landsend.de). • Rechnung Geld auszugeben bereitet den Menschen Schmerz und ein negatives Gefühl. Um dieses zu kompensieren, müssen positive Gefühle geweckt werden, die überwiegen (zum Beispiel überraschende Zusatzleistung). Zugaben müssen jedoch zum Produkt passen. Das Produkt muss auch ohne Zugaben marktfähig sein. Gratisfilme beim Kauf einer Analogkamera haben nicht den Durchbruch der Digitalkameras verhindert; belohnen Sie die Menschen beim Kauf, denn der Kunde wird dann in seinem Verhalten bestärkt und wird es wieder anwenden. Momente des Glücks machen Menschen süchtig. • Bezahlung Es gibt mehrere Möglichkeiten bei den Zahlungsbedingungen: Einmalzahlung, Ratenzahlung, Leasing/Miete; auch der Zeitpunkt der Bezahlung ist wählbar: Vorabkasse, bei Lieferung, X Tage nach der Lieferung; Bezahlungswege: Kreditkarte, Abbuchung, Überweisung, per Nachnahme, Rechnung, Internet (zum Beispiel Paypal). Es bestehen immer noch Bedenken, im Netz die Daten der Kreditkarte zu hinterlassen. Das Misstrauen wird dadurch bestärkt, dass manche Anbieter gar keine Bestellungen mehr per Rechnung oder Nachnahme annehmen. Der Online-Preis kann dann noch so günstig sein: Es wird das Produkt gewählt, das erst nach Erhalt der Ware bezahlt werden muss; Überraschungen bei der Bezahlung (zum Beispiel eine kleine Aufmerksamkeit). • Wartezeit Schnelligkeit der Lieferung; gegebenenfalls künstliche Wartezeiten, um den Wert der Ware (zum Beispiel bei Luxusartikeln) zu erhöhen. • Produkt Funktion; Struktur; Ansprache; Produktart; Emotion; Design. • Zusatzleistungen Prozessmusterwechsel und Komplexität 127 zum Beispiel Informationen: Als Käufer von Iglo-Rahmspinat können Sie im Internet durch Eingabe eines Codes auf der Verpackung die Herkunft des Spinats zurückverfolgen, und zwar bis zum Bauern. Das ist Transparenz pur. • Preis Anwendersoftware für Privatkunden gibt es immer noch zum Einmalkauf (Microsoft). Zukünftig liegt das Produkt auf dem Anbieterserver (andere Form der Warenlieferung) und der Kunde zahlt die Nutzungsdauer; Preisvarianten: Kombipreis/Paketpreis, Subskriptionspreis/Einstiegspreis; Preismodelle: – Honorierung bei Erfolg und nicht nach Zeit oder Festhonorar (zum Beispiel bei Beratern); – Butter muss nicht nach Gewicht, eine Kinokarte nicht pro Besuch, und Benzin nicht pro Liter abgerechnet werden. Alle Formen der Tauschgeschäfte sind anzudenken (Steuerrecht beachten); – im Handy-Segment ist es üblich, dass die Geräte für 1 Euro mit Festvertrag (Grundgebühr und Flatrate) angeboten werden. Das Handy mit Grundgebühr und Abrechnung der einzelnen Telefonate ist schon teurer. Am teuersten sind die Geräte, wenn ohne Vertrag nur eine Prepaid-Card genutzt wird; – Autoversicherungen sind abhängig von der Anzahl der Fahrer, der gefahrenen Kilometer und so weiter; – Hotel mit Aktionswochen: Der Gast bezahlt bei der Abreise den Preis, den ihm der Besuch wert war. Fast alle Gäste zahlten einen angemessenen Preis. Die Werbewirkung war jedoch gigantisch und die Zimmerauslastung höher als sonst; – alle Produkte zum gleichen Preis; – warum soll immer der Nutzer/Käufer zahlen? Produkte können auch verschenkt beziehungsweise zu einem symbolisch niedrigen Preis verkauft und von anderer Seite gesponsert werden. So werden zum Beispiel viele Branchenzeitschriften, regionale Wochenblätter und U-Bahn-Zeitschriften (zum Beispiel in London) über Anzeigen finanziert, Mietwagen mit Außenwerbung; – Kopierer im Büro: gezahlt wird pro Kopie, Gerät ohne Leasinggebühr; – Drucker: Das Gerät ist sehr günstig, dafür sind die Patronen sehr teuer (übliche Variante). Oder genau umgekehrt für Intensivnutzer: Der Drucker ist etwas teurer, dafür die Tinte weitaus günstiger; – Flatrate beim Friseur oder im Restaurant: Nutzung pro Monat so oft der Kunde will; – Nutzung durch mehrere Kunden (zum Beispiel größere Gartengeräte, die selten gebraucht werden). 128 Praxishandbuch Produktentwicklung • Lieferung/Übergabe Lieferart: Lieferung nach Hause oder zur Arbeit; Lieferzeitpunkt: Kann dieser vom Kunden bestimmt werden oder heißt es wie bei Möbelgeschäften: »Wir kommen am XX.YY.ZZZZ. Die Uhrzeit hängt von unserer Tour ab«?; neue Vertriebswege für altbekannte Produkte: Nachhilfe für Schüler über interaktive Lernprogramme oder über das Internet. In manchen Ländern – bis jetzt noch – mit Lehrern aus dem Umkreis. In den USA haben viele Kinder bereits Nachhilfe bei Personen in Indien, mit denen sie über Webcam, Mail und Scanner kommunizieren. Der Vorteil für die Eltern: nur ein Drittel der Kosten gegenüber einem Nachhilfelehrer in den USA. Welche bestehenden Vertriebswege gibt es in Ihrer Branche? Welche Vertriebswege gibt es in anderen Branchen? Und jetzt die entscheidende Frage: Welche Kombination bestehender Produkte mit neuen Vertriebswegen gibt es, mit der Sie es dem Kunden einfacher machen?; Erklärung des Produkts bei Lieferung. • Installation/Endmontage Kunden halten Produkte oft für wertvoller, wenn sie selbst an der Herstellung mitgewirkt haben und beispielsweise bei den letzten Schritten der Uhrproduktion selbst Hand anlegen konnten. Fertigkuchen werden von Personen mit viel Zeit eher abgelehnt. Backmischungen sind gerade noch akzeptabel, wenn noch selbst Zutaten hinzugegeben und geknetet werden muss. Der Kunde will Erfolg haben, jedoch darf die Endproduktion nicht zu schwer sein und muss gelingen. • Mahnwesen Erst Telefonat oder gleich schriftlich. • Garantie Dauer und Umfang; Garantie erzeugt Sicherheit vor dem Kauf. Nach dem Kauf setzt der Kunde diese voraus. Das heißt wenn die Garantie erfüllt wird, ist es für den Kunden in Ordnung (er ist aber nicht begeistert). Wenn sie nicht erfüllt wird, erzeugt es Frust; zu beachten sind die je nach Land rechtlich festgelegten Gewährleistungsfristen. Gegebenenfalls sind diese freiwillig um festgelegte Zeiträume oder für die gesamte Lebensdauer des Produkts zu erweitern; unterschiedliche Garantieerwartungen: Sofortige Reparatur oder Austausch werden im beruflichen Umfeld häufig vorausgesetzt. Im privaten Bereich kann etwa die Reparatur eines Staubsaugers auch schon mal eine Woche dauern, ohne dass der Kunde verärgert ist. Die Garantie ist somit auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kunden abzustimmen und gegebenenfalls Prozessmusterwechsel und Komplexität 129 sind unterschiedliche Garantien für unterschiedliche Kundengruppen anzubieten. Auch ist zu überlegen, ob zusätzliche Garantien (Austauschgerät, 24-Stunden-Service, Garantielaufzeit et cetera) gegen Aufpreis angeboten werden. • Service Wie ist die Erreichbarkeit des Kundenservices? Werden bei jedem Kontakt den Kunden Fragen zur Nutzung und weiteren Bedürfnissen gestellt? Wo sind die Kontaktmöglichkeiten veröffentlicht? Was beinhaltet der Service (zum Beispiel Beratungshotline für Ernährungsfragen bei Lebensmitteln, kostenlose Telefonnummer eines Tierarztes auf der Verpackung von Tierfutter für ein Beratungsgespräch). Hier ist zu prüfen, welches Grundbedürfnis hinter dem Produkt steht; Telefonservice: Nach Ablauf der Garantie nehmen einige Unternehmen (unter anderem Dell und Apple) je Anruf eine Gebühr beziehungsweise geben nur Antwort, wenn ein separater Servicevertrag abgeschlossen wurde. Viele Unternehmen haben für Kundenanfragen ausschließlich gebührenpflichtige Nummern eingerichtet. Hiervon wird abgeraten, da Kundenanfragen meist aus schlechten Produktbeschreibungen resultieren. Hier sollten nicht die Kunden doppelt bestraft werden, sondern der Hersteller. Außerdem sollte der Filter für Kundenanfragen so gering wie möglich sein, denn jede Anfrage kann als Ideenquelle zur Produktoptimierung oder für neue Produktideen genutzt werden; Schulungen zur besseren Nutzung. Apple bietet beispielsweise in seinen Läden regelmäßig Schulungen zu den Programmen an (wie ein Stundenplan in der Schule). In einigen Geschäften sind dies mehr als sieben Schulungen pro Tag, die kostenfrei für Kunden und Nichtkunden sind. • Wartung/Reparatur/Schadensfall Ist zum Beispiel auch eine fehlerhafte Bedienung durch den Kunden versichert? Verhalten bei Beschwerden (Kulanz); Reaktionszeit; Dauer, bis die Reparatur erfolgt; Austauschgerät innerhalb von X Stunden oder Minuten. Zum Beispiel holt der Nespresso-Kundendienst das defekte Gerät ab und stellt ein Austauschgerät bereit. So hat der Kunde weiterhin seinen Kaffee, und Nespresso weiterhin den Verbrauch seines Kaffees – auch während der Reparaturzeit. • Update Sind Aktualisierungen des Produkts inbegriffen? • Entsorgung 130 Praxishandbuch Produktentwicklung Wird das Produkt zur Entsorgung abgeholt? Kostenfreie Entsorgung durch den Hersteller? Jedes Detail und jede Kundenberührung zählt. Werden Sie detailbesessen, Abkürzungen sind ausgeschlossen. Denn unterschiedliche Kunden nehmen verschiedene Details (bewusst und unbewusst) wahr. Stellen Sie die eingefahrenen Modelle Ihrer Branche infrage. Setzen Sie die Kundenbrille auf. Optimieren Sie nicht die bestehenden Modelle, sondern schaffen Sie neue. Auch bei Bio reicht nicht mehr ausschließlich das Produkt. Die gesamte Wertschöpfungskette muss den ökologischen Ansprüchen genügen. Regionale Produkte werden bevorzugt, da der Transport die Umwelt nicht so stark geschädigt hat. Bodyshop ist nicht so sehr für Produkte bekannt, sondern für die umweltschonende Herstellung und Produktentwicklung ohne Tierversuche. Alle Stufen müssen zusammenpassen. Eine ökologische Produktion (Nachhaltigkeit) muss auch die Entsorgung berücksichtigen. Geistreiches und Zitiertes »Selbst erfolgreiche Unternehmen können sich in Zukunft zugrunde ruinieren, wenn sie weiterhin so vorgehen wie in der Vergangenheit.« Warren Bennis »Nicht die Stärksten überleben oder die Intelligentesten, sondern die am meisten bereit zum Wandel sind.« Charles Darwin »Das Unternehmen wie wir es kennen, ist nun 120 Jahre alt und wird die nächsten 25 Jahre nicht überleben. Rechtlich und finanziell schon, aber nicht strukturell und ökonomisch.« Peter F. Drucker »Es ist keine Frage mehr, ob wir uns verändern müssen. Die einzige Frage ist, ob wir schnell genug sein werden!« Cay von Fournier »Die besten Gelegenheiten ergeben sich dann, wenn man die Grundregeln ändert.« Edgar K. Geffroy »Falle: Der Erfolg von gestern ist der Feind von heute und der Killer von morgen.« Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich Prozessmusterwechsel und Komplexität 131 »Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.« Albert Einstein »Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen erschien.« Albert Einstein »Jeder möchte Wirtschaftswachstum, aber niemand möchte einen grundlegenden Wandel.« Paul Romer »Seien Sie nicht dumm, sondern hinterfragen Sie den Status quo.« Timothy Ferriss in Die 4-Stunden-Woche »Einige Menschen sehen die Dinge an, die da sind, und fragen, warum. Ich träume von Dingen, die nie da waren und frage, warum nicht.« George Bernard Shaw »Die Menschen sind sehr offen für neue Dinge – solange sie nur den alten gleichen.« Charles F. Kettering »Wer sich eine schwierige Aufgabe stellt, braucht keine Angst haben, dass er viel Konkurrenz bekommt.« Klaus Kobjoll »Die Ablehnung eines Risikos ist für ein Unternehmen das größte Risiko.« Reinhard Mohn »Das Problem eines schrumpfenden Marktes kann nicht durch Verbesserung der Technologie eines bereits veralteten Produkts gelöst werden.« John Naisbitt in Mind Set! »Wir sollten aufhorchen, wenn die Leute etwas verrückt finden. Denn wenn Leute etwas gut finden, macht es bereits ein anderer.« Fujio Mitarai »Wer sich hinter Methoden der achtziger und neunziger Jahre versteckt – wer versucht, sein Produkt lediglich ein bisschen besser zu machen –, dessen Uhr ist abgelaufen. Ein Verbesserer kann mit dem Tempo der Veränderung nicht mithalten.« Tom Peters 132 Praxishandbuch Produktentwicklung »Es gibt zwei Überlebensmöglichkeiten für einen Anbieter: entweder er ist günstiger als seine Mitbewerber oder aber bedeutend besser.« Daniel Zanetti in Kundenverblüffung »Wenn Du ein Problem nicht lösen kannst, liegt es daran, dass Du Dich an die Regeln hältst.« Paul Arden in Es kommt nicht darauf an, wer Du bist, sondern wer Du sein willst »Wir haben zu viele ähnliche Firmen, die ähnliche Mitarbeiter beschäftigen mit einer ähnlichen Ausbildung, die ähnliche Arbeiten durchführen. Sie haben ähnliche Ideen und produzieren ähnliche Dinge zu ähnlichen Preisen in ähnlicher Qualität. Wenn Sie dazugehören, werden Sie es künftig schwer haben.« Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie »Ein Denkender ist immer ein Andersdenkender.« Albert Keller »Jede Zusatzfunktion ist eine weitere Sache, die erlernt werden muss, eine weitere Sache, die missverstanden werden kann, und eine weitere Sache, die die Suche nach dem, was man eigentlich will, erschwert.« Jakob Nielsen »Die Betriebsanleitung meines neuen Handys umfasst 118 Seiten. Mit dem Ding kann man alles machen, außer seinen Hund waschen.« Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how »Einfachheit ist das Resultat der Reife.« Friedrich von Schiller »Bequemlichkeit war noch nie der Vater des Erfolgs. Es sei denn, man verkauft sie.« unbekannt »Hohe Bildung kann man dadurch beweisen, dass man die kompliziertesten Dinge auf einfache Art zu erläutern versteht.« George Bernard Shaw »Fortschritt heißt, das Primitive zu entwickeln und das Entwickelte zu vereinfachen.« Werner Tiki Küstenmacher Prozessmusterwechsel und Komplexität 133 »Freiheit bedeutet Verantwortung. Das ist der Grund, warum die meisten Menschen sich vor ihr fürchten.« George Bernard Shaw »Hersteller, die heute nicht auf die einfache Bedienbarkeit ihrer Produkte achten, werden morgen keinen Markt mehr haben.« Tom Bosenick 134 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 9 Preisfindung Das gemeinsame Ziel von Kunden und Unternehmen Das Ziel der Unternehmensführung ist die langfristige Wertsteigerung des Unternehmens – oder sollte es zumindest sein. Hinzu kommt es, Liquidität zu sichern und Renditen zu erwirtschaften. Ziel ist nicht die maximale Kundenzufriedenheit. Denn die ist nicht realistisch. Maximale Kundenzufriedenheit würde bedeuten: Top-Produkte, die alle Wünsche erfüllen und für 0,- Euro angeboten werden. Das ist aus Sicht der Kunden maximale Zufriedenheit. Das kann kein Unternehmen erfüllen, sofern es weiter existieren will. Somit muss Ihr Ziel sein, die Zufriedenheit auf beiden Seiten, nämlich auf Ihrer und der des Kunden, zu haben. Die Produkteigenschaften sind mit Differenzierungsmerkmalen voll auf den Kundenwunsch auszurichten. Der Nutzen für den Kunden muss so hoch sein, dass er auch bereit ist, dafür möglichst viel Geld auszugeben. Und zwar einen Preis, der auch Ihre Bedürfnisse erfüllt. Mit dem Umsatz und Gewinn werden die Wünsche des Unternehmens befriedigt (wobei ausschließlich der Gewinn den Fortbestand des Unternehmens sichert, nicht der Umsatz). Nur wenn die Kundenbedürfnisse und die Bedürfnisse der Anbieter befriedigt werden, ist der Fortbestand des Unternehmens gesichert. Die Entwicklung der Preisstruktur Das Preis-Absatz-Verhältnis – die tote Mitte Wäre der Preis das wichtigste Kaufkriterium, so würde die Kurve linear von oben nach unten verlaufen (theoretische Kurve in Abbildung 10): günstiger Preis bewirkt den größten Absatz, dieser nimmt mit zunehmender Preiserhöhung ab. Schon früher verlief diese Kurve anders: Die Preisfindung 135 größten Mengen wurden im mittleren Preissegment (Durchschnittssegment) abgesetzt (in den 70er Jahren noch 50 Prozent), geringere im Billigbereich sowie im Luxussegment. Die typische Gauß-Verteilung. Es war die Zeit des soliden Mittelstands: gute Produkte in guter Qualität zu guten Preisen. Das haben überwiegend die mittelständischen Unter­ nehmen geboten. Seit Jahren erhält diese Kurve jedoch Druck von oben: Die Mitte bricht ein (auf geschätzte 20 Prozent im Jahr 2010; sie ist somit in 30 Jahren um 60 Prozent geschrumpft). Statt Gauß-Verteilung liegt hier eher die Form einer Sanduhr vor. Der Durchschnittsbürger hat keine Lust mehr am Durchschnitt. Und dort, wo viele Anbieter waren, ist ein Preiskampf ausgebrochen. Somit lassen sich mit Produkten im mittleren Segment nur noch geringe oder gar keine Renditen mehr erzielen. Und das über die Branchen hinweg: egal ob Lebensmittel, Reisen, Schmuck, Friseur, Kleidung, Möbel et cetera. Die Mitte schrumpft, die Pole wachsen dagegen. Die Kundenwünsche haben sich in der letzten Zeit immer weiter polarisiert und werden sich auch noch weiter polarisieren. Es gilt: • das Billigsegment mit »Geiz ist geil« bis »Ich bin doch nicht blöd«: Entweder es wird extrem auf den Preis geachtet und das Produkt muss mit geringem bis mittelmäßigem Nutzen »saubillig« sein. In diesem unteren Preissegment gibt es unter anderem Aldi, Lidl, Ikea, H&M, C&A, Etap-Hotels, Saturn, Media Markt, Ryanair, unter 10-EuroFriseure und Selbstbedienungsbäcker. Es gilt: niedrigster Preis bei Konzentration auf den Grundnutzen bei solider Basisqualität (zum Beispiel Billigflieger: Transport von A nach B ohne Extra-Service). Es sind die funktionalen Güter des täglichen Bedarfs, auf Emotionen und Service wird weitestgehend verzichtet. Wobei auch in diesem Segment Emotionen und Design eine Bedeutung haben, jedoch längst nicht so stark. Was hier gespart wird, kann im Erlebniskonsum »verprasst« werden. Meist können die Kunden in diesem Segment keine Unterschiede im Nutzen der Produkte erkennen. Dann legt der Wettbewerb den Marktpreis fest, indem die Kunden dort kaufen, wo das Produkt am günstigsten angeboten wird. Der einzige Orientierungspunkt ist der Preis; • eine andere Möglichkeit: Es wird das Beste vom Besten gekauft, die Premiumqualität zum entsprechenden Preis. Und da muss es nicht viel Masse sein. In dieses obere Preissegment gehören unter anderem Dallmayr, Feinkost Käfer, Apple, Bang & Olufsen, Harley Davidson, Prada, Rolex, Alessi, Bio-Bäcker, Vertu (Handy-Luxussparte von Nokia: Leder, 136 Praxishandbuch Produktentwicklung Edelstahl, Edelsteine; Preis ab einigen Tausend Euro, nach oben offen. Gleiche Funktionen wie jedes 1-Euro-Handy, nur anderes Material und Design), Mont Blanc. Unternehmen im Hochpreissegment führen die Differenzierung zu ihren Mitbewerbern nie im Preisvergleich, sondern ausschließlich über das Produkt. Aus Kundensicht sind das gegenüber den Wettbewerbern überlegene Produkte. Diese Nischen können jedoch von den Unternehmen nur erfolgreich besetzt werden, wenn ihr Angebot um mindestens 30 Prozent für den Kunden erkennbar besser als das der Mitbewerber ist. Es sind die Produkte, die neben dem rationalen Nutzen auch starke Emotionen wecken, einen Status ausdrücken, Träume erfüllen und ein entsprechendes Design haben. Eine teure Uhr wird nicht gekauft, um die Zeit abzulesen. Dafür reicht auch eine günstige Ausführung. Ins Restaurant gehen die wenigsten, um den Hunger zu stillen. Das geht zu Hause weitaus günstiger. Somit gibt es ganz andere Motive, als alles zum günstigsten Preis zu bekommen. Es liegen hier unerschöpfte Gewinnpotenziale: Leistungsmaximierung zu einem entsprechenden Preis. Und dieses Hochpreissegment gibt es auch für Haustiere: Katzenfutter mit Hühnchen und Garnelen oder Pastete mit Lachs. Auch der Biomarkt darf in der Haustierernährung nicht fehlen. Definieren Sie eine Nische neu und positionieren Sie sich mit Ihren Produkten. Dann brauchen Sie sich nicht mit der Konkurrenz herumzuschlagen. Bieten Sie entweder »I fancy«- (Produkte im Hochpreissegment) oder »I need«-Produkte an (günstige Alltagsprodukte vom Kostenführer); • im mittleren Preissegment befinden sich unter anderem Opel, Karstadt, Handy-Sparte von Siemens, Spar (in Edeka eingeflossen), die Fluglinien Swiss und Alitalia. Dies sind jeweils die undifferenzierten Anbieter, die nicht günstig, wenig innovativ sind und nur wenige Emotionen beim Kunden auslösen. Gefördert wird diese Polarisierung zusätzlich durch die Veränderung in der Bevölkerungsstruktur. Auf der einen Seite Hartz IV, Sozialabbau und Massenentlassungen. Auf der anderen Seite ein Anstieg der wohlhabenden Bevölkerungsschicht. Es gibt fast eine Million Euro-Millionäre in Deutschland, vor zehn Jahren waren es nur halb so viele. Und die Gehälter der Topmanager stiegen – gegen den Trend der unteren Lohngruppen – weiter kräftig an und werden auch nach Wirtschaftskrisen wieder mindestens auf das alte Niveau angehoben. Früher war der Mittelstand das Markenzeichen in Deutschland. Zukünftig werden die Segmente oben und unten zunehmen. Preisfindung 137 Abbildung 10: Schematische Darstellung der Abhängigkeit des Absatzes vom Preis Absatz theoretische Kurve früher Aktuelle Entwicklung Preis In Zahlen hat das B.A.T. Institut diese Entwicklung in einer Studie bestätigt: Abbildung 11: Entwicklung der Marktanteile Verteilung der Preissegmente 100 % 80 % Luxussegment 60 % Mittleres Preissegment 40 % Billigprodukte 20 % 0% 1971 1981 1986 1990 2010 Es gibt auch viele Produkte von unterschiedlichen Herstellern im oberen und gleichzeitig im unteren Preissegment. Und beide Anbieter sind mit ihrer Strategie erfolgreich. Zum Beispiel sind Jeans für 9 Euro bei Anbietern wie Tchibo, C&A, H&M keine Seltenheit. Dann gibt es Geschäfte, in denen eine Jeans über 1 000 Euro kostet – und auch gekauft wird. Im ersten Fall ist die Jeans Kleidung für den Alltag, im anderen Fall ein Designerstück mit Statussymbol. Bei Roberto Cavallis muss auch schon mal mehr als 2 000 Euro für eine edle Jeans auf den Tisch gelegt werden. Der Unterschied liegt weniger im Stoff als in kleinen Accessoires wie Stickereien und der Marke. 138 Praxishandbuch Produktentwicklung Letztgenannte ist meist als Namenszug von außen deutlich sichtbar, damit die ganze Welt sehen kann, was sich der Käufer leisten kann. Da wird keine Jeans mehr verkauft, sondern ein gutes Gefühl und Status. Der Teufel trägt Prada – und kauft bei Aldi Abbildung 12: Die Devise des heutigen Kunden So lautet die Devise des heutigen Kunden. Die meisten kaufen gleichzeitig in beiden Polen ein. Luxuskarossen auf dem Aldiparkplatz gehören zur Normalität. Keiner schämt sich mehr dafür – egal in welcher Gesellschaftsschicht –, bei Aldi einzukaufen. Es gibt keine festen Kundengruppen mehr bei den unterschiedlichen Preissegmenten. Ein und derselbe Kunde ist von einer Minute zur nächsten preissensibel (insbesondere bei austauschbaren Produkten) und unsensibel bei nicht austauschbaren Produkten. Bei Aldi werden die Grundnahrungsmittel gekauft, der Käse aber im Feinkostgeschäft, mittags gibt es Fastfood und am Abend geht es mit dem Partner zum Edel-Italiener. Menschen entscheiden situativ und je Lebensbereich, in welchem Preissegment sie einkaufen. Dieses ist am Äußeren, Alter, Beruf, der Wohngegend nicht erkennbar. Unterschätzen Sie niemals die Kaufkraft der Kunden, in keiner Bevölkerungsschicht. Was Personen für bestimmte Produkte ausgeben, kann meist auch nicht am Geldbeutel vorPreisfindung 139 hergesehen werden. Auch wenn Personen wenig Geld haben, so können sie doch zum Beispiel für ihr Hobby, Fernseher/Musikanlage oder den Jahresurlaub alles zusammensparen. Menschen haben immer Bereiche, die ihnen wichtig sind. Sie sparen in einem Bereich, um sich in einem Produktsegment das Beste kaufen zu können. Hier kann es teilweise nicht teuer genug sein, häufig auch über die wirtschaftlichen Möglichkeiten hinaus. In der Maslowschen Bedürfnispyramide begann alles unten: Zuerst mussten die Bedürfnisse wie essen, trinken, schlafen befriedigt werden. Als nächste Stufe galt es diese Bedürfnisse zu sichern. Erst wenn diese beiden Stufen und zwei weitere befriedigt waren, strebte der Mensch nach Selbstverwirklichung. Heute oszillieren die Menschen die Bedürfnispyramide gleichzeitig rauf und runter. Der Status in der Gruppe bis hin zur Selbstverwirklichung wird angestrebt, auch wenn die Basis von essen und trinken noch nicht abgesichert ist. Die Kunden werden nicht preisbewusster – sie werden wertbewusster. Ein Produkt muss preiswert, also den Preis (mindestens) wert sein. Wenn etwas wegen des geringen Preises gekauft wird, dann liegt die Ursache in den Produkten. Somit müssen sich die Anbieter heute entscheiden, um eine gute Rendite zu erzeugen: entweder als Kostenführer über die Menge im Billigsegment (mit den dahinter liegenden Gefahren) agieren oder im Hochpreissegment die Träume der Kunden als Nischenanbieter erfüllen. Dazwischen gehen Sie unter und werden in der toten Mitte im Preiskampf zerquetscht. In beiden Segmenten muss ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis vorliegen. Und wer mehr ausgibt als im unteren Segment, will viel mehr und überspringt so die Mitte. Wo ist Rendite zu erwirtschaften? Die Porter-Kurve spiegelt die Polarisierung der Märkte wider. Die Rendite der Unternehmen steigt nicht linear mit deren Marktanteil. Es gibt gemäß der Porterkurve drei Positionierungen: • Nischenanbieter: geringer Marktanteil insgesamt, jedoch hoher Marktanteil in seiner Marktnische. Die Produktpreise sind hoch, ebenso die Rendite; • Kostenführer: hoher Marktanteil durch Massenprodukte zu geringen Preisen. Pro Produkt wird nur eine geringe Rendite erwirtschaftet, ins140 Praxishandbuch Produktentwicklung gesamt jedoch ein hoher Betrag. Aufgrund von Mengenvorteilen kann auch mit dem geringen Preis ein Gewinn erwirtschaftet werden. Einkäufer von Aldi haben eine Marktmacht und können so die Einkaufspreise »diktieren«. Ebenso sind alle Abläufe auf Menge ausgerichtet, was die Stückkosten niedrig hält; • »Das Tal der Tränen«: Im mittleren Segment kann nicht so sehr auf individuelle Kundenwünsche eingegangen werden. Somit sind die Preise eher »Mittelmaß«. Auf der anderen Seite sind die Mengen noch zu gering, um die Kosten gering zu halten. Die Anbieter »sitzen zwischen den Stühlen«. Die Gewinne sind aus diesen Gründen sehr gering oder es werden sogar Verluste eingefahren. Die Unternehmen in der Mitte verlieren ihre Kunden an Großanbieter, die niedrige Discountpreise und durchschnittlichen Nutzen bieten. Oder die Kunden wandern zu den Spezialisten, die »Maßlösungen« der Spitzenklasse zu höheren Preisen anbieten. Unternehmen in der Mitte haben oft ein neutrales Image und stehen für nichts im Markt. Mittlerer Nutzen zum mittleren Preis ist nicht mehr gefragt. Die Unternehmen in der Mitte sollten versuchen, dort schnell heraus zu kommen und in eine der Außenpositionen zu gelangen, da diese – insbesondere die Nischenstrategie – rentabler sind. Dieses haben empirische Studien mehrfach belegt, unabhängig von der Branche. Abbildung 13: Porter-Kurve (schematische Darstellung) Rentabilität Nischenanbieter Kostenführer »Das Tal der Tränen« Marktanteil Preisfindung 141 Ein vorsichtiger Ausblick in die Zukunft Die Pole werden weiter wachsen. Auch wenn in einer Krise alle drei Segmente zu kämpfen haben und es in allen Preissegmenten Firmenschließungen geben wird, so ist die Mitte doch am stärksten davon betroffen. Im Billigsegment werden die Preise immer weiter sinken, da die Wettbewerber als Hauptdifferenzierungsmerkmal den Preis haben, bis nur noch ein Anbieter (maximal zwei) je Produktsegment übrig bleibt. Alle anderen konnten die eigenen Kosten nicht so weit senken, um immer noch Gewinn zu erwirtschaften. Die Menschen haben sich in Krisenzeiten daran gewöhnt, austauschbare Produkte zu Niedrigstpreisen zu kaufen und werden dieses Verhalten auch in besseren Zeiten als Gewohnheit beibehalten, um Geld für das Hochpreissegment zu haben. Denn dieser Bereich um hochpreisige Produkte wird weiter ansteigen, spätestens wenn die Wirtschaftskrise einigermaßen abgefangen wurde. Der Irrsinn mit dem Preis »Können wir am Preis noch etwas machen?«, ist die Standardfrage aller Kunden. Und ich gebe zu, dass auch ich sie häufig stelle. Zusätzlichen Nachlass beim Preis nimmt man gern hin. Wenn Sie zukünftig von einem Kunden diese oder ähnliche Fragen gestellt bekommen, antworten Sie doch direkt mit »ja«. Nach einer ganz kurzen Pause sagen Sie: »Bei diesem für Sie nützlichen Produkt halte ich einen Aufschlag von 15 Prozent für gerechtfertigt«. Aus welchen Gründen müssen Preise immer nur in eine Richtung verändert werden? Bieten Sie dem Kunden einen Aufschlag an. Oder Sie bieten einen Preisnachlass bei gleichzeitiger Reduzierung der Leistung an. Gleiche Leistung zu einem niedrigeren Preis würde nur signalisieren, dass der offizielle Preis ein Mondpreis ist. Manche Anbieter haben als einziges Angebot nur noch den Preis und werben mit: • • • • • • »Saubillig« »Lass Dich nicht verarschen – vor allem nicht beim Preis«; »Wir hauen die Preise k. o.!«; »Geiz ist geil«; »Ich bin doch nicht blöd«; »Preissturz!«; 142 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • • »Kleiner kann’s keiner!«; »Jede Woche günstiger!«; »Selbst schenken ist teurer!«; »Jetzt: Alles unter Wert!«; »Billiger als kostenlos!«. Diese Strategie – sofern man diese Aktion überhaupt als solche bezeichnen darf – führt mittel- und langfristig zum Fiasko. Wer soll das verstehen? Während der Fußball-Europameisterschaft hätten Media-Markt-Kunden beim Kauf eines Fernsehers am 02. Juni 2004 den Kaufpreis zurück erhalten, wenn die deutsche Mannschaft den Titel geholt hätte. Die Mannschaft schied wenig überraschend in der Vorrunde aus. Aber was hat Fußball mit der Qualität und dem Preis eines Fernsehgeräts zu tun? Auf Mallorca werden 10-Liter-Eimer als Trinkgefäße für 7 Euro verkauft. Es sind gewöhnliche Putzeimer, auf die mit Filzstift die Ziffer 6 gemalt wurde (Ballermann 6: Hochburg der Touristen). Der Normalpreis dieser Eimer in Drogeriemärkten beträgt nur einen Bruchteil von 7 Euro. »Kunden wollen nur noch günstig einkaufen und achten nur noch auf den Preis«, ist oft zu hören. Aus welchen Gründen denn wohl? Die Anbieter haben es ihnen doch eingetrichtert und hervorgehoben, dass nur der Preis zählt und so die Kunden zu Preisgeiern und Schnäppchenjägern erzogen. Auf der anderen Seite lassen sich Einkäufer immer neue Anlässe einfallen, um Rabatte zu verlangen. Im Lebensmitteleinzelhandel sind scheinbar keine Kreativitätsgrenzen gesetzt:2 • • • • • • • • Auslistungsverhinderungsrabatte; Neueinlistungsgelder; Jubiläumsprämien; Zuschüsse zur Eröffnung eines neuen Zentrallagers; Unterstützung der Auslandsexpansion; Ladenöffnungszeitenverlängerungsrabatt; Umsatzausfallvergütung; Juniorenrabatt (zur Unterstützung des reibungslosen Generations­ wechsels); 2 Dieter Brandes: Die 11 Geheimnisse des Aldi-Erfolgs. Campus 2003. Preisfindung 143 • Zukunftsbonus; • Sofortabzugsrabatt, Artikelgruppenrabatt, Aktionsrabatt, Zentralvergütung, Verkostungskondition. Gerade die Hersteller mit austauschbaren Produkten haben gegenüber den Händlerforderungen eine ganz schwache Position. Solange der Hersteller die 25. Ketchup-Variante anbietet, die sich in keiner Weise von den anderen abhebt, muss das Spiel mitgemacht werden. Erst wenn das Produkt einzigartig ist und dem Bedarf der Kunden entspricht, dreht sich das Verhältnis um. Fordern die Kunden gezielt eine Marke im Laden, dann müssen die Händler dieses Produkt im Regal stehen haben. Dass sich somit die Verhandlungsposition des Herstellers deutlich verbessert, steht außer Frage. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie der Universität Münster zum Preiswissen der Kunden. Diese ergab, dass den Kunden im Lebensmittelbereich die Preise gar nicht bekannt waren, obwohl der Preis von den Kunden als wichtig erachtet wurde. Die Kunden würden häufig von höheren Preisvorstellungen ausgehen, als der reale Preis ist. Hier werden große Gewinnmöglichkeiten seitens des Handels verschenkt. Dass Kunden häufig bereit sind mehr zu zahlen, verdeutlicht auch die Studie zu dem Generikum ASS-Ratiopharm. Der Verkaufspreis wurde von der befragten Gruppe im Durchschnitt fast 50 Prozent höher geschätzt als die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers. Da liegt noch Potenzial im Preis. Sofern die Kunden über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, dreht sich das Kaufverhalten häufig – entgegen sämtlicher Logik – um. »Hoher Preis = gute Qualität«, lautet die Rechnung. Bei minderer Qualität wäre das Produkt ja günstiger. Der Preis wird als Indikation für Qualität und Exklusivität herangezogen. Ein bei gleichem Produkt höherer Preis kann eine größere Anziehung bewirken und zu höheren Verkaufszahlen führen. Dazu bewirkt noch der höhere Preis einen exponentiellen Anstieg im Gewinn für den Anbieter. Preisempfinden ist nicht rational – insbesondere wenn die Produkte sich nicht miteinander vergleichen lassen und die Kunden die Qualität nicht einschätzen können. Produzieren Sie kleine, schicke, teure Parfum-Flaschen und der Kunde hält den Inhalt für wertvoll und von hoher Qualität – auch wenn dieser der gleiche wie in einer günstigen 100-ml-Flasche ist. Viele Studien haben belegt, dass es bei Kosmetikprodukten oft keinen Zusammenhang zwischen Preis und Qualität des Inhalts gibt. 144 Praxishandbuch Produktentwicklung Die Berechnung des Gewinns Gewinn = Preis * Volumen – Kosten Erläuterung: • Preis = Nettoverkaufspreis an den direkten Kunden (muss nicht der Endkunde sein) abzüglich aller Rabatte; • Volumen = verkaufte Stücke zum Preis; • Kosten = Allgemeinkosten + Fixkosten + (variable Stückkosten * Volumen). Die Unternehmen haben in den letzten Jahren ihren Kostenobergrenze erreicht und deshalb zur Kostenreduktion die Produktion ins Ausland verlagert, die Belegschaft reduziert und die Prozesse optimiert. Das Volumen ist häufig über die Werbung ausgeschöpft, die Märkte meist gesättigt. Verkaufszahlerhöhungen sind hier über Produktinnovationen möglich, was aufwändig ist. Die Gewinnoptimierung über Preiserhöhungen wird immer noch häufig vernachlässigt. Rabattaktionen lohnen sich meist nicht. Ein Rechenbeispiel: Wirbt ein Anbieter mit »Heute keine Mehrwertsteuer«, ist dies gleichbedeutend mit einer Preissenkung von 19 Prozent. Angenommen, die Differenz vom Einkaufspreis zum Verkaufspreis beträgt 25 Prozent, so verbleiben abzüglich der 19 Prozent nur noch 6 Prozent. Um somit den gleichen Gewinn wie vor der Rabattaktion zu erhalten, muss der Anbieter mindestens den vierfachen Umsatz erreichen. Das ist fast unmöglich und nur sehr schwer vorauszusagen. Damit der Gewinn höher wird, muss mehr als das Vierfache verkauft werden. Nachfolgend ist anhand eines Beispiels die Wirkung des Preises auf den Gewinn verdeutlicht: Tabelle 16: Die Wirkung des Preises auf den Gewinn Preis der Ware [in Euro] Verkaufsvolumen pro Jahr [Stück] Umsatz [in Euro] Kosten allgemein und fix [in Euro] Kosten variabel bei 15 € pro Stück [in Euro] Kosten gesamt [in Euro] Gewinn [in Euro] Fall 1 Fall 2a Fall 2b Fall 3a Fall 3b Fall 3c 20 21 21 19 19 19 100 000 100 000 90 000 100 000 110 000 125 000 2 000 000 400 000 2 100 000 1 890 000 400 000 400 000 1 900 000 400 000 2 090 000 2 375 000 400 000 400 000 1 500 000 1 500 000 1 350 000 1 500 000 1 650 000 1 875 000 1 900 000 100 000 1 900 000 1 750 000 200 000 140 000 1 900 000 0 2 050 000 2 275 000 40 000 100 000 Preisfindung 145 • Fall 1: Ausgangssituation • Fall 2a: Preiserhöhung um 1 Euro Eine Preiserhöhung um 5 Prozent bewirkt, sofern alle anderen Faktoren konstant bleiben, eine Verdoppelung des Gewinns. Kleine Änderung, große Wirkung. • Fall 2b: Preiserhöhung um 1 Euro auf 21 Euro bei einem Verlust von 10 Prozent der Kunden. Somit wurden nur noch 90 000 Stück verkauft. Eine Preiserhöhung um 5 Prozent bei einem Kundenverlust von 10 Prozent bewirkt, sofern alle anderen Faktoren konstant bleiben, eine Erhöhung des Gewinns von 40 Prozent. • Fall 3a: Preissenkung um 1 Euro auf 19 Euro Eine Preissenkung um 5 Prozent bewirkt, sofern alle anderen Faktoren konstant bleiben, einen Verlust des gesamten Gewinns. • Fall 3b: Preissenkung um 1 Euro auf 19 Euro, zusätzlich 10 Prozent mehr Kunden Eine Preissenkung um 5 Prozent und 10 Prozent zusätzliche Kunden bewirken, sofern alle anderen Faktoren konstant bleiben, einen Verlust von 60 Prozent des Gewinns. • Fall 3c: Preissenkung um 1 Euro auf 19 Euro, zusätzlich 25 Prozent mehr Kunden Bei einer Preissenkung um 5 Prozent werden zusätzlich 25 Prozent mehr Kunden benötigt, um auf den Gewinn des Ausgangspreises zu kommen. Rechnen Sie doch einmal aus, wie sich eine 1- oder 2-prozentige Preiserhöhung Ihrer Produkte auf Ihre Gewinne im Unternehmen auswirken würden. Einmal, sofern alle anderen Parameter gleich blieben und einmal, wenn sie sich entsprechend ändern. Eine Tabelle finden Sie auf dieser CDRom. Was wirklich zählt Grundsätzlich will der Käufer für viel Leistung wenig zahlen, der Verkäufer hingegen will viel erhalten. Das Gleichgewicht wird gefunden im Preis-Leistungs-Verhältnis. Bei mehr Leistung sind die Kunden bereit, einen höheren Preis zu zahlen. Gehen Sie zum billigsten Friseur in Ihrer Stadt, fahren das Auto mit dem günstigsten Preis und gehen dort essen, wo es fast nichts kostet? Sicherlich nicht. Somit ist es nicht der Preis allein, der bei Ihnen über eine Produktwahl entscheidet. 146 Praxishandbuch Produktentwicklung Nun gibt es unterschiedliche Typen von Menschen, wobei innerhalb eines Marktsegments der eine oder andere Typ überwiegt: • Personen mit viel Geld und viel Zeit suchen Erlebnisse; • Personen mit viel Geld und wenig Zeit (diese Gruppe wird größer) erleichtern sich das Leben mit Convenience-Produkten; • Personen mit wenig Geld und viel Zeit wollen sich an der Produktion beteiligen (zum Beispiel IKEA); • Personen mit wenig Geld und wenig Zeit wollen günstig kaufen, sich aber nicht selbst an den Produkten beteiligen. Zeit ist für die Mehrheit der Menschen in Europa heute das knappste Gut. Es gilt, den Kunden das Leben einfacher zu machen und ihnen Zeitersparnis zu ermöglichen. Viele sind bereit, dafür viel zu bezahlen. Für die jeweiligen Gruppen sind unterschiedliche Produkte zu entwickeln. Auf welche Gruppe konzentrieren Sie sich? Der Preis muss so gesetzt sein, dass Ihre potenziellen Kunden das Produkt • kaufen können. Wenn die Kunden ein Produkt unbedingt haben wollen, dann sparen sie bei anderen Ausgaben, damit der Kauf möglich ist. Die Kunden haben, trotz mancher Wirtschaftsflaute und Steuererhöhung, im Durchschnitt mehr Geld in der Tasche als noch vor einigen Jahren; • kaufen wollen. Das »Wollen« hängt von dem Nutzen ab, den Ihr Produkt bietet. Und hier werden die Kunden immer anspruchsvoller. Es geht häufig nicht um die Frage »Kann ich es mir leisten?«, sondern vielmehr: »Will ich es mir leisten?«. Die Kunden sind für Billigangebote empfänglich, wenn die Produkte vergleichbar sind. Der Jagdinstinkt Manche Kunden sehen den Preiskampf als Spiel, um das eigene Ego zu befriedigen: Ich bin schlauer als die anderen Kunden und kann meinen Erfolg anderen erzählen. Das Preis-Nutzen-Verhältnis Das Preis-Nutzen-Verhältnis bestimmt fast ausschließlich, ob der Kunde kauft oder nicht: Preisfindung 147 • Ist der Nutzen größer als die Summe des Aufwands, wird das Produkt gekauft. Der Wert eines Produkts (= Nettonutzen) für den Kunden ist Nutzen – Aufwand. Dieser Wert muss positiv sein; • ist der Nutzen kleiner als der Aufwand, wird das Produkt zum Ladenhüter. Der Aufwand setzt sich zusammen aus: • • • • • • Preis; Aneignung von Wissen und Fähigkeiten, das Produkt zu nutzen; Aufwand zur Beschaffung des Produkts; Inbetriebnahme; Entsorgung; zusätzlich anfallende Kosten durch die Nutzung. Hier wird deutlich, dass der Preis nur ein Teil des Gesamtaufwands ist. Convenience-Produkte (insbesondere im Lebensmittelbereich) sind im Verhältnis zu den Bestandteilen teurer, die Zeitersparnis (Zubereitung, Reinigung) wird mitbezahlt. Die Kunden sind häufig bereit, mehr zu zahlen, wenn das Produkt wirklich einen echten Nutzen für sie bei gleichzeitig geringen anderen Aufwänden hat. Ein zwingender Nutzen mit einer mindestens 30 Prozent besseren Lösung als die Konkurrenz (geringere Unterschiede nimmt der Kunde nicht wahr) und eine echte Begeisterung des Kunden bewirken, dass dieser den Preis »vergisst«. Der Kunde will zwar den Preis noch wissen, aber für die Entscheidung, ob er bei Ihnen kauft oder nicht, spielt er fast keine Rolle mehr. Gerade im b-to-b-Bereich zählen Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und Nutzen weit mehr als der Preis. Einbußen in diesem Bereich haben weitaus größere Konsequenzen als ein höherer Einkaufspreis. Verkäufer fürchten nichts so sehr wie das Preisgespräch mit den Kunden. Oft sagen Kunden: »Zu teuer!«. Damit meinen sie jedoch: »Das Produkt liefert mir nicht genug Nutzen für diesen Preis«. Somit ist die Standardfrage, die sich die Produktentwickler stellen müssen: »Was muss das Produkt enthalten, damit die Interessenten es nicht für zu teuer empfinden beziehungsweise sich gar nicht trauen zu feilschen?«. Statt das Produkt zu verbessern, reagieren viele Verkäufer leider nach der »zu teuer«-Aussage des Kunden mit: »Wie viel Rabatt möchten Sie haben? Für welchen Preis würden Sie das Produkt kaufen?«. Die Verkäufer versuchen nicht, durch den Nutzen den Preis zu verkaufen, sondern den Preis durch Rabatte zu verkaufen. Zu bedenken ist: Auch der billigste Anbieter ist dem Kunden nie billig genug. Auch der Billigste hört nie, dass er der Billigste ist, son148 Praxishandbuch Produktentwicklung dern nur: »Es gibt noch Billigere. Sie müssen im Preis noch mehr runter gehen.« Auch im Low-Price-Segment reichen einige wenige Produkte Es zählen nicht die objektiven Preisvergleiche, sondern das vom Kunden subjektiv wahrgenommene Preisgefüge. Im Lebensmitteleinzelhandel reicht es, wenn ausgewählte Produkte des täglichen Bedarfs, die im Fokus der Kunden stehen (unter anderem Mehl, Zucker), günstiger sind als beim Wettbewerber. Hier können die Preise verglichen werden. Die Kunden schließen daraus auf das gesamte Sortiment. Ebenso werden Preise im Restaurant anhand von Standardgerichten (Wiener Schnitzel et cetera) verglichen und die Preiseinschätzung auf die gesamte Speisekarte übertragen. Der Preis als Instrument der Komplexitätsreduktion Die Kunden sind heute durch die Angebotsvielfalt und intensive Werbung derart reizüberflutet, dass sie die Qualitätsanalyse bei Produkten abkürzen. Bei über 10 000 verschiedenen Produkten im Supermarkt ist der Preis häufig die einzige Unterscheidung. Die Qualität zu bewerten fällt den Kunden schwer, einfacher geht der Produktvergleich über den Preis. Je teurer desto besser? So einfach ist es leider nicht. Nur wenn der Nutzen des Produkts für den Kunden herausragend und größer als der Aufwand ist, spielt der Preis eine untergeordnete Rolle. Kunden müssen einen rationalen und emotionalen Grund haben, tiefer in die Geldbörse zu greifen. Typische Reaktionen auf Absatzrückgang Die häufigste Reaktion der Mitbewerber ist die Preissenkung. Denn diese ist ein technisch einfacher Schritt. Produktverbesserungen sind schon Preisfindung 149 schwieriger. Es wird so am Anlass (niedrige Verkaufszahlen) herumgedoktert, statt die Ursache zu beheben (zu niedriger Produktnutzen). Die Verkäufer orientieren sich meist an der Anzahl ihrer Aufträge, eventuell noch an ihren Umsätzen. Die Verkäufer wollen verkaufen, also den Abschluss. Das ist jedoch leider nicht immer zwangsläufig mit Gewinn für das Unternehmen verbunden. Häufig geht der Verkäufer mit dem Preis so weit herunter, dass es dem Unternehmen mehr Kosten verursacht, den Auftrag auszuführen, als an Umsatz hierfür generiert wird. Der Auftrag ist zwar »geholt«, jedoch zu Lasten des Unternehmensgewinns. Es gilt: »Teure Ideen zur Lösung von Problemen kommen meist von mittelmäßigen Mitarbeitern«. Preissenkungen – nur um Aufträge zu generieren – sind meist die teuersten Lösungen und wirken sich am negativsten auf die Rendite aus. Wenn ein junger Mitarbeiter im Kundenkontakt den Vorschlag macht, jeder Rabattanfrage eines Kunden nachzukommen, dann gibt es noch Hoffnung. Ihm kann man noch erklären, dass der Wert einer Ware vom Produktnutzen abhängt und die Kunden für echten Nutzen auch zu zahlen bereit sind. Wenn jedoch erfahrene Mitarbeiter bei jeder Anfrage eines Kunden nachgeben wollen, wird sich diese über Jahrzehnte gewachsene Grundeinstellung nicht mehr ändern. Dann ist zu überlegen, in welchen Positionen der Mitarbeiter sich im Unternehmen besser einbringen kann. Folgen von Preissenkung und Rabatten Weder eine Steigerung der Abverkäufe noch die Kostensenkung beeinflussen die Rentabilität so stark wie der Preis. Nachfolgend sind die – meist negativen – Folgen von Preissenkungen zusammengefasst: Kunden werden zu Schnäppchenjägern erzogen Wenn den Kunden in der Werbung nur gezeigt wird, dass der Preis das Wichtigste ist, gilt: »Das Gefeilsche der Kunden ist das Produkt der Rabattschlachten der Hersteller«. Jedes Unternehmen hat die Kunden, die es verdient. Große Elektrohändler haben die Kunden mit »Geiz ist geil« zu Schnäppchenjägern erzogen. Dann dürfen sich diese Geschäfte auch nicht wundern, dass die Kunden jetzt ins Internet abziehen, da dort die Elektrogeräte noch circa 10 Prozent günstiger sind. Beim Autokauf sind Listenpreise nur noch die Basis zum Verhandeln. Für Neuwagen bieten die 150 Praxishandbuch Produktentwicklung Verkäufer einen Stammkundenbonus, wenn der alte Wagen von der gleichen Marke ist. Wer kein Stammkunde ist, erhält eben den Wechselbonus. Dazu gibt es noch den Winterbonus, den Einführungsbonus et cetera. Und jeder Kunde prahlt in seinem Bekanntenkreis, wie viel Rabatt er herausgeschlagen hat. Ein Preiszugeständnis bei einem Kunden verbreitet sich wie ein Flächenbrand. Alle weiteren »Empfehlungskunden« wollen dieses natürlich toppen, um auch ihre Erfolgsstory zu haben. Beim nächsten Kauf müssen einfach mehr Prozente drin sein. Und dann beschweren sich die Hersteller über zu geringe Gewinnmargen. Die Kunden übertrumpfen sich in diesem »Spiel« gegenseitig, jedoch auf Kosten der Anbieter. Hätten die Wagen ein für eine bestimmte Gruppe geltendes Alleinstellungsmerkmal, dann würde nicht über den Preis verkauft werden. Wer unter 15 Prozent Preisnachlass erhält, hat beim Autokauf schon ein schlechtes Geschäft gemacht. An diese Rabatte gewöhnen sich die Kunden. Alles wird auf den Preis fixiert, der Nutzen rückt in den Hintergrund – und das hauptsächlich durch die Fokussierung der Anbieter auf den Preis. Die Kunden sind so nicht mehr loyal zum Unternehmen beziehungsweise zum Produkt, sondern nur noch zum günstigsten Preis. Sie sind keine Neukunden, sondern Einmalkunden. Wenn der Kunde die für seinen Bedarf vergleichbare Ware woanders – auch nur ein wenig – billiger findet, ist er weg. Hierzu gehören auch die Dauerschnupperneukunden, die immer wieder bestellen und anschließend kündigen. Diese haben ein wahres Interesse am Produkt, sehen es jedoch nicht ein, für Treue bestraft zu werden. Sie nutzen nur die Möglichkeiten der Einsparung, die ihnen der Hersteller bietet. Dann gibt es Kunden, die eigentlich gar nicht am Produkt interessiert sind, es nicht nutzen werden und somit nur die Einstiegsprämie abgreifen. Letztere kosten den Hersteller nur Geld. Die dritte Gruppe sind bestehende Kunden, die zusätzlich eine zweite Ausführung bestellen, um die Prämie abzugreifen (zum Beispiel bei Kreditkarten), jedoch das zusätzliche Produkt nicht nutzen. Die Produkte werden immer ähnlicher Durch die geringeren Preise müssen die Herstellungskosten gesenkt werden. Die Produkte werden zwangsläufig dadurch immer ähnlicher. Es fehlen die finanziellen Mittel, um ein differenziertes Produkt herzustellen. Und aus dieser Abwärtsspirale kommen die Hersteller nicht mehr heraus. Preisfindung 151 Ein Kostendruck im Unternehmen entsteht Preissenkungen haben direkte Auswirkungen auf die Kostengestaltung innerhalb des Unternehmens. Wenn ganz hart am Limit kalkuliert wird, dann muss intern gespart werden. Und zwar bis unter die Schmerzgrenze. Das fängt meist bei den Mitarbeitergehältern an. Nach einer Preisanhebung sind die Verkaufszahlen wieder auf dem alten Niveau Rabatte und Preisaktionen sind meist von der Zukunft geborgte Umsätze. Ist von einem Produkt (zum Beispiel Alltagsartikel wie Lebensmittel, Windeln) der Preis kurzfristig gesenkt, so kaufen die Kunden sicherlich mehr. Der Anbieter hat zwar mehr Umsatz, ob der Gewinn höher ist, ist jedoch fraglich. Außerdem haben die Kunden jetzt einen so großen Vorrat (mehr essen geht nur begrenzt, öfter am Tag werden die Windeln bei Babys auch durch Preissenkungen nicht gewechselt), dass so der Bedarf in der Zukunft erst einmal sinkt. Der einmalige Umsatz zum Niedrigpreis ist also von der Zukunft geborgt. Ein Mehrverkauf erfolgt – wenn überhaupt – nur solange die Preise gesenkt sind. Der Umsatzrückgang ist nicht ausgeschlossen Mehr verkaufte Produkte bedeutet nicht zwangsläufig mehr Umsatz. Und schon gar nicht mehr Gewinn. Denn ein Anreiz ist bei Preissenkungen um 10 Prozent noch nicht gegeben. Wer nicht den vollen Preis zahlen wollte, kauft jetzt auch nicht (außer bei vergleichbaren Produkten). Erst ab mindestens 30 Prozent Preissenkung steigt der Anreiz für einen ausreichenden Anteil an Kunden, häufig erst ab 50 Prozent. Mit diesen Schritten mehr Umsatz und auch noch mehr Gewinn zu erzielen, ist praktisch ausgeschlossen. Teilweise Verlust mit jedem Verkauf Häufig werden mit Kampfpreisen noch nicht einmal die Produktionskosten aufgefangen. Zusätzlich sind diese Aktionen meist noch mit viel Werbegeld verbunden. 152 Praxishandbuch Produktentwicklung Käufer fühlen sich über den Tisch gezogen Radikale Preissenkungen erzeugen Frust bei den Kunden, die gestern noch den vollen Preis gezahlt haben. Gestern wurde das Produkt noch als besonders wertvoll angepriesen, heute ist es nur noch die Hälfte wert. Das ist nicht nachvollziehbar. Produkte verlieren an Anziehungskraft und Ausstrahlung Was nichts kostet, ist nichts wert. Günstig und billig wird häufig von den Kunden mit schlechter Qualität verbunden, da sich ein niedriger Preis und eine hohe Qualität aus Kundensicht widersprechen. Wenn die Kunden Ihre Produkte als wertvoll einschätzen und mit hoher Qualität verbinden sollen, dann ist ein entsprechender Preis die Grundvoraussetzung. Das gilt gerade bei den Produkten, die von den Kunden nicht mehr seitens der Qualität objektiv beurteilt werden können. So gelten teure Autos und Uhren als hochwertiger als günstigere Vergleichsangebote. Die Qualität entsteht subjektiv im Kopf des Kunden. Die Kunden assoziieren eine Preissenkung mit dem Wertverlust der Produkteigenschaften und somit des Nutzens, sonst hätte er ja keinen Rabatt erhalten. Premiummarken mit Rabatten verlieren ihre Glaubwürdigkeit. Die Kunden kaufen im Luxussegment weniger das Produkt an sich, sondern mehr das Prestige der Ware und der Marke. Menschen schließen immer von den Kunden auf die Marke. Wenn sich ein bestimmtes Produkt jeder leisten kann, ist der Ruf als Edelmarke dahin. Bei einer Preissenkung fällt das Prestige in sich zusammen. Das Ergebnis: weniger Umsatz pro Stück und weniger verkaufte Stücke. Es dauert Jahrzehnte, um eine Marke und das entsprechenden Preisgefüge beim Kunden durchzusetzen, jedoch nur Tage, um dieses mit Rabattaktionen zu zerstören. Das ist nachfolgend an einer Situation verdeutlicht: Sie stehen beim Juwelier und haben sich die seit Jahren heiß ersehnte Uhr umgebunden. Mit dieser wollen Sie alt werden, denn bei diesem Preis muss sie ewig halten. Dann kommt die von Ihnen geäußerte schüchterne Frage an den Verkäufer: »Wie viel können Sie mir im Preis entgegen kommen?«. Nach kurzer Überlegung kommt die Antwort: »Weil Sie es sind: 12 Prozent«. Und das, obwohl Sie vorher den Laden noch nie betreten haben. Ihre Freude ist dahin, das Edelobjekt verkommt umgehend zum Schnäppchen und verliert an Wert. War der offizielle Preis nur ein Mondpreis? Ist die Uhr nur zweite Wahl? Wäre ich der Depp, wenn ich den vollen Preis gezahlt hätte? Sind nicht auch 20 Prozent Rabatt drin? Preisfindung 153 Die Kunden gehen davon aus, dass bei dem gesenkten Preis und den Preisen anderer Produkte noch Luft ist Preisnachlässe lassen an der Glaubwürdigkeit der Preise zweifeln. Die Kunden sind sich unsicher, ob der gesenkte Preis dem Wert der Ware entspricht, oder ob dieser noch niedriger liegt. Und somit wird verhandelt oder gewartet, ob der Preis noch weiter sinkt. Auch erwarten die Kunden bei den anderen Originalpreisen ebenfalls Preisnachlässe, da ja noch Spielraum vorhanden zu sein scheint. Geben Sie Ihren Kunden den kleinen Finger, wollen sie – verständlicherweise – gleich Ihre ganze Hand. Wenn der Kunde einmal spürt, dass Ihr Standardpreis nur Zierde ist und mit Rabattaktionen oder durch Preisverhandlungen deutlich weniger gezahlt werden muss, dann wird er immer weiter nachverhandeln. Denn auch der Kunde will maximalen Nutzen zu minimalem Aufwand (und dazu gehört auch der Preis) und glaubt, alle Preise beinhalten einen Verhandlungspuffer. Er hat immer den Eindruck, zu viel zu bezahlen. Hat der Kunde Alternativen zu Ihrem Produkt, stärkt das seine Verhandlungsposition und er wird mit noch mehr Nachdruck einen niedrigeren Preis fordern. Der Kunde hat kein Verständnis, wenn Preise wieder auf das Normalniveau angehoben werden Kunden gewöhnen sich an den niedrigen Preis bei Sonderangeboten und kaufen nicht mehr zum Normalpreis. Das Interesse der Zwischenhändler sinkt Mit jeder Preissenkung fällt auch der Wert des Produkts aus der Sicht des Händlers und es wird für ihn immer uninteressanter, das Produkt ins Sortiment aufzunehmen, da durch eine Preissenkung die Gewinnspanne geringer wird. Mehr Aufwand bei Mehrverkauf Im höheren Preissegment werden weniger Kunden benötigt, um Gewinne einzufahren. Das heißt, der Hersteller kann sich viel besser auf die Bedürf154 Praxishandbuch Produktentwicklung nisbefriedigung dieser kleineren Gruppe konzentrieren und hat meist weniger Konkurrenz. Je geringer jedoch der Preis und die Gewinnmarge ist, desto mehr muss verkauft werden. Das bedeutet mehr Produktionskosten, mehr Verwaltungsaufwand et cetera. Verärgerung der Stammkunden Neukunden werden häufig bessere Preise angeboten als Stammkunden. Sei es bei Zeitschriften (Geschenke), im Bereich der Telekommunikation (Geschenke, Zusatzgeräte zum Sonderpreis, Preisnachlass), Pay-TV und so weiter. Diese Werbung erhalten jedoch auch die Stammkunden, die nicht verstehen, dass sie als Bestandskunden mehr zahlen sollen und sind somit verärgert. Zumal sie diese Konditionen auch auf Nachfrage nicht erhalten. Mit dem Hinweis: »… ein Angebot je Neuauftrag, gilt nicht bei Tarifwechsel« bei einem Telekommunikationsanbieter wird im Prospekt gleich deutlich gemacht, dass bestehende Kunden die Dummen sind. Es gibt keinen größeren Frust für treue Stammkunden, als dass sie regelmäßig erfahren, dass Neukunden bessere Konditionen erhalten. Sie als »brave« zufriedene Kunden sind die Benachteiligten, Ihre Treue wird bestraft. Der Wechsel wird belohnt. Und das sogar bei teuren Produkten wie Autos. Wenn man vorher eine andere Marke gefahren hat, gibt es noch 2 bis 3 Prozent Wechselrabatt obendrauf. Wie soll da der Kunde verstehen, dass er ein paar Jahre später bei Treue zur neuen Marke mehr bezahlen soll? Es ist wie in der Werbung: »Die Hochzeit (Bindung) ist der schönste Tag im Leben«. Bis dahin wird sich angestrengt und danach geht es anscheinend bergab. Ist der Partner (Kunde) gebunden, wird seine Treue als selbstverständlich angesehen und es wird Ausschau nach neuen Partnern (Kunden) gehalten. Und dann wundert man sich, dass der eigene Partner (Kunde) fremdgeht. Mit »Kunden werben Kunden«-Aktionen versuchen insbesondere Zeitschriftenverlage Abonnements zu verkaufen. Da kostet das Jahresabo zum Beispiel 150 Euro, der Empfehler erhält Prämien oder 130 Euro in bar. Der Empfehler muss nicht selbst bereits Abonnent sein, das heißt ein Deal mit einem Freund und man erhält die Zeitschrift für 20 Euro im Jahr. Nach einem Jahr das Spiel in umgekehrter Reihenfolge und der Verlag erhält noch nicht einmal sein Porto. Um die gekündigten Abonnenten als Kunden zu halten, werden dann Angebote mit mehr als 50 Prozent Rabatt verschickt. Wie soll da eine Wertschätzung der Zeitschrift entstehen? Preisfindung 155 Mit diesen Einstiegsrabatten »züchten« sich die Unternehmen Wechselkunden, die sich jeweils nach der ersten Kündigungsmöglichkeit beim anderen Anbieter wieder die Neukundenkonditionen abgreifen. Aus diesem Grund sollten Neukunden keine anderen Konditionen angeboten werden als Altkunden. Hinzu kommt, dass gerade die Gewinnung von Neukunden durch die Werbung sehr teuer ist. Es ist mindestens fünfmal teurer, neue Kunden zu gewinnen, als die alten Kunden zu halten. Komplexität des Angebots noch weiter erhöht Frühbucherrabatt, Last-Minute-Rabatt, Bonus und so weiter: Da blickt kein Kunde mehr durch und der Preis wird von den Anbietern in den Vordergrund gerückt und somit von den Kunden als Hauptkriterium gesehen. Da der Kunde jedoch Angst hat, durch das Preisgefüge nicht durchzublicken, kauft er häufig gar nicht. Der Nutzen tritt in den Hintergrund Bei Kampfpreisen wird der Preis zum Hauptverkaufsargument, der Nutzen des Produkts tritt in den Hintergrund. Nur: Ohne Nutzen sind die Kunden nicht bereit, auch nur einen Cent auszugeben. Der Wettbewerb senkt ebenfalls seine Preise Rein rechnerisch mag eine Preissenkung zu einer Umsatzsteigerung oder gar Anhebung des Gewinns führen. Doch dann ist die Rechnung noch ohne den Wettbewerb vergleichbarer Produkte gemacht. Denn Preiskriege breiten sich heute viel schneller aus als eine Grippe. Das, was Unternehmen schnell umsetzen können, sind Preissenkungen. Produktnutzen – insbesondere wenn er maximal ist – zu kopieren ist schon fast ausgeschlossen. Dieses bräuchte viel Know-how und insbesondere Zeit. Stattdessen senkt der erste Anbieter seine Preise und die anderen Anbieter ziehen nach und unterbieten die Preise. Daraufhin senkt der erste Anbieter noch mehr und so weiter. Dieser Teufelskreis kennt nur eine Richtung als Einbahnstraße: nach unten. Das führt zu Umsatzrückgang und Gewinneinbruch bei allen Anbietern und die Marktanteile sind verteilt wie früher. Mehr Kunden werden im Markt dadurch nicht gewonnen. Und wenn der eigene 156 Praxishandbuch Produktentwicklung Marktanteil steigen sollte, muss dies nicht gleichzeitig mehr Umsatz und mehr Gewinn bedeuten. Mit Preissenkungen schaden Sie zwar der Konkurrenz – jedoch insbesondere auch Ihrem eigenen Unternehmen. Der lachende Dritte ist Ihr Kunde. Was ja grundsätzlich nichts Schlechtes ist, jedoch nicht ganz im Sinne der Anbieter. Im b-to-b-Bereich werden Einkäufer so dreist, dass sie bestehende Lieferanten um Zugeständnisse bitten. Deutlich gesagt: »Entweder Preisnachlass oder ich wechsle zu Anbieter X, der ist Y Prozent günstiger«. Gehen die Lieferanten darauf ein, wiederholt sich diese Szene jedes Jahr. Hotels vergleichen täglich die eigenen Preise mit denen der Konkurrenz. Geht der Nachbar runter, wird ebenfalls gesenkt. Dieses Yield-Management in der Hotellerie hat viele Häuser fast bis in die Pleite geführt. Je nach Buchungstermin, Buchungsweg und Verhandlungsgeschick unterscheiden sich die Preise um ein Vielfaches für ein und dieselbe Zimmerkategorie eines Hauses zu einem Termin. Wer da den Listenpreis zahlt, ist selbst schuld. Und die Preise fallen – wenn nicht gerade Messe ist – ins Bodenlose. Bei unter 100 Euro für ein Doppelzimmer im 5-Sterne-Hotel einer Großstadt zahlt das Hotel noch drauf und macht sich die Preise kaputt. In vielen Hotels ist das Rezeptionspersonal dahingehend geschult, dass es bei der Bezahlung dem Gast die Rechnung überreicht, jedoch auf keinen Fall den Preis laut nennen darf. Denn wenn Gäste im hörbaren Umkreis ein Vielfaches dieses Preises bezahlt haben, wird es laut. In jeder Branche sollte gelten: gleiche Ware für alle Kunden zum gleichen Preis. Das vermeidet viel Ärger. Preissenkungen beziehungsweise Preiskriege sind generell zu vermeiden. Egal ob in gesättigten oder ungesättigten Märkten. Bei Krieg verlieren immer alle Beteiligten. Preissenkung als Waffe ist ein stumpfes Schwert. Wer mit Rabatten und Boni um sich wirft, ist kein Experte, sondern vernichtet Gewinn und beschädigt meist gleichzeitig die Marke. Nur billiger als die Konkurrenz sein zu wollen, ist einfach nur billig. Wo Preisnachlässe akzeptiert werden Das ist jeweils dann der Fall, wenn die Kunden die Preissenkung nachvollziehen können: Auslaufmodelle, Winterschlussverkauf, günstigere Hotels in der Nebensaison et cetera. Preisfindung 157 Methoden der Preisfestsetzung Der Preis muss gleich am Anfang der Produktidee eingeplant werden. Es ist zu riskant, darauf zu hoffen, dass am Ende ein Gewinn übrig bleibt. Variante 1 In vielen Unternehmen erfolgte früher und teilweise auch heute noch die Preisfindung des Artikels nach der Methode: Kosten (Herstellungskosten und Allgemeinkosten) + Gewinnaufschlag = Verkaufspreis. Da bleibt sowohl die Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit der Kunden als auch die Wettbewerbssituation unberücksichtigt. Die Produktentwicklung hat entworfen, anschließend wurde produziert. Wer von der Produktseite her kommt und am Ende den Preis auf der Basis der Herstellungskosten festlegt, darf sich nicht wundern, wenn er nie zum optimalen Preis gelangt. Diese Methode hat Nachteile in beide Richtungen: • Sind die Herstellungskosten niedrig und der Bedarf am Markt groß, ist der hieraus berechnete Preis zu gering. Das Unternehmen verzichtet freiwillig auf Gewinn; • sind jedoch die Herstellungskosten hoch und der Bedarf nicht in entsprechender Höhe, erwirtschaftet das Unternehmen einen Verlust, da der Preis nicht durchzusetzen ist. Denn der Wert des Produkts entsteht für den Kunden nicht bei der Herstellung und ist somit unabhängig von den Produktionskosten. Was der Kunde bereit ist zu zahlen, richtet sich ausschließlich nach dem Nutzen, den das Produkt ihm bietet, und nie nach den Kosten, die der Hersteller hat. Kein Kunde fragt danach, wie hoch die Produktivität der Unternehmen ist. Die Kunden zahlen für den Nutzen und nicht für die Entschädigung der Herstellungskosten. Variante 2 Die andere – fortschrittlichere – Methode besteht darin, ein für die Kunden optimales Produkt zu entwerfen. Anschließend erfolgt die Preisermittlung mittels Marktgesprächen und Beobachtung. Als Maßstab dienen der Kundennutzen und das Bedürfnis. Daraus resultiert, wie viel der Kunde für das Produkt zu zahlen bereit ist. Es wird also ausschließlich der Bedarfspreis herangezogen, der wertbasiert ist und nicht auf der Basis 158 Praxishandbuch Produktentwicklung der Herstellkosten beruht. Je höher der Bedarf des Kunden nach dem Produkt ist, desto mehr ist er bereit für die Lösung zu zahlen und desto höher kann auch der Verkaufspreis sein. Hiervon subtrahiert wird der Mindestgewinn, der erzielt werden soll. Nach Abzug der Gemeinkosten bleiben die maximalen Herstellungskosten übrig, die zur Verfügung stehen. Es gilt somit: Preis – Gewinnaufschlag – Allgemeinkosten = maximal zur Verfügung stehende Herstellungskosten (Zielkosten). Hier ist nun intensiv zu versuchen, die Herstellungskosten ohne Qualitätsverlust des Produkts so gering wie möglich zu halten, maximal bis zu den berechneten Zielkosten (also genau umgekehrt zur Variante 1). Mit diesem Design-to-Cost-Ansatz werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: • Der Preis entspricht dem, was die Kunden gerade noch zu zahlen bereit sind. Das können in Segmenten, in denen die Kunden sehr stark auf den Preis achten, auch geringe Preise sein, in anderen weitaus höhere. So gibt es in beiden Bereichen einen Markt. In jedem Segment können signifikante Angebote festgelegt werden; • erfahrungsgemäß werden mit diesem Verfahren die Herstellungskosten erheblich gesenkt, ohne dass der Nutzen aus Kundensicht darunter leidet. Durch den Kostendruck werden die Funktionalitäten weggelassen, auf die der Kunde gern verzichtet. Das ist ein Verfahren, bei dem die Kunden und der Produzent gleichzeitig einen Vorteil haben. Dabei sollten die Mitarbeiter, die den Preis festlegen, die Kostenkalkulation nicht kennen. Sonst verfallen sie leicht in die Kalkulation: Kosten + X Prozent Gewinnaufschlag = Verkaufspreis. Der Verkaufspreis ist unabhängig von den Kosten (man kann es gar nicht oft genug sagen). Wenn die Kosten nicht bekannt sind, haben Abbildung 14: Preisfestlegung Reihenfolge der Vorgehensweise Gewinnaufschlag Indirekte Kosten Direkte Kosten Variante 1 Reihenfolge der Vorgehensweise Festgelegter Preis Gewinnaufschlag Indirekte Kosten Vom Kunden akzeptierter Preis Zielkosten Variante 2 Preisfindung 159 die Mitarbeiter gar keine andere Möglichkeit, als den Preis über den Nutzen festzulegen. Bei dieser Variante gibt es zwei Fälle Fall 1: Aufgrund niedriger Kosten (unterhalb der Zielkosten) bleibt ein höherer Gewinn übrig. Und jetzt gilt es den Preis zu halten, anstatt als Reaktion auf niedrigere Herstellungskosten die Preise zu senken. Dann würden Sie Gewinn verschenken! Es ist keine Schande, mit einem TopProdukt, das zu einem entsprechenden Preis angeboten und auch verkauft wird, überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen. Es ist der Lohn dafür, dass Sie die Bedürfnisse Ihrer Kunden exakt befriedigen. Somit sollte immer ein marktgerechter Preis bei minimalen Kosten angestrebt werden. Ein hoher Produktnutzen mit einem hohen Preis bei gleichzeitig geringen Herstellungskosten schließt sich nicht aus. Es ist immer die Pflicht der Mitarbeiter, die Produktionskosten so niedrig wie möglich zu halten, selbstverständlich unter Einhaltung der geforderten Produkteigenschaften. Fall 2: Mit der bestehenden Produktionsstruktur sind die Herstellungskosten so hoch, dass Sie keinen Gewinn erwirtschaften. Dann bleibt Ihnen Folgendes zur Auswahl: entweder die Produktionskosten – bei gleicher Qualität für den Kunden – senken, oder das Produkt nicht herstellen. Manchmal ist es trotz großer Anstrengungen nicht möglich, die Zielkosten zu erreichen. Dann lassen Sie bitte die Finger von der Produktidee. Die Kalkulation zu »belügen« und den Preis zu erhöhen, ist der falsche Weg. Denn wie oben gesagt: Die Höhe Ihrer Herstellungskosten ist Ihren Kunden egal und hat keinen Einfluss auf ihre Kaufentscheidung. Preise, die über dem Nutzen liegen, führen zu erheblichen Einbußen im Verkauf. Daher ist bei den Herstellungskosten anzusetzen. Möglichkeiten der Senkung sind unter anderem: • • • • • unwichtige Funktionen reduzieren und eliminieren; andere Materialien verwenden; Einsparungen im Einkauf durchsetzen; andere Form der Herstellungsprozesse wählen; Übernahme der Fertigung von anderen Anbietern. Prüfen Sie auch, ob Sie hier mit dem Wettbewerber zusammenarbeiten können. Wenn jetzt die Ideen sprudeln, gestatten Sie bitte eine Frage: Aus welchen Gründen wurden diese Maßnahmen nicht bereits in der ersten Kalkulation berücksichtigt? Maximalen Nutzen bei minimalen Kosten zu liefern ist die Hauptaufgabe von Unternehmen. 