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Praxishandbuch Produktentwicklung
Zusatzkapitel
Arno Langbehn ist Geschäftsführer der B. Behr’s GmbH & Co. KG, dem
führenden Informationsanbieter in der Lebensmittelindustrie. Er beschäftigt sich seit über 15 Jahren intensiv mit nutzwertorientierter Produktentwicklung und hat mit tuwun® eine Vorgehensweise entwickelt, durch die
der Erfolg von Unternehmen deutlich gesteigert wird.
Arno Langbehn
Praxishandbuch
Produktentwicklung
Grundlagen, Instrumente und Beispiele
Zusatzkapitel
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-593-39201-1
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt
insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright © 2010 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
Satz: Fotosatz L. Huhn, Linsengericht
Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
Inhalt
1. Entwicklung über Jahrzehnte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Produktentwicklung früher bis heute . . . . . . . . . . . . . 3.Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service . . 4. Marketing, Werbung und Verkauf . . . . . . . . . . . . . . 5. Warum Kunden kaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kundenerwartungen heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kundennutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Prozessmusterwechsel und Komplexität . . . . . . . . . . . 9. Preisfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Fokussierung: spitz statt breit . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Zukunftsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Design . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Trend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Ihre Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Die Umsetzung im Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
12
48
55
69
74
83
97
135
190
219
236
266
276
306
307
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Anhang
Der Fragenkatalog – Anhang zum Kapitel Fragetechnik . . . . . . Formblatt 1: Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 2: No-Report . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 3: Ideenblatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 4: Außendienstbesuche . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 5: Verkaufsgespräche in den eigenen Räumen . . . . Formblatt 6: Vertriebsagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 7: Händler im Massengeschäft . . . . . . . . . . . Formblatt 8: Messen, Kongresse und Seminare . . . . . . . . . 335
353
354
356
357
359
360
361
362
Formblatt 9: Interne Auswertung von Postkorbanalysen . . . . Formblatt 10: Produktbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 11: »Zufällige« Gespräche . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 12: Gesprächsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 13: Kriterien für den Interviewer . . . . . . . . . . . Checkliste 1:Quellen zu Vorabinformationen über den
Gesprächspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 14: Gesprächsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 15: Informationen zum Gespräch . . . . . . . . . . . Tabelle
7: Varianten der Informationsbeschaffung . . . . . Tabelle
8:Vergleich der sechs wichtigsten Methoden zur
­I nformationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . Tabelle 10: Optimaler Gesprächsablauf . . . . . . . . . . . . Checkliste 2: Vorbereitung Gruppendiskussion . . . . . . . . . Formblatt 16: Feedbackfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 17: Kurzauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 18:Auswertung Lebenswelt und Tätigkeiten bis
Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 19: Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 20: Patenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 21: Produktkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 22: Prozessmusterwechsel . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 23:Best Practice, Prozessmusterwechsel und Reduktion
der Komplexität entlang der gesamten
Wertschöpfungskette . . . . . . . . . . . . . . . Formblatt 24: Umsetzung bei den eigenen Produkten . . . . . . Geistreiches und Zitiertes zu den Kapiteln des Buches . . . . . .
363
364
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396
397
Kapitel 1
Entwicklung über Jahrzehnte
Eine von Nikolai Dmitrijevich Kondratieff entwickelte Theorie zur zyklischen Wirtschaftsentwicklung beschreibt den Wechsel zwischen wirtschaftlichen Auf- und Abschwüngen jeweils mit einer Wellenlänge von
circa 50 Jahren. Zweieinhalb Wellen grundlegender Veränderung konnte
er bereits für seine Theorie auswerten, die folgenden Wellen (ohne festzulegen, was diese beinhalten) hatte er prognostiziert.
Weltweites Wachstum hängt nicht von den politischen Rahmenbedingungen ab. Jeder Aufschwung war durch ein Grundbedürfnis des Menschen und der daraus resultierenden Durchbruchinnovation beziehungsweise Basisinnovation in diesen Zeitspannen getrieben, die die Welt
nachhaltig verändert haben. Länder, die diese Durchbruchinnovationen
genutzt haben, hatten einen Aufstieg und wurden jeweils in ihrer Epoche
zu einer Weltmacht. Die Durchbruchinnovation der Dampfmaschine zum
Beispiel nutzte insbesondere England. Wenn die Optimierung der jeweiligen Innovation kein Wachstum mehr brachte, kam es zum Abschwung.
Eine Erhöhung der Produktivität bei Textilmaschinen im ersten Zyklus
brachte nichts. Der Transport war das Limitierende, da die produzierte
Kleidung nicht an die Kunden verteilt werden konnte. Dieser gelang mit
der Eisenbahn (2. Zyklus).
Die Zyklen
Zu beobachten sind 25 Jahre Aufwärtsbewegung, Scheitelpunkt und
anschließend 25 Jahre Abwärtsbewegung.
Entwicklung über Jahrzehnte  7
Tabelle 1: Die Zyklen
Zyklus
Hochpunkt
Zeitspanne
Durchbruchinnovation
Auswirkungen
1
1825
1800 –
1850
Dampfmaschine, hauptsächlich in der Textilindustrie eingesetzt
Bekleidung, Erleichterung der Arbeit,
starke Steigerung
der Produktivität
2
1875
1850 –
1900
Eisenbahn (Dampfmaschine auf Schienen)/
Stahl/Schifffahrt
Transport (Verfügbarkeit von Ressourcen)
3
1925
1900 –
1950
Elektrotechnik/Chemie
Massenproduktion/
Massenkonsum
4
1960
1950 –
1980
Automobil/Petrochemie
Individuelle Mobilität
5
2000
1980 –
2020
Informationstechnik/
Computer
Zugang zu
Informationen,
Globalisierung,
­Kommunikation
Aktueller Zyklus
Wir befinden uns gerade im Abwärtsgang. Durch die Optimierung der
letzten Basisinnovation (Informationstechnik) ist keine nennenswerte
Produktivitätssteigerung mehr möglich. Auch ein hundertmal schnellerer
Computer erhöht die Produktivität des Menschen nicht mehr drastisch.
Der begrenzende Faktor ist heute die Produktivität des Menschen. Früher
galt: Maschinen sind Investitionen, Menschen sind Kosten. Denn Maschinen haben die Produktivität gesteigert. Für die Zukunft gilt: Maschinen
sind Kosten, Mitarbeiter sind Innovationen. Der limitierende Faktor im
21. Jahrhundert sind die Mitarbeiter.
Die heutige Entwicklung ist unter Berücksichtigung der KondratieffZyklen nichts Besonderes. Diese Umbrüche und Veränderungen gab es bei
jeder Durchbruchinnovation, sei es der Wechsel von der Agrar- zur Industriegesellschaft beziehungsweise der Wechsel dieser zur Wissensgesellschaft.
• Agrarzeitalter (Agrarwirtschaft): Es galt die Macht der Gewalt, die
Mehrheit der Bevölkerung arbeitete in der Landwirtschaft. Reichtum
war abhängig vom Landbesitz;
8  Praxishandbuch Produktentwicklung
• Industriezeitalter (Industriewirtschaft): Wer Kapital hatte, hatte die
Macht. Die meisten arbeiteten in Fabriken;
• Informationszeitalter (Wissensgesellschaft): Die Macht der Information (insbesondere über den Kunden). Heute ist Wissen das größte Kapital und der ausschlaggebende Faktor. Die meisten sind »Kopfarbeiter«.
Hier schlägt die Informationsmacht die Macht des Kapitals. Es werden nur noch die Anbieter Erfolg haben, die über ein weites und tiefes
Informationsnetz verfügen. Der wertvollste Rohstoff für die Anbieter
sind die Informationen über ihre Kunden. Ein Rohstoff, der nie weniger
wird. Er ist wertvoll und hat einen größeren Wert als Produktionsanlagen, wenn diese Informationen zur Produktentwicklung eingesetzt werden. Je tiefgehender und aktueller die Informationen sind, desto wertvoller sind sie. Denn so ist eine gezielte Produktentwicklung möglich
und somit auch der Erfolg des Unternehmens. Wissen ist die Währung
der Zukunft. Wenn nun eingewendet wird, das Beschaffen von Wissen
über die Kunden sei teuer, dann sollten diese Unternehmen es mal mit
Unwissenheit versuchen. Das wird teuer!
Jeweils von einer Stufe zur nächsten wurden alle bisher geltenden Spielregeln auf den Kopf gestellt.
Der nächste Zyklus
Die nächste Welle beziehungsweise Wellen ab circa 2020 könnten sein:
Gentechnologie, Biotechnologie, Nanotechnologie, regenerative Energien,
Gesundheit/Fitness. Dies ist unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen. Entscheidend für den Wohlstand und das Wachstum sind
auch hier Durchbruchinnovationen. Schon in der Vergangenheit ist zu
beobachten, dass diese Zyklen immer kürzer werden. Die Geschwindigkeit der Veränderung nimmt weiter zu.
Wie in den Abschwungphasen reagiert werden kann
Nutzen Sie die letzte Durchbruchinnovation. Es sind die Rahmenbedingungen zu nutzen, die in der Aufschwungphase aufgebaut worden sind.
Zum Beispiel waren diejenigen erfolgreich, die in der Aufschwungsphase
Entwicklung über Jahrzehnte  9
des zweiten Zyklus Eisenbahnaktien gekauft hatten. Die, die in der
Abschwungphase noch Eisenbahnaktien hatten, gingen bankrott. In der
Abschwungphase haben die Unternehmen Geld verdient, die das, was die
Eisenbahn ermöglicht, genutzt haben: Infrastruktur, Warentransport et
cetera. Dies ist vergleichbar mit der heutigen Nutzung der Infrastruktur
der letzten Durchbruchinnovation: dem Internet (Vernetzung). Wenn es
den Unternehmen gelingt, heute das Internet im Sinne ihrer Kunden sinnvoll zu nutzen, können daraus erhebliche Gewinne entstehen. Sinnvoll
bedeutet, Internet in das Angebot und den Vertrieb aus der Sicht des Kunden nutzvoll zu integrieren (zum Beispiel Waren weltweit online anbieten).
Man sollte nicht technikverliebt alles über das Internet erledigen, nur weil
man fortschrittlich sein will.
Manche glauben, diesen zyklischen Wandel aufhalten zu können. Doch
das ist unmöglich, wie bereits die letzten Jahre zum Beispiel im Bereich
des Internets gezeigt haben. Die jetzige Dramatik im Wandel war sicherlich auch in den vorherigen Zyklen vorhanden. So brachte beispielsweise
auch der Übergang der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft viele
Gewinner hervor – auf der anderen Seite aber auch viele, die am Bestehenden festhalten wollten und so zu den Verlierern gezählt haben.
Wachstumsschübe innerhalb der Zyklen
Innerhalb der Zyklen gab es jeweils ein Thema, das ein Jahrzehnt dominiert
hat. Die Unternehmen, die dieses Thema am besten umgesetzt und professionalisiert haben, sind am stärksten gewachsen. Die Themen waren:
• 50er Jahre: Produktion/Produktivitätssteigerung bei ausschließlicher
Produktorientierung;
• 60er Jahre: Unternehmen konkurrierten überwiegend im Verkauf
(»no sales, no job«). Es galt die 3-Hauen-Methode: Kunden anhauen,
umhauen, abhauen sowie die 4 P (Product, Price, Promotion, Place). Es
war die Absatzära mit Verkaufsorientierung. Überreden war angesagt,
nicht so sehr das Überzeugen;
• 70er Jahre: Strategie;
• 80er Jahre: Konkurrenz über Qualität, ISO;
• 90er Jahre: Kundenservice (»no service, no job«);
• Jahr 2000ff.: Kundennutzen, Kundenbegeisterung, Erlebnisse, Emotionen; der Mensch steht als Individuum im Mittelpunkt. Nachdem so
10  Praxishandbuch Produktentwicklung
vieles optimiert wurde (die Produktion, der Verkauf, die Qualität und
so langsam auch der Kundenservice), werden in Zukunft die Unternehmen am erfolgreichsten sein, die den Menschen in den Mittelpunkt
stellen und ihnen maximalen Nutzen liefern. Das Hauptprodukt muss
den Nerv treffen: »need to have« beziehungsweise »must have« statt
»nice to have«. Die vorherigen Stufen sind jeweils Grundvoraussetzung,
um im Markt »mitspielen« zu dürfen. Es sind Hygienefaktoren, mehr
nicht.