160 Praxishandbuch Produktentwicklung Entkoppeln Sie die Verbindung zwischen Herstellungskosten und Nutzen beziehungsweise Verkaufspreis. Wenn ein Produkt einen einzigartigen Nutzen bietet, muss die Produktion nicht automatisch teuer sein. Es gibt Möglichkeiten, insbesondere in noch freien Marktsegmenten, einen Nutzen zu liefern und einen hohen Preis dafür zu verlangen. Die Preisgestaltung von Wettbewerbsprodukten ist hier bewusst nicht mit einbezogen. Sie haben nach Jack Trout sowieso nur die Wahl zwischen Differenzieren oder Verlieren. Wenn sich Ihr Produkt nicht aus Kundensicht positiv vom Wettbewerb unterscheidet, befinden Sie sich im Preiskampf. Da werden die meisten Anbieter nach kurzer Zeit als Verlierer dastehen. Sofern sich jedoch Ihr Produkt von dem der Wettbewerber positiv abhebt, sind Sie aus der Preisvergleichbarkeit raus. Und das muss Ihr Ziel sein. Wer sich Preissenkungen erlauben kann – und wer nicht Es gibt immer wieder Unternehmen, die über den Preis – teilweise jedoch nur kurz- und mittelfristig – erfolgreich werden. Das sind jedoch ganz wenige. Langfristigen Erfolg mit günstigen Preisen haben noch weniger Anbieter, zum Beispiel Aldi, Ikea, Ryanair, Dell (bei Ryanair und Dell bleibt abzuwarten, wie lange der Erfolg anhält). Sofern Ihr Unternehmen nicht zu den eben genannten zählt, lautet die Devise: Hände weg von der Preisschraube! Die Lösung scheint ja so einfach zu sein: Preise senken und schon geht es wieder bergauf. Das lohnt sich nur, wenn alles (aber auch wirklich alles) im Unternehmen auf diese Preispolitik ausgerichtet ist. Eine Preissenkung als isolierte Maßnahme führt meist ins Verderben. Wenn jemand Preisführer ist, muss er in den internen Abläufen, in der Produktion, den Personalkosten und im Einkauf auch Kostenführer sein, sonst wird er immer unterboten. Das ganze Unternehmen muss dann auf Kostenführerschaft ausgerichtet sein. Und zwar so gut, dass kein Konkurrent es nachmachen kann. Erst ist die Kostenführerschaft zu erreichen, danach ist auch die Preisführerschaft möglich. Nie umgekehrt. Preissenkungen sind immer der letzte Schritt – das Ergebnis der Kostenführerschaft. Jetzt werden Sie sicherlich einwenden: Es gibt doch erfolgreiche Billiganbieter. Stimmt. Aber nur sehr wenige. Und die arbeiten fast alle nach dem gleichen Schema: • geringe Auswahl; • gute Basisleistung; Preisfindung 161 • einfache Preisstruktur; • großer Durchsatz; • wenig Service (zum Beispiel wenig Bedienung im Laden. Bei Ikea müssen Sie die gekauften Waren selbst aus dem Lager herausnehmen, nach Hause transportieren und zusammenbauen); • geboten werden einzelne Produkte (Der Fokus liegt zum Beispiel bei Aldi ganz auf den Produkten – ein Einkaufserlebnis bekommt der Kunde nicht. Eine dauerhafte – oder zumindest über einen längeren Zeitpunkt – gesicherte Lieferfähigkeit ist auch nicht gegeben. Bei Aldi sind PCs häufig schon nach einer Stunde ausverkauft. Auch müssen die Waren untereinander nicht zusammenpassen), keine Komplettsysteme; • ein unschlagbar günstiger Preis. Von den Anbietern im mittleren und hohen Preissegment wird genau das Gegenteil erwartet: Viel Service (24-Stunden-Kundenservice an 365 Tagen im Jahr, Wartung, Garantie), ein umfangreiches Sortiment, eine große Auswahl, die Ansprache auch auf der emotionalen Ebene, Komplettlösungen statt Produkte. Low Price ist den Unternehmen vorbehalten, die nach der Erfahrungskurve über die Masse den besten Preis bieten können. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen schaffen es nicht, die Preisführerschaft über einen Zeitraum zu behaupten, ohne Verluste einzufahren, denn ihnen fehlt die Möglichkeit zur Kostenführerschaft wie zum Beispiel Wal-Mart und Aldi. Das Marketinginstrument Preis ist somit für kleine und mittelständische Unternehmen keine scharfe Waffe. Letztgenannte müssen sich über den Service, ein spezielles Produktsortiment, Individualleistungen et cetera differenzieren. Übernehmen Sie die Nutzenführerschaft. Dann können Sie den »Riesen« überlegen sein, denn die Massenproduktion ist insbesondere bei transportablen Gütern in Südostasien günstiger. In Deutschland wird der Stundenlohn eines Industriearbeiters mit 50 Euro berechnet, in China mit 2. Der Pharma-Hersteller Pfizer entlastet Mitarbeiter, indem Routinearbeiten nach Indien auslagert werden. Als nächste Revolution wird der Dacia Sandero (www.dacia.de) mit einem Preis von 7 500 Euro beworben. Die nächsten günstigen Kleinwagen kommen jedoch aus China oder Indien für deutlich unter 5 000 Euro, zum Beispiel der Indica Vista (www.indicavista.com) von Tata. Da sind die 7 500 Euro von Dacia schon wieder um 33 Prozent unterboten. Es gibt pro Branche mittel- und langfristig nur einen Kostenführer und somit meist nur ein Unternehmen, das Low Price mit Gewinn anbieten kann. Es gibt nur ein Dell, ein Southwest Airlines, ein Wal-Mart (in den 162 Praxishandbuch Produktentwicklung USA), ein Aldi. Diese haben Kostenvorteile in der Logistik, die den meisten Anbietern verwehrt bleiben. Somit ist es ausgeschlossen, einen Preiskrieg gegen diese Unternehmen zu gewinnen. Und wenn es einem weiteren Großunternehmen gelingt, diese Position einzunehmen, bekommen die oben genannten ernste Probleme, denn eine Kundenbindung erzielen diese Unternehmen meist nicht. Die Bindung ist der Preis, bis ein anderer noch günstiger ist. Ein kleiner Friseursalon im kalifornischen Santa Monica bekam diesen Effekt zu spüren, als ein neuer Konkurrent seinen Preis für einen Haarschnitt von 12 Dollar um 7 Dollar unterboten hat. Statt weiter zu unterbieten stellte der Besitzer des kleinen Friseursalons ein Schild in sein Schaufenster: »Wir bringen Ihren 5-Dollar-Haarschnitt wieder in Ordnung«. Aldi – das Paradebeispiel für Low Price Aldi ist es gelungen, über ein straffes Sortiment und eine Top-Logistik diese Position über Jahrzehnte zu halten. Aldi kann auch mit niedrigen Preisen überleben, weil das Sortiment ganz klein gehalten wird. Aldi hat statt 10 000 Artikel der üblichen Supermärkte nur 500 bis 800 im Sortiment, vieles davon sind Eigenmarken. Pro Produktgattung ist meist nur ein Produkt vorhanden, nicht fünf Sorten Essig, zehn Sorten Senf und 20 Sorten Mineralwasser wie in anderen Supermärkten. Daher ist der Durchschnittsabsatz pro Produkt bei Aldi etwa um das Zehnfache höher als bei anderen Supermärkten, und auch die Rendite ist um ein Vielfaches höher. So ist die Logistik weitaus einfacher und günstiger. Ebenfalls werden über die Mengen ganz andere Einkaufskonditionen ausgehandelt. Die Qualitätsprüfung kann viel intensiver erfolgen, da man sich auf wenige Produkte konzentrieren muss. Die Produkte sind auf Paletten im Geschäft aufgestellt, das Einsortieren durch Mitarbeiter entfällt. Aldi hat schon früh auf Einkaufswagen mit Pfand gesetzt. Dadurch übernehmen die Kunden auch die Tätigkeit des Zurückbringens. Durch die häufig gewählten Randlagen sind die Immobilienpreise gering. Und dann folgt noch ein einfaches Preissystem mit geringer Komplexität. Denn: komplexer Rabatt + schwache Mission = kleiner Erfolg. Einfacher Rabatt + starke Mission = großer Erfolg. So bringt es Dieter Brandes in seinem Buch Die 11 Geheimnisse des Aldi-Erfolgs auf den Punkt. Nur durch diese Maßnahmen ist es Aldi möglich, die Produkte zu einem günstigen Preis anzubieten und trotzdem Gewinne zu erwirtschaften. In den letzten Jahren ist jedoch Lidl den Aldi-Supermärkten als weiterer Preisfindung 163 Discounter auf den Fersen. Wenn Lidl sein Sortiment konzentriert, wird diese Kette noch schneller wachsen. Es zeigt sich: Auch der Kostenführer kann Konkurrenz bekommen. Ryanair hat die Flugbranche durchgeschüttelt Je nach Vorbuchung und Flugzeit kosten die Flüge bei Ryanair ab 1 Euro zuzüglich Flughafengebühr. Der wahre Preiskrieg! Doch Ryanair hat erst alle Abläufe und die Produktform modifiziert – und als letzten Schritt diese Preise festgelegt. Das System beruht unter anderem auf • Abflügen von Flughäfen in Randlagen, weil dort die Gebühren geringer sind; • keine Rückerstattung von Tickets; • kein Weiterleiten von Gepäck bei Anschlussflügen; • keine Zeitungen und Zeitschriften im Flugzeug und keine Gepäcknetze im Kniebereich. Hierdurch werden der Reinigungsaufwand und die Zeit für die Entsorgung der Zeitschriften gekürzt. Außerdem wird so die geringere Beinfreiheit durch den geringeren Abstand der Sitzreihen etwas ausgeglichen; • nur ein Flugzeugtyp (Boing 737); • keine Buchungen über das Reisebüro, sondern nur Direktbuchungen. Somit entfallen die Händlerkonditionen; • Förderung des Onlineverkaufs; • Speisen/Getränke im Flieger nur gegen Bezahlung; • keine Sitzplatzreservierung; • schlanke Struktur im eigenen Unternehmen; • keine Bonusprogramme. Alles wurde auf ein Minimum reduziert. Und der Preis wurde deutlich gedrückt. Ryanair-Gründer Michael O’Leary will in der Zukunft kostenlose Flugtickets anbieten. Einnahmen will er dann von den Flughäfen, den Städten und den Taxiunternehmen erhalten, die von der Vielzahl an Touristen profitieren. Es ist abzuwarten, wie lange Ryanair diese Preisstruktur durchhält, zumal andere Airlines ebenfalls ein Low-Price-Segment installiert haben. In der Branche wird damit gerechnet, dass in fünf Jahren maximal noch fünf Billig-Airlines übrig sind. Alle anderen werden Minus eingefahren haben, da es für die Kunden immer eine noch günstigere Airline gab und die innere Kostenstruktur dem Preiskampf nicht standgehalten hat. 164 Praxishandbuch Produktentwicklung Das Unternehmen Eos ging genau in die andere Richtung. Statt der üblichen 220 Plätze in der Boing 757 sind es nur 48 »Premium Suites«. Man hat sich auf die kleine Nische der finanzkräftigen Geschäftsreisenden konzentriert. Etap – 1 Stern zum günstigen Preis Mit wenig Service, funktionalen Einheitszimmern und einem Bad, das eher an eine Nasszelle im Fernzug erinnert, bietet Etap das Doppelzimmer ab 30 Euro pro Nacht an. Die Hotels sind meist in Randlagen, was die Grundstückskosten niedrig hält, die Zimmer sind einfach und schnell zu reinigen. Gerade für Werktätige, Jugendgruppen und Senioren ist diese Kette mittlerweile salonfähig geworden und häufig – insbesondere zu Messezeiten – ausgebucht. Nun hat Etap in den letzten Jahren an attraktiven Standorten die Festpreispolitik aufgegeben und erhöht zum Wochenende und zu den Messen die Preise. Andere Hotels im Zwei- bis Drei-Sterne-Bereich haben aufgrund der geringen Auslastung die Preise drastisch gesenkt und sind teilweise günstiger als Etap. Es bleibt abzuwarten, ob Etap die Auslastung früherer Jahre noch halten kann. Voraussetzungen für Sie Somit müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein, um das Low-PriceSegment zu wählen und erfolgreich durchzusetzen: • Sie müssen sich sicher sein, dass Sie in der Kostenführerschaft Vorteile haben, sodass Ihre Mitbewerber nicht mitziehen können und Sie mit niedrigen Preisen noch Gewinn einfahren (zum Beispiel dadurch, dass Sie uneinholbare Preisvorteile in der Fertigung oder im Einkauf haben). Diese Luxusposition bleibt wohl heute nur ganz wenigen vorbehalten; • Sie müssen die Preise mindestens 30 Prozent (meist über 50 Prozent) unter denen der Mitbewerber halten, damit Ihre Kunden dieses wahrnehmen. Ryanair war zu Beginn über 80 Prozent günstiger als die anderen Fluglinien. Preisfindung 165 Preismodelle Es gibt bereits Preismodelle, bei denen Zahler und Nutzer unterschiedliche Personen sind. Das Produkt wird zum Beispiel an Kunden verschenkt oder zum symbolischen Preis abgegeben, ein Dritter zahlt. Beispiele hierfür: • kostenlos verteilte Stadtteilzeitungen. Diese werden komplett durch Werbung finanziert; • Flugtickets von Ryanair sind kostenlos. Einnahmen erfolgen über die Zielflughäfen, denen kaufwillige Touristen »geliefert« werden; • Mietwagen zum Nulltarif oder zum symbolischen Preis, zum Beispiel bei Lauda Motion (www.laudamotion.com). Die Miete zahlen die Firmen, die auf den Autos werben; • Reisefahrten (früher als »Kaffeefahrt« bezeichnet). Es werden immer Verkaufsstätten und bestimmte Restaurants angefahren, von denen der Veranstalter sich einen Teil der Kosten finanzieren lässt (fix oder variabel vom Umsatz, den die Touristen getätigt haben). Übernehmen Sie kein Preismodell, sondern kreieren Sie Ihr eigenes, das genau zu Ihren Kunden passt. Der Preis muss nicht pro Gramm, Zeit oder Stück berechnet werden. Die Preise von Produkten sind variabel und werden stündlich geändert, wie etwa bei Hotels mit ihren Angeboten im Internet. Die Preisfestlegung endet somit nicht mit Erscheinung des Produkts, sondern muss laufend überprüft werden. Es ist jedoch zu beachten, dass der Einstiegspreis über das Preisgefüge im gesamten Lebenszyklus entscheidet. Ist der Preis falsch festgelegt, ist dieser (insbesondere wenn er zu niedrig angesetzt wurde) in den weiteren Phasen nicht mehr zu korrigieren. Also sollten Sie in der Einstiegsphase nicht ängstlich agieren, wenn das Produkt einen für den Kunden herausragenden Nutzen bietet. Wenn günstigere Preise ab der Mitte des Lebenszyklus angeboten werden sollen, dann sind reduzierte Produktvarianten zu erstellen, um das grundsätzliche Preisgefüge nicht zu gefährden. So macht es unter anderem Apple mit den iPods, bei denen Modelle mit geringerem Speicherplatz zu einem späteren Zeitpunkt erscheinen. So kann der Preis für das Ursprungsmodell gehalten werden. Es gibt auch Anbieter, die den Kunden nach erbrachter Leistung überlassen, wie viel sie zahlen möchten, beispielsweise Hotels, Restaurants und Friseure. Und man glaubt es kaum: Fast alle Kunden zahlen einen realistischen Preis. Gerade wenn der Kunde zufrieden war und er die Leistung zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Anspruch nehmen will, 166 Praxishandbuch Produktentwicklung ist er geneigt, real zu zahlen. Die Kunden haben mit diesem Modell ein gutes Gefühl, denn sie haben genauso viel gezahlt, wie ihnen das Produkt wert war. Neben dem Reiz für die Kunden kommt noch der PR-Effekt hinzu, da dieses Modell noch sehr selten ist. Andere Anbieter passen ihre Preise dem Nutzen, den die Kunden vom Produkt haben, und deren Zahlungsvermögen an. So zahlen Mieter im Alstertaler Einkaufszentrum in Hamburg eine Grundmiete, die individuell ausgehandelt wird (je nach zu erwartendem Umsatz pro Fläche). Es werden nicht Quadratmeter vermietet, sondern Umsatzmöglichkeit (Nutzen). Der variable Mietanteil richtet sich dann nach dem Realumsatz. Steigt der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr, muss mehr gezahlt werden und umgekehrt. Einige Softwareanbieter passen Ihre Produkte nicht jedem Kunden an, sondern liefern das Gesamtpaket und berechnen die Lizenzen und Servicegebühren nach dem Umsatz der Kunden. Meist wird heute noch der Preis von Waren nach der abgegebenen Menge festgelegt (pro Stück, nach Gewicht), so früher zum Beispiel auch beim Verkauf von Pflanzenschutzmitteln. Wurde viel Pflanzenschutzmittel benötigt, musste mehr bezahlt werden. Heute gleicht der Verkauf von Pflanzenschutzmitteln häufig einer Dienstleistung. Es wird zwar immer noch ein Produkt geliefert, jedoch haben Lieferant und der Landwirt das Ziel der Erntesteigerung. Denn der Lieferant erhält 20 Prozent vom Endverkaufspreis der Ernte, mehr nicht. Je wirksamer das Mittel, desto weniger wird benötigt und desto geringer sind die Kosten für den Lieferanten. Der Kunde will keine Produkte, auch keine Leistung. Er will Wirkung! Der Kunde zahlt hier nicht für eine Produktmenge, sondern ausschließlich für die Wirkung. Heute wird in vielen Branchen nur noch diese bezahlt. Demnächst auch bei Ihnen! Beispiele, bei denen sich höhere Preise durchgesetzt haben Meist ist der Marktführer auch Preisführer, das heißt der teuerste Anbieter in dem Produktsegment. Er bietet maximalen Nutzen und hat durch den höheren Preis auch die Möglichkeit, in die Produktentwicklung zu investieren. Preisfindung 167 Individueller Schmuck Eine handgefertigte Kette kostet in der Regel 50 Euro. Eine kleine Werkstatt bittet vor der Fertigung um Angaben zum späteren Besitzer inklusive Foto von ihm. Entsprechend dieser Informationen wird die individuelle Kette gefertigt. Der Preis dieser individuellen Produkte liegt bei 500 Euro. Getränkepreise wie Aktien an der Börse In einer Bar in Mannheim wird der Bierpreis wie an der Börse festgelegt. Je mehr bestellt wird, desto höher ist der Preis. Der aktuelle Kurs ist für alle Gäste sichtbar. Diese Echtzeitpreisbildung gibt es bereits bei einigen Getränkeautomaten: je nach Jahreszeit, Außentemperatur und Wetterlage wird der Preis angepasst. Die Kategorie wechseln Einige Unternehmen haben das Spielfeld gewechselt und sind so der Vergleichbarkeit bei den Preisen entflohen. So wie oben beschrieben Starbucks (kein Café, sondern der dritte Ort) oder Alessi mit seinen WCBürsten (kein Hygieneartikel aus Plastik, sondern aufgrund des Designs ein »Zierstück«). Wirtschaftsspiele für zu Hause sind keine Spiele (Vergleich mit Gesellschaftsspielen), sondern werden mit Seminaren und Workshops in Verbindung gebracht und entsprechend mit diesen Preisen verglichen. Gewöhnliches zu Luxus machen So setzt Kettle Foods (www.kettlefoods.com) auf handgefertigte Kartoffelchips mit ausgewählten Zutaten wie Meersalz oder Balsamico-Essig. Die Kunden können auch ihre eigene Gewürzmischung kreieren. Handgeschöpfte Schokolade zum Beispiel von Josef Zotter wird zu einem weitaus höheren Preis verkauft als die technische »Massenproduktion«. 168 Praxishandbuch Produktentwicklung »Get one« – nur eine Gurke? Biologisch schon, vom Preis her auf keinen Fall. Das Produkt besteht aus einer einzigen großen Gurke in einer kleinen Weißblechdose. »Get one« (www.spreewaldhof.de) wird nicht als Gemüse vermarktet, sondern als die gesunde Zwischenmahlzeit und Lifestyleprodukt. Statt das angestaubte Image der Sauerkonserven zu wählen, wurde hier ein Trendprodukt kreiert. Einer Vergleichbarkeit mit Gewürzgurken im Glas wurde ausgewichen. Es wurde die Kategorie gewechselt: von der Sauerkonserve zum Snack. Und gleichzeitig wurde der Gesundheitstrend aufgenommen. Marktsegment sind überwiegend Jugendliche, bei denen »normale« Sauerkonserven nicht punkten können. Nachfolgend ist eine beispielhafte Gegenüberstellung von herkömmlichen Gewürzgurken im Glas und »Get one« aufgeführt. Tabelle 17: Gegenüberstellung von herkömmlichen Gewürzgurken im Glas und »Get one« Gewürzgurken im Glas »Get one« Kategorie Sauerkonserve Snack Marktsegment Familien Ernährungsbewusste, Jugendliche, Sportler Verkaufsort Supermarkt Tankstellen, Fitnessstudios, selten in Supermärkten Konkurrenz Große Auswahl anderer vergleichbarer Sauer­ konserven Schokolade, Chips und Müsliriegel Nutzen Sättigung Etwas Gutes für die Gesundheit tun (da kalorienarm) Anlass Mahlzeit Snack für zwischendurch Menge Spreewaldgurken: 650 Gramm Füllmenge, 370 Gramm Abtropfgewicht 250 Gramm Füllmenge, 100 Gramm Abtropfgewicht Preis 1,49 Euro 1,50 bis 2,20 Euro Mit dieser neuen Positionierung konnte ein Preis verlangt werden, der im Vergleich zu den Sauerkonserven stark überteuert ist. Preisfindung 169 Abbildung 15: »Get one« Kleine Utensilien Beim Verkauf mehrerer Produkte wird meist zuerst der Verkauf des teuersten Produkts abgeschlossen (zum Beispiel der Anzug für 300 Euro). Dagegen wirken die später angebotenen Utensilien wie Hemd und Krawatte für je 70 Euro fast wie ein Schnäppchen. Der Kunde bestätigt mit dem Kauf der »günstigen« Nebenprodukte außerdem, dass er mit dem Anzug die richtige Wahl getroffen hat. Das Tagungshotel Schindlerhof Trotz mehrerer Einbrüche in dieser Branche hat der Schindlerhof fast jedes Jahr die Preise erhöht. Hier geht es nicht um Preiskampf, sondern um Nutzen und Einzigartigkeit pur. Mit dieser eindeutigen Positionierung und Ausrichtung auf die Gäste gab es zwar zu Zeiten des Branchenabsturzes eine kleine Umsatzdelle, über die Jahre hinweg jedoch kräftige Zuwächse. Gearbeitet wird hier mit einer Preisgarantie. Feilschen ist zwecklos. Neukunden bekommen mit dem Angebot einen Text des englischen Sozialreformers John Ruskin zugeschickt, damit sie gar nicht auf 170 Praxishandbuch Produktentwicklung »dumme Gedanken« kommen: »Es gibt kaum etwas auf dieser Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften. Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.« Bei Befragungen von Kunden zum Schindlerhof über das Preisempfinden erhält das Unternehmen durchschnittliche Bewertungen. Die Priorität des Preises wird von den Kunden jedoch überwiegend als unwichtig eingestuft. Es zählt hier der klare Nutzen und weniger der Preis. Etwas noch Teureres daneben stellen Wenn ein teures Produkt verkauft werden soll, ist ein noch teureres daneben zu stellen. Dann wirkt erstgenanntes durch den Vergleich subjektiv günstiger. Studien haben gezeigt, dass bei zwei Ausführungen zu unterschiedlichen Preisen das hochpreisigere Modell vermehrt verkauft wird, wenn eine dritte, noch teurere Variante mit angeboten wird. Der Kunde wählt dann nicht das Teuerste, aber das Billigste will er auch nicht. Demokratisch wird das mittlere Preissegment gewählt. So gibt es häufig »Platinserien« von Produkten, die nur dazu dienen, den Preis der anderen Varianten geringer erscheinen zu lassen. Dass dann vereinzelt auch noch die »Platinserie« verlangt wird, ist ein positiver Nebeneffekt. Verknappen Viele kennen die Episode aus Tom Sawyer von Mark Twain, in der Tom den Zaun seiner Tante streichen sollte. Weil Tom keine Lust dazu hatte und sich die Hänseleien seiner Freunde ersparen wollte, tat er so, als würde ihm diese Tätigkeit so viel Freude bereiten, dass er sie mit keinem anderen teilen wollte. Nach langen Diskussionen »gestattete« er einigen Jungs, an dieser Freude teilzuhaben – jedoch nicht ohne die Bezahlung in Form von Äpfeln. Preisfindung 171 Der Wert der Tätigkeit entstand also auch für die Freunde. Durfte erst ein Junge mitstreichen, so wollten auch die anderen dazugehören. Aus einer lästigen Arbeit wurde so eine fast unerreichbare Freude. Um den Wert einer Ware in den Augen der Kunden zu steigern, sollte diese knapp gehalten, aufgewertet und schwer erreichbar gemacht werden. Wenn Sie verdeutlichen, dass Sie es mit dem Verkauf eilig haben oder sogar verkaufen müssen, weil Ihr Lager voll ist, dann hat Ihr Kunde ein leichtes Spiel mit Ihnen. Entscheiden Sie sich eher für die umgekehrte Marketingstrategie und geben nach außen den Anschein, dass Sie den Verkauf nicht unbedingt nötig haben. Hierzu gehört auch die Knappheit des Produkts, die einen Preisverfall verhindert. »Limitierte Auflage«, »Erst ab … lieferbar«, »Nur bis zum … lieferbar«: Hiermit verknappen Anbieter – häufig künstlich – das Angebot und steigern so den subjektiven Wert. Es wird zusätzlich die Begehrlichkeit gesteigert, genau das Produkt zu besitzen. Dieses Vorgehen ist insbesondere bei Luxusmodellen und bei Sammelobjekten zu beobachten. Diese selbst auferlegten Begrenzungen muss der Anbieter jedoch konsequent einhalten, sonst verliert er sofort an Glaubwürdigkeit. Diese Varianten können den Ausschlag zum Kauf geben, jedoch muss das Grundinteresse (Grundnutzen) für den Kunden vorhanden sein. Nur mit einem »Sondermodell« lässt sich kein Kunde zum Kauf bewegen. Unterschiedliche Preisgestaltung an verschiedenen Orten oder Zeiten Der Preis kann von Ort zu Ort unterschiedlich und der Nutzen- und Finanzstruktur der Kunden angepasst sein, insbesondere, wenn lokal eingekauft wird (zum Beispiel Lebensmittel). Der einzige Supermarkt im Ort kann andere Preise durchsetzen als einer von vielen in der Großstadt. Unterschiede sind auch möglich, wenn die Nutzung sofort erfolgen soll und nicht alle Beschaffungswege offen sind: wenn der Kunde zum Beispiel nachts Getränke kaufen möchte. Da können Tankstellen im Vergleich zum Supermarkt astronomische Preise durchsetzen. Es geht auch in die andere Richtung Grundsätzlich gilt es, von jedem Kunden so viel Geld zu fordern, wie er zu zahlen bereit ist. Listen Sie die 20 Prozent Ihrer umsatzstärksten Kunden 172 Praxishandbuch Produktentwicklung auf (nach dem Pareto-Prinzip liefern diese 20 Prozent ganze 80 Prozent Ihres Umsatzes) und stellen Sie sich für jeden Kunden einzeln die Frage: »Würde ich den Kunden verlieren, wenn ich den Preis um 1, 2, 3 Prozent, anheben würde?«. So lange die Antwort »nein« lautet, gehen Sie weiter hoch. Wenn Sie mit Ihrem Unternehmen eine Rendite von 6 Prozent erwirtschaften und die Preise um 3 Prozent erhöhen, ohne einen Kunden zu verlieren, dann haben Sie Ihre Rendite um 50 Prozent gesteigert. Wenn das Produkt sich wirklich von denen der Mitbewerber positiv abhebt und so aus der preislichen Vergleichbarkeit raus ist, wird bei 3 Prozent Preiserhöhung in fast 100 Prozent der Fälle das Produkt weiterhin gekauft. Auch wenn die Kunden über Preisanpassungen murren, sollten Sie sich nicht verunsichern lassen. Denn der Kunde versucht immer, Ihr Produkt – egal wie gut es ist – für einen minimalen Preis zu erhalten. Auch wenn heute das Geld »nicht mehr so locker sitzt«, lassen sich gerade im b-to-b-Bereich Preise durchsetzen, die im privaten Bereich selten möglich sind – es zahlt ja die Firma. Unmoralisch sind hohe Preise nur, wenn die Not von Menschen ausgenutzt wird, also wenn es zum Beispiel nur einen Anbieter lebensnotwendiger Medikamente gibt oder nur einen Lebensmittellieferanten bei Hungersnöten. Das bitte nicht Quersubventionen Jedes Produkt muss sich für ein Unternehmen rechnen – und zwar positiv. Bieten Sie nicht einige Produkte zu einem so niedrigen Preis an, sodass Sie keinen Gewinn hiermit einfahren. Die Hoffnung, auf diesem Wege Kunden zu erreichen, die dann auch die teuren Produkte kaufen, ist fast immer ein Trugschluss. Zumal diese teuren Produkte überteuert sein müssen, um die Verluste durch die billigen zu kompensieren. Meist nutzen die Kunden nur das Low-Price-Produkt und holen sich die anderen Produkte von der Konkurrenz. Ein klassisches Modell hierfür sind PC-Drucker. Diese werden fast verschenkt, um Kunden anzulocken, der Gewinn wird mit den Patronen verdient. Nur schlecht, dass andere Marken passende Patronen zu einem günstigeren Preis anbieten. Früher funktionierte dieses Verfahren noch besser: John D. Rockefeller verschenkte Öllampen an die Chinesen und weckte so den Bedarf an Öl, um die Lampen zum Leuchten zu bringen. Das Öl wurde dann selbstverständlich auch von ihm geliefert. Preisfindung 173 Damals gab es noch nicht so viele Alternativen, sich günstigere Varianten der teuren Folgeprodukte von anderer Seite zu beschaffen. Wenn schon in der Kalkulation abzusehen ist, dass ein Produkt keinen Gewinn erwirtschaftet, dann muss der Nutzen für den Kunden erhöht werden, um so einen höheren Preis durchzusetzen. Oder die Herstellungskosten sind zu reduzieren, ohne den Nutzen für den Kunden zu senken. Kostensenkungen zur Preissenkung nutzen Sie haben ein Produkt, was hinsichtlich des Nutzens für Ihre Kunden positiv gegenüber den Mitbewerbern herausragt. Dann wird der von den Kunden akzeptierte Preis ausschließlich von diesem Nutzen abhängen. Bei einer Kostensenkung (Produktivitätssteigerung, günstiger Einkauf, andere Einsparungen) kann somit der Preis bestehen bleiben und dadurch der Gewinn erhöht werden. Diese zusätzlichen Einnahmen können in die Entwicklung weiterer Produkte fließen. Senken Sie bitte nicht die Preise, nur weil die Kosten niedriger sind. Das wäre verschenkter Gewinn. Preisverhandlungen mit den Kunden Verhandeln Sie nie über Preise. Rabat(t) ist und bleibt eine Stadt in Marokko und nicht mehr. Wenn ein Kunde versucht zu feilschen, verdeutlichen Sie den Produktnutzen. Außerdem verweisen Sie auf Unternehmensrichtlinien und Vorgaben eines obersten Ausschusses. Wenn Sie dem Kunden sagen, Herr X hat die Preise festgelegt, dann wollen die Kunden mit Herrn X sprechen. Wenn es ein Gremium ist (»Preiskontrollausschuss«), ist das nicht möglich. »Einmal ist keinmal?«. Nein, einmal zu viel! Preisnachlass im Einzelfall ist wie ein Staudamm: Wenn man immer wieder einen Stein wegnimmt, bricht irgendwann der ganze Damm, weil die Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen keine Richtlinie mehr haben. Wenn insbesondere Neukunden nach Rabatten fragen, neigen viele Verkäufer zu Zugeständnissen: »Einmal ist keinmal. Später zahlt er wieder den vollen Preis«. Jedoch bleibt das ein Traum. Einkäufer werden dafür bezahlt, so wenig wie möglich auszugeben und Rabatte zu verhandeln, wo es nur irgendwie geht – und zwar langfristig. Lassen Sie sich bitte nicht von Ihren Verkäufern diese Märchen aufschwatzen. Ein Kunde, der einmal Rabatt bekommen hat, riecht Lunte. Dann will er den Frühjahrsrabatt, Weihnachtsrabatt, Waren174 Praxishandbuch Produktentwicklung einstandsrabatt und zu guter Letzt natürlich den Treuerabatt. Zumal er ja schon so viel mit Rabatt gekauft hat. Lockangebote werden meist zu Verlustgeschäften. Setzen Sie nicht den langfristigen Wert Ihrer Produkte und Ihrer Marke für einen erhofften kurzfristigen Umsatz aufs Spiel. Denn es gilt häufig: heute billig – morgen insolvent. Im Tagesgeschäft heißt es immer, wenn ein Kunde anfängt zu feilschen: Können wir nicht in diesem Einzelfall etwas nachgeben? Entweder der Mitarbeiter begründet das Nachgeben mit der finanziellen Situation des potenziellen Kunden. Oder es wird argumentiert, dass der Kunde abspringt, wenn er nicht den günstigeren Preis bekommt. Ist das alles Quatsch? Eventuell! Wenn Sie austauschbare Leistungen bieten, ist dieses realistisch. Ist Ihr Produkt jedoch einzigartig, dann kauft Ihr Kunde. Der Preis ist dann Nebensache. Wenn der Kunde nicht den vollen Preis zahlen kann beziehungsweise nicht will, dann ist zu überlegen, wo der Anbieter die Leistung kürzt. Lassen Sie jeden Kunden für die gleiche Leistung den gleichen Preis zahlen. Sollte ein Kunde auf einem Rabatt bestehen, dann ist es nur fair, dass auch die Leistung gekürzt wird (Zusatzgeräte fallen weg, die Endmontage übernimmt der Kunde oder Ähnliches). Machen Sie nie Preiszugeständnisse ohne Gegenleistung. Umgekehrt verlangen Sie bei Zusatzleistungen immer auch einen Preisaufschlag. Oder bieten Sie andere Zahlungsmodelle wie Raten und Leasing an. Starke Marken haben starre Regeln. Im Low-Price-Segment »schlechte« Ware liefern Auch bei Kampfpreisen erwartet der Kunden gute Qualität und einen Nutzen. Abstriche beim Nutzen und der Qualität nimmt der Kunde auch bei Billigprodukten nicht hin. Senken Sie nicht die Herstellungskosten, wenn dadurch das Nutzenversprechen nicht mehr eingehalten werden kann. Immer noch mehr »draufpacken« Insbesondere wenn der Kunde zögert oder die Produkte Ladenhüter sind, werden oft noch Zusatzleistungen ohne Berechnung und ohne vorab zu prüfen, ob dadurch der Wert des Produkts aus Kundensicht erhöht wird, draufgepackt. Hierzu gehören auch die Bonusprogramme beim MenPreisfindung 175 genkauf. Gerade wenn die Bonusleistung nicht zum Kernprodukt passt, schadet diese mehr, als dass sie den Verkauf steigert. Diese Methode hat folgende Nachteile: • »Was nichts kostet, ist nichts wert«. Diese Zusatzleistungen werden von den Kunden nicht als wertsteigernd angesehen; • im Zuge der Komplexitätsreduktion gilt hier: »Weniger ist mehr«. Die Zusatzleistungen lenken den Kunden vom Hauptnutzen des Produkts ab; • der Gewinn sinkt, da den Herstellern diese Zusatzleistungen Geld kosten; • Umsatzpotenzial wird verschenkt. Wenn die Zusatzleistungen einen wirklichen Nutzen für den Kunden darstellen, dann ist er auch bereit dafür zu zahlen; • die Kunden nehmen die Zusatzleistung in Anspruch, obwohl sie keinen Nutzen davon haben. Oder sie ignorieren diese Zusätze komplett. In diesem Fall sind die Zusatzleistungen nicht nur kostenlos, sondern auch umsonst. Wenn das Kernprodukt nicht einen herausragenden Nutzen liefert, dann bringen auch die noch so umfangreichen Zusatzleistungen nichts. Zwei lahme Hühner zusammengebunden ergeben noch keinen Adler, und kombinierte Teile, die der Kunde nicht braucht, ergeben zusammen kein gutes Produkt. Es ist immer zu prüfen, welche Zusatzleistungen berechnet werden können. Das sind alle, die den Kunden einen wirklichen Zusatznutzen liefern. Die anderen können Sie ohnehin weglassen. Eine Digitalkamera zur Kontoeröffnung einer Bank bringt nichts. Und trotzdem hebt eine Bank dieses Präsent als Hauptnutzen auf Plakaten hervor. So wird teilweise versucht, »tote« Produkte durch Zusätze zu retten. Auch Bonusprogramme beziehungsweise Rabattmarken führen meist nicht zum gewünschten Erfolg. Mit dieser Belohnung der Mehrfachkäufer kann der Verkauf maximal kurzfristig gesteigert werden. Denn wenn die Programme erfolgreich sind, kopiert sie der Wettbewerb. Und wenn der Kunde seine Prämie eingelöst hat, fängt er wieder bei Null an. Dann ist die Bindung auch bei Null. Der Kunde überlegt, welches Bonusprogramm er von welchem Anbieter neu startet. Konzentration auf die Kosten Viele Mitarbeiter im Unternehmen beschäftigen sich laufend damit, die 176 Praxishandbuch Produktentwicklung Kosten gering zu halten. Und das ist auch gut so. Mit Kostensenkung kann der Gewinn kurzfristig gesteigert werden. Viel stärker sollten sich die Mitarbeiter in den Unternehmen jedoch mit den Kundenwünschen und den Bedürfnissen beschäftigen. Daraus Produkte zu entwickeln, ist für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens mit großem Abstand der größte und langfristige Stellhebel. Wenn dann im Bereich Herstellungskosten und Produktivität nicht große Fehler gemacht werden, lässt sich der wirtschaftliche Erfolg nicht vermeiden. Ohne Komplettkalkulation spontan die Preise senken Es gilt bei abnehmenden Geschäften immer noch die Wild-West-Mentalität: erst handeln (aus der Hüfte schießen), dann nachdenken. So entstehen viele Preisaktionen, die – wenn überhaupt – ein kurzfristiges Umsatzplus bewirken, jedoch fatale negative Auswirkungen auf die Rendite und den Wert der Marke haben. Hochpreissegment und Low Price unter einem Dach Eine Marke ist entweder im Hochpreissegment oder Niedrigpreissegment zu platzieren. Billige Produkte eines Anbieters schaden den teuren Produkten desselben Anbieters erheblich, da die günstigen Produkte auf den Wert der teuren Produkte strahlen. Preise müssen zum Unternehmensleitbild und zu der Wahrnehmung des Unternehmens bei den Kunden passen. Als Billigmarke wahrgenommene Anbieter können unter diesem Label nicht auf einmal hochpreisige Produkte anbieten. Am erfolgreichsten sind die Unternehmen, die unterschiedliche Preiskategorien auch unter verschiedenen Labeln vermarkten und nach außen komplett in der Wahrnehmung voneinander trennen. Hier gilt: »entweder oder«, nicht »sowohl als auch«. Mitarbeiter sind entweder für die eine Marke zuständig oder für die andere, um sich voll mit Überzeugung auf die unterschiedlichen Preissegmente zu konzentrieren. Gleichzeitig Low-Price- und Luxus-Produkte zu entwerfen, herzustellen und zu verkaufen geht nicht. Je nach Preissegment sind bei den Mitarbeitern andere Überzeugungen und Menschentypen notwendig. Liegen Ihre Produkte im Hochpreissegment, dann sollten Sie diese auch nicht bei einem Billiganbieter ins Regal stellen. Die Produkte, die im Hochpreissegment platziert sind und von den Kunden als solche wahrPreisfindung 177 genommen werden sollen, benötigen das entsprechende Umfeld. Alles andere würde der Akzeptanz und somit dem Verkauf schaden. Den Preis als größtes Werbeargument einsetzen Machen Sie den Preis nie zum Bestandteil Ihrer Positionierung. Maximaler Nutzen bei niedrigstem Preis ist natürlich die sicherste Kombination für eine große Nachfrage. Ob dann jedoch für Ihr Unternehmen auch noch etwas übrig bleibt, ist fraglich. Die Kunden sind begeistert und das Unternehmen ist bankrott. Bringen Sie die Gespräche mit Ihren Kunden auf den Nutzen des Produkts – weg vom Preisvergleich hin zum Nutzen- und Leistungsvergleich. Wenn Sie zu sehr den Preis als Argument nutzen, laden Sie den Kunden zum Feilschen ein. Unterschiedliche Preise bei gleicher Leistung Wie oben erwähnt, führt dieses nur zur Verärgerung bei den Kunden, die den hohen Preis gezahlt haben. Unterschiedliche Preise bei unterschiedlichen Leistungen sind in Ordnung (zum Beispiel für Hotelzimmer oder Flüge unterschiedliche Preise veranschlagen, je nachdem ob die Buchung stornierbar beziehungsweise umbuchbar ist oder nicht). Fragen nach dem Preis Häufig steht in Fragebögen der Unternehmen die Frage: »Wie bewerten Sie den Preis des Artikels: zu günstig, gerade richtig, zu teuer?«. Aus Prinzip kreuzen die meisten Kunden »zu teuer« an, in der Hoffnung, dass viele Kunden den gleichen Schritt tun und der Anbieter dann denkt, er müsse die Preise senken. Viel wichtiger ist die anschließende Frage nach der Bedeutung des Preises. Wenn der Nutzen des Produkts hoch ist – und entsprechend auch der Preis –, dann wird dieser als hoch empfunden. Das Produkt wird jedoch trotzdem gekauft. Somit ist immer danach die Frage zu stellen: »Wie bedeutend ist für Ihre Kaufentscheidung X, Y, Z?«, jeweils mit der Bewertung »unwichtig, weniger wichtig, wichtig, sehr wichtig« (ein Bewertungspunkt darunter ist der Preis). Bei wirklich nutzwertigen Produkten liegt die Bedeutung des Preises gegenüber den anderen Pro178 Praxishandbuch Produktentwicklung dukteigenschaften abgeschlagen hinten. Lassen Sie diese Preisfragen somit bitte alle weg. Äußern die Gesprächspartner bei Marktgesprächen – egal bei welchen Fragen – jeweils den Einwand »zu teuer«, kann dieses mehrere Ursachen haben. Zum einen wirklich die fehlenden finanziellen Mittel, zum anderen gibt es eine günstigere Alternativlösung oder der Nutzen ist ihm noch nicht deutlich geworden. Und dann ist da noch das Standardklagen – egal zu welchem Preis ein Produkt angeboten wird. Grundsätzlich wird mit Preisbefragungen der Preis künstlich in der Bedeutung angehoben, auch wenn dieser in der Kaufentscheidung weniger von Bedeutung ist. Preiserhöhungen über den Nutzen hinaus oder bei austauschbaren Produkten Nicht für alle Produkte können hohe Preise verlangt werden. Und nicht jede Preiserhöhung führt zur Gewinnsteigerung. Bei Anbietern mit austauschbaren Produkten hätten Preiserhöhungen fatale Folgen. Das PreisLeistungs-Verhältnis muss stimmen. Es soll in diesem Kapitel nur verdeutlicht werden, dass der reine Aktionismus zur Preissenkung kein Mittel ist, um Gewinne zu steigern. Der große Hebel ist und bleibt eine erfolgreiche Produktentwicklung. Preis festlegen: »Ohne Preis kein Fleiß« Die Frage ist einerseits, welchen Preis die Kunden für das bestehende beziehungsweise geplante Produkt bereit sind zu zahlen. Als erstes muss also der Nutzen stehen, dann kann ein entsprechender Preis festgelegt werden. Liefert ein Anbieter gute Ware, kann er sowohl von der verkauften Menge als auch über den Preis gut ernten. Mindestens ebenso wichtig ist die Frage: Wie können Sie den Nutzen erhöhen, sodass die Kunden bereit sind mehr zu zahlen? Bieten Sie nicht den geringsten Preis, sondern das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Sie müssen wissen, wie sich welcher Preis auf den Absatz auswirkt. Das können Sie entweder über Schätzungen und Tests oder Befragungen und Beobachtungen (was der Kunde sonst noch alles in welchem Preissegment kauft) herausfinden. Nutzen Sie viele Quellen, denn das Thema Preis ist zu wichtig, als dass die Festlegung auf eine Methode gestützt werden kann. Preisfindung 179 Interne Schätzungen sind dabei die unsicherste Methode, denn diese beruhen mehr auf Ideologie statt auf Realität. Wenn Ihr neues Produkt einen hohen Nutzen für Ihre Kunden hat und diese bereit sind, einen hohen Preis zu zahlen, dann verlangen Sie diesen Preis – und zwar unabhängig von Ihren niedrigen Herstellungskosten. Es ist doch nicht verboten oder unanständig, eine hohe Gewinnmarge zu haben. Bei einem Top-Produkt dürfen doch alle davon profitieren. Den Überschuss, den Sie jetzt haben, können Sie zum Beispiel in neue Produktentwicklung stecken. Oder – was leider nicht zu vermeiden ist – zum Auffangen von Produktideen, die nicht den erwarteten Ertrag gebracht haben. In Marktgesprächen Erhalten Sie in den Marktgesprächen zur Zufriedenheit von Produkten den Hinweis »zu teuer«, dann fragen Sie: »Was muss das Produkt enthalten beziehungsweise welche Eigenschaften müsste es zusätzlich haben, damit es den Preis wert ist?«. Die hieraus resultierenden Antworten sind meist die Produkteigenschaften, auf die es den Kunden wirklich ankommt und die letztendlich kaufentscheidend sind. Die Antworten auf diese Fragen bringen mehr Informationen als auf die Frage »Wie viel wären Sie bereit zu zahlen?«. Denn hier werden meist utopische Kleinstbeträge genannt. Preisbefragungen Wenn doch mal eine Befragung zum Preis getätigt werden soll, ist die Conjoint-Analyse eine mögliche Methode. Hier werden in verschiedenen Kombinationen jeweils zwei Produkteigenschaften (Marke, Funktionen, Preis et cetera) gegenüber gestellt und der Proband nach seiner Präferenz gefragt. Es sind jedoch Antworten unter »Laborbedingungen«. Oder lassen Sie Ihre Kunden den Preis für Ihre Neuprodukte schätzen. Sind diese Werte deutlich über Ihrem aktuellen Preis, dann haben Sie im Preis (und somit Gewinn) noch Luft nach oben. Fragen Sie Ihre Kunden, wie hoch der Nutzen des Produkts für sie ist. Das Ziel ist es, den Preis genau da anzusetzen, wo er leicht unter dem Produktwert für den Kunden liegt. Dann sind beide Seiten zufrieden. Nicht fragen: »Wie hoch darf der Preis sein?«, sondern »Was ist es Ihnen wert?«, »Wie hoch ist Ihr Nutzen von dem Produkt?«. 180 Praxishandbuch Produktentwicklung Den Produktwert für den Kunden schätzen Der Preis lässt sich am besten festlegen und auch dem Kunden kommunizieren, wenn der Nutzen für den Kunden quantifiziert werden kann. Bringen Sie hierzu den Wert Ihrer Produkte für den Kunden entlang der gesamten Wertschöpfungskette in Erfahrung, zum Beispiel wie viel Zusatzumsatz er durch Ihr Produkt macht beziehungsweise wie viel Kosten er spart. Dieser Wert muss jeweils höher als der Kaufpreis sein, sollte jedoch nicht zu groß sein. Wobei zu beachten ist: Für die Kaufentscheidung zählt der vom Kunden wahrgenommene Nutzen, nicht der objektive. Die meisten Unternehmen haben viel zu wenige Informationen über ihre Kunden und somit wissen sie auch nicht, welchen Preis sie zu zahlen bereit sind. Die Preisfestlegung ist häufig ein Stochern im Nebel. Der Preistest Sofern Sie die Kunden in Ihrem Marktsegment zeitweise trennen können und kein Kontakt untereinander besteht, kann in der Phase des Produkttests auch die Preisakzeptanz erfasst werden: Zwei Gruppen wird ein Produkt zu unterschiedlichen Preisen angeboten. In die anschließende Auswertung sind die Anzahl der Bestellungen beziehungsweise Käufe, Umsatz und Gewinn einzubeziehen, um abschließend den optimalen Preis festzulegen. Dieses Testergebnis hat mehr Aussagekraft als jedes Bauchgefühl. Preisgrenzen beachten Im Businessbereich ist über Marktgespräche zu erfassen, ob Preisgrenzen beim Kunden vorliegen. Gerade in Behörden gibt es Grenzen, bis zu welchem Preis Einkäufe getätigt werden dürfen. Und das ist unabhängig vom Nutzen des Produkts. Diese müssen bekannt sein und auch bei der Preisfestlegung berücksichtigt werden. Benötigt Ihr Kunde erst einmal fünf Unterschriften für seine Bestellung und muss sich einem Spießrutenlauf unterziehen, so stehen die Chancen schlecht, dass es zu einer Bestellung kommt. Hier ist ausnahmsweise zu prüfen, ob durch eine leichte Senkung unterhalb der Preisgrenze geblieben werden kann, oder ob das Produkt in einzelne Einheiten mit separaten Preisen geteilt wird und so die Einzelpreise unter der Höchstgrenze liegen. Andererseits bekommen in vielen Preisfindung 181 Unternehmen Mitarbeiter eher hochpreisige Anschaffungen als Kleinstausgaben für Büromaterial genehmigt. Preissenkung: wenn, dann richtig Überlegen Sie nicht, wie Sie die Preise der Mitbewerber um 0,5 Prozent unterbieten können. Wenn Preissenkung, dann über Prozessmusterwechsel die Herstellung revolutionieren und Preise um mindestens 50 Prozent senken (siehe Billig-Airlines). Alles andere ist Preiskampf und Sandkastenspielerei. Jedoch gilt auch hier: Die Marktanteile können so kurzfristig gesteigert werden, die langfristige Rendite ist jedoch fraglich. Preisanpassung Viele Preise haben – sofern es keine vergleichbare Problemlösung gibt oder die eigene besser ist – nach oben etwas Luft. Nutzen Sie dieses. Bei jeder Produktverbesserung ist ebenfalls der Preis nach oben anzupassen. Die meisten Unternehmen hinterfragen zwar den Preis bei verlorenen Kundenbeziehungen oder nicht erhaltenen Aufträgen. Nur: Welches Unternehmen stellt umgekehrt die Frage bei erhaltenen Aufträgen: »War der Preis zu niedrig angesetzt? Wie viel höher hätte der Preis sein können, um immer noch den Auftrag zu erhalten? Wurde Preispotenzial verschenkt?«. Dieses sollte ebenso Pflicht sein. Neben kleinen Preisanpassungen ist zu überlegen: Wie muss die Lösung sein, damit der Kunde mindestens 50 Prozent mehr zahlt? So haben es Starbucks und Apple vorgemacht. Sie haben eine ganz neue Kategorie geschaffen, um das Bedürfnis auf eine ganz andere Art und Weise zu befriedigen, damit keine Preisvergleiche mehr möglich sind. »Den Elefanten essbar machen« Wenn der Preis für den Einmalkauf zu hoch erscheint, dann zerlegen Sie das Produkt in Einzelteile. Dieses wird häufig bei vielen Sammelobjekten wie Figuren aus Überraschungseiern oder Panini-Fußballbildern vorgenommen, wenn dem Kunden einige Figuren beziehungsweise Bilder mehrfach vorliegen, andere jedoch immer noch fehlen. Für den späteren insgesamt gezahlten Preis, um die Serie komplett zu haben, hätte fast keiner am Anfang gekauft. 182 Praxishandbuch Produktentwicklung Der Preis muss nicht für alle Kunden akzeptabel sein Suchen Sie nicht den Preiskorridor der Masse, sondern den Korridor, in dem mit dem Preis der höchste Gewinn erzielt werden kann. Produkte einbeziehen, die das gleiche Problem lösen Kunden vergleichen den Preis nicht nur mit den Produkten derselben Kategorie, sondern darüber hinaus auch mit ganz anderen Produkten, die dasselbe Problem lösen. Ist das komplette Alleinstellungsmerkmal für Ihr Produkt nicht gegeben, sind somit die Preise der konkurrierenden Lösungen einzubeziehen. Sichten Sie hierfür nicht nur die Lösungen aus der eigenen Branche, sondern auch aus Branchen, in denen die Produkte das gleiche Problem lösen. Der Autohersteller Ford hatte früher als Konkurrenz die Pferdekutsche, die ebenfalls als Fortbewegungsmittel für mehrere Personen geeignet war. Er hat sich somit bei seiner Preisfestlegung an den Preisen für Pferdekutschen orientiert. Fluglinien dürfen nicht nur die Preise untereinander vergleichen, sondern müssen auch die Preise für Bahnfahrt und Auto einbeziehen. Gerade bei kurzen Strecken ist die Zeitersparnis für Flüge gering und die anderen Verkehrsmittel sind eine Alternative. Bietet das eigene Produkt Unterschiede gegenüber den Wettbewerbsprodukten, so kann die folgende Formel eingesetzt werden: Festzulegender Preis für das eigene Produkt = Preis eines vergleichbaren Produkts + Zusatzwert des eigenen Produkts durch Differenzierung – Wert der Differenzierung des Konkurrenzprodukts. Die Werte der Differenzierungsmerkmale aus Kundensicht können nur durch Gespräche mit den Kunden und durch Beobachtung der Kunden erfahren werden. Die Motive der Preisfestsetzung bei den Wettbewerbern erfahren Der eigene Preis ist nicht blind an dem der Konkurrenz auszurichten. Die Motive für die Preisfestsetzung der Konkurrenz müssen vorab analysiert werden, um diese einzuschätzen und entsprechend reagieren zu können. Mögliche Motive zur Preisfestsetzung beim Wettbewerber sind unter anderem: Preisfindung 183 • blindes Haschen nach Marktanteilen, egal mit welchen Folgen; • das Produkt ist nur Lockangebot, ohne Ziel des Gewinns. Die Hoffnung ist, später bei den Kunden mit Nachfolgeprodukten einen Gewinn zu erzielen; • der Anbieter will mit aller Kraft in den Markt; • das Unternehmen soll verkauft werden. Es zählt, die »Braut schön zu machen«; • der Mitbewerber hat sich verkalkuliert (was nie auszuschließen ist); • der Mitbewerber hat eine andere Kostenstruktur. Für unterschiedliche Bedürfnisse verschiedene Produkte zu unterschiedlichen Preisen Wenn Sie in Ihrem Marktsegment einige Untersegmente mit differierenden Bedürfnissen haben, kann es sinnvoll sein, unterschiedliche Ausführungen zu unterschiedlichen Preisen anzubieten. Bei nur einem Preis wäre der Effekt, dass einige Kunden nicht kaufen, da das Produkt im Verhältnis zum Nutzen zu teuer ist. Andere Kunden hätten jedoch auch noch mehr gezahlt, da der Nutzen für sie sehr hoch ist. Hier wird bei gleichen Ausführungen Geld verschenkt. Die Kunst besteht darin, den maximalen Preis pro Kunde zu erzielen. Hier bieten sich Unterschiede zum Beispiel im Nutzungsumfang (gleiches Produkt, jedoch je nach Umfang der Freischaltung unterschiedliche Preise), im unterschiedlichen Funktionsumfang oder unterschiedliche Preise je Bestellweg/Serviceumfang/Servicegeschwindigkeit/Garantie sowie bei unterschiedlicher Finanzierungen (Raten) an. Manchen Kunden reicht die Minimalversion ohne Service, für andere gehört das Produkt zu den »lebenswichtigen« Dingen, es muss jederzeit zu 100 Prozent funktionieren. Somit haben Sie je Variante unterschiedliche Herstellungskosten, wodurch unterschiedliche Preise jeweils rentabel sein können. Veröffentlichen Sie eine Preisgarantie – und halten Sie diese auch ein So wird es im bereits erwähnten Seminar- und Tagungshotel Schindlerhof in Nürnberg gemacht. In der Preisliste im Prospekt und an allen Orten im Hotel, an denen der Kunden auf die Idee kommen könnte zu feilschen, steht: »Liebe Gäste und Freunde unseres Hauses! Wir garantieren Ihnen, 184 Praxishandbuch Produktentwicklung dass niemand unsere Gastfreundschaft zu einem anderen Preis erhält als Sie! Mit gastfreundlichen Grüßen, Renate und Klaus Kobjoll.« Sie werden sehen: Die Anzahl der Rabattanfragen geht drastisch zurück. So lange die Kunden wissen, dass alle den gleichen Preis zahlen, sind sie zufrieden und kommen nicht so sehr auf die Idee zu feilschen. Positionieren Sie Ihre Preisgarantie an jeder Stelle, an der Ihre Kunden auf »dumme Gedanken« kommen könnten. Drucken Sie die Preisgarantie auf die Rückseite Ihrer schriftlichen Angebote, hängen Sie diese in Ihren Verkaufsräumen aus und so weiter. Kunden versuchen zu feilschen, wenn • sie erahnen, dass es Aussicht auf Erfolg hat; • sie erahnen, dass andere Kunden für das Produkt weniger bezahlt haben beziehungsweise bezahlen werden; • der Preis höher ist als der Nutzen für den Kunden; • es ein vergleichbares Produkt bei einem Mitbewerber zu einem günstigeren Preis gibt. Es liegt in Ihrer Hand, diese vier Ansätze von Beginn an zu entschärfen. Wie wichtig ist der Preis wirklich? Prüfen Sie, wie hoch der Anteil der Kosten Ihres Produkts an den Gesamtkosten bei Ihren Kunden ist. Meist beträgt der Anteil Ihres Produkts unter 10 oder gar weit unter 1 Prozent seiner Ausgaben. Dann beeinflussen Ihre Produktpreise und Preisanpassungen auch nicht den Erfolgsfaktor Ihrer Kunden. Der Einkaufspreis stellt lediglich bei Einkäufern einen Erfolgsfaktor dar, da diese als Hauptaufgabe haben, so günstig wie möglich Produkte zu beschaffen. Beziehen Sie Ihre Mitarbeiter mit ein Verdeutlichen Sie Ihren Mitarbeitern, welche Negativspirale durch Preissenkungen und Rabatte ausgelöst wird. Geben Sie Anti-Rabatt-Prämien (Umsatz zum Listenpreis) oder zum Deckungsbeitrag, keine Provisionen zum Gesamtumsatz. Nur auf den Umsatz ausgerichtete Prämien fördern Rabatte, wenn der Kunde zögert. Und zahlen Sie Prämien anhand einer erzielten Wiederkaufsrate. Denn nur wenn der Kunde richtig beraten, das Produkt nicht aufgeschwätzt wurde und er zufrieden ist, kauft er wieder. Preisfindung 185 Geistreiches und Zitiertes »Wenn möglich, wenden Sie Value Pricing an. Aggressives Pricing lohnt sich nur, wenn Ihre Kosten dauerhaft niedrig sind.