Geistreiches und Zitiertes
»Informationsmacht über die Lebenskonzepte Ihrer Interessensgruppe entscheidet über die Zukunft.«
Edgar K. Geffroy in Das Einzige, was stört, ist der Kunde
Entwicklung über Jahrzehnte  11
Kapitel 2
Produktentwicklung früher bis heute
Produktentwicklung früher
Das Unternehmerdenken bestand überwiegend aus dem Verkauf, der
Umsatzerhöhung, der Kostensenkung, dem Gewinn, dem Qualitätsmanagement, den Datenbanken, dem Einkauf, der Produktion, den Lieferanten,
dem Kundenservice, der Personalabteilung, der Logistik, dem Marketing,
dem Outsourcing, der Technik, der Prozessoptimierung und der Produktivitätssteigerung. Diese Begriffe standen im Mittelpunkt – nicht so sehr
die Bedürfnisse der Kunden. Somit waren Kenntnisse in der Produktion
notwendig, weniger die über die Kunden. Nur sind diese Faktoren fast
alle komplett ausgereizt. Jeder Prozess ist bereits mehrfach optimiert
und restrukturiert, die Outsourcing-Grenzen sind erreicht beziehungsweise bereits überschritten. Es flossen fast keine Gelder und Zeit in die
Entwicklung von Produkten, die wirklich den Bedürfnissen der Kunden
entsprechen, stattdessen wurde immer mehr in die psychologische Beeinflussung der Käufer mittels Werbung investiert.
In der Produktentwicklung galt folgende Einstellung:
• Wir wissen, was die Kunden wollen. Das weiß niemand besser als wir.
Wir brauchen keine Anregungen von außen;
• unsere Produktentwicklung hat in der Vergangenheit funktioniert. Wir
machen weiter wie bisher;
• für andere Märkte übernehmen wir unsere bestehenden Produkte;
• wir wissen, was gut für die Kunden ist, wir müssen sie nur überzeugen
und es ihnen verdeutlichen. Doch: Die Anbieter haben keinen Therapieauftrag, sondern den Auftrag zu Bedürfnisbefriedigung durch Produkte.
Seit Millionen von Jahren haben die Lebewesen am besten überlebt,
die sich ihrer Umwelt angepasst haben. Je besser die Anpassung verlief,
desto besser konnten sich die Lebewesen entfalten. Kein Lebewesen hat
bis jetzt versucht, die Umwelt an die eigenen Vorstellungen anzupassen.
Fragt sich nur, warum die Produktentwickler es immer wieder versuchen
12  Praxishandbuch Produktentwicklung
beziehungsweise versucht haben, die Kunden ihren eigenen Vorstellungen
anzupassen.
Die Produktentwicklung wurde an folgenden Rahmenbedingungen im
eigenen Unternehmen ausgerichtet:
•
•
•
•
•
•
•
technische Möglichkeiten im Herstellungsbetrieb;
interne Abläufe;
finanzielle Vorgaben und Möglichkeiten im Herstellungsbetrieb;
Kenntnisse der eigenen Mitarbeiter;
bestehende Vertriebsschienen;
Ideenpotenzial der Mitarbeiter;
Zeit- und Budgetvorgaben in der Jahresplanung.
Die Kundenkontakte waren auf den Verkauf und den Service (Wartung et
cetera) beschränkt. Somit lagen im Unternehmen von den Kunden nur der
Name, die Anschrift, die Kaufhistorie, das Zahlungsverhalten und gegebenenfalls noch die Unternehmensgröße beziehungsweise die Familien­
größe, die Funktion, der Beruf und das Geburtsdatum vor.
Manche Anbieter waren sich mit dieser Vorgehensweise nun doch nicht
so sicher und testeten ihre Ideen erst einmal. Sie boten auf gut Glück an
und warteten das Ergebnis ab. So zum Beispiel bei dem Supermarkt, in
dem neue Öffnungszeiten (täglich ab 7:00 Uhr geöffnet) über einen Zeitraum von vier Wochen getestet wurden. Mit einer gründlichen Marktrecherche und Gesprächen mit den Kunden hätte in Erfahrung gebracht
werden können, ob die Kunden diese neuen Öffnungszeiten wollen oder
nicht. Scheinbar wollten die Kunden sie nicht, denn einige Monate später
war der Supermarkt geschlossen.
Das Ergebnis dieser Vorgehensweise: über 80 Prozent der neuen Produkte sind ein Jahr nach der Einführung nicht mehr auf dem Markt. Und
das Schlimmste ist, dass diese Quote in den letzten Jahren trotz CRM
und Datenbanken weiter anstieg. Einige Produkte werden gar nicht wahrgenommen, andere – sogenannte Flashprodukte – kommen bei den Kunden über den Erstkauf nicht hinaus.
Der Verkäufermarkt
Noch vor einigen Jahrzehnten gab es einen Verkäufermarkt. Die Nachfrage
war größer als das Angebot. Somit brauchten die Anbieter nur zu produzieren, der Markt wurde anschließend gefunden und das Produkt erfolgreich
verkauft. Entsprechend mussten die Produkte weniger den individuellen
Produktentwicklung früher bis heute  13
Kundenwünschen angepasst sein. Dieses Verfahren ist sehr effizient und
war auch erfolgreich, so lange die Nachfrage größer war als das Angebot.
Auch wurden die Kunden entsprechend von den Verkäufern behandelt.
So wurden zum Beispiel Interessenten für Luxusautos vom Verkaufspersonal von oben bis unten gemustert, um festzustellen, ob sie es wert sind,
ein so tolles Auto zu besitzen. Wenn ja, durfte der Kunde bis zu zwei Jahre
auf sein Modell warten. Individuelle Wünsche waren eingeschränkt möglich. Um immer das neueste Modell zu fahren, bestellten viele den Wagen
schon bevor das Modell herauskam. Waren das noch schöne Zeiten! Das
hat sich komplett gedreht, auch wenn dies bei so manchem Autoverkäufer
noch nicht im Bewusstsein angekommen ist.
Der Weg zu Ideen
Wenn die Verkäufer früher mit Anregungen von ihren Kunden zurückkamen, wurden diese meist als Hirngespinste abgetan. Die Mitarbeiter
meinten – und meinen es heute teilweise immer noch –, selbst die besten
Ideen zu haben, was die Kunden wollen. Ideen wurden morgens unter der
Duschen entwickelt, während der Autofahrt, die Inspiration kam beim
Kindergeburtstag, es wurde im Archiv der Produktflops gestöbert und
Ähnliches. Die Produktentwickler projizierten eigene Bedürfnisse auf
die Kunden. Hinzu kamen interne Meetings, in denen die Mitarbeiter
(Geschäftsführer, Marketing, Produktentwickler) mit oder ohne auserwählten Experten die Ideen am runden Tisch zusammentrugen, die
dann das Produkt und dessen Eigenschaften ausmachten. Entwickelt
wurde, was die eigenen technischen Möglichkeiten hergaben und dem Ego
der Produktentwickler entsprach. Die Mitarbeiter entschieden. Die Produktentwicklung war nach innen gerichtet. Messen und andere Termine
bestimmten den Termin der Fertigstellung. Wenn die Zeit eng wurde,
wurde auf Teufel komm raus produziert. Liefen die Herstellungskosten
aus dem Ruder, wurden Eigenschaften und Funktionen gestrichen und/
oder die Preise erhöht. Die fertigen »Innovationen« wurden dem Vertrieb
vorgelegt mit der Maßgabe: »Das Produkt ist genial, ihr müsst jetzt nur
noch verkaufen«. Ob der Interessent es überhaupt will, stand jedoch auf
einem anderen Blatt. Man hielt das für seine tolle Inspiration. Doch ein
Punkt wurde dabei häufig übersehen: erfolgreiche Produktentwicklung
ist nur zu 10 Prozent Inspiration und zu 90 Prozent Transpiration, eine
schweißtreibende systematische Vorgehensweise. Die Produktentwicklung
ist ein Handwerk. Die erfolgreichen Produkte basieren nicht auf plötz­
14  Praxishandbuch Produktentwicklung
lichen Eingebungen auf der Spielwiese genialer Erfinder, sondern sind das
Ergebnis einer konsequenten Ausrichtung auf die Bedürfnisse der Kunden.
Was die Kunden heute wirklich benötigen und wofür sie bereit sind, Geld
auszugeben, unterscheidet sich kolossal von dem, was die Hersteller
bezüglich der Bedürfnisse glauben. Der Wert einer Ware wird auch nicht
mehr durch den Produzenten erzeugt, sondern entsteht bei den Kunden.
Der einfachere und auch schnellere Weg zu neuen Produkten war
bezüglich Technik und Materie der oben beschriebene. Die Unternehmen
haben sich stärker mit der Technologie befasst als mit den Menschen. Sie
nahmen die Kundenwünsche nur war, wenn sich die Kunden von sich aus
an die Unternehmen gewendet haben. Die Mitarbeiter mit dem meisten
Kundenkontakt (Verkäufer, Kundenservice) hatten im Betrieb nur wenig
zu sagen und fast keinen Einfluss auf die Produktentwicklung. Dieses war
das Vorrecht der Mitarbeiter in der Produktentwicklung.
Die von außen eingeholten Informationen wurden reduziert auf Sekundärdaten, zum Beispiel auf die demografische Entwicklung, das Durchschnittseinkommen, die Familiengröße und Ähnliches. Und wenn dann
doch mal direkt der Kunde einbezogen wurde, dann hießen die Fragen:
•
•
•
•
»Würden Sie das Produkt kaufen?«
»Welches Produkt möchten Sie haben?«
»Sind Sie mit dem Produkt zufrieden?«
»Wie beurteilen Sie die Eigenschaft X des Produkts?«
Das sind alles Fragen, die an der Oberfläche bleiben und nicht wirklich
für die Produktentwicklung zu gebrauchen sind.
Größere Unternehmen beauftragten Marktforschungsinstitute, die
Studien durchführten. Meist wurde per Standardfragebogen eine Vielzahl an Probanden nach deren Wünschen und Produktvorzügen gefragt.
Und das, obwohl die Konsumenten meist nicht wissen, was sie wollen,
geschweige denn, was sie kaufen werden. Am Ende der meist kostspieligen
Studie wurde das Ergebnis präsentiert: PowerPoint-Folien mit Allgemeinaussagen und Exceltabellen, in denen die Kundenpräferenzen in Nachkommastellen angegeben wurden. Und dann ab in die Schublade oder in
die Umsetzung mit einem hohen Flop-Risiko.
Wenn einer Ihrer Produktentwickler morgen mit einer »tollen« Produktidee zu Ihnen kommt, stellen Sie bitte nur diese eine Frage: »Aus welchen Gründen soll der Kunde dieses Produkt kaufen und nicht sein Geld
behalten oder sich für ein Produkt der Mitbewerber entscheiden?«. Falls
Sie darauf keine überzeugende Antwort erhalten, heißt es nur: zurück auf
Los; zum Kunden gehen und sich dort Anregungen für die Produkte holen.
Produktentwicklung früher bis heute  15
Die gesamte Wertekette
Die Unternehmen hatten die gesamte Wertekette im eigenen Haus: die
Produktentwicklung, die Produktion, die Distribution, das Marketing
und den Verkauf. Jedoch kann heute kein Unternehmen auf jeder Stufe der
Wertkette der Beste sein. Somit folgt die Konzentration auf die Kernkompetenzen in einem oder maximal zweien dieser Bereiche. Lieber in einem
Bereich mit Abstand die Nummer eins sein und die anderen Bereiche von
anderen Spitzenunternehmen übernehmen lassen, als in allen Stufen nur
Mittelmaß zu sein.
Die Grenzen der Technik
Die Produktentwickler hatten meist eine technische Ausbildung. Für sie
zählten Funktionalität, Zahlen und Fakten. Das Ziel war, so viele Funktionen wie möglich in das Produkt zu integrieren. Gerade Ingenieure
sahen den Nutzen von Funktionen bereits durch deren Vorhandensein –
und zwar unabhängig davon, ob der Kunde dieses auch als Nutzen sah.
Technikverliebte Produktenwickler steckten ihre Energie und Zeit in abgehobene Funktionen und waren überwältigt von ihren brillanten Ideen und
Inspirationen, statt zu versuchen, so einfach wie möglich den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Das Übermaß an Technologie musste auch
bezahlt werden. Daher stieg der Verkaufspreis des Produkts, wodurch die
Kundenakzeptanz noch geringer wurde. Um im Weltall schreiben zu können, entwickelten die Amerikaner aufwändige Kugelschreiber, mit denen
man auch auf dem Kopf schreiben kann. Die Russen lösten das Problem
einfacher: Sie verwendeten Bleistifte. Weniger Technik, dafür zuverlässig.
»Der gute Ingenieur hasst seine Kunden«, sagte einst der ehemalige
Ministerpräsident von Baden Württemberg, Lothar Späth. Der Ingenieur
möchte sein Produkt immer weiter optimieren und hält den aktuellen
Stand nur für einen unfertigen Prototyp. Er freut sich, wenn der Kunde
das unfertige Produkt nicht kauft, sondern auf die Endversion wartet
und wartet und wartet. Technologische Forschung ist zwar wichtig, darf
jedoch nie über den Kundenbedürfnissen stehen. Es sei denn, das Unternehmen wird finanziell gefördert und der Verkaufserfolg ist unwichtig.
Einige Produkte landeten sofort im Abseits, weil diese das technologisch Mögliche enthalten, jedoch ihrer Zeit zu weit voraus waren oder
deren Zeit nie kommen wird. Eines der schönsten Beispiele für die Produktentwicklung von der technischen Seite war die New Economy zur
16  Praxishandbuch Produktentwicklung
Jahrtausendwende. Es wurde viel Geld investiert, alles war technisch auf
dem neuesten Stand – nur waren die Kunden nicht bereit, die Leistungen
zu kaufen. Und so platzte die Blase. Der sprechende und denkende Kühlschrank (zur Neige gehende Bestände werden gleich direkt beim nächsten
Supermarkt bestellt) ist seit Jahrzehnten genauso möglich wie das Bildtelefon. Nur wollen die Kunden diese Produkte nicht. Erst wenn neue
Technologien mit den Bedürfnissen zusammentreffen, wird das Produkt
zum Volltreffer. Der Einsatz von Technik soll den Nutzen für den Kunden
erhöhen. Die Technik darf nicht zum Spaßfaktor der Produktentwickler
verkommen. Machen Sie Schluss mit Over-Engineering. Zu viel Technik
erhöht die Herstellungskosten, verwirrt den Kunden und lenkt vom USP
ab. Der Kunde versteht das Produkt nicht, nutzt es nicht und ist nicht
bereit, dafür etwas zu bezahlen. Es geht weniger um technische Werte als
jetzt endlich um das, was die Kunden wirklich wollen.
Computer zogen nicht nur aufgrund der technologischen Möglichkeiten in die Büros ein, sondern durch die Verknüpfung von Technologie und
Nutzen für den Kunden. Ein richtiger Einsatz der Technologie im Produkt bedeutet die Befriedigung eines sehr großen Kundenbedürfnisses mit
einem geringen Aufwand für die Kunden.
Der Produkttest, der keiner war
Der Produkttest fand nur in den eigenen vier Wänden mit einem Panel
aus eigenen Mitarbeitern statt. Erst der fertige Prototyp wurde einer Testgruppe vorgestellt. Diese wurde rhetorisch dazu bewegt, diesem Geniestreich zuzustimmen. Denn sie durfte nur das bewerten, was ihnen vorgesetzt wurde. Da die Produktentwicklung schon so weit fortgeschritten
war, waren weitreichende Modifikationen ausgeschlossen. Oder der Test
erfolgte gleich mit dem Produkt unter Realbedingungen im Markt.
Differenzierung der Differenzierung wegen
Jede Branche versuchte es mit ein und demselben Geschäftsmodell.
Daraus folgte ein starker Wettbewerb und Preiskrieg. Um aus dem
Preiskrieg auszubrechen, wurden die Produkte so modifiziert, dass
diese sich von der Konkurrenz abhoben. Ob damit nun die Probleme
der Kunden besser gelöst wurden, war zweitrangig. Differenzierung der
Differenzierung wegen ist jedoch kontraproduktiv. Die Differenzierung
Produktentwicklung früher bis heute  17
muss den Kunden aus ihrer Sicht einen zusätzlichen Nutzen bringen.
Lila-gelb karierte Brötchen sind keine Innovation (außer vielleicht zur
Faschingszeit), für die die Kunden mehr Geld ausgeben. Ändern Sie die
Spielregeln, aber zum Wohle der Kunden. »Be different and better«,
lautet die Devise. Das Anderssein muss dem Kunden einen höheren
Nutzen geben. Und dieser höhere Nutzen muss für den Kunden auch
erkennbar sein. Nur besser als der Wettbewerb zu sein, ohne dass es
jemand bemerkt, reicht auch nicht.
Diese oben vorgestellten Vorgehensweisen führten früher noch zum
Erfolg, da wir einen Verkäufermarkt hatten. In der heutigen Zeit des Käufermarkts sind diese Vorgehensweisen jedoch überholt. Es muss zuerst bei
den potenziellen Kunden geprüft werden, welche Lösungen sie benötigen
und auch zu kaufen bereit sind.
Trichtermodell der Produktentwicklung früher und heute
Früher war der Trichter oben eng, weil nur Ideen von den Mitarbeitern
eingebracht wurden. Durch weitere Filter kommen fast keine erfolgreichen
Produktideen mehr durch.
Heute werden immer mehr Informationen über die Kunden eingeholt,
wodurch eine Vielzahl von Produktideen abgeleitet wird.
Der Trichter wird oben so weit wie möglich gehalten, weitere Filter
so weit wie möglich ausgeschaltet (zum Beispiel durch Kooperation mit
anderen Unternehmen). Der größte Filter ist hier der Werbetest sowie der
Abbildung 1: Früheres Trichtermodell
Nur eigene Ideen
Weitere Filter:
Ein seit Jahren festgelegtes Kundensegment
Betriebswirtschaftliche Vorgaben
Begrenzte eigene Möglichkeiten
18  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 2: Heutiges Trichtermodell
Informationen über die Kunden
Weitere Filter:
Segmentierung nach Bedürfnissen
Lebensumfeld erkennen
USP und Produkteigenschaften ableiten
Konzept entwickeln
Machbarkeit (technisch, finanziell et cetera)
auch unter Einbeziehung von Kooperationen prüfen
Test
Test der Prototypen beim Kunden, bevor die Vollproduktion anläuft. So
wird das finanzielle Risiko minimiert.
Produktentwicklung heute
Aller Anfang ist schwer. Die Mitarbeiter setzen vieles daran, dass alles so
bleibt wie es ist. Sofern der Druck zur Veränderung nicht zu groß wird,
wird an den alten Verfahren festgehalten. So auch bei der Produktentwicklung. Doch heute ist der Druck so groß, dass die Unternehmen ihre
Verfahren zur Produktentwicklung umstellen müssen. Heute haben wir
einen Käufermarkt, das Angebot der Produkte übersteigt die Nachfrage.
Unternehmen nahmen früher Kundenwünsche nur wahr, wenn sich die
Kunden von sich aus an die Unternehmen gewendet haben. Jetzt steht das
Angebot von Lösungen für den Kunden im Vordergrund. Hierfür sind
tiefgehende Kenntnisse über den Kunden notwendig. Heute müssen Unternehmen aktiv auf die Kunden zugehen und jede Kontaktmöglichkeit zu
ihnen nutzen. Denn hinter jedem Problem Ihrer Kundengruppe steht der
Bedarf nach einer Lösung. Diese gilt es herauszufinden und in Form eines
Produkts anzubieten. Letztlich entscheiden die Kunden über den Erfolg
von Produkten. Und so bleibt nur ein Weg: Machen Sie die Kunden zum
Motor Ihrer Produktentwicklung.
Produktentwicklung früher bis heute  19
Die ersten Schritte
Wie wäre es jeden Morgen mit einer fünfminütigen Aufwärmrunde mit
Ihren Mitarbeitern? Stellen Sie sich und Ihre Mitarbeiter jeden Tag die
Fragen:
• »Was kann jeder von uns und wir gemeinsam heute tun, um die Bedürfnisse unserer Kunden zu befriedigen und ihnen das Leben so einfach
und erfolgreich wie möglich zu machen?«
• »Was ist heute mein persönlicher Beitrag für den Erfolg unserer Kunden?«
• »Was haben unsere Kunden davon, dass es unser Unternehmen gibt?«.
Unternehmen, die ihre Existenz langfristig sichern und wachsen wollen,
sollten sich diese Frage täglich stellen. Denn der Kunde zahlt die Gehälter, er ist im Grunde der wirkliche Arbeitgeber.
• »Würden wir unsere Produkte weiterempfehlen, wenn wir ein Kunde
wären? Wenn nicht, wie müssten die Produkte sein, damit wir sie weiterempfehlen würden?«
Und jetzt kommt der schwierigere Teil: die Antworten finden und diese
umsetzen. Denn das ist die Existenzberechtigung eines jeden Unternehmens.
Experten in der Produktentwicklung
Bleibt die Frage, ob zur Produktentwicklung nicht lieber Experten herangezogen werden sollen. Die Experten, die sich wirklich mit der Materie
und der Produktkategorie auskennen. Hierzu gibt es ein klares Nein,
wenn es um die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden geht. Experten stecken so tief in der Materie und sehen die Produkte fast ausschließlich von
der technischen Seite. Sie haben oft zu viel Hintergrundwissen, um sich
in den Kunden hineinzuversetzen, und schaffen es dann nicht, die Expertenbrille abzusetzen. Außerdem haben viele Experten eine Vorliebe für
einen bestimmten Bereich, den sie unbedingt im Produkt umgesetzt haben
wollen. Bitte beachten Sie: Produkte werden von Kunden gekauft, die
mehr oder weniger tiefgehendes Wissen zu dem speziellen Produkt haben.
Technisch nicht merkbare oder nicht nutzwertige Eigenschaften sind für
die Kunden unbedeutend. Experten können herangezogen werden, um
zukünftige Treiber und Rahmenbedingungen der Kunden zu beschreiben,
nachdem die Wünsche und Bedürfnisse sowie die weiter notwendigen
20  Praxishandbuch Produktentwicklung
Informationen über die Kunden erfasst sind. Dann gilt es, ein Produkt
zu entwerfen, das den Kundenwünschen entspricht. Aber Vorsicht! Die
Experten sollen in diesem Stadium die Kundenwünsche umsetzen, und
nicht »durch die Hintertür« die eigenen.
Glück als Grund für erfolgreiche Produkte?
Wenn andere Erfolg haben, heißt es immer: Die haben Glück gehabt. Hat
ein Unternehmen ein geniales Produkt auf den Markt gebracht, eines, was
ihm die Menschen aus den Händen reißen, war es dann nur Glück? In
Ausnahmefällen wird tatsächlich Glück die Ursache gewesen sein. In den
meisten Fällen handelt es sich jedoch um das Ergebnis einer über mehrere
Jahre erworbenen Marktkenntnis, die in ein Produkt umgesetzt wurde.
Maximieren Sie nicht Ihren Umsatz pro Produkt,
maximieren Sie den Umsatz pro Kunde
In der Vergangenheit war es üblich, den wirtschaftlichen Erfolg im Unternehmen anhand des Umsatzes für die einzelnen Produkte darzustellen und
sich entsprechende Ziele zu setzen. Produkte können in Massen erstellt
werden, doch das Limitierende ist die Anzahl der Kunden. Das ist das
Einzige, was wir meist nicht vermehren können. Somit ist alles auf den
Kunden auszurichten. Die mit jedem Kunden (beziehungsweise mit jeder
Kundengruppe) zu erreichenden Umsätze sind zu maximieren. Dieses
ist durch Mehrfachverkäufe, Angebote zu höheren Preisen oder Verkauf
mehrerer Artikel zu erreichen.
Die vier Varianten vom Erstkauf zu Wiederkaufraten
Ihr Unternehmen hat
• eine hohe Quote an Erstkäufern des Produkts und eine hohe Quote an
Wiederkäufern: Das ist das Optimum;
• eine hohe Quote an Erstkäufern und eine niedrige Quote an Wiederkäufern: Das Produkt muss verbessert werden;
• eine niedrige Quote an Erstkäufern und eine hohe Quote an Wiederkäufern: Das Produkt ist in Ordnung, die Werbung ist zu verbessern;
Produktentwicklung früher bis heute  21
• eine niedrige Quote an Erstkäufern und Wiederkäufern: Das Produkt
und die Werbung sind zu verbessern beziehungsweise das Produkt ist
einzustellen.
Sog statt Druck – oder: Wer läuft wem nach?
Das Marketing geht davon aus, dass die Werbung und die Produkte dem
Kunden und somit dem Geld folgen. Ist es für den Anbieter wirklich
lohnend, sein Produkt dem Kunden aufzudrücken und ihm hinterher zu
laufen? Es lohnt sich nicht, dem Geld (und somit dem Kunden) nachzulaufen, da Geld schneller läuft als jedes Unternehmen. Oder ist es besser, dass
das Produkt dem Kunden so sehr bei einer Problemlösung hilft, dass er es
unbedingt haben will? Dann läuft das Geld (also der Kunde) dem Anbieter
und den Produkten nach. Das ist erfolgreicher und weitaus günstiger, weil
nur geringe Werbekosten notwendig sind. Produkte werden heute immer
mehr gekauft statt verkauft.
Die Varianten der Produktentwicklung
Es gibt mehrere Möglichkeiten, mehr Produkte zu entwickeln und zu verkaufen:
• den Kunden bestehende Produkte im bisherigen Marktsegment weiterhin – meist mit immer größerem Werbedruck – anbieten. So soll
erreicht werden, dass die Kunden häufiger kaufen beziehungsweise die
Nichtkunden aus dem Marktsegment zu Kunden werden. Das Risiko
ist sehr gering, der Erfolg entsprechend begrenzt;
• bestehende Produkte einer neuen Kundengruppe anbieten, zum Beispiel
durch Änderung der Werbung. Das Risiko ist gering, der Erfolg jedoch
ebenfalls begrenzt;
• bestehende Produkte im bewährten Marktsegment weiter optimieren,
damit die Kunden bereit sind, mehr dafür zu bezahlen. Ein etwas höheres Risiko mit einem höheren Erfolgspotenzial;
• Modifikation der bestehenden Produkte, um diese in anderen Marktsegmenten anzubieten. Hier ist das Erfolgspotenzial schon größer;
• Entwicklung von Neuprodukten für die Kunden in bestehenden Marktsegmenten (Sortimentserweiterung). Das Risiko ist etwas größer, das
Erfolgspotenzial ist jedoch ebenfalls hoch;
22  Praxishandbuch Produktentwicklung
• Entwicklung von Neuprodukten für die Kunden in neuen Marktsegmenten. Das Risiko ist groß, das Erfolgspotenzial kann hier am höchsten sein.
Die drei Entwicklungsstufen der Produktentwicklung:
1.Die Entwicklung der Produkte im Unternehmen anhand von eigenen
Erfahrungen und Meinungen. Anschließend folgen die Produktion und
die Werbung an ein breites Kundensegment;
2.die Entwicklung der Produkte im Unternehmen anhand von eigenen
Erfahrungen und Meinungen. Anschließend folgen die Produktion
einer geringen Stückzahl und ein Test der Verkaufbarkeit. Erst nach
einem Erfolg folgen die umfassende Produktion und der Verkauf;
3.die Kunden werden bereits ab der ersten Phase der Produktentwicklung
einbezogen. Aufgrund ihrer Bedürfnisse und Verhaltensweisen erfolgt
die Entwicklung. Anschließend wird nach Möglichkeit ein Verkaufstest
durchgeführt, ohne das Produkt zu diesem Zeitpunkt bereits erstellt
zu haben. Sollten ausreichend Kunden das Produkt bestellen, wird eine
kleine Stückzahl produziert und an die Besteller geliefert. Beta-Tester
erhalten weitere Exemplare. Diese nehmen das Produkt kritisch unter
die Lupe. Aus den Informationen dieser Testgruppe wird das Produkt
weiter optimiert. Sofern die Nutzwertigkeit des Produkts von den BetaTestern bestätigt wird, erfolgt die flächendeckende Produktion. Dieses
Verfahren hat zwei gravierende Vorteile: Die Produkte treffen besser
den Bedarf der Kunden und finden später eine höhere Akzeptanz und
falls ein Produkt doch einmal nicht so gut angenommen wird, ist der
Schaden minimiert.
Die »umgekehrte« Produktentwicklung
Die Produktentwicklung beginnt heute mit dem Kundenkontakt. In Zeiten des Verkäufermarkts reichte es, zuerst ein Produkt zu produzieren.
Anschließend wurde überlegt, welcher Kundengruppe es auf welchen
Werbewegen angeboten werden kann. Der heutige und zukünftige Ablauf
muss genau anders herum sein: zuerst die Kundengruppe kontaktieren,
dann die Bedürfnisse und die möglichen Werbewege erkunden. Erst ganz
zum Schluss wird das Produkt entwickelt und produziert. Der Vertrieb hat
jetzt die Aufgabe, das Angebot erfolgreich zu verkaufen. Bereits vor dem
ersten Verkaufsversuch steht fest, ob das Produkt »einschlägt« oder ein
Ladenhüter wird. Bei einem mäßigen Produkt kann der Vertrieb nur noch
Produktentwicklung früher bis heute  23
Schadensbegrenzung betreiben. Der in aller Regel mäßige Erfolg ist vorprogrammiert, der interne Ärger allerdings auch. Wie üblich gibt man sich
gegenseitig die Schuld. Der Vertrieb beschuldigt die Produktentwicklung,
da das Angebot sich nicht verkaufen lässt. Die Produktentwicklung hält
den Vertrieb für unfähig. Auch wenn der Vertrieb noch so sehr geschult
ist, kann er keine Wunder vollbringen. In der heutigen Zeit kaufen die
wenigsten Personen Angebote, die sie nicht benötigen und von denen sie
zudem »überrumpelt« wurden. Die Politiker reden sich nach ihren Wahlschlappen heraus: »Das Wahlprogramm war gut. Jedoch haben wir es
nicht geschafft, es den Bürgern klar zu machen«. Mit anderen Worten:
»Wir sind super, die Bürger sind nur zu blöd«. Vielleicht war das Programm einfach nur schlecht, oder die Bürger wurden von dieser Partei in
der Vergangenheit zu oft belogen. Wenn es einer hier nicht kapiert hat,
dann sind es die Politiker.
Ob ein Produkt ein Erfolg oder ein Flop wird, bestimmen die Kunden.
Entscheidend ist, welche Bedürfnisse die Personen haben und welchen
Nutzen die Produkte dazu bieten. Warum also nicht diese Gruppe gleich
in die Produktentwicklung mit einbeziehen? Die eigenen Mitarbeiter kaufen nur in den seltensten Fällen die eigenen Produkte. Somit sind deren
Wünsche zu den Produkteigenschaften unerheblich. Lassen Sie sich in
Ihrem Unternehmen nicht von den bunten Konzeptpräsentationen Ihrer
Mitarbeiter blenden. Was zählt, sind die Meinungen der Kunden. Haben
Sie schon mal Ihre Kunden zu einer Konzeptpräsentation eingeladen?
Wenn nicht, was spricht dagegen?
Außerdem finden die Veränderungen im Umfeld der Kunden so schnell
statt, dass die Hersteller nicht mehr ohne laufende Informationen von
den Kunden auf deren Bedürfnisse reagieren können und sie in die Produktentwicklung einbeziehen müssen. Egal, wie viele Mitarbeiter Sie in
der Produktentwicklung haben und wie gut diese sind, gegen das Wissen
Ihrer Kunden können diese nicht mithalten. Der Experte in der Produktentwicklung ist der Kunde, nicht der Mitarbeiter. Unternehmen werden
nur noch zu »Hilfsmitteln« für die Erfüllung der Kundenbedürfnisse. Die
Hauptaufgabe der Produktentwickler ist es, dem Kunden mit den Produkten bei der Problembeseitigung und Wunscherfüllung zu helfen. Je besser
das gelingt, desto unentbehrlicher ist der Anbieter.
Um wirklich die Bedürfnisse der Kunden zu ergründen, müssen diese
Informationen direkt von den Kunden kommen, anstatt über externe
Marktforschungsagenturen, Experten et cetera. Die durch diesen Zwischenschritt gefilterten Informationen sind subjektiv und führen häufig
in die Irre. Wenn auch das Sammeln und Analysieren von Marktdaten
24  Praxishandbuch Produktentwicklung
durch die heutige Technik einfacher geworden ist, bleibt die beste Quelle
zur Produktentwicklung weiterhin der direkte Kontakt mit den Kunden in
dessen Umfeld. Noch besser ist es, wenn der Produktentwickler einige seiner Kunden den ganzen Tag begleitet. Er wechselt in die Perspektive seiner
Kunden, sieht mit den Augen seiner Kunden, hört mit ihren Ohren und
fühlt wie sie. So ist zum Beispiel Birgit Mager, Professorin für ServiceDesign an der Köln International School of Design, mit ihrem Team in die
Welt und den Alltag der Obdachlosen eingetaucht. Durch dieses Selbstexperiment, den Beobachtungen und den Gesprächen vor Ort, wurden
die Bedürfnisse und Wünsche aus erster Quelle erfasst. Daraus entstand
»Gulliver«, ein Aufenthaltsort für Obdachlose im Kölner Hauptbahnhof.
Der Kunde wird immer mehr der Ausgangspunkt für die Produktentwicklung. Er wird zum Partner und Berater. Er nennt seine Probleme und
Bedürfnisse, und die Anbieter lösen diese anschließend mit ihren Produkten. Jeder der Mitarbeiter in der Produktentwicklung muss die Fähigkeit
besitzen, dem Kunden naiv zuzuhören, und auch überzeugt von dieser Vorgehensweise sein. Die Unternehmen, in denen die Mitarbeiter ihren Kunden am besten zuhören können, und diese Erkenntnisse anschließend in
die Produktentwicklung umsetzen, werden den größten Vorsprung haben.
In einer amerikanischen Hotelkette werden die Mitarbeiter geschult,
auch die nicht artikulierten Wünsche der Kunden zu erfüllen. Kommt ein
Gast verschnupft ins Hotel, wird ihm gleich eine heiße Brühe auf das Zimmer gebracht, ohne dass der Kunde den Wunsch geäußert hat. Den Bedarf
dazu hat er sicherlich, ansonsten lehnt er diese Serviceleistung ab. Dieser
Service bleibt ihm allemal positiv im Gedächtnis.
Um dieses umsetzen zu können, sollten die Produktentwickler mindestens 10 Prozent ihrer Arbeitszeit vor Ort beim Kunden verbringen. Und
zwar – wie bereits erwähnt – ohne direkte Verkaufsabsichten. Bei 3M
können die Mitarbeiter in der Produktentwicklung circa 10 Prozent ihrer
Arbeitszeit für die Entwicklung eigener Produktideen nutzen. Jedoch sollten die Mitarbeiter die Zeit nicht am Arbeitsplatz verbringen, sondern
direkt beim Kunden. Legen Sie in Ihrem Unternehmen fest, wie viel Prozent seiner Arbeitszeit Ihr Mitarbeiter in der Produktentwicklung nicht im
Unternehmen sein »darf«, sondern beim Kunden sein muss.
Gehen Sie auf die Probleme Ihrer Kunden zu. Grundsätzlich versuchen
die Menschen, Problemen aus dem Wege zu gehen. In der Produktentwicklung bekommen die Hersteller jedoch mit dieser Einstellung selbst
gravierende Probleme. Denn das Lösen von Problemen beim Kunden ist
ihre Hauptaufgabe. Je größer die Probleme Ihrer Kunden sind, desto größer sind die Chancen für die wirklich kundenorientierten Unternehmen.
Produktentwicklung früher bis heute  25
Um die Probleme der Kunden besser und früher lösen zu können als Ihre
Wettbewerber, müssen Sie diese umgehend heraus bekommen.
Bringen Sie vor dem Tag Ihres größten Erfolgs
bereits die nächste Innovation
Patienten merken in der Regel erst etwas von ihrer Krankheit, wenn
die Organfunktion um über 70 Prozent gesunken ist, doch dann ist es
meistens zu spät. Entsprechendes ist in den Unternehmen zu beobachten:
gehandelt wird erst, wenn das Wasser bis zum Halse steht, doch dann
ist die Motivation am Boden und kein Geld mehr für Investitionen vorhanden. Erfolgreiche Unternehmen gelten heute als erfolgreich, weil sie in
der Vergangenheit die richtigen Maßnahmen eingeleitet haben. Das garantiert jedoch in keiner Weise, dass diese Unternehmen auch in Zukunft
noch erfolgreich sein werden. Unternehmen feiern mittags den Höhepunkt
des Wachstums und den größten Erfolg ihrer Firmengeschichte mit ihrem
Bestseller und vergessen, dass es ab dem Nachmittag bergab geht, wenn
nicht etwas geändert wird. Denn diese Unternehmen – die ja zu Recht
erfolgreich sind – halten an den alten Zöpfen fest: »Das, was uns früher
erfolgreich gemacht hat, macht uns auch in Zukunft erfolgreich«. Bereits
in der Mitte der Wachstumsphase des Produktlebenszyklus sind Veränderungen einzuleiten, damit die nächste Innovation folgt. Denn zu diesem
Zeitpunkt sind noch die notwendige Begeisterung der Mitarbeiter sowie
die finanziellen Mittel vorhanden. »What goes up, must come down, we
can not stop the wave, but we can learn to surf« (und zwar von einer Welle
Abbildung 3: Produktentwicklung früher: In eine Innovation
beziehungsweise einen Relaunch von Produkten wurden erst investiert,
wenn die Lebenszykluskurve sank
Umsatz
neues Produkt
break even
Zeit
26  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 4: Produktentwicklung heute: Bereits in der Wachstumsphase muss in eine weitere Innovation beziehungsweise einen Relaunch
investiert werden
Umsatz
neues Produkt
break even
Zeit
zur nächsten), beschreibt Klaus Kobjoll die Suche nach Innovationen vor
dem Höhepunkt. Wenn die tragende Welle weg und das Unternehmen auf
Grund gelaufen ist, ist es fast immer zu spät für den Turnaround.
Hier sei auf Unternehmen wie zum Beispiel Intel verwiesen, die zu jedem
Zeitpunkt drei Entwicklungsstufen eines Produkts haben. Die älteste Produktvariante wird gerade verkauft, die zweite ist kurz vor der Markteinführung. Eine weitere Produktgeneration ist mitten in der Entwicklung.
Intel stößt somit die eigenen Produkte durch die Nachfolger selbst vom
Markt. Machen auch Sie sich selbst Konkurrenz. Viele Anbieter schlachten stattdessen Ihre Cash-Cows auch heute noch bis zum letzten Tropfen
aus. Bloß nichts Neues auf den Markt bringen, was einem selbst Konkurrenz machen könnte. Und dann wird gejammert, wenn ein Quereinsteiger
dieses Vakuum der Verbesserung nutzt.
Damit Unternehmen langfristig erfolgreich sind, sind mindestens alle
drei Jahre alle Produkte auf den Prüfstand zu stellen: wird immer noch der
Kundenwunsch erfüllt – und zwar deutlich besser als von jedem anderen
Anbieter? Wie ändern sich die Bedürfnisse in den nächsten ein bis drei
Jahren je nach Branche? In einigen Branchen ist die Zeitspanne von einem
Jahr schon viel zu kurz.
Die drei großen Gefahren für die Marktführer
Sogar die Marktführer müssen sich heute permanent anpassen, sonst sind
sie morgen nur noch Mittelmaß und übermorgen bedeutungslos. Die drei
großen Gefahren sind:
Produktentwicklung früher bis heute  27
1.Die Bedürfnisse und Kundenerwartungen verändern sich und die bestehenden Produkte sind nicht mehr gefragt. Hier hilft nur der permanente
Kontakt zu den Kunden, um diese Veränderungen zuerst zu erfahren
und zu agieren, statt zu reagieren;
2.die Konkurrenten kopieren die Produkte. Hier unterstützen die emotionalen Elemente im Produkt die Kundentreue. Ebenso sind die Produkte laufend zu optimieren und durch einen Prozessmusterwechsel
ganz neue Produkte anzubieten;
3.ein neuer Konkurrent aus einer anderen Branche befriedigt das Bedürfnis besser. Hier hilft auch nur, mit eigenen Innovationen das bestehende
Sortiment selbst in Frage zu stellen und sich auf die Grundbedürfnisse
der Kunden zu spezialisieren, anstatt auf eine Technologie oder einen
Rohstoff.
Kunden werden zu Beratern
Procter & Gamble startete zu Beginn dieses Jahrtausends die Aktion
»Not invented here.« Bei der Aktion ging es um mehr und bessere Ideen,
nicht um Outsourcing zur Kostensenkung. 50 Prozent der Innovationen
im Unternehmen müssen von außen kommen und auch umgesetzt werden.
Das Ergebnis ist erreicht und die Floprate weit unter dem Branchendurchschnitt. Die Ideengeber und Entwickler sind für das Unternehmen tätig,
ohne bei ihm angestellt zu sein. Honoriert wird über Geldprämien bei der
Umsetzung der Ideen. Es gilt das Motto: »proudly found elsewhere«.
Geologen von Goldcorp Inc. konnten nicht mehr bestimmen, wo in
den Minen Gold lag. Es drohte die Schließung der Minen. So wurden alle
eigenen geologischen Daten im Internet veröffentlicht und ein Wettbewerb
ausgeschrieben, bei dem Internetnutzer Hinweise gaben, wo sich das Graben lohnt. Gezahlt wurden schlussendlich Prämien von 500 000 US-Dollar, gefunden wurde Gold im Marktwert von drei Milliarden Dollar. Der
Börsenwert des Unternehmens stieg zwischenzeitlich um den Faktor 100.
Es zeigte sich wieder die Schwarmintelligenz: Die Masse ist immer klüger
als einzelne Individuen. Die eigenen Forscher reichten in dieser wechselhaften Zeit nicht mehr, um die Position im Markt zu behaupten.
Die Kunden haben fast immer ein Wissen und eine Intelligenz, die das
der Hersteller um ein Vielfaches übersteigt. Arduino (www.arduino.cc)
stellt Schaltkreise her. Um diese weiterzuentwickeln, werden die Baupläne
hierzu ins Internet gestellt. Hier können Tüftler Verbesserungsvorschläge
einbringen.
28  Praxishandbuch Produktentwicklung
Es gibt bereits weitere Plattformen zum Ideenaustausch im Internet. So
können Unternehmen beispielsweise auf der Seite der Open Innovation
GmbH (www.atizo.com) Problemstellungen ins Netz stellen und von den
Mitgliedern (hier Innovatoren genannt) lösen lassen. Bei Tchibo-ideas
(www.tchibo-ideas.de) finden ebenfalls Problemstellungen des Alltags
eine Lösergemeinschaft.
Käufer fragen heute immer mehr Personen aus ihrem Umfeld, wenn es
um Produktempfehlungen geht. Das sollten auch die Hersteller machen
und die Kunden um Hilfe bitten, wenn es um Produktentwicklung geht.
Machen Sie Ihre Kunden zu Ihren Beratern.
Die Macht der Konzentration
Produktentwickler sind wie Trüffelschweine. Es muss nicht der ganze
Wald umgegraben werden, um etwas zu finden. Durch gezieltes Suchen
und gezieltes Liegenlassen werden die Ideen in Produkte umgesetzt, die
dem Kunden einen wirklichen Nutzen bringen und somit dem Anbieter
den Erfolg.
Zu viele Funktionen und Werbeargumente verwirren den Kunden.
Weniger ist mehr. Beachten Sie die von den Kunden gewünschte Komplexitätsreduktion. Lieber drei Argumente – warum eigentlich nicht nur
eines? – als eine Aufzählung von für den Kunden unbedeutenden Produkteigenschaften. Reduzieren Sie Ihr Angebot und die Eigenschaften Ihrer
Produkte auf das Wesentliche aus Kundensicht. Bitte pressen Sie nicht
alles in die Produkte, nur weil es technisch möglich ist.
Effektiv bedeutet, die richtigen Dinge zu tun. Effizient bedeutet, die
Dinge richtig zu tun. Leider wird heute immer noch mehr auf Effizienz
geachtet. Doch die falschen Funktionen bei Produkten zu optimieren,
bringt nichts, sie werden für die Kunden dadurch nicht nützlich und wichtig. Wichtiger ist es, dass die richtigen Funktionen im Produkt enthalten
sind, auch wenn diese gegebenenfalls nicht ganz optimiert sind.
Die Eigenschaften eines optimalen Produkts
• Das Produkt liefert einen maximalen Nutzen für den Kunden;
• einen gleichwertigen Nutzen können die Wettbewerber in den nächsten
drei Jahren nicht liefern;
• die Kunden nutzen das Produkt häufig;
Produktentwicklung früher bis heute  29
• die Kunden nutzen das Produkt gern;
• das Produkt deckt eine hohe Komplexität beim Kunden ab;
• das Produkt trifft den größten Erfolgsfaktor, anstatt nur ein kleines
Problem zu lösen, und ist somit ein Must-have-Produkt;
• der Erfolgsfaktor bleibt in der nächsten Zeit mindestens auf dem gleichen Niveau;
• es gibt große Treiber im Hintergrund;
• die Kunden haben bei dem Problem eine hohe Lösungstiefe.
Die Zuständigkeit von der Produktentwicklung im Betrieb
Die Produktentwicklung ist Chefsache. Die Mitarbeiter in diesem Bereich
müssen der Unternehmensleitung direkt unterstellt sein. Die oberste Leitung arbeitet im Tagesgeschäft der Produktentwicklung mit – zumindest
teilweise. Eine dauerhafte Beschäftigung mit Strategien, Umstrukturierungen und Zahlen allein oder in Meetings ist passé. Der größte Stellhebel
zum Unternehmenserfolg ist der Umsatz. Den erzielen Unternehmen nur
mit guten Produkten. Sie müssen von der Produktneuentwicklung und
Weiterentwicklung bestehender Produkte durchdrungen sein. Die Produktentwicklung muss zum Alltagsgeschäft in der Chefetage gehören.
Häufig jedoch besteht die einzige Informationsquelle über die Basis am
Kunden immer noch aus den »untergeordneten« Mitarbeitern. Und die
erzählen nur das, was den Chef bei Laune hält, um selbst nicht in Stress zu
geraten. Dagegen hilft nur eines: Auch das Topmanagement führt Marktgespräche.
Kundenerfolgssteigerungsprogramme
Die Gewinne sind das Ergebnis der Befriedigung von Kundenbedürfnissen. Die Ursache sind gute Produkte, das Ergebnis sind die Gewinne.
Warum nur versuchen viele Unternehmen genau den umgekehrten Weg?
Denken Sie nicht mehr in Verkaufssteigerungsprogrammen oder Gewinnoptimierung nach dem Motto: hier den Werbedruck erhöhen, dort ein
Sonderpreis. Diese Methoden sind ausgereizt und werden vom Kunden
eher als eine Belästigung denn als eine Produktinformation empfunden.
Heute ist ein völliges Umdenken gefordert. Die Anbieter müssen in
Kundenerfolgssteigerungsprogrammen denken und – was noch wichtiger
ist – auch so handeln. Da reicht es auch nicht mehr, nur das Problem des
30  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kunden zu kennen. Das ganze Umfeld des Kunden muss dem Anbieter
bekannt sein, um Lösungen zu entwickeln. Erfolgreiche Anbieter sehen
sich als Anwalt des Kunden. Hiermit meine ich nicht die Klientel der
Juristen, die nur vom Unglück und von Streitigkeiten der Menschen lebt.
Setzen Sie sich für die Interessen Ihrer Kunden ein und unterstützen Sie
Ihre Kunden dort, wo Sie mit Ihren Produkten nur können, damit Ihre
Kunden selbst bessere Geschäfte machen beziehungsweise besser leben.
Machen Sie in erster Linie Ihre Kunden erfolgreich. Das ist für viele
Unternehmen eine 180-Grad-Wendung des eigenen Geschäfts. Ein bisschen Ausrichtung auf den Kunden reicht nicht. Diese Ausrichtung muss im
gesamten Unternehmen vollzogen werden, damit der Erfolg eintritt – von
der Führungsspitze über die Produktion, den Vertrieb, den Kundenservice
bis hin zum Pförtner.
Krisen
Wenn die Konjunktur schwächelt, gehen viele Unternehmen zur Konsolidierung und anderen Ansätzen der Kostensenkung über. Es wird
gespart, wo es nur geht, was häufig mit Personalabbau verbunden ist.
Innovationen, Weiterbildung sowie Neuproduktentwicklungen und damit
verbundene Investitionen bleiben meist als erstes auf der Strecke. Mit
diesen schmerzhaften Konsolidierungsmaßnahmen wird dann versucht,
den Gewinn kurzfristig zu halten und die Krise in der Erwartung des
Aufschwungs zu überstehen. Doch wie lange bleiben die so geführten
Unternehmen noch marktfähig? Das Kostenbewusstsein ist sicherlich für
alle Unternehmen eminent wichtig. Wenn dadurch jedoch die Produktentwicklung auf Eis gelegt wird, verlängert sich zwar noch der Lebenszyklus des Unternehmens, doch die Entfernung zum Point of no Return
geht gegen Null. Kosteneinsparungen bei fehlenden Investitionen sind
keine funktionierenden Unternehmenskonzepte. Die Umsatzsteigerung
ist der größere Stellhebel zur Rentabilität. Gewinneinbrüche sind meist
Umsatzkrisen, keine Kostenkrisen. Die Kosten lassen sich nur bis zu einem
bestimmten Grad senken, dann ist Schluss. Die Umsatzsteigerung ist nach
oben hin offen. Es gibt keine stagnierenden Märkte, nur eine stagnierende
Produktentwicklung.
Schuld am Umsatzrückgang haben immer nur die Anderen: die Billiganbieter aus Fernost, die Regierung, der Wettbewerb, die Konjunktur
und insbesondere der »dumme« Kunde, der unfähig ist, die »genialen«
Produkte zu schätzen. Meist liegt die Ursache jedoch bei den Produkten,
Produktentwicklung früher bis heute  31
die den Kunden nicht einen so großen Nutzen bieten, dass sie bereit sind,
einen Preis dafür zu zahlen.
Differenzierung
Die Steinzeitmenschen kannten früher zwei Arten der Reaktion, wenn sie
auf ein fremdes Lebewesen stießen: angreifen oder flüchten. Diese beiden
Möglichkeiten bestehen auch heute noch im dicht gedrängten Wettbewerb. Entweder man meidet einen Markt beziehungsweise zieht sich
daraus zurück, weil der Wettbewerb zu stark ist. Dann hat man allerdings auch nichts verkauft. Oder man bietet dem Wettbewerb die Stirn
und greift frontal an. Dann hat das Unternehmen mehr Erfolg. Maximal
gewinnt dabei der »Sieger«. Häufig verlieren alle beteiligten Unternehmen. Der Verdrängungswettbewerb endet häufig mit Vernichtung. Neben
den Unsummen von Werbegeldern kommen die Mitarbeiter oft auf die
»geniale« Idee, die Preise des Gegenübers zu unterbieten. Doch mit genau
diesem Schritt reagiert auch der Mitbewerber und somit dreht sich die Spirale für alle Anbieter nach unten. Die dritte und wirkungsvollste Methode
ist die eindeutige Differenzierung von den Wettbewerbern: different or
die. Meiden Sie die Konfrontation mit Ihren Wettbewerbern. Seien Sie
aus Kundensicht anders und besser als Ihre Mitbewerber. Befriedigen Sie
die Bedürfnisse Ihrer Kunden wirkungsvoller und wenn möglich auf eine
ganz andere Art und Weise.
Der Wettbewerb der Zukunft wird in den Köpfen der Kunden ausgefochten. Differenzieren Sie sich so weit, dass es auch Ihre Kunden wahrnehmen. Meist sind die Unterschiede konkurrierender Produkte so marginal, dass diese nur von den Produzenten erkannt werden. Wenn Sie aus
der Sicht Ihrer Kunden keine positive Differenzierung in Ihrem Angebot
haben, dann geht es nur noch über den Preis. Und das nur so lange, bis ein
vergleichbarer Anbieter einen noch günstigeren Preis bietet. Von Gewinn
und Rendite kann bei diesen Schritten keine Rede mehr sein. Verlassen
Sie die Vergleichbarkeitsfalle. Schaffen Sie mit Ihren Produkten eine neue
Kategorie. Schaffen Sie nicht kleine Unterschiede zur Konkurrenz, sondern landen Sie den großen Wurf: Apple hat mit seinem iPod eine neue
Kategorie von mp3-Playern erschaffen und ist Marktführer, obwohl der
iPod der teuerste mp3-Player ist. Starbucks ist nicht nur ein weiterer Coffee-Shop, sondern platziert sich als »Dritter Ort« zwischen Arbeit und den
eigenen vier Wänden. Stoßen Sie in eine neue Nutzendimension vor. Auch
als kleiner Anbieter können Sie eine neue Dimension schaffen, indem Sie
32  Praxishandbuch Produktentwicklung
sich auf den Hauptnutzen konzentrieren und diesen in den Fokus stellen.
Wenn Ihr Unternehmen den Kunden nicht die optimale Lösung liefert,
wird es sicherlich ein anderer Hersteller gerne für Sie übernehmen.
Unterschiedliche Eigenschaften und Differenzierungen der Produkte
werden auch unterschiedlich von den Kunden wahrgenommen, sowohl
qualitativ als auch quantitativ. Einige Eigenschaften und Differenzierungen fallen ins Auge und sind kaufentscheidend, andere fallen auf und sind
für den Kauf nicht von Bedeutung. Und einige sind so marginal und so
versteckt, dass sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle sind und der
Kunde dieses bei der Auswahl beziehungsweise bei der Nutzung des Produkts nicht wahrnimmt beziehungsweise gar nicht wahrnehmen kann.
Tabelle 2: Unterschiedliche Kundenwahrnehmung
Differenzierung wird
positiv wahrgenommen
Differenzierung wird
neutral oder negativ
wahrgenommen
Differenzierung oberhalb der Wahrnehmungsschwelle
Hierauf konzentrieren
(Feld 1)
Weglassen und Kosten
senken. Investition für
Feld 1 nutzen
Differenzierung unterhalb der Wahrnehmungsschwelle
Weglassen und Kosten
senken. Investition für
Feld 1 nutzen
Weglassen und Kosten
senken. Investition für
Feld 1 nutzen
Müssen neue Marktsegmente her?
Nicht unbedingt. Viele erfolgreiche Unternehmen platzieren ihre Neuprodukte innerhalb ihres Kernsegments in den bestehenden Branchen, indem
die Neuprodukte den Nutzen signifikant besser treffen als die Produkte
der Mitbewerber. Es gelingt häufig, durch Nutzeninnovation der bestehenden Branchen ganz neue Märkte zu schaffen, zum Beispiel die CD als
Innovation zu den Schallplatten.
Ein Produktentwickler muss auch mal »nein« sagen
Investieren Sie nur in die Produkte, bei denen Sie wirklich einen Nutzen
für Ihre Kunden sehen und einen deutlichen Bedarf erkennen. Manchmal
ist die beste Produktentwicklung diejenige, die man unterlässt und nicht
umsetzt. Führungskräfte werden auch für das Neinsagen bezahlt.
Produktentwicklung früher bis heute  33
Neue Wege auch für Internetbuchungen möglich
L’TUR hat das bedürfnisorientierte Produktangebot auch für Internetbuchungen eingeführt:
Die alte angebotsorientierte Suche
Der Kunde muss seine Bedürfnisse selbst in Angebotsmerkmale umsetzen
und für sich sein gewünschtes Reiseziel wählen. Er hat dann den Ort und
meist schon das Hotel ausgesucht, dann prüft er im Internet oder fragt im
Reisebüro nur noch nach, ob das Hotel zur gewünschten Zeit frei ist und
welche Konditionen gelten.
Die neue bedürfnisorientierte Suche
Der Kunde trägt im Internet seine Bedürfnisse (vier Gruppen) und Lebensphase (Auswahl aus sechs) ein und wählt aus fünf übergeordneten MotivClustern aus. Seitens des Anbieters werden diese Informationen in eine
Bedürfnisstruktur umgesetzt und daraus Angebotsmerkmale abgeleitet.
Der Kunde erhält daraufhin Vorschläge zu Urlaubszielen.
Die im System hinterlegte Zuordnung der einzelnen Reiseziele zu den
Bedürfnissen der Kunden wurde zuerst über die eigenen Einkäufer an den
Reisezielen erstellt, später über Zufriedenheitsbefragung der Kunden verfeinert. Denn bei den über dieses System gebuchten Reisen wird am Ende
die Zufriedenheit erfragt und dieses mit den Parametern der Datenbank
abgeglichen, um die Verknüpfung der Bedürfnisse zu den Urlaubszielen
laufend zu optimieren.
Dieses System brachte mehr Buchungen pro Zugriffe auf die Internetseite und führte die Kunden zu Zielen, an die sie sonst gar nicht gedacht
hätten. So ein System, das die Wahrscheinlichkeit der Buchungen steuert,
sollte jedoch nur dazu dienen, die Angebote nach den Bedürfnissen auszurichten – und nicht, um Ladenhüter zu verramschen.
Aus welchen Gründen wird diese Reihenfolge nicht auch bei den Anbietern von Computern gewählt? Da kann der Kunde nur zwischen privat
und geschäftlich wählen und muss sich die Elemente selbst zusammenstellen. Wie wäre es, wenn die Kunden gefragt werden, wofür der PC benötigt
wird (Textverarbeitung, Bildbearbeitung, Urlaubsvideos zusammenstellen
et cetera) und erst aufgrund dieser Informationen die technischen Möglichkeiten zusammengestellt werden?
34  Praxishandbuch Produktentwicklung
Erweitern Sie Ihre Kundendatenbank
Wenn Sie nur wenige Kunden haben, dann sollten die Parameter bei allen
Kunden ausgefüllt sein. Diese sind Folgende:
• Bestehende Daten (Anschrift, was gekauft, wann gekauft et cetera);
• Rahmenbedingungen, Tätigkeiten, Aufgaben, Probleme, Erfolgsfaktoren bei den Kunden;
• Zeitpunkt und Art der Kundenanfragen;
• Grund der Beschwerde;
• Gründe für die Produktwahl;
• Nutzung des Produkts (wo, in welchen Situationen, mit welchem Ziel?);
• Erwartungen an das neue Produkt;
• Verbesserungsvorschläge vom Kunden;
• ist eine Bereitschaft zu Marktgesprächen vorhanden?
Auch die eigene Homepage ist ein Produkt
Auch der eigene Internetauftritt ist ein Produkt. Somit sind auch hier
vorab die Bedürfnisse zu erfassen, die technische Ausstattung und das
Nutzungsverhalten der Kunden abzuklopfen. Die Praxis in vielen Unternehmen sieht leider anders aus. Ein externer Anbieter wird ausgewählt,
der die Technik beherrscht, nur leider von Ihren Kunden nichts versteht.
Heraus kommen Einheitsseiten. Kalkuliert werden maximal die Kosten,
die später meist aus dem Ruder laufen. Eine Berechnung des Return of
Investment wird nicht für nötig gehalten. Spätestens nach einem Jahr
sind dann alle im Jammertal angekommen: Die Anzahl der Zugriffe ist
zu gering, es gibt zu wenig Bestellungen. Und dazu kommen noch die
hohen Wartungskosten. Die Homepage ist ein Produkt wie jedes andere
auch. Nur kommen die Wenigsten auf die Idee, vorab mit ihren Kunden
Gespräche hierüber zu führen. »Viel zu aufwändig« sagen da viele. Nur:
Welche Summen werden in Homepages vielfach versenkt?
Produktentwicklung früher bis heute  35
Gegenüberstellung: Traditionelle und zukünftige
Produktentwicklung
Tabelle 3: Strategie der traditionellen und zukünftigen
Produktentwicklung
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Alle Ketten der Wertschöpfung befinden
sich im eigenen Unternehmen (Entwicklung, Herstellung, Werbung/Marketing,
Vertrieb, Service, …)
Unternehmen konzentrieren sich auf den
Teil mit der größten Wertschöpfung. Als
erstes wird meist die Produktion ausgelagert
Konzentration auf die Optimierung
interner Prozesse zur Senkung der Herstellungskosten und Produktivitätssteigerung. Dieses sind Wettbewerbsvorteile
Optimierung des Nutzens bei den Kunden steht an erster Stelle. Wettbewerbsvorteil Nummer eins ist die Nutzenmaximierung für die Kunden
Produktbezogene Definition des Kerngeschäfts. Das Kerngeschäft ist die Herstellung von Produkten
Das Kerngeschäft ist die Bedürfnisbefriedigung
Produktentwicklungsinnovation an den
Bedürfnissen und Möglichkeiten des
Anbieters ausgerichtet
Innovation am Kundennutzen ausgerichtet
Besitz von Anlagen und Rohstoffen, die
Finanzkraft entscheidet
Es zählt der Zugang zu Netzwerken (Lieferanten, Kunden, …) und somit entscheidet der Besitz von Informationen. Der
Anbieter, der im Zentrum des Netzwerks
(oder zumindest an einem Knotenpunkt)
steht, hat die größte Einflussmöglichkeit
Lange Lebenszyklen erlauben es, mit
einer guten Produktidee für die nächsten
zehn Jahre unverändert auf dem Markt
zu bleiben (»ewige« Longseller)
Die Produktlebenszyklen werden immer
kürzer, die Konkurrenz kopiert immer
schneller. Somit müssen bestehende
Produkte laufend optimiert werden und
neue Produkte hinzukommen
Lange Entwicklungsphasen für Neuprodukte
Schnelle Entwicklung ist Grundvoraussetzung, zum Beispiel wurde die Entwicklungszeit in der Automobilindustrie in
den letzen zehn Jahren halbiert
Denken in Umsatzsteigerungsprogrammen
Denken in Nutzenmaximierung für den
Kunden
Hersteller auf der einen Seite, Kunden auf
der anderen. Jeder hat klar voneinander
getrennte Interessen
Kunden und Hersteller wachsen zusammen. Die Interessen überschneiden sich
Funktionsspezifisches Unternehmensorganigramm
Kundenspezifisches Organigramm
36  Praxishandbuch Produktentwicklung
Tabelle 4: Reihenfolge in der Produktentwicklung
und in der Produktion
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Konzepte und Impulse der Produktentwicklung kommen von den Mitarbeitern.
Genies im Elfenbeinturm entwickeln Produkte ohne Kontakt zu den »gewöhnlichen« Kunden
Impulse der Produktentwicklung kommen von den Kunden
Die Idee wird innen entwickelt, anschließend erfolgt die Produktion, dann
wird ein Kundensegment gesucht und
abschließend überlegt, mit welchem USP
geworben werden kann. »Make and sell«
(Produzieren und dann einen Markt zum
Verkauf suchen) war die Devise
Erst Marktsegmentierung, anschließend
die Bedürfnisse der Kunden erfahren,
dann USP und Perspektiven festlegen,
das Produkt im Markt testen und erst
abschließend erfolgt die Produktion.
»Sense and respond«, also Kundenwünsche aufspüren und dann umsetzen,
zählt
Unternehmen steuern mit ihren Produkten die Kundenerwartungen (oder
glaubten es zumindest)
Kundenbedürfnisse steuern die Produktentwicklung der Hersteller
Produktentwicklung früher bis heute  37
Tabelle 5: Ideen für die Produktentwicklung
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Wenn Marktforschung eingesetzt wird,
dann meist sekundäre
Primäre Marktforschung steht im Vordergrund
Maximal quantitative Marktforschung
(meist Fragebögen)
Neben quantitativen Erhebungen überwiegend qualitative Marktforschung. Alle
Kanäle werden systematisch genutzt,
hauptsächlich die Varianten mit persönlichem Kontakt
Einstellung der Mitarbeiter: Nur wir wissen, was der Kunde braucht. Anregungen/Wünsche von den Kunden werden
skeptisch betrachtet bis abgelehnt
Von außen kommende Informationen
werden aufgesogen und zählen mehr als
interne Meinungen und Ideen
Mitarbeiter in der Produktentwicklung
sind Musiker, die selbst etwas entwickeln
Mitarbeiter in der Produktentwicklung
sind Dirigenten, die aus den Einzelinformationen der Kunden ein vollendetes
Ganzes kreieren
Produktentwicklung beschränkt sich auf
die entsprechende Abteilung, der Verkauf
muss nur verkaufen
Alle Mitarbeiter (insbesondere die mit
Kundenkontakt) werden in die Produktentwicklung einbezogen und sammeln
Informationen von den Kunden
Kunden sind passive Empfänger der
Informationen, der Werbung und des
Angebots. Nur Anbieter in der Werbung
und im Verkaufsprozess haben Kontakt
mit den Kunden
Regelmäßiger Kontakt mit den Kunden
Kontakt zum Kunden nur mit dem Ziel
des Verkaufs
Kontakt zum Kunden mit dem Ziel, Informationen für die Produktentwicklung zu
erhalten und für den Verkauf
Informationen von Kunden werden überwiegend zur Verkaufsunterstützung
herangezogen
Informationen über Kunden werden überwiegend für die Optimierung in der Produktentwicklung genutzt
Anbieter entscheiden, welche Informationen der Kunde erhält und in welchem
Umfang die Kunden sich untereinander
austauschen
Kunden besorgen sich die Informationen,
die sie wollen, und tauschen sich außerhalb des Unternehmens untereinander
aus
38  Praxishandbuch Produktentwicklung
Tabelle 6: Kundennutzen und -erwartungen
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Kunden sind die Zielgruppe
Kunden sind Partner. Gemeinsam wird
der Wert erschaffen
Hersteller bestimmen, was der Kunde zu
brauchen hat
Kunden entscheiden, was sie wollen
Rationalität gewinnt
Emotion (Story, dreams come true) und
Design schaffen den Vorsprung
Kundenzufriedenheit reicht aus
Kundenbegeisterung und Kundenverblüffung sind Pflicht
Kunden geben sich mit Produkten
zufrieden
Es werden Lösungen verlangt
Kunden haben sich dem Produkt anzupassen
Das Produkt passt sich den Fähigkeiten
und Bedürfnissen der Kunden an
Kunden sind berechenbar und durchschaubar
Kunden sind spontan, individuell und
»chaotisch«
Langsame Veränderungen der Bedürfnisse bei den Kunden
Alles in Lichtgeschwindigkeit
Innovation ist das, was anders ist. Innovation der Innovation wegen (ohne dass
der Kunde diese Veränderung honoriert)
Innovation ist das, was dem Kunden
deutlich mehr nützt und wozu er zu
zahlen bereit ist
Produktentwicklung früher bis heute  39
Tabelle 7: Technik
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Technologie gilt als Wettbewerbsvorteil
Erfüllung der Kundenbedürfnisse machen
den Unterschied
Mitarbeiter mit technischen Innovationen
werden belohnt
Was zählt, ist der Erfolg beim Kunden
Mitarbeiter in der Produktentwicklung
sind Techniker
Mitarbeiter in der Produktentwicklung
kommen aus dem Marktsegment. Mitarbeiter im Unternehmen bilden ein
Abbild des Marktsegments
Technik und Funktionen bestimmen den
Wert des Produkts
Nutzen bestimmt den Wert des Produkts
Produkte werden gemäß den technischen Möglichkeiten geschaffen
Funktionen und Technik werden nur dort
eingesetzt, wo es den Kunden Nutzen
bringt und der Kunde auch zahlt
Konzentration auf Technologie (Plattenspieler, Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen) oder Rohstoffe
Konzentration auf ein konstantes
Bedürfnis (Musik hören in den eigenen
vier Wänden, saubere Wäsche, sauberes
Geschirr)
Innovationen sind technisch basiert
Nutzeninnovationen
Kunden passen sich an die Technologie
an
Die Technologie passt sich den Kunden
an
Das Produkt steht im Vordergrund
Das Produkt ist eine Problemlösung und
Bedürfnisbefriedigung für eine definierte
Interessensgruppe
Je mehr Funktionen desto besser, es
gilt die Komplexitätsmaximierung. Kompliziert gilt als hochwertig
Weniger ist mehr. Einfach ist genial.
Reduktion auf das Wesentliche, Komplexitätsreduktion zählt
Inside-out-Thinking: technikgetrieben
Outside-in-Thinking: bedürfnisgetrieben
IT: Schwerpunkt auf Technologie, nicht
auf Information
IT: Schwerpunkt auf Information, nicht
auf Technologie
40  Praxishandbuch Produktentwicklung
Tabelle 8: Verkauf
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Kunden sind passiv und werden von den
Verkäufern »gejagt«
Kunden sind aktiv und entscheiden
immer weniger aufgrund von Verkaufsdruck
Trial-and-error-Verfahren, bei dem viele
Ideen gesammelt und dann auf den
Markt »geschmissen« werden
Punktschießen
Verkäufermarkt: Nachfrage ist größer als
das Angebot
Käufermarkt: Angebot ist größer als die
Nachfrage
Marken werden durch Werbung erzeugt
Marken werden durch Erlebnisse der
Kunden und Geschichten der Kunden
untereinander zum Produkt und zum
Unternehmen erzeugt
Produkte werden lokal angeboten, internationale Produkte mit Zeitverzug
Neue Produkte sind sofort weltweit verfügbar
Konkurrenz nur aus der Branche
Quereinsteiger werden zu Marktführern,
teilweise mit Alternativlösungen, die das
gleiche Problem deutlich besser lösen
Tabelle 9: Preis
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Differenzierung über den Preis
Differenzierung über die einzigartige
Bedürfnisbefriedigung
Mittleres Preissegment
Low Price oder high Price
Der Wert eines Produkts entsteht durch
das Produkt selbst
Ein Produkt ist nur noch die physische
Hülle einer geistigen Idee. Der Wert entsteht durch den Nutzen
Produktentwicklung früher bis heute  41
Tabelle 10: Prozesse und Produktion
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Prozessoptimierung
Optimierung des Kundennutzens
Anbieter beschränken sich bei der Produktentwicklung auf das, was ihnen
selbst zur Verfügung steht und was sie
am besten können
Ideallösungen für den Kunden werden
erstellt (zur Not durch Kooperation mit
anderen Anbietern)
Produktion auf Halde, da es nur wenige
Variationen gibt
Produktion on demand, da immer mehr
Individuallösungen verlangt werden
Tabelle 11: Marktsegmentierung
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Massenzielgruppe als Kunden, big is
beautiful. Ein Produkt für viele. Das Produkt wird für den Durchschnittskunden
entwickelt. Diese Standardausführung
liefert durchschnittlichen Nutzen für viele
Konzentration auf ein kleines Kernsegment, lieber Hecht im kleinen Karpfenteich. Das individuelle Produkt wird so
weit es geht für individuelle Bedürfnisse
entwickelt. Somit maximaler Nutzen für
Wenige. One-to-one-Lösungen werden
erwartet
Marktvolumen gilt als Grenze des
Wachstums
Die Nichtkunden der Branche warten nur
auf eine bessere Lösung. Diese Gruppe
ist meist viel größer. Ebenso die Kunden
aus anderen Branchen
Kunden werden in Zahlenwerten ausgedrückt (Alter, Einkommen)
Der Mensch mit seiner Lebenswelt steht
im Mittelpunkt
Klassische Segmentierung nach Gruppen
(soziodemografisch, geografisch, …)
Segmentierung nach unterschiedlichen
Interessensgruppen
Tabelle 12: Gewinn
Traditionelle Produktentwicklung
Zukünftige Produktentwicklung
Viele Anbieter machen ganz gute
Geschäfte und Gewinne, gute Produkte
erwirtschaften gute Ergebnisse
»The Winner takes it all«. Der Marktführer
streicht mit großem Abstand den größten
Gewinn ein, wenige machen noch ganz
akzeptable Gewinne und viele keine
Gewinne bis hin zu Verlusten. Wie bei
einem Pferderennen oder 100-MeterSprint entscheidet eine Nasenlänge
Vorsprung über Sieg und Niederlage. Der
Gewinner erreicht diese Position nicht
mit einem Durchschnittsprodukt, sondern mit Spitzenprodukten
42  Praxishandbuch Produktentwicklung
Geistreiches und Zitiertes
»Mit Werbung ist es wie mit der Musik. Wenn irgendwelche Intellektuellen
sich künstlerisch ausleben, geht das voll in die Hose. Wer die Leute erreichen
will, muss den Geschmack treffen und gute Unterhaltung abliefern.«
Dieter Bohlen
»Der Schreibtisch ist ein gefährlicher Ausguck.«
John Le Carré
»Das Internet bietet viele Beispiele für Firmen, die mit Hilfe von Technologien besser wurden als die Konkurrenz – und für jede Menge Unternehmen,
die sich in die Technologie verliebten und darüber die wirklichen Wünsche
ihrer Kunden aus den Augen verloren.«
Patrick Barwise und Seán Meehan in Simply Better
»Wenn man die Forschung nur den Ingenieuren überlässt, hätte man perfekt
funktionierende Petroleumlampen, aber keinen elektrischen Strom.«
Albert Einstein
»Und die Kunden? Sie belohnen Konformität und Vergleichbarkeit des Angebots mit der Höchststrafe: Die Kaufentscheidung fällt nur noch über den Preis.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking
»Früher haben wir gedacht, wir erziehen das Publikum. Heute wissen wir,
dass wir dem Publikum folgen müssen. Wenn wir spüren, was das Publikum
bewegt, und diese Themen auf die Bühne bringen, sind wir erfolgreich.«
Maik Klokow
»Wenn wir nicht von den Kunden gelenkt werden, werden es unsere Autos
auch nicht.«
Führungskraft bei Ford
Redner vor Gruppe: »… und außerdem arbeitet unsere Konkurrenz mit
unlauteren Mitteln: Sie passt ihre Produkte bedenkenlos den Kundenwünschen an!«
Cartoon aus Blick durch die Wirtschaft
»Der Begriff ›Lernende Organisation‹ impliziert, dass man sich auch unangenehmen Dingen stellt. Wenn es sich jeder behaglich macht, lernt niemand
etwas.«
Don Lehmann
Produktentwicklung früher bis heute  43
»Wenn Sie nicht genau sagen können, was Sie zum Erfolg Ihres Unternehmens beitragen, sind Sie draußen.«
Tom Peters in Der Innovationskreis. (Dies gilt auch für Ihr Unternehmen und
somit für Sie aus der Sicht Ihrer Kunden: Wenn Sie nicht genau sagen können,
was Sie zum Erfolg Ihres Kunden beitragen, wird Ihr Unternehmen in naher
Zukunft vom Markt verschwinden. Und dann sind Sie auch draußen!)
»Was macht Sie so s-e-h-r besonders? So besonders, dass niemand Ihnen das
Wasser reichen kann? Ich hoffe, Sie haben darauf eine gute Antwort.«
Tom Peters in Re-imagine!
»Es gibt jemanden, der kann uns alle – auch mich als Chef – jederzeit kündigen. Das ist unser Kunde.«
Sam Walton
»Wenn der Kunde erkennt, dass er einen entscheidenden Nachteil hat, wenn
er nicht bei Ihnen kauft, sondern woanders, dann beginnt er in Ihre Richtung zu laufen. Und mit ihm auch sein Geld. So einfach ist das.«
Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie
»Denn es gibt nur eine einzige Gruppe von Menschen, die Ihnen Geld
bringt, das Sie nicht zurückzahlen brauchen. Das sind die Kunden. Nicht die
­Banker.«
Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie
»Der Einzelhandel steht kurz vor dem Aus, und das hat nichts damit zu tun,
dass möglicherweise die Einkommen zu niedrig sind oder die Wirtschaft am
Stock geht. Der Grund liegt einzig und allein in der weiten Verbreitung der
Doppelgängerprodukte.«
Tom Peters in Der Innovationskreis
»Der fehlende Bezug des Topmanagements zum Markt ist das größte Problem in der Wirtschaft.«
Jack Trout in Trout über Strategie
»Solange die Ingenieure so arrogant glauben, dass ihre Technologie genau
das ist, was der Markt braucht, so lange werden die Produkte fehlschlagen.«
Koichi Tanaka
44  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Wer den Kunden kennt, hat den Erfolg. Ohne Information über die eigenen
Kunden ist ein Unternehmen verloren.«
Hannes Kunz in Beziehungsmanagement
»Fachidiot schlägt Kunden tot.«
Verkäuferspruch
»Das berühmte Bauchgefühl kann sehr schnell einem Lotteriespiel gleichen,
dessen negative Folgen allerdings nicht nur ein verlorener Gewinn, sondern
auch ein dauerhafter Verlust sein kann.«
Norbert J. Heigl in Schnellkurs Marktforschung
»Der Mensch lässt sich leichter von den Dingen überzeugen, die er selbst
gefunden und erfunden hat, als von denen, die ein anderer gefunden hat.«
unbekannt
»Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.«
Albert Einstein
»Innovationen ohne Nutzen sind gewöhnlich technologiebasiert, futuristisch
oder Marktpioniertum und schießen oft über das hinaus, was die Käufer zu
akzeptieren und zu bezahlen bereit sind.«
W. Chan Kim und Renée Mauborgne in Der blaue Ozean als Strategie
»Marketing ist Chefsache und Sache aller Führungskräfte. Daher braucht
das Unternehmen keine Marketingabteilung.«
Dieter Brandes in Einfach managen
»Don’t worry about what is best for the company. Worry about what is best
for the customer!«
Gary Comer
»If you don’t listen, you don’t sell anything.«
Carolyn Marland
»Wenn es doch nur 6 Prozent der besten Marken mithilfe der mittlerweile
hoffnungslos veralteten Strategie, uns permanent auf ihre mittelmäßigen Produkte aufmerksam zu machen, gelungen ist, einen Platz auf dieser Liste [»Die
besten Marken weltweit«, ermittelt von Interbrand] zu erobern, wieso in aller
Welt sollte diese Strategie dann bei Ihrem Unternehmen funktionieren?«
Seth Godin in Purple Cow
Produktentwicklung früher bis heute  45
»Stell dich nicht hin, wo ein anderer schon steht.«
Regel der Messdiener
»An die Stelle des Tauschverfahrens (Ware gegen Geld) tritt das gemeinsame
Gestalten.«
C. K. Prahalad und Venkat Ramaswamy in Die Zukunft des Wettbewerbs
»Wer es in den nächsten Jahren nicht schafft, eine Marke zu werden, der
überlebt nicht.«
Lovro Mandac
»Tauchen Sie ein, damit Sie nicht untergehen. Sorgen Sie dafür, dass nicht
nur das Topmanagement und die Vertriebs- und Marketingabteilung,
sondern das Unternehmen als Ganzes regelmäßig in den Markt eintaucht.
Je öfter alle das tun, desto erfolgreicher wird eine kundenorientierte Grundhaltung aufgebaut werden. Für den direkten Marktzugang des gesamten
Unternehmens von der Spitze bis zur Basis gibt es einfach keinen Ersatz.«
Patrick Barwise und Seán Meehan in Simply Better
»Es gibt noch Politiker, die wissen wollen, wie ›normale‹ Menschen leben
und arbeiten. Heute steht der Bundestagsabgeordnete Laurenz Meyer in
Lünen als Tankwart an einer Tankstelle […].«
Bild Zeitung vom 14.09.2005 über die Aktion »Praktikum für Politiker«
»Innovationen der Innovationen willen ist unsinnig, aber konsequente Innovationen zur Verbesserung der Leistungen in Bezug auf kategorie-spezifische
Vorteile sind eine wesentliche Voraussetzung für nachhaltigen Erfolg.«
Patrick Barwise und Seán Meehan in Simply Better
»Was tun, wenn der Kunde nicht kaufen will: … Gib ihm, was er will, dann
kann er Dir geben was Du willst.«
Paul Arden in Es kommt nicht darauf an, wer Du bist,
sondern wer Du sein willst
»Viele deutsche Zeitungsverlage verpassen die Chance auf höhere Umsätze,
weil sie zu wenig über die Vorlieben ihrer Leser wissen. Jeder dritte Verlag
sieht sich beim Kundenbeziehungsmanagement ›schwach‹ aufgestellt und
kennt meist nur die Adressen seiner Abonnenten.«
Handelsblatt.com, 26.01.2005
46  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Das Reporting wird ständig ausgeweitet, der damit verbundene Aufwand
nimmt enorm zu. Es ist zu befürchten, dass mancher Manager glaubt, den
Markt anhand von Reportauswertungen verstehen zu können.«
Dieter Brandes in Einfach managen
»Indem Sie sich die Energie der Massen zunutze machen, können Geschäftsleute bessere Entscheidungen treffen und größere Gewinne einstreichen.«
Barry Libert und Jon Spector in Viele wissen mehr als einer
»Wir erleben gerade das Self-Empowerment des mündigen Konsumenten.
Wer zukünftig mit dem kritischen Konsumenten ins Geschäft kommen
möchte, muss ihn in seinen Bedürfnisstrukturen noch genauer verstehen
lernen.«
Matthias Horx
Produktentwicklung früher bis heute  47
Kapitel 3
Grenzen von Strategie,
Qualitätsmanagement und Service
Die Tücken der Strategie
»Strategie ist das, was Sie einzigartig macht und die beste Methode ist,
Ihre differenzierenden Ideen im Gedächtnis Ihrer bestehenden und potenziellen Kunden zu verankern«, sagte Jack Trout. Alle anderen Formen der
Strategie sind nur wertlose Papierberge. Die wirkungsvollste und kürzeste
Strategie ist immer noch diese: Stellen Sie den Kundennutzen in den Mittelpunkt. Bieten Sie Ihren Kunden die Möglichkeit, im Beruf erfolgreicher
zu sein und/oder im privaten Bereich besser zu leben. Und das bitte für den
Kunden nachweisbar!
Kennen alle Ihre Mitarbeiter den Nutzen Ihrer Produkte für den Kunden? Testen Sie doch bitte mal: Fragen Sie zehn Mitarbeiter (Kundenservice,
Produktentwicklung, Vertrieb, Vorstand et cetera) aus unterschiedlichen
Abteilungen: »Was hat der Kunde von unserem Produkt X? Was ist das
Besondere des Produkts X aus Kundensicht?«. Erhalten Sie verschiedene
Antworten, haben Sie ein Problem. Wenn noch nicht einmal Ihren Mitarbeitern der Nutzen deutlich ist, wie soll es denn bei Ihren Kunden sein?
Jeder Mitarbeiter muss wissen, wohin die Reise geht und welcher Nutzen
den Kunden geboten wird. Nur so kann dieser weiter maximiert werden.
Und alle ziehen in Ihrem Unternehmen an einem Strang. Sie können die
Frage auch modifizieren: »Was ist unser Kerngeschäft?«. Erhalten Sie
darauf Antworten wie »Autos bauen«, »Kleidung verkaufen« oder Ähnliches, dann sollten Sie dort ansetzen. Denn das Kerngeschäft ist immer,
den Kunden einen spezifischen Nutzen zu liefern.
Optimal wäre es, wenn auch Ihren Lieferanten dieser Nutzen deutlich
ist. Denn je nach Fertigungstiefe tragen Ihre Zulieferer erheblich zu Ihrem
Unternehmenserfolg bei. Und als dritte und wichtigste Gruppe sollte die
oben genannten Fragen auch einheitlich von Ihren Kunden beantwortet
werden. Erhalten Sie unterschiedliche Antworten – was ich Ihnen nicht
wünsche –, dann gehört dieses Thema auf die Tagesordnung des nächsten
Meetings – und zwar vor allen anderen Themen. Denn ein hervorragender
48  Praxishandbuch Produktentwicklung
Nutzen bringt einem Unternehmen mehr als eine noch so gute theoretische Strategie.
Qualitätsmanagement
Bevor nun Missverständnisse aufkommen: Es spricht vieles dafür, dass
Unternehmen ihren Kunden höchste Qualität anbieten – und diese
gleichbleibende Qualität auch intern und extern prüfen lassen. Die Einschätzung der notwendigen Qualität muss sich jedoch darauf beziehen,
welche Qualität der Kunde fordert und für welche er zu zahlen bereit ist.
Qualitätsmanagement sollte dem Zweck der Sicherheit und der Kundenerwartung dienen. Es darf nicht zum Selbstzweck verkommen.