« Hermann Simon »Es gibt grundsätzlich die Chance, mit niedrigen Kosten und Preisen erfolgreich zu sein. Aber nur wenige Unternehmen sind dieser Herausforderung gewachsen. Wer mit niedrigen Preisen Geld verdienen will, muss seine gesamte Strategie (Produktion, Marketing, Kultur) auf Sparsamkeit trimmen und seine Kunden verdammt gut kennen.« Hermann Simon »In a competitive war, the atomic bomb and price are subject to the same limitation. Both can only be used once.« Hermann Simon »Value-to-Customer ist die entscheidende Determinante des Preises. Deshalb kommt es darauf an, den Value-to-Customer tiefgründig zu verstehen und präzise zu messen.« Hermann Simon »Wer nichts besser tut als andere, muss sich nicht wundern, wenn er austauschbar und erpressbar ist und sich auf einen heillosen Preiskampf einstellen muss.« Kerstin Friedrich in Erfolgreich durch Spezialisierung »Menschenkenner haben immer gewusst, dass man den Leuten eine teure Sache leichter verkaufen kann als eine billige.« William Somerset Maugham »Preispolarisierung: Gewinnen Sie, indem Sie Ihre Preise nach oben katapultieren oder in den Keller schicken.« Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking »Es stimmt nicht, dass die Kosten die Preise bestimmen. Die im Markt erzielbaren Preise definieren die Kosten, die man sich leisten kann« Rainer Megerle »Wir müssen am Standort Deutschland immer so viel besser sein, wie wir teuer sind.« Rupert Stadler 186 Praxishandbuch Produktentwicklung »Die teure Hose kommt vom Markenhersteller. Deshalb löst sie im Gehirn eine ähnliche Reaktion aus wie ein Drogenrausch.« FAZ, 18.11.2007 im Artikel »Warum gibt es Jeans für 9 und für 900 Euro?«. »Es gibt viele Gründe für Kunden einen höheren Preis zu bezahlen … allerdings muss ein Unternehmen diese auch bieten.« Cay von Fournier »Billigangebote sind die letzte Möglichkeit eines Produktentwicklers oder Marketingexperten, dem die Ideen ausgegangen sind.« Seth Godin in Purple Cow »Wo kein Reiz, da regiert der Geiz.« Klaus-Dieter Koch in Reiz ist geil »Der Preis ist tot. Als alleiniges Differenzierungsmerkmal hat er definitiv ausgedient, das ist vorbei.« David Bosshart »Wenn Sie den Preis mit der Zahl 2 multiplizieren, könnte ich Ihnen einen Rabatt von 50 Prozent geben.« unbekannt »Nichts ist so erotisch wie hoher Nutzen zu sündhaft hohen Preisen.« Reinhard K. Sprenger »Die Kunden werden in dem Maße für ›Billiganbieter‹ empfänglich sein, wie die Marktführer ihnen kein klares Gegenargument liefern.« Tom Peters in Re-imagine »Viele Bauherren haben es sich zur Gewohnheit gemacht, Prominenten besondere Konditionen einzuräumen; für mich ist das ein Zeichen von Schwäche.« Donald Trump in Trump. Die Kunst des Erfolges »Die einfachste Regel für den Verkauf heißt, dass man mehr verlangt. Mehr als man vorher bekommen hat, mehr als der Kunde meint, mehr als Sie selbst in Ihrer Unsicherheit zu verdienen glauben.« Bob Fifer in Was zählt ist der Gewinn Preisfindung 187 »Smarte, bedienerfreundliche Produkte. Punktgenaue Dienstleistungen. Wohldesignte Erlebnisräume. Authentische Wellness- und Selfness-Landschaften. Wetten, dass Kunden dafür jede Menge Geld bezahlen würden? Wenn man es ihnen denn anböte.« Matthias Horx »Im Luxussegment darf man auch mit nichts und niemandem vergleichbar sein.« Wendelin Wiedeking »Wer keine deutlichen, schwer kopierbaren und dauernd beweisbaren Wettbewerbsvorteile aufweist, kann den Wettbewerb nur über den Preis führen.« Klaus Kobjoll »Während Strategien für Nischenmärkte und höherwertige Produkte zunehmend Trumpf sind, können Hersteller mit Niedrigkosten erfolgreich sein. Ein von Zaudern diktierter ›Mittelweg‹ führt meist in die Katastrophe.« Tom Peters in Kreatives Chaos »Das unprofilierte Mittelfeld der Branche gerät unter Druck und wird morgen oder übermorgen verschwunden sein.« Holger Zwink »Niedrige Preise und hohe Gewinne kommen selten zusammen.« Peter F. Drucker »Preise senken kann jeder. Aber man braucht Genialität, Zuversicht und Hartnäckigkeit, um eine Marke aufzubauen.« Jack Trout in Differenzieren oder verlieren »Wer vom Preis lebt, kann auch am Preis sterben – und das vor allem in einer Branche, in der es von virtuellen und realen Konkurrenten nur so wimmelt.« Jack Trout in Differenzieren oder Verlieren »Ware verschenken ist der sicherste Weg, Zeitfresser anzulocken und Geld für Leute auszugeben, die nicht gewillt sind, sich zu revanchieren.« Timothy Ferriss in Die 4-Stunden-Woche »Wir sind der Meinung, dass das Prinzip des kleinen Preises und das des kleinen Warenangebots untrennbar miteinander verbunden sind.« Theo Albrecht 188 Praxishandbuch Produktentwicklung »Sie sind ein Verbraucher der Post-Konsum-Ära. Sie haben alles, was Sie brauchen, und fast alles, was Sie haben wollen. Außer Zeit.« Seth Godin in Purple Cow »Guter Rat ist teuer. Aber nicht jeder teure Rat ist gut.« Hartmut Rau »Das Ziel eines gewinnorientierten Unternehmens ist jedoch nicht die maximale Differenzierung, sondern die Bereitstellung von Differenzierungskomponenten, die der Kunde nicht kostenlos bekommt, und zu deren Bezahlung er bereit ist.« Bob Fifer in Was zählt ist der Gewinn Preisfindung 189 Kapitel 10 Fokussierung: spitz statt breit Fragt man einen Unternehmer nach seinem Geschäftsfeld, erzählt er meist mit geschwellter Brust, dass er den gesamten Markt bedient und wie groß und vielseitig er ist. In der Realität wird so jedoch nur ein bisschen Nutzen für möglichst viele Kunden geboten. Der Preis ist in der Mitte, um nichts falsch zu machen. Der breiten Masse wird ein Einheitsprodukt geboten, was jedem – aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse – hier und dort etwas Nutzen liefert. In dieser Mitte verlieren fast alle Unternehmen nur Geld. Jedes Unternehmen hat nur ein gewisses Maß an Ressourcen zur Verfügung (die Mitarbeiter, die Kenntnisse, die finanziellen Mittel). Nun könnten diese auf viele Marktsegmente und viele Produkte verteilt werden. Das ist das Gießkannenprinzip: ein paar Tropfen für möglichst Viele. Nur blüht damit nichts auf. Besser ist es, die Mitte zu verlassen und eine eindeutige Position im Premium-Nischen-Segment zu beziehen. Lieber Hecht im Karpfenteich als Wal im Pazifik. Lieber Champion in der Nische sein, als Mitläufer im großen Markt. Das Discount-Massen-Segment können sich nur die großen Unternehmen mit einer dicken Finanzdecke leisten. Es ist für die meisten Unternehmen keine Alternative. Verzichten Sie auf Kunden Wem möchten Sie Ihre Produkte verkaufen? Nun sagen Sie bitte nicht »allen«. Mit dem Argument »Wir wissen ja nicht, wer in den Laden kommt und was er will« versuchen viele Anbieter, jedem etwas zu bieten und nach allen Seiten offen zu bleiben. Aber: »Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein«. Oder anders ausgedrückt: »Everybody’s Darling is everybody’s Depp«. Ein Unternehmen kann es nicht allen Menschen recht machen. Wenn ein Produkt für alle Kunden gleich gültig ist, dann ist es gleichgültig. Wenn Sie alle ansprechen wollen, dann fühlt sich keiner richtig angesprochen und alle hören weg. Wenn jeder der Kunde sein kann, 190 Praxishandbuch Produktentwicklung dann ist niemand der Käufer. Wenn ein Unternehmen hingegen 1 Prozent der Bevölkerung eine Träumlösung anbietet, dann sind dieses in Deutschland circa 800 000 Personen. Das reicht den meisten Anbietern als Marktsegment. Fallen jetzt noch die Grenzen durch das Internet (Informationen und Bestellung), so reichen Promilleanteile aus, um astronomische Marktsegmente zu selektieren. Bieten Sie nicht allen etwas, sondern wenigen viel (die komplette Bedürfnisbefriedigung). Verzichten Sie auf Kunden außerhalb Ihres engen Marktsegments und auf unrentable Produkte und setzen Sie die frei werdenden Ressourcen lieber anderweitig ein. Fokussieren Sie Ihr Unternehmen auf die profitablen Kunden. Gemäß dem Pareto-Gesetz werden mit 20 Prozent der Kunden/Produkte 80 Prozent des Umsatzes erwirtschaft. Die restlichen 80 Prozent tragen häufig noch nicht einmal zum Deckungsbeitrag bei. Mehr Kunden bedeuten nicht gleich mehr Gewinn. Konzentrieren Sie Ihre Zeit und Ihr Geld auf Ihre Topkunden, denen Sie mit Ihrer Spezialisierung einen herausragenden Nutzen bieten können und die auch bereit sind, dafür zu zahlen. Gewinne werden im Kerngeschäft erwirtschaftet. Produktentwickler sind Trüffelschweine: Sie greifen selektiv das Wertvollste heraus und lassen den Rest liegen. Sie werden immer feststellen, dass Ihr auf eine spitze Kundengruppe ausgerichtetes Produkt auch von anderen Personen gekauft wird. Lassen Sie es zu. Kunden am Rande oder außerhalb des Segments dürfen zwar bestellen und werden auch beliefert. Es ist aber zu beachten, dass diesen Randgruppen nicht ein optimaler Nutzen geliefert werden kann, die Werbekosten und der Servicebedarf überproportional hoch sind und der Umsatz gering. Entscheiden Sie, welche Kunden Sie haben möchten und welche nicht. Eine Kundengruppe, die über Jahre keinen Ertrag bringt, wird dieses mit größter Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht tun. In Unternehmen trennt man sich von Mitarbeitern, die nicht zum Unternehmen passen. Dieses Vorgehen ist bei den Kunden weitaus notwendiger. Verwässern Sie nicht Ihr Produkt, nur um eventuell noch weitere Kunden abgreifen zu können. Ihre Kernkundengruppe würde Sie abstrafen. Die notwendige Größe der Kundengruppe hängt ab von • • • • • Bestellquote; Rückgabeverhalten/Reklamationsverhalten; Preis; Anzahl der Käufe je Zeiteinheit; Zahlungsbereitschaft. Fokussierung: spitz statt breit 191 Wenn Sie eine hohe Bestellquote bei einem hohen bezahlten Preis haben, dann kann die absolute Kundengruppe auch sehr klein sein, um Gewinne zu erwirtschaften. Umsatz oder Rendite Wenn Sie Gewinn machen wollen, dann verabschieden Sie sich von der Fokussierung auf den Umsatz. Umsatz um jeden Preis, das heißt die Produkte an möglichst Viele zu verkaufen, bedeutet, dass Unternehmen an die Randbereiche gehen, Zugeständnisse im Preis machen und den Werbedruck erhöhen. Das sind drei Maßnahmen, die Umsatz bringen, aber die Kosten übersteigen den Umsatz häufig. Eine Wiederkaufrate ist hier außerdem sehr gering. Zum Wohle des Gewinns sollten die Unternehmen auf diese unprofitablen Kunden verzichten. Meist wird mehr Rendite durch weniger Umsatz und einen geringeren Marktanteil im Gesamtmarkt, jedoch ein weitaus höherer Marktanteil im Nischenmarkt erzeugt. Gegenüberstellung von spitzen und breiten Produkten Tabelle 18: Gegenüberstellung von spitz und breit Spitz Breit Anwalt als Spezialist für Verkehrsdelikte mit Trunkenheit Anwalt für alle Rechtsfragen Facharzt für Pollenallergiker Facharzt für Präventivmedizin Allgemeinmediziner Hotel für Erholungsurlaub von Erwachsenen ohne Kinder Hotel für Erlebnisurlaub von Eltern mit Kindern Hotel (Die meisten Ferienziele sind austauschbar geworden. Hunderte bieten Sonne, Strand und Meer mit Pool, Bar, Abendprogramm und Buffet. Eins ist wie das andere. Da geht es nur noch über den Preis) Vermögensverwalter für Vermögen ab 10 Millionen Euro mit Schwerpunkt Aktien in Ostasien Anbieter für die Zusatzrente im Alter für Angestellte im unteren Lohnsegment Finanzberater 192 Praxishandbuch Produktentwicklung Anbieter für Kreuzfahrtreisen in der Karibik Reisebüro Hersteller von Spülmaschinen für die Großgastronomie Hersteller von Spülmaschinen Einrichter für Arztpraxen Büroausstatter EDV-Systeme für Bekleidungsgeschäfte EDV-Kundenverwaltungen Aldi (wenig Artikel) Rewe, Edeka Einige Beispiele vertieft: • Zum Hausarzt gehen die Leute meist, wenn sie nicht ernsthaft erkrankt sind. Wenn doch, werden sie gleich zum Spezialisten überwiesen: innere Medizin, Orthopäde et cetera; • zu wem gehen Sie bei Rechtsstreitigkeiten? Zum »Wald und Wiesen«Anwalt um die Ecke, der morgens eine Scheidung vertritt, mittags einen Verkehrsunfall und am Nachmittag einen Einbruch? Oder zu dem, der sich auf Ihren Problemfall spezialisiert hat (zum Beispiel Erbschaftsangelegenheiten, Entzug des Führerscheins oder Urheberstreitigkeiten), sich dort einen Namen gemacht hat und andere Fälle gar nicht annimmt? Sie gehen wohl zu Letzterem. Mandanten akzeptieren nur Spezialisten und schreiben auch nur diesen die geforderte Kompetenz zu; • die Gegenüberstellung von Aldi und anderen Supermärkten verdeutlichen dieses noch mehr. Aldi hat ein enges Sortiment (circa 500 Artikel), ein Supermarkt in Deutschland über 10 000 Artikel im Markt. Die Brüder Albrecht, Gründer von Aldi, zählen laut Forbes-Statistik 2009 zu den zehn reichsten Menschen der Welt. Spitz bedeutet, dass das Produkt in seinem Nutzen fokussiert ist und nur einer kleinen Gruppe einen maximalen Nutzen liefert. Früher Früher ging es in Marketing und Vertrieb insbesondere darum, ein Produkt an eine möglichst große Gruppe zu verkaufen. Große Gruppen wurden gleichgesetzt mit großer Stückzahl. Es entstanden multifunktionale Massenprodukte. Was dabei herauskam, war ein kleiner Nutzen Fokussierung: spitz statt breit 193 für eine große Gruppe. Diese Produkte wurden von mehreren Anbietern produziert und waren austauschbar. Mit Me-too-Produkten zu wachsen geht jedoch nur in ebenfalls wachsenden Märkten und ist lediglich bei schwacher Konkurrenz möglich. Aus Mangel an guten Ideen für das Produkt wurden viele zusätzliche »Spielereien« zum Kernprodukt mitgeliefert. Das waren beispielsweise Clubkarten (zu welchem Nutzen auch immer), kostenlose 24-StundenHotlines oder ergänzende Tools. Das sind jedoch alles vergebliche Hilferufe, weil die Ideen zu einem wirklich passenden Produkt fehlen. Lassen Sie die Zusatzprodukte weg. Diese retten kein mäßiges Hauptprodukt. Heute Massenmarketing war gestern, Mikrokosmos ist heute. Speziell schlägt allgemein. Das Ende der »eierlegenden Wollmilchsau – tieftaucherfahren und höhenerprobt« ist längst vorbei. Die Welt sucht nach Spezialisten. Es geht in die Extreme: • »Aldisierung« vs. Luxus/Status; • rationale Problemlösung vs. Emotion/Erlebnis; • schlank um jeden Preis vs. Genuss. Und die Kunden von heute sind hybrid und hüpfen von einer Sekunde zur nächsten in das andere Extrem. Massenprodukte sind immer Kompromisse. Es muss für alle einigermaßen passen, individuelle Bedürfnisse müssen zurückgesteckt werden. Nur: Dem Kunden ist es egal, dass so ein »Kompro-Mist«-Produkt auch für andere interessant ist. Er will – und zahlt nur – für seine Traumlösung. Sie können als Anbieter nur Erfolg haben, wenn Sie aus der Sicht Ihrer Kunden etwas deutlich besser können und einen höheren Nutzen liefern als Ihre Mitbewerber. Den Generalisten wird dieses heutzutage nicht mehr zugetraut. Wer sich konzentriert, der wächst. Wer sich verzettelt, der schrumpft. Auch im Sport können nicht überall Spitzenleistungen erbracht werden: Die Sieger im Zehnkampf würden sich für die Einzeldisziplinen nicht einmal qualifizieren. Die Zehnkämpferunternehmen bieten eine breite Produktpalette mit universell einsetzbaren Produkten und werden in allen Segmenten von Spezialisten überholt. Spitzenleistung = spitz. Heute müssen die Produkte und die Unternehmen wendige Schnellboote sein, keine Ozeantanker. Letztgenannte brauchen auf dem Meer 194 Praxishandbuch Produktentwicklung mehrere Kilometer, um zum Stehen zu kommen beziehungsweise den Kurs zu ändern. Dinosaurier haben nicht überlebt, Insekten schon. Ein Schnellboot kann einem Eisberg ausweichen, die Titanic konnte es nicht. Für die Kunden ist das Beste gerade gut genug, denn sie sollen ja auch ihr Bestes geben: ihr Geld. Aber kein Unternehmen kann auf jedem Gebiet das beste Angebot liefern. Lieber in einem spitzen Segment die unangefochtene Nummer eins sein und Gewinne einstreichen, als in mehreren Bereichen Durchschnitt. Diese Produkte werden im Wettbewerb weggefegt. Jedes Ihrer Produktsegmente sollten Sie hinterfragen: Sind wir dort Marktführer oder können wir es werden? Bei General Electric unter der Leitung von Jack Welch galt die Maßgabe: entweder Marktführer (oder maximal die Nummer zwei), oder dieses Marktsegment verlassen. Um bemerkt zu werden, müssen Ihre Produkte bemerkenswert sein. Die Natur macht es vor In der Natur haben sich nie verschiedene Arten und Rassen zusammengetan. Umgekehrt haben sich die Arten über Spezialisierung voneinander getrennt. Wegen dieser Historie und weiterer Erfahrung ist auszuschließen, dass ein Verschmelzen der Technologien vonstatten geht. Technologien verbinden sich nicht, sondern es erfolgt die Teilung. Die Kombination von Auto und Boot (Amphicar) floppte wie so viele Kombiprodukte. Es war auf der Straße mehr ein Boot und im Wasser ein Auto. Und nicht etwa umgekehrt, wie von den Anbietern gewollt. Sie brauchen Produkte mit einem fokussierten USP wie ein Brennglas. Nur mit dem fokussierten Sonnen- oder Laserstrahl ist es möglich, Papier zu entzünden. Hier wird die ganze Energie auf einen Punkt konzentriert. Fokussieren Sie so, dass Ihr Kunde Feuer fängt. Nehmen Sie einen Bleistift und ein Blatt Papier. Versuchen Sie mit der stumpfen Seite ein Loch in das Papier zu bohren. Es geht nur mit größter Kraftanstrengung, und meist zerreißt dabei das ganze Blatt. Die Fläche der stumpfen Seite ist so groß, dass sich Ihre eingesetzte Kraft auf eine größere Fläche auf dem Papier verteilt. Mit der spitzen Seite hingegen haben Sie das Blatt mit geringem Kraftaufwand sauber durchbohrt. Hier haben Sie Ihre Kraft spitz eingesetzt beziehungsweise die Energie auf einen kleinen Bereich fokussiert. Physikalisch ist Druck gleich Kraft pro Fläche. Das heißt: je kleiner die Fläche, desto größer ist der Druck bei gleich bleibender Kraft. Richten Sie Ihre Produktentwicklung auf eine klar fokussierte, also spitze KundenFokussierung: spitz statt breit 195 gruppe aus und liefern Sie ihr ein spitzes Produkt: So schonen Sie Ihre Ressourcen und erhalten einen maximalen Erfolg. Warum nur diese Funktionitis? Die Hersteller sind meist so technikverliebt, dass sie so viele Funktionen in die Produkte einbauen wie irgendwie möglich. Sie gehen davon aus, dass die Kunden auf dem gleichen Niveau sind wie sie und sich genauso viel Zeit mit dem Produkt nehmen. Die Hersteller hoffen, mit den kleinen Zusatzfunktionen weitere Kunden anzusprechen. Statt ein Produkt auf eine fest umrissene Gruppe zu fokussieren (zum Beispiel Handy für den Manager), wird durch die Zusatzfunktionen erhofft, alle anzusprechen: Vom Kleinkind bis zum Senioren. Zu allem Überfluss kommt bei diesen überladenen Geräten auch noch die höhere Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls der wichtigen Funktionen hinzu, denn diese Hightech-Monster sind weitaus anfälliger als einfache Geräte. Breit funktioniert fast nie An folgenden Beispielen lässt sich gut erkennen, dass breit fast nie funktioniert: • Coca-Cola kaufte Colombia Pictures und verkaufte das Unternehmen sieben Jahre später wieder; • Chrysler kaufte Gulfstream Aerospace und verkaufte es fünf Jahre später; • der Einstieg von McDonald’s in die Hotelbranche war auch kein Erfolg; • Daimler hat seine Anteile an Chrysler nach neun Jahren wieder verkauft; • das goldene Zeitalter der Kaufhäuser ist vorbei, die großen Kaufhausketten sind in finanziellen Schwierigkeiten: Karstadt/Quelle, Macy’s (größtes Kaufhaus der Welt). Das ist das Problem: viele Angebote, neutrales Design. Keiner fühlt sich so richtig angesprochen; • Partnerbörsen im Internet als Sammelbecken für alle sind out. Es muss schon das Portal für Tierliebhaber, Golfer, U30, Ü30 oder Vegetarier sein. Diese Entwicklung werden auch die Sammelportale wie StudiVZ, Xing et cetera in den nächsten Jahren bemerken. 196 Praxishandbuch Produktentwicklung Kunden wollen Spitzenprodukte vom Marktführer, keine Kombi-Dinos vom Mittelmaß. »Big is beautiful« war gestern – wenn überhaupt. Heute zählt »Small is the new big« (so lautet auch ein Buchtitel von Seth Godin). Weitaus mehr als die Hälfte der Unternehmensfusionen scheitern und werden zum Minusgeschäft. Synergien sind ein Traum, der sich nicht erfüllt. Die oben Genannten sind nur sechs Beispiele aus einer Vielzahl von Diversifikationsversuchen (beziehungsweise Verzettelungen). Nimmt man weitere Käufe und Verkäufe hinzu und vergleicht die Zeitspannen, so fällt auf, dass meist nach sechs Jahren der Wiederverkauf erfolgte. Diese sechs Jahre reichen anscheinend aus, um festzustellen, dass sich der Kauf nicht gelohnt hat und auch zukünftig nicht rentabel sein wird. Der Mensch ist täglich über 5 000 Werbereizen ausgesetzt. Um als Mensch überleben zu können, wird Unwichtiges herausgefiltert und nicht im Bewusstsein wahrgenommen. Durchschnittlicher Nutzen fällt hierbei unter Unwichtiges und geht in der Masse unter. Nur das, was für den Menschen sehr relevant ist, wird wahrgenommen. Wer allen alles bieten will, setzt sich zwischen die Stühle und liefert im optimalen Fall Durchschnitt. Es gibt nicht den Durchschnittskunden wie Lieschen Müller oder Hans Mustermann, der so ist wie alle circa 80 Millionen Bundesbürger. Einheitliche Bedürfnisse gibt es nicht. Ebenso ist es unmöglich, dass ein Produkt in allen Eigenschaften besser als die Konkurrenz ist. Die eierlegende Wollmilchsau versinkt in der totalen Langeweile. Zum Beispiel sind die Anforderungen an einen Fotoapparat grundverschieden: • • • • • Unfallaufnahmen zu Beweiszwecken; Schnappschüsse im Urlaub; die neueste Technik (für Early Mover); Bilder für das Wohnzimmer; Profiaufnahmen. Das sind mindestens fünf unterschiedliche Produktkategorien. Spitz funktioniert schon häufiger Auch hierfür einige Beispiele: • Starbucks: Wenn eine Innenstadt erschlossen wird, dann komplett (viele Stores in kleinem Umkreis) oder gar nicht. In Hamburg gibt es Fokussierung: spitz statt breit 197 Starbucks erst seit wenigen Jahren. Dann aber wurden gleichzeitig in der Innenstadt vier Restaurants im Umkreis von 100 Metern eröffnet. Allein in Manhattan gibt es circa 150 Stores. Mit dieser Vorgehensweise wurde Starbucks zum Weltmarktführer; • American Girl Bookstore: ein ganzes Büchergeschäft nur für Mädchen. Der Laden ist voll und Jungs machen einen großen Bogen darum; Abbildung 16: American Girl Bookstore • Rice to riches (www.ricetoriches.com): ein auf Milchreis spezialisierter Lieferservice in New York. Im Angebot ist nur Milchreis in verschiedenen Geschmackssorten; • Max Brenner (www.maxbrenner.com): eine Kette von Schokoladenrestaurants in den USA, Singapur, Israel, Australien und den Philippinen. Neben einer Vielzahl an Schokoladenspeisen (Fondue, Waffeln et cetera) gibt es auch eine kleine Speisekarte mit Salaten und Snacks. Nicht 100-prozentig spitz, jedoch zu 80 Prozent und einmalig auf der Welt. Ab dem Nachmittag ist eine Wartezeit von mindestens 30 Minuten einzuplanen – und das jeden Tag, Reservierungen werden nicht angenommen. Es erfolgt eine vertikale Spezialisierung rund um Schokolade: Restaurant, Außer-Haus-Verzehr, Lieferservice, Shop mit Kochbuch, Zutaten für die eigene Zubereitung, fertige Produkte und Geschirr. Alles dreht sich nur um Schokolade. Andere Restaurants bieten auf Ihrer Karte verschiedene Fischgerichte, Rind, Wildfleisch, Grillteller, Sushi, Pasta und orientalische Gerichte – und bleiben meist leer. 198 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 17: Schokoladen-Shop von Max Brenner Abbildung 18: Klassisches Menü mit Schokoladen-Fondue bei Max Brenner Fokussierung: spitz statt breit 199 Abbildung 19: Schokoladen-Restaurant von Max Brenner • mymuesli (www.mymuesli.com): Versandservice für Müsli. Der Kunde stellt sich online sein individuelles Müsli aus der Vielzahl an Zutaten zusammen; • Paul Neal Adair (genannt Red Adair) galt zu Lebzeiten als der bestbezahlte Feuerwehrmann der Welt. Er spezialisierte sich auf Erdgasund Erdölbrände. Mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen hatte er eine große Erfolgsquote und musste dafür nur geringe Risiken eingehen. Aufgrund der großen Schäden, die diese Brände bei seinen Kunden auslösten, zahlten sie ihm pro Auftrag häufig Millionenbeträge, wenn er nur die Brände schnell wieder löschte; • New York Cat Hospital (www.newyorkcathospital.com): Krankenhäuser für Haustiere sind scheinbar zu breit, es muss schon ein Krankenhaus nur für Katzen sein. 200 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 20: Ein Krankenhaus nur für Katzen • Ein Tierarzt für alle Krankheiten der Haustiere ist wohl auch noch zu unspezifisch. Ein Tierarzt aus Hamburg hat sich auf den Bereich der Kardiologie bei Haustieren spezialisiert. Hundeinbalance (www.hundein-balance.de) bietet als Praxis Physiotherapie speziell für Hunde; • Just Bulbs – The light bulb store in New York (www.justbulbsnyc.com): Glühlampen in allen Voltangaben, Materialien, Farben und Ländermaßen; • Volvo: gilt als nicht gerade formschönes Auto, hat jedoch seit Jahrzehnten das Prädikat »Sicherheit« in den Köpfen der Menschen verankert; • M&M’s (www.mymms.com): In New York, Orlando und Las Vegas gibt es ganze M&M’s-Welten auf mehreren Etagen. Süßwaren, Plüschtiere, Tassen et cetera. Alles dreht sich nur um die Schokolinsen. Da ist kein Platz für andere Produkte; Fokussierung: spitz statt breit 201 Abbildung 21: M&M’s in New York auf drei Etagen 202 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 22: M&M’s so weit das Auge reicht • • • • • Psychopharmaka für Katzen; Versicherungen/Altersvorsorge für Künstler; Telefone für Senioren; Benimmkurse getrennt für Kinder, Erwachsene und Senioren; Friseur getrennt für Kleinkinder, Jugendliche und Senioren. Den garantierten Weg zum Erfolg kann Ihnen keiner zeigen. Der garantierten Weg zum Misserfolg: es allen Recht machen zu wollen. Mögliche Produktausrichtungen Produktausrichtungen können sein: • multifunktional: ein Produkt, das alles kann (zum Beispiel »Ihre komplette Küchenhilfe«); • multifunktional + eine Funktion ausgebaut (»Das Küchengerät, speziell für …«); • spezialisiert auf nur einen Bereich (»Der Cocktailmixer«). Fokussierung: spitz statt breit 203 Varianten der Spezialisierung Spezialisierung auf Kundengruppen • • • • • Altersgruppen; Familienstand; Geschlecht; Beruf; Einkommen. Eine reine Kundenspezialisierung ist jedoch gefährlich, da hier in erster Linie die Segmentierungsmerkmale im Fokus stehen, weniger die Probleme der Kunden. Technologiespezialisierung Technologiespezialisierung ist die Spezialisierung auf ein bestimmtes Herstellungsverfahren. Wenn die Technologie durch eine bessere ersetzt wird, wird es eng. Rohstoffspezialisierung Hierunter versteht man die Spezialisierung auf einen bestimmten eingesetzten Rohstoff beziehungsweise eine Rohstoffgruppe. Das ist ebenso gefährlich wie die Technologiespezialisierung. Gerade in den Zeiten des rasanten Wandels sind diese Anbieter voll und ganz davon abhängig, wie lange die Materie beziehungsweise die Technik für die Kunden und die Lösung ihrer Probleme attraktiv ist. Wird das Problem auf einmal durch ein anderes Material oder eine andere Technik viel besser gelöst, bleibt der Umsatz aus. Produktspezialisierung Die Produktspezialisierung ist die Spezialisierung auf die Herstellung bestimmter Produkte, beispielsweise Öfen, Faxgeräte, Plattenspieler. Die Gefahr besteht dann, wenn es neue Produktkategorien gibt, die das Kundenbedürfnis besser lösen. Dann sind die auf Produkte spezialisierten 204 Praxishandbuch Produktentwicklung Unternehmen meist nicht flexibel genug. Ebenso wird mit der Produktspezialisierung nur ein Teil des Problems gelöst und nicht die ganzheitliche Lösung geliefert. Bei den oben genannten Produkten wäre ein Umstieg auf die Herstellung von Heizungen, Internet und CD/Download notwendig. Diese Gefahr lauert auch bei Dienstleistungen. Denn auch hier kann ein Markt wegbrechen. London drohte vor 150 Jahren im Pferdemist zu ersticken. Jedes der circa 50 000 Pferde produzierte täglich circa 10 Kilo Mist und über einen Liter Urin. Mit zunehmender Bevölkerungszahl kamen immer mehr Pferde hinzu. Wer den ganzen Mist aus der Stadt heraus gekarrt hat, hatte ein gutes Geschäft – bis das Auto das Pferd ersetzte. Vertriebsspezialisierung Bei Amazon kann online fast alles bestellt werden. Wenn es jedoch zukünftig einen von den Kunden bevorzugteren Weg gibt, muss Amazon sich umstellen. Preisspezialisierung Beispiele sind Aldi und www.guenstiger.de. Preisspezialisierung ist jedoch immer ein Wettlauf, da die Gefahr besteht, dass andere Anbieter noch günstiger sind. Kurzfristig können die oben genannten Spezialisierungen auf Kundengruppen, Technologien, Produkte et cetera ganz erfolgreich sein. Langfristig sollte jedoch die Ausrichtung auf die nächsten beiden Spezialisierungen erfolgen. Bedürfnisspezialisierung Die Unternehmen, die sich auf ein Problem und ein Bedürfnis (beispielsweise ein angenehmes warmes Zuhause) spezialisieren, haben bessere Chancen, einen Wandel zu überstehen. Diese Anbieter haben vielleicht früher Öfen hergestellt, dann Heizungen und bieten jetzt Solarenergie für Eigenheime an. Sie entwickeln ihr Angebot mit den sich veränderten Lösungen unabhängig vom Produkt und der Technologie und bieten so die zum jeweils aktuellen Zeitpunkt optimale Lösung. Es ist das Konzentrieren aller Kräfte und Ressourcen auf den wirkungsvollsten Punkt Fokussierung: spitz statt breit 205 bei den Kunden: seinen größten Wunsch beziehungsweise sein größtes Bedürfnis. Spezialisierung auf Grundbedürfnisse Erfolgt die Spezialisierung nicht auf ein Einzelproblem, sondern wird damit ein menschliches Grundbedürfnis befriedig, wächst das Unternehmen mit seinen Kunden mit und passt sich permanent an. So bleibt das Unternehmen für seine Kunden ständig attraktiv. Hierzu gehören Bedürfnisse, die sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern werden, zum Beispiel die eigene Gesundheit und die Kommunikation der Menschen untereinander. Die Übergänge zu der Spezialisierung auf Bedürfnisse sind fließend. Kombination von Spezialisierungen Hierunter fällt zum Beispiel die Bedürfnisspezialisierung auf eine klar eingegrenzte Kundengruppe. Dieses ist meist der erfolgreichste und somit profitabelste Weg. Nachfolgend einige Beispiele: • Der Anwalt Matthias Prinz vertritt erfolgreich Prominente bei Verleumdungen; • Eine Berufsunfähigkeitsversicherung für freiberufliche männliche Außendienstmitarbeiter in der gehobenen Gehaltsklasse im Alter von 30 bis 50 Jahren; • Wohnungsrenovierung im Altbau bei alleinstehenden Frauen zwischen 50 und 70 Jahren. Vorteil von spitz statt breit (sowohl bei der Kundenauswahl als auch beim Produktnutzen) • Es ist einfacher, sich deutlich positiv von der Masse abzuheben; • ein Angriff auf »wehrlose« diversifizierte Unternehmen ist möglich; • Fehlinvestitionen werden schneller bemerkt und halten sich im Rahmen; • eine Marktführerschaft ist in der Nische eher und einfacher zu erreichen. Beispiele dafür liefert Herman Simon in seinen Büchern Hidden 206 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • • • • • • • • • • • • Champions sowie Hidden Campions des 21. Jahrhunderts. Hier werden Unternehmen mit ihrer Marktpositionierung aufgeführt, die zwar uneingeschränkter Marktführer sind, die jedoch fast keiner kennt; tiefgreifendes Wissen über die Bedürfnisse der Kunden in der Nische ist einfacher sich anzueignen; spitz = maximaler Nutzen. Es ist eine bessere Möglichkeit, das Produkt genau auf den Bedarf der engen Kundengruppe zuzuschneiden (bis hin zu Individuallösungen); maximaler Nutzen (und höhere Produktpreise) können durchgesetzt werden. Somit folgt mehr Gewinn; es erfolgt ein größerer Lernerfolg für den Anbieter in kurzer Zeit, da man sich auf nur einen schmalen Bereich konzentriert; Marketing und Werbung sind auf eine spezielle Kundengruppe ausgerichtet, was höhere Bestellquoten zur Folge hat; es entstehen geringere Werbekosten, um ein Produkt im Nischenmarkt einzuführen, weil es weniger Streuverluste gibt. Spezialisten zielen, Generalisten können nur streuen und hoffen. Die für Massenmärkte notwendigen Millionenbeträge können sich nur wenige Unternehmen leisten; es gibt wenig Konkurrenz. Nischen für Großunternehmen sind meist zu klein und aufgrund der Firmenstruktur oft unrentabel; weniger Reklamationen und Rückgaben; mehr Wiederkäufer und größere Kundentreue, da eine höhere Kundenzufriedenheit gegeben ist; eine höhere Produktivität aufgrund der Spezialisierung; die Produkte werden wahrgenommen. Somit bestellen die Kunden teilweise von sich aus ohne Werbedruck; die Produkte ragen heraus, sodass Kunden zum Wechsel von anderen Herstellern bereit sind; ein Spezialist kann der Erste im Nischenmarkt sein; Sie sind im Bewusstsein der Kunden an erster Stelle. Das gilt nur jeweils in engen Bereichen. Überall top of mind geht nicht; ein Wachstum ist auch in rückläufigen Branchen möglich. Was sind Spezialisten? Spezialisten bieten Spitzenleistung. Sie machen gewöhnliche Dinge außergewöhnlich gut. Sie haben sich auf Weniges konzentriert, um dort herausragend zu sein. Mit dem Aufbau des Alleinstellungsmerkmals in einem Fokussierung: spitz statt breit 207 Bereich wurde gleichzeitig entschieden, in anderen Bereichen nicht an der Spitze zu sein. Es wurde der Bereich ausgewählt, in dem den Kunden mit einem großen Vorsprung ein Mehrwert geliefert werden kann. Der Kundenwunsch zur Individualität »Unterm Strich zähl ich« ist der Slogan der Post. Für individuelle Lösungen ist der Kunde bereit, den doppelten Preis und noch mehr gegenüber der festgelegten Version von der Stange zu zahlen. Es zählt der funktionale und symbolische Nutzen (Anhebung des eigenen Egos durch ein einmaliges Produkt). Dieses soll die eigene Einmaligkeit verstärken und verdeutlichen. Nutzen Sie die Losgröße 1. Durch neue Produktionsmethoden sind Individualproduktionen in vielen Branchen bezahlbar. Modular aufgebaute Produktionsmethoden (Mass Customization) können da eine große Hilfe sein. Gegebenenfalls kann der Kunde das Produkt abschließend noch seinen weiteren individuellen Bedürfnissen anpassen. Der Kunde ist so kein passiver Konsument, sondern ein Mitproduzent. Bereits seit Jahren geschieht dies im Softwarebereich: Jeder User bestimmt, welche Funktionen und Inhalte eines Programms auf seinem Computer installiert werden. Auf dem Handy wählt jeder sein Hintergrundbild und seinen Klingelton selbst aus, letztgenannter wird teilweise selbst komponiert. Oder der Kunde gibt bei der Bestellung seine Varianten ein und in Echtzeit wird seine Maßlösung produziert. Der Grad der Individualisierung ist jeweils ein Kompromiss zwischen den Freiheitsgraden des Kunden und den Kosten der individuellen Herstellung. Überlegen Sie, wo Sie individualisieren und Produkte veredeln können. Denn die Massenproduktionen können die sogenannten Billiglohnländer besser und kostengünstiger. Polarisieren Sie mit spitzen Produkten Um in der Informationsflut wahrgenommen zu werden, haben die Unternehmen am meisten Erfolg, die polarisieren und die tote Mitte verlassen. Ein Produkt darf alles sein, außer egal! Die nervigsten Spots polarisieren und werden so von allen wahrgenommen. Oder fanden Sie den Melitta208 Praxishandbuch Produktentwicklung mann etwa toll und die Werbung anspruchsvoll? Das Gegenteil von Liebe in einer Zweierbeziehung ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Solange in der Beziehung noch Teller fliegen, sind Gefühle und Emotionen vorhanden. Es ist besser, wenn 80 Prozent der Menschen Ihr Unternehmen hassen, und 20 Prozent es lieben, als dass Sie 100 Prozent egal sind. Gleichgültigkeit führt nie zum Kauf. Dann konzentrieren Sie sich bitte auf die 20 Prozent, die Sie lieben. Denen liefern Sie das Traumprodukt. Die, die Sie hassen, können Sie maximal dazu bringen, dass Sie ihnen egal sind. Zu Ihren Kunden wird diese Gruppe nie gehören. Versuchen Sie nie, Gegner zu bekehren. Und diejenigen, denen Sie egal sind, werden auch nichts von Ihnen kaufen. Schaffen Sie Liebhaber und Gegner Ihrer Produkte. Wer will schon etwas, das – meist zu einem günstigen Preis – alle haben. Die Liebhaber geben Unmengen mehr an Geld aus. Fast alle lehnen McDonald’s ab, lesen nie die Bild-Zeitung und fanden die Benetton-Werbung mit den Bildern von Aids-Kranken und Kriegsbildern abschreckend. Und trotzdem hat sich McDonald’s auf der ganzen Welt mit einem engen Filialnetz ausgebreitet. Bild ist die Tageszeitung mit der höchsten Auflage in Deutschland. Und die Benetton-Werbung haben viele gesehen und die meisten erinnern sich noch daran. Je spitzer ein Produkt ist, desto größer ist die Anziehung beziehungsweise Abstoßung. Einige Kunden sind süchtig nach einem Produkt, andere würden es nicht nehmen, wenn sie noch Geld dazu bekämen. Hassen und Lieben ist Wechselstrom. Und Hochspannung entsteht nur bei großen Spannungsunterschieden. Gleichstrom ist Gleichgültigkeit und Langeweile ist die tote Mitte. Häufig provoziert die deutliche Ablehnung bei der einen Gruppe die Faszination bei der anderen. Denken Sie an FC Bayern München, Heino, Dieter Bohlen, Stefan Raab, Madonna, Tokio Hotel. Alle polarisieren und können so im Markt sehr gut bestehen. Sie haben auf der einen Seite Fans und glühende Verehrer, auf der anderen Seite aktive Gegner. Und trotzdem sind sie uneingeschränkte Marktführer. Vielleicht auch gerade deshalb, weil sie von der Mehrheit abgelehnt werden. Dieter Bohlen wurde bei der Vorstellung seines Buches Nichts als die Wahrheit auf der Frankfurter Buchmesse 2003 von einem Reporter entgegengehalten, dass nach einer Umfrage 96 Prozent der Bundesbürger sein Buch nicht kaufen würden. Antwort: »Toll. 4 Prozent kaufen es. Das sind bei 80 Millionen Deutschen 3,2 Millionen. Das wird der Bestseller des Jahres«. Über die literarische Qualität des Buches kann man sicherlich streiten. Es war jedoch – neben den Büchern von Naddel und der Frau von Harald Juhnke – das Hauptgesprächsthema dieser Buchmesse. Ähnlich ist es beim iPhone: Es wird Fokussierung: spitz statt breit 209 von vielen als technisch überholt und als zu teuer bezeichnet. Andere übernachten vor den Läden, um zu den ersten Käufern zu gehören. Es geht nicht um mögen oder nicht mögen, sondern um lieben oder hassen. Differenzieren und polarisieren Sie, oder Sie werden verlieren. Ihre Produkte müssen in Ihrem Marktsegment unwiderstehlich sein. Ob die anderen Ihr Produkt abstoßend oder skandalös finden, ist egal. Seien Sie mit Ihrem Produkt einzig, nicht artig. Polarisieren Sie beispielsweise dadurch, dass Sie Kunden ansprechen, die Extreme mögen: • • • • • • das schnellste Auto; die lauteste Stereoanlage; die schalldichtesten Fenster; die stärkste Zigarette; das stärkste Gewürz für Currywürste; die Geräte mit dem geringsten Verbrauch und so weiter. Diese Positionierung muss jedoch einen Nutzen für Ihre Kunden haben. Der Weg der Finanzierung Damit spitze Lösungen sich lohnen, müssen die Kunden zu Wiederkäufen bewegt werden. Dieses so in der Werbung gesparte Geld wird in die Produktentwicklung gesteckt. Das geht am besten mit begeisterten und immer wieder verblüfften Kunden, die zu Fans werden. Weiterhin ist das Ziel, so viele Kunden wie möglich zu erreichen, allerdings in einem engen Zielsegment, um einen großen Marktanteil zu haben und die individuellen Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. Das 4-Aktionenformat für eine neue Nutzenkurve3 Listen Sie alle Eigenschaften auf, die ein Produkt haben kann. Dann prüfen Sie, welche der Eigenschaften Sie eliminieren, reduzieren, steigern und kreieren: 3 Nach W. Chan Kim und Renée Mauborgne aus Der blaue Ozean als Strategie. Hanser 2005. 210 Praxishandbuch Produktentwicklung • eliminieren. Und zwar all das, was nicht zum herausragenden Nutzen für Ihr definiertes Marktsegment beiträgt. Eine aus Kundensicht überlegene Differenzierung von den anderen Produkten ist notwendig. Sonst wird nichts verkauft. Das bedeutet jedoch nicht nur Differenzierungen hinzuzufügen. Die Kunst besteht auch darin, teure Differenzierungsmerkmale zu streichen. Einfachheit ist die höchste Form von Raffinesse. Menschen beherrschen und benutzen von Elektrogeräten meist weniger als 50 Prozent der Funktionen, und seien sie auch noch so sinnvoll. Beim Handy sind es maximal 20 Prozent, bei Microsoft-Office-Produkten unter 5 Prozent. Menschen haben eine Abneigung gegen Verwirrendes. Sie lieben das Einfache, bei dem sie einen Überblick haben. Menschen möchten die Produkte beherrschen und nicht von ihnen beherrscht werden. Je mehr Funktionen ein Produkt hat, desto schwerer ist es für den Kunden zu verstehen und desto mehr geht der Kernnutzen unter. Und ein in allen Bereichen für alle Kundengruppen mit allen Funktionen optimiertes Produkt ist unbezahlbar, denn die Herstellungskosten bei Funktionen sind nicht skalierbar. Das heißt, der Ressourcenbedarf für weitere Funktionen steigt nicht linear, sondern meist exponentiell. Doppelt so viele Funktionen kosten meist mehr als das Dreifache. Jedoch sind die Kunden heute nicht mehr bereit, für Funktionen zu zahlen, die ihnen keinen Nutzen bieten. Ist der Preis aufgrund dieser nicht gewollten Differenzierungsmerkmale zu hoch, wechseln die Kunden zum Wettbewerber. Wenn nur die Anzahl der Funktionen erhöht wird, der Preis jedoch gleich bleibt, geht das zu Lasten der Rendite. Lassen Sie alles weg, was der Kunde nicht kaufen würde, wenn er für diese zusätzliche Eigenschaft/Funktion einen Aufpreis zahlen müsste. Das Streichen fällt vielen produktverliebten Entwicklern häufig viel schwerer als das Hinzufügen weiterer Merkmale. Wie in der Werbung und im Verkauf: Die Kunst des Weglassens entscheidet auch in der Produktentwicklung über den Erfolg. Zum Beispiel erhalten Fluggäste bei Ryanair und Germanwings nur gegen Aufpreis etwas zu essen und zu trinken. Dafür ist der Flugpreis entsprechend geringer. Die nur seltene Nutzung dieses kostenpflichtigen Verpflegungsangebots zeigt, dass die Verpflegung keinen Wert für die Fluggäste hat. Fehlende Zeitschriften an Bord sparen diesen Fluglinien zusätzlich die Entsorgungskosten nach dem Flug. Es gilt auch hier: Reduce to the max. Also weg mit Überflüssigem für das jeweilige Kundensegment. Machen Sie den Test: Wenn Ihr Produkt nur eine Eigenschaft haben dürfte, welche wäre das? Schreiben Sie Prämien für Ihre Mitarbeiter aus: Jeder, der etwas am Produkt findet, was aus Kundensicht überflüssig ist, erhält eine von Fokussierung: spitz statt breit 211 Ihnen bestimmte Prämie. Grundsätzlich gilt: Für jede neue Funktion bei einem Produkt muss eine bestehende gestrichen werden. Erstellen Sie bei Ihren Produkten nicht nur eine Liste mit Dingen, die Ihr Produkt können muss, sondern insbesondere eine »don’t do it anymore«-Liste. Auch bei den Funktionen gilt die Regel von Vilfredo Pareto: 20 Prozent des Inputs tragen zu 80 Prozent des Outputs bei. 20 Prozent der Funktionen eines Produkts tragen zu 80 Prozent zur Kaufentscheidung bei. Von diesen 20 Prozent tragen wiederum nur 20 Prozent zu 80 Prozent der Kaufentscheidungen bei. Das sind 4 Prozent der Funktionen zu 64 Prozent der Kaufentscheidung. Bei Produkten ist diese Regel meist noch stärker ausgeprägt: 1 bis 5 Prozent der Funktionen tragen zu 99 beziehungsweise 95 Prozent zur Kaufentscheidung bei. In Gesprächen mit den Kunden ist in Erfahrung zu bringen, welche 1, 5 oder 20 Prozent dieser Funktionen es sind. Verbinden Sie im Produktkonzept die Produkteigenschaften immer mit dem Nutzen. Hierfür hilft folgender Filter: »… (Produkteigenschaft), das bringt dem Kunden … (maximiert, erhöht, spart, ermöglicht, erleichtert, senkt, steigert, gewährt, sorgt für, schützt vor, verhindert, sichert).« Jede Produkteigenschaft muss den USP unterstützen und für den Kunden einen Nutzen haben. Alle anderen Funktionen sind zu eliminieren. Stellen Sie sich bei jedem Produktrelaunch die folgende Frage: Auf welche Funktionen würden wir heute verzichten, wenn wir sie nicht schon im alten Modell integriert hätten? »Keine« ist auf diese Frage die schlechteste Antwort; • reduzieren (im Verhältnis zu den Produkten Ihrer Mitbewerber). Das, was zwar enthalten, jedoch nicht so sehr ausgeprägt sein muss; • steigern (weit über den Branchenstandard hinaus). Machen Sie Differenzierungen und Zusätze nur dort, wo diese den Kunden wirklich Nutzen bringen und zu deren Bedürfnisbefriedigung beitragen. Und das nur in dem Umfang, für den die Kunden zu zahlen bereit sind; • kreieren (was in der Branche an Eigenschaften noch nicht üblich ist). Kreieren Sie das, was einen herausragenden Nutzen liefert. Entwickeln Sie Produkte mit einer anderen Wertedimension: Nehmen Sie einige Produkteigenschaften entlang der Wertekette hinzu und lassen Sie andere weg (das, was den Kunden nicht wichtig ist). Das könnte zum Beispiel ein Hotel ohne Wellness-Angebot, dafür aber mit Ausflugsplanung sein. Viele Produkte sind in der Gleichheitsfalle. Eine Möglichkeit zur Differenzierung wäre, in allen Parametern besser werden. Machen Sie das bitte nicht! Polarisieren Sie. Das, was dem Kunden in Ihrem Marktsegment nicht wichtig ist und worauf er verzichten kann, lassen Sie weg 212 Praxishandbuch Produktentwicklung (eliminieren); was nur wenig wichtig ist, reduzieren Sie; was wichtig ist, sollten Sie verstärken. Und was ein positives Alleinstellungsmerkmal bewirkt, nehmen Sie neu hinzu. Listen Sie alle Ihre Produkteigenschaften auf und fragen sich dann: Was würde passieren, wenn wir diese weglassen oder genau ins Gegenteil verwandeln? Viele bestehende Funktionen bewirken überhaupt nichts, außer Verwirrungen beim Kunden und hohe Herstellungskosten bei Ihnen. Kunden haben meist eine Scheu vor hoch technisierten Geräten. Es ist eher der Wunsch nach einfacher Bedienung vorhanden. Die Umsetzung Ihrer Differenzierung muss aus einem Guss sein. Dafür ist in Erfahrung zu bringen, aus welchen Gründen sich die Kunden für ein Produkt entscheiden und aus welchen Gründen nicht. Das Hinzunehmen bereitet weniger Probleme als das Eliminieren. Das Parkinson’sche Gesetz besagt, dass die scheinbare Wichtigkeit einer Aufgabe sich genau bis zu dem Punkt ausdehnt, wie Zeit und Ressourcen dafür zur Verfügung stehen. Dieses ist auch in der Produktentwicklung zu beobachten. Steht viel Geld zur Verfügung, dann werden die Produkte überfrachtet. Kürzen Sie das Budget für die Herstellung, um die Funktionen im Produkt auf das Wesentliche zu beschränken. Halbieren Sie das Budget, dann wird auf das Wesentliche reduziert. Hier wird Kreativität frei. Prüfen Sie bei jeder Funktion, in welchem Umfang diese die Kaufentscheidung beim Kunden beeinflusst. Was ist jede Funktion dem Kunden wert? Reduzieren Sie auch die Anzahl Ihrer Angebote, so wie es die Marktführer machen. Vom iPhone gibt es nur ein Modell (in drei Varianten der Speicherkapazität), vom iPod nur vier (in teilweise unterschiedlichen Farben und Speichergrößen). Den iMac gibt es nur in vier Varianten. Vergleichen Sie dieses enge Angebot mit anderen Handy- und PC-Anbietern. Bei der geringen Auswahl von Apple unterscheiden sich die Geräte so sehr, dass jeder Kunde genau das Produkt wählt, was er benötigt. Bei zu vielen ähnlichen Angeboten der anderen Anbieter haben Kunden immer wieder Angst, sich für das Falsche zu entscheiden. Spitz auch in der Fertigungstiefe Alles selber machen? Nein. Wenn es ein anderer besser kann (zum Beispiel Teile Ihres Produkts herzustellen), dann kaufen Sie ein. Sie veredeln und/oder übernehmen den Verkauf. Nike und Timberland produzieren Fokussierung: spitz statt breit 213 die Schuhe nicht mehr selbst. Diese Unternehmen übernehmen nur noch die Produktentwicklung und das Marketing. Die Produktion erfolgt nach deren Vorgaben bei anderen Herstellern. Die Kompetenz dieser Unternehmen sind die Produktentwicklung und das Marketing, nicht die Fertigung. Ein anderes Beispiel ist Nestlé mit Nespresso. Der Kaffee wird von Nestlé geliefert, die Geräte jedoch zum Beispiel von Miele, Krups und Siemens produziert. Betrachten Sie alle Stufen der Wertschöpfung als einzelne Bausteine und entscheiden Sie dann, was selbst gemacht wird und was in andere Unternehmen verlagert werden kann, die die einzelnen Schritte besser können. Wenn zu einer Problemlösung schon viele Anbieter konkurrieren, dann prüfen Sie, welche Folgeprodukte die Kunden benötigen. Konkurrieren Sie nicht mit anderen Restaurants, sondern bieten Sie einen BabysitterService, damit die Eltern den Restaurantbesuch genießen können. Konkurrieren Sie nicht mit den anderen Reiseveranstaltern, sondern bieten Sie Reiseutensilien. Vertreiben Sie keine Hardware, sondern Software für die Lösung der Hardwareprobleme. Am besten ist sicherlich, wenn Sie ein komplettes System anbieten. Hier sind Kooperationen mit anderen Anbietern zu prüfen. Der Weg zu »spitz« Der Weg besteht aus elf Schritten: 1.Auswahl einer konkreten Kundengruppe, für die Sie mit Ihren Stärken die brennendsten Probleme besser lösen können als der Wettbewerb. Lieber für eine abgegrenzte Gruppe Hoflieferant mit Spitzenprodukten sein, als für alle den Durchschnitt anbieten. Das Segment darf jedoch nicht so klein werden, dass kein Gewinn mehr erwirtschaftet werden kann; 2.prüfen Sie, ob auch Nichtkunden, Kunden der Konkurrenz und Kunden, die das Problem bis jetzt mit Produkten aus anderen Branchen gelöst haben, von Ihnen besser bedient werden können; 3.richten Sie Ihr Produkt als Punktlandung aus: Lösen Sie das brennendste Problem. Dann haben Sie hier einen großen Erfolg, statt in der großen Masse anonym mitzuschwimmen. Denn je kleiner die Nische ist, desto mehr und tiefergehende Informationen sind notwendig; 4.machen Sie keine Kompromisse. Gestalten Sie Ihr Produkt mit Ecken 214 Praxishandbuch Produktentwicklung und Kanten. Schrecken Sie einige Käufer ab, und gewinnen Sie andere Gruppen als echte Fans; 5.misten Sie aus. Gerade elektrische Geräte sind vollgestopft mit Knöpfen, Schaltern und Funktionen, die der Kunde nicht nutzt und deren Notwendigkeit er nicht sieht. Lassen Sie mit Ihrem Produkt nur das zu, was der Kunde wünscht. Erstellen Sie ebenfalls eine Liste: Was soll Ihr Produkt nicht können, welche Funktionen werden bewusst weggelassen? Sie sind nicht auf dem Hamburger Fischmarkt, wo immer noch ein Aal mehr in die Tüte gelegt wird, bis der Kunde dann endlich kauft; 6.prüfen Sie, ob Sie in diesem Marktsegment mit Ihrer Bedürfnisbefriedigung in naher Zukunft die Nummer eins oder Nummer zwei werden können. Wenn nicht, segmentieren Sie weiter und definieren Sie neue Märkte. Oder lösen Sie Probleme, die neben beziehungsweise hinter dem Hauptproblem des Marktsegments stehen. Lösen Sie Probleme, die bei der Nutzung von anderen Produkten auftreten. Dort gibt es meist noch keine Konkurrenz; 7. prüfen Sie, ob Sie die Ersten sind, die das Kundenproblem auf diese Weise lösen oder den Wunsch erfüllen. Den ersten Mann auf dem Mond (Neil Armstrong) oder den ersten Mann, der allein mit dem Flugzeug den Atlantik überquerte (Charles Lindbergh) kennen die meisten. Was machen Sie nun, wenn es in Ihrer Branche schon einen Ersten gibt? (Er)finden Sie eine neue Produktkategorie, um dort der Erste zu sein; 8.übernehmen Sie die Produktionsschritte, die Sie am besten können. In allen anderen Bereichen kooperieren Sie mit anderen Unternehmen; 9. bauen Sie das Angebot später in der Tiefe aus; 10.polarisieren Sie Ihre Werbung. Betonen Sie die Ecken und Kanten Ihres Produkts. Schaffen Sie ein klares Profil. Nur Nullen haben keine Ecken und Kanten. Sie haben in der Werbung nur wenige Sekunden, um potenzielle Kunden zu überzeugen. Da müssen Sie genau den Nerv treffen – und zwar rational und emotional; 11.bleiben Sie in Ihrer Nische – solange Sie Marktführer sind und dieser Bereich rentabel ist. Um zu wachsen, müssen Sie sich nicht diversifizieren. Wachstum können Sie auch erreichen, indem Sie zum Beispiel Ihr Angebot einer lokalen breiteren Kundengruppe anbieten. Haben Menschen im Ausland das gleiche Problem wie Ihre Kunden? Fokussierung: spitz statt breit 215 Geistreiches und Zitiertes »In einer emotionalen Ökonomie ist es besser, auf 90 Prozent der Menschen zu verzichten und das Interesse der restlichen 10 Prozent zu erregen, als für alle irgendwie okay zu sein … Einige Kunden freuen sich darüber, andere werden traurig oder wütend. Aber zumindest fühlen sie etwas.« Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever »Die Grundregel Nummer 1 des Erfolgs lautet demnach: Konzentration und Spezialisierung auf eine ganz bestimmte Zielgruppe und deren Probleme.« Kerstin Friedrich in Empfehlungsmarketing »Nur eine Marke mit schmalem Sortiment, wenigen Vertriebskanälen, einfacher wie transparenter Preisstrategie, eindeutiger Zielgruppe und polarisierender Kommunikation sichert langfristig hohen Ertrag.« Klaus-Dieter Koch in Reiz ist geil »Wenn Sie bemerkenswert sind, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass manche Leute Sie nicht leiden können.« Seth Godin in Purple Cow »Der Motor der Privatwirtschaft ist nicht Konvergenz, er heißt Teilung.« Al Ries in Die Strategie der Stärke »Konzentration ist der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg.« Peter F. Drucker »In Nachbars Garten sind die Kirschen immer größer als die eigenen. Manager glauben oft, sie hätten die Grenzen ihres Markts erreicht und sind daher bestrebt, etwas Neues auszuprobieren.« Al Ries in Die Strategie der Stärke »In einem Krieg wäre es Selbstmord, auf breiter Front anzugreifen. Die einzige Erfolg versprechende Strategie wäre ein Angriff auf schmaler Front. … In einem Wirtschaftskrieg gilt das gleiche Prinzip. Konzentration ist Stärke. Diversifikation ist Schwäche.« Al Ries in Die Strategie der Stärke »Zum Überleben auf jeder Stufe der Evolution gehört die Fähigkeit, aus dem überwältigenden Angebot von Milliarden von Signalen die wenigen lebenswichtigen Signale herauszufiltern« Rolf W. Schirm 216 Praxishandbuch Produktentwicklung »Nicht allen alles bieten, sondern wenigen vieles. Das ist Konzentration.« Adrian Stalder »Um eine Nutzeninnovation erreichen zu können, muss man dann entscheiden, welche Faktoren zu eliminieren und zu reduzieren sind – nicht nur, welche gesteigert und kreiert werden müssen –, damit eine divergierende Nutzenkurve entsteht.« W. Chan Kim und Renée Mauborgne in Der blaue Ozean als Strategie »Der Erste bekommt die Perle, der Zweite nur die Muschel.« Andrew Carnegie »In Gefahr und in der Not ist der Mittelweg der Tod.« unbekannt »Das größte Übel, das wir unseren Mitmenschen antun können, ist nicht, sie zu hassen, sondern ihnen gegenüber gleichgültig zu sein.« George Bernard Shaw »Alle wirklichen Unternehmenserfolge sind Konzentrationserfolge.« Fredmund Malik »Strategie heißt Spezialisierung.« Jack Trout in Trout über Strategie »Generalisten wie General Electric, so groß ihr Name auch sein mag, sind im Markt eher schwach.« Jack Trout in Trout über Strategie »Lebenskunst ist die Kunst des richtigen Weglassens.« Coco Chanel »Schaffen Sie mit Klarheit und Verzicht ein unwiderstehliches Angebot.« Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking »Es geht nicht darum, zu sammeln, sondern zu eliminieren. Es ist kein tägliches Anwachsen, sondern ein tägliches Abnehmen. Die Krone einer jeden Kultur ist die Schlichtheit.« Bruce Lee »Eitel ist es, mit mehr zu tun, was auch mit weniger getan werden kann.« Wilhelm Ockham Fokussierung: spitz statt breit 217 »Es ist nicht nur möglich, mehr zu erreichen, indem man weniger tut. Weniger zu tun ist auch die unabdingbare Voraussetzung dafür, mehr zu erreichen. Willkommen in der Welt des Eliminierens.« Timothy Ferriss in Die 4-Stunden-Woche »Die eigentliche Frage lautet nämlich: Besitzt man nicht nur die Disziplin, die richtigen Sachen zu tun, sondern auch die Disziplin, die falschen zu lassen?« Jim Collins in Der Weg zu den Besten »Es ist besser, auf einem Gebiet außerordentlich, als auf vielen Gebieten gut zu sein.« Jack Trout in Trout über Strategie »Fügen Sie nichts hinzu, ohne etwas wegzulassen.« John Naisbitt in Mind Set! »Um Wissen zu erlangen, füge täglich etwas hinzu, um Weisheit zu erlangen, entferne täglich etwas.« Lao Tzus »Vereinfachen bedeutet, man muss so lange streichen, bis man nichts mehr weglassen kann, ohne das Wesen zu verändern.« Dieter Brandes 218 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 11 Zukunftsmärkte Es gibt zwei große Marktsegmente, die von den Anbietern noch fast vollständig vernachlässigt, oder zumindest nicht so sehr in den Fokus gerückt werden, wie es in Anbetracht ihrer Bedeutung sein müsste. Diese beiden Märkte werden nachfolgend beschrieben. »Graue Revolution« Die demografische Entwicklung »Das alte Land«: Vor zehn Jahren hat jeder mit diesem Begriff noch das Obstanbaugebiet an der Elbe gemeint. Heute gilt dieser Begriff nicht nur für Deutschland, sondern für Westeuropa, Nordamerika und Japan, wo jeweils eine vergleichbare Entwicklung zu beobachten ist: Die Gesamtbevölkerung in Deutschland schrumpft, der Anteil an über 50-Jährigen nimmt jedoch sowohl prozentual als auch absolut in den nächsten Jahren zu. Vieles lässt sich nicht mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen, die Entwicklung der Alterspyramide allerdings schon. Hierzu einige Zahlen: • Bereits im Jahr 2010 sind circa 60 Prozent der Arbeitskräfte in Deutschland über 40 Jahre alt, über 40 Prozent der Deutschen über 50 Jahre alt; • das Durchschnittsalter in Europa wird für 2015 auf 44 Jahre geschätzt, bis im Jahr 2030 auf 47 Jahre; • 2030 wird es in Deutschland mehr als 22 Millionen Menschen über 65 Jahre geben; • der Altersquotient (Rentner auf 100 Erwerbstätige) wird bis 2030 auf circa 70 Prozent steigen; • bis 2050 steigt das Durchschnittsalter auf 50 Jahre, auf 100 Erwerbstätige kommen dann 77 Rentner. Personen über 50 Jahre haben durchschnittlich noch mehr als die Hälfte Zukunftsmärkte 219 ihres Erwachsenenlebens vor sich. Sie bilden jetzt und noch mehr in der Zukunft die Konsumentenmehrheit. Dieser demografische Wandel erfordert ein Umdenken. Und es reicht nicht, wenn die Werbung sich auf diese Generation einstellt. Es wird Zeit, dass die Produktentwicklung eine Ausrichtung vornimmt. Kein Markt wächst so schnell, und das mit 100-prozentiger Garantie. Zur Verschiebung der Alterspyramide kommt eine weitere Entwicklung hinzu: Immer mehr Beziehungen bleiben kinderlos. Im Jahrgang 1940 blieb nur eine Frau von zehn kinderlos, im Jahrgang 1965 waren es bereits drei von zehn. Auswirkungen Bestehende Produkte werden in Zukunft nicht mehr verkaufbar sein: Handys mit schlecht zu lesendem Display, kompliziert zu bedienende DVD-Player et cetera bleiben Ladenhüter. Senioren werden es nicht mehr akzeptieren, ein 500-seitiges Handbuch lesen zu müssen, um ungefähr mit dem Gerät umgehen zu können Keine Gruppe wächst so schnell und so sicher wie die Gruppe der heutigen Rentner. Rentner entscheiden Wahlen, denn es gehen mehr Menschen über 50 Jahre wählen als jüngere. Diese Entwicklung ist in allen westlichen Ländern zu beobachten. Jedoch ist keiner richtig vorbereitet: weder die Rentenkassen noch die Industrie. Noch nicht einmal ein Name wurde der Generation gegeben. So lauten die Versuche: Jungsenioren, Golden Oldies, Best Ager, Silver Surfer, junge Alte, Generation 50 plus, Selpies (Second Life People), Woopie (Well-off older People) und so weiter. Eine ganz andere Generation Die jungen Alten werden anders arbeiten, anders leben und andere Ansprüche an ihre Lebensqualität und ihre Gesundheit haben. Nachfolgend sind die Veränderungen gegenüber vorherigen Seniorengenerationen kurz zusammengestellt: Fitness Der medizinische Vorsorgebereich wächst, die medizinische Versorgung im Krankheitsfall wird immer besser. Beides bewirkt einen Anstieg der 220 Praxishandbuch Produktentwicklung Lebenserwartung. Die jungen Alten haben noch 50 Prozent ihres Erwachsenenlebens vor sich. Diese Altersgruppe ist nicht nur fitter, sie will es auch noch so lange es geht bleiben. Somit wird mehr Geld für Gesundheitsprodukte und gesunde Ernährung ausgegeben. Nicht nur für die Behandlung von Krankheiten, sondern auch für die Prävention. Erscheinung Neben der körperlichen Fitness wollen sie auch attraktiv bleiben. Die Anzahl der Schönheitsoperationen bei Personen ab 60 nimmt deutlich zu. Die Kleidung wird nicht mehr nach funktionalen Eigenschaften gekauft, immer mehr entscheidet die Optik. Das Modebewusstsein steigt. Finanzstärke Armut und Alter gehören heute nicht mehr zusammen. Die neuen Alten haben finanzielle Mittel wie noch keine Generation vor ihnen, und noch viele Jahre vor sich. Was für die Rentenkasse ein Riesenproblem darstellt, ist für Produktanbieter ein Glücksfall. In der Presse wird die demografische Entwicklung immer negativ tituliert. Die Chancen für die Wirtschaft werden verschwiegen. Der Lebensstandard ist in den letzten Jahren gestiegen und die jetzt jungen Alten profitieren von einem noch funktionierenden Rentensystem. Die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse hat ermittelt, dass die über 50-Jährigen nach Abzug der Kosten pro Monat im Durchschnitt mehr Geld zur freien Verfügung haben als die unter 50-Jährigen. Zwar ist die Rente kleiner als das Einkommen von Erwerbstätigen, doch auch die finanziellen Verpflichtungen sind niedriger. Die Kinder sind aus dem Haus, die Hypothek ist abbezahlt, für die Rente braucht nichts mehr zurückgelegt werden. So haben viele Rentner finanzielle Rücklagen. Die Best Ager in Deutschland (20 Millionen Bürger) besitzen 60 Prozent des Vermögens, die über 50-Jährigen sind für über 50 Prozent der Ausgaben für Konsumgüter verantwortlich. Wie sie sich fühlen und wie sie sind Was gestern die 40-Jährigen waren sind heute die 60-Jährigen: von der Einstellung, der Lebenslust, dem Verhalten und den Erwartungen. Egal wie alt die Menschen über 30 sind (oder bereits schon eher), sie fühlen sich jünger, mindestens 10 Jahre jünger als sie biologisch sind. Und diese Zukunftsmärkte 221 Spanne wird durch den medizinischen Fortschritt immer größer. Diese Differenz zwischen den Erwartungen und den realen körperlichen Fähigkeiten zu schließen, ist der Wachstumsmarkt. Körperlich treten Alterserscheinungen auf, zum Beispiel ein Nachlassen der Sinne (Sehen, Hören, Tasten), der Motorik, des Gleichgewichts, der Gelenkigkeit, der Kraft. Immer noch wie vor 50 Jahren. Dieses wird merkbar beim Treppensteigen, Bedienen von Geräten, Öffnen von Verpackungen, akustischen Verstehen, Lesen des Kleingedruckten. Dieses ist bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen. Hinzu kommt auch ein Nachlassen geistiger Fähigkeiten (zum Beispiel Anpassung an Neues, Lernfähigkeit), Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit. Durch jedoch jahrelange geistige Tätigkeit (weit mehr als noch vor 50 Jahren) im Beruf bleibt hier das Niveau länger bestehen. Erwartungen und Konsum Früher war das Rentenalter eher ein gemütliches Aussteigen, heute wird durchgestartet. Stützstrümpfe, Treppenlift und Klosterfrau Melissengeist waren gestern. Das Bild der alten, dahinsiechenden Generation ist völlig überholt. Harley Davidson, Wellness, Spielzeugeisenbahn, Weltreise und Spanischkurs sind heute gefragt. Feuerstuhl statt Schaukelstuhl. Das Einstiegsalter von Harley-Fahrern ist nicht 20 oder 30, sondern 56 Jahre. Diese Altersgruppe fliegt nach Mallorca, kauft sich endlich den Neuwagen, den sie schon immer haben wollte. Und für den Kurztrip nach England wird noch ein Sprachschnellkurs absolviert. Es werden Jugendträume erfüllt, zu denen in früheren Jahren keine Zeit war oder für die die finanziellen Mittel fehlten. Das Ziel ist die selbstständige Lebensführung. Das Alter bestimmt nicht mehr das Verhalten. Die neuen Alten sind moderner Technik gegenüber aufgeschlossener, da sie in ihrem Leben bereits viele Neuerungen erlebt (und überlebt) haben. Auch das Internet wird von den älteren Jahrgängen immer mehr angenommen. Bereits im Jahr 2005 surfte laut Allensbacher Computerund Telekommunikationsanalyse ein Drittel der Rentner im Internet. Zu beachten ist jedoch: es ist die Generation v. C. Die Generation ist vor dem Computerzeitalter aufgewachsen und musste sich an diese Technologie gewöhnen. Und das sollte berücksichtigt werden. Die Senioren haben sich häufig den ersten PC mit über 60 Jahren gekauft. Da ist viel Beratung und Schulung notwendig. Die Senioren haben grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse wie alle Generationen, jedoch mit anderen Schwerpunkten. Sie wollen weniger 222 Praxishandbuch Produktentwicklung Risiko eingehen. Sicherheit in Bezug auf Eigentum, Finanzen und Gesundheit sowie Zweckmäßigkeit rücken durchschnittlich mehr in den Vordergrund als bei jüngeren Generationen. Verhalten gegenüber Werbung Sie haben viel Lebenserfahrung und glauben der Werbung nicht mehr alles, denn sie sind in ihrem Leben zu oft von Werbung enttäuscht worden. Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist ihnen daher noch wichtiger. Vor dem Kauf wollen sie das Produkt ausgiebig testen. Und sie wollen überzeugt, nicht überredet werden. Entscheidungsprozesse dauern länger, »man hat ja Zeit«. Die jungen Alten werden immer selbstbewusster und haben gelernt, zu diskutieren und sich durchzusetzen. Die 68er kommen jetzt ins Rentenalter. Das Alter bestimmt immer weniger das Verhalten und die Bedürfnisse und ist immer weniger als Segmentierungsparameter geeignet. Es gibt nicht »den Seniorenmarkt« 60 plus = 60 plus? Nein. Die Gruppe ist nicht homogen, denn zwischen 60 und 90 liegen 30 Jahre mit unterschiedlichen Bedürfnissen, unterschiedlichen Fähigkeiten und Gesundheitszuständen. Und neben den Unterschieden im Alter gibt es wie in allen Generationen je Altersstufe differenzierte Bedürfnisse. Es gibt auch hier die Passiveren/Zurückgezogenen, die aktiv Kulturinteressierten, die Erlebnisorientierten und so weiter. Somit sind unterschiedlichste Bedürfnisse zu beobachten, die zu unterschiedlichem Konsumverhalten führen. Die Heterogenität nimmt im Alter aufgrund unterschiedlicher körperlicher und geistiger Einschränkungen noch eher zu. Einige 80-Jährige nehmen am 10-km-Lauf teil, andere sind Pflegefälle. Kein Anbieter würde auf die Idee kommen, 10- bis 40-Jährige in einen Topf zu schmeißen und ihnen ein und dasselbe Produkt anzubieten. Genauso unterscheiden sich 60- und 90-Jährige. Und dann diese Produkte Nun stellt sich die Frage: Was haben Oma und Opa nur falsch gemacht? In der Produktentwicklung werden sie vernachlässigt, in der Werbung praktisch ignoriert. Die Werbung konzentriert sich auf die Jungen, statt auf die jungen Alten. Letztgenannte sind in der Mehrheit und haben die Zukunftsmärkte 223 Kaufkraft und die Zeit, um das Geld auszugeben, und auch die Lust am Konsum. Die Modebranche konzentriert sich nur auf Junge mit Konfektionsgröße 34 beziehungsweise 94. H&M und Zara passen ihre Kollektion im Zweimonatsrhythmus den Erwartungen der jüngeren Generation an. Aus welchen Gründen gibt es diese Anpassungen nicht auch für die Generation 50+? Viele Unternehmen haben anscheinend Angst, die Jungen zu vergraulen, wenn sie auch die ältere Generation ansprechen. Aber die Gruppe der älteren Menschen wird immer größer. Elektroprodukte sind komplett an den Senioren vorbei entwickelt. DVD-Player, PC, Handy et cetera: Geräte, die voll von Technik sind. Sie haben zu viele Funktionen zu Lasten der Bedienerfreundlichkeit. Und die Homepages der Hersteller sind voll mit blinkenden Bannern, kleiner Schrift, viel Text, Fremdworten und Anglizismen sowie unverständlicher Navigation. Alt sind immer nur die anderen Wenn Sie Ihre potenziellen Kunden als Senioren ansprechen und in der Werbung Rentner mit Gehhilfe abbilden, dann können Sie sich sicher sein: Sie verschrecken diese Gruppe. Diese Gruppe sieht und fühlt sich mindestens zehn Jahre jünger als sie in Wahrheit ist. Sie will weder auf ihr Alter noch auf die altersbedingten Einschränkungen angesprochen werden. Niemand fühlt sich geschmeichelt, wenn man ihm Produkte anbietet, die schon vom Namen her für »Alte« sind. Um 70-Jährige von einem Produkt zu überzeugen, sollte es in der Werbung dargestellt werden, als wenn es für 50-Jährige ist (inklusive der abgebildeten Personen). Der Begriff »Seniorenteller« konnte früher im Restaurant noch zu Bestellungen führen, heute wird er als Beleidigung aufgefasst. Wie wäre eine Rubrik »Für den kleinen Hunger« mit vollwertigen Gerichten, nur eben etwas weniger? Beim Essen etwas übrig zu lassen, schmerzt dieser Generation. Dafür haben sie zu viele schlechtere Zeiten erlebt. Literatur mit dem Namen »Computerwissen für Senioren« ist genauso unpassend wie der 50plus-Supermarkt oder 50plus-Hotels. Diesen Fehler bekam Tibal Fisher mit seiner Handelkette TF’s Next Stage zu spüren. Der Zustrom blieb aus, da alles in den Geschäften den Kunden verdeutlicht, wie alt sie sind. Die Produkte für dieses Marktsegment sollten nicht als Seniorenprodukte gekennzeichnet und beworben werden. Am besten sind Produkte, die altersunabhängig die Bedürfnisse erfüllen. Ein einfa224 Praxishandbuch Produktentwicklung ches Handy wird von vielen gewünscht. Die altersbedingten Defizite sind dezent und vorteilhaft in Ihre Produktentwicklung einzubeziehen, denn diese Defizite gilt es zu lindern. Die Herausforderung für die Wirtschaft Mit der wachsenden Zahl der Senioren und ihren veränderten Erwartungen besteht ein großer Bedarf an Produkten, die genau auf diese Erwartungen zugeschnitten sind. Prüfen auch Sie mit Ihrem Angebot, ob Sie mit Ihren Produkten auf diesen wachsenden Markt aufspringen können oder welche Schritte zu unternehmen sind, um in diesen Wachstumsmarkt einzusteigen. Diese Gruppe erwartet Produkte, die heute noch gar nicht auf dem Markt sind. Und das Marktsegment für Menschen ab 50 oder ab 60 ist keine Nische, es ist – neben dem Marktsegment Frauen – der Markt. Wenn diese Gruppe quantitativ die größte wird und über das größte Vermögen verfügt, dann führt kein Weg mehr an ihr vorbei. Erst wenige Anbieter haben das Potenzial erkannt – und noch weniger Anbieter haben ihr Angebot auf die Bedürfnisse der Best Ager ausgerichtet. Machen Sie aus der Alterspyramide Ihren Altersdiamanten! Die größte Herausforderung für Unternehmen ist es, die Ansprache bedarfsgerecht zu gestalten. Die Werbung ist voll von englischen Begriffen, die Beschreibung unverständlich und die Ausdrucksweise für Senioren gewöhnungsbedürftig. »Lasst euch nicht verarschen«: ist das die Sprache der kaufkräftigen Kundengruppe? Ein Großteil des Sortiments des Elektrohandels, der mit diesem Slogan wirbt, liegt im Hochpreissegment. Ein Fernseher für 6 999,- Euro wird meist nicht von Kindern oder Studenten gekauft, sondern von erwachsenen Menschen. Und die erwarten, dass man entsprechend mit ihnen redet. Wie wäre es – gerade im technischen Bereich –, Verkäufer im gehobenen Alter für Senioren einzusetzen? Die Verständigung wäre sicherlich einfacher. Was erlebt man stattdessen heute im Einzelhandel?: Junge Verkäufer versuchen mit ihrem Fachchinesisch, den »Alten« zu erklären, was die Geräte alles können. Dabei sind Lesbarkeit der Werbung und auch der Produktbeschreibung (bitte gedruckt und nicht nur auf CD oder im Internet) wichtig für die Wahl des einen oder anderen Produkts. Auf der Firmenhomepage sollte es möglich sein, die Schriftgröße anzupassen. Auch eine verständliche Preisstruktur steigert die Akzeptanz der Produkte. Neben der Ansprache ist bei den Geräten noch mehr auf eine einfache Bedienung und eine hohe Fehlertoleranz zu achten, damit auch eine fehlerhafte Bedienung nicht zur Schädigung des Zukunftsmärkte 225 Produkts führt und der Kunde auf vielen Wegen der Bedienung an das Ziel gelangt. Wie in allen Marktsegmenten müssen auch im Seniorensegment die Käufer, Zahler und Entscheider im Produktkauf nicht eine Person sein. Bei Hochbetagten kommen als wichtige Gruppe noch die Beeinflusser wie Angehörige, behandelnde Ärzte, Sozialarbeiter und so weiter mit hinzu, die eine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen. Somit sind Produkte so zu erstellen und zu bewerben, dass auch diese Personen einen Vorteil in der Wahl eines bestimmten Produkts sehen. Sich in die Gruppen hineinversetzen Sie müssen die Regeln und Erwartungen der Gruppe kennen, um diesen Zukunftsmarkt nutzen zu können. 25-jährige Mitarbeiter in der Produktentwicklung und im Verkauf können nicht funktionieren. Diese können sich nicht in einen 60-Jährigen mit seinen Defiziten und Bedürfnissen hineinversetzen. Um mit Produkten in diesem wachsenden Marktsegment erfolgreich zu sein, müssen die Senioren verstanden und deren »Eigenheiten« in allen Belangen (Produkt, Kommunikation et cetera) berücksichtigt werden. Leider haben viele Unternehmen ihre älteren Mitarbeiter alle in Rente geschickt. Es bleiben verschiedene Ansätze, damit sich die Jüngeren in das Marktsegment der Senioren hineinversetzen können: • der direkte Kontakt der Mitarbeiter zu dieser Gruppe (zum Beispiel durch Einzelgespräche oder Gruppendiskussionen). Wichtig sind hier insbesondere Beobachtungen in Alltagssituation und bei der Nutzung von Produkten; • Simulation der altersbedingten Einschränkungen, denn junge Ingenieure können zum Beispiel das Ein- und Aussteigen aus einem PKW für Senioren nicht nachempfinden. Damit die Mitarbeiter in der Produktentwicklung in die Welt der Senioren einsteigen können, hat unter anderem Ford die altersbedingten Hindernisse der Senioren simuliert und einen Testanzug entwickelt. Dieser Testanzug macht über schwer gängige Manschetten die Gelenke steif, erhöht den Leibesumfang und das Körpergewicht. Durch Handschuhe wird der Tastsinn herab gesetzt, durch Kopfhörer der Eindruck der Schwerhörigkeit erzeugt und durch eine milchige Brille die Sehfähigkeit reduziert und Grauer Star simuliert. Gewichte an Körpergelenken sollen den Kraftverlust sowie 226 Praxishandbuch Produktentwicklung eingeschränkte Bewegung verdeutlichen. Motorische und sensorische Fähigkeiten sind so erheblich reduziert. Mit diesem Alterssimulationsanzug sollen die Mitarbeiter in das Auto steigen, den Motor starten und fahren. Als Ergebnis dessen wurde das Armaturenbrett lesbarer, der Platz für das Einsteigen geräumiger und so weiter. Einen vergleichbaren Anzug hat Meyer Hentschel Management Consultung (www.mhmc.de) mit dem »Age Explorer« entwickelt; • am besten ist es immer noch, Personen aus dem Marktsegment als Produktentwickler im Unternehmen zu haben (angestellt oder freiberuflich), die dann über Gespräche und Beobachtungen den Kontakt zu den Kunden herstellen. Produkte Der USP und alle sechs Perspektiven der Produkte (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart, Emotion, Design) sind den Bedürfnissen der Senioren anzupassen, egal, ob Sie Waren oder Dienstleistungen anbieten. Einige Beispiele: • Durch die Kinderlosigkeit beziehungsweise die häufige geografische Trennung von Kindern und den Eltern kann eine Betreuung innerhalb der Familie nicht mehr gewährleistet werden. Hier erschließt sich ein gigantisches Marktsegment in der Altenpflege und der Betreuung; • ältere Kunden brauchen Autos, in die man einfach ein- und aussteigen kann, und die mit Armaturenbrettern sowie Bedienungsanleitungen ausgestattet sind, die leicht lesbar sind; • Convenience-Produkte, wenn die selbstständige Zubereitung des Essens nicht mehr möglich ist. Produkte, die nur die Zubereitungszeit reduzieren, sind von weniger Interesse, denn Zeit steht genug zur Verfügung; • Komplexitätsreduktion ist in diesem Marktsegment noch wichtiger als bei den jüngeren Generationen. Gewünscht werden Handys und Telefone mit nur wenigen, einfach zu bedienenden Tasten, den wichtigsten Funktionen und einfachster Menüführung (ohne Untermenüs). So bietet zum Beispiel das Unternehmen Mobitel mit dem Slogan »Das einfachste Mobiltelefon der Welt« ein Handy mit nur drei Tasten an. Hierüber erreicht werden dann Disponenten, die alle Anfragen und Wünsche des Handybesitzers weiterleiten oder gleich erfüllen; • Waschmaschinen, bei denen kein Waschpulver mehr zugegeben werden muss beziehungsweise dieses automatisch dosiert wird; Zukunftsmärkte 227 • Produkte zur Sicherheit: sei es gegen Diebstahl, oder für Gesundheit und körperliche Unversehrtheit. Manche auf ältere Gäste spezialisierte Hotels stellen sich – dezent – schon auf Notfälle ein. Das komplette Team ist geschult und auch für erste Hilfe ausgerüstet. Bei Stammgästen ist die Krankenakte hinterlegt; • aus der Not heraus (immer weniger Kinder) entdecken die ersten Spielwarenhersteller jetzt die Senioren. Die Umsetzung gestaltet sich allerdings nicht ganz einfach, da die Produkte für Kinder nicht eins zu eins übernommen werden können; • Lieferservice für alle Produkte des täglichen Bedarfs; • Einkaufen kann einerseits Stress bedeuten, andererseits ist es häufig der einzige verbliebene soziale Kontakt. Dann sollte dieser ein Erlebnis sein. Die Senioren müssen sich nach der Auswahl und dem Kauf des Produkts besser fühlen als vorher, nicht schlechter; • grundsätzlich sollten alle Produkte ohne motorische Feinfertigkeit und ebenso ohne großen Kraftaufwand bedienenbar sein; • der gesamte Gesundheitsmarkt mit den Produkten zur Linderung und zur Prävention, um Alterserscheinungen so weit wie möglich herauszuzögern. Einbußen werden nicht mehr als Schicksal akzeptiert. Spezielle Fitnessstudios für Frauen gibt es bereits. Wie wären Fitnessstudios für Senioren? Insbesondere Fitnessstudios – aber auch Sportvereine – buhlen um die Jugend, obwohl der größere und zahlungskräftigere Markt die Senioren sind. Und die wollen nur ungern im direkten Vergleich mit Topathleten trainieren. Frauen Es geht im Folgenden ausschließlich um ökonomische Belange, nicht um politische oder ideologische Haltungen zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, und da Frauen die Mehrheit der Entscheidungen treffen, sind sie der Markt. Ausbildung und Beruf Noch vor 30 Jahren trugen Männer meist zum Haupteinkommen in der Familie bei. Das war die Zeit, in der nur der Mann das Geld mit nach Hause brachte und er der Frau etwas Haushaltsgeld gab. Der Anteil der 228 Praxishandbuch Produktentwicklung Abiturientinnen liegt heute bei über 50 Prozent, das Frauen-Männer-Verhältnis der Bachelor-Absolventen bei circa 1,4:1, das der Master-Absolventen bei circa 1,5:1. Das ist ein deutlicher Indikator für die aktuelle und zukünftige finanzielle Verteilung der Kaufkraft. Das Durchschnittseinkommen der Frauen stieg in den letzten Jahren mehr als das der Männer. In den USA verdienen über 20 Prozent der berufstätigen Ehefrauen mehr als ihre Männer – Tendenz steigend. Immer mehr Frauen gründen Unternehmen, was in der vorherigen Generation fast ausgeschlossen war. Frauen bekleiden auch in Deutschland immer häufiger Führungspositionen. Der Unterschied der Erwerbsquoten zwischen Frauen und Männern wird geringer. Frauen sind schon heute für die Mehrheit der Kaufentscheidungen in der Familie zuständig. Sie geben nicht mehr das Geld ihrer Männer, sondern ihr eigenes aus. Es interessiert für die Produktentwicklung auch nicht, wer das Geld »nach Hause bringt«, sondern wer entscheidet, wo es in welchem Umfang ausgegeben wird. Wo Frauen entscheiden Häufig ist in Zeitschriften und Büchern über die neuen Frauen zu lesen. Doch keiner kümmert sich um sie, obwohl der Einfluss der Frauen stetig zunimmt. Ob im Berufsleben als Führungskraft oder – und für Ihre Produktentwicklung viel wichtiger – bei den Entscheidungen des Einkaufsverhaltens. Weit über 50 Prozent der Kaufentscheidungen werden von Frauen getroffen und zwar in allen Bereichen: Haushaltsgeräte, Bedarf für die Familie, Geldanlagen, Elektrogeräte, Gesundheitsprodukte, Computer, Auto (die Entscheidung wird zu 65 Prozent von Frauen getroffen, auch wenn noch über 50 Prozent der Wagen auf die Männer zugelassen sind). Frauen entscheiden praktisch alles. Die Entscheidung über den Urlaub, die Einrichtung, die Häuser- und Wohnungswahl, die Versicherungen, die Bankangelegenheiten, die Krankenversicherung werden sogar zu über 75 Prozent von Frauen gefällt. Hinzu kommen noch Kaufentscheidungen, die von Männern gefällt werden, auf deren Entscheidungsweg jedoch die Frauen einen erheblichen Einfluss und ein Vetorecht haben. Das heißt, Frauen haben bei der Produktauswahl nicht nur eine entscheidende Rolle, sie haben die entscheidende Rolle. Sogar bei der »Männerdomäne« des Biereinkaufs treffen zu 30 Prozent die Frauen die Kaufentscheidung. Die Frauen agieren bei den Kaufentscheidungen häufig im Hintergrund, da im Geschäft die Männer noch eher ernstgenommen werden und bei zum Beispiel Preisverhandlungen mehr erreichen. Lassen Sie Zukunftsmärkte 229 sich nicht vom vermeintlich geringen Einfluss der Frauen täuschen. Da die Frauen die Mehrheit der Entscheidungen treffen, darf man sie nicht übersehen, sondern muss sie ins Zentrum setzen. Der »kleine« Unterschied »Männer sind anders, Frauen auch.« Dieser Titel des Klassikers von John Gray bringt es auf den Punkt. Frauen denken, fühlen und kommunizieren komplett anders als Männer. Frauen und Männer sind in ihrem Einkaufsverhalten, der Reaktion auf Werbung, ihren Bedürfnissen und Gründen für eine Produktwahl grundverschieden. Leider wurde im letzten Jahrhundert versucht, neben der rechtlichen Gleichstellung auch das Wesen und die Fähigkeiten gleichzusetzen. Das klappt nicht. Dabei sind Frauen nicht besser und auch nicht schlechter als Männer. Sie sind nur anders. Gleichberechtigung ja – Gleichheit nein. Tabelle 19: Einige Geschlechterunterschiede, die insbesondere für das Kaufverhalten entscheidend sind Frauen Männer denken vernetzt denken linear wollen mit allen Sinnen angesprochen werden, achten auf das Gesamte. Alles am Produkt muss stimmen entscheiden aufgrund einiger weniger Fakten. Fokussieren auf den Kernnutzen des Produkts schließen sich den Marken an und möchten eine Beziehung zur Marke aufbauen kaufen Produkte Design und vom Produkt erzeugte Emotionen sind wichtig kaufen mehr funktional suchen nach Gemeinsamkeiten, Zugehörigkeit und Beziehungen in der Gruppe wollen herausragen und sich absetzen. Es gilt der Wettbewerb im Sportverein zählt mehr das Knüpfen von Kontakten und Schließen von Freundschaften im Sportverein zählt Sieg oder Niederlage bevorzugen Netzwerke lieben Hierarchien Bequemlichkeit, Sicherheit, Stabilität, Fürsorge sind wichtig. Frauensprache: »Dadurch kann ich auf der Autobahn sicher einfädeln« Technik steht im Vordergrund. Männersprache: »Das Auto schafft es von 0 auf 100 km/h in 7 Sekunden« 230 Praxishandbuch Produktentwicklung bevorzugen runde, verzierte Formen bevorzugen gerade Formen suchen aktiv die Hilfe anderer Personen ziehen sich zurück, wenn sie Probleme haben und versuchen, die Lösung allein zu finden kommunizieren, um Beziehungen zu schaffen kommunizieren, um Informationen zu erhalten denken »sowohl als auch« (Grautöne) denken »entweder oder« (schwarz-weiß) Frauen shoppen: suchen aus und wägen ab. Umfassende Blicke auch nach Dingen, die zum eigentlichen Produkt passen könnten Konzentration beim Kauf auf das Problem. Sie suchen und kaufen genau das, was sie sich vorgenommen haben betreiben mehr gesundheitliche Vorsorge gehen nur zum Arzt, wenn sie krank sind achten mehr auf ihre Gesundheit. Sie wählen die Lebensmittel viel sorgsamer und nach anderen Kriterien aus. So kommt es zu einem völlig unterschiedlichen Ernährungsverhalten (mehr Obst und Gemüse, weniger Fleisch und Alkohol) möchten ihren Hunger stillen Die obige Gegenüberstellung stellt die überwiegend zu beobachtenden Unterschiede dar.4 Und wie reagieren Unternehmen? Frauen entscheiden alles, nur werden sie von Anbietern vernachlässigt. Warum? Weil bei Anbietern die leitenden Positionen meist von Männern besetzt sind. Frauen wollen nicht wie Barbiepuppen behandelt, sondern auf Augenhöhe ernst genommen werden. Das haben viele männliche Verkäufer und Produktentwickler noch nicht verstanden. Werbung und Verkauf Werbung ist – bis auf die typischen »Frauenprodukte« – überwiegend an Männer gerichtet. Leider spricht sie damit nicht die Mehrheit der Ent4 Zur Vertiefung dieses Themas empfehle ich das Buch von John Gray: Männer sind anders, Frauen auch (Goldmann 2009) sowie Evalution von Faith Popcorn (Heyne 2001). Zukunftsmärkte 231 scheider an. Auch online zeigen Frauen ein ganz anderes Kaufverhalten als Männer. Frauen haben auch hier Spaß am Shoppen und sind eher emotional geleitet. Aber sind die Internetportale darauf eingerichtet? Nein! Wer entwickelt denn die Portale? AWM, also Alte Weiße Männer (gemeint ist das natürlich ergraute Haar im Alter). Auch der Verkauf hat sich insbesondere bei »Männerdomänen« wie zum Beispiel Autohäusern immer noch nicht auf Frauen eingestellt. Wer verkauft zum Beispiel Autos in Deutschland? Es sind AWM. Wenn Frauen in den Autohäusern beschäftigt sind, dann meist im administrativen Bereich, nur äußerst selten im direkten Verkauf. Aber wie viele männliche Autoverkäufer kennen sich mit den Erwartungen der Frauen hinsichtlich Autos aus und wissen, was Frauen bei Autos wirklich wichtig ist? Praktisch gar keine. Häufig werden Frauen so behandelt, als wenn sie einen niedrigen IQ und wenig Geld hätten. Wenn ein Paar ins Autohaus geht, dann spricht der Verkäufer oft nur mit dem Mann. Und dann ist der Verkäufer verwundert, wenn abschließend der (Mit-)Entscheider ohne Kauf den Laden verlässt. Hier wird echter Umsatz verschenkt. Zumal wenn man berücksichtigt, dass Frauen meist ein größeres Netzwerk haben und somit ihre Erlebnisse noch weiter verbreiten. In der Produktentwicklung Männer entwickeln Produkte für Frauen nach ihrer eigenen Denkweise und ihren Bedürfnissen. Und wer entwickelt noch heute Produkte für Frauen? Auch hier überwiegend AWM. Das kann nur schief gehen. Ein Mann kann noch so sehr versuchen, Produkte für Frauen zu entwickeln. Er kann es nicht. Allerspätestens (meist schon viel eher) bei der Emotionalität des Produkts wird er scheitern. Um optimale Produkte für Frauen zu entwickeln, müssten auf jeden Mann mindestens neun Frauen im Team kommen. Die Gruppe, die später kaufen soll, muss auch im Entwicklungsteam sitzen – und zwar in der deutlichen Mehrheit. Männer mit der Unisex-Auffassung »Wir denken doch alle gleich« helfen da nicht. Die Denkweise des anderen Geschlechts bleibt den Menschen auf ewig verschlossen – und zwar in beide Richtungen. So sehr wir uns auch bemühen. Ein sehr plakatives Beispiel der Missachtung wird bei jedem Theaterund Messebesuch deutlich. Und das in Hamburg, Stuttgart, Berlin, London und New York. Aus Gründen der Gleichberechtigung (mir fällt sonst kein anderer ein) gibt es gleichviel Toiletten für Männer und Frauen. Da waren sicherlich männliche Architekten am Werk. Das Ergebnis: Vor den Herren-WCs gibt es fast keine Schlange, bei den Damen mindestens 10 232 Praxishandbuch Produktentwicklung Meter. Im Theater ist die Pause eher vorbei, als die Schlange abgebaut ist. An die Zeit für ein Getränk in der Pause ist gar nicht zu denken. Wollen die Veranstalter nicht auch Umsatz mit den Getränken machen? Solange die Damen woanders stehen, wird nichts konsumiert. Sie meinen, das kommt nur bei Altbauten vor? Nein, auch in neuen Messehallen und Theatern ist diese Form der Gleichbehandlung zu beobachten. Ebenso sind für den Entwurf von Wohnungen und Häusern meist Männer zuständig. Die Kaufentscheidungen werden jedoch meist von Frauen getroffen. Wer ist wohl meistens für die Entwicklung von Supermärkten verantwortlich? Und wer kauft überwiegend dort ein? Ein entsprechendes Verhältnis gibt es bei der Produktentwicklung von PKW. Das kann nicht gut gehen. Was liegt hier für ein Potenzial, wenn auch Frauen in der Produktentwicklung das Sagen hätten? Endlich mal ein Auto, das den Bedürfnissen der Frauen entspricht. In der Möbelbranche herrscht das gleiche Bild: Männer arbeiten im Entwurf und in der Tischlerei, Frauen treten als Käufer auf. Die Inneneinrichtung in Hotels wird meist von Männern entworfen. Wer berücksichtigt hier die Bedürfnisse der Entscheidungsträger? Denn der Anteil an weiblichen Geschäftsreisenden wird immer größer. Doch welches Hotel ist darauf eingerichtet? Eine Hotelbar gibt es immer. Und Tageskindergarten? Babysitter? Spielplätze? Der früher übliche Kinderhort in Möbelgeschäften und Kaufhäusern wurde abgeschafft. Wer soll das verstehen? Wohl nur Männer. Auf Messen gibt es das gleiche Bild (egal ob Fachmessen oder Verbraucherveranstaltungen): an den Ständen stehen überwiegend AWM. Als Besucher auf Fachmessen sind auch überwiegend AWM zu finden. Wie sollen die denn beurteilen können, nach welchen Kriterien später der größte Teil der Endabnehmer (Frauen) die Produktauswahl trifft. Gar nicht! Es geht hier nicht um die Parole »Rechte für Frauen« oder um Quotenregelung, sondern nur darum, dass Anbieter endlich die größte Entscheidergruppe und deren Bedürfnisse berücksichtigen. Frauen und Männer sind anders. Somit gehören in die Produktentwicklung und auch in die Entscheidungsgremien der anbietenden Unternehmen viel mehr Frauen als es heute der Fall ist. Auswirkungen für die Produktentwicklung Die Unternehmen, die zukünftig erfolgreich Produkte verkaufen wollen, müssen sich den Frauen stellen, ob sie wollen oder nicht. Und das in der Zukunftsmärkte 233 gesamten Prozesskette: Produkt, Service, Werbung et cetera. Frauen und Männer sind sprachlich unterschiedlich zu überzeugen. Frauen suchen mehr nach Beziehungen und bauen Netzwerke auf. Bringen Sie in Ihrer Werbung mehr Personen in den Vordergrund, weniger technische Daten. Frauen wollen sich mit den Personen aus der Werbung identifizieren. Verzichten Sie auf Topmodels in der Werbung. Beachten Sie, dass Frauen ein größeres Netzwerk als Männer haben. Aktive positive wie auch negative Weiterempfehlungen sind hier noch entscheidender. Passen Sie alles an, und zwar konsequent und komplett. Für die Unternehmen, die diesen Unterschied begriffen haben, sind die Frauen die Chance für neue Märkte. Entwickeln Sie Produkte, die voll und ganz auf die Bedürfnisse der Frauen ausgerichtet sind, jedoch deklarieren Sie diese nicht in der Werbung als Frauenprodukte. »PC-Kurs für Frauen« wirkt auf Frauen diskriminierend und wird abgelehnt. Daneben werden häufig auch noch PC-Kurse für Senioren angeboten. Dieses deutet in eine Richtung: Es gibt Kurse für Normalbürger (mit normalem IQ) und für nicht so schnell denkende (Frauen und Senioren). Zudem sind diese als Frauenprodukte deklarierten Waren häufig die Light-Version der ursprünglichen Ware, jedoch zu einem höheren Preis. Hiermit sollten Hersteller vorsichtig sein, denn das kommt raus. Erste Ansätze Den Frauen geht es wie oben erwähnt neben den Funktionen der Produkte auch um Begegnungen, insbesondere bei Produkten, die nicht den Grundbedarf decken. Hersteller müssen sich neben den Produkteigenschaften überlegen, wie sie im Rahmen ihres Produkts die Frauen zusammenbringen. Wenn das gelingt, entsteht die Bindung zum Produkt und zur Marke. Auch wenn Väter heute mehr in die Kinderbetreuung und in den Haushalt eingebunden werden, so wird dieser Teil auch heute noch überwiegend von Frauen übernommen. Hinzu kommt dann noch der Beruf. Produkte, die hier die Komplexität reduzieren, werden gern genommen. Endlich fällt auch eine der letzten Männerdomänen: die Baumärkte. Toom will seine Märkte an den Bedürfnissen der Frauen ausrichten. Service und Beratung sollen in den Vorgrund gestellt werden, die Geräte sind leichter, die Regalgestaltung soll nicht nur Profis oder die, die sich dafür halten, ansprechen, denn der Startschuss der Renovierung im Haus wird überwiegend von Frauen gegeben. Frauen wollen nicht mehr warten, bis 234 Praxishandbuch Produktentwicklung der Mann mit dem Werkzeugkasten kommt. Für sie gilt: Do it yourself – and do it now! Geistreiches und Zitiertes »Auf der Grafik mit den Altersjahrgängen gibt es eine Säule, die nach oben immer dicker wird. Das Gebilde ähnelt einem Eishörnchen mit einer großen Kugel oben drauf.« Süddeutsche Zeitung im Januar 2005 »Die wichtigsten Kunden von morgen haben graues Haar!« Oliver Gassmann und Gerrit Reepmeyer in Wachstumsmarkt Alter »Wenn eine Gruppe den überwiegenden Teil des Reichtums und des frei verfügbaren Einkommens kontrolliert, dann … ist sie der Markt.« Tom Peters in Tom Peters essentials: Trends »Frauen, die so gut sein wollen wie Männer, haben einfach keinen Ehrgeiz.« unbekannt »Die Probleme, mit denen Mann und Frau heute konfrontiert sind, nehmen ihren Anfang, sobald sie vergessen, dass sie in ihrem Wesen verschieden sind. Männer erwarten immer noch von Frauen, dass sie denken und reagieren wie Männer. Frauen erwarten von Männern, dass sie sich benehmen wie Frauen.« John Gray in Männer sind anders. Frauen auch »Moderne Intelligenz bedeutet Intuition – eine Domäne der Frauen.« Tom Peters in Re-imagine »Frauen sind keine Nische. Streichen Sie sie aus der Gruppe der Spezialmärkte.« Tom Peters in Re-imagine Zukunftsmärkte 235 Kapitel 12 Emotion Fast alle Produkte funktionieren. Jetzt geht es darum, auf der nächsten Stufe das Herz der Kunden anzusprechen und Emotionen zu erzeugen, die im Gedächtnis bleiben. Die Interessenten wählen ihre Kaufentscheidung nach dem, was ihrem Bedürfnis nach Nutzen am nächsten kommt. So vergleichen sie die Produkte und stellen ein Ranking auf: Welches Produkt ist besser, und welches schlechter? Der herausragende rationale Nutzen ist Voraussetzung. Jedoch ist die Zeit der nur nützlichen – jedoch seelenlosen – Produkte endgültig vorbei. Es reicht nicht mehr, nur zu befriedigen. Die Kunden wollen verführt werden und in eine andere Welt eintauchen. Das ist verheerend für die Unternehmen, die zwar rational überzeugen, aber die emotionale Komponente vernachlässigen. Produkte müssen den Kunden einen rationalen und einen emotionalen Wert liefern. Somit gilt es zukünftig nicht mehr nur Waren zu verkaufen, sondern Träume, Gefühle, Illusionen, Abenteuer. Es muss um Emotionen gehen, die der Kunde hat, wenn er mit dem Produkt das Geschäft verlässt und es nutzt. Denn die Kundenerlebnisse befriedigen ebenfalls Bedürfnisse und stellen somit auch einen (immateriellen) Nutzen dar. Das Immaterielle macht häufig über 50 Prozent des Produktwerts aus, gerade auch bei physischen Produkten. Rational und emotional sind jedoch keine Gegenpole. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Beide Bereiche sind zuständig für die Kaufentscheidung. Somit sollten auch beide Bereiche bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Erfolgreiche Produkte – und besonders die mit großen Gewinnspannen – liefern alle ein Erlebnis und lösen positive Emotionen aus. Nicht nur das: Die Produkte und das Drumherum sind ein Erlebnis! Egal, ob bei physischen Produkten oder Dienstleistungen: Jeder – oder zumindest fast jeder – Kontakt zu diesen Anbietern hinterlässt positive Gefühle und Erinnerungen. Je häufiger diese positiven Gefühle ausgelöst werden und je intensiver diese sind, desto besser werden sie von den Kunden gespeichert. Die Kunden werden magisch berührt und zwar so, dass sie ihre Erlebnisse 236 Praxishandbuch Produktentwicklung Freunden und Bekannten bei jeder Gelegenheit erzählen. Was erzählen Ihre Kunden ihren Freunden über Sie? Viele Anbieter konzentrieren sich jedoch auch heute immer noch fast ausschließlich auf die Funktionen ihrer Produkte. Welche Gefühle die Kunden bei der Auswahl, dem Kauf, der Nutzung et cetera haben, wird sträflich vernachlässigt und dem Zufall überlassen. Im Restaurant folgt zum Schluss immer noch die Standardfrage: »Hat es Ihnen geschmeckt?«, obwohl es bei einem Restaurantbesuch doch wirklich auf mehr ankommt als nur den Geschmack des Essens. Die Wenigsten gehen ins Restaurant, weil sie Hunger haben. Das Essen ist nur noch ein Bestandteil des Gesamtnutzens. Wurden Sie schon mal gefragt »Wie war das Erlebnis?«. Eigentlich ist das doch die viel wichtigere Frage. Denn die Erwartung vieler Gäste lautet: »Here we are now. Entertain us!« Denn: • • • • • • • • • • • Rolex verkauft keine Uhren; Ritz-Carlton verkauft keine Hotelübernachtungen; Harley-Davidson verkauft keine Motorräder; Gucci verkauft keine Kleidung; Starbucks verkauft keinen Kaffee; Louis Vuitton verkauft keine Handtaschen; Donald Trump keine Wohnungen; Nike verkauft keine Schuhe; Disney verkauft keine Videos; Christian Louboutin verkauft keine Schuhe; und Apple hat noch nie ein Handy verkauft. Verkauft werden stattdessen Träume, Gefühle, Erlebnisse, Lebensgefühle, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und noch Vieles mehr. Die Produkte sind nur noch die physische Hülle einer geistigen Idee. Nur: Was ist die Idee Ihres Produkts? Stellen Sie sich diese Frage, denn davon hängt Ihr Produkterfolg mindestens genauso viel ab wie vom rationalen Nutzen. Es ist etwas, was Sie nicht messen können – außer später am Umsatz. Es ist der Elfenstaub, der Ihren Produkten Flügel verleiht. Diese Emotionen polarisieren. Sie ziehen Kundengruppen magisch an, andere werden abgestoßen. Genau das soll auch erreicht werden. Sie brauchen Kunden, die bewusst und unbewusst nicht anders können, als Ihre Produkte zu kaufen. Und über 70 Prozent aller Entscheidungen fallen unbewusst. Zu viele Sinneseindrücke prasseln auf uns ein, als dass sie im Bewusstsein verarbeitet werden können. Diese gelangen jedoch alle ins Unterbewusstsein (über 90 Prozent). Und diese 90 Prozent sind für die meisten Entscheidungen verantwortlich. Daher treffen Menschen die meisten EntEmotion 237 scheidungen emotional, die wenigsten rein rational. Es geht heute immer weniger um PS, Megahertz et cetera, sondern um Gefühle. Gefühle steuern das Verhalten. Da die Kunden diese Gefühle jedoch weder messen noch begründen können, werden die emotionalen Entscheidungen nachträglich rational begründet. Somit brauchen Kunden auch die Sachargumente, für die Begründung sich selbst und dem Umfeld gegenüber. Dieses gilt es zu bedenken, wenn der Nutzer nicht gleich der Entscheider oder Zahler ist. Denn für die Letztgenannten zählt die Rationalität mehr. Geben Sie bei hochemotionalen Produkten somit immer auch rationale Gründe mit an. Auch wenn der rationale Teil nicht an der Kaufentscheidung beteiligt war, muss er nachträglich befriedigt werden. Emotionale Ansprache und rationale Begründung gehören zusammen. Kopf und Bauch müssen dem Angebot zustimmen, erst dann erfolgt der Abschluss. Bei Kopf (rational) gegen Bauch (emotional) gewinnt immer der Bauch. Facts tell, Emotions sell! Nur was der Kunde emotional akzeptiert, lässt er überhaupt in seinen Kopf. Je komplexer das Umfeld des Kunden ist, je vielfältiger ist das Warenangebot, desto weniger wird rational gekauft. Früher reichten verlässliche Produkte, heute muss es schon das Besondere sein. Produkte erfüllten Funktionen, heute müssen sie Gefühle auslösen und eine Geschichte erzählen. Bedürfnisbefriedigung war gestern, heute wollen Träume verwirklicht werden. Die Kunden waren zufrieden, wenn sie das bekamen, was sie sahen. Heute wollen sie das, was sie sich vorstellen können – und noch etwas mehr. Heute müssen die Produkte die Kunden mit allen fünf Sinnen ansprechen und sie über alle fünf Sinne die Produkte erleben lassen. Denn wenn die Kunden auf mehreren Sinnen gleichzeitig angesprochen werden, wird dieser Effekt nicht addiert, sondern multipliziert. Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström raten in ihrem Buch Funky Business forever zu folgendem Test: »Tut es weh, wenn Sie sich Ihren Wettbewerbsvorteil auf die Zehen fallen lassen? Wenn ja, sollten Sie sich über Innovationen Gedanken machen. Denn alles, was wehtut, besteht aus zu viel Material und zu wenig Wissen.« Ändern Sie dieses leicht ab: »Wenn es wehtut, dann besteht Ihr Wettbewerbsvorteil aus zu viel Material, und zu wenig Emotionen.« Was Sie anfassen können, ist meist nur wenig wert. Bieten Sie mehr als nur ein Produkt. Ihre Kunden erwarten es! So wie Sie nicht nicht kommunizieren können, erzeugen alle Ihre Kontakte zu Ihren Kunden Emotionen. Keine Emotionen erzeugen geht nicht. Die Frage ist nur, welche das sind und wie intensiv sie werden. Und das sollten Sie mit beeinflussen. 238 Praxishandbuch Produktentwicklung Warum Kunden kaufen Kunden wollen weder abgelehnt noch gleichgültig behandelt werden. Letztgenanntes ist heute in vielen Branchen noch üblich. Auch die Akzeptanz reicht nicht. Sie wollen fasziniert und emotional berührt – ja geliebt – werden. Bei vergleichbarem Preis wird das Produkt mit dem höheren Leistungsspektrum gekauft, also das mit dem höheren Nutzen. Hat jedoch eines dieser Produkte einen emotionalen Zusatznutzen, so wird häufig dieser bevorzugt, auch wenn das Produkt weniger Leistung bietet. Einige Gründe, warum die Kunden kaufen: • Aufgrund der Verwendungsmöglichkeit (rationaler/funktionaler Nutzen); • seiner Verantwortung gerecht werden. Vielen Kunden ist wichtig, wo (bei wem) und unter welchen Bedingungen das Produkt entstanden ist; • Produkte sind Ausdruck seines Besitzers, dessen Identität. Mit Produkten zeigen Menschen, wer sie sind und was sie fühlen; • Selbstverwirklichung; • gekauft wird das Gefühl, das die Kunden zum Beispiel beim Kauf, der Nutzung et cetera damit verbinden. Der Erfolg hängt davon ab, wie diese Gefühle und Träume Ihrer Kunden befriedigt werden; • der Kunde will mit Produkten in eine Traumwelt/Illusion eintauchen, seinem Idealbild näher kommen und das erleben, was er in seinen kühnsten Träumen nicht zu wünschen gewagt hat; • durch den Kauf teilhaben am Mythos und der Geschichte der Marke. Das gibt den Kunden ein gutes Gefühl; • bei teuren Artikeln erwerben die Kunden keine Produkte, sondern Identität. Und das gute Gefühl, in sich selbst zu investieren: »Weil ich es mir wert bin«, und das ist mehr als ein paar Cent; • aufgrund der Bedeutung des Produkts (symbolischer Nutzen). Durch den Kauf signalisiert der Kunde die Zugehörigkeit zu einem Lebensstil und zu einer Gruppe beziehungsweise zu einer sozialen Schicht. Dieser schließen sie sich an und grenzen sich gleichzeitig von anderen Gruppen gezielt ab. Manche treibt auch die Angst, nicht dazu zu gehören. Nicht der eigentliche Besitz sichert die Zugehörigkeit, sondern die Kommunikation an die Umwelt. Vor 15 Jahren zeigte man mit einem Handy noch seine Fortschrittlichkeit. Um Trendsetter zu sein, musste es im Jahr 2007 schon das iPhone sein. Doch auch damit gehört man heute schon fast zur »Masse«; Emotion 239 • in der Zeit von Skandalen bezüglich der Zusammensetzung und der Herstellungsverfahren wird Vertrauen immer wichtiger. Vertrauen wird überwiegend durch Emotionen erzeugt; • die Kunden wollen heute neben dem Produkt auch Erlebnis, Ambiente und Spaß. Das eigentliche Produkt ist nur noch ein Teil des Gesamten und tritt in den Hintergrund. Es gilt das biologische Grundgesetz der Rationalität: Maximale positive Emotionen und minimale negative Emotionen. Und das jeweils bei minimalem Aufwand für den Kunden. Eine Geschichte als Beispiel Ein Blinder sitzt morgens im Central Park in New York mit einem Kasten und einer Geldschüssel. Ein Werbetexter kommt vorbei und will ihm Geld geben, hat jedoch nur große Scheine. Der Werbetexter sagt zu dem Blinden: »Ich gebe dir etwas viel Wertvolleres«, nimmt einen Stift, streicht etwas auf dem Kasten durch und schreibt etwas hinzu. Am Abend kommt er erneut vorbei und fragt den Blinden, ob sich etwas geändert hat. Dieser ist ganz begeistert, da viel mehr Geld in seine Schüssel geworfen wurde. Nun fragt er den Werbetexter, was dieser geändert hatte. Antwort: »Deinen Satz ›Helft dem Blinden‹ habe ich durchgestrichen. Stattdessen habe ich geschrieben ›Es ist Mai – die Blumen blühen – und ich kann sie nicht sehen‹«. Werden Menschen emotional berührt, reagieren sie ganz anders. Bei den grundsätzlichen Kaufmotiven gibt es keinen Unterschied zwischen b-to-b oder b-to-c. Auch im b-to-b-Bereich fällen Menschen mit ihren persönlichen Bedürfnissen die Entscheidungen über den Kauf. Die Menschen unterscheiden nicht zwischen b-to-b und b-to-c, es sind immer Emotionen mit im Spiel. Fragen Sie bitte nie Ihre Kunden, ob sie Kaufentscheidungen rational fällen oder ob sie das gerade gekaufte Produkt unter emotionalen Gesichtspunkten gekauft haben. Die Antwort ist fast immer »aus rationalen Gründen«. Wer gibt denn schon gerne zu, dass er vom Unterbewussten beeinflusst wird, nicht alles im Griff hat und sich von Emotionen steuern lässt? 240 Praxishandbuch Produktentwicklung Warum Emotionen? Schon aus der eben genannten Liste der Kaufmotive wird deutlich, dass die Kunden mehr wollen als nur rationalen Nutzen. Nachfolgend sind die Vorteile emotionaler Produkte aufgeführt: • Ohne Emotionen kann der Mensch nicht entscheiden. Alle Produkte, die für den Menschen keine Emotionen auslösen, sind für ihn wertlos; • Menschen berichten anderen selten über Funktionen, denn diese sind rational, lassen sich schlecht erzählen und sind selten spannend. Viel eher lassen sich Erlebnisse und emotionale Berührungen in Geschichten verpacken, die sie im Zusammenhang mit den Produkten erlebt haben. Diese Geschichten besitzen Macht, da sie gern und häufig weitererzählt werden. Wenn Ihre Kunden Erlebnisse mit Ihren Produkten erzählen können, dann haben Sie den günstigsten und effektivsten Werbeweg: Empfehlungsmarketing. Was tun Sie dafür bei der Produktentwicklung, dass Ihre Kunden genügend Erlebnisse berichten können?; • Geschichten bleiben im Gedächtnis der Erzähler und der Zuhörer haften, da sie Bilder im Gehirn erzeugen. Es werden so beide Gehirnhälften angesprochen. Produkte mit Funktionen kommen und gehen, Geschichten bleiben; • emotionale Produkte erzeugen Sog, somit ist weniger Werbedruck notwendig; • Verlangen = Funktionaler Nutzen (Motiv) * emotionale Reize, nicht »+« sondern »*«. Das heißt, wenn ein Bereich fehlt, kann er durch einen anderen nicht kompensiert werden; • gerade bei voll ausgereiften Produkten, die auch hinsichtlich des rationalen Nutzens ausgereift sind und den Konkurrenzprodukten immer mehr ähneln, ist eine Differenzierung fast nur noch über das Erlebnis möglich. Und diese Emotionen sind nicht austauschbar. Geben Sie doch bitte mal einem Ihrer Bekannten zehn verschiedene Kaffeesorten zu trinken: von der Billigvariante am Kiosk bis hin zum Kaffee aus dem Adlon. Auch wenn sicherlich qualitative Unterschiede bestehen, werden die Geschmacksnerven häufig eher ein Zufallsergebnis liefern als das Preisgefüge widerzuspiegeln. Der Unterschied liegt im Erlebnis für den Kunden und der emotionalen Besetzung des Produkts, dem emotionalen Mehrwert. Was erlebt der Kunde beim Kauf und der Nutzung des Produkts? Welche emotionalen Reize werden angesprochen?; • Kunden sind bereit, für Produkte, die positive Emotionen auslösen, viel mehr Geld auszugeben. Die Kunden greifen dafür – wie selbstverständEmotion 241 • • • • • • • lich – tief in die Tasche, auch wenn die Herstellungskosten teilweise niedriger sind als für rein rationale Produkte des täglichen Bedarfs (zum Beispiel Lebensmittel). Wenn die Kunden neben dem guten realen Nutzen zusätzlich emotional berührt sind, reden sie nicht mehr über den Preis. Wer die Herzen gewinnt, hat mit den Köpfen und den Geldbörsen ein leichtes Spiel; Kundenloyalität nimmt ganz andere Dimensionen an; emotional gebundene Kunden kaufen häufiger und wählen teurere Varianten; große Gewinnspannen sind nur mit emotionalisierten Produkten möglich; Design und Emotion kosten in der Herstellung häufig nur sehr wenig; je unübersehbarer und unberechenbarer die Welt für den Kunden wird, je vielfältiger das Warenangebot, desto weniger rational wird gekauft und desto drängender sind die Gefühle und Emotion und desto unbewusster sind die Entscheidungen. Der Mensch nimmt nur das wahr, was emotional Sinn macht. Er stabilisiert sich über Emotionen, Leitbilder und Werte. Der Einzelhandel befindet sich nicht im Wettbewerb der Produkte, sondern im Wettbewerb der Wahrnehmung; gerade in unsicheren Zeiten wird auch Vertrauen gekauft; neben der Wirkung auf Ihre Kunden wirken die Emotionen positiv auf Ihre Mitarbeiter. Diese sind stolz, für ein Erlebnisunternehmen wie Starbucks, Harley-Davidson, Apple oder Disney zu arbeiten. Das löst doch eine ganz andere Motivation aus als beim Kellner im Plüschcafé um die Ecke. Deshalb distanzieren Sie sich davon, nur Produkte zu verkaufen. Menschen überzeugen Sie mit rationalem Nutzen und mit Emotionen. Die emotionale Komponente Häufig ist zu hören »Emotionen bei Rolex, Apple und Harley – das ist einfach zu realisieren. Aber bei unseren Produkten geht das nicht«. Doch, es geht! Das Gehirn des Käufers ist immer das gleiche, ob beim Juwelier oder bei Aldi. Nun muss nicht jeder Anbieter zu einem LifestyleUnternehmen wie Harley-Davidson werden, jedoch sind Erlebnisse und Emotionen für den Kunden in jeder Branche möglich. Jedes Angebot lässt sich emotionalisieren. Auch beim Kauf von Stahlrohren, Haushaltswaren, 242 Praxishandbuch Produktentwicklung Kopiergeräten, Möbeln, Werkzeug, Gullydeckeln, Kopierpapier, im Baugewerbe, Dienstleistungen einer Bank, Versicherungen und Behandlung im Krankenhaus sind Emotionen mit im Spiel. Somit versehen Sie all Ihre Angebote mit einer emotionalen Komponente, geben Sie ihnen über Emotionen eine Seele. Denn jedes Produkt löst Emotionen aus. Auch bei einem Bankbesuch erwarten Kunden Emotionen durch Erlebnisse – und zwar positive. Emotion kann auch Schlichtheit bedeuten. Beim Einkauf von Alltagsartikeln verzichten Kunden gern auf das glamouröse Ambiente und schickes Design. Weniger ist dabei mehr. Wichtig ist dabei für den Kunden das richtige Gleichgewicht zu finden. Auch Aldi erzeugt Emotionen (gute Qualität zu einem günstigen Preis: Da wird der Jagdinstinkt befriedigt). Die Grenzen Das Kundenerlebnis mit den erzeugten Emotionen ist Pflicht, um langfristig als Anbieter Erfolg zu haben. Das Erlebnis kann jedoch kein Produkt retten, das den Kunden keinen rationalen Nutzen bringt. Emotion und Design können noch nicht einmal reduzierten rationalen Kundennutzen kompensieren. Auch ein Apple-Computer und das iPhone müssen funktionieren und einen deutlichen rationalen Nutzen liefern. Aus diesem Grund sind Emotionen eine der Perspektiven in der Produktentwicklung, nicht die einzige. Käufer brauchen rationale und emotionale Gründe, um ein Produkt zu kaufen. »High Tech« und »High Tough« müssen im Gleichgewicht sein. Glaubhafte Emotionen können Unternehmen bei den Kunden nur erzeugen, wenn die Inhalte aus den Unternehmensleistungen resultieren und nicht von außen aufgesetzt sind. Erzeugte Emotionen und der Produktnutzen hängen direkt zusammen und müssen auch in eine Richtung gehen. Die emotionale Wirkung bricht sofort ab, wenn die erwartete Lösung und der erwartete Nutzen durch das Produkt nicht erbracht werden. Jedoch sollten Emotionen nicht nur in die Imagebroschüre geschrieben, sondern müssen auch eingehalten werden. Kunden suchen bei einer Kaufhauskette mit dem Slogan »Das Erlebniskaufhaus« immer noch nach dem Erlebnis. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt auch Fälle, in denen emotionale Produkte mit Emotionen überfrachtet sind und so eine Entemotionalisierung dem Bedürfnis einer Kundengruppe entspricht. Schon aus Emotion 243 Zeitgründen wünschen sich manche in bestimmten Situationen eine rein funktionale Lösung. Die meisten Männer gehen zum Friseur zwecks Haareschneiden und möchten so schnell wie möglich auch wieder den Laden verlassen. Sie wollen keine Kompresse, Kopfmassage oder Ähnliches. Andere Gruppen sehen einen Friseurbesuch als Highlight der Woche. Da geht es fast nur um Emotionen. Wechseln Sie von einer emotionalen Ausrichtung auf die rein funktionale und Sie werden eine ganz andere Kundenklientel ansprechen. Sie können dann überlegen, ob Sie die durch die Entemotionalisierung eingesparten Kosten in Form von Preissenkungen an Ihre Kunden weitergeben oder nicht. Es gibt sicherlich Personen, die gerade für die Entemotionalisierung des Friseurs sogar noch mehr Geld ausgeben würden, wenn sie doch nur schneller wieder den Laden verlassen könnten. Die Stufen der Wertschöpfungspyramide Es gibt unterschiedliche Stufen der Wertschöpfung, angefangen vom Verkauf der Rohstoffe bis hin zur Traumerfüllung beim Kunden. Die meisten Produkte befinden sich auf den Stufen eins bis drei, mit Tendenz zu den unteren zwei. Jedoch sind die höchsten Preise und die größte Gewinnspanne mit Produkten der oberen Stufen zu erzielen. Diese Steigerung erfolgt nicht linear, sondern exponentiell. Die reine Produktion von Produkten können Unternehmen in anderen Ländern meist weitaus günstiger erledigen. Erklimmen Sie mit Ihrem Angebot die oberste Sprosse der Werteleiter. Abbildung 23: Wertschöpfungspyramide Träume wahr werden lassen Fesselnde Erlebnisse Service/Dienstleistung Produkte Rohwaren/Rohstoffe 244 Praxishandbuch Produktentwicklung Es zählt die immaterielle Wertschöpfung: weg von physischen Produkten, sondern über Gefühle und Erlebnisse zur Traumerfüllung. Bieten Sie Traumerfüllung, statt in der Stufe eines Warenlieferanten festzustecken. Helfen Sie den Kunden mit Ihren Produkten das zu sein, was sie gerne sein wollen. Hören Sie in der Produktentwicklung nicht eher auf, ehe das Produkt nicht diesen Elfenstaub von Harley-Davidson oder Starbucks bietet. Vom Customer Success zu Customer Satisfaction. Bewerben Sie einen Traum, nicht ein Produkt. Und platzieren Sie Ihre Marke um die Traumerfüllung. Die Traumerfüllung unterscheidet sich von sachlichen Dienstleistungen, wie diese sich von physischen Produkten unterscheidet und Produkte von Rohwaren differieren. Eine weitere Stufe an der Spitze ist: Erlebnis + Lernen (Kunden werden in die Produktentwicklung einbezogen und lernen etwas), zum Beispiel ein Uhrmacher(schnell)kurs für Kunden von Edeluhren. Der Kunde legt selbst Hand an und dreht die letzten Schrauben fest. Dieses erzeugt einen ganz anderen Bezug zum Produkt. Whisky Shops bieten Getränke und Workshops an, in denen der Kunde etwas über die Herstellungsmethoden, die verwendeten Inhaltsstoffe et cetera erfährt. Delikatessengeschäfte bieten Kochkurse an, in denen die Kunden die Möglichkeit haben, sich dort das Essen zuzubereiten und nach Hause mitzunehmen. Die Kunden wollen teilhaben, nicht passiv sein. Sie wollen keine Marke kaufen, sondern sich in eine Marke einkaufen. Dieses Handwerkersyndrom kann nicht nur bei Werkzeug, sondern in vielen Bereichen genutzt werden. Je mehr Handlungsfreiheit vorhanden ist, desto größer ist der Stolz. Für Viele zählt ein selbst gebackener Kuchen in der Außenwirkung mehr als eine Backmischung, noch »schlimmer« ist gekaufter Kuchen. Für das Computerspiel SIMS (www. thesims.ea.com) gibt es Zusatztools, mit denen die Kunden das Spiel weiterentwickeln können. Auch ist der Austausch der Eigenentwicklungen mit anderen Kunden möglich. Die Kunden übernehmen so – ohne Bezahlung – die Aufgaben der Hersteller und sind dadurch emotional stärker gebunden. Die Tendenz zum Handanlegen ist eher im privaten Bereich zu beobachten, im b-to-b-Bereich werden die funktionalen Endprodukte bevorzugt. Die Veredelung von der Kaffeebohne zum Erlebnis auf der Wertschöpfungspyramide zeigt Starbucks der ganzen Welt: • Der Rohstoff für einen Becher Kaffee liegt im Cent-Bereich pro Pfund. Die Wertschöpfung für den Kaffeebauern ist die geringste aller Stufen, obwohl hier die meiste und schwerste Arbeit anfällt; • Kaffeeröster erwirtschaften mit geröstetem Kaffee schon etwas mehr, jedoch immer noch wenig; Emotion 245 • Mit gemahlenem Kaffee im Einzelhandel steigt der Preis (500 Gramm kosten circa 4,50 Euro) und die Wertschöpfung weiter; • der Preis für eine Tasse in einem Café (Dienstleistungsunternehmen) liegt bei circa 2,50 Euro. Hier ist die Rendite schon recht hoch. Berechnen Sie mal die Wareneinsatzkosten für eine Tasse Kaffee; • Starbucks gibt noch etwas Sirup dazu und macht aus Kaffee ein Erlebnis (spricht mit dem Ambiente, Duft, Einrichtung, Musik et cetera alle fünf Sinne an). Jetzt kostet der Becher 5 Euro. • Einzigartige Erlebnisse bieten zum Beispiel Restaurants an der Champs Elysees in Paris oder 6- bis 7-Sterne-Hotels. Hier wird der Kaffee zur Nebensache. Sehen und gesehen werden zählen hier. Über 10 Euro muss der Kaffee einem schon wert sein. Im Burj al Arab in Dubai werden für den Afternoon Tea circa 50 Euro berechnet, pro Person. • Wenn dann noch die Kunden über Erlebnisse in die Herstellung des Produkts eingebunden werden (zum Beispiel durch Schulungen werden Kunden zum Kaffeekenner), dann sind auch hier mit dem Preis nach oben keine Grenzen mehr gesetzt. Der Preis für die Rohstoffe liegt immer noch im Cent-Bereich Der Erfolg von Starbucks zeigt, dass mit einem so einfachen Getränk wie Kaffee durch Produkterweiterungen und ein passendes Umfeld ein hochpreisiges Erlebnis erzeugt werden kann – und zwar im Weltformat. Allein in Manhattan gibt es circa 150 Starbucks-Cafés. Wenn Sie sich mit einem Bekannten bei Starbucks auf dem Broadway treffen wollen, verpassen Sie sich wahrscheinlich. Es gibt dort 19 Starbucks-Cafés. Auch in Deutschland, wo ja die Geiz-ist-geil-Welle regiert, haben Sie zum Beispiel auf dem Kurfürstendamm in Berlin zu jeder Zeit lange Schlangen vor Starbucks, ein Becher kostet auch hier um die 5 Euro. Stellen Sie sich folgende Fragen: Auf welcher Stufe sind Ihre Kuchen? Was ist Ihr Sirup? Ihr Elfenstaub? Wo und womit verzaubern Sie? Wie können Sie mit kleinen Veränderungen Ihr Produkt zu einem Erlebnis machen und locker einen höheren Preis verlangen? Beispiele Was haben der iPod, edle Weine und Davidoff gemeinsam? Sie lösen Emotionen aus, erfüllen Träume. Alles ist um eine Geschichte gebaut (über Herstellungsverfahren, Ursprung, Vision, Firmenkultur, Mitarbeiter, Kundenerlebnisse und Ähnliches). 246 Praxishandbuch Produktentwicklung Nike Verkauft wird die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und der Traum von Sportlichkeit. Es geht um die Bedeutung für einen selbst und für das Umfeld. Gerade in Gruppen »müssen« es bestimmte Schuhe sein, um mitreden zu dürfen. Bahlsen-Kekse Das Knacken des Kekses beim Durchbrechen ist ein Qualitätskriterium. Es wird darauf geachtet, dass es immer gleich »klingt«. Die akustische Wahrnehmung ist Bestandteil des Produkts. Qualität soll man hören können. Auch Kellogg’s achtet sehr genau auf das Crunch-Geräusch seiner Frühstücksflocken. Build-a-Bear Ein Traum für Kinder und Erwachsene. Statt aus einem Regal ein Plüschtier zu wählen, sind die Kunden voll in der Produktion einbezogen und können ihren Bären (oder auch andere Tiere) individuell kreieren. Das Logo verdeutlicht dieses: »Bulid-a-bear Workshop«. Dieses erfolgt in folgenden Schritten, die auch an Tafeln »vorgegeben« sind. Da traut sich kein Kunde abzuweichen: • »Such mich aus«: eine Auswahl aus circa 50 verschiedenen Bären, Katzen, Hunden; • »Horch mal«: kleine, auf Druck reagierende Geräuschkästen mit Musik oder Stimme, 16 zur Auswahl; • »Füll mich«: gemeinsam (der Kunde betätigt ein Pedal, das die Federn pumpt) mit der Verkäuferin wird der Bär mit Federn gefüllt, der Kunde sucht ein Stoffherz aus, reibt es an seinem Herz, erweckt es so zum Leben, küsst es und steckt es in den Bären; • »Mach mich flauschig«: mit Kaltluft und Bürste wird der Bär vollendet; • »Zieh mich an«: Kleidung, Schuhe, Sonnenbrille, Bälle in allen Varianten. Einige Kleidungsstücke sind mit dem Hinweis »Schicke Sommermode« gekennzeichnet. Spätestens zum Winter sollte dann der Bär neu eingekleidet werden. Sonst ist er out; • »Gib mir einen Namen«: Am einfach zu bedienenden Computer werEmotion 247 den die persönlichen Daten des Besitzers eingegeben und dem Bären einen Namen gegeben; • »Nimm mich mit nach Hause«: Der Kunde zahlt, erhält eine Geburtsurkunde mit den am Computer eingegebenen Daten und ein kleines Haus für den Bären. Abbildung 24: Build-a-Bear-Anleitung 248 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 25: Ankleideraum für Bären bei Build-a-Bear Zum Schluss »Das Bärenversprechen: Mein Bär ist etwas ganz Besonderes. Ich habe ihm das Leben geschenkt. Ich habe ihn selbst ausgesucht und gefüllt. Jetzt nehme ich ihn mit nach Hause. Beste Freunde hat man ein Leben lang. Und so verspreche ich jetzt: Dass mein Bär mein allerbester Freund sein wird.« Build-a-Bear ist kein Geschäft, sondern mehr eine Geburtsstätte für Baby-Bären, die Lichtjahre entfernt ist vom Kauf eines »fertigen« Bären aus dem Regal. Und das lassen die Kunden sich gern etwas kosten. Den Bären gibt es für circa 20 Euro. Für Kleidung und Accessoires wird schon beim Kauf ein Vielfaches ausgegeben. Der spätere Kauf aktueller Saisonmode ist hier noch nicht mitgerechnet. Und mit dem Kauf ist noch nicht Schluss: Über die Registrierung in Schritt 6 können »Bäreneltern« im Internetforum miteinander kommunizieren und ihre Erfahrungen austauschen. Und nicht nur Kinder zählen zu den Kunden. Teenager und Erwachsene stehen Schlange, um ihr Stofftier gefüllt zu bekommen. Auch die »technische« Seite ist bemerkenswert. Trotz dieser optisch total unterschiedlichen Tiere passen alle Kleidungsstücke allen. Die Körpermitte hat identische Maße, nur Kopf, Arme und Beine sind unterschiedlich. Emotion 249 Starbucks Starbucks ist mit weltweit circa 15 000 Stores in circa 40 Ländern die größte Coffeeshop-Kette der Welt. Stammkunden besuchen Starbucks mindestens jeden zweiten Tag – das ist fast Kultstatus. Starbucks hat es geschafft, viele Menschen, die noch nie in einem Café waren, dazu zu bewegen, für das Alltagsgetränk Kaffee mit etwas Sirup das Doppelte gegenüber einem normalen Kaffee auszugeben (bis zu 5 Euro pro Becher). Und das, wo die Menschen bis jetzt nur Kaffee, Milchkaffee, Capuccino und Latte Macchiato kannten. Die Kunden zahlen das Doppelte für das Ambiente, die Atmosphäre, die Individualität. Kaffeetrinken ist hier weitaus mehr als Durst löschen. Starbucks ist zum Third Place geworden: der gemütliche Ort, der Wärme ausstrahlt zwischen Arbeit und Zuhause (vor und nach der Arbeit) mit WLAN, ansprechender Musik, Sofaecken, ansprechendem Design, Steckdosen für das Laptop – ein Stück Lebensgefühl, das Identität gibt. Es geht um das Wohlgefühl mit allen Sinnen. Es sind die 15 Minuten Pause vor den Problemen des Alltags und am Abend ein Stück Belohnung. Es gibt hier auch keine missbilligenden Blicke der Bedienung, wenn man etwas länger sitzt. Die Kunden können die Bestellung ihren persönlichen Bedürfnissen anpassen (Eigenkreationen, Temperatur, entkoffeiniert, Sojamilch, Sirup et cetera). In einem klassischen Café ist dieses ausgeschlossen. »Wir sind nicht im Kaffee-Geschäft und bedienen Menschen. Wir sind im Menschen-Geschäft und servieren Kaffee«, beschreibt Howard Schultz, CEO von Starbucks, die Philosophie. Die Atmosphäre soll so gut sein, dass die Kunden auch kommen, wenn es keinen Kaffee gäbe und Starbucks Eintritt verlangen würde. Für manche ist Starbucks nicht der dritte Ort, sondern der zweite: Sie kommen mit Laptop und erledigen dort ihre Arbeit. Starbucks hat ein einfaches, vergleichbares Produkt durch Möglichkeiten der Individualisierung und dem Ambiente emotional aufgeladen und so eine sowohl von der Kundenanzahl als auch der Gewinnmarge einzigartige Marktposition erhalten. Bleibt die Frage: Was ist Ihr Starbucks-Effekt? Was ist Ihr Aromasirup? Wie können Sie Ihre Produktpalette um einen Zusatz so emotionalisieren, dass die Kunden ein Vielfaches dafür zahlen und Schlange stehen? Je höher Ihr Angebot auf der Erlebnisleiter steht, desto mehr Spielraum haben Sie in der Preisgestaltung nach oben. Würde Starbucks einfach nur Kaffee verkaufen, wären die Kunden auch nur bereit, maximal 1,50 Euro pro Becher zu bezahlen. Bei aller Marktführerschaft stößt Starbucks in den letzten Jahren an seine Grenzen. Das hat unter anderem folgende Gründe: 250 Praxishandbuch Produktentwicklung • Starbucks hat mittlerweile zu viele Stores (in Kaufhäusern, Supermärkten). Das Feeling des dritten Orts lässt sich hier häufig nicht rüberbringen, das Magische verfliegt. Manche neue Läden sind nicht mehr gemütlich, sondern gleichen einem Stehimbiss. Da kann die Expansion nach hinten losgehen. Ohne Emotion rückt der Preis in den Vordergrund. Und der ist bei Starbucks sehr hoch; • das seit über 20 Jahren bestehende Konzept ist lange keine Innovation mehr, Kunden erwarten gerade vom Marktführer den neuen Kick; • andere Anbieter kamen hinzu oder holen auf (beispielsweise Balzac Coffee in Norddeutschland). Diese Unternehmen haben Elemente von Starbucks in ihr Konzept übernommen. Somit verschwindet der große Unterschied zu Starbucks. Harley-Davidson Der ehemalige CEO von Harley-Davidson, Richard Teerlink, brauchte lange, um es allen zu verdeutlichen. Schlussendlich hatten die meisten es begriffen: Harley-Davidson ist ein Lifestyle-Unternehmen und kein Motorradhersteller. Dazwischen liegen Welten. Harley markiert den rebellischen Lebensstil. Eine Harley-Davidson ist der Ausdruck der Persönlichkeit des Fahrers – oder zumindest der Versuch. Das macht heute den Marktwert von Harley aus. Denn was verkauft Harley? Hierzu eine Aussage eines ehemaligen Geschäftsführers: »Was wir verkaufen ist die Möglichkeit für einen 43-jährigen Buchhalter, sich in schwarzes Leder zu kleiden, durch kleine Dörfer zu rasen und die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen«. Es geht hier nicht nur um das Motorrad, sondern um die Möglichkeit – zumindest kurzzeitig – auszusteigen. Auf die Frage der Citybank nach Sicherheiten des Unternehmens war die Antwort von Willie Davidson: »Ich habe das einzige Firmenlogo der Welt, das sich Menschen tätowieren lassen«. So groß ist die Verbundenheit der Harley-Fahrer zum Unternehmen. Wenn Sie glauben, dass Sie bereits treue loyale Kunden haben, dann sei diese Frage gestattet: Wie viel Prozent Ihrer Kunden haben Ihren Firmennamen, Ihren Slogan oder den Namen eines Ihrer Produkte sich auf ihren Körper tätowieren lassen? Wenn es – technisch gesehen – ein Haufen Metall zu einem Motorrad zusammengeschweißt schafft, diese Emotionen auszulösen, warum dann nicht auch Ihre Produkte? Für die meisten ist eine Harley Lärmbelästigung – für einige das schönste Geräusch auf der ganzen Welt. Harley hat sein Motorengeräusch Emotion 251 patentieren lassen, nachdem japanische Hersteller versucht haben, dieses über ein zusätzliches elektronisches Soundsystem in ihren Maschinen nachzukonstruieren. Harley-Davidson hat mit Coca Cola und Walt Disney mehr gemeinsam, als mit anderen Motorradherstellern. Harley verkauft als erstes Emotionen und Gefühle – den amerikanischen Traum von Freiheit und Nostalgie. Und als »kostenlose« Beigabe erhält der Kunde noch ein Motorrad hinzu. Der Preis liegt über dem der meisten anderen Motorradhersteller, wobei das physische Produkt nicht besser ist. Wer nur ein Fortbewegungsmittel auf zwei Rädern will und ausschließlich rational entscheidet, wird sich höchstwahrscheinlich ein Motorrad einer anderen Marke kaufen. Aber bei Harley-Davidson geht es nicht um Motorradfahren, sondern um das Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Ein ganz anderes Lebensgefühl. Optik, Sound und Geruch sind wichtig. Hinzu kommen die ganzen Clubs und Treffen, die eine noch stärkere Bindung an Harley erzeugen. Harley-Days gibt es in ganz Deutschland. Können Sie sich Yamaha-Days vorstellen? Aussage eines Bikers: »Mein Bike bin ich. Der Ofen drückt mich aus – hart und schwarz«. Ein Harley-Fahrer bezeichnet sein Gefährt nie als Motorrad, Inhaber anderer Marken schon. Man fährt halt eine Harley oder (nur) ein Motorrad. Und wenn doch mal etwas mit der Harley sein sollte, lautet die Antwort: »Meine Harley verliert kein Öl, sie markiert ihr Revier«. Luxuswohnungen Als rational können viele Wohnungskäufe in Manhattan nicht bezeichnet werden. Wenn für ein Einzimmerapartment im Trump-Tower eine Monatsmiete im fünfstelligen Bereich zu zahlen ist, dann sind Emotionen im Spiel. Es sind Prestigegründe, die Interessenten dazu bringen, so viel zu zahlen. Der durchschnittliche Preis für eine Eigentumswohnung in Manhattan hat sich in den Jahren 1995 bis 2005 mehr als verdreifacht. Und Geld allein reicht nicht: Relativ willkürlich entscheidet der Verwaltungsrat von Edelgebäuden, wer dort ein Luxusappartement erwerben kann und wer sich nach einer anderen Bleibe umsehen muss, unabhängig vom Berühmtheitsgrad und Geldbeutel. Man mache etwas knapp, elitär und teuer und kann sich vor Umsatz kaum retten. Bei solchen »Produkten« müssen neben der Hardware (dem Apartment) selbstverständlich die weichen Faktoren herausragen. Hier gilt es – unter anderem mit Design – überwiegend die Emotionen der Interessenten anzusprechen. 252 Praxishandbuch Produktentwicklung Fernsehköche Kocht Jamie Oliver wirklich so viel besser als alle anderen? Wohl kaum. Er hat sich in Jeans, Turnschuhen und T-Shirt jedoch von den anderen Köchen im weißen Kittel und Mütze abgehoben und eine ganz andere Kundengruppe angesprochen. Er wurde zum Popstar der Köche. Vertu Diese Edelmarke von Nokia verkauft zwar technisch Handys, auf der anderen Seite aber alles andere, nur keine Handys. Es sind Schmuckstücke zum Preis von 3 000 und über 100 000 Euro. Sie werden nicht in HandyLäden verkauft, sondern in eigenen Geschäften, bei Juwelieren und in Uhrengeschäften. Diese Handys sind so positioniert, dass sie preislich nicht mit den Geräten anderer Anbieter verglichen werden, sondern mit Schmuck. Diese Schmuckstücke sind mit Edelsteinen besetzt, auf Druck der VIP-Taste meldet sich der Concierge und beantwortet Fragen, zum Beispiel nach dem aktuellen In-Restaurant in Mailand. Apple Dieses Unternehmen hat es geschafft, mit seinen technischen Produkten eine Fangemeinde zu gewinnen. Es sind Geräte (Computer, mp3-Player und Handys), die grundsätzlich weit weg von jeglicher Emotionalität sind. Und doch stehen die Kunden um Mitternacht Schlange, um das neueste Modell zu ergattern. Man hat entweder einen Computer oder einen Mac, einen mp3-Player oder einen iPod oder ein Handy oder ein iPhone. Kein Kunde antwortet auf die Frage, womit er schreibt oder Fotos verwaltet: »Mit meinem Toshiba/Samsung/Sony«. Da heißt es: »Auf meinem PC«. Ein Mac-Besitzer nennt die Geräte beim Namen: »iPod«, »iPhone« und »Mac«. Die Apple-Kunden lieben ihre Geräte. Andere Computer hingegen sind für ihre Besitzer lediglich Arbeitsgeräte. Neben dem Design fällt Apple unter anderem noch durch seine kostenlosen Anwendungsschulungen und eine äußerst einfachen Bedienbarkeit der Geräte auf. Emotion 253 iPod Die Käufer sind zufriedener mit ihrem Gerät als die Käufer anderer Marken. Er ist von der Klangqualität gemäß diverser Tests nicht der beste, jedoch mit Abstand der teuerste mp3-Player. 2007 wurde seit der Markteinführung 2001 der hundertmillionste iPod verkauft. In den USA hat Apple mit dem iPod einen Marktanteil von über 50 Prozent. iPhone Das neue iPhone 3GS wurde am ersten Tag in Deutschland 18 000 Mal verkauft (die Vorgängermodelle »nur« 10 000 beziehungsweise 15 000 mal am ersten Tag), zwischenzeitlich lagen 10 000 Vorbestellungen vor. Insgesamt hat Apple an den ersten drei Tagen mehr als eine Million von diesem neuen Modell verkauft. Auch das Vorgängermodell knackte an den ersten drei Tagen die Millionen-Marke. Wochen später waren um 7:00 Uhr und 23:00 Uhr noch Menschenschlangen im Apple-Store von circa 50 Personen zu beobachten. Für das erste iPhone haben die Kunden vor den Läden in den USA im Schlafsack übernachtet. Und das für ein Gerät, was es mit vergleichbaren Grundfunktionen sonst – mit Vertrag – für einen Euro gibt. Doch da steht keiner Schlange. Wann hatten Sie vor Ihren Verkaufsstellen in der Nacht vor einer Produktneueinführung Bettenlager? Was hier zählt, ist unter anderem ein Top-Design, die Verbundenheit zu Apple (viele iPhone-Kunden besitzen auch einen Mac) und das Gefühl, zu den ersten Auserwählten zu gehören. Nespresso Rational ist es nicht zu begründen, für eine Espresso-Maschine im Durchschnitt 600 Euro auszugeben (häufig noch mehr). Hinzu kommen die Tabs mit je 5 Gramm Espresso-Pulver zu einem Preis von circa 35 Cent. Hochgerechnet auf ein Kilo beträgt der Preis 70 Euro, bei Aldi steht Espressokaffee für 7,49 Euro pro Kilo im Regal. Aber die NespressoKaffeeautomaten sind ein Statussymbol und drücken ein Lebensgefühl aus. Es wird mehr Image und Exklusivität verkauft als Kaffee. Die Innovation bei Nespresso (www.nespresso.com) besteht unter anderem darin, die Portionen einzeln verpackt anzubieten. Somit ist das Gerät einfach zu bedienen und zu reinigen und gewährleistet lange Haltbarkeit, die insbesondere in ­Single-Haushalten geschätzt wird. Neben Kaffee und Geräten 254 Praxishandbuch Produktentwicklung werden noch Ergänzungen angeboten – ein ganzes Nespresso-System. So zum Beispiel Accessoires wie Geschirr, Shaker, Duftkerzen und in kleinen Portionen verpackter Zucker mit unterschiedlich farbiger Papierhülle. Preis: 100 Stangen à 3 Gramm für 6,50 Euro. Das heißt der Kilopreis für diesen Zucker liegt bei über 21 Euro. Vergleichen Sie diesen Preis mal mit Zucker aus dem Supermarkt. Und trotz – oder gerade wegen – der Preise und dem Gesamtkonzept sind in den Stores meist Schlangen an den Kassen. Da kauft man nicht mal eben Kaffee, sondern schließt sich der Marke und dem Lebensgefühl an. Es gibt sogar einen Nespresso-Club, den man in einem registrierungspflichtigen Bereich auf der Homepage findet. Da geht es weniger um das Produkt, als um die Zugehörigkeit. Und so sind teilweise auch die Geschäfte aufgebaut: Im Geschäft in New York sind nur im hinteren Bereich die Produkte ausgestellt. Der vordere Bereich ähnelt einer Galerie, in der aus den Tabs kreierte »Gemälde« aushängen. Abbildung 26: Mit Kaffee-Tabs erstellte Portraits füllen fast den ganzen Laden Emotion 255 Harry Potter Nachts zur Geisterstunde stürmen die Kunden in die Läden, um am ersten Tag ihr vorbestelltes Exemplar in den Händen zu halten. Die Exemplare und Eintrittskarten für das Nachtevent sind begrenzt (künstliche Verknappung) und heiß begehrt. Neben dem Kaufpreis für das Buch nehmen die Geschäfte auch noch Eintritt. Am nächsten Tag wäre das Buch ohne Eintritt und ohne nächtliche Wanderung zu erhalten. Nintendo Wii Am Morgen der Markteinführung stand um 5:00 Uhr im Winter in New York vor dem Geschäft eine lange Menschenschlage. Sie wollten alle das neue Produkt am ersten Tag nach Hause tragen. Rationell ist dieses bei Temperaturen weit unter 0 Grad nicht zu begründen. Kunden nehmen solche Strapazen nur auf sich, wenn das Produkt etwas Besonderes bietet. Und da reicht ein rationaler Nutzen nicht aus, es müssen Emotionen angesprochen werden. Ging es hier um den Preis? Sicherlich nicht. Jones Soda Hier (www.jonessoda.com) werden die Kunden in die Produktentwicklung involviert. Sie stimmen über neue Geschmackssorten, Farben und Produktnamen ab. Sie schicken Fotos ein, von denen dann einige auf den Flaschenetiketten abgedruckt werden. Die Marke gehört somit nicht dem Unternehmen, sondern den Kunden, die diese erst erschaffen. Das erzeugt Bindung. Die Menschen sind nicht auf der Welt, um allein zu sein, sie wollen zu einer Gruppe gehören. Bieten Sie ihnen mit Ihren Produkten und Ihrer Marke diese Gelegenheit. Dass dieses Unternehmen in Facebook, Twitter, Flickr und Youtube vertreten ist und dort Informationen einstellt um mit den Kunden zu diskutieren, ist selbstverständlich. Spielautomaten Der »Geldeinwurf« bei diesen Geräten erfolgt heute über Kreditkarten. Um Kunden zumindest noch akustisch das Gefühl zu geben, sie gewinnen 256 Praxishandbuch Produktentwicklung zwischendurch etwas Geld, ist unten ein Lautsprecher angebracht, woraus nach einem Gewinn das Geräusch von klingenden Münzen zu hören ist. Abbildung 27: Spielautomat ohne Geldauswurf, dafür mit Lautsprecher (rechts unten) Umwelt Immer mehr Kunden interessieren sich dafür, wie sehr bei der Forschung (Tierversuche), Herstellung (Produktion in China oder in Deutschland, wie etwa Trigema) und den verwendeten Rohstoffen die Umwelt (Menschen, Tiere, Pflanzen) geschädigt oder geschützt wird. Gehören auch die Menschen in Ihrem Marktsegment dazu, sollten Sie alle Produktionsschritte entsprechend anpassen und dieses auch hervorheben. Hierzu gehören auch Standards wie SA 8000, bei der die Unternehmen sich zur Einhaltung von sozialen Verhaltensnormen verpflichten. Im SA 8000 Standard ist die Verantwortung gegenüber Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden und der Gesellschaft festlegt. So unter anderem das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, das Verbot von Rassen-, Geschlechts- und Religionsdiskriminierung, die Einforderung und Einführung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Dieses kann für Unternehmen wichtig sein, die in Emotion 257 Drittländern herstellen lassen. Denn die Bekanntgabe von schlechten Arbeitsbedingungen kann die Akzeptanz von Produkten fast auf Null abstürzen lassen und ein Unternehmen in den Ruin führen. Die Entwicklung In den erfolgreichen Produkten von heute und insbesondere von morgen stecken Sinn und Emotionen. Diese Produkteigenschaft ist unsichtbar – beeinflusst jedoch das Kauf- oder Nichtkaufverhalten der Kunden enorm. Diese Eigenschaft steht nicht in den Funktionen. Es geht hierbei darum, die Kunden zu begeistern, zu binden, die Kunden mit mehr als den Funktionen und den niedrigen Preisen zum Kauf zu bewegen. Abbildung 28: Woraus ein Produkt besteht 100 % 80 % Emotion 60 % Dienstleistung 40 % Ware 20 % 0% Früher Heute Morgen Auch bei physischen Produkten besteht der Wert nicht mehr nur aus der Ware. Die Kunden erwarten ein Komplettpaket. Hierzu gehört die zugehörige Dienstleistung und ein immer größerer Anteil an Emotionen. Der Kunde von morgen sucht und erwartet die emotionale Bindung zu seinen Produkten. Produkte haben zukünftig nur dann noch eine Chance auf Erfolg, wenn neben dem rationalen Nutzen auch die Emotionen angesprochen werden. Der Kauf und der Nutzen des Produkts müssen zu einem einmaligen Erlebnis werden. 258 Praxishandbuch Produktentwicklung Zwei Ansätze, um Emotionen zu erzeugen Starke Reize von außen Hierzu gehören Hardfacts wie die Hardware-Ausstattung, zum Beispiel in einem Hotel ein 25-Meter-Schwimmbad im Keller, goldene Wasserhähne, Marmor in der Eingangshalle, Originalgemälde in jedem Zimmer und so weiter. Häufig ist dieser Ansatz in den internationalen Top-Hotels (6 bis 7 Sterne) zu beobachten. Jedoch können sich die meisten Unternehmen – insbesondere klein- und mittelständische Betriebe – diesen Ansatz nicht leisten. Denn in diesen Betrieben müssen sich Investitionen rechnen. Starke Reize von außen sind eher etwas für Großunternehmen, die ein Prestigeobjekt brauchen und wo es zweitrangig ist, ob es sich finanziell rechnet. Sie können noch so gute Hardfacts haben, wenn (wie zum Beispiel in einigen Luxusläden) den Mitarbeitern die Arroganz ins Gesicht geschrieben steht, werden keine positiven Emotionen bei den Kunden erzeugt und die Ausgaben für die Hardfacts sind aus dem Fenster geworfen. Heimliche Berührungen von innen Das ist der Bereich mit den weichen Faktoren wie: • Art der Herstellung (Kinderarbeit in Fernost? Umweltschädigend? Um sich positiv abzuheben, sollte gerade dies nicht der Fall sein); • Softskills: die Ausstrahlung, das Auftreten, der Respekt und die Herzlichkeit der Mitarbeiter gegenüber dem Kunden; • Verhalten der Mitarbeiter bei Anfragen und Beschwerden; • Servicequalität. Die Softfacts sind die kleinen Dinge und Aufmerksamkeiten, die Ihre Kunden mitten ins Herz treffen. Diese sind viel wirksamer und auch in der Umsetzung viel günstiger als Hardfacts, jedoch schwieriger umzusetzen. Jeder Kontakt zählt Jeder Kontakt des Kunden mit Ihrem Unternehmen löst Emotionen aus. Es hängt von Ihnen ab, wie stark diese ausgeprägt und ob diese positiv oder negativ sind. Positive Erlebnisse und Emotionen sollen die Kunden Emotion 259 nicht nur bei der Nutzung haben, sondern bei allen Kontakten mit dem Unternehmen und den Produkten. Die ganze Kontaktkette der Kunden muss aus einem Guss sein, sonst wirkt es aufgesetzt. Setzen Sie – wie die Hotelkette Ritz-Carlton – auf »moments of truth«: auf die magischen Momente der Wahrheit. Dazu gehören alle Kontakte des Gastes mit einem Mitarbeiter, egal ob Rezeptionsleitung oder Zimmermädchen. Am besten ist, wenn bei diesen Momenten etwas eintritt, was den Kunden positiv überrascht. Überlassen Sie diese magischen Momente nicht dem Zufall. Bei jedem Kontakt soll der Kunde glücklicher als vorher sein. Das gilt für Auswahl, Kauf, Lieferung, Nutzung, Service, Reklamation und Entsorgung (zumindest soll der Kunde hier nicht das schlechte Gefühl haben, dass er in diesem Schritt die Umwelt schädigt). Bei jeder Stufe muss jeder Kunde seine individuelle positive Geschichte erleben, die er Freunden erzählen kann. Ihre Standortbestimmung Hier können Sie prüfen, ob und wo Sie Nachholbedarf bei der Emotionalisierung Ihrer Produkte haben: • Wie oft kommen die Begriffe »Emotion«, »Kundenträume verwirklichen« und Ähnliches in Ihren Produktentwicklungsmeetings vor?; • fahren Sie Harley, besuchen Sie Starbucks, gehen Sie in einen AppleStore, laufen Sie mit Freunden in Nike-Schuhen und machen Sie einen Urlaub im Robinson-Club. Da spüren Sie die Emotionen, auf die es ankommt. Sammeln Sie diese Produkte. Schreiben Sie auf, was das Besondere an ihnen ist. In welchem Umfang sind diese Produkte ein Erlebnis, wo werden Träume erfüllt? Erstellen Sie eine Skala von 1 bis 10 und bewerten Sie, wie intensiv Erlebnisse enthalten sind und Träume angesprochen werden; • welche Emotionen lösen Ihre Produkte in den Köpfen Ihrer Kunden aus? Jetzt tragen Sie Ihre Produkte in die Skala ein; • welche Geschichten können Ihre Kunden über Ihr Unternehmen und Ihre Produkte erzählen? Und welche werden wirklich erzählt? 260 Praxishandbuch Produktentwicklung Umsetzung bei Ihren eigenen Produkten So machen Sie aus Ihren nutzwertigen Produkten ein Erlebnis und eine Traumerfüllung: 1.Sie müssen die emotionalen Treiber bei Ihren Kunden herausfinden. Wovon träumt Ihr Kunde? Beschaffen Sie sich so viele Informationen wie möglich. Denn nur dann ist es möglich, auf dieser Klaviatur zu spielen und am wirkungsvollsten Punkt anzusetzen. Diese Informationen erhalten Sie nicht über Sekundärforschung oder Marktforschungsagenturen, sondern eher über Einzelgespräche im gewohnten Umfeld des Kunden. Und da zählen Beobachtungen mindestens so viel wie das, was der Gesprächspartner sagt; 2.erstellen Sie eine Liste der Emotionen, die ausgelöst werden sollen, und der Träume, die geweckt und erfüllt werden sollen; 3.setzen Sie ein Team zusammen, das für die Einbettung von Emotionen und Träumen zuständig ist. Und bitte: keine AWM (Alte Weiße Männer) für die Entwicklung von Teenagerprodukten oder Produkten für Frauen einsetzen. Umgekehrt gilt das gleiche. Beziehen Sie stattdessen Personen mit ein, die dem Marktsegement entsprechen. Und lassen Sie diese auch entscheiden, auch wenn diese in der Entscheidungshierarchie noch nicht ganz oben stehen; 4.laden Sie Ihr Produkt mit Emotionen auf, die Ihre Kunden ins Herz treffen und träumen lassen. Hauchen Sie allen (mindestens allen relevanten) Funktionen und rationalem Nutzen eine Seele ein, und zwar entlang der gesamten Angebotskette und für jede einzelne Funktion: Werbung, Geschäft, Probenutzung, Kundenservice und so weiter. Das gilt für b-to-c und b-to-b; 5.überlegen Sie, ob das Produkt limitiert ist oder Wartezeit für den Kunden angesetzt wird. Im Hochpreissegment gilt häufig: Je knapper das Produkt ist, als desto wertvoller wird es empfunden, desto größer ist der Reiz, es zu besitzen und desto teurer lässt es sich verkaufen; 6.wie können Sie mit Ihren Produkten Bilder und Filme in den Vorstellungen Ihrer Kunden erzeugen? Überlegen Sie, wie Sie diese in positive Geschichten einbetten können, die Ihre Kunden dann von sich aus weitererzählen. Das Produkt, das die besten Geschichten erzählt, gewinnt. Kombinieren Sie die sechs Perspektiven (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart, Emotion, Design) so, dass es Ihren Kunden leicht fällt, über Ihre Produkte Geschichten zu erzählen. Die Menschen erzählen gern, am liebsten das, was sie selbst erlebt haben. Emotion 261 Fördern Sie so das Storytelling Ihrer Kunden, insbesondere über den subjektiven Wert Ihrer Produkte. Denn Produkte, über die die besten und emotionalsten Geschichten erzählt werden, haben die Nase vorn und differenzieren sich vom Wettbewerb. Diese Geschichten müssen etwas enthalten, was den Menschen wichtig ist. Schreiben Sie diese Geschichten auf, kreieren Sie eine Legende um Ihre Produkte. Überlassen Sie es nicht dem Zufall, was Ihre Kunden abends an der Bar ihren Freunden über Sie erzählen: Sie sollen von ihrer Begeisterung erzählen und nicht von Produktfrust. Es kann Geschichten geben über das Herkunftsland, die verwendeten Rohstoffe (Stichwort: Schonung der Umwelt), die Art der Herstellung (handverlesen, Beschreibung des Originalrezepts), die Nutzung und den Service. Fakten erzählen, Geschichten verkaufen; 7. wie kann noch etwas Elfenstaub auf Ihr Produkt gestreut werden?; 8.legen Sie neben dem USP (einzigartiges Verkaufsargument) auch den ESP (Emotional Selling Proposition, das emotionale Verkaufsargument) fest, die Einmaligkeit im emotionalen Bereich; 9. richten Sie auch Ihre Werbung auf die Träume und die Emotionen Ihrer Kunden aus, die sie haben, wenn sie das Produkt nutzen; nicht nur auf den rationalen Produktnutzen; 10.gestalten Sie Ihre Marke um den Traum, nicht um das Produkt; 11.ruhen Sie nicht, bevor Sie mit Ihrem Team mindestens Ihre Hauptprodukte auf der obersten Stufe der Wertschöpfungspyramide platziert haben. Geistreiches und Zitiertes »Das Kapital einer Marke hat nichts mit Marketing zu tun, sondern mit der emotionalen Bindung zwischen Käufer und Produkt.« Howard Schultz »Wir wollten nicht in die Transportbranche einsteigen. Wir sind immer noch ein Teil der Unterhaltungsbranche – auf einer Höhe von 25 000 Fuß« Richard Branson »Produkte, die als Marke bestehen wollen, werden nicht mehr allein durch reine Funktion überzeugen. Sie müssen vielmehr zu Erfüllungshilfen individueller und emotionaler Anspruchshaltungen werden!« Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking 262 Praxishandbuch Produktentwicklung »Was das Herz begehrt, rechtfertigt der Verstand!« Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking »Perspektivwechsel: von ›Die Ware ist gut‹ zu ›Das Gefühl ist super‹.« Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich »Der eigentliche Wettbewerb muss bei grundlegenden Gefühlen und Fantasien ansetzen – bei Emotion und Fantasie.« Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever »Der Planungsprozess beginnt nicht beim Architekten, sondern in den Herzen der zukünftigen Bewohner.« Louis Astorino »Der Kunde vergleicht uns mit der Konkurrenz und stuft uns entweder besser oder schlechter ein. Das geht nicht sehr wissenschaftlich vor sich, ist jedoch verheerend für den, der dabei schlechter abschneidet.« Jack Welch in Was zählt »Emotionen sind der Feind rationaler Argumente.« Steven D. Levitt und Stephen J. Dubner in Freakonomics »Im Wesentlichen gilt es heute, die Träume der Kunden in Geld zu verwandeln.« Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how »Kunden reagieren auf Ihre fehlende Leidenschaft mit Fremdgehen.« Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how »People will forget what they buy. People will never forget how they feel like.« unbekannt »Kurz gesagt, wir verkaufen keine Wohnungen, sondern einen Traum.« Donald Trump in Trump. Die Kunst des Erfolges »Hundert Worte, die den Verstand beeindrucken, wirken nicht so tief, wie ein einziges Wort, das das Herz berührt.« Thyde Monnier Emotion 263 »Autokauf ist Traumerfüllung.« Ferdinand Dudenhöffer »Verkaufen Sie USE … Unvergessliche Sinnliche Erlebnisse.« Tom Peters in Der Innovationskreis »Wir müssen Wellen … von leidenschaftlichem Verlangen nach unseren Produkten hervorrufen.« Andy Grove »The essence of our success is not the coffee, it’s the culture, the values.« Howard Schultz »Derjenige gewinnt, der die beste Geschichte erzählt. Wie lautet Ihre Geschichte?« Tom Peters in Re-imagine »Idioten verkaufen Rolex-Uhren. Genies verkaufen das Rolex-Lebensgefühl.« Tom Peters in Re-imagine »In unserer Fabrik produzieren wir Lippenstifte. In unserer Werbung verkaufen wir Hoffnung.« Charles Revson »Der Wert eines Produkts und einer Dienstleistung hängt davon ab, ob diese im Kunden positive Motiv- und Emotionsfelder aktivieren.« Hans-Georg Häusel in Brain Script »Added value durch Verpackung von konkreten Produkten in eine Hülle von Story, Mythos und Service.« Norbert Bolz »Wovon uns das Herz voll ist, davon geht der Mund über.« unbekannt »Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« Antoine de Saint-Exupéry 264 Praxishandbuch Produktentwicklung »Wir müssen dem Kunden ein Gefühl geben, an das er sich erinnert.« Niki Lauda bei der Eröffnung seiner Fluglinie Niki »Werbung ist die Kunst, auf den Unterleib zu zielen und die Brieftasche zu treffen.« Peter Sellers »Die Kunden sollen weinen, wenn sie unsere Produkte verlieren.« Norbert Platt Emotion 265 Kapitel 13 Design Dieses Kapitel ist keine Abhandlung über Design. Das haben andere Experten schon viel besser veröffentlicht. Es geht hier um die Abrundung zu erfolgreichen Produkten. Design ist ebenso ein Differenzierungsmerkmal und Wettbewerbsfaktor wie die anderen fünf Perspektiven (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart und Emotion). Je mehr positive Emotionen das Design bei den Kunden hervorruft, desto besser. Design ist überall Die meisten denken bei Design an Unternehmen wie Ferrari, Apple, Ritz Carlton Hotels, Disneyland und Gucci. Design gilt jedoch für alle Preisklassen. Sowohl bei Konsum- als auch bei Industriegütern, für physische Produkte und für Dienstleistungen: Rasierer von Gillette, Produkte von 3M, Küchenkessel, Badutensilien. Gerade für diese im Vergleich günstigen Artikel ist die Umsetzung von Design meist bezahlbar. Design ist nicht nur wichtig bei Produkten wie Autos und Uhren, mit denen Eindruck geschunden werden soll, sondern auch bei Produkten des täglichen Bedarfs. Zum Beispiel Muji (www.muji.com) bietet Alltagsgegenstände im Top-Design. Design muss nicht bunter, schriller, lauter und teurer sein, auch Aldi hat Design. Ein Blick und die Kunden wissen, wo sie sind. Aldi hat durch seinen Minimalismus einen hohen Wiedererkennungswert. Steht ein Kunde bei den großen deutschen Kaufhausketten im Geschäft, sieht für ihn alles gleich aus. So wie es nicht geht, nicht zu kommunizieren, gilt genauso: Es geht nicht, kein Design zu haben. Fragt sich nur, ob es bei den Kunden positive Gefühle auslöst. Denn das sollte Design. Design ist nicht nur schick, sondern notwendig. Neben der Optik sind mit Design auch der Geruchssinn und Hörsinn anzusprechen. So muss ein Sportwagen bei der Beschleunigung auch entsprechende Geräusche machen. Ein Sportwagen ohne Motorengeräusche 266 Praxishandbuch Produktentwicklung wäre ein Reinfall. Bei einigen Sportwagen kann der Fahrer selbst zwischen einigen Klangfarben des Motors wählen und je nach Laune hin und her schalten. Das Zuschlagen einer Autotür insbesondere bei teuren Autos muss sich ebenfalls »wertvoll« anhören. Das Geräusch ist auch wichtig bei Haushaltsgeräten und Werkzeug. Beim Geruch von Produkten ist zu beachten, dass ein zu starker Geruch – auch wenn er eigentlich wohlriechend ist – als Gestank empfunden wird und zur Ablehnung führt. Es ist zu prüfen, in welcher Umgebung und welchen Temperaturen das Produkt präsentiert und genutzt wird, denn diese Faktoren beeinflussen den wahrgenommenen Geruch erheblich. Design galt früher als ein Kostenfaktor, heute ist Design ein Wertfaktor. Früher war Design ein nachträgliches Verschönerungsinstrument, heute ist es einer der Hauptbestandteile einer Traumlösung. Warum Design? Design erhöht den Wert des Produkts. Differenzierungen und Preisaufschläge zu Wettbewerbsprodukten sind teilweise nur noch über Emotion und Design möglich. Bang&Olufsen, Porsche, Ferrari verkaufen auch nur Waren, die technisch nicht immer besser sind als die des Wettbewerbs. Aber diese Unternehmen können höhere Preise verlangen. Jeder in Design investierte Euro bringt ein Vielfaches an Gewinn durch Mehrverkäufe wieder ein. Auch im Low-Price-Segment bei Produkten unter einem Euro werden mit Design einige Cent mehr beim Ladenpreis akzeptiert. Design ist einer der Parameter, der Emotionen auslöst. Design macht viele Produkte erst begehrenswert. Von Design wird häufig auf Funktionen geschlossen: »Wenn die sich schon so viel Mühe mit dem Design geben, muss der Rest ja auch perfekt sein«. Kultprodukte werden fast ausschließlich über Design erreicht. Neben der Form Ihres Produkts und der Verpackung sollten Sie die Farbe sehr sorgfältig auswählen. Machen Sie die Kombination aus Form und Farbe so einzigartig, dass jeder diese gleich mit Ihrem Unternehmen verbindet. Bei Weltfirmen reicht allein die Farbe, um den Menschen Ihre Firma und Ihr Produkt ins Gedächtnis zu rufen. Wenn Ihnen zum Beispiel ein Mann im braunen Overall entgegenkommt, wissen Sie gleich, dass er von UPS ist. Dieses Braun »gehört« diesem Unternehmen. Die Farbe Magenta beansprucht die Telekom für sich, die Kombination aus Blau und Gelb wird sofort mit Ikea in Verbindung gebracht. Design 267 Gerade wenn ein Produkt gleichzeitig in Konkurrenz mit anderen Produkten steht (wie zum Beispiel im Supermarkt), ist es manchmal das Design, das die erste Aufmerksamkeit auslöst. Bringt das Produkt dann noch einen größeren Nutzen als die daneben stehenden Produkte, greift der Kunde zu. Design in allen Stufen des Kundenkontakts Nur eine schicke Verpackung reicht nicht. Design muss bei jedem Kontakt mit dem Kunden berücksichtigt werden, um den Wettbewerbsvorteil zu verstärken. Design ist unter anderem wichtig bei: • Werbung inklusive Homepage; • Produktpräsentation inklusive Verkaufsstellen: Hier haben es Einrichtungen von Prada am Broadway oder von Armani in der 5th Avenue (www.armani5thavenue.com) in New York als Sehenswürdigkeit in die Reiseführer geschafft. Als Design gilt hier die Atmosphäre in den Verkaufsräumen (Dekoration, Farben, Beleuchtung, Hintergrundmusik, Einrichtung, Geruch et cetera). Da beginnt die Traumwelt gleich beim Betreten des Ladens; • Produkt: Das Design muss den Wert des Produkts verstärken und nach Möglichkeit deutlich anheben. Bei Prestige-Produkten gehört das Logo außen sichtbar auf das Produkt; • Verpackung: Gerade bei Produkten, die sehr stark aufgrund subjektiver Eindrücke bewertet werden, wird die Wahrnehmung der Produkteigenschaften durch die Verpackung beeinflusst. Schon ein Wechsel der Verpackungsfarbe oder des Schriftzugs kann bei den Kunden die Wahrnehmung des Produkts erheblich beeinflussen. Dies ist insbesondere bei Produkten der Fall, bei denen ein objektiver Produktvergleich häufig schwer fällt, zum Beispiel bei kosmetischen Artikeln, Wein oder Schmuck. Jede Verpackung hat ein Design. Nur: Ist es ein Zufallsprodukt? Spricht es die Kunden an? Passt es zum Produkt? Auch ein minimalistisches Design (Verpackung aus Pappe, nur mit den gesetzlich vorgeschriebenen Angaben) kann sinnvoll sein, wenn das Umweltbewusstsein oder der günstige Preis hervorgehoben werden soll; • Service-Design. Ein Produkt ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem alles aufeinander abgestimmt ist und Design den USP verstärkt. 268 Praxishandbuch Produktentwicklung Abbildung 29: Armani-Store Design 269 Beispiele für erfolgreiches Design Apple-Produkte Apple-Computer werden nicht nur wegen ihrer Rechnerleistung gekauft. Apple ist die Marke, die mit ihrem Design aus allen anderen herausragt. Apple-Produkte sind Kultobjekte: Mac, iPod, iPhone. Und dazu trägt stark das Design bei. Die Antwort von Apple-Gründer Steve Jobs auf die Frage, warum das Betriebssystem Mac OS so großartig sei, bringt es auf den Punkt: »Wir haben die Schaltflächen auf dem Bildschirm so verlockend gestaltet, dass man sie am liebsten abschlecken möchte«. Er wusste, warum er nicht mit der Anzahl der Funktionen und Megahertz geantwortet hat. Produkte von Alberto Alessi Dieses Unternehmen (www.alessi.com) entwirft WC-Bürsten, Zahnputzbecher, Aschenbecher et cetera mit ungewohntem – nicht immer praktischem – Design. Das sind alles Gegenstände des täglichen Bedarfs. Alberto Alessi erwirtschaftet damit pro Jahr über 100 Millionen Euro Umsatz. In der Produktentwicklung geht es im ersten Schritt nicht um die Kosten oder die Funktionen der Produkte, sondern um die Gefühle und Bilder, die ein Entwurf auslöst. Wenn Kunden für eine WC-Bürste über 30 Euro zahlen, dann hat sich das Design gelohnt. Schokolade Schokolade in üblicher Verpackung gibt es für 70 Cent pro 100 Gramm im Supermarkt. Ein klassisches Alltagsprodukt. Schokolade in besonderen Formen und Verpackungen (zum Beispiel in einer Metall-Box, etwa von Hershey’s) gilt als hochwertiges Geschenk. Preis pro 100 Gramm: über 5 Euro, obwohl sich die Produkte im Geschmack für den »normalen« Kunden nicht unterscheiden. 270 Praxishandbuch Produktentwicklung Max Brenner Ein Restaurant (www.maxbrenner.com), in dem es fast nur Schokolade gibt. Entsprechend ist die Einrichtung (Fotos siehe Seite 199 f.): • • • • • alles in Brauntönen; große Rührkessel mit flüssiger Schokolade; Berge von Schokoladenblöcken; verschiedenste Sorten von Kakao-Pulver als Dekoration; Rohre an den Decken, durch die Schokolade »fließt«. Gullydeckel In Schleswig-Holstein gibt es einen Anbieter für Gullydeckel, der es geschafft hat, auch aus diesem Produkt etwas Besonderes zu machen. Es werden Deckel mit gewünschtem Emblem in einer Stückzahl ab einem Exemplar gefertigt. Unternehmen können so die Gullydeckel auf ihrem Abbildung 30: Gullydeckel aus Schleswig-Holstein Design 271 Gelände mit ihrem Logo individualisieren. Ebenso können diese Deckel in der Kieler Innenstadt zu Werbezwecken eingesetzt werden. In Berlin gibt es die Deckel mit den Wahrzeichen der Stadt. Dass diese Deckel das Vielfache eines »normalen« Deckels kosten, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Wenn sich ein Produkt wie Gullydeckel mit Design individualisieren lässt, dann wird es auch mit Ihren Produkten möglich sein. Sicher! Logitech Das Unternehmen kreiert einfach zu bedienende Designmodelle und schafft es somit an die Spitze einer Branche mit sonst austauschbaren Produkten. Die Produkte sind nicht zu vergleichen mit »normalen« PC-Mäusen und Tastaturen. Auch nicht beim Preis, denn für einige Tastaturen sind bis zu 200 Euro zu zahlen. Übrigens hat diese auch nur so viele Tasten wie eine Tastatur für 20 Euro. Werkzeug von Tuf-E-Nuf Hier wurde Design mit Nutzungseigenschaften kombiniert. Zum Beispiel sieht ein Hammer (Fotos unter www.flickr.com) nicht nur schick aus, sondern ist außerdem der Handform angepasst. Kinderwagen von Stokke Der Kinderwagen Xplory von Stokke (www.stokke.com) wird für circa 700 Euro angeboten. Ob die Babys darin glücklicher sind, ist offen. Das Design hebt sich zumindest ab. Rasierer von Gillette Es muss nicht immer das Hochpreissegment sein. Auch diese Produkte fallen durch ein ausgereiftes Design auf. 272 Praxishandbuch Produktentwicklung Das bitte nicht Design ist zwar ein wichtiger Faktor, der viel zu häufig gerade im technischen Bereich unterschätzt wird. Die ausschließliche Fokussierung auf diesen Bereich ist jedoch genauso riskant. Design gibt einem Produkt die Veredelung. Doch auch das beste und aufwendigste Design rettet kein Angebot, wenn die Kunden keinen Nutzen haben und kein wichtiges Bedürfnis mit dem Angebot befriedigt wird. Es reicht nicht, wenn Design der einzige Unterschied zu den Produkten der Wettbewerber ist. Design darf nicht der letzte Schritt in der Produktentwicklung zur Verschönerung sein, und obendrauf gepackt werden, nachdem das gesamte Produkt fertig ist. Design muss gleich zu Beginn der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Es muss gleichberechtigt neben den anderen fünf Perspektiven des Produkts (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart und Emotion) existieren. Und: Design ist nicht die Werbung. Design ist das Produkt. Anregungen für Design Wie wäre es mit einer Bäckerei im Stil des 19. Jahrhunderts? Eine imaginäre Welt à la Disney oder Warner Brothers? Das Betreten des Ladens wäre schon ein Erlebnis, und dann erst die Einrichtung … Jedes Produkt hätte seine eigene Geschichte. Alles – auch das kleinste Detail – müsste hier authentisch sein. Kein Stilbruch, alles aus einem Guss. Hier würden auch keine Schrippen und Schwarzbrote verkauft werden, sondern Illusionen und Erlebnisse. Das Brot wäre dann eine Beigabe. Die Qualität müsste jedoch auch hier stimmen. Oder Design-Verpackungen für Medikamente (im Rahmen der vorgeschriebenen Deklarationspflichten): Kranke wollen sich nicht immer krank fühlen und bei jeder Einnahme von Medikamenten durch die sterile Verpackungen an ihr Leid erinnert werden. Wie wäre es mit neutraleren Verpackungen von Medikamenten? Muss eine Salbendose immer steril aussehen, oder ist auch Design möglich, sodass sie eher nach Kosmetik aussieht? Statt der typischen Optik von Pharma-Produkten könnten Lifestyle-Verpackungen getestet werden. Das ist gerade für Jugendliche wichtig. Prüfen Sie bitte einmal selbst mit Ihren Mitarbeitern, welche Wirkung Design hat. Die meisten Menschen erkennen beispielsweise eine ColaDesign 273 Flasche auch ohne Etikett. Hier ist es gelungen, die Emotionen mit einem spezifischen Design zu verknüpfen. Wenn Sie diesen Test mit Bürogeräten machen, wird die Erkennungsquote gegen Null gehen, obwohl es sich auch hier um Weltmarken handelt. Hier wurde es häufig versäumt, die Marktstellung mit einem spezifischen Design zu verbinden. Pflegen Sie ein unverwechselbares Design. Seien Sie nie ein Anbieter unter vielen. Holen Sie sich Ideen aus anderen Branchen wie zum Beispiel Kunst oder Musik. Umsetzung Sie müssen kein Leonardo da Vinci oder Michelangelo werden. Es gilt nur, Design als festen Bestandteil in die Produktentwicklung einzubeziehen. Um die Informationen Ihrer Kunden in Design umzusetzen, stellen Sie für die Produktentwicklung nicht nur Mitarbeiter aus Ihrer Branche ein. Wie wäre es mit Künstlern oder Musikern? Diese sehen die Welt mit anderen Augen. Das Design der Apple-Computer erstellte Jonathan Ive, ein Designer, der vorher Badezimmer gestaltet hat. In jedes Projektteam gehört ein Designer. Auch hier gilt: Design ist nicht Selbstzweck selbstverliebter Mitarbeiter in der Designabteilung. Design soll den USP und den Nutzen des Produkts verstärken. Die Frage ist: Welches Gefühl soll das Produkt auslösen? Hierfür muss das passende Design festgelegt werden. Das Produkt braucht Eigenschaften, die dieses Gefühl auslösen und unterstreichen, und es muss dem Marktsegment angepasst werden. Das bedeutet: Für das Design von Produkten für Frauen kann es nur eine zuständige Gruppe in Ihrem Unternehmen geben: Frauen! Wie auch schon die Perspektive Emotion, so können Sie auch die Hinweise zum Design für neue Produkte leider nicht direkt vom Kunden erfragen. Hier muss vieles beobachtet werden: Wie lebt der Kunde? Wie ist er eingerichtet? Welche Produkte nutzt er noch? Womit identifiziert er sich? 274 Praxishandbuch Produktentwicklung Geistreiches und Zitiertes »Entscheiden Sie sich für ein explizites Design oder bereiten Sie sich schon mal auf den Untergang vor.« Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever »Männer können nicht für die Bedürfnisse von Frauen designen!« Tom Peters in Tom Peters essentials: Design »You know a design is good when you want to link it.« Steve Jobs »Vor 15 Jahren lief der Wettbewerb zwischen den Unternehmen über den Preis. Heute geht es um Qualität. Und morgen um das Design.« Robert Hayes Design 275 Kapitel 14 Trend Trends und Moden Die Mode ist eine kurzfristige Laune, die auf schnellen Wechsel und intensive Reize setzt. Trends sind Entwicklungstendenzen über einen längeren Zeitraum, denen sich niemand entziehen kann. Im Gegensatz zu Moden können Trends nicht gezielt »gemacht« werden. Trends drücken meist die Bedürfnisse der Menschen aus. Im Nachfolgenden wird nicht zwischen Trends, Moden und Entwicklungen unterschieden, sondern ein Ausblick gegeben, was nach dem jetzigen Stand zu erwarten ist. Die Zukunft vorhersagen kann zwar keiner. Jedoch ist es uns allen möglich, aus den heute erkennbaren Veränderungen Erkenntnisse über die Zukunft abzuleiten. Es geht insbesondere darum zu erkunden, welcher Nutzen in der nächsten Zeit von den Kunden erwartet wird. Hier gilt es, die Produkte darauf auszurichten. Bei den austauschbaren Produkten wird sich der rücksichtslose Verdrängungswettbewerb an der Preisfront noch verstärken. Der Kunde entscheidet, wo und wann er kauft. Und bei austauschbaren Produkten entscheidet er auch, wie viel er dafür zahlt. Vergessen Sie Anpassung und Stabilität. In modernen Märkten werden nur diejenigen überleben, die etwas riskieren und sich zu 100 Prozent an den Kunden ausrichten. Was in den letzten zehn Jahren geklappt hat, wird in zehn Jahren nicht mehr funktionieren. Fliehen und Verstecken vor Veränderungen ist nicht möglich. Die Kunden ändern sich dramatisch, das Produktangebot muss sich daran anpassen. Beachten Sie jedoch nur die Trends, die für Ihre Branche entscheidend sind. Wichtig ist nicht die Neuigkeit des Trends, sondern die Wirkung auf das Geschäftsfeld. Stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt Ihrer Unternehmensstrategie. Es gibt keinen Trend ohne Gegentrend: Gesundheitsbewusstsein/Diäten vs. Anteil an Übergewichtigen, geringe Arbeitszeiten vs. Workaholics, Umweltbewusstsein vs. Privatflüge, Aldi/Lidl vs. Luxusmarken. Wenn alle Anbieter in eine Richtung laufen, lohnt es sich vielleicht, als einziger 276 Praxishandbuch Produktentwicklung Anbieter den Nutzen zu bieten, den gerade die Trendverweigerer suchen. Und es gibt nicht nur die Trendverweigerer. Bei zunehmender Mobilität, Zeitdruck, kürzeren Produktzyklen, hoher Komplexität, Stress, Ergebnisorientierung sehnen sich viele Menschen in anderen Teilen ihres Lebens genau nach dem Gegenteil: Cocooning (Zurückziehen in die vertraute eigene Umgebung), Sinn, Werte, Zusammenhalte, Entspannung, Sicherheit. Das Wirtschaftsleben in der heutigen Zeit kann mit einem Tsunami verglichen werden, dessen erste Anzeichen bereits zu erahnen sind – mehr jedoch nicht. Das Seebeben ist bereits erfolgt, doch an der Oberfläche ist fast noch nichts zu spüren. Diese Welle wird jedoch auf einmal die Anbieter treffen und nur die, die vorbereitet sind, werden überleben. Im Wirtschaftsleben, so wie wir es kennen, werden in den nächsten Jahren Veränderungen auf uns zukommen, die wir uns alle noch nicht vorstellen können. Der Verbraucher ist heute komplett unabhängig vom Anbieter. Der Kunde diktiert, und die Anbieter haben es umzusetzen: • Es gibt nicht mehr Millionen von Kunden auf wenigen Märkten, sondern Millionen von Märkten für jeweils wenige Kunden. Gehen Sie auf die individuellen Bedürfnisse Ihrer Kunden ein; • die Oder-Kultur war gestern, es lebe die Und-Kultur; • keine Massenkultur, sondern Mikrokulturen. Neue Technologien (zum Beispiel Elektrizität, Auto) brauchten früher Jahrzehnte, um sich flächendeckend in der Bevölkerung durchzusetzen. Um 50 Millionen Kunden zu erreichen, brauchte: • • • • • • • das Radio fast 40 Jahre; das Fernsehen 13 Jahre; das Handy nur noch zehn Jahre; DVD-Player sieben Jahre; das Internet nur fünf Jahre; der iPod nur drei Jahre; und Facebook nur zwei Jahre. Heute ist diese Zeitspanne noch kürzer. Das Tempo der Veränderung nimmt rasant zu. Neue Technologien setzen sich viel schneller durch. Versetzen Sie sich zehn Jahre zurück: kein iPod, kein Musikload, kein iTunes, kein Wikipedia, Google noch am Anfang (gegründet 1998, heute ein Marktanteil von 75 Prozent), erst wenige hatten ein Handy (es gab noch Telefonkarten). Andere Innovationen des letzten Jahrhunderts sind schon wieder vom Markt verschwunden oder im Abklingen: Trend 277 • Walkman: seit 1979 auf dem Markt, heute bedeutungslos; • VHS-Videorecorder: seit circa 1980 im Markt durchgesetzt. Heute findet man in Geschäften diese Produktform unter den Raritäten; • Dual war Weltmarktführer für Plattenspieler, heute fast verschwunden; • Musik-CDs seit 1982, heute neue Konkurrenz durch mp3. Ab wann werden CDs vom Markt verschwunden sein?; • Fax-Geräte hatten sich gerade zum Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts durchgesetzt, heute wird das meiste per Mail versendet. Die bisherige und zukünftige Entwicklung der Kundenwelt Geschwindigkeit Das Tempo des Wandels steigt immer mehr. Das betrifft sowohl Ihre Kunden als auch Ihr Unternehmen. Es ist daher eine innerbetrieblich lernende Organisation notwendig, um sich den sich ändernden Kundenwünschen anpassen zu können. Nach außen hin finden Kooperationen statt, da einzelne Unternehmen mit dem Wandel auf allen Gebieten nicht mehr Schritt halten. Erforderlich sind statt der eingefahrenen Weiterentwicklungsstrategien oder stetigen Optimierung die weit reichenden Prozessmusterwechsel (siehe Kapitel 8) in allen Bereichen. Sonst kann die Marktposition nicht gehalten – geschweige denn ausgebaut – werden. Das betrifft den Vertrieb, den Einkauf und insbesondere die Produktentwicklung. Was in den letzten zehn Jahren zum Erfolg geführt hat, verliert an Wirkung. Es behindert sogar und kann kontraproduktiv wirken. Die Erkennung neuer Entwicklungen vor dem eigentlichen Wirkungseintritt wird Grundvoraussetzung zum Überleben sein. Nur so können Maßnahmen früh genug ergriffen werden, um einen echten Wettbewerbsvorsprung zu erlangen. Denn Produkte sind Vermögenswerte mit rascher Wertminderung. Also müssen Entwickler immer schneller wieder nachlegen, um mit neuen Produkten die geänderten Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. In kurzer Zeit gelingen die größten Erfolge und passieren die größten Abstürze. Gestern noch erfolgreiche Unternehmen melden heute Konkurs an, da ein anderer Anbieter mehr Nutzen liefert oder für die Produkte plötzlich keine Nachfrage mehr besteht. Auf der anderen Seite gab es noch nie so viele Unternehmen, die plötzlich (teilweise waren sie vorher noch kurz vor der Insolvenz) wieder erfolgreich wurden. Unternehmen hatten 278 Praxishandbuch Produktentwicklung noch nie so viele Möglichkeiten und Chancen – und waren auf der anderen Seite noch nie so vielen Gefahren ausgesetzt. Haben vor 50 Jahren diese Zyklen noch Generationen gedauert, reichen jetzt wenige Jahre, in Extremfällen bereits Monate aus. Die Produktlebenszyklen werden extrem kurz. »Verrückte« Produktideen werden zum Volltreffer, und einen Monat später erinnert sich keiner mehr daran. Ein Beispiel hierfür ist das Tamagochi. Er wurde millionenfach verkauft. Kindertränen flossen, wenn einer »starb«. Und ein Jahr nach der Einführung war er bereits bedeutungslos. Keine Träne wird mehr vergossen, kein Euro mehr ausgegeben. Stars in der Musikszene schießen auf die Nummer eins der Charts, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. Durch die enorme Verkürzung der Produktlebenszyklen überleben auch die besten Ideen mit großem Erfolgspotenzial nur noch eine kurze Zeit. Trends müssen immer schneller erkannt und umgesetzt werden. Die Produktentwickler müssen einen Vorsprung in der Produktentwicklung vor den Mitbewerbern haben. Das ist überlebenswichtig. Das geht jedoch nur bei einem sehr engen Kontakt zu den Kunden. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen sind hier klar im Vorteil. Sie können viel schneller die Kundenbedürfnisse in Produktangebote umsetzen. Wettbewerbsvorteile können sich durch globale neue Konkurrenz und neue Technologien über Nacht in Nichts auflösen. Schnell kommen Metoo-Produkte auf den Markt. Um auf dem Markt zu bestehen, müssen die Produkte immer weiter den aktuellen, sich stets verändernden Bedürfnissen der Kunden angepasst werden. Alle Lebensphasen werden kürzer, alles wird wechselhafter: die Dauer einer Ehe, die Tätigkeit bei einem Arbeitgeber, Kundenwünsche und somit letztlich auch Produkte … Früher galt: »Ich will so bleiben wie ich bin – Du darfst«, heute gilt im Berufsleben für jeden Einzelnen und für Unternehmen: »Ich will so bleiben wie ich bin – Du darfst nicht«. Bildung und Arbeitswelt Weiterbildung und lebenslanges Lernen wird für viele Menschen Grundvoraussetzung, um die Position im Beruf halten zu können. So lange in den Ausbildungsstätten – insbesondere Universitäten – überwiegend noch die theoretischen Fachkenntnisse im Vordergrund stehen, wird der Bedarf an Wissen und Fähigkeiten für das nachfolgende, sich im Wandel befindliche Berufsleben steigen. Es reicht nicht mehr, »universitätsschlau« zu sein. »Straßenschlau« (Überleben in der Wirtschaft, unter anderem über NutzenmaxiTrend 279 mierung) ist mindestens genauso wichtig. Hier werden die Anbieter große Chancen haben, die die richtigen Weiterbildungsprodukte zusammenstellen und dabei auch bedenken, dass Freizeitangebote immer mehr mit Weiterbildung verschmelzen. Es wird selbstverständlich, dass die Menschen ihre eigene Weiterbildung komplett oder mindestens teilweise mitfinanzieren und in die Freizeit verlegen. Flexiblere Arbeitszeiten werden sich durchsetzen. Längere Öffnungszeiten in Geschäften sind nur ein Teilbereich dessen. Arbeit gibt es genug – Arbeitsplätze zu wenig. Nach einer Studie vom Statistischen Bundesamt aus dem Jahr 2009 sank der Anteil der Erwerbstätigen mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag für eine sozialversicherungspflichtige Stelle mit einer Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden pro Woche von 72,6 Prozent (1998) auf 66 Prozent (2008). Demgegenüber stieg der Anteil an »atypischer Beschäftigung« wie zum Beispiel befristete Arbeitsverhältnisse beziehungsweise Tätigkeiten mit unter 20 Stunden pro Woche. Fast die Hälfte der »atypischen« Beschäftigten erhielt einen Verdienst unterhalb der Niedriglohngrenze. Die Garantie der Vollbeschäftigung gehört der Vergangenheit an. Dieses gilt schon heute und in Zukunft noch viel mehr. In spätestens 20 Jahren wird es über 50 Prozent der heutigen Arbeitsplätze in dieser Form nicht mehr geben. Es werden neue hinzukommen, jedoch sind hier andere Qualifikationen gefragt. Denn immer weniger Erwerbstätige sind im produzierenden Gewerbe, sondern mehr im Dienstleistungsbereich tätig. Es zählen nicht mehr die Arbeit und die Leistung, sondern nur noch die Ergebnisse. Wissensarbeiter teilen sich die Arbeitszeit und den Ort frei ein. Man geht nicht mehr Montagmorgen ins Büro, sondern man bringt in einer bestimmten Zeiteinheit eine vereinbarte Wirkung. Angebotsvielfalt Es gibt immer mehr Produkte und Produktvarianten. Großauflagen bei Büchern und Musikalben liegen lange zurück. Es gibt immer mehr Filme im Kino, mehr Zeitungen und Zeitschriften (Komplexität). Damals war das Angebot auch noch weitaus geringer: drei Fernsehkanäle, heute sind es 100. Die Tendenz ist stark ansteigend. Einschaltquoten von 30 Prozent waren früher bei nur drei Programmen keine Seltenheit, heute wird schon bei 10 Prozent gejubelt. Alles wird zum Nischenprodukt. Dem Kunden steht nicht mehr eine geringe Auswahl zur Verfügung, die dann in großen Stückzahlen gekauft wird, sondern eine unendliche Fülle von Nischenprodukten, die genau auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind und 280 Praxishandbuch Produktentwicklung somit nur in einer geringen Stückzahl abgesetzt werden. Die Nachfragekurve wird flacher. Um noch Gewinne zu erwirtschaften, müssen die Entwicklungskosten, die Fixkosten, die variablen Kosten in der Produktion, Lager- und Transportkosten sowie die Vertriebskosten erheblich sinken. Digitale Produkte sind praktisch in unendlicher Vielfalt lagerbar, Lieferkosten fallen kaum an. Wenn früher in einem Geschäft etwas hinzukam, musste ein anderes Produkt ausgelistet werden. Heute finden Sie Nischenprodukte über Suchmaschinen im Internet. Der Vorteil am Online-Handel ist, dass physische Produkte im Onlineshop an mehreren Positionen präsentiert werden können. Eine Dose Tomatensoße wird im Supermarkt in dem Konservenregal einsortiert. Die Positionierung im Supermarkt ist durch die Ladenfläche begrenzt. Im Onlineshop kann diese unter Dosen, Spaghetti, Single-Mahlzeit, Kinder-Menü, Preisaktionen und so weiter präsentiert werden. Menüvorschläge an mehreren Positionen sind möglich. Eine schnelle Anpassung an die aktuellen Erfordernisse und Kundenbedürfnisse kann ohne physisches Umräumen schnell vorgenommen werden. Vom Konsument zum Prosument Kunden entwickeln und produzieren Produkte ohne Hersteller. Viele Onlineprodukte wurden von Open-Source-Gemeinschaften mit offenem Quellcode erstellt. Über 90 Prozent der Wertschöpfung findet so durch die Usergemeinschaft statt. Hierzu gehören insbesondere Produkte wie der erste Browser Mosaic, Second Life, Firefox, Linux, Apache, diverse Blogs und Flickr. Einer hat eine Idee und stellt seine erste Version ins Netz. Der Nächste optimiert und so weiter. Die Gemeinschaft entwickelt und Kunden bringen sich voll in die Entwicklung ein – und zwar ohne kommerzielle Absichten, ohne dass ein Hersteller daran verdient hat, genau nach den Bedürfnissen der Kunden, die hier gleichzeitig Entwickler waren. Statt MS Office können Sie sich auch kostenlos unter www.OpenOffice.org bedienen. Statt Adobe Photoshop können Sie auch ein Grafikprogramm bei www.Gimp.org herunterladen. Das Produkt gehört keinem und somit allen. Das ist eine völlig neue Herausforderung für kommerzielle Softwareanbieter. Professionelle Software war früher noch ausschließlich käuflich. Und in der Zukunft? Um zumindest noch etwas an dieser Entwicklung zu verdienen und einen geringen Einfluss zu haben, stellen Unternehmen eigene Software-Entwicklungen frei ins Netz und auch das Endprodukt kostenfrei zur Verfügung. Die Einnahmequelle ist hier der Support bei Trend 281 der Implementierung der Software zum Beispiel in Unternehmen. Manche Unternehmen stellen auch geistiges Eigentum zur Verfügung, das nicht zu ihrem Kernbereich gehört, jedoch zu dem ihrer Wettbewerber. Somit soll dessen Monopolstellung verhindert werden. Die drei Regeln für OpenSource-Software sind: Keiner besitzt sie, jeder kann sie verwenden, jeder kann sie verändern/verbessern. Eines der bekanntesten Open-Source-Produkte mit knapp 10 Millionen Artikeln ist Wikipedia. Erstellt von hunderttausenden freiwilligen »Autoren«, die sich ohne Bezahlung mit dem Ziel identifizieren, das Wissen der Welt allen zugänglich zu machen. Sie sind nicht Angestellte, sondern Individualisten, die in ihrer Summe jedoch Teil eines amorphen Ganzen sind. Bei Fehlern findet bei Wikipedia schnell eine Korrektur statt, bei aktuellen Änderungen eine Anpassung. Fehler oder fehlende Artikel in Print-Produkten beziehungsweise auf CDs werden hingegen erst in der nächsten Ausgabe korrigiert. Die Fehlerquoten bei Wikipedia und Encyclopaedia Britannica sind ungefähr gleich. Wikipedia ist die Gemeinschaft, Britannica ein starres Werk. Zum Beispiel waren am Tag der vier Bombenattentate am 07. Juli 2005 in London keine 20 Minuten später die ersten Einträge hierzu auf Wikipedia zu lesen. Am Ende dieses Tages hatten mehr als 25 000 User einen 14-seitigen Beitrag verfasst und laufend aktualisiert. Da kam keine Nachrichtenagentur mit. In allen Branchen erwarten die Kunden die Möglichkeit, an der Entwicklung von Produkten mitwirken zu können und diese zu beeinflussen. Die Kunden wollen nicht mehr nur auf den kaufenden und zahlenden wehrlosen Verbraucher reduziert werden. Der Kunde ist auch nicht mehr König oder Kaiser oder Bittsteller, sondern gleichwertiger Partner. Er will mit seinen Problemen ernst genommen werden und sich auf Augenhöhe mit den Anbietern unterhalten, wie es bereits Grundprinzip der Hotelkette Ritz Carlton ist: »We are ladies and gentlemen serving ladies and gentlemen«. In zehn Jahren werden diejenigen Unternehmen den größtmöglichen Erfolg erzielt haben, die den Begriff »Kunde« gestrichen haben. Der Begriff »Verbraucher« ist ja jetzt schon nicht mehr angebracht. Ändern Sie die Grundregeln Ihres Geschäfts. Stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt. Nennen Sie ihn »Partner« und behandeln Sie ihn auch so. Erfolgreiche Produktentwicklung schafft Ihr Unternehmen in der Zukunft nie mehr allein. Ihr Erfolg hängt in der Zukunft davon ab, wie es Ihnen gelingt, feste Partnerschaften einzugehen. Der Kunde hält alle Zügel der Macht in seinen Händen. Geben Sie ihm auch die Möglichkeit, sich in der Produktentwicklung einzubringen. Zeitschriften befragen ihre Abonnenten, welches Cover-Format sie gerne hätten, um nur ein Beispiel zu nennen. Das ist ein erster Schritt, nur reicht er nicht mehr. 282 Praxishandbuch Produktentwicklung Informationen für den Kunden Informationen sind grenzenlos. Ganz früher gab es lokale Zeitschriften und national begrenzte Fernsehsender. Heute sind Informationen zeitgleich weltweit verfügbar. Kunden können sich so immer mehr untereinander austauschen und nutzen dieses auch vermehrt. So lehren Urlauber den Reiseveranstaltern und Hotelbesitzern das Fürchten. Sie berichten mit Fotos im Internet von den Schandflecken am Urlaubsort. Zu lesen sind diese Berichte unter anderem unter www.hotelkritiken.de, www.trivago. de und www.hotelcheck.de. Vergleichbarkeit gibt es auch bei Krankenhäusern. Die Qualitätsberichte der einzelnen Häuser sind im Internet unter www.qualitätsbericht.de nachzulesen. Außerdem gibt es eine Unterstützung bei der Wahl des geeigneten Krankenhauses, zum Beispiel über den Klinik-Lotsen der Ersatzkassen. Hinzu kommen die Internetportale, auf denen entlassene Patienten von ihren Eindrücken berichten. Die Zeit, die im Internet verbracht wird, steigt. Immer mehr Menschen gehören zur »Generation Always«. Es spricht für sich, dass die Ausgaben für Kommunikation immer weiter steigen. Jeder Einwohner in Deutschland hat laut Statistik schon jetzt mehr als ein Handy. Die Zeit wird das knappste Kulturgut »35-Stunden-Woche« und »Freizeitgesellschaft« sind Begriffe, die zukünftig nur noch in Museumsbänden des Dudens zu finden sein werden. Bei der tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeit lag Deutschland im Jahr 2004 in Europa im unteren Drittel (unter anderem durch Branchen wie die Metall- und Elektroindustrie und das Druckgewerbe mit ihrer 35-Stunden-Woche). Um – wenn auch nur kurzfristig – gegenüber dem Ausland konkurrenzfähig zu bleiben, wird die Wochenarbeitszeit schrittweise ohne Lohnausgleich auf mindestens 40 Stunden angehoben – und das mit machtlosem Zusehen der Gewerkschaften oder gar mit deren Zustimmung. Die wieder eingeführte 40-Stunden-Woche oder insbesondere bei Selbstständigen eine noch höhere Arbeitszeit führt zu Freizeitverlusten und noch größerer Zeitknappheit. Frei verfügbare Zeit wird als Luxus empfunden. Zeit löst das Kapital als kostbarstes Gut ab. Neben Geldsparen besteht der dringende Wunsch, Zeit zu sparen, was per Definition gar nicht möglich ist. Dies ist eine Riesenchance für Anbieter mit Produkten, die lästige Tätigkeiten abnehmen und das Leben durch Dienstleistungen und Convenience-Produkte in allen Varianten und in unterschiedlichen Trend 283 Abbildung 31: Bei Pret A Manger sind alle Speisen ohne Mindesthaltbarkeitsdatum, da am jeweiligen Tag frisch zubereitet Preissegmenten einfacher gestalten. Die Londoner Restaurantkette Pret A Manger (www.pret.com) zum Beispiel bietet relativ hochpreisige fertige Speisen zum Verzehr im Restaurant oder zum Mitnehmen an. Geworben wird mit den Trendthemen Convenience und Gesundheit durch die täglich frische Zubereitung und den Verzicht auf Zusatzstoffe. In London gibt es hiervon bereits über 100 Filialen, in New York über 20. Zeit ist die Währung der Zukunft: »time poor, money rich« betrifft viele Menschen, die 50 und mehr Stunden in der Woche arbeiten. Menschen mit viel Geld haben meist wenig Zeit, es auszugeben und es zu genießen. Auf der anderen Seite der Skala ist das andere Extrem der Arbeitslosigkeit: time rich, money poor. Diese beiden Extreme werden immer stärker ausgeprägt. Diejenigen, die Arbeit haben, werden immer mehr arbeiten. Je mehr Stress und weniger Zeit vorhanden sind, desto größer ist das Verlangen nach Ruhe und Verwöhnen in der geringen Freizeit. Da darf es dann auch schon mal etwas mehr kosten. 284 Praxishandbuch Produktentwicklung Gesundheitswesen und demografische Entwicklung Krankenkassen haben immer weniger Geld. Eine große Anzahl der Behandlungskosten ist vom Lebensstil (Essen, Risikosportarten) abhängig. Für medizinische Versorgung muss der Patient immer mehr selbst zuzahlen. Andererseits wird gelten: Wer gesund lebt und isst, muss weniger zum Arzt und somit weniger zahlen. Im Rahmen des – meist selbst auferlegten – Leistungsstresses werden Pillen zur geistigen Leistungssteigerung ein großes Thema. In den USA sind sogenannte Merkpillen bereits fester Bestandteil der Prüfungsvorbereitung. Verbunden mit der Verschiebung der Alterspyramide (mehr Ältere mit längerer Lebenserwartung) wird der Gesundheitssektor weiter deutlich wachsen. Die Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten in diesem Bereich wird entsprechend zunehmen. Schon jetzt arbeitet jeder neunte Erwerbstätige in Deutschland im Gesundheitswesen, Tendenz steigend. Ob im Bereich Verpflegung, medizinische Versorgung, neue Wohnformen, Behandlungstechniken: Gesundheit ist weltweit ein großer, wenn nicht der größte Wachstumsmarkt. Die Leute wollen mit 40 Jahren nicht aussehen und sich fühlen wie 40. Wir haben eine physiologische Überalterung bei gleichzeitiger psychologischer Verjüngung. 60-Jährige verhalten sich so wie früher 40-Jährige. Das Verhalten wird immer weniger vom Alter bestimmt als von der Lebenseinstellung. Die Menschen merken, dass sie selbst die Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen müssen. Spätestens in der zweiten Lebenshälfte konzentrieren sich die Menschen auf ihre eigene Gesundheit. Sie beschaffen sich Wissen und investieren selbst in ihre Vorsorge, um gesund zu bleiben. Ihnen stehen immer mehr Quellen zur Verfügung, um sich Wissen zu diesem Thema anzueignen. Einige Unternehmen bieten bereits an, das Erbgut der Kunden auf Risikofaktoren wie zum Beispiel Diabetes und Krebs zu untersuchen (www.23andme. com). Manche Praxen konzentrieren sich voll auf die Gesunden und den Erhalt von deren Gesundheit (zum Beispiel www.spitzbart.com). Früher galt: Sex sells. Heute zusätzlich: Health sells. Gesundheit ist heute und in Zukunft mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Die Lebensqualität soll so lange wie möglich erhalten bleiben, um die zusätzlichen Jahre voll genießen zu können. Das ist auch ein Teil der Selbstverantwortung. Es geht nicht mehr darum, eine Krankheit zu lindern, sondern gar nicht erst krank zu werden. Viele Produkte – insbesondere in den Bereichen Ernährung, Kosmetik und Sport – werden mit dem Zusatznutzen oder gar Hauptnutzen der Gesundheit beworben. Wir verwandeln uns von der Konsumgesellschaft Trend 285 der Völlerei zur Gesundheitsgesellschaft mit Prävention. Hierfür werden Nährwert und Zusammensetzung von Packungsinhalten verständlicher deklariert, damit die Verbraucher bewusst entscheiden können. Jogging und Nordic-Walking ziehen Millionen an. Gesundheit wird zum Produkt und zum großen Industriezweig. Das wird insbesondere die Kosmetik, Sport und Nahrungsmittelbranche umkrempeln. Produkte, die genau diesem Trend entgegenwirken (fettreiche Lebensmittel, Alkohol, Zigaretten) werden Absatzprobleme bekommen. Aber: kein Trend ohne Gegentrend. Es wird immer noch einige geben, die nach dem Motto »jetzt erst recht« genau diese Produkte bevorzugen. Fettleibigkeit sowie Zivilisationskrankheiten wie Diabetes werden daher ein Thema bleiben. Und das weltweit. Grund ist zu fettreiche Ernährung und zu wenig Bewegung. Das ist ein deutlicher Gegentrend zum »Gesundheitswahn«. Und dann gibt es noch die große Gruppe, die dem Motto »sowohl als auch« folgt: Morgens joggen, nur Saft zum Frühstück, zum Mittag einen Salat. Und am Abend dann Schweinshaxe, Bier und Zigarre. Morgens für die Gesundheit – abends für die Lust. Sowohl als auch – nicht entweder oder. Die Menschen zieht es in die Städte. In 20 Jahren werden über 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Da das Rentenmodell jetzt schon hinkt und in einigen Jahren ganz zusammenbrechen wird, werden sich immer mehr Menschen – sofern sie die finanziellen Mittel dazu haben – um Eigenversorgung für den Ruhestand kümmern. Anbieter von soliden und relativ sicheren Rentenformen werden zu den Gewinnern zählen. Globalisierung Die Globalisierung wird – trotz zeitweiliger Gegenströmungen – weiter voran schreiten. Unternehmen verlagern nicht nur die Produktion, sondern immer mehr auch die Entwicklung in sogenannte »Billiglohnländer«. Bangalore in Indien ist im Bereich Softwareentwicklung die Nummer zwei in der Welt. Viele Weltfirmen wie AXA, Sun Microsystems und Cisco haben dort ihre Niederlassungen. Das Thema Umwelt wird uns immer mehr beschäftigen. Die Abhängigkeit von anderen Ländern wird bei Lieferausfällen immer deutlicher. Außerdem steigen langfristig die Rohstoffpreise aufgrund geringer Ressourcen sowie steigender Nachfrage. Für das Sparen von Rohstoffen werden zukünftig Milliarden ausgegeben, sei es über die Reduktion des Verbrauchs oder über erneuerbare Energien. Die Auswirkungen des Klimawandels spüren immer mehr Menschen immer deutlicher. Skiorte bleiben 286 Praxishandbuch Produktentwicklung schneefrei, Umweltkatastrophen nehmen zu, warme Erdregionen werden noch wärmer, bis sie zu heiß sind, um dort zu leben. Trinkwasser wird knappes Gut und zur Ursache für Auseinandersetzungen. Landesgrenzen verlieren an Bedeutung. Die Unternehmen und die Wirtschaft sind global aufgestellt, über die Grenzen hinweg. Und in der Wirtschaft wird deutlich schneller globalisiert als in der Politik. Die Wirtschaft und die Technologie ändern sich viel schneller, als die Staaten Vorschriften zur Regulierung erlassen können. »Made in …« verliert immer mehr an Bedeutung, weil ein Produkt häufig über Zwischenstufen in mehreren Ländern hergestellt wird. Die Kunden kaufen immer mehr Produkte und Marken, und keine Länderabzeichen. Die Unternehmen haben zwar einen Hauptsitz, operieren jedoch weltweit. Nationale Rechtsvorschriften werden umgangen und ausgehoben. So wird im Internet gegen Bezahlung eine Software zum Kopieren von DVDs und CD-ROMs angeboten, deren Vertrieb in Deutschland verboten wird. Damit diese Software per Mail auch aus Deutschland bestellt werden kann, wird der Kunde vom Anbieter aufgefordert, als Absender »Schweiz« anzugeben. Eine andere Variante sind Server im Ausland, die Pay-TV-Sendungen kostenlos ins Netz stellen. Da machen sich Hobby-Freaks einen Spaß, indem sie die Bilder vom Dekoder abgreifen und auf ausländischen Servern zur Verfügung stellen. Insbesondere durch das Internet sind die Grenzen und somit auch die Länderrechte praktisch aufgehoben für alles, was digital vertrieben werden kann. Neuprodukte sind weltweit jederzeit verfügbar. Neue Kinofilme sind maximal eine Woche nach der Erstausstrahlung im Kino im Internet (wenn auch nicht immer auf legalen Seiten) kostenlos abrufbar. Informationsverhalten und Digitalisierung Bei jeder Regulierung bildet sich ein Schwarzmarkt. Immer mehr Informationen sind immer leichter zugänglich. Die Kunden sind immer besser ausgestattet. Mit dem Computer können zum Beispiel Filme geschnitten und Fotos bearbeitet werden, was vor Jahren noch Profis vorbehalten war. Was digitalisiert werden kann, wandert ins Internet: Informationen, Musik, Beratung, Produktpräsentationen, Bestellwesen und Dienstleistungen. Die Geschäfte verlagern sich ins Internet. Berufe fallen aufgrund der Digitalisierung weg. In ersten Restaurants bestellt der Gast über die in Tische integrierten Touch-Screens. Ein Kellner wird überflüssig. Die Bedeutung des Fernsehens nimmt immer mehr ab. Früher war der Trend 287 Kunde an die vom Sender festgelegten Sendezeiten gebunden. Heute kann immer mehr auch im Internet angesehen werden. Gerade in den USA sind die meisten Sendungen bereits ab dem Sendetag im Internet in voller Länge verfügbar. Werbung wird in der Zeit der Digitalisierung brutal übersprungen. Das Internet bietet nun die komplette Freiheit: Interessierte können wählen, wo und wann sie etwas sehen, und haben eine unendliche Auswahl. Da zieht das Fernsehen den Kürzeren. Der Kunde stellt sich sein individuelles Programm zusammen. Das Fernsehen der Vergangenheit war Massenware, ein bisschen Berieselung für viele. Hier Sender, dort Empfänger. Der heutige Verbraucher akzeptiert nur noch Individualsendungen. Mit den digitalen Möglichkeiten stellt er sich den Informationsbedarf frei aus unterschiedlichen Medien zusammen. Er wird zum Programmgestalter. Das Internet löst – insbesondere bei der jüngeren Generation – das Fernsehen als Informationsquelle und Unterhaltungsmedium ab. Zusammen mit der nachlassenden Wirkung der Massenwerbung werden die Preise für Spots in den Keller fallen. Die ersten Großunternehmen steigen bereits aus der TV-Werbung aus und investieren in neue Medien. Die next Generation ist die net Generation. Sie ist mit Computer und Handy aufgewachsen. Gerade das Handy wird zentraler Bestandteil »des Körpers«, eingesetzt für Buchungen, Bahnkarte, als Autoschlüssel et cetera. Kinder und Jugendliche machen alles gleichzeitig und parallel: Hausaufgaben, Fernsehen, im Internet chatten, telefonieren und so weiter. Für sie ist dieses Multitasking normal, aus ihrer Sicht machen sie dann gerade nichts. Die Aufmerksamkeitsspanne wird immer geringer. Fernsehserien und Nachrichten müssen immer kürzer werden. Das Internet ist ein Pull-Medium. Der Kunde sucht aktiv und will nicht mit uninteressanter Werbung vollgeschüttet werden. Dafür gibt es ja Popp-up-Blocker sowie weitere Filter. Es ist using on demand. Kaufentscheidungen werden immer weniger am Point-of-Sale (also im Laden) getroffen, sondern immer mehr am Point-of-Decision (vor dem Computer). Dort werden Produkte und insbesondere Preise verglichen (zum Beispiel auf www.guenstiger.de oder www.idealo.de). Dieser Weg ist außerdem bequemer und nicht durch das Ladenschlussgesetz begrenzt. Wo Technik mit Nutzen verbunden werden kann, wird dieses immer vielfältiger eingesetzt. So sind in New York die Taxen mit einem Sensor ausgestattet, um die Werbung auf dem Autodach an die Gegend anzupassen, in dem das Taxi gerade fährt. Da wird Technik mit Nutzen kom288 Praxishandbuch Produktentwicklung biniert. Keinem Restaurant nutzt eine Taxi-Werbung in einer Entfernung von 50 km zum Restaurant. Wirtschaft Extreme nehmen zu: billig vs. Luxus, arm vs. reich, Produkte für Massen vs. Nischenprodukte für Kleinstmärkte, Edelmarken vs. no name. Die Mitte bleibt auf der Strecke. Wirtschaftsleben ist gegenseitiges Lösen von Problemen. Es gab in der Geschichte der Menschheit noch nie so viele ungelöste Probleme wie heute. Und es gab noch nie eine Zeit, in der sich die Probleme der Kunden so schnell verändert haben. Dieses geschieht auch durch die rasante technische Entwicklung, die einerseits Probleme löst, andererseits mindestens genauso viele neue Probleme aufwirft. Das sind Felder für problemlösungsorientierte Produktentwickler, die Chancen sind hoch wie nie zuvor. Gestalten Sie mit, damit Sie nicht gestaltet werden. Sie werden Ihr Angebot ändern, weil Sie von Ihren Kunden dazu gezwungen werden. Heute reicht es nicht mehr, das nur Bewährte zu pflegen. Sie müssen Ihre Gewohnheiten infrage stellen und sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Und das nahezu täglich! Es zählt mehr der Zugang (Access) als der Besitz. Timesharing bei Urlaubswohnungen, Nutzungsstunden bei Privatjets, Fahrrad am Automaten zur Kurzmiete, Teilung von Autos. Autohersteller werden immer weniger Autos verkaufen, sondern zukünftig den Zugang gemessen in Stunden einen Wagen zur Verfügung stellen. Preis inklusive Benzin, Versicherung, Steuern, Wagenwäschen, vielleicht sogar inklusive Strafzettel. Wenn man bedenkt, wie selten ein Auto in der Regel genutzt wird, lohnt es sich für viele der Noch-PKW-Kunden. Die Unternehmen bekommen heute Konkurrenz aus den Bereichen, die sie gestern noch gar nicht beachtet haben, von Produktformen, die die Bedürfnisse viel besser lösen. Aufwändige Laboruntersuchungsverfahren werden zu Schnelltests. Medikamente zur Behandlung von Krankheiten werden zu Medikamenten der Prävention, damit diese Krankheiten gar nicht auftreten. Fotofilme wurden ersetzt durch die Digitalfotografie. Das sind alles keine Produktoptimierungen, sondern Prozessmusterwechsel. Die Konkurrenz kommt nicht nur aus der eigenen Produktbranche, sondern mindestens mit gleicher Intensität aus fremden Branchen. Hier wird deutlich: Märkte, die über Aufgaben und Probleme definiert sind, sind um ein Vielfaches größer als Märkte, die über Produktkategorien definiert Trend 289 sind. Die Produkte konkurrieren nicht mit den Angeboten aus der eigenen Branche, sondern mit allen Angeboten zu den zu leistenden Aufgaben und der zu lösenden Probleme. Die Grenzen der Branchen verwischen, sie fallen teilweise ganz weg. Sony wird Finanzdienstleister, DaimlerCrysler zur Bank. Deutsche Post und Otto-Versand verkaufen Strom, und bei Tchibo erhalten Sie neben Autos und Rentenversicherungen sogar noch Kaffee. Der Star am Kochhimmel ist nicht ein Sternekoch aus Frankreich, sondern ein Jugendlicher aus England. Amazon wurde nicht von einem Buchhändler oder Grossisten gegründet. Auch innerhalb der Branchen wird häufig durch Kooperation das Angebot ausgeweitet. Dass diese Diversifikationen nach kurzer Zeit zum Flop werden, ändert nichts an der Tatsache, dass diese Einsteiger den etablierten Anbietern durch Schnäppchenangebote das Leben schwer machen. Axel Springer und die Holzbrinck-Gruppe übernahmen gemeinsam die Mehrheit am Berliner Postdienstleister Pin AG, dem nach der Deutschen Post zweitgrößten Briefzusteller in Deutschland. Mit der Süddeutschen Zeitung begann ein weiterer Großverlag mit der regionalen Zustellung von Briefen in München und Umgebung. In der Wirtschaft kommen neue Wettbewerber mit ganz neuen Fähigkeiten in ihr Marktsegment. CNN bot als neuer Sender 24 Stunden Nachrichten. Warum kamen nicht die großen Fernsehsender auf diese Idee, der Markteinstieg wäre für sie technisch viel einfacher gewesen. Nicht Dual als Marktführer von Schallplattenspielern wurde führend in der Produktion von CD-Playern, sondern Neueinsteiger in der Unterhaltungsbranche. Nicht Sony oder BMG sind Marktführer für Musikdownloads, sondern der Computerhersteller Apple. Der Neueinsteiger Starbucks, nicht Wiener Kaffeehäuser oder die großen Kaffeeröstereien und -vertreiber, hat das größte Filialnetz an Coffee-Shops aufgestellt. Die etablierten Branchenunternehmen hatten doch aufgrund ihrer Historie einen großen Vorsprung gegenüber dem Newcomer. Neue Anbieter haben es jedoch leichter, sie tragen keinen Ballast alter Erfolge und Erfahrungen mit sich herum, sondern gehen, immer mit dem Kundenwunsch im Blick, direkt ans Problemlösen. Meist betrachten die Unternehmen nur die anderen Unternehmen aus der Branche als Konkurrent. Das ist zu kurz gedacht. Irgendwo gibt es Unternehmen, die noch gar nicht in dieser Branche sind, jedoch das Potenzial zur Produktentwicklung haben und in einigen Jahren die Branche als Quereinsteiger aufmischen werden. Aus welchen Gründen haben nicht große Buchhandlungen oder Kaufhäuser zuerst Bücher und Konsumprodukte aller Art im Internet angeboten? Amazon verkauft neben Spielwaren, Elektrogeräten, Heimwerkerbedarf und Kosmetikartikeln auch noch Lebensmittel (Start in den USA). »Ganz am Rande« gibt es 290 Praxishandbuch Produktentwicklung bei Amazon noch Bücher zu kaufen. Intel fürchtet heute weniger seine bisherige Konkurrenz der Chiphersteller, viel mehr eventuelle Anbieter von Einheiten, die diese Chips zum Beispiel auf gentechnologischer Basis ersetzen. Tankstellen machen den größten Teil ihres Gewinns mit Nichtmineralölprodukten. Aldi stellt zwischen Kaffeesahne und Keksen Computer ins Regal und macht so »Medion« zu einer Marke. Daneben werden Hotelübernachtungen in Luxushotels angeboten. Lidl bietet Tickets der Deutschen Bundesbahn an. Der klassische Begriff der Marktgrenzen wird ad absurdum geführt. Es gibt keine Grenzen mehr, auf die man sich heute noch verlassen kann. Produkte unterschiedlicher Branchen konkurrieren untereinander. Die Konkurrenz kommt von allen Seiten. Nicht nur Kinos gegen Kinos, Restaurants gegen Restaurants und Theater gegen Theater. Menschen überlegen, ob sie am Freitagabend ins Kino gehen, sich mit Freunden treffen, in eine Bar oder ins Restaurant gehen, im Internet surfen oder das Heimkino vorziehen. Somit kommt die Konkurrenz überwiegend aus ganz unterschiedlichen Branchen. Die Brötchen eines Bäckers konkurrieren einerseits mit den Brötchen anderer Bäcker. Das ist reines Produktdenken. Geht man jedoch von dem Problem (Sättigung) aus, das das Brötchen lösen soll, kommen branchenübergreifend viele weitere Produktkategorien dazu: die gesamte Lebensmittelpalette von Bananen, Müsliriegeln, Süßwaren bis hin zum Milchshake. Früher waren Trends über Jahre angekündigt. Trendursprung waren meist die USA. Von dort aus kamen die Trends dann langsam nach Deutschland. Heute kommen die Trends aus allen Richtungen und sind (fast) gleichzeitig überall. Früher bestimmten die Anbieter, wo und wann der Kunde kaufen durfte, und hielten es nicht für nötig, den Kunden den Kauf so einfach wie möglich zu machen. Heute ist es genau umgekehrt: Es gibt den rollenden Supermarkt, Homeshopping, kostenlosen Lieferservice und die Bank im Bus. Sogar die katholische Kirche kommt jetzt zum »Kunden«: In dem zum Beichtmobil umgebauten Kleinbus können die Bürger vor Ort die Beichte ablegen. Eingesetzt wird das Beichtmobil (http://www.kirche-innot.de/was-wir-tun/beichtmobil) unter anderem bei Wandertagen und Stadtfesten. Wenn nicht mehr so viele Gläubige zum Beichten in die Kirche gehen, dann kommt die Kirche eben zu den Gläubigen. Kooperationen nehmen zu, die Fertigungstiefe wird geringer. Die Firmen-Homepage ist für die Anfahrtsskizze mit Google oder Falk verknüpft. Anbieter von Produkten bieten gleichzeitig Literatur zu diesem Thema (verlinkt mit Amazon). Nike stellt Schuhe nicht mehr selbst her, Trend 291 bei Autos findet maximal noch die Endmontage in den eigenen Hallen statt. Es erfolgt der Abschied von der Größe. Diversifikation, Massengeschäft und Generalisten sind out, Spezialisierung ist in. Ein Beispiel dafür sind die großen Kaufhäuser mit all ihren Problemen. Ein Haus wie das andere bietet alles an, und in der Tiefe doch »nichts«. Der Marktanteil der Warenhäuser ist in den letzten Jahren erheblich gesunken. Bis auf wenige Premiumstandorte werden diese Giganten von der Bildfläche verschwinden und durch Shop-in-the-Shop-Systeme oder durch Galerien selbstständiger Geschäfte ersetzt. Kunden wollen nicht mehr den Allrounder mit Rheumadecken neben Zierfischen und Bohrmaschinen. Sie wollen keine Verkäufer, die gestern noch Strümpfe verkauft haben und heute aufgrund von Personalengpässen in der Abteilung für Koffer stehen. Von Fachberatung kann dort keine Rede sein. Da gehen die Kunden lieber zum Elektrohandel, Küchenausstatter, Bekleidungsgeschäft, Juwelier, Spielwarenladen, Möbelgeschäft und so weiter. Dort haben neue und kleine Anbieter die Möglichkeit, erfolgreich gegen undifferenzierte große Wettbewerber anzutreten. Hochrentable Spezialisten haben sich auf einen Markt konzentriert, der für die Generalisten nicht interessant ist. Die Macht der Kunden Früher lag die Macht beim Hersteller, weil die Nachfrage größer als die Produktionskapazität war. Zwischendurch hatte der Handel die Macht, denn nur dieser hatte den Zugang zum Kunden (zum Beispiel Kaufhaus). Heute liegt die Macht beim Kunden, denn es gibt mehr Direktvertrieb und eine größere Auswahl an Händlern. Zwischenhändler werden immer mehr ausgehebelt. War der direkte Weg vom Hersteller zum Endkunden vor Jahren noch eher die Ausnahme, so ist es über das Internet die Regel. Da können sich Hersteller und Endkunden die Händlermarge einstreichen und haben beide den Vorteil. Insbesondere wenn der Händler mehr als Durchreicher denn als Verkäufer und Berater fungierte, hat er jetzt ausgedient. Das Diktat des Herstellers wich dem Diktat des Handels. Dieses weicht dem Diktat des Kunden. Dieser Macht werden sich immer mehr Kunden bewusst und setzen diese auch ein. Der Kunde gibt dem Anbieter vor, wann und wo er Werbung haben möchte und wann, wo und auf welchem Wege er das Produkt zu welchem Preis erwerben will. Er ist gut informiert und kann – praktisch ohne Kosten – weltweit Angebote hinsichtlich Nutzen und Preis vergleichen und 292 Praxishandbuch Produktentwicklung entsprechend beziehen. Dies gilt insbesondere für Waren. Viele Dienstleistungen werden an Ort und Stelle verrichtet (Friseurbesuch, Arzt), jedoch kommt es hier bei hochpreisigen Leistungen schon zu einem weltweiten Tourismus. Früher wurden den Kunden nicht zu viel Informationen gegeben, damit sie nicht vergleichen und woanders kaufen konnten. Das geht heute nicht mehr. Die Verbraucher sammeln Informationen im Internet und tauschen sich untereinander aus, ohne Einbeziehung beziehungsweise Kontrolle der Anbieter. Referenzlisten, die nur Positives erzählen, verlieren an Bedeutung. Informationen zum Produkt erhält man heute nicht mehr ausschließlich vom Hersteller, sondern von begeisterten und verärgerten Nutzern. Platte Werbeversprechen prallen an den Kunden ab. Sie sind durch tausende Werbebotschaften pro Tag abgestumpft und »imprägniert«. Der einzig gangbare Weg für Produktanbieter ist es, die Bedürfnisstruktur der Kunden zu erkennen und diese Bedürfnisse zu befriedigen. Und zwar besser als jeder Wettbewerber. Patienten gehen – dank Internet – häufig mit klaren Vorstellungen und Selbstdiagnosen zum Arzt. Im Internet werden die benötigten Informationen gegoogelt, anschließend in Chatrooms und Foren die Erfahrungen ausgetauscht und der Arzt mit diesen Informationen konfrontiert. Das persönliche Gespräch mit dem Arzt findet dann fast auf Augenhöhe statt. Patienten schlucken nicht mehr alles (im doppelten Sinne). Der Arzt als reiner Rezeptverteiler wird nicht mehr akzeptiert. Das ist Patientensouveränität pur. Es geht um Beratung, und nicht nur um Symptombekämpfung und Entgegennahme von Rezepten. Kundenbindung ist nicht mehr möglich. Noch immer versuchen viele Unternehmen ihre Kunden wie in den letzten Jahrzehnten zu binden. Dabei ist heute kein Kunde mehr bereit, auf »Knebelverträge« einzugehen. Da der nächste Anbieter mit einem vergleichbaren Angebot ohne Langzeitbindung häufig nur 100 Meter oder im Internet nur einen Klick entfernt ist, sinkt die Kundenbindung rapide. Die Kunden wechseln die Anbieter schneller denn je. So bleibt für die Anbieter nur noch die Möglichkeit der Attraktivität für den Kunden. Anbieter können eine langfristige Kundenbeziehung nur durch dauerhafte Faszination und Begeisterung des Kunden erreichen. Dann bleibt der Kunde freiwillig und möchte von sich aus die Geschäftsbeziehung mit Ihnen ausbauen und betreibt freiwillig unbezahlte Mundpropaganda für Ihr Unternehmen. Und er ist bereit, sich aktiv in die Entwicklung Ihrer Produkte einzubringen. Trend 293 Privatleben Privatsphäre = 0. Das gilt für Prominente wie auch für Otto-Normal-Verbraucher. Sie müssen an jeder Straßenecke mit einer Life-Cam rechnen, mit der Sie im Internet sichtbar sind. In New York gibt es einige Cams an Subway-Ausgängen (www.earthcam.com/usa/newyork/timessquare/). Dort kann jeder genau kontrollieren, wann sein Partner wo war – und wo nicht. Party-Fotos und Cam-Aufnahmen wandern ungeschnitten ins Internet. Einmal eine falsche Person im Arm und schon kann es die ganze Welt auf YouTube oder Flickr sehen. Texte, die eigentlich nur für einen kleinen Leserkreis gedacht waren, können weltweit unter Google gefunden werden. Unternehmen recherchieren vor der Einstellung die Bewerber im Internet, um zu sehen, ob der Bewerber irgendwann etwas veröffentlicht hat, was nicht zur Firmenphilosophie passt. Heute werden Sie nach Namen, Anschrift, Geburtsdatum, Einkommen, Familienstand, Hobby und so weiter gefragt, wenn Sie bei Gmx oder Freenet eine E-MailAdresse beantragen. Viel mehr als bei der Volkszählung im Jahr 1987, die einen kollektiven Aufschrei verursacht hat – und alle finden es normal. In Foren präsentieren sich die Teilnehmer mit intimsten Details. Bei Xing ist der ganze berufliche Lebenslauf der Benutzer hinterlegt – eine ideale Informationsquelle für Unternehmen. In StudiVZ sind neben Hobbys der eingetragenen Benutzer auch weitere Interessen angegeben. Sie können dort in Gruppen eintreten, die ihre Gesinnung verdeutlichen und Namen wie »Jägermeister ist auch nur ein Lebensmittel« tragen. Individualisierung Jeder von uns glaubt, der Mittelpunkt der Welt zu sein – und das zu Recht. Nur leider gibt es bereits knapp 7 Milliarden Menschen auf der Welt. Jeder möchte etwas Besonderes sein und auch als das angesehen werden. Er möchte und erwartet individuelle Lösungen für seine Probleme. Massenprodukte werden nicht mehr akzeptiert, Produkte von der Stange werden verschmäht. Ein erfolgreiches Produkt passt bei dem Kunden wie der Maßhandschuh zu seiner Hand beziehungsweise wie der Schlüssel zum Sicherheitsschloss. Es gab auch in der Vergangenheit noch nie einen Massenmarkt. Hersteller glaubten es nur und behandelten ihre Kunden wie eine Masse. Schon damals waren es Individuen, die kauften, nur war da die Nachfrage größer als das Angebot, sodass die Hersteller sich diese Haltung erlauben konnten. Bei niedrigpreisigen Produkten sind 294 Praxishandbuch Produktentwicklung die Individuallösungen beschränkt, jedoch nicht ausgeschlossen (zum Beispiel Privatkaffee von Tchibo: Der Kunde stellt »seine« Mischung selbst zusammen). Bei hochpreisigen Angeboten ist diese Individualisierung schon Pflicht. Mass-Customization ist der Schlachtruf. Produkte für die Masse an Kunden müssen her, bei denen jedoch die spezifischen Kundenwünsche in der Produktion berücksichtigt werden. Es sind die Build-to-order-Produkte, die erst produziert werden, wenn der Kunde bestellt hat. Dieses ist seit Jahren bei Computern möglich, indem der Kunde im Internet sein individuelles Gerät zusammenstellt. Oder auch beim Autokauf, bei dem zwischen 100 000 Varianten gewählt werden kann. Durch Fortschritte in der Fertigung ist diese Individualität auch für Hersteller rentabel. Die Auffassung von Henry Ford: »Ein Auto darf jede Farbe haben, solange es schwarz ist« ist längst überholt. Vor 20 Jahren waren bei Autos nur bestimmte Sitze zu bestimmten Außenfarben zu bestimmten Bezügen möglich. Das wird heute nicht mehr akzeptiert. Früher stellte die Musikindustrie Schallplatten und CDs zusammen. Wer zahlt, will jedoch auch entscheiden, wofür er zahlt. Und so begann der Erfolg von Musicload und iTunes. Weitere Branchen greifen diesen Trend auf. So kann der Kunde bei Mymuesli (www.mymuesli.com) im Internet seine Mischung selbst zusammenstellen. Auf M&M’s (www.mymms.de) kann der Kunde individuelle Texte auf die Produkte drucken lassen, in den USA kann er die Schokolinsen mit eigenen Fotos verzieren. Selbst kreierte Schokolade bieten Deineschokoladen (www.deineschokoladen.com) und Chocri (www.chocri.de). Bei Chocri können die Kunden aus circa 100 Zutaten ihre Lieblingsschokolade kreieren – insgesamt sind das über 10 Milliarden Varianten. Produziert wird entsprechend erst nach Eingang der Bestellungen, Lagerfläche für fertige Waren entfällt. Auf den persönlichen Bedarf zugeschnittene Vitaminportionen können Kunden online bei Customcapsule (www.customcapsule.com) bestellen. Bei Starbucks besteht die Auswahl aus circa 85 000 Kombinationen (drei verschiedene Größen, über 15 Getränke und Milchschaum oder Sahne, Kuhmilch oder Sojamilch, entkoffeiniert und Zusätze wie extra Espresso oder Sirup nach Wahl). Plüschtiere werden bei Build-a-Bear (www.build-a-bear. com) nicht von der Stange gekauft, sondern aus einer Vielzahl an Tieren und Accessoires selbst kreiert. Diese Individualisierung zieht sich über die Bekleidungsbranche (www.nike.com) bis hin zu Kosmetikartikeln. Ein eigenes Parfum kann bei My Parfum (www.myparfum.com) zusammengestellt werden. Bei Lego können Kunden sich virtuell im Internet ihr Wunschobjekt zusammenbauen und eigene Modelle kreieren. Online Trend 295 wird ausgerechnet, wie viel dieser individuelle Bausatz kostet und nach Bestellung erhält der Kunde seine benötigten Steine zugeschickt. Stößt das Modell auf die Akzeptanz der Lego-Angestellten, so wird das Modell in das offene Lego-Programm übernommen. Kunden werden zu Fans, da sie selbst mitwirken können. Interessierte arbeiten auf gleicher Hierarchieebene an einem Projekt. Setzen Sie hier an. Mitmachen lassen statt kontrollieren lautet die Devise. Für die verlangte Individualität ist der Kunde bereit, für das von ihm entworfene Produkt weitaus mehr (häufig ein Vielfaches) zu zahlen als für die Standardausführung. Neben dem Gefühl, etwas Einmaliges zu haben, hat der Kunde so die Möglichkeit, das Produkt seinen spezifischen Bedürfnissen anzupassen und so den Produktnutzen für sich selbst zu erhöhen. Für den Anbieter ist vorteilhaft, dass das Rückgaberecht der Kunden bei diesen individuellen Produkten eingeschränkt ist, insbesondere dann, wenn die Produkte nicht anderweitig verkauft werden können. 5 Zu beachten ist, dass die Individualisierung für den Kunden so einfach wie möglich sein muss, denn jede Erhöhung der Komplexität reduziert die Akzeptanz beim Kunden. Apple hat mit seinem iPhone durch wenige Modelle die Komplexität extrem reduziert, gibt jedoch den Kunden über die vielen Apps die Möglichkeit, das Gerät individuell anzupassen. Er kauft somit kein abgeschlossenes Produkt, sondern eine offene, »frei« gestaltbare Grundausstattung. Bereits im ersten Jahr haben Kunden 1,5 Millionen Apps aus einer Auswahl von über 65 000 heruntergeladen, Tendenz steigend. Wochenlang auf Platz eins der Downloads war das App »Around me«, mit dem Restaurants, Hotels, Geschäfte und Ähnliches in der jeweiligen näheren Umgebung angezeigt werden. Hier wird der Hang der Menschen zur Vernetzung deutlich. Viele Unternehmen haben sich jedoch immer noch nicht auf dieses Bedürfnis der Individualisierung eingestellt, obwohl es doch gerade im Dienstleistungsbereich möglich wäre. Sie arbeiten nach dem »GoldfischModell« (einige Spezies von tropischen Goldfischen haben kein Gedächtnis für ihre Umgebung und langweilen sich so nie im Aquarium). Hierbei werden Stammkunden so behandelt, als wenn man sie das erste Mal sieht. Zum Beispiel werden nach über zehn Jahren beim gleichen Friseur immer noch die gleichen Fragen gestellt: »Wann waren Sie das letzte Mal hier?«, »Wie möchten Sie den Haarschnitt?«, »Möchten Sie eine Kopfmassage?«. Und von dem Kunden kommt immer die gleiche Antwort: »4 Wochen«, 5 Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie unter www.configurator-database.com. 296 Praxishandbuch Produktentwicklung »kurz, fingerbreit«, »nein«. Das nervt den Kunden. Wie wäre es mit einer Kundendatei, in der hinterlegt ist, wann der Kunde zuletzt da war und welche Leistungen er in Anspruch genommen hat? Kundenverhalten Weder Herkunft noch Alter noch Geschlecht bestimmen unser Verhalten ausschließlich. Wir leben im Zeitalter der Multigrafie. Die Lebensabschnitte Kindheit, Jugend, Berufstätigkeit und Rente konnten früher zur Marktsegmentierung herangezogen werden, heute nicht mehr. Menschen entscheiden nach ihren Lebenswelten und immer mehr aus der Situation heraus. Das Verhalten der Kunden wird immer widersprüchlicher und dadurch immer weniger kalkulierbar. Es gilt die Multioptionalität: morgens im Porsche zu Aldi, mittags Fastfood, dann bei H&M einen Mantel einkaufen und abends einen Salat im Edelrestaurant, um sich gesundheitsbewusst zu ernähren. Die meisten nutzen die extremen Pole und nicht die langweilige Mitte mit den Durchschnittsprodukten. Der heutige Kunde ist ein Chamäleon. Früher gab es den Otto-Normal-Verbraucher – heute den Otto-Normal-Abweichler. Die Kunden von heute sind schizophren wie Jekyll & Hide. Vernetzung Auf der Welt und insbesondere in den sogenannten Industrienationen verlief in den letzten Jahren eine der größten – wenn nicht die größte – Veränderung: Vernetzung. Alles wird mit allem vernetzt. Ein weltumspannendes Netzwerk entsteht. Und die Vernetzungsdichte wird immer höher. Wir vernetzen uns in der Kommunikation per Handy, Computer und allen Varianten. Was früher undenkbar war, erscheint heute allen als selbstverständlich. Einige Auswirkungen der Vernetzung bis heute sind nachfolgend zusammengefasst: • Das Internet ist nur ein Teil der weltweiten Vernetzung. Unternehmen treiben weltweiten Handel miteinander – was vor 20 Jahren noch den Big Playern vorbehalten war, ist heute jeder Einmannfirma möglich. Die Waren bei eBay sind nicht in einem Laden, sondern weltweit verteilt; • eine weitere Auswirkung der Vernetzung ist die Tatsache, dass auch unbedeutende Nachrichten in Sekundenschnelle um die Welt gehen, Trend 297 • • • • • • • wenn diese auf Resonanz stoßen. Wenn eine entsprechende Sensibilität vorhanden ist, können marginale Ereignisse ganze Staatskrisen und Unternehmenspleiten auslösen; durch die totale Transparenz und Vernetzung brechen Margen weg, die Unternehmen geraten unter Preisdruck, da die Kunden Preise vergleichen können. Internetportale wie www.getprice.de, www.geizkragen.de oder im Hotelbereich www.hrs.de ermöglichen den Kunden, die Preise weltweit zu vergleichen und den günstigsten Anbieter zu wählen. Hatten früher Sortimentsanbieter einige supergünstige Lockangebote und ein Standardsortiment, um den Ertrag zu sichern, werden heute nur noch die Lockangebote gekauft. Die anderen Artikel gibt es woanders günstiger. Große Preiseinbrüche bescherten den Kunden unter anderem auf dem Strommarkt, in der Telekommunikation und im Einzelhandel Traumpreise. Porzellanfiguren zum Sammeln wurden früher in Deutschland zu astronomischen Preisen angeboten. Mit dem Internet hat jeder Endkunde die Möglichkeit, die Preise weltweit zu vergleichen. Da liegen die Preise häufig um 70 Prozent und mehr unter den deutschen Angeboten. Die Figuren gibt es dann jeweils mit Echtheitszertifikat im Originalkarton; jede Seite im Internet ist mit jeder anderen über maximal 15 Links vernetzt, jeder Mensch somit mit (fast) jedem über mehrere Klicks (zum Beispiel über Chatrooms, Foren, Portale, Blogs oder Ähnliches). Informationen aus allen Bereichen werden ausgetauscht; der Kopierschutz von CDs, DVDs, Software und Pay-TV wird immer mehr durchlöchert. Hat ein Hacker einen Code geknackt, wird dieser sofort im Internet weltweit verbreitet. Der Schaden für den Rechteinhaber ist unermesslich. Die Unternehmen können die Verschlüsselungen gar nicht so schnell ändern, wie Hacker weltweit die neuen Verschlüsselungen wieder entschlüsseln; das Internet (oder zukünftig ganz andere Kommunikationswege, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können) wird immer mehr unser Leben bestimmen und zur Normalität werden. Das heutige Internet ist, verglichen mit der Entwicklung des Automobils, auf der Entwicklungsstufe des T-Models von Ford; wäre Facebook ein Staat, wäre dieser der viertgrößte der Welt; das Handy wird Multifunktionsgerät. Wir stehen auch hier in der Vernetzung noch ganz am Anfang; durch das Netz verschwimmen Grenzen zwischen Profis und Amateuren immer mehr, zum Beispiel Journalisten und Hobby-Schreiber in Blogs, Foren und Wikipedia. Die Masse schlägt die Experten; 298 Praxishandbuch Produktentwicklung • je größer der Grad der Vernetzung, desto größer ist auch die Komplexität und damit verbunden eine immer schnellere Geschwindigkeit der Veränderung. Das erste, was Jugendliche morgens anschalten beziehungsweise das letzte, was sie abends ausschalten (sofern überhaupt), ist das Handy. Ständig wird geschaut, ob eine SMS oder eine Sprachnachricht eingegangen ist. Komplexität Durch die zunehmende Vernetzungsdichte explodieren die Komplexität und die Umfelddynamik. Und zwar so schnell, dass die Kunden nicht mitkommen. Viele Kunden fühlen sich der Dynamik und Komplexität nicht gewachsen, ertrinken in der Alltagskomplexität, sind verunsichert und suchen händeringend nach Stabilität. Sie fühlen sich wie der Zauberlehrling in Disneys »Fantasia« von den aufschaukelnden Ereignissen überrollt. Kunden werden in Zukunft dafür zahlen – ja sie werden die Anbieter dafür vergolden –, wenn es den Anbietern gelingt, ihre Komplexität zu verringern. Es gibt für die Menschen nur zwei Chancen, um der zunehmenden Komplexität zu entkommen: • das Komplexe künstlich einfach machen (Trivialisierung). Der Preis ist das Einfachste, was der Kunde noch objektiv vergleichen kann, das heißt, er kauft das Billigste; • wann immer Menschen irritiert sind, suchen sie nach emotionaler Orien­tierung und Stabilisierung. Somit sollten die Anbieter versuchen, die Menschen in hoch instabilen Märkten emotional zu stabilisieren. Gewinner werden Discounter sein (sie machen komplexe Dinge trivial) und die starken Marken, die den Kunden emotional berühren. Die bereits genannten Entwicklungen beschreiben nach unseren Schätzungen nur circa 25 Prozent der Veränderungen, die in den nächsten zehn Jahren auf die Unternehmen zukommen. Einige Anbieter werden sich vom Markt verabschieden, da sie sich nicht den neuen »Spielregeln« angepasst haben. Die wenigsten Unternehmen werden mit den heutigen Methoden überleben, jedoch kaum erfolgreich sein. Kein Unternehmen kann mehr so weitermachen, wie es bis jetzt agiert hat. Wir leben inmitten einer wirtschaftlichen Revolution. Da der Wandel jedoch langsam begann und stetig an Geschwindigkeit gewinnt, wird er häufig noch nicht wahrgenommen. Und viele, die ihn wahrgenommen haben, hoffen, dass diese Revolution an uns vorübergeht. Nun das Positive: Es gab noch nie so viele ErfolgsTrend 299 chancen für Unternehmer wie heute. Gerade wenn alle Spielregeln geändert werden, entstehen neue Märkte. Nutzen Sie die Möglichkeit, Ihre eigenen Geschäfte neu zu definieren. Das einzige, was wir sicher wissen: Es wird Kunden mit Bedürfnissen geben. Und für die Befriedigung dieser Bedürfnisse sind sie bereit, eine Gegenleistung (Geld) zu geben. Wir werden bereits in fünf Jahren • • • • • • • anders einkaufen; anders (und woanders) produzieren; anders arbeiten; anders verkaufen; anders werben; ganz andere Erwartungen an Produkte haben; anders leben. Die Industriegesellschaft ist vorbei. Früher bestand der Wert eines Unternehmens aus den Gebäuden und Maschinen. Diese Bereiche galten als Investitionen, Mitarbeiter waren Kosten. Heute sind das größte Kapital und der Wettbewerbsvorteil der Unternehmen die Mitarbeiter, deren Wissen und Fähigkeiten. Produktionsmittel sind nicht mehr schwer und aus Stahl, sondern wiegen je circa 1,3 Kilogramm und sind weich: die Gehirne Ihrer Mitarbeiter. Henry Ford beklagte vor 80 Jahren: »Ich will nur ein Paar Hände, aber jedes Mal bekomme ich auch einen Kopf dazu«. Heute heißt es eher: »Wofür benötigen wir Hände?«. Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ist es möglich, ein Unternehmen nicht durch Kapital, sondern durch die Kontrolle von Wissen erfolgreich aufzubauen. Schaffen Sie Ihr eigenes Wirtschaftswunder, Ihre eigene Konjunktur. Lösen Sie sich von der allgemeinen Wirtschaftslage, stellen Sie eigene Regeln auf. Unternehmen erzielen die größten Erfolge in Zeiten des Umbruchs, nie in Zeiten der Stagnation. Die besten Gelegenheiten ergeben sich, wenn die Rahmenbedingungen im Markt auf den Kopf gestellt werden. Machen Sie Ihre eigene Konjunktur. Für Sie ist nicht die deutsche Wirtschaft beziehungsweise Branchenkonjunktur maßgeblich. Nur der Nutzen, den Sie Ihren Kunden bieten, entscheidet. Rückblickend ist festzustellen, dass in einem Abschwung immer einige Branchen geboomt haben, in einer Branchenkrise einige Unternehmen gerade in dieser Branche enorm gewachsen und innerhalb von Großunternehmen einige Sparten geradezu explodiert sind. Umsatz, Marktanteil und Gewinn sind durch nutzwertige Lösungen gestiegen, und zwar unabhängig von der Durchschnittsentwicklung. Krisen sind schwere Zeiten, jedoch ist auch hier Wachstum möglich. Gute Produkte werden 300 Praxishandbuch Produktentwicklung immer gebraucht. Gerade hier ist der Kontakt zu den Kunden unentbehrlich, denn sie haben in Krisen viele Must-have-Bedürfnisse. Diese gilt es zu erfüllen. Das Wissen über die Kunden und die Kundenkontakte wird das wertvollste Kapital für die Unternehmen. Kundenzufriedenheitsabfragen reichen nicht mehr aus. Haben Sie das Ohr am Markt und erkennen somit eher Trends bei Ihren Kunden als Ihre Konkurrenten. So können Sie als Erster neue Lösungen anbieten. Auch bahnbrechende Trends fangen klein und fast nicht erkennbar an. Um diese zu erkennen, empfiehlt John Naisbitt, sich bei kleinen Trends eine Steigerung um den Faktor 10 vorzustellen. Und dann prüfen Sie bitte, was das für Ihr Geschäft bedeutet. Nun gilt es für Sie in Ihrer Produktentwicklung, diese Entwicklung vor dem Wirkungseintritt zu erkennen. Nur so können Sie vor Ihren Mitbewerbern Maßnahmen in der Produktentwicklung ergreifen, um von diesen Entwicklungen zu profitieren. Einen Trend zu erkennen ist meist noch einfach. Hieraus die für die eigene Kernkompetenz wichtigen Trends herauszuselektieren und Produkte zu entwickeln, ist schon schwieriger. Listen Sie für jeden Trend auf, welche Bedeutung dieser hat: • für Ihr Unternehmen Relevanz; ab wann wirksam?; welche Technologie wird benötigt?; welche rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen bestehen (inkl. Handelsbeschränkungen et cetera)?; welche neuen Marktsegmente entstehen?; wie sind Sie und die Umwelt dafür gerüstet? Erstellen Sie eine Swot-Analyse (Stärken/Schwächen- und Chancen/Risiken-Analyse). • für Ihre Mitbewerber; • für Ihre Kunden bezüglich Rahmenbedingungen, Tätigkeiten, Aufgaben, Problemen, Erfolgsfaktoren und Komplexität sowie die daraus resultierenden Bedürfnisse; • für Ihre Zwischenhändler; • für Ihre Lieferanten. Konzentrieren Sie sich insbesondere auf die Trends, die Ihnen Rückenwind verschaffen. Erfüllen Sie hier die Bedürfnisse. Wer Trends aufnimmt, die ihm voll ins Gesicht blasen, erreicht maximal Stillstand. Kombinieren Sie Trends in Ihren Produkten. Zum Beispiel könnte eine Kombination aus Gesundheit und Alter zu einem Sport-/Fitnessangebot für Ältere, also Trend 301 einem Sportstudio ohne junge »Muskelprotze« werden. Oder kombinieren Sie die Bereiche Internet und Weiterbildung zu Online-Learning. Prüfen Sie bei jedem Trend, welche Auswirkungen er für Ihr Unternehmen und Ihr Umfeld hat. Entscheidend ist, was sich für die Kunden verändert und wie Sie als Lösungsanbieter darauf Ihre Produkte anpassen. Erwarten Sie keinen globalen Aufschwung für alle. Ein Warten auf die Hochkonjunktur, von der alle etwas abbekommen, ist äußerst unwahrscheinlich. Hingegen werden einzelne Unternehmen aufblühen und zu ungeahnter Größe aufsteigen. Es werden diese Unternehmen sein, die es verstehen, den Kunden wirklich einen entscheidenden Nutzen zu liefern. Somit ist es Aufgabe der Produktentwicklung, über nutzwertorientierte Produktentwicklung die eigene wirtschaftliche Zukunft zu sichern. Unternehmen wachsen immer dann sehr schnell, wenn die ungelösten Probleme der Menschen riesig sind und sie auf die Lösung ihrer Probleme warten. Schlechte Zeiten für Unternehmen gibt es immer dann, wenn die Kunden keine oder wenige Probleme haben beziehungsweise die Probleme zu ihrer Zufriedenheit gelöst sind. Bis zu dieser Seite sind die Veränderungen in den Kundenerwartungen beschrieben. Nun müssen Sie und Ihre Mitarbeiter direkt an Informationen über Ihre Kunden herankommen und aus den Gesprächsinhalten die Produkte entwickeln, für die ihre Kunden auch bereit sind, Geld auszugeben. Hierfür benötigen Sie einen Werkzeugkoffer mit Tools. Genau dieser Werkzeugkoffer ist ab Kapitel 1 des Buches für Sie geöffnet. Greifen Sie zu. Mit dem Kauf dieses Buches haben Sie ihn bereits bezahlt. Geistreiches und Zitiertes »Der beste Fechter der Welt braucht sich vor dem zweitbesten nicht zu fürchten. Der, vor dem er sich hüten muss, ist vielmehr ein stümperhafter Gegner, der noch nie zuvor einen Degen in der Hand gehalten hat, denn er tut nicht, was er tun müsste, und so ist der Könner auf sein Verhalten unvorbereitet. Er tut, was er nicht tun dürfte, und das trifft den Meister häufig unversehens und erledigt ihn auf der Stelle.« Mark Twain »Globalisierung 3.0, das Zeitalter, in dem die Welt flach wird, ist nicht bloß eine Intensivierung von Globalisierung 2.0, sondern etwas ganz anderes, etwas Neues.« Thomas L. Friedman in Die Welt ist flach 302 Praxishandbuch Produktentwicklung »Die Gesellschaft der Zukunft bringt dem Einzelnen mehr Wandlungsdruck, weil Globalisierung und neue Technologien die Risiken und das Tempo zwangsläufig erhöhen.« Matthias Horx in Wie wir leben werden »Warnung: Die Zukunft ist immer näher, als es scheint.« Faith Popcorn und Lys Marigold in Evalution »In nur 5 Jahren wird nichts – oder so gut wie nichts – von den wirtschaftlichen Spielregeln so sein, wie wir es aus den 50 Jahren heraus kennen. Wir leben mitten in einer wirtschaftlichen Revolution.« Edgar K. Geffroy »Die besten Gelegenheiten ergeben sich dann, wenn man die Grundregeln ändert.« Edgar K. Geffroy »Es ist keine Frage mehr, ob Sie sich verändern müssen. Die einzige Frage ist, ob Sie schnell genug sein werden.« Cay von Fournier »Nicht die Stärksten überleben oder die Intelligentesten, sondern die am meisten bereit zum Wandel sind.« Charles Darwin »Wer sich heute noch auf das kleine © beruft, hat bereits verloren. In der Zeit, in der Sie gerade versuchen, Ihre Innovation zu schützen, wird jemand anderes davon schwanger. Es ist Zeit, einen Gang höher zu schalten und über Eigenschaften nachzudenken, die nicht kopierbar sind.« Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how »Machen Sie nicht jede Mode mit – erfolgreiche Strategien werden nicht auf dem Fundament kurzlebiger Marktlaunen, sondern langfristigen Trends gebaut.« Al Ries und Jack Trout in Die 22 unumstößlichen Gebote im Marketing »Zu Beginn des neuen Jahrtausends waren 51 der 100 weltweit größten Wirtschaftsmächte keine Nationen mehr, sondern Unternehmen. Die 500 größten Unternehmen zeichneten sich für sage und schreibe 70 Prozent des Welthandelsaufkommens verantwortlich.« Jack Trout in Trout über Strategie Trend 303 »Das Internet wie wir es kennen entspricht in etwa dem Ford T-Modell bei den Autos. Vergleichen kann man das heutige Internet auch mit dem damaligen Druck der Gutenberg-Bibel und der nachfolgenden Entwicklung des Drucks. Das Internet wird sich in den nächsten Jahrzehnten so dramatisch weiterentwickeln, wie sich das Auto seit dem Ford T-Modell bis heute entwickelt hat.« Michael Dell »Der so [über das Internet] vorinformierte Kunde wird sicherlich die ›Art des Verkaufens‹ wesentlich verändern. Der dumme, loyale, demütige, uninformierte Mitarbeiter, Kunde, Patient etc. ist gestorben.« Karl Pilsl in Die 10 Haupttrends der aus den USA kommenden Wirtschaftsrevolution »Ungelöste Probleme sind Ihre Chance. Und diese Chancen gibt es viele.« Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt? »Die Wirtschaft erlebt immer dann einen Boom, wenn die ungelösten Probleme der Menschen riesig groß sind und viele Menschen auf die Lösung ihrer Probleme warten.« Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt? »Wir leben in der chancenreichsten Zeit aller Zeiten, weil wir in einer Zeit leben mit den meisten ungelösten Problemen, und diese warten auf den Problemlöser – auf Sie.« Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt? »Wir haben keine Wirtschaftskrise. Wirtschaftsleben ist nichts anderes als ein gegenseitiges Problemelösen. Eine Wirtschaftskrise hätten wir, wenn alle unsere Probleme gelöst wären. Dann hätten wir nichts mehr zu tun.« Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie »Sie müssen für andere Menschen ein Segen, ein Problemlöser und keine Belastung sein. Dann sind Sie attraktiv.« Karl Pilsl in So komme ich zu meinem Traumjob »Ich glaube an das Pferd. Das Auto ist nur eine vorübergehende Erscheinung.« Kaiser Wilhelm II. Anfang des 20. Jahrhunderts 304 Praxishandbuch Produktentwicklung »Ich glaube, es gibt einen Weltmarkt für fünf Computer.« Thomas J. Watson im Jahr 1943 »Kein Mensch hat einen Grund, einen Computer zu Hause zu haben.« Ken Olsen im Jahr 1977 »Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten, allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.« Gottlieb Daimler im Jahr 1901 »Bohren für Öl? Sie meinen, in die Erde bohren und versuchen, Öl zu finden? Sie sind verrückt!« Bohr-Arbeiter vor dem ersten Bohr-Öl-Projekt 1859 »Das Auto ist fertig entwickelt. Was kann da noch kommen?« Carl Benz um 1920 »Alles, was erfunden werden kann, ist erfunden.« Durell Patentamt USA 1899 »Wer zum Teufel will denn schon Schauspieler sprechen hören?« Harry Warner im Jahr 1927 über den Tonfilm Trend 305 Kapitel 15 Ihre Chancen Nun stellt sich die Frage, welche Chancen die Unternehmen bei der Änderung ihrer Vorgehensweise in der Produktentwicklung haben, völlig berechtigt. Wird tuwun® oder eine vergleichbare Methode nicht schon längst von anderen Unternehmen praktiziert? Mit einer kleinen Einschränkung: nein. Einige Großunternehmen beziehen ihre Kunden bereits aktiv in ihre Produktentwicklung mit ein. Der andere Großteil noch nicht. Betrachten Sie Deutschland somit als Wunderland für neue Produkte. Heben Sie sich mit Ihrem Angebot ab, entwickeln Sie Produkte gemeinsam mit Ihren Interessenten. Sie sind dabei nur der Koordinator und Umsetzer der Kundenwünsche, mehr nicht. Die Anregungen kommen ausschließlich von Ihren Kunden. Das sichert in den nächsten Jahren Ihren Vorsprung. In circa zehn Jahren werden die Unternehmen, in denen die Mitarbeiter immer noch glauben, sie wären die besten Produktentwickler, keine Bedeutung mehr am Markt haben. Oder die Unternehmen werden ganz vom Markt verschwunden sein. Ich gehe davon aus, dass in zehn Jahren nur noch die Unternehmen erfolgreich sind, die ein festes Netzwerk mit dem Kunden aufgebaut haben – von der Angebotsidee über die Entwicklung bis zum Fulltimeservice. Seien Sie dabei! 306 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 16 Die Umsetzung im Betrieb Das Wichtigste kommt jetzt: die Umsetzung von tuwun® in Ihrem Unternehmen. Denn das investierte Geld für dieses Buch und Ihre investierte Zeit für das Lesen lohnen sich nur, wenn Sie tuwun® jetzt auch umsetzen. Wissen ist nur wertvoll, wenn Sie es anwenden. Der Unterschied zwischen guten Unternehmen beziehungsweise guten Führungskräften und exzellenten Unternehmen beziehungsweise Führungskräften ist die Konsequenz im Handeln, im Umsetzen der festgelegten Ausrichtung. Nehmen Sie sich nicht zu viel auf einmal vor. Fangen Sie jedoch umgehend mit dem ersten Schritt an. Beginnen Sie noch innerhalb der nächsten 72 Stunden mit der Umsetzung. Studien belegen, dass Vorhaben nur eine Chance zur Verwirklichung haben, wenn innerhalb der nachfolgenden drei Tage mit der Umsetzung begonnen wird. Starten Sie mit dem ersten Schritt jetzt. Entweder Sie setzen den Kunden mit seinen Bedürfnissen und Wünschen konsequent in den Mittelpunkt Ihrer Produktentwicklung oder gar nicht. Etwas tuwun® bringt nur Frust und keinen Erfolg. Nur die komplette Umsetzung bewirkt den Schub in der Produktentwicklung, den Sie sich wünschen. Etwas muss investiert werden Auch wenn der Erfolg schnell eintritt, müssen Sie Ihren Mitarbeitern Zeit für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Marktgesprächen zur Verfügung stellen. Die »Ernte« fahren Sie dann mit den neuen Produkten ein. Und die ist größer als die vorab investierte Zeit für die Marktgespräche. Wie bei fast jeder Umstellung benötigen Sie auch bei der Einführung von tuwun® mehr Ressourcen. Da die Einführung von tuwun® nicht mit externen Kosten verbunden ist, ist der Start schon einmal einfacher. Ihre Mitarbeiter benötigen nur die Zeit, um Gespräche vorzubereiten, zu fühDie Umsetzung im Betrieb 307 ren und auszuwerten. Stellen Sie diese Zeit zur Verfügung. Sonst haben die Veränderungsgegner ein gewichtiges Argument gegen die Umstellung. Nehmen Sie möglichen Verweigerern dieses Argument. Werden Ihre Mitarbeiter begeistert sein? Die größte Hürde zur Einführung von tuwun® sind nicht fehlende finanzielle Mittel oder mangelnde Zeit. Es ist die Bequemlichkeit der Menschen und deren Angst vor Veränderungen. Diese Reaktion ist menschlich. Auch wenn nachgewiesen ein neues Verfahren besser ist, werden die Menschen weiter versuchen, mit dem alten Verfahren erfolgreich zu sein. Das menschliche Gehirn lehnt alle neuen und unbekannten Informationen ab, die sich nicht bereits im Gehirn vorhandenen Informationen zuordnen lassen, beziehungsweise wenn diese eindeutig den vorhandenen Informationen widersprechen. Sie können die Mehrzahl von Mitarbeitern mit nichts mehr verunsichern und verärgern, als mit der Veränderung des gewohnten Tagesablaufs. Viele nehmen noch eher einen Gehaltsverzicht in Kauf, als sich umzustellen und Schritte ins Unbekannte zu wagen. Das ist ganz natürlich. Sofern keine massive Bedrohung vorliegt (finanzieller Verlust, Bedrohung der Gesundheit et cetera) wird am Verhalten nichts geändert. Die Gewohnheit ist der härteste Klebstoff: Viele nehmen lieber ein bekanntes Elend hin, als sich auf eine unbekannte Freude einzulassen. Schließlich reißen Sie Ihre Mitarbeiter durch Veränderungen aus der gewohnten Tätigkeit heraus und stellen die bisherige Vorgehensweise infrage. Klassische Reaktionen bei Veränderungen ist die deutsche Betriebsamkeit: • • • • »Das haben wir schon immer so gemacht«; »Das haben wir noch nie so gemacht«; »Der Kollege kommt gleich und macht das«; »Wenn das so einfach wäre, hätte es jemand anders schon gemacht«. Dynamische Systeme versuchen immer, das Gewohnte zu erhalten, so lange es nur irgendwie geht. Egal aus welcher Richtung Sie und Ihre Mitarbeiter kommen, das Gehirn versucht die Stabilität und das Bestehende zu erhalten. Über 80 Prozent der Menschen haben Angst vor Veränderungen. Der einzige Mensch, der Veränderungen mag, ist ein Baby in nassen Windeln. Erwachsene möchten, dass alles beim Alten bleibt. Doch genau das Gegenteil wird in den nächsten Jahren auf uns zukommen: immer 308 Praxishandbuch Produktentwicklung schnellere Veränderungen. Nehmen Sie Ihren Mitarbeitern die Angst vor dem Wandel. Die Anpassung an Veränderungen wird die entscheidende Eigenschaft sein, für Sie, Ihre Mitarbeiter und Ihr Unternehmen. Viele heute erfolgreiche Produkte hat es vor einigen Jahren noch nicht gegeben. Viele heute erfolgreiche Produkte werden in einigen Jahren überholt sein. Menschen sind leider immer erst zu Veränderungen bereit, wenn der Panikpegel schon fast an die obere Grenze gestiegen ist. Dann ist es jedoch vielfach zu spät und Sie stehen am Point of no Return. Zu diesem Zeitpunkt haben Sie schon fast keine Möglichkeiten mehr, erfolgreich etwas zu drehen. Warten Sie nie bis zu diesem Punkt und bemühen Sie sich um das Wohl Ihres Unternehmens. Denn Unternehmen, denen es gut geht, haben zu diesem Zeitpunkt noch viel mehr Optionen und Handlungsspielraum für Maßnahmen. Betriebsblindheit ist etwas ganz Natürliches. Es handelt sich hier um eingeschränkte Wahrnehmung der betrieblichen Abläufe und Veränderungen im Markt durch Wissen und Erfahrungen aus der Vergangenheit. Frei nach dem Motto: »Mit meinem Handel bin ich in der Vergangenheit gut gefahren und das wird auch so bleiben«. Doch so werden gerade heute Risiken und Chancen übersehen. Es werden die Informationen verstärkt wahrgenommen, die den eigenen Vorstellungen und Erfahrungen entsprechen. Widersprüchliches wird meist unterdrückt oder herausgefiltert. Wenn es in einem Betrieb zu gravierenden Veränderungen kommt, werden Sie jeweils sieben verschiedene Gruppen von Mitarbeitern haben. Die Gruppen sind dabei unanhängig von der Betriebsgröße, der Betriebszugehörigkeit und dem Alter der Mitarbeiter. Überlegen Sie vorab (schriftlich), wie Ihre jeweiligen Mitarbeiter auf Veränderungen reagieren könnten und listen Sie ebenfalls vorab auf, wie Sie darauf reagieren. Die sieben Gruppen werden nachfolgend beschrieben, ebenso Ihre passenden Reaktionen (in Anlehnung an Ausführungen von Klaus Kobjoll): • die Emigranten: eine kleine Gruppe, die von sich aus das Unternehmen verlassen wird. Diese Mitarbeiter gehen jeglicher Veränderung aus dem Weg, sie haben Angst vor Neuerungen. Bitte seien Sie nicht ängstlich: Sie werden keinen echten Leistungsträger verlieren. Diese zählen nicht zu den Emigranten. Somit bereitet Ihnen diese Gruppe keine Probleme; • die aufrechten Gegner: eine Gruppe, die häufig zu Unrecht kritisiert wird. Stattdessen sollte man ihre Ehrlichkeit anerkennen. Sie sagen ganz offen ihre Meinung und nennen häufig auch konstruktive Gründe. Mit dieser Gruppe müssen Sie sich auseinandersetzen. Sind diese MitDie Umsetzung im Betrieb 309 • • • • arbeiter erst einmal überzeugt, dann stehen sie voll hinter der Veränderung und werden häufig zu Missionaren; die Missionare: Die für Sie wichtige Gruppe ist wirklich von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt. Einige Ihrer Mitarbeiter sollten zu dieser Gruppe zählen, um Ihre anderen Mitarbeiter von dem Sinn der Veränderung und zur Umsetzung zu bekehren. Diese Gruppe sorgt dafür, dass eine kritische Masse an Mitarbeitern von der Umstellung überzeugt und mitgezogen wird. Diese von den Missionaren überzeugte Gruppe sind die Gläubigen. Konzentrieren Sie sich bei der Implementierung insbesondere auf die Gruppe der Missionare. Das sind Ihre Schlüsselfiguren. Sichern Sie Ihren Missionaren auch Ihre volle Unterstützung bei der Umsetzung zu. Ohne Missionare geht es nicht, Sie allein sind auf verlorenem Posten, da Sie nicht alle Mitarbeiter überzeugen können; die Gläubigen: Diese Mitarbeiter setzen sich voll und ganz für die Veränderung ein, glauben auch an das Positive der Neuerungen und an die Notwendigkeit der Veränderung aufgrund der aktuellen und zukünftigen Rahmenbedingungen. Sie sehen die Sicherung ihres Arbeitsplatzes ganz rational und lassen sich den Einsatz mit Prämien verstärken. Es ist die Gruppe, die über den Erfolg der Umsetzung entscheidet. Sie müssen jedoch von den Missionaren überzeugt werden; die Lippenbekenner: Sie scharren als erstes mit den Hufen: »Chef, super Idee. Hätte fast von mir kommen können. Wann fangen wir endlich mit der Umsetzung an?«. Doch das war es dann auch schon. Sie tun so, als würden sie in der ersten Reihe sofort alles umsetzen, es folgen jedoch keine Taten. Hier gilt es, konsequent zu sein. Bei fehlender Umsetzung empfehlen sich hier Einzelgespräche. Wenn auch diese zweite Chance nichts bringt, hilft nur noch eine Trennung zum Wohle beider Seiten. Zu unterscheiden ist jeweils: Setzt ein Mitarbeiter eine Neuerung trotz mehrfacher Hinweise nicht um, da er nicht will? Dann gilt die oben genannte Konsequenz. Setzt er nicht um, weil er es nicht kann, unsicher ist oder ihm die Ressourcen fehlen, dann muss ihm schnellstmöglich Unterstützung gegeben werden; die Gleichgültigen: Das ist zahlenmäßig die größte Gruppe. Sie wartet erst einmal ab, was wirklich umgesetzt wird. Das ist Ihre Chance beziehungsweise Ihr Risiko: Gelingt es Ihnen, diese Gruppe mit den Missionaren zu bekehren, so haben Sie gewonnen. Hat jedoch die nächste Gruppe, die Widerstandskämpfer, einen größeren Einfluss auf diese Mitarbeiter, so stehen Sie mit Ihrer Neuerung auf verlorenem Posten. Sie müssen die kritische Masse überschreiten und ausreichend Mitarbeiter zu Gläubigen »bekehren«; 310 Praxishandbuch Produktentwicklung • die Widerstandskämpfer: Diese Guerilleros schießen hinter Ihrem Rücken gegen alles, was Sie durchzusetzen versuchen. Nach außen hin sind sie freundlich, doch wenn Sie aus der Tür sind, wird scharf gegen Sie und Ihre Idee geschossen. Sie versuchen Mitarbeiter aktiv zu beeinflussen, entweder aus Geltungsdrang, weil die von ihrer Blockade überzeugt sind oder aufgrund eines Charakterdefekts. Wenn es dieser Gruppe gelingt, die Gleichgültigen und die Gläubigen zu überzeugen, dann haben Sie verloren, da jetzt die Mehrheit Ihrer Mitarbeiter gegen die Veränderung ist. Wenn Sie zum Beispiel zwei dieser Mitarbeiter haben, müssen Sie nur einen identifizieren. Hier hilft nur die Trennung. Und der zweite? Er wird sich herausreden: »War nicht so gemeint, Chef«. Praktisch ist, wenn Sie in Ihrem Unternehmen expandieren und neue Mitarbeiter einstellen. Diese neuen Mitarbeiter sind generell offen, da sie sich von Grund auf neue Arbeitsabläufe aneignen müssen. Eine Einarbeitung sollte dann durch die Missionare erfolgen, damit es wirklich zu einem Neuanfang kommt. Schicken Sie diese neuen Mitarbeiter im ersten Monat doch ausschließlich zum Kunden. Nach Möglichkeit sollen sie dort leben und so viele Eindrücke wie möglich sammeln, um ihre Beobachtungen anschließend im Betrieb zu »verkünden« und diese Informationen in Produkte umzusetzen. Die Einbeziehung Ihrer Mitarbeiter Nun gibt es – theoretisch – mehrere Möglichkeiten, mit den Mitarbeitern Veränderungen durchzuführen. Eine Möglichkeit ist, mit Angst und Druck zu »motivieren«. Dies ist in Zeiten schwieriger Wirtschaftslagen leider ein häufig gewählter Weg: »Alles wird schlechter. Der Umsatz geht zurück. Wenn wir das nicht machen, wird die Firma geschlossen.« Auch wenn der Druck von außen noch so groß wird, mit Angst können Mitarbeiter nie motiviert werden – schon gar nicht langfristig. Angst wirkt nur so lange, wie Sie die Umsetzung überwachen und Bedrohung steigern. Wenn der Chef die Mitarbeiter mit immer neuen Katastrophenszenarien motivieren will, stumpfen diese ab. Bei gleich bleibendem Druck wird die Reaktion der Mitarbeiter abnehmen, da diese sich an den Druck gewöhnen. So bewegen Sie nichts. Die Mitarbeiter denken sich dann nur noch: »Mal sehen, womit der Chef uns heute Angst machen will«. Wenn zu viel Die Umsetzung im Betrieb 311 Angst erzeugt wird, schalten die Mitarbeiter auf Panik um. Dann hört jede Kreativität auf. Alles geht zurück auf die letzten stabilen Muster. Ihre Mitarbeiter müssen tuwun® von sich aus aktiv umsetzen. Der Erfolg der Umsetzung ist immer dann sichtbar, wenn kein Vorgesetzter zugegen ist und die Mitarbeiter ihr Handeln weitgehend selbst bestimmen. Die andere und weitaus bessere Variante zur Motivation der Mitarbeiter ist Faszination. Wecken Sie Neugier. Motivieren Sie mit dem Ziel und der Vision, nicht mit dem Horrorszenario. Dazu muss der Chef wissen, was die jeweiligen Mitarbeiter zur Veränderung reizt. Und welche Vorteile sie (nicht Sie) von der Neuausrichtung der Produktentwicklung haben, denn wie bereits erwähnt, interessieren sich die Mitarbeiter mehr für ihre eigenen Vorteile als für die des Unternehmens. Ebenfalls sollte der Megatrend »Sinnstiftung« aufgegriffen werden. Die Mitarbeiter setzen nur etwas um, wenn sie den Sinn verstehen. Zu Beginn der Veränderung brauchen Sie eine gute Antwort auf die Frage der Mitarbeiter: »Warum und wozu?«. Verdeutlichen Sie Ihren Mitarbeitern, aus welchen Gründen die Einführung von tuwun® notwendig ist. Erläutern Sie die aktuelle Situation der Branche, die zukünftige Entwicklung und was die Einführung von tuwun® für Vorteile bringt. Verdeutlichen Sie, welche Erwartungen sie in der Umsetzung haben – und zwar ganz konkret. Sofern Ihren Mitarbeitern diese Informationen fehlen, wird es unweigerlich zur Ablehnung kommen. Denn Mitarbeiter, die keine Informationen haben, können nicht die Verantwortung übernehmen und umsetzen. Mitarbeiter, die diese Kenntnisse haben, können nicht umhin, die Verantwortung und die Umsetzung zu übernehmen. Mitarbeiter erwarten es und haben ein Recht darauf zu erfahren, aus welchen Gründen eine Veränderung durchgeführt werden soll, also auch bei der Umsetzung von tuwun®. Wenn Sie in Ihrem Unternehmen grundlegende Veränderungen vornehmen, ist die Kommunikation in diesen Zeiten äußerst wichtig. Informieren Sie Ihre Mitarbeiter laufend über den aktuellen Stand der Umsetzung. Berichten Sie in Meetings über die neue Methode und präsentieren Sie erste Ergebnisse. Nutzen Sie – sofern vorhanden – Ihre Firmenzeitschrift. Gehen Sie in die Offensive, bevor über den »Bürofunk« die Gerüchteküche brodelt. Ihre Mitarbeiter sind bei grundlegenden Veränderungen aus ihrer gewohnten Stabilität gerissen. Und gerade dann reagieren sie sehr sensibel auf jegliche wahre und unwahre Information, insbesondere auf die Äußerungen des Vorgesetzten. Durch regelmäßige Feedbackgespräche über den Fortschritt von Veränderungen verdeutlichen Sie als Vorgesetzter außerdem die Bedeutung dieser Neuerung. Es gibt fast keinen größeren 312 Praxishandbuch Produktentwicklung Verstärker zum Rückfall in alte Muster, als eine Veränderung bekannt zu geben, anschließend die Umsetzung jedoch sich selbst zu überlassen. Der Widerstand gegen neue Ideen ist häufig auf einen Mangel an Informationen zurückzuführen. Sie können nicht das Verhalten Ihrer Mitarbeiter ändern, indem Sie nur an sie appellieren, sie sollen ihr Verhalten ändern. Eine Verhaltensänderung ist nie der Startpunkt, sondern immer nur der mittlere Schritt zwischen Motiv und Ziel. Sie müssen am Motiv und am Ziel der Mitarbeiter ansetzen, nicht Druck auf das Verhalten ausüben. Reden Sie mit Ihren Mitarbeitern mehr über ihre Motive und ihre Ziele. Genauso wie Ihre Kunden nur die Produkte kaufen, die Ihnen wirklich nutzen, so muss Ihren Mitarbeitern auch der Nutzen von tuwun® verdeutlicht werden. Menschen tun etwas, um Schmerz zu vermeiden und Freude zu erreichen. Motivieren Sie mehr mit Freude als mit Schmerzvermeidung. Sie müssen Ihre Mitarbeiter so von der Notwendigkeit und dem Vorteil der kundenorientierten Produktentwicklung überzeugen, dass sie es selbst umgehend umsetzen wollen. Vermeiden Sie bitte jegliche Form der Vorwürfe an Ihre Mitarbeiter. Wenn die Produktentwicklung bis jetzt gehakt hat, dann lässt sich dieses nicht ändern. Richten Sie alle Gespräche auf die Zukunft: die Notwendigkeit erfolgreicher, auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtete Produktentwicklung und auf die notwendigen Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Fokussieren Sie auf die Möglichkeiten und Chancen. Selbst ist der Chef Das von Tom Peters beschriebene »Management by walking around« zum direkten Kontakt zu den Mitarbeitern kann auch bezüglich der Kundenkontakte verwendet werden. Das öffnet so mancher Führungskraft die Augen. Sich täglich etwas Zeit zu nehmen und Kontakt zu den Mitarbeitern zu haben, bringt mehr Verständnis für deren Belange und mehr Einblicke, wo es wirklich etwas zu verbessern gibt, als jeder noch so lange Monatsbericht. Entsprechendes gilt bei den Kontakten zu Ihren Kunden. Die Umsetzung von tuwun® ist Chefsache. Wenn Sie nicht voll hinter dem Veränderungsprozess stehen, werden es Ihre Mitarbeiter Ihnen danken: Dann bleibt nämlich alles beim Alten. In der Phase der Veränderung sind Ihre Mitarbeiter hochsensibel. Das Toppmanagement muss Vorbild sein. Das ist insbesondere bei der Einführung neuer Verfahren VorausDie Umsetzung im Betrieb 313 setzung. Wenn »der Alte« sich zu fein für etwas fühlt, wie sollen dann die Mitarbeiter davon zu begeistern sein? Den Olymp zu verlassen und Basistätigkeiten zu übernehmen, ist sicherlich nicht so angenehm wie das Philosophieren über die Unternehmensvision und den Zehnjahresplan. Gerade die neuen Mitarbeiter beobachten den Chef und die »alten« Mitarbeiter in deren Verhalten und passen sich schnell an. Die Menschen tun das, was sie sehen, nicht, was sie gesagt bekommen. Eine Rede des Chefs über die Wichtigkeit von Marktgesprächen reicht nicht, wenn er anschließend wieder hinter seinen Schreibtisch flüchtet. Er muss ein Vorbild sein. Warum sollten die Mitarbeiter etwas umsetzen, wenn der Chef alles beim Alten lässt? Alle Schulungen verpuffen, wenn tuwun® nicht von allen Hierarchieebenen gelebt wird. Für die Mitarbeiter zählt nicht, was Sie als Vorgesetzter sagen, sondern nur das, was Sie vorleben (zum Beispiel wie viel Zeit Sie selbst mit den Kunden verbringen). Daran wird gemessen, wie wichtig Ihnen der Kundenkontakt zur Produktentwicklung ist. Der Chef muss bereit sein, die Veränderungsbereitschaft vorzuleben, und mindestens 30 Tage pro Jahr bei den Kunden vor Ort sein, nicht die Kunden in ein Seminarhotel oder in einen Besprechungsraum einladen. Rufen Sie zusätzlich pro Woche mindestens drei Personen aus Ihrem Marktsegment an. Und zwar ohne Verkaufsabsichten, sondern nur um zu erfahren, was diese Personen bedrückt. Das können Sie zum Beispiel in eine Kaffeepause nach dem Mittagessen einschieben. Wenn Sie das mit fünf Führungskräften umsetzen, dann kommen Sie auf 60 Kundenkontakte im Monat. Abzüglich Urlaub, Feiertage und Krankheitstage sind das 600 pro Jahr. Und das fast ohne Aufwand. Neben der Vorbildfunktion haben Sie so Informationen aus erster Hand. Denn wie wollen Sie sonst die Produktkonzepte Ihrer Mitarbeiter beurteilen, wenn Sie nicht die potenziellen Kunden und deren Bedürfnisse einschätzen können? Das geht nur über den direkten Kontakt. Gehen Sie auch einmal im Monat in Ihre Versandabteilung. Dort erfahren Sie ungefiltert, wie die Waren zum Kunden herausgehen, wie die Kunden die Waren zurücksenden und welche Gründe sie für die Rücksendung angeben. Dann glauben Sie den Kunden viel eher und sind weniger geneigt, die Reklamationen als das übliche Gejammer abzutun. Nur so erhalten Sie die Informationen aus erster Hand und nicht durch Statistiken und Berichte verzerrt und weichgespült. »Management by walking around« statt »Verschanzen am Schreibtisch« lautet die Devise. 314 Praxishandbuch Produktentwicklung tuwun® in den Alltag einbeziehen Beginnen Sie jedes Meeting – egal um welches Thema es geht – mit Ihren Produktentwicklern mit neuen Erkenntnissen über Ihre Kunden. Was haben Ihre Mitarbeiter in der letzten Woche Neues über die Kunden erfahren? Welche Schlussfolgerungen ziehen sie daraus für ihre Produktentwicklung? Reden Sie zuerst über Kundenwünsche, dann erst über das eigentliche Meetingthema. So werden die Prioritäten für Ihre Mitarbeiter sichtbar. Produktentwicklung und Kundeninformationen sind so ein fester Bestandteil einer jeden Tagesordnung. Setzen Sie sich mindestens einmal pro Monat mit jedem Ihrer Mitarbeiter zusammen und sprechen Sie über neue Informationen von den Kunden und Zwischenhändlern. Lassen Sie sich mindestens einmal pro Monat von Ihren Mitarbeitern aus dem Kundenservice und dem Verkauf über die Kundenäußerungen (Wünsche, Beschwerden, Reaktionen) berichten. Die 10 Schritte zur Umsetzung von tuwun® (vom »Ist« zum »Soll«) Nutzen Sie hierfür einen Zeitplan mit exakt festgelegten Meilensteinen: 1.die Ist-Situation beschreiben; 2.die Soll-Situation, also das Ziel beschreiben (so, als wäre es bereits erreicht: in der Gegenwartsform); 3.die Maßnahmen beschreiben, wie diese Soll-Situation zu erreichen ist. Wenn das Ziel X Neuprodukte sind, dann können die im Buch beschriebenen Stufen des Gesamtablaufs herangezogen werden; 4.die Mittel beschreiben, mit denen das Ziel erreicht werden kann; 5.Verantwortlichkeiten benennen: Wer setzt um? Wer unterstützt?; 6.einen Zeitplan erstellen, bis wann der Soll-Zustand zu erreichen ist; 7. Voraussetzungen schaffen, damit der Soll-Zustand erreicht werden kann (Zeit, Geld et cetera). Schaffen Sie Ihren Mitarbeitern einen Zeitkorridor zur Umsetzung von tuwun®. Für die Gespräche muss in der Hektik des Tagesgeschäfts die Möglichkeit der Durchführung bestehen; 8.umsetzen, bei Bedarf mit laufender Unterstützung; 9. kontrollieren, in welchem Umfang die Ziele erreicht wurden; 10.gegebenenfalls die Ziele modifizieren oder weitere Ziele setzen. Die Umsetzung im Betrieb 315 Die größte Hürde bereitet häufig die Beschreibung des in der Zukunft liegenden Soll-Zustands. Definitionen wie: »Wir wollen mehr erfolgreiche Produkte« sind eher vage Absichten und haben nur geringe Aussicht auf Erfolg, da sie nicht eindeutig formuliert sind. Ohne konkreten SollZustand arbeiten jedoch alle in unterschiedliche Richtungen, es fehlt der anziehende Magnet und es kann nicht gemessen werden, was bis wann erreicht wurde. Ohne Ziel ist kein Weg der Richtige. Bei großen Zielen mit langer Zeitspanne sind kleinere Zwischenziele zu stecken. Kleine, stetige Veränderungen führen eher zum Ziel (zu großen Wirkungen) als eine große, deren Endzustand man sich nicht vorstellen kann. Teilen Sie die Umstellung auf tuwun® in mehrere kleine Schritte ein. Dann löst diese Umstellung bei Ihren Mitarbeitern weniger Angst und Ablehnung aus. Das Erreichen jedes Zwischenschritts kann gefeiert werden. Die Beschreibung des Soll-Zustands sollte folgende Eigenschaften haben, um so die Wahrscheinlichkeit der späteren Umsetzung zu erhöhen: • positiv/konstruktiv formuliert: Negationen erzeugen im Unterbewusstsein Bilder des genauen Gegenteils dessen, was wir wollen. Positive Formulierungen motivieren weitaus mehr; • in der Gegenwart formuliert: nicht »Wir werden …« oder »Wir wollen …«, sondern »Wir haben …«. Das Ziel ist so zu formulieren, als wenn Sie es bereits erreicht hätten; • persönlich: beginnend mit »ich« oder »wir«. Diese Form verpflichtet mehr als »man«; • messbar: Nur so kann die Zielerreichung festgestellt werden. Und zwar nicht nur qualifizierbar (was erreicht werden soll), sondern auch quantifizierbar (wie viel erreicht werden soll). Sagen Sie nicht: »mehr Produkte« oder »groß« beziehungsweise »viele«. Das erzeugt Frust, da das Ziel nie erreicht wird, denn es geht immer noch »mehr«. »X Neuprodukte mit Y Ertrag« ist da schon eher ein Ziel. Das Ziel muss so eindeutig formuliert sein, dass der Grad der Zielerreichung sowohl qualitativ als auch quantitativ von einem unbeteiligten Dritten festgestellt werden kann und kein Spielraum für Interpretationen bleibt. Nur was gemessen wird, wird auch getan. Messen Sie die Einhaltung notwendiger Schritte zur Erreichung eines Ziels. Das ist für die Zielerreichung absolut notwendig; • aktuell: Es muss einen Bezug zur aktuellen Situation geben; • terminiert: Bis wann soll was erreicht werden? Nur dann wissen alle, ob das Ziel auch erreicht wurde. »So schnell wie möglich« beziehungsweise »im nächsten Jahr« ist zu vage. Setzen Sie einen festen und allen 316 Praxishandbuch Produktentwicklung Beteiligten bekannten Termin, bis wann das Ziel oder das Teilziel erreicht werden soll. Gibt es keinen fixen Termin, so wird die Umsetzung ins Unendliche verlegt, da der Druck weg ist. Wenn die Zeitspanne zu lang ist, passiert erfahrungsgemäß auch erst einmal nichts. Es sind Zwischenziele zu setzen, damit bei stetiger Tätigkeit die Umsetzung gelingt. Haben Sie die Umsetzung von tuwun® auf 12 Monate angesetzt, so teilen Sie dieses Ziel in Etappen von Quartalszielen, diese in Monatsziele; • erreichbar/realistisch: Ziele sollten so hoch sein, dass Sie selbst und Ihre Mitarbeiter die Erreichung für nahezu unmöglich halten, sie jedoch unter maximalen Anstrengungen erreichbar sind. Die Ziele dürfen nicht ohne Anstrengung in sechs Monaten erreicht werden. Das demotiviert mehr als dass es motiviert. Die Ziele sollen das enthalten, was die Mitarbeiter nie für erreichbar hielten. Gehen Sie lieber das Risiko ein, ein zu hohes Ziel nicht ganz, als ein Miniziel ohne Anstrengung innerhalb von sechs Monaten zu erreichen. Das Ziel sollte jedoch auch nicht so hoch sein, dass die Aussicht, es in den nächsten Jahren zu erreichen, gleich Null ist. Utopische, auch bei idealem Ablauf nicht zu erreichende Ziele frustrieren ebenfalls mehr, als dass sie motivieren. Zu hohe Ziele erzeugen Furcht, zu geringe erzeugen Langeweile. Für mittelmäßige Ziele wird sich mittelmäßig angestrengt. Unverschämt hohe Ziele führen zu einem Adrenalinstoß und zu höchster Motivation und machen die Zielerreichung wahrscheinlicher. Gute Ziele sind der Spagat zwischen Größenwahn und Mittelmaß; • angemessen: Der Nutzen bei der Zielerreichung muss höher als der Einsatz sein; • akzeptiert: Es sind eher Zielvereinbarungen mit den Mitarbeitern zu erstellen, die sie akzeptieren können, als Ziele aufzuoktruieren. Die Mitarbeiter müssen die Bedeutung des Ziels verstehen und die Notwendigkeit der Erreichung einsehen. Die Führungskräfte und die Mitarbeiter müssen akzeptieren, dass die Ideenquelle für die Produktentwicklung die Kunden sind. Wird diese Einsicht zu Beginn nicht erreicht, wird die Methode später infrage gestellt. Insbesondere dann, wenn die Aussagen der Gesprächspartner nicht mit den festgefahrenen eigenen Überlegungen übereinstimmen. Nichts ist jedoch schlimmer, als eine nachträgliche Diskussion über die Form und Aussagekraft der Gespräche. Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern den Soll-Zustand. Dann identifizieren sich Ihre Mitarbeiter damit und das Ziel wirkt für alle wie ein Magnet. Wenn das Ziel nicht akzeptiert wird, dann werden Ausreden gesucht und gefunden, warum es unerreichbar ist; Die Umsetzung im Betrieb 317 • mit Konsequenzen: Sowohl für das Unternehmen als auch für jeden Einzelnen muss die Zielerreichung beziehungsweise Nichterreichung Folgen haben. Die Folgen für das Unternehmen, wenn das Ziel nicht erreicht wird, müssen auch den Mitarbeitern deutlich sein. Sonst werden Ziele nicht ernst genommen; • verständlich formuliert: Der Soll-Zustand muss so genau beschrieben werden, dass jeder ihn versteht. Missverständnisse behindern die Zielerreichung und erzeugen nur Frust. Bitten Sie die Mitarbeiter, das Ziel mit eigenen Worten wiederzugeben; • schriftlich formuliert: Das bringt Klarheit der Gedanken. Fast 90 Prozent aller guten Neujahrsvorsätze scheitern. Der Hauptgrund dafür ist, dass die verbindliche Schriftform fehlt. Worte sind Schall und Rauch. Mit der Schriftfassung erhöhen Sie die Chance der Umsetzung um ein Vielfaches; • begründbar und nachvollziehbar: Aus welchen Gründen soll das Ziel erreicht werden? Es ist die Verknüpfung mit dem Sinn (zum Beispiel Unternehmensstrategie, Unternehmenswerte). Ziele und deren Erreichung sind kein Selbstzweck; • widerspruchsfrei: Eine neue Tätigkeit in Asien und gleichzeitig mehr Zeit mit der Familie in Deutschland verbringen, geht nicht. Das Ziel und auch die Zwischenziele müssen zueinander passen. Alle Ziele müssen in eine Richtung ausgerichtet und fokussiert sein. Der Erfolg beinhaltet immer zwei Aspekte: • Ziel: mit der verbundenen Zieldefinition, Planung, Durchführung und Kontrolle; • Methode: Kenntnis + Fähigkeit + Möglichkeit zur Umsetzung. Somit ist es neben den Zielen ebenso wichtig, dass Ihre Mitarbeiter die entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Ressourcen zur Umsetzung von tuwun® haben. Für die Kenntnisse und Fähigkeiten bieten sich interne und externe Schulungen mit Workshop-Charakter an. Die Möglichkeiten zur Umsetzung beinhalten zum Beispiel die technische Ausstattung sowie das notwendige Zeitbudget. Sind diese Rahmenbedingungen nicht gegeben, werden Ihre Mitarbeiter begründete Einwände gegen die Einführung von tuwun® haben. 318 Praxishandbuch Produktentwicklung Kleine Schritte zwischendurch sichern Wenn Sie mehrere Bereiche in Ihrem Unternehmen haben, dann starten Sie mit dem, in dem Sie den größten Zuspruch bei der Einführung von tuwun® erwarten. Wenn Sie tuwun® in Ihrem Unternehmen einführen wollen, suchen Sie sich zuerst die Mitarbeiter, die grundsätzlich offen für Neues sind. Sie brauchen Anfangserfolge. Auch wenn tuwun® so schnell wie möglich komplett umgesetzt werden soll, so teilen Sie die Umsetzung in kleine Schritte. Die Mitarbeiter können so die Veränderung nachverfolgen und haben häufiger einen Grund zur Freude, wenn ein Zwischenziel erreicht ist. Gestalten Sie die Veränderungen so, dass die Geschwindigkeit der Umsetzungsebene auf jeden Fall schneller ist als auf der Beschlussebene. Werden zu viele Neuerungen auf einmal beschlossen und in der nachfolgenden Zeit weitere in so kurzen Abständen verkündet, dass die Mitarbeiter mit der Umsetzung nicht nachkommen, passiert nichts. Die Mitarbeiter stellen sich darauf ein, dass die aktuelle Veränderung in kurzer Zeit durch eine neue Anweisung überholt beziehungsweise zurückgestellt wird. Verkünden Sie aus diesem Grund lieber wenige Veränderungen und bestehen Sie auf deren Umsetzung. Erst danach verkünden Sie weitere Maßnahmen. Die folgenden vier Phasen beim Erlernen von Fähigkeiten werden Sie und Ihre Mitarbeiter durchlaufen (zum Beispiel die Fähigkeit der kundenorientierten Produktentwicklung): Abbildung 32: Vier Phasen beim Erlernen von Fähigkeiten unbewusst wissend bewusst wissend bewusst unwissend unbewusst unwissend Zeitverlauf Die Umsetzung im Betrieb 319 Die Belohnung Auch ein Prämienmodell kann die Einführung von tuwun® fördern. Prämieren Sie jedoch bitte nicht die Arbeit oder die Leistung, sondern ausschließlich die Wirkung, denn nur die bringt Ihnen den Unternehmenserfolg. Bei einem Mitarbeiter, der in der Woche mehr als zehn Überstunden macht oder X Marktgespräche führt, muss nicht zwangsläufig etwas herauskommen. Die nächste Stufe ist Leitung: zum Beispiel X Neuproduktkonzepte im Zeitrahmen Y. Das ist schon eine Stufe besser. Aber auch eine große Anzahl von Produkten nutzt nichts, wenn diese nicht erfolgreich verkauft werden. Bevorzugen Sie die Wirkung des Mitarbeiters: den mit den entwickelten Produkten erzielten wirtschaftliche Erfolg. Ein Konzept mit nur einem Neuprodukt pro Mitarbeiter ist, wenn das bei den Kunden einschlägt, viel wertvoller als viele Mini-Erfolge. Verdeutlichen Sie dieses Ihren Mitarbeitern. Honoriert wird die Wirkung. Und die ist sichtbar und kann gemessen werden. Insbesondere sollten Sie die bestehenden Vergütungssysteme beachten. Kein Mitarbeiter wird etwas Neues umsetzen, wenn er dadurch zum Beispiel die Nichterreichung eines Ziels in einem bestehenden Prämiensystem riskiert. Die Mitarbeiter müssen vorab erfahren, wonach sie beurteilt und anhand welcher Kriterien die Prämien ausgezahlt werden. Lob und Ermunterung vom Vorgesetzten sind selbstverständlich. Heben Sie auch hier weniger die Tätigkeiten hervor, sondern mehr die dadurch erzielte Wirkung. Und wenn sich einige Mitarbeiter nicht überzeugen lassen? Wenn Sie überzeugt sind von der Idee, tuwun® in Ihrem Unternehmen einzuführen, dann seien Sie konsequent. Planen Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern per Detailplan die Einführung. Was ist bis wann von wem umzusetzen? Und machen Sie auch gleich deutlich, welche Konsequenzen es hat, wenn ein Mitarbeiter sich bewusst nicht an die Umsetzung hält. Konsequenz ist nicht mit Härte zu verwechseln. Sie bedeutet lediglich, dass die allen Beteiligten bekannten Spielregeln mit den ebenfalls bekannten Folgen eingehalten werden. So kann sich ein Mitarbeiter nie beschweren, er habe es nicht gewusst, welche Folgen eine Missachtung von Vereinbarungen hat. Bei einer Studie mit Führungskräften wurden diese jeweils ein Jahr nach der Übernahme einer Position gefragt, was sie rückblickend 320 Praxishandbuch Produktentwicklung anders gemacht hätten. An Position eins mit deutlichem Abstand wurde genannt: konsequenter durchgreifen. Der Berater als Lösung? Neue Produktideen kann Ihnen kein Berater liefern. Der kennt Ihren Markt nicht. Das Wissen für neue Produkte steckt teilweise in Ihren Mitarbeitern, in Ihrem eigenen System, hauptsächlich jedoch in den Wünschen und Bedürfnissen Ihrer Kunden. Die darauf bauenden Lösungen zu neuen Produkten müssen Sie und Ihre Mitarbeiter anschließend ableiten. Externe Berater können Sie nur in der Systematik der Vorgehensweise unterstützen. Nach jeder Weiterbildungsveranstaltung – egal, ob extern oder intern – sind konkrete Aktionspläne aufzustellen. Was wird von wem wie bis wann umgesetzt? Sonst verlaufen die neuen Erkenntnisse im Sande. Am besten, Sie schulen die ganze Abteilung. Dann profitieren Ihre Mitarbeiter gemeinsam: Alle sind auf dem gleichen Stand, alle sprechen die gleiche Sprache. So ist ein gegenseitiger Erfahrungsaustausch bei der Umsetzung gegeben. Die Chance der Umsetzung steigt hierbei um ein Vielfaches. Wenn Sie die Umsetzung eines neuen Verfahrens – egal welches – zur Chefsache erklärt haben, dann sollten Sie zumindest bei einigen Weiterbildungsveranstaltungen – egal ob intern oder extern – dabei sein. So verdeutlichen Sie die Bedeutung der Veränderung. Sie wissen dann, welche neuen Erkenntnisse Ihre Mitarbeiter erlangt haben. Überlegen Sie die Auswirkungen externer Schulungen einiger ausgewählter Mitarbeiter. Sind es die Meinungsführer, die andere begeistern können? Oder sind die Daheimgebliebenen voller Neid und boykottieren deshalb? Die Weiterbildung einiger Mitarbeiter kann somit auch die soziale Beziehung am Arbeitsplatz stören. Bleiben Sie am Ball Selbst wenn die Mitarbeiter erlebt haben, dass eine neue Vorgehensweise bessere Ergebnisse bringt, fallen sie häufig in das alte Muster zurück. Das gilt für den Sport wie für den Wirtschaftssektor. Das Gehirn scheint Belohnungssysteme für Stabilität auszuschütten. Das menschliche Gehirn arbeitet am liebsten im Energiesparmodus. Alles, was neu ist, muss mindestens Die Umsetzung im Betrieb 321 20-mal besprochen werden, sonst hat das Gehirn keine Chance, das Neue umzusetzen. Also verzweifeln Sie bitte nicht, wenn das erste Meeting zur Umsetzung nicht ausreicht. Wenn Sie in Ihrem Betrieb mit der Umsetzung beginnen, dann bleiben Sie bitte am Ball. Mitarbeiter gehen häufig davon aus, dass die angekündigten Veränderungen im Sande verlaufen. Wird nicht nachgehakt, bleibt alles Alte bestehen. Sichern Sie daher jedes erreichte Zwischenziel ab, indem Sie sicherstellen, dass die Umsetzung der gerade erreichten Stufe zur Gewohnheit wird. Erst dann geht es zur nächsten Stufe. Sonst laufen Sie Gefahr, dass Sie und Ihre Mitarbeiter mitten im Prozess wieder auf den Ursprungszustand zurück fallen. Die größte Herausforderung bei Veränderungen ist, den Rückfall in die alten Verhaltensmuster und Gewohnheiten zu verhindern. Da hilft es, die Mitarbeiter auch bei noch so kleinen Schritten der umgesetzten Veränderung zu bestärken. Mitarbeiter müssen das neue Verhalten »trainieren« bis es zur neuen Gewohnheit wird. Erst dann sind Sie vor einem Rückfall »sicher«. Abbildung 33: Der Weg zur stetigen Optimierung Grad der Veränderung Verbesserung Sicherung Zeit 322 Praxishandbuch Produktentwicklung Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung von tuwun® • Akzeptieren Sie, dass die meisten Mitarbeiter von der Umstellung nicht begeistert sein werden; • seien Sie ein Visionär: Malen Sie sich gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern aus, was sie mit tuwun® erreichen können. Das muss für Ihre Mitarbeiter faszinierend sein, sodass sie die Veränderung selbst wollen; • beziehen Sie Ihre Mitarbeiter frühzeitig in die Umstellung mit ein; • halten Sie maximale Transparenz; • sorgen Sie für einen Erfahrungsaustausch zwischen den Mitarbeitern über die Marktgespräche; • feiern Sie Erfolge: jeden erfolgreichen Test, jedes erfolgreiche Produkt. Zum Schluss noch ein Hinweis: tuwun® ist keine Eintagsfliege, kein abgeschlossenes Projekt. Sondern eine neverending story. Es geht immer weiter, da sich die Welt für Ihre Kunden laufend ändert und auch Ihre Konkurrenz leider nicht schläft. Hören Sie bitte nie auf, Ihre Produkte hinsichtlich des Kundennutzens weiter zu optimieren. Und jetzt wirklich zum Schluss: Blicken Sie in Ihren Kalender. Seien Sie ehrlich: Wie viel Zeit haben Sie für direkte Gespräche mit den Kunden im nächsten Monat eingeplant? Wie viele Kontakte hierzu sind bereits vereinbart? Sind es unter 10 Prozent bei Ihnen beziehungsweise unter 20 Prozent bei Ihren Mitarbeitern? Dann vereinbaren Sie bitte so viele Termine, um mindestens auf diesen Wert zu kommen. Ist Ihr Terminkalender schon voll? Dann streichen Sie bitte einige Termine und füllen die neuen Lücken mit Terminen für Ihren direkten Kundenkontakt. Um sofort einen positiven Eindruck von den Kundengesprächen zu haben, laden Sie zur Einstimmung sechs Ihrer Kunden zum Essen ein. Fragen Sie sie, was sie auf dem Herzen haben. Geistreiches und Zitiertes »Amateure hoffen, Profis handeln.« Garson Kanin »Wenn du etwas als richtig erkannt hast, dann tu es – und zwar sofort!« Jack Welch Die Umsetzung im Betrieb 323 »Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.« Hermann Hesse »Ein Buch unterm Kopfkissen hilf nur, wenn Sie vorher drin lesen.« Manfred Spitzer »Suchen Sie nicht gleich Perfektion, suchen Sie den ersten Schritt.« Hermann Scherer »Machen Sie es gut, aber machen Sie es bald.« Klaus Kobjoll »Es ist leichter zu leiden als zu handeln.« Sigmund Freud »Man kann im Leben alles erreichen, solange es einem egal ist, wer den Lohn dafür einstreicht.« Harry S. Truman »Die Menschen lassen sich lieber durch Lob ruinieren als durch Kritik verbessern.« George Bernard Shaw »The problem is never how to get new innovate thoughts into your mind, but how to get the old ones out.« Dee Hock »Weisheit ist zu wissen, was man als Nächstes tun muss. Tugend ist, danach zu handeln.« Tenneva Jordan »Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.« Chinesisches Sprichwort »Selbst der Klügste nimmt seine Gewohnheiten wichtiger als seinen Vorteil.« Friedrich Nietzsche »Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber ich weiß, dass es anders werden muss, damit es besser wird.« Georg Christoph Lichtenberg 324 Praxishandbuch Produktentwicklung »Herr, lass mich rein und keusch werden. Nur jetzt noch nicht.« Augustus »Führen heißt vorleben – alles andere ist Dressur.« Boris Grundl »Man lässt sich leichter von Gründen überzeugen, die man selbst gefunden hat, als von denen, die ein anderer gefunden hat.« unbekannt »You must be hard to be soft.« Jack Welch Die Umsetzung im Betrieb 325 Quellen Bücher Anderson, Chris: The Long Tail. Nischenprodukte statt Massenmarkt, das Geschäft der Zukunft, dtv 2009. Anlanger, Roman/Engel, Wolfgang A.: Trojanisches Marketing. Mit unkonventioneller Werbung zum Markterfolg, Haufe 2008. Arden, Paul: Egal, was Du denkst, denk das Gegenteil, Ehrenwirth 2007. Barwise, Patrick/Meehan, Seán: Simply better. Dem Wettbewerb die entscheidende Nasenlänge voraus, Campus 2005. Birkenbihl, Vera F.: Fragetechnik … schnell trainiert. Das Trainingsprogramm für Ihre erfolgreiche Gesprächsführung, mvg 2007. Birkenbihl, Vera F.: Kommunikation für Könner … schnell trainiert. Die hohe Kunst der professionellen Kommunikation, mvg 2000. 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Birkenbihl, Vera F.: Männer/Frauen. Wie es dazu kam, dass alle Welt glaubt, Männer und Frauen seien gleich … und weshalb das nicht stimmt, Walhalla und Praetoria 2008. Molcho, Samy: Mit Körpersprache zum Erfolg, USM 2008. Molcho, Samy: Samy Molcho live, mvg 2006. Peters, Tom: Re-Imagine! Business excellence in a Disruptive Age, Better Life Media 2006. Seminare Correll, Werner: Gruppenüberzeugung und Konferenzleitung, Management Institut Ruhleder 2002. Fetzer, Petra/Breuer, Susanne: Effektive Frage- und Explorationstechniken, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2008. Fetzer, Petra/Breuer, Susanne: Moderation von Gruppendiskussionen, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2005. Fetzer, Petra/Breuer, Susanne: NLP. Eine neue Innovative Methode in der qualitativen Marktforschung, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2009. Geffroy, Edgar K.: Clienting Business Mastery Seminar, Geffroy Business Akademie, 2003. Kobjoll, Klaus: Profit inkl. Benefit, Glow & Tingle 2004. Kobjoll, Klaus/Berger, Roland: Return on Marketing, Glow & Tingle 2003. Krohn, Felix/Meckes, Dr. Rainer: Strategisches Preismanagement: Ertragssteigerung durch optimiertes Pricing, Akademie des Deutschen Buchhandels 2003. Liebel, Franz: Durchführung von Intensiv-/Tiefeninterviews, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2006. Naderer, Gabriele: Auswertung qualitativ-psychologischer Untersuchungen, Be­ rufs­verband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2007. Petersen, Brigitte: Erfolgreiches Management von Komplexitäten und Instabilitäten, ZFU – International Business School 2004. Ruhleder, Rolf H.: Dialektik exklusiv – das Premium-Seminar, Management Institut Ruhleder 2004. Quellen 331 Fotos Fotograf und Rechteinhaber aller im Buch und auf der CD-Rom gezeigten Fotos ist Arno Langbehn. 332 Praxishandbuch Produktentwicklung Anhang Der Fragenkatalog Anhang zum Kapitel Fragetechnik Auch wenn das Gespräch noch so offen geführt werden soll, ist für die Zielausrichtung ein Fragenkatalog erforderlich, der die grobe Richtung vorgibt. Die Betonung liegt dabei auf »grob«. Abhängig von den Gesprächszielen wird aufgelistet, zu welchen Bereichen Informationen benötigt werden, zum Beispiel zur Lebenswelt, zu den Tätigkeiten, Problemen oder um die Perspektiven des Produkts ableiten zu können. Da der Gesprächspartner meist nicht von sich aus alle Punkte behandelt – wie soll er denn auch, da er diese ja nicht kennt – wird er vom Interviewer dezent über Fragen »gelenkt«. Springt der Gesprächspartner von einem Thema zu einem anderen, wird dieses vom Interviewer aufgenommen und er folgt weitestgehend dem Gesprächspartner. Eine grobe Gesprächsstruktur bewirkt jedoch, dass der Gesprächsablauf von der Richtung her einer Logik folgt: Tätigkeiten, Aufgaben, Probleme, Erfolgsfaktoren. Letztere sind jeweils Teilmengen aus den vorherigen. Der Gesprächspartner kennt zwar nicht diese Grundstruktur, hat jedoch das Gefühl einer inneren Logik, sodass die Themen aufeinander aufbauen und in sich geschlossen abgehandelt werden. Ein vorab erstellter breiter Fragenkatalog dient hierbei der Unterstützung und gibt Anregungen. Im späteren Gespräch sollte dieser nur als Gedächtnisstütze dienen und nicht von oben nach unten »abgearbeitet« werden. Stattdessen sollten die Fragen den Ausführungen des Gesprächspartners angepasst werden. Gerade noch nicht so geübten Interviewern gibt es Sicherheit, wenn so eine Liste vorbereitet ist, auf die sie im Gespräch zurückgreifen können. Erfahrene Interviewer werden eher frei aus der Gesprächssituation heraus die Fragen stellen. Damit dieser nicht zum Leitfaden und Korsett wird, liegt er später während des Gesprächs nicht in schriftlicher Form vor, sondern ist im Kopf des Interviewers. So kann dieser viel schneller auf die aktuelle Gesprächssituation eingehen. Die Fragen sind nur Mittel zum Zweck. Wenn der Gesprächspartner tiefgreifend zu einem Thema berichtet hat, dann sollte der Interviewer keine weiteren Fragen mehr hierzu stellen, sondern zum nächsten Thema überAnhang 335 leiten. Je konkreter und besser die Fragen vorbereitet sind, desto ergiebiger sind die Antworten. Einige der nachfolgenden Fragen sind auch ähnlich. Sie dienen beispielsweise dazu, die Fragen mit anderen Worten zu wiederholen, sofern der Gesprächspartner die erste nicht verstanden hat beziehungsweise die Antwort zu kurz ausfällt. Der Gesprächspartner wertet es als Provokation, wenn er bei Unverständnis wortgenau die gleiche Frage noch einmal gestellt bekommt. Das Gespräch sollte spannend gestaltet werden und daher sind verschiedene Frageformulierungen und Frageformen zu verwenden. Die Erstellung des Fragenkataloges erfolgt in folgenden Schritten: 1.Das Gesprächsziel formulieren; 2.legen Sie fest, zu welchen Bereichen Informationen benötigt werden (zum Beispiel Lebenswelt, Tätigkeiten, Perspektiven) und listen Sie die mögliche Reihenfolge auf; 3.listen Sie mögliche Fragen auf; 4.streichen Sie die Fragen, deren Beantwortung keinen Einfluss auf die Produktentwicklung haben; 5.Pre-Test mit Kollegen und Freunden, die nicht in die Erstellung involviert waren. Diese Gesprächsergebnisse sind zu verwerfen; 6.Pre-Test aus drei bis fünf Gesprächen mit Personen aus dem Marktsegment (simulierte Gespräche, die später nur in die Auswertung einfließen, wenn an der Gesprächsstruktur nur wenig geändert wurde); 7.passen Sie den Fragenkatalog gegebenenfalls an (zum Beispiel missverstandene/schwer verständliche Fragen umformulieren oder streichen). Der Fragenkatalog umfasst folgende Komplexe, die vom Interviewer ins Gespräch gebracht werden. Optimal ist es, wenn der Gesprächspartner von sich aus durch seine Ausführungen die Fragen beantwortet, ohne dass der Interviewer diese stellen muss. Viele Fragen liefern Informationen zu unterschiedlichen »Töpfen« (zum Beispiel zur Lebenswelt und gleichzeitig zu den Problemen). Somit ist eine exakte Abgrenzung nicht möglich. Lebenswelt • »Was fällt Ihnen zum Thema X ein?« • »Was fällt Ihnen zum Thema X in Verbindung mit Y ein?« • »Woran denken Sie beim Thema X?« 336 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • • • • • • • • • • • »Was halten Sie von X?« »Was denken Sie über X?« »Was bedeutet das für Sie?« »Was verbinden Sie mit X?« »Wie sehen Sie das Thema X?« »Wie stehen Sie zum Thema X?« »Wie sehen Sie sich beim Thema X?« »Welche Beziehung haben Sie zum Thema X?« »Woran denken Sie da?« »Wie sehen Sie das im Zusammenhang mit X?« »Erzählen Sie mir bitte Ihre Erlebnisse bei X?« »Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn Sie an X denken?« »Aus welchen Gründen passt es/passt es nicht?« »Stellen Sie sich einen Tag vor, an dem X gemacht wird. Wie wäre dieser Tag?« Der Gesprächspartner kommt darüber meist auf seine Tätigkeiten, Aufgaben et cetera zu sprechen, bringt jedoch auch seine Gefühlswelt mit hinein. Fragen zum Ableiten des USPs Treiber/Rahmenbedingungen • »Welche Rahmenbedingungen bestimmen Ihren Tagesablauf?« • »Welche neuen Gesetze/Verordnungen/Vorschriften/Normen erwarten Sie in Ihrem Umfeld?« • »Wie werden sich die Rahmenbedingungen verändern?« • »Wovon sind diese Rahmenbedingungen abhängig?« • »In welchem Umfang können Sie diese Rahmenbedingungen verändern?« • »Mit welchen Konsequenzen müssen Sie rechnen, wenn …?« • »Welche Änderungen der Rahmenbedingungen (Treiber, technische Möglichkeiten et cetera) werden Ihren Tätigkeitsablauf zukünftig verändern?« • »Was ist vorgegeben?« • »In welchem Rahmen können Sie entscheiden?« • »Wonach müssen Sie sich richten?« Anhang 337 • »Was veranlasst Sie, X anzugehen?« • »Was bedeuten diese Rahmenbedingungen für Sie?« • »Was ist die Ursache von X?« Tätigkeiten • Stellen Sie zum Einstieg die Fragen »Wo kommen Sie gerade her?«, »Was haben Sie bis eben gemacht?«. Der Gesprächspartner wird zu den Gedanken gebracht, die er sowieso noch im Hinterkopf hat. Das erleichtert den Gesprächseinstieg. • »Wie sieht Ihr typischer Tagesablauf aus?« • »Womit beschäftigen Sie sich gerade? Was machen Sie noch?« • »Was sind die wesentlichen Tätigkeiten?« • »Was waren heute bis jetzt Ihre Tätigkeiten?« • »Wie war Ihr gestriger Tagesablauf?« • »Was waren Ihre Tätigkeiten/Erlebnisse in den letzten X Tagen/ Wochen?« • »Wie muss ich mir Ihre wesentlichen Tätigkeiten vorstellen?« • »Bitte beschreiben Sie einen Ihrer typischen Arbeitstage von morgens bis abends.« • »Wie sieht Ihr typischer Alltag/Arbeitsalltag aus?«, »Was machen Sie zuerst? Was danach?«, »Mit welchen Personen haben Sie wie Kontakt?« • »Wie gliedert sich Ihr Tag?« • »Was sind Ihre Tätigkeiten bei X?« • »Was sind wiederkehrende Tätigkeiten bei Ihnen?« (wie oft zu welchen Terminen, Events) • »Welche Termine werden gern wahrgenommen, welche nicht so gern?« • »Wo halten Sie sich bei welchen Tätigkeiten auf?« • »Wie viel Zeit nehmen die angesprochenen Tätigkeiten ein?« • »Womit verbringen Sie die meiste Zeit?«, »Mit welcher Tätigkeit verbringen Sie die meiste Zeit?« • »Wie viel Zeit wenden Sie für X auf?« • »Was sind die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit?« • »Wie hoch sind die Anteile der Tätigkeiten?« • »Für welche Tätigkeit haben Sie die geringste Zeit?« • »Welche Tätigkeiten fallen in die Routine?« • »Welche Tätigkeiten übernehmen Sie gern, welche nicht so gern?« • »Wie werden sich die Tätigkeiten in Zukunft ändern?« • »Was werden Sie zukünftig anders angehen?« 338 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • • • »Wie hat sich Ihr Alltag verändert?« »Wo hat sich Ihr Alltag verändert?« »Wo gehen Sie abends hin?« »Was unternehmen Sie?« »Zu welchen Anlässen?« »Mit welchen Personen haben Sie regelmäßigen Kontakt?« Aufgaben • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Welche Aufgaben fallen bei Ihnen an?« »Was sind Ihre Aufgaben?« »Wie organisieren Sie X?« »Was sind in der nächsten Zeit Ihre wichtigsten Aufgaben?« »Welche Aufgaben haben Sie als X?« »Was sind die typischen Aufgaben eines X?« »Was sind Ihre Hauptaufgaben?« »Was macht Ihren Beruf aus?« »Was ist das Wesentliche an Ihrem Beruf?« »Wie sah Ihr gestriger Arbeitsalltag aus?« »Womit beschäftigen Sie sich gerade?« »Woran arbeiten Sie gerade?« »Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?« »Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus?« »Wie wird sich Ihr Arbeitsalltag verändern?« »Wie muss ich mir einen typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?« »Wenn Sie an einen typischen Arbeitsablauf denken: Wie sieht der aus?« »Womit/woran arbeiten Sie gerade?« »Welche Aufgaben müssen Sie bewältigen?« »Was steht im Moment an Aufgaben an?« »Welche Aufgaben sind wie wichtig? Aus welchen Gründen sind diese wichtig?« »Welche Aufgaben werden an Sie herangetragen?« »Welche Aufgaben fallen im Zusammenhang mit X an?« »Wie hat sich Ihr Aufgabenbereich verändert?« »Mit welchen Aufgaben rechnen Sie für die Zukunft?« »Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert?« »Womit rechnen Sie für die Zukunft?« »Was für Aufgaben kommen auf Sie zu?« »Wie werden sich Ihre Aufgaben in der Zukunft verändern?« Anhang 339 • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Was kommt hinzu und was fällt weg?« »Wo holen Sie sich Informationen/Unterstützung zum Thema X?« »Welche Quellen zur Unterstützung nutzen Sie?« »Mit welchen Anforderungen rechnen Sie in der Zukunft?« »Welche Treiber/Rahmenbedingungen bestimmen Ihre Aufgaben?« »Welche Hilfsmittel stehen Ihnen zurzeit zur Verfügung?« »Welche Hilfsmittel nutzen Sie zur Erledigung Ihrer Aufgaben?« »Welche Hilfsmittel haben Sie, die Sie nicht nutzen?« »Wie viel Zeit nehmen die angesprochenen Aufgaben ein?« »Welche der genannten Aufgaben nimmt die meiste Zeit ein?« »Wie viel Zeit benötigen Sie für X?« »Wie viel Zeit verbringen Sie mit X?« »Für welche Aufgaben benötigen Sie die meiste Zeit?« »Wie viel Zeit haben Sie für die Erledigung folgender Aufgaben zur Verfügung?« »Wie viel Zeit benötigen Sie, um X zu erledigen?« »Wie viel Zeit steht Ihnen zur Verfügung, um X zu erledigen?« »Was beschäftigt Sie in Ihrem Arbeitsgebiet am meisten?« »Womit beschäftigen Sie sich bei der Arbeit am meisten?« »Wie viel Zeit müssen Sie für X aufwenden?« »Was gefällt Ihnen bei Ihren jetzigen Aufgaben?« »Was erledigen Sie nicht gern?« (hier werden vom Gesprächspartner gern Produkte angenommen, die ihm diese Aufgaben abnehmen) »Für welchen Bereich sind Sie verantwortlich?« »Zu wem haben Sie in Ihrem jetzigen Arbeitsumfeld Kontakt?« »Was lösen Sie selbst?«, »Wie weit gehen Sie, um das Problem zu lösen?«, »Was vergeben Sie an andere?«, »Welche Aufgaben führen Sie selbst durch, welche delegieren Sie?« (Diese Fragen dienen dazu, die Lösungstiefe des Gesprächspartners zu erkennen) »Welche Aufgaben im Zusammenhang mit X übernehmen Sie?« »Wer übernimmt die restlichen Aufgaben?« »Wer ist an Entscheidungen beteiligt?« »Wer trifft die Entscheidung?« »In welchen Bereichen treffen Sie die Entscheidungen?« »Wie lange sind Sie bereits in diesem Bereich tätig?« 340 Praxishandbuch Produktentwicklung Probleme • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Welche Argumente sprechen dafür, das Thema nicht anzugehen?« »Wann trat das Problem das erste Mal auf?« »Welche Herausforderungen treten bei X auf?« »Welche Hindernisse treten bei X auf?« »Welche Hindernisse müssten entfallen?« »Was fällt dabei schwer, was leicht?« »Welche Aufgaben haben die größte Priorität?« »Welche Anforderungen bereiten Ihnen am meisten Sorgen/Kopfschmerzen?« »Was hindert sie an X?« »Was stört Sie an X?« »Was ist Ihnen bei X im Wege?« »Was würde ein ideales Produkt bei Ihnen verbessern?« »Welche Probleme/Hindernisse treten bei der Erledigung Ihrer Aufgaben auf?« »Was machen Sie, wenn ein Problem auftritt?« »Bei welchen Tätigkeiten treten Hindernisse auf?« »Bei welchen Aufgaben treten Hindernisse auf?« »Welche Aufgaben würden Sie gern abgeben?« »Was davon wird als problematisch empfunden?« »Was stört manches Mal bei Ihren Aufgaben?« »Wo gibt es Fragestellungen?« »Was ist Ihre wichtigste Aufgabe?« »Was beschäftigt Sie im Moment?« »Für welche Tätigkeiten/Aufgaben haben Sie zu wenig Zeit?« »Für welche Tätigkeiten/Aufgaben hätten Sie gern mehr Zeit?« »Was sind die Hauptthemen, die Sie beschäftigen?« »Welche Hindernisse treten bei den von Ihnen genannten Aufgaben auf?« »Wie haben sich Ihre Herausforderungen verändert?« »Wie werden sich Ihre Herausforderungen/Probleme verändern?« »Welche zusätzlichen Herausforderungen kommen auf Sie zu?« »Wo liegen die größten Herausforderungen heute?« »Wo liegen die größten Herausforderungen in der Zukunft?« »Wie lange wird das Problem noch auftreten?« »Ist das Problem langfristig drückend?« »Wie werden sich Ihre Probleme/Herausforderungen in der Zukunft verändern?« Wenn sich die Problemstellungen Ihrer Kunden verändern, so müssen auch die Problemlösungen (also Ihre Produkte) sich ändern. Anhang 341 • »Was kommt hinzu und was fällt weg?« • »Was erschwert zurzeit Ihre Arbeit?« • »Welche Aufgaben/Tätigkeiten bereiten Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?« • »Welche Wünsche haben Sie bezüglich X?« • »Was möchten Sie mit X erreichen?« • »Welche Probleme haben sie mit X?« • »Was passiert, wenn Sie nicht handeln?« • »Was passiert, wenn Sie X nicht lösen?« • »Welche Auswirkungen hat X?« • »Wie zufrieden sind Sie mit X?« • »Welche Kenntnisse sind bei X nützlich?« • »Welche Fähigkeiten sind bei X nützlich?« • »Wozu braucht man viel Erfahrung?« • »Wo lässt man keine Anfänger ran?« Dieses nimmt den Druck vom Gesprächspartner weg und er nennt die Aufgaben, die ihm früher und zum Teil heute noch Probleme bereiten. • »Was muss man da machen/worauf achten?« • »Was sind die Hauptthemen, die Sie beschäftigen?« • »Welchen Herausforderungen stehen Sie gegenüber?« • »Was fehlt Ihnen bei X?« • »Wann ist das Problem am schlimmsten?« • »Was sind zurzeit die größten Herausforderungen in ihrer Position?« • »Welche X sind Ihnen wichtig?« • »Welche Ihrer Fähigkeiten sind in dieser Situation am nützlichsten?« • »Welche Fähigkeiten wären in dieser Situation am nützlichsten?« • »Welche Ziele haben Sie bei X?« • »Welche Lösungen gibt es bereits für dieses Problem?« • »Welche Lösung nutzen Sie bereits für dieses Problem?« • »Welche der Tätigkeiten bereiten Ihnen Kopfzerbrechen?« • »Wie lange tritt das Problem schon auf?« • »Sie nannten X als Thema Nummer eins. Wie gehen Sie damit um?« Für schwierige/heikle Themen • »Was unternimmt X in diesen Situationen?« • »X wird gerne von Medien aufgebauscht. Wo sind Sie denn wirklich davon betroffen? Was ärgert/stört Sie dabei?« • »Wie sieht es bei der Konkurrenz aus?« 342 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Welche Themen beschäftigen/bedrücken die Branche?« »Welche Themen beschäftigen Ihre Kollegen?« »Welche Schwierigkeiten sehen Sie auf die Branche zukommen?« »Worüber spricht Ihre Branche?« »Was bedrückt die Branche?« »Welche Probleme hat die Branche?« »Was hindert die Branche an X?« »Über welche Probleme spricht die Branche/sprechen Ihre Kollegen?« »Worüber spricht die Branche/Ihre Kollegen im Augenblick?« »Welche Probleme treten bei Ihren Kollegen auf?« »Welche Probleme können bei Ihren Kollegen auftreten?« »Womit davon haben Ihre Berufskollegen die meisten Probleme?« »Welches Arbeitsfeld bereitet Ihren Kollegen Schwierigkeiten?« »Was ist schwierig in der Branche?« »Was kommt auf Ihre Branche zu?« »Welche Themen werden von Ihren Kollegen behandelt?« »Wie schätzen Ihre Kollegen X ein?« »Wo sehen Ihre Kollegen die größten Probleme in der Zukunft?« »Was beschäftigt Ihre Kollegen im Moment?« »Welche Probleme/Herausforderungen bewegen die Branche?« »Was sind zurzeit die größten Herausforderungen der X in der Branche?« • »Was ist schwierig in der Branche?« • »Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Branche?« Umkehrung • »Welche Vorteile hat das Problem für Sie?« • »Welche Vorteile hat das Problem für Ihre Kollegen?« Erfolgsfaktoren • »Aus welchen Gründen ist es wichtig, für das Problem X eine Lösung zu haben?« • »Ab wann betrachten Sie das Problem als gelöst?« • »Ab wann würden Sie Ihre Tätigkeit/Aufgaben als erfolgreich betrachten?« • »Auf die Erreichung welcher Ziele kommt es an?« Anhang 343 • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Auf die Lösung welcher Probleme kommt es insbesondere an? »Aus welchen Gründen ist es hier wichtig, eine Lösung zu haben?« »Aus welchen Gründen ist es wichtig, das Problem zu lösen?« »Für welche Ergebnisse erhalten Sie eine Jahresprämie?« (Das sind die Erfolgsfaktoren aus Sicht des Vorgesetzten). »Wann betrachten Sie die Lösung von X als erfolgreich?« »Wann betrachten Sie Ihre Tätigkeiten als erfolgreich?« »Wann betrachten Sie sich als erfolgreich?« »Wann werden Sie von Ihrem Vorgesetzten geschätzt?« »Wann werden X von Ihren Vorgesetzten als erfolgreich angesehen?« »Wann würden Sie Ihre Arbeit als erfolgreich bezeichnen?« »Warum ist es hier wichtig, eine gute Lösung zu haben?« »Was bedeutet Ihnen das?« »Was bestimmt zukünftig Ihren Erfolg?« »Was betrachten Sie beim Thema X als erfolgreich?« »Was davon ist am wichtigsten für Ihren Erfolg?« »Was erwarten andere von Ihnen?« »Was erwartet Ihr Chef von Ihnen? Was erwartet Ihre Familie von Ihnen?« »Was erwartet Ihr Vorgesetzter von Ihnen?« »Was haben Sie davon?« »Was ist dabei besonders wichtig?« »Was ist Ihnen davon wichtig? Aus welchen Gründen?« »Was ist Ihnen in dieser Situation am wichtigsten?« »Was ist von X, Y und Z wirklich wichtig/ausschlaggebend für Ihren Erfolg?« »Was können Sie damit erreichen?« »Was macht ein gutes X aus?« »Was muss gemacht/anders werden, damit das Problem gelöst ist?« »Was passiert, wenn das Problem nicht gelöst wird?« »Was raubt Ihnen den Schlaf?« »Was sind die Folgen, wenn das Problem nicht gelöst wird?« »Was sind Ihre größten Befürchtungen im Zusammenhang mit X?« »Was sind Ihre größten Befürchtungen/Ängste/Sorgen?« »Was sind Ihre größten Herausforderungen als X?« »Was sind Ihre größten Herausforderungen bei der Umsetzung von X?« »Was unternehmen Sie, um diesen Erfolgsfaktor zu erreichen?« »Was wird als erfolgreich angesehen?« »Was würde Ihnen fehlen, wenn X nicht vorhanden wäre?« »Was würde sich für Sie ändern, wenn X gelöst wäre?« »Welche Auswirkungen hat das für Sie?« 344 Praxishandbuch Produktentwicklung • »Welcher der von Ihnen angegebenen Aspekte ist wichtig für Ihren Erfolg?« • »Welche der von Ihnen genannten Herausforderungen/Probleme sind wirklich wichtig/ausschlaggebend für Ihren Erfolg?« • »Welche der von Ihnen genannten Punkte sind ausschlaggebend/am wichtigsten für Ihren Erfolg« • »Welche der von Ihnen genanten Aufgaben haben bei Ihnen höchste Priorität?« • »Welche dieser Aufgaben bereitet Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?« • »Welche Konsequenzen hätte das für Sie?« • »Welche Wirkung hat X in der von Ihnen beschriebenen Situation?« • »Welchen Nutzen/Vorteil hätte das für Sie?« • »Welches der genannten Probleme muss gelöst werden, um den größten Erfolg zu haben?« • »Welches Ergebnis wünschen Sie sich nach der Lösung des Problems?« • »Wie definieren Sie Erfolg?« • »Wie dringend benötigen Sie eine Lösung des Problems?« • »Wie groß ist der Schaden, wenn X nicht gelöst wird?« • »Wie relevant ist die Lösung des Problems für Ihre Arbeit? Wie erfolgswichtig ist die Problemlösung?« • »Wie relevant ist für Sie die Lösung des Problems X?« • »Wie wichtig ist dafür eine gute Lösung?« • »Wie wichtig ist für Sie die Lösung des Problems X?« • »Wie wichtig ist es für Sie, bei X eine Lösung zu bekommen?« • »Woran messen die anderen Ihren Erfolg?« • »Woran messen Sie Ihren Erfolg? • »Woran werden Sie gemessen?« • »Woran wird Ihr Erfolg gemessen?« • »Woran werden Sie von anderen gemessen?« • »Woran wird Ihre Prämie gemessen?« • »Worauf ist dabei zu achten?« • »Worauf kommt es bei der Lösung des Problems an?« • »Worauf kommt es bei Ihrer Tätigkeit an?« • »Worauf kommt es bei X an?« • »Worauf kommt es in Ihrem Beruf an?« • »Worauf legen Sie besonderen/den höchsten Wert?« Anhang 345 Neutralisiert • • • • • • • • »Wie relevant ist die Lösung dieses Problems für X?« »Was bedeutet das Problem für Ihre Kollegen?« »Woran wird jemand als gut angesehen, der daran arbeitet?« »Worauf sollten Neulinge in dem Bereich achten?« »Woran wird hier der Erfolg gemessen?« »Worauf müssen Anfänger achten?« »Woran wird der Erfolg eines X gemessen?« »Unter welchen Umständen wird man als erfolgreicher Kollege angesehen?« • »Welche Aufgaben sind dem Vorgesetzten/Partner/… besonders wichtig? Mit welchem Ergebnis?« • »Welche Folgen hat es für Ihre Kollegen, wenn das Problem nicht gelöst wird?« Komplexität • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Welche Kenntnisse sind nötig, um X zu lösen?« »Wie zeitaufwändig ist die Erledigung von X?« »Wie viel Zeit müssen Sie aufwenden, um X zu tun?« »Wie zeitaufwändig ist X?« »Welche Ausbildung ist dabei notwendig?« »Welches Ausmaß an Erfahrungen wird benötigt bei X?« »Was bindet die meiste Energie?« »Wie schwierig ist X zu lösen?« »Was hindert Sie daran, diesen Erfolgfaktor zu erreichen?« »Bei welcher Tätigkeit/Aufgabe/Problem wünschen Sie sich Unterstützung?« »Welchen Einfluss haben Sie auf die Lösung des Problems X?« »Wie beeinflussbar sind das Problem und die Lösung für Sie?« »Wie einschätzbar/steuerbar/beeinflussbar ist X?« »Welche Einflussmöglichkeiten haben Sie für das Problem?« »Die Lösung welcher Probleme fällt Ihnen leicht, welche schwer?« »Was ist nötig, um das Problem X zu lösen?« »Was könnte Ihren Kollegen helfen, um X zu lösen?« »Was fällt Ihnen leicht und was weniger?« »Wie viel Energie ist nötig?« »Wie oft kommt es vor?« 346 Praxishandbuch Produktentwicklung Wunschfragen Diese können zum Beispiel mit der Feenfrage kombiniert werden. Gefragt wird hierbei nach dem Wunschergebnis, nicht nach dem Weg, wie es erreicht werden kann beziehungsweise soll: • • • • • • • • • • • »Was sind Ihre Wünsche im Bereich X?« »Wann betrachten Sie X als gelöst?« »Was möchten Sie erreichen?« »Was sollte in einem Jahr erreicht sein?« »Wie sollte X in einem Jahr sein?« »Woran erkennen Sie, dass X eingetreten ist?« »Was könnte Ihnen dabei helfen?« »Was fällt Ihnen bei X, das Y löst, ein?« »Wenn Sie X nutzen: Was sehen/fühlen/hören/riechen Sie?« »Wenn Sie X ohne Y nutzen: Was sehen/fühlen/hören/riechen Sie?« »Wenn Sie sich das optimale Produkt zur Lösung von X vorstellen, was müsste es Ihnen bieten?« Perspektiven Funktion • »Was gehört alles zu dieser Tätigkeit/Aufgabe/Problem/Erfolgsfaktor?« • »Was umfasst bei Ihnen alles das Problem X?« • »Ab welcher Stufe der Problemlösung ziehen Sie Hilfsmittel mit hinzu? Welche Hilfsmittel nutzen Sie?« • »Was aus dem Problembereich fällt Ihnen leicht und was nicht?« • »Welche Bereiche aus dem Problemfeld können Sie selbst beeinflussen und welche nicht?« Es ist nur sinnvoll das Produkt mit den Funktionen auszustatten, mit denen der Kunde auch die Problemlösung beeinflussen kann • »Welche Anforderungen muss X liefern?« • »Was dürfte auf keinen Fall fehlen?« • »Welche Fertigkeiten zu Lösung von X haben Sie in Ihrer Ausbildung beziehungsweise Weiterbildung gelernt?« • »Was davon kennen/können Sie von Ihrer Ausbildung/Qualifikation her gut/nicht gut?« Anhang 347 • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Was umfasst bei Ihnen alles das Thema X?« »Was davon können Sie ausbildungsseitig gut/nicht gut?« »Was fallen bei dem Thema X noch für Anforderungen an?« »Was können Sie beeinflussen?« »Zu welchen Bereichen liegen Ihnen heute schon Lösungen vor?« »Was gehört alles zu dem Problem/Problemkreis?« »Wann greifen Sie auf Hilfsmittel zurück?« »Was fällt Ihnen beim Problem X noch an Anforderungen ein?« »Wo beginnt Ihr Mitwirken bei der Lösung und wo endet es?« »Wo sind die Grenzen des Themas für Sie?« »Was gehört alles zum Problem dazu?« »Wo beginnt das Problem und wo endet es?« »Wo ist der Übernahmepunkt der Tätigkeit/Aufgabe des Problems?« »Wo ist der Übergabepunkt der Tätigkeit/Aufgabe des Problems?« »Bis zu welchem Lösungsgrad/Lösungstiefe muss das Problem von Ihnen gelöst werden?« »Was erwarten Sie von einer alternativen Lösung? Was muss alles von dieser geleistet werden?« »Welche anderen Quellen ziehen Sie heran?« »Was benötigen Sie, um X zu lösen?« »Auf welche Eigenschaften/Funktionen kommt es an?« »Was verwenden Sie heute schon?« »Was muss enthalten sein?« »Was müsste gelöst werden?« »Auf welche Funktionen greifen Sie heute schon zurück?« »Was davon können Sie auf anderen Wegen wie lösen?« Aufbau/Struktur • • • • • • • • • »In welcher Vorgehensweise wird X eingesetzt?« »Wann nutzen Sie X?« »Wie gehen Sie bei X vor?« »In welchen Situationen nutzen Sie X?« »Wie sind Sie an die Aufgabe/Problem bis jetzt herangegangen?« »Wie läuft so etwas ab?« »Wie war das, als Sie X getan haben?« »Was geschah danach?« »Mit wem haben Sie im Zusammenhang mit X Kontakt? In welchem Verhältnis stehen Sie zu diesen Kontaktpersonen?« 348 Praxishandbuch Produktentwicklung • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Wie gehen Sie an das Problem heran?« »In welcher Reihenfolge gehen Sie mit den jetzigen Lösungen vor?« »Wie ist das Problem/Lösung in Ihrem Tagesablauf integriert?« »Wer ist davon noch betroffen?« »Wie ist der Zusammenhang zwischen X und Y? »Wie kommt das Problem auf Sie/Ihre Kollegen zu?« »Wie gehen Sie an die Aufgabe heran und wie führen Sie diese durch? Bitte beschreiben Sie die einzelnen Schritte.« »In welchen Abläufen erledigen Sie die Aufgabe?« »Wie gehen Sie vor, wenn das Problem auftritt?« »Zu welchen Lösungen greifen Sie heute, wenn das Problem auftritt?« »Woher beschaffen Sie sich Informationen zur Lösung des Problems?« »Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es bereits?« »Wie beschaffen Sie sich diese Lösungen?« »Wie gehen Sie/Ihre Kollegen an die Lösung des Problems heran?« »Nennen Sie bitte Beispiele für Ihre Vorgehensweise?« »Wie haben Sie/Ihre Kollegen das Problem in der Vergangenheit gelöst?« »Wie lösen Ihre Kollegen das Problem?« »Wie gehen Sie an die Lösung des Problems X heran?« »Mit welchen Fragestellungen gehen Sie an das Problem heran?« »Wie muss ich mir das vorstellen? Wie läuft so etwas ab?« »Wie tritt das Problem bei Ihnen/Ihren Kollegen auf?« »Bei welchen Anlässen tritt das Problem bei Ihnen auf?« »In welcher Form kommt das Problem auf Sie zu?« (regelmäßig/unregelmäßig, vorhersehbar/plötzlich/zufällig) »Wann kommt das Problem auf Sie zu?« »Wie lösen Sie heute das Problem?« »Welche anderen Vorgehensweisen haben Sie schon mal ausprobiert?« »Welche anderen Vorgehensweisen führen ebenfalls zum Erfolg?« »Wie wurde das Problem in der Vergangenheit gelöst?« »Wie sehen Ihre heutigen Lösungsansätze aus?« »Welche Hilfsmittel nutzen Sie bei welchem Anlass?« »Welche Vor- und Nachteile haben welche Lösungen?« »Wie haben Sie es früher gelöst? Was war dabei gut/weniger gut?« »Wie könnte eine Lösung aussehen, die wirklich funktioniert und das Problem löst?« »Bitte beschreiben Sie, wie Sie heute das Problem lösen.« »Wie gehen Sie dabei vor? Was sind die einzelnen Schritte?« »Welche Voraussetzungen (Technik, Wissen, Fähigkeiten et cetera) muss ich haben, um das Problem zu lösen?« Anhang 349 • »Auf welche Angebote haben Sie in der Vergangenheit zurückgegriffen, wenn das Problem auftrat?« • »Was machen Sie bei X zuerst?« • »Wie gehen Sie mit X um?« • »Wie gehen Sie an X heran?« • »Wo treten bei der Herangehensweise Probleme auf?« • »Was betrachten Sie als zum Problemkreis gehörend?« • »Können Sie bitte beschreiben, wie Sie das heute machen?« • »Wie gehen Sie an die Aufgabenstellung heran?« • »Wie gehen Sie mit diesem Problem/Thema um?« • »Wie gehen Sie an das Problem/Thema heran?« • »Welche Hilfsmittel nutzen Sie bereits?« • »Welche Hilfsmittel nutzen Sie bei welcher Gelegenheit?« • »Wenn Sie mit Kollegen sprechen, welche Lösungen haben diese? Welche Vorteile, welche Nachteile gibt es da?« • »Unter welchen Umständen klappen solche Lösungen?«, »Was ist Ihre langjährige Erfahrung?« • »Das sieht sehr aufwändig aus. Haben Sie schon mal andere Vorgehensweisen ausprobiert? Gibt es andere Vorgehensweisen? Welche?« • »Wie weit gehen Sie, um das Problem zu lösen?« • »Gibt es Möglichkeiten, mit anderer Vorgangsweise zum Erfolg zu gelangen?« • »Wann passt X, wann passt Y?«, »Aus welchen Gründen passt es?« • »Stellen Sie sich einen Tag vor, an dem X verwendet/genutzt wird. Wie wäre der Tag?« • »Sie nutzen X. Wie gehen Sie vor?«, »Was kommt danach?«, »Auf was achten Sie?« Diese Fragen werden jeweils auf den Gesprächspartner bezogen oder in neutralisierter Form auf Kollegen, Freunde und so weiter. Ansprache Hierzu gehören Fragen nach der Ausbildung und Weiterbildung, um den Sprachgebrauch einschätzen zu können. Neben dem Inhalt der Antworten zu den folgenden Fragen ist ebenfalls die Ausdrucksweise des Gesprächspartners zu beachten und auszuwerten. Ebenfalls ist zu sichten, welche Werbemittel/Produktbeschreibungen dem Gesprächspartner vorliegen und welche Produkte genutzt werden. Denn auch die anderen Anbieter 350 Praxishandbuch Produktentwicklung haben (oder sollten es zumindest) ihre Ausdrucksweise den Kunden angepasst. Dort können Sie sich erste Informationen abschauen. Folgende Fragen an den Gesprächspartner können eingesetzt werden: • • • • »Welche Produkte nutzen Sie sonst?« »Was lesen Sie?« »Was lesen Sie gerne?« »Welche Ausbildung/Voraussetzungen/Kenntnisse benötigen Sie für Ihre Tätigkeiten?« Produktart Hiermit werden Informationen zu den Anforderungen der Produktart im Verhältnis zu den Fähigkeiten und der Ausstattung sowie dem Einsatzort der Produkte gesammelt: • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • »Welche technische Ausstattung besitzen Sie?« »Welche technische Ausstattung nutzen Sie?« »Welche Ausstattung im Bereich X haben Sie?« »Welche Hilfsmittel setzen Sie sonst ein?« »Welche technische Ausstattung nutzen Sie in welchen Fällen?« »Mit welcher Ausstattung sind Sie gewohnt zu arbeiten?« »Mit welcher Ausstattung arbeiten Sie gern/nicht so gern?« »Mit welchen Geräten arbeiten Sie gern/nicht gern?« »Welche Geräte sind Ihnen vertraut?« »Welche Produkte werden sonst von Ihnen verwendet?« »In welchem Umfeld nutzen Sie vergleichbare Produkte?« (beispielsweise wenn es regnet, im Büro et cetera). »In welchen Situationen tritt das Produkt auf?« »An welchem Ort tritt das Problem auf?« »Wann tritt das Problem auf?« »In welchem Umfeld lösen Sie das Problem?« »In welcher Form würden Sie X gern nutzen?« »Welche Art von Lösungen setzen Sie sonst ein?« »Wohin transportieren Sie X?« »Wo ist Ihr Arbeitsplatz?« »Wo lösen Sie diese Aufgabe?« »Wobei nutzten Sie X?« »Was nutzen Sie sonst, um X zu tun?« Anhang 351 Emotion Neben den Äußerungen des Gesprächspartners ist für die Perspektiven Emotion und Design insbesondere die Beobachtungen wichtig: Wie ist der Gesprächspartner eingerichtet, womit umgibt er sich und so weiter. • »Was sollen andere über Sie sagen, wenn sie X lösen/haben?« • »Stellen Sie sich vor, Sie haben das neue Produkt X. Wie reagiert Ihr Umfeld?« • »Was bedeutet das in Ihrem Umfeld?« • »Was denken andere über Sie?« (oder neutral: »Was denken andere über die Person X?«, »Was denken andere über das Produkt X?« • »Wie würden Sie sich in der Gruppe fühlen bei X?« • »Was haben Sie dabei gefühlt/empfunden?« • »Aus welchen Gründen ist Ihnen X wichtig?« • »Welche Stimmung tritt da bei Ihnen auf?« • »Wie fühlte sich das an?« • »Wie geht es Ihnen dabei?« • »Wie fühlen Sie sich bei X?« • »Wobei fühlen Sie sich besonders gut?« • »Wie fühlen Sie sich, wenn Sie an X denken?« • »Welche Bedeutung hat X für Sie?« • »Was bewirkt X bei Ihnen?« • »Welche Wirkung geht von X aus?« Design • • • • • »Wie müsste X aussehen?« »Was ist Ihnen bei dem Aussehen von X wichtig?« »Was wäre Ihnen beim Design/Aussehen von X wichtig?« »Was benutzen Sie gleichzeitig?« »Wie müsste X aussehen, um Ihnen sympathisch zu sein?« 352 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 1: Beschwerden • Zum Gespräch Gesprächspartner aus dem Unternehmen Datum Ort Uhrzeit Dauer Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich) • Hauptthema des Gesprächs Anlass des Anrufs Was ist vorgefallen? Aus welchen Gründen? In welchem Umfeld ist der Fehler aufgetreten? Vorschlag des Kunden zur Behebung Vereinbarte Lösung • Fragen zur Produktentwicklung (je nach Gesprächsstimmung) Wo und wann wird das Produkt eingesetzt? Anregungen zur Produktoptimierung Aufgaben des Gesprächspartners Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen) Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? • Gesprächspartner/Person Name Position Abteilung • Unternehmen Name Branche Produkte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage • Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat • Sonstige Anmerkungen zum Gespräch Anhang 353 Formblatt 2: No-Report • Zum Gespräch Gesprächspartner aus dem Unternehmen Datum Ort Uhrzeit Dauer Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich) • Hauptthema des Gesprächs Welches Produkt wird angefragt? Welches Problem soll damit gelöst werden? In welchem Umfeld soll das Produkt eingesetzt werden? Welche Antwort erhielt der Kunde? Vereinbarte Lösung • Fragen zur Produktentwicklung (je nach Gesprächsstimmung) Wo und wann wird das Produkt eingesetzt? Anregungen zur Produktoptimierung Aufgaben des Gesprächspartners Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen) Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? • Gesprächspartner/Person Name Position Abteilung • Unternehmen Name Branche Produkte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage • Anregungen für die Produktentwicklung aus der Anfrage 354 Praxishandbuch Produktentwicklung • Die Umsetzung bringt für den Kunden eine Verbesserung in folgenden Bereichen: Zeitersparnis Problemlösung Wunscherfüllung Kostenreduktion Umsatzerhöhung Arbeitserleichterung Umweltfreundlichkeit Sonstiges • Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat • Sonstige Anmerkungen zum Gespräch Anhang 355 Formblatt 3: Ideenblatt • So sieht die Sache jetzt aus • Mein Veränderungsvorschlag dazu (Idealzustand) • Die Umsetzung bringt eine Verbesserung in folgenden Bereichen: Zeitersparnis Problemlösung Wunscherfüllung Finanzieller Vorteil Arbeitserleichterung Höhere Zufriedenheit der eigenen Kunden Umweltfreundlichkeit Sonstiges 356 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 4: Außendienstbesuche • Zum Gespräch Name des Außendienstmitarbeiters Datum Ort Uhrzeit Dauer • Anlass des Termins Verkauf Service/Wartung Reklamation/Reparatur Ergebnis (zum Beispiel Verkauf erfolgt ja/nein) • Fragen zur Produktentwicklung Wann und wo wird das Produkt eingesetzt? Anregungen zur Produktoptimierung Aufgaben des Gesprächspartners Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen) Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? • Beobachtungen vor Ort Einsatzort des Produkts Ausstattung des Kunden Konkurrenzprodukte beim Kunden Weitere Produkte beim Kunden • Gesprächspartner/Person Name Position Abteilung • Unternehmen Name Branche Produkte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage Anhang 357 • Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat • Sonstige Anmerkungen zum Gespräch 358 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 5: Verkaufsgespräche in den eigenen Räumen • Zum Gespräch Name des Mitarbeiters Datum Ort Uhrzeit Dauer • Anlass des Kundenbesuchs Kauf Service/Wartung Reklamation/Reparatur Ergebnis (zum Beispiel Verkauf erfolgt ja/nein) • Fragen zur Produktentwicklung Wann und wo wird das Produkt eingesetzt? Anregungen zur Produktoptimierung Aufgaben des Gesprächspartners Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen) Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? • Gesprächspartner/Person Name Position Abteilung • Unternehmen Name Branche Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage • Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat • Sonstige Anmerkungen zum Gespräch Anhang 359 Formblatt 6: Vertriebsagenturen • Zum Gespräch Name des Agenturmitarbeiters Datum Uhrzeit Dauer Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich) • Hauptthema des Gesprächs Angebotenes Produkt Positiver Abschluss: ja/nein Welche Verkaufsargumente wirkten positiv? Welche Verkaufsargumente wirkten negativ? Einwände des Gesprächspartners bei Nichtkauf? Wurde ein weiterer Termin vereinbart? • Fragen zur Produktentwicklung (je nach Gesprächsstimmung) Anregungen für das Unternehmen Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen) Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? • Gesprächspartner/Person Name Position Abteilung • Unternehmen Name Branche Produkte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage • Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat • Sonstige Anmerkungen zum Gespräch 360 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 7: Händler im Massengeschäft • Allgemeine Daten Auswertungszeitraum • Zwischenhändler Name Kontaktdaten Branche Ansprechpartner beim Zwischenhändler • Informationen über Kunden Kundenanfragen/Kundenwünsche Gründe für Kauf/Nichtkauf Reklamationen/Kundenäußerungen zu den Produkten Informationen aus dem Umfeld der Kunden Beobachtungen • Sonstige Anmerkungen des Zwischenhändlers Anhang 361 Formblatt 8: Messen, Kongresse und Seminare • Formblatt ausgefüllt von • Zur Veranstaltung Titel Branche Datum Ort Uhrzeit Dauer Preis Anzahl der Teilnehmer Themen Fragen der Teilnehmer Kontrovers diskutierte Themen • Randgespräche mit Teilnehmern beziehungsweise Besuchern Name Position Abteilung Kontaktdaten Aufgaben des Gesprächspartners Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen) Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat Sonstige Anmerkungen zum Gespräch 362 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 9: Interne Auswertung von Postkorbanalysen • Koordinator im eigenen Unternehmen • Zeitspanne • Wer hat gesammelt? Name Position Abteilung • Unternehmen Name Branche Produkte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage • Eingetroffene Produktinformationen Anbieter 1 (gleiches gilt für beliebig viele weitere Anbieter) Werbeform Beworbene Produkte Hauptwerbeargumente Werbefrequenz • Anregungen für die Produktentwicklung • Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? • Persönlicher Eindruck, den der Sammler hinterlassen hat • Sonstige Anmerkungen • Anhang (die jeweiligen Werbeinformationen) Anhang 363 Formblatt 10: Produktbewertung Produkt X Positiv negativ USP Funktion Struktur Ansprache Produktart Emotion Design 364 Praxishandbuch Produktentwicklung Aus welchen Gründen positiv oder ­negativ? Ideen für die eigene Produktentwicklung, die sich daraus ergeben Formblatt 11: »Zufällige« Gespräche • Zum Gespräch Gesprächsführer Datum Ort Uhrzeit • Hauptthemen des Gesprächs Einstiegsthema Weitere Themen • Fragen zur Produktentwicklung Aufgaben des Gesprächspartners Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen) Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden? • Gesprächspartner/Person Name Position Abteilung • Unternehmen (zum Beispiel über Visitenkarte) Name Branche Produkte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage • Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat • Sonstige Anmerkungen zum Gespräch Anhang 365 Formblatt 12: Gesprächsprotokoll • Vorbereitung Marktgespräch Gesprächsserie Anzahl der Gespräche für diese Serie Verantwortlich für das Gespräch und die Auswertung im Unternehmen Nach welchem Kriterium wurde der Gesprächspartner kontaktiert? Aus welcher Quelle wurde der Gesprächspartner kontaktiert (Kundenkartei, Adressbuch et cetera)? Beziehung des Gesprächspartners zum Unternehmen (Stammkunde, ehemaliger Kunde, Experte et cetera) Datum der Terminvereinbarung Art der Terminvereinbarung Durch wen erfolgte Terminvereinbarung? Besonderheiten bei der Terminvereinbarung • Zum Gespräch Gesprächsziel (zum Beispiel Themenrelevanz erfassen, Informationen zum USP oder zu den Perspektiven einholen) Erstgespräch oder Folgegespräch Datum Ort Uhrzeit Dauer Art der Aufzeichnung Interviewer Assistent Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich) Die Höhe des Honorars für den Gesprächspartner • Gesprächspartner Name Funktion Position Position im Organigramm (wer ist unter anderem Vorgesetzter/ Entscheider?) Abteilung Werdegang Alter Anzahl/Alter der Personen im Haushalt Hobbys Besitz (Eigenheim, Auto et cetera) Weitere Anwesende • Umfeld/Gesprächsort 366 Praxishandbuch Produktentwicklung Räumlichkeit Ausstattung Störungen • Unternehmen des Gesprächspartners Name Branche Produkte Kundenstruktur Vertriebswege Position im Markt Umsatz Umsatzentwicklung Anzahl Mitarbeiter/Anzahl Mitglieder im Haushalt Standorte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage Bereits bekannte Treiber und Rahmenbedingungen in der Branche • Sonstiges Persönlicher Eindruck, den der Interviewer bekommen hat Gesprächsatmosphäre, Reaktion des Gesprächspartners auf einzelne Fragen Kommentar des Interviewers • Gesprächsinhalte (hier die einzelnen Gesprächsinhalte nach Themen sortiert eintragen) 1. Stufe: Lebenswelt 2. Stufe: jeweils allgemein oder zum Spezialthema Rahmenbedingungen/Treiber Tätigkeiten Aufgaben Probleme Erfolgsfaktoren Komplexität 3. Stufe: zu den Perspektiven Funktionalität Struktur Ansprache Medium Emotion Design Anhang 367 • Sonstiges • Der Gesprächspartner steht für weitere Gespräche (Nachfragen) zur Verfügung: ja/nein? • Empfehlungen des Gesprächspartners für weitere Gespräche 368 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 13: Kriterien für den Interviewer • Benötigte Grundeinstellung zum Thema • Notwendige Fachkenntnisse • Notwendige methodische Kenntnisse • Branchenzugehörigkeit • Weitere Kriterien (zum Beispiel Alter, Geschlecht) Anhang 369 Checkliste 1: Quellen zu Vorabinformationen über den Gesprächspartner • • • • • • • • • • • Homepage Prospekte Unternehmensbroschüren Geschäftsberichte Branchenführer Zeitungsartikel Pressemitteilungen, unter anderem im Internet unter www.paperball.de, www.paperboy.de, www.presseportal.de Portale für Personenrecherche, unter anderem www.yasni.de, www.123people.de, www.google.de eigene Datenbank mit Kaufhistorie: Was hat er wann gekauft, bezahlt beziehungsweise zurückgegeben? Protokolle ehemaliger Gespräche (gegebenenfalls auch mit anderen Personen aus dem Unternehmen) Vorab-Recherche vor Ort 370 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 14: Gesprächsvorbereitung Bei den Gesprächen ist auf Folgendes zu achten: • • • • • freundlicher Einstieg Körpersprache des Gesprächspartners, nonverbale Signale beachten Blickkontakt zum Gesprächspartner eigene offene Gestik/Mimik Gesprächsstruktur »Thementöpfe« gemäß Gesprächsziel füllen den Gesprächspartner zum Weitererzählen verleiten aktiv zuhören Pausen des Gesprächspartners aushalten, ohne selbst weiterzuerzählen • Fragetechnik einsetzen offene Fragen Bestätigungsfragen et cetera • den Gesprächspartner ausreden lassen • die Aussagen des Gesprächspartners mehrfach zusammenfassen • den Gesprächspartner in den Mittelpunkt stellen, ihn mehrfach mit Namen ansprechen • flexibles Reagieren auf die Aussagen des Gesprächspartners • Gesprächsende Dank aussprechen fragen, ob der Gesprächspartner wieder kontaktiert werden darf nach Empfehlungen fragen Anhang 371 Formblatt 15: Informationen zum Gespräch • Vorbereitung Marktgespräch Gesprächsserie Anzahl der Gespräche für diese Serie Verantwortlich für das Gespräch und die Auswertung im Unternehmen Nach welchem Kriterium wurde der Gesprächspartner kontaktiert? Aus welcher Quelle wurde der Gesprächspartner kontaktiert (Kundenkartei, Adressbuch et cetera)? Beziehung des Gesprächspartners zum Unternehmen (Stammkunde, ehemaliger Kunde et cetera) Datum der Terminvereinbarung Art der Terminvereinbarung Durch wen erfolgte die Terminvereinbarung? Besonderheiten bei der Terminvereinbarung • Zum Gespräch Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich) Gesprächsziel (zum Beispiel Themenrelevanz erfassen, Informationen zum USP oder zu den Perspektiven einholen) Erstgespräch oder Folgegespräch? Datum Ort Uhrzeit Dauer Art der Aufzeichnung Interviewer Assistent Höhe des Honorars für den Gesprächspartner • Gesprächspartner Name Funktion Position Position im Organigramm (wer ist unter anderem Vorgesetzter/ Entscheider?) Abteilung Werdegang Alter Hobbys Besitz (Eigenheim, Auto et cetera) Weitere Anwesende • Umfeld/Gesprächsort Räumlichkeit 372 Praxishandbuch Produktentwicklung Ausstattung Störungen • Unternehmen Name Branche Produkte Kundenstruktur Vertriebswege Position im Markt Umsatz Umsatzentwicklung Anzahl Mitarbeiter/Anzahl Mitglieder im Haushalt Standorte Anschrift Telefonnummer Faxnummer E-Mail-Adresse Homepage Bereits bekannte Treiber und Rahmenbedingungen in der Branche Anhang 373 374 Praxishandbuch Produktentwicklung Neukunden 5 Homogenität des Marktsegments prüfen Im eigenen Unternehmen (Büro) Fragebogen Schriftlich Brief Wen Anzahl Gespräche Ziel (was ist in Erfahrung zu bringen?) Ort Methode Medium (womit?) (bitte hier Ihre Kundensegmente eintragen) Kunden­ segment Produktneugestaltung X Wochen nachdem Kunde das Produkt erhalten hat Auf Messen/ Kongressen Treiber und Rahmenbedingungen erfahren 15 Schriftlich Online 25 Neutraler Ort Telefonisch Beobachtung/ Experiment Praktikum Beim Gesprächspartner USP-Idee Tätigkeiten, Aufgaben, Pro- auf Relevanz bleme, Erfolgs- prüfen faktoren, Komplexität zur Ableitung des USP erfahren 20 Schriftlich auf Schriftlich als Homepage Beilage (zur Lieferung, zur Rechnung, in Zeitschrift) Einzelgespräch Gruppendiskussion Im eigenen Unternehmen (Verkäufsräume) In die Lebenswelt eintauchen, Werte und Ähnliches erfahren 10 Beschwerer Stammkunden Gelegenheits- Ehemalige kunden Kunden, Rücksender Laufende Optimierung Neuprodukt Zeitpunkt Beta-Test Lösungsvarianten Merkmale Persönlich Stammtisch Informationen für die Perspektiven einholen 30 Nichtkunden Tabelle 7: Varianten der Informationsbeschaffung Rückkehrer Konzept/Idee Sonstige Informationen prüfen zum Kunden (Kaufverhalten, Produktnutzunget cetera) erfahren Wechselkunden Zufriedenheit und Nutzung von bestehenden Produkten erfahren Kunden der Konkurrenz Grund für Rückgabe beziehungsweise Kündigung erfahren Kunden ande- Multiplikato- Händler rer Branchen ren/Empfehler/ Entscheider Zulieferer Anhang 375 Aus eigenem Unternehmen Nur schriftlich, Nur schriftlich, Nur schriftlich, Schriftlich und Schriftlich und Schriftlich, Kamera Audio und mit Moderati- Audio Notationslineare AufKamera onskarten technik zeichnung Interviewer Aufzeich­ nungsart Aus Agentur Panel Erstgespräch Häufigkeit Mehrfachkontakt Zusatzbestandteile Hauptprodukt Was Zusatzprodukte Nein Befragendes Ja Unternehmen ist dem Gesprächs­ partner bekannt 376 Praxishandbuch Produktentwicklung X X X X X X Gruppen­ diskussion X X X X Stammtisch X X X X X Konzept/Idee prüfen Praktikum/ Beobachtung (X) X Sonstige Informationen zum Kunden (Kaufverhalten, Produktnut­ zung et cetera) erfahren (X) (X) X Informationen für die Perspek­ tiven erfahren (X) X X USP-Idee auf Relevanz prüfen Fragebogen (persönlich oder schriftlich) X Treiber, Rah­ menbedingun­ gen, Tätigkeiten, Aufgaben, Probleme, Erfolgsfaktoren, Komplexität erfahren (X) X Werte erfahren X Telefonisch Einzelgespräch Marktsegmen­ tierung X X (X) X X Zufriedenheit und Nutzung von bestehenden Produkten erfahren (zur Produktoptimie­ rung) Tabelle 8: Vergleich der sechs wichtigsten Methoden zur Informationsbeschaffung X Grund für Rück­ sendung bzw. Kündigung erfahren Tabelle 10: Optimaler Gesprächsablauf Voll umgesetzt Teilweise umgesetzt Nicht umgesetzt Es werden nur wenig Fragen gestellt Der Gesprächspartner bestimmt die nächste Frage des Interviewers Den Gesprächspartner in Erlebnisse zurückversetzen Es wird gut zugehört Der Gesprächspartner wird in den Mittelpunkt gestellt Die Fragen sind verständlich Bei Unverständnis wird nachgefragt Nach den Fragen ist auf die ­ ntworten des Gesprächspartners A zu warten und keine Äußerungen ­nachzuschieben Heikle Themen sind zu neutralisieren Den Gesprächspartner ausreden lassen Der Gesprächspartner wird mit Namen angeredet Es werden überwiegend offene ­Fragen gestellt Es werden die Ausführungen des Gesprächspartners zwischendurch zusammengefasst Echotechnik wird eingesetzt Es werden Gesprächsbrücken ­eingesetzt Pausen werden ausgehalten Worte persönlicher Anerkennung fließen mit ein Blickkontakt wird gehalten Anhang 377 Positive Gestik und Mimik Distanzzone wird eingehalten Eigenes Wissen wird zurückgehalten Es wird sich dem Gesprächspartner angepasst Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung werden getrennt Der Gesprächspartner bleibt beim vorgesehenen Thema Eine Gesprächstiefe wird erreicht Es wird positiv formuliert Es wird dem Gesprächspartner immer Recht gegeben Negative Begriffe und Minusformulierungen werden vermieden Das eigene Wissen wird für sich behalten Die Ausführungen des Gesprächspartners werden nicht bewertet Bei nicht eindeutigen Ausführungen wird nachgefragt Fließende Themenwechsel wurden erreicht Über Dritte wird nur positiv ­gesprochen Informationen vorheriger Gespräche behält der Interviewer für sich 378 Praxishandbuch Produktentwicklung Checkliste 2: Vorbereitung Gruppendiskussion Was? Wer ist zuständig? Bis wann zu erledigen? Erledigt Vorbereitung Marktsegment der Teilnehmer wählen Potenzielle Teilnehmer auflisten Moderator und Assistent bestimmen Termin festlegen Raum buchen Raumausstattung bestellen Themen und Ablauf festlegen Moderationskarten erstellen Teilnehmer einladen Bestätigungsbrief versenden Erinnerungsbrief versenden Erinnerungsanruf tätigen Aufgabenverteilung zwischen Moderator und Assistent festlegen Benötigte Utensilien zusammentragen Teilnehmerliste und Namensschilder erstellen Vorbereitung vor Ort Ausrüstung (Flipchart, Pinnwände, Inhalte des Moderatorenkoffers, Leinwand, Aufzeichnungsgeräte) testen Raum gestalten (Tische, Stühle, Hilfsmittel) Bandgerät und Kamera vorab testen und vor Eintreffen der ersten Teilnehmer einschalten Anhang 379 Nach der Veranstaltung Kurzauswertung direkt nach der Gruppendiskussion Dankesbrief und Fragebogen an die Teilnehmer versenden Telefonisch bei Teilnehmern bezüglich des Fragebogens nachfragen Transkript erstellen lassen Auswertung des Transkripts und der Originalaufzeichnungen 380 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 16: Feedbackfragen Frage 1: Wie war Ihr Eindruck von der Veranstaltung? Frage 2: Was hat Ihnen gefallen? Frage 3: Was hat Ihnen nicht gefallen? Frage 4: Wie interessant war das Thema für Sie? Frage 5: Wie empfanden Sie die Moderation? Frage 6: W ie bewerten Sie die Organisation mit den Räumlichkeiten und der Bewirtung? Frage 7: Was können wir in späteren Diskussionsrunden verbessern? Frage 8: Hätten Sie Interesse, noch einmal an einer Gruppendiskussion teilzunehmen? Stellen Sie anschließend einige Fragen zum Geschenk, sofern es ein Produkt aus dem eigenen Haus war. Anhang 381 Formblatt 17: Kurzauswertung • Inhalt kurz zusammengefasst • Organisatorisch Was lief gut? Was ist beim nächsten Gespräch zu optimieren? • Methodisch Der Gesprächspartner war offen Der Gesprächspartner hat die Fragen verstanden Es mussten seitens des Interviewers nur wenige Fragen gestellt werden Zu welchem Zeitpunkt war der Gesprächsfluss gut und wodurch wurde dieses gefördert? Zu welchem Zeitpunkt stockte der Gesprächsfluss? Was hat dazu geführt? Wo hat der Interviewer durch seine Äußerungen (verbal und nonverbal) zu sehr das Gespräch beeinflusst? 382 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 18: Auswertung Lebenswelt und Tätigkeiten bis Komplexität Aussagen Gesprächspartner 1 Aussagen Gesprächspartner 2 … Zusammen­fassung USPAnsatz Lebenswelt Tätigkeiten Aufgaben Probleme Erfolgsfaktoren Komplexität Anhang 383 Formblatt 19: Perspektiven Aussagen Gesprächspartner 1 Aussagen Gesprächspartner 2 … Funktion Struktur Ansprache Produktart Emotion Design 384 Praxishandbuch Produktentwicklung Zusammen­fassung Produkt­ ansätze Formblatt 20: Patenschaft Unternehmen • • • • • • • • • • • • • • • • • Name Anschrift Telefonnummer Fax-Nummer E-Mail-Adresse Homepage Eigentümer Betreibermotiv/Unternehmensziel Branche Produkte Image Stärken Schwächen Marktanteil Werbestrategie/Werbewege Vertriebswege Preisstrategie • • • • • • • • • • Preis Rabatte/Sonderpreise Händlerkonditionen Zahlungsbedingungen Bilanz Umsatz Wareneinsatz absolut und in Prozent Geschäftsergebnis Anzahl der Mitarbeiter Mitarbeiter in den Schlüsselpositionen Wege der Produktentwicklung Lieferanten (inklusive deren Konditionen) Zwischenhändler Mögliche Bestellwege (persönlich, telefonisch, Internet et cetera) Bestelltes Produkt 1 • Zur Bestellung Welche Kundendaten werden eingefordert? Gewählter Bestellweg • Zum Produkt (Beschreibung) USP Funktionen Anhang 385 Struktur Ansprache Produktart Emotion Design Preis • Zur Lieferung Lieferzeit Anschreiben bei der Lieferung: ja/nein? Rechnungsform Worüber geliefert (Post, UPS et cetera)? Kostenlose Beigaben (lag der Lieferung etwas bei?) • Servicetest War die Beratung fachkundig? Reklamationsverhalten (etwas reklamieren und prüfen, wie reagiert wird) Frage nach Rabatten (wie wird seitens des Anbieters darauf reagiert?) Bestelltes Produkt 2 • … 386 Praxishandbuch Produktentwicklung Formblatt 21: Produktkonzept 1.Die Produktidee 2.Der Produktlebenszyklus 3.Der Hauptkunde 3.1 Zur Person • Größe der Kundengruppe • Adressenpotenzial/Zugang zu den Adressen • Erreichbarkeit mit Werbung, Produktpräsentation und Lieferung • Fluktuation innerhalb der Gruppe • Personenbeschreibung o Alter o Geschlecht o Sprache o Nationalität o … (andere Parameter, die für die jeweilige Produktidee von Bedeutung sind) • Berufliches Umfeld o Betrieb/Arbeitgeber – Branche/Wirtschaftszweig – Beschäftigungszahl – Umsatzgröße – Ort – Rechtsform o Beschäftigung – Art der Beschäftigung: angestellt, selbständig – Abteilung – Funktion – Position im Organigramm – Status – Kaufkraft/Entscheidungsrahmen – Erlernter Beruf/Ausbildung, Wissensstand, Qualifikation – Fähigkeiten/Kenntnisse – Befugnisse/Entscheidungsraum o Ausstattung – Einrichtung –Hard- und Software • Privates Umfeld o Familienstand o Unterbringung/wohnhaft – – – – rt: Großstadt, Kleinstadt, ländlicher Raum O Art: Haus, Wohnung Wohnfläche Besitzverhältnis: eigen, gemietet, gepachtet Anhang 387 – Ausstattung/Einrichtung o Einkommen o Verfügbares Guthaben o Art der Investition o Besitz o Kaufkraft, finanzielle Möglichkeiten o Wissensstand/Fertigkeiten o Status, Zugehörigkeit zu Gruppen o Statussymbole o Aufenthaltsorte o Technische Ausstattung o Mitgliedschaften • Rolle des Hauptkunden im Entscheidungsprozess. Wer ist o Zahler o Entscheider o Nutzer o Empfehler o Zwischenhändler 3.2 Die Lebenswelt des Hauptkunden • Werte, Grundmotive, Faszination, Leidenschaft, Denkmuster, Grundhaltungen (innovativ, konservativ), was sie achten/bewundern • Innovationsfreudigkeit/Veränderungsfreudigkeit/Traditionsbewusstsein • Wie sehen sich die Kunden selbst? Wie wollen sie gesehen werden? Wie ist das sich selbst gegebene Image? • Glaubenssätze • Emotionen/Befindlichkeiten • Prägungen (Kindheit, Umfeld, Ereignisse) • Empfindungen/Gefühle • Politische Einstellung 3.3 Die Rahmenbedingungen/Treiber im Umfeld der Hauptkunden • Staat/Politik • Rechtlicher Rahmen o Was? o Welche Konsequenzen? o Kurzfristig oder langfristig? o Zunehmend oder abnehmend? • Zur Verfügung stehende Ausstattung • Konkurrenz o Was? o Welche Konsequenzen? o Kurzfristig oder langfristig? o Zunehmend oder abnehmend? • Trends/Moden 388 Praxishandbuch Produktentwicklung 3.4 Tätigkeiten (je nach Produkt im beruflichen oder privaten Rahmen) • Arbeitsabläufe/Tagesabläufe • Lebensweisen/Lebensstile/Gewohnheiten • Arbeitsweisen/Arbeitsstile • Aufenthaltsorte • Was wird gerne/nicht gerne gemacht? • Kontaktpersonen und das Verhältnis zu ihnen • Was wird gelesen? • Freizeitverhalten • Arbeitsmethoden/Arbeitstechniken • Technikverhalten • Gewohnheiten • Was ist eingefahren (kann nicht geändert werden)? • Wettbewerbsprodukte werden wie genutzt? • Wie leben Ihre Kunden? Wie sieht der Alltag aus? • Wie wird sich der Alltag der Kunden verändern? • Beschaffungsverhalten/Kaufverhalten von Produkten o Welche Produkte werden üblicherweise erworben und eingesetzt? o Welche Marken werden verwendet? Welche Marken sind angesagt und aus welchen Gründen angesagt? o Motive für den Kauf (»nice to have« vs. »must to have«) o Wofür wird wie viel Geld ausgegeben? o Preisgrenzen o Kaufzeitpunkte o Kaufmenge, Kaufzyklus • Kaufverhalten o Beschaffungswege/Kaufvorlieben (Versand, Einzelhandel, telefonisch, Internet) o Zahlungsmoral o Preissensibilität, Preisgrenzen • Nutzungsverhalten von Produkten o Mit welchem Ziel genutzt? o In welchen Situationen eingesetzt? o Welche alternativen Lösungen stehen zur Verfügung? o Welche alternativen Lösungen werden genutzt? o Wie wird es genutzt? o Bei welchen Tätigkeiten/Anforderungen werden die Produkte eingesetzt? o Nutzungsanlass o Nutzungshäufigkeit o Nutzungsintensität (nebenbei oder intensiv) o Nutzungsort o Bevorzugtes Lösungsverhalten o Vorgehensweise bei der Nutzung Anhang 389 3.5 Die Aufgaben (teilweise Überschneidungen zu Tätigkeiten) • Was muss getan werden? • Über- und Unterforderungen • Befugnisse • Verantwortung • Haftung • Gewohnheiten 3.6 Die Probleme/Erfolgsfaktoren • Herausforderungen/Probleme (in der Reihenfolge der Bedeutung) • Zwänge/Ängste • Unzufriedenheit • Freude/Ärger • Lust/Unlust • Überforderungen/Unterforderungen • Feinde/Freunde • Leidensdruck • Woran misst sich der Kunde? • Woran wird der Kunde von Anderen gemessen/beurteilt? • Welche Probleme treten auf? • Wie oft tritt das Problem auf? • Wie tritt das Problem auf (plötzlich oder planbar)? • Wo tritt das Problem auf? • Mit was wird das Problem bis jetzt gelöst? • Wie wird das Problem bis jetzt gelöst? • Wozu werden welche Lösungen benötigt? • Was darf auf keinen Fall passieren? • Folgen bei keiner Lösung des Problems 3.7 Die Wünsche/Interessen (materiell und emotional) • Sehnsüchte • Träume • Ziele (materiell und immateriell; jeweils Reihenfolge listen) 3.8 Die Komplexität • Was löst der Kunde allein? • Was kann der Kunde allein lösen? • Welche Hilfe holt er hinzu? 3.9 Der typische Kunde 3.10 Veränderungen im Umfeld der Kunden im nächsten Jahr und in den nächsten drei Jahren für die Hauptkunden 390 Praxishandbuch Produktentwicklung 4. Die Beschreibung des neuen Produktes 4.1 USP, zusätzliche Nutzenargumente und Produkteigenschaften • USP • Drei weitere Nutzenargumente • Funktionen • Struktur • Ansprache • Produktart • Emotion • Design • Preis/Kondition: • • • o Wie viel erhält der Kunde wofür? o Einheit der Preisangabe (brutto oder netto) o Preismodelle o Kombipreis/Paketpreis o Konditionen für Mittler, Empfehler et cetera o Subskriptionspreis/Einstiegspreis o Preis je Stück, Zeitraummiete, Preis nach Zeitspanne der Nutzung Garantieleistungen Formen des Rückgaberechts Wie kommt der Kauf zustande (telefonisch, schriftlich)? 4.2 Die entscheidende »Killerfrage« »Und warum soll ich das jetzt kaufen?« bzw. »Aus welchen Gründen soll der Kunde das Produkt kaufen?« Nachfolgende vier Fragen ergänzen die Killer-Frage: • • • • Welchen herausragenden Nutzen leistet das Produkt? Was ist der herausragende Vorteil, den andere Produkte nicht leisten? Was behaupten die Wettbewerber von ihren Produkten? Wie können wir die Vorteile des eigenen Produkts den Kunden beweisen? 5. Die Werbung • Produktname, Serienname/Dachmarke • Slogan, Werbeargumente (Nutzen je Perspektive auflisten. Es ist später zu entscheiden, welche Argumente verwendet werden) • Latente/typische Fragen der Kunden auflisten und diese in der Werbung beantworten • Wer sind die »trusted advisors«? • Werbung o Adressat der Werbung (Nutzer/Entscheider/Zahler/Zwischenhändler: meist jeweils unterschiedliche Ansprachen notwendig) Anhang 391 o Werbewege o Werbeträger o Werbezyklus o Werbezeitpunkt o Werbeansprache (rational oder emotional) 6. Die Logistik / Distribution • • • • • • Vertriebswege Einmalig oder laufende Lieferung Lieferinhalt Rechnungsstellung/Bezahlung Bezahlungswege Platzierung des Produkts. Bei welchem Händler ist das Produkt im Angebot? 7. Die Mitbewerber Eigen­ schaften Produk­t­ idee Mit­ bewerber 1 Mit­ bewerber 2 USP Hauptnutzen 1 – 3 Funktion Struktur Ansprache Produktart Emotion Design Preis Vertriebswege 8. Die Kalkulation 9. Der Terminplan 10. Anhang 10.1 Marktsegmentierung 10.2 Marktgespräche 10.3 Patenschaften 392 Praxishandbuch Produktentwicklung … Vergleich Formblatt 22: Prozessmusterwechsel Ansätze zum Prozessmusterwechsel: • Eigene Regeln aufstellen: o Regeln des Preises o Regeln der Versandform o Regeln der sechs Perspektiven eines erfolgreichen Produkts (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart, Emotion, Design) • Prozessmusterwechsel frühzeitig angehen • Das Alte »zerstören« • Spielregeln und Unterscheidungsmerkmale aus anderen Branchen suchen und bezüglich der Übernahme prüfen • Bestehendes mit Bestehendem verbinden • Neue Märkte für bestehende Produkte suchen • Bedürfnisse befriedigen, wo der Kunden noch gar nicht wusste, dass er sie hat • Lösungen liefern, an die der Kunde im Traum nicht gedacht hatte, dass diese erfüllt werden können • Ansätze sind auch bei bestehenden Produkten möglich: o Eigenschaften ersetzen o Übertreiben o Umdrehen o Kombinieren o Eliminieren o Reduzieren o Neue Verfahren • Die eigenen und die Branchen-Regeln hierzu kritisch hinterfragen: o Wer hat die Regeln aufgestellt? o Sind die Regeln immer gültig? o Gelten diese Regeln auch in allen anderen Branchen? Welche Regeln gelten dort? o Dienen die Regeln wirklich den Kunden? o Haben Entscheidungen im Unternehmen dazu beigetragen, dass diese Regeln immer wieder bestätigt wurden und nur deshalb als unumstößlich gelten? • Die Fragen für Prozessmusterwechsel: o Was ist das Problem der Kunden? o Wie wird das Problem in der eigenen Branche zum jetzigen Zeitpunkt gelöst? o In welcher Branche haben die Kunden ein vergleichbares Problem? o Wie hat die Branche das Problem der Kunden gelöst? Aus welchen Gründen funktioniert es hier? o Wie können Sie diese Problemlösung auf Ihr Angebot übertragen? Anhang 393 Formblatt 23: Best Practice, Prozessmusterwechsel und Reduktion der Komplexität entlang der gesamten Wertschöpfungskette • Werbung • Beratung • Angebotspräsentation o Einzelhandel, Internet, Messen/Veranstaltungen, privat o Wie ist der Weg zum Geschäft? o Wie werden das Unternehmen und die Produkte präsentiert? o Passt die Präsentation zum Produkt? o Öffnungszeiten o Ort • Bestellwege o Brief, telefonisch, persönlich, Fax, Mail, Homepage • Auswahl • Kauf/Bestellung o Wie sieht das Angebot aus? o Wodurch fühlt sich der Kunde nach der Bestellung besser? • • • • • Auftragsbestätigung Probenutzung/Produkttext Rückgaberecht Rechnung Bezahlung o Zahlungsbedingungen: Einmalzahlung, Ratenzahlung, Leasing/Miete o Zeitpunkt der Bezahlung: Vorkasse, bei Lieferung, X Tage nach Lieferung o Bezahlungswege: Kreditkarte, Abbuchung, Überweisung, per Nachname, Rechnung, Internet (z.B. Paypal) • Wartezeit o Schnelligkeit der Lieferung o Gegebenenfalls künstliche Wartezeiten • Produkt o Funktion o Struktur o Ansprache o Produktart o Emotion o Design • Zusatzleistungen • Preis o Preisvarianten o Preismodelle • Lieferung/Übergabe o Lieferart 394 Praxishandbuch Produktentwicklung o Lieferzeitpunkt o Neue Vertriebswege o Erklärung des Produktes bei Lieferung • • • • Installation/Endmontage Mahnwesen Garantie Service o Wie ist die Erreichbarkeit des Kundenservice? o Werden bei jedem Kontakt den Kunden Fragen zur Nutzung und weiteren Bedürfnissen gestellt? o Wo sind die Kontaktmöglichkeiten veröffentlicht? o Was beinhaltet der Service o Kosten für Telefonservice o Kundenkarte o Schulungen der Kunden • Wartung/Reparatur/Schadensfall o Ist zum Beispiel auch eine fehlerhafte Bedienung durch den Kunden versichert? o Verhalten bei Beschwerden (Kulanz) o Reaktionszeit o Dauer bis Reparatur erfolgt o Austauschgerät innerhalb von X Stunden/Minuten • Update o Sind Aktualisierungen des Produktes inbegriffen? • Entsorgung o Wird das Produkt zur Entsorgung abgeholt? o Kostenfreie Entsorgung durch den Hersteller? Anhang 395 Formblatt 24: Umsetzung bei den eigenen Produkten Machen Sie aus Ihren nutzwertigen Produkten ein Erlebnis und eine Traumerfüllung, indem Sie 1. die emotionalen Treiber bei Ihren Kunden herausfinden; 2. eine Liste erstellen, welche Emotionen ausgelöst werden sollen, welche Träume geweckt und erfüllt werden; 3. ein Team zusammenstellen, das für die Einbettung von Emotionen und Träume zuständig ist; 4. das Produkt mit Emotionen aufladen, die die Kunden ins Herz treffen und träumen lassen; 5. überlegen, ob das Produkt limitiert ist oder eine Wartezeit für den Kunden angesetzt wird; 6. mit den Produkten Bilder und Filme in den Vorstellungen Ihrer Kunden erzeugen; 7. noch etwas Elfenstaub auf das Produkt verstreuen; 8. neben dem USP auch den ESP festlegen; 9. die Werbung auf den Traum und die Emotionen der Kunden ausrichten; 10. die Marke um den Traum gestalten, nicht um das Produkt; 11. nicht ruhen, bevor nicht mindestens die Hauptprodukte auf der obersten Stufe der Wertschöpfungspyramide stehen. 396 Praxishandbuch Produktentwicklung Geistreiches und Zitiertes zu den Kapiteln des Buches Zu Kapitel 2: Das ist tuwun® »Der Kunde kommt nicht zu Ihnen, wenn Sie nicht vorher zu ihm gehen.« Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde »Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ist es möglich, durch die Kontrolle von Wissen märchenhaft reich zu werden.« Bill Gates »Das Geheimnis des Erfolgs ist, den Standpunkt des anderen zu verstehen.« Henry Ford »Das Zuhören ist der unerlässliche erste Schritt, um Zugang zum Kunden zu finden. Voraussetzung für den geschäftlichen Erfolg ist die Entdeckung der Bedürfnisse und der individuellen Situation jedes einzelnen Kunden. Es gibt verblüffende Parallelen zwischen einer Kundenbeziehung und einer romantischen Beziehung: In beiden Fällen geht es darum, die Wünsche einer anderen Person zu verstehen.« Joseph A. Michelli in Das Starbucks-Geheimnis »Das Zuhören ist nur ein Teil der Bemühung, Zugang zum Kunden zu finden. Ein Unternehmen muss auch die einzigartigen Bedürfnisse jedes einzelnen Kunden verstehen, um anschließend einen Weg zur Erfüllung dieser Bedürfnisse zu finden.« Joseph A. Michelli in Das Starbucks-Geheimnis »Wissen ist Macht.« Francis Bacon »Echter Dialog bringt oft mehr als Marktforschung.« Hannes Kunz in Beziehungsmanagement »Um zu überleben und Erfolg zu haben, müssen Sie sich mit der tödlichsten aller Waffen ausstatten: Wissen.« Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever »Wissen über die Kunden ist die Währung, die alle anderen sticht.« Christopher Vollmer und Geoffrey Precourt in Always On Anhang 397 »Sie wollen interessant sein? Seien Sie interessiert.« Paul Arden in Egal, was Du denkst, denk das Gegenteil »You can make more friends in two month by becoming interested in other people than you can in two years by trying to get other people interested in you.« Dale Carnegie »›Das war ein gutes Gespräch‹, sagt immer der, der am meisten geredet hat.« Peter Hohl »Du musst nicht alles wissen, aber du musst wissen, wer es weiß.« Henry Ford »Ein Weiser gibt nicht die richtigen Antworten, sondern er stellt die richtigen Fragen.« Claude Levi-Strauss »Wenn ich am Ende des Tages nicht mehr weiß als beim Aufstehen, dann frage ich mich: Was habe ich heute versäumt? Werde ich faul? Ich bin ein disziplinierter Mensch, daher bringt mich schon allein der Gedanke in Rage.« Donald Trump in Trump. Wie man reich wird »Wer nicht ständig im Gespräch mit dem Kunden ist, hat am Markt bald nichts mehr zu sagen.« Horst Skoludek »Es geht längst nicht mehr darum, den Kunden zuzuhören. Es geht darum, die Kunden auf den Fahrersitz zu setzen … und ihnen die Autoschlüssel zu geben.« Tom Peters in Der Innovationskreis »Soft-buying statt Hard-selling.« unbekannt »Vergessen Sie nie, dass die Einbeziehung Ihrer Kunden als ›Mit-Entwicklerinnen, Mit-Begründerinnen‹ das Klügste ist, was Sie tun können.« Faith Popcorn in EVAlution »Unsere besten Gedanken liefern uns die anderen.« Ralpf W. Emerson 398 Praxishandbuch Produktentwicklung »Der Analyst/Problemlöser, der fest entschlossen ist, ständig direkten Kontakt zu den Leuten der vordersten Linie zu halten, ist der Konkurrenz stets zehn volle Schritte voraus.« Tom Peters in Top 50 – Selbstmanagement »Wie man seine Kunden verstehen lernt. 1. Geheimnis: Listen to the customers. 2. Geheimnis: Listen to the customers. 3. Geheimnis: Listen to the customers.« Feargal Quinn Zu Kapitel 3: Grenzen von tuwun® »Der Blick in den Rückspiegel ist kein Navigationssystem.« Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde »Am meisten Geld verdienen wir mit Geschäftsideen, die der Kunde braucht, aber von denen er noch nicht weiß, dass es sie gibt.« Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde »Unsere Aufgabe ist es, dem Kunden innerhalb des Zeit- und Kostenrahmens nicht das zu geben, was er will, sondern etwas, wovon er niemals auch nur geträumt hätte, es überhaupt zu wollen. Und wenn er es dann bekommt, erkennt er es als das, was er eigentlich schon immer wollte.« Sir Denys Lasdun »If I had asked customer what they wanted they have told me they want faster horses.« Henry Ford Zu Kapitel 4: Dann ist tuwun® einzusetzen »Auf den Datenautobahnen der Wissensgesellschaft gibt es keine Parkplätze mehr. Nur noch Schrottplätze für die Gewissheiten von gestern.« Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich »Ein Marktführer muss lernen, die Innovation zur Routine zu machen.« Philip Kotler »Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.« George Bernard Shaw Anhang 399 Zu Kapitel 5: Methoden der Informationsbeschaffung »Lieber den Kunden kennen, als die Studien über die Kunden.« Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich »Beurteile die Menschen nicht nach dem, was sie reden, sondern nach dem, was sie tun. Aber wähle für deine Beobachtung solche Augenblicke, in welchen sie von dir unbemerkt zu sein glauben.« Freiherr von Knigge »Die beste Weise, Fische zu beobachten, besteht darin, selbst zum Fisch zu werden.« Jacques-Yves Cousteau »Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann sind es Urteile von der Tribüne aus, man muss schon selbst in den Ring steigen.« Luca di Montezemolo »Die besten Ideen kommen mir, wenn ich mir vorstelle, ich bin mein eigener Kunde.« Charles Lazarus Zu Kapitel 9: Die sieben Bestandteile eines erfolgreichen Produkts »… dass die meisten Leser nicht durch den angebotenen Inhalt, sondern durch den Titel eines Buches zum Kauf veranlasst werden. Und seien Sie ehrlich: Hätten Sie dieses Buch gekauft, wenn es statt ›Denke nach und werden reich‹ ›Lebensansichten eines alten Virginiers‹ geheißen hätte?« Napoleon Hill in Denke nach und werde reich »Me too = me dead.« Tom Peters »Perfektion ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann.« Antoine de Saint-Exupéry »If you can’t write your idea on the back of my calling card, you don’t have a clear idea.« David Belasco 400 Praxishandbuch Produktentwicklung »Der beste Weg, sich einen Platz im Verbraucherbewusstsein, das etwas gegen komplizierte Dinge und gegen Chaos hat, zu sichern, besteht darin, die Botschaft extrem zu vereinfachen.« Jack Trout in Differenzieren oder verlieren »Wenn es nichts Besonderes und Außergewöhnliches gibt an deiner Arbeitsleistung, wird es künftig sehr schwer sein, beachtet zu werden und daher auch sehr schwer werden, für etwas bezahlt zu werden.« Karl Pilsl in Die 10 Haupttrends der aus den USA kommenden Wirtschaftsrevolution »Bei Immobilien geht es um die Lage, die Lage und noch einmal die Lage. Im Verkauf geht es um Differenzierung, um Differenzierung und noch einmal um Differenzierung.« Robert Goizuete Zu Kapitel 10: Die Fragetechnik »Jedes überflüssige Wort wirkt seinem Zweck gerade entgegen.« Schopenhauer »Der kluge Fragetechniker bestimmt die Bilder, die das Denken des Kunden jetzt steuern.« Vera F. Birkenbihl in Fragetechnik schnell trainiert »Es ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit: Reden ist billig, weil das Angebot sehr viel größer ist als die Nachfrage. Je weniger Sie sagen, desto besser werden sich Ihre Zuhörer daran erinnern.« Robert Mayer in Der Verhandlungskünstler »Wer sich des Fragens schämt, der schämt sich des Lernens.« Christoph Lehmann »Die häufigsten Fehler im Management entstehen dadurch, dass man sich zu sehr damit beschäftigt, die richtigen Antworten zu finden, statt nach den richtigen Fragen zu suchen.« Peter F. Drucker »Wer neue Antworten will, muss neue Fragen stellen.« Sir Peter Ustinov Anhang 401 Zu Kapitel 12: Die Marktsegmentierung »Das Kerngeschäft jedes erfolgreichen Unternehmens ist der Mensch.« Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde »Zielgruppen sind Menschen mit gleichen Wünschen, Problemen und Bedürfnissen.« Kerstin Friedrich in Empfehlungsmarketing »Geografie und Absatzvolumen waren vielleicht früher einmal nützliche Platzhalter für Kundenpräferenzen und Zahlungsbereitschaft, doch wir mussten allzu häufig feststellen, dass dieser Zusammenhang schon lange nicht mehr existiert.« Hermann Simon in Der gewinnorientierte Manager »In den letzten Jahren führten 90 Prozent meiner Verkaufsgespräche zu Abschlüssen. Und keiner der dafür ausschlaggebenden Gründe spielte eine solch große Rolle wie mein Wissen, dass es keine Unternehmen gibt, sondern nur Menschen.« Bob Fifer in Was zählt ist der Gewinn Zu Kapitel 15: Die Auswahl der Interviewer »Wir könnten viel gewinnen, wenn wir jeden Morgen Gott bitten würden: Hilf mir, dass ich den Mund halte, bis ich alles Nötige erfahren habe.« amerikanischer Versicherungsmakler zum Thema Zuhören »Jedes Zeichen von Schwäche ist ein Zeichen von Stärke.« Rolf H. Ruhleder »Unwissenheit ist besser als Wissen.« Paul Arden in Egal, was Du denkst, denk das Gegenteil »Es sind schon mehr Personen über ihre Zunge gefallen als über ihre Füße.« unbekannt »Ich bin viel zu bescheiden. Nur außer mir weiß es keiner.« unbekannt 402 Praxishandbuch Produktentwicklung Kapitel 17: Die Gesprächsvorbereitung »Man muss wissen, was man wissen will und was man mit dem Wissen anstellen will.« Holger Jung und Jean-Remy von Matt in Momentum Zu Kapitel 18: Der Einstieg in ein persönliches Marktgespräch »Der erste Eindruck ist entscheidend – und der letzte bleibt.« unbekannt »Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.« unbekannt »Wie Sie starten, so liegen Sie im Rennen.« unbekannt »Des Menschen Wunsch nach Anerkennung ist grenzenlos, sein Wunsch nach plumpen Schmeicheleien dagegen nicht.« Gabriele Stöger und Hans Stöger in Es muss ja nicht gleich Liebe sein Zu Kapitel 19: Der Hauptteil eines persönlichen Marktgesprächs »Geben Sie ihm eine Maske und der Mensch sagt die Wahrheit.« Oscar Wilde »Laut zu sprechen ist eine Gewohnheit. Laut zuzuhören ist eine Kunst.« Robert Mayer in Der Verhandlungskünstler »Dinge wahrzunehmen ist der Keim der Intelligenz.« Lao Tse »Vom Schweigen schmerzt die Zunge nicht.« unbekannt »Der Herrgott gebe Ihnen die Kraft, auch einmal den Mund zu halten.« Rolf H. Ruhleder »Gut reden können viele – gut zuhören fast keiner.« unbekannt »Statt ›Reden ist Silber, schweigen ist Gold‹ besser ›Reden ist Silber – Zuhören ist Gold‹.« unbekannt Anhang 403 »Klug zu reden ist oft schwer. Klug zu schweigen noch viel mehr.« Wilhelm Busch »Der beste Weg, andere an uns zu interessieren, ist der, an ihnen interessiert zu sein.« unbekannt »Sie müssen anderen Menschen etwas mitbringen, was diese dringend brauchen und selbst nicht in dieser Weise können. Dann sind Sie attraktiv.« Karl Pilsl in So komme ich zu meinem Traumjob »Eine Schlussfolgerung bezeichnet den Punkt, an dem man des Denkens müde wurde.« unbekannt Zu Kapitel 23: Die Patenschaften »Marketing ist heute die Anwendung von Clausewitz auf Marmelade. Kriegsführung mit anderen Mitteln.« Klaus Kobjoll »Wer sich ständig mit anderen vergleicht, wird vor allem eines: gleicher.« Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich »Genius is the ability to assemble in new forms what already exists.« Donald J. Trump in Think Like a Billionaire »Es ist egal, woher Sie Dinge nehmen. Wichtig ist, wohin Sie sie tragen.« Jean-Luc Godards »Alle Kreativen klauen. Aber Sie klauen nicht vor der eigenen Haustür. Sie klauen irgendwo anders und gelten so als Pioniere im eigenen Bereich.« Klaus Kobjoll »Don’t imitate – innovate.« unbekannt »Prügle nicht auf die Konkurrenz ein. Die hat meistens mehr davon als du. Du bekommst vielleicht Aufmerksamkeit, vielleicht sogar einen Preis, aber vermutlich bringt es dir keinen weiteren Vorteil. Es geht auch viel einfacher.« Paul Arden in Es kommt nicht darauf an, wer Du bist, sondern wer Du sein willst 404 Praxishandbuch Produktentwicklung »Unternehmen müssen mit Ihren Mitbewerbern richtig umgehen, indem sie ihre Stärken meiden und ihre Schwächen ausnutzen.« Jack Trout in Trout über Strategie »Wer klug ist, lernt auch von seinen Feinden.« Aristoteles Zu Kapitel 24: Die Schritte zur USP-Definition »Große Gedanken brauchen nicht nur Flügel, sondern auch ein Fahrgestell zum Landen.« Neil Armstrong Anhang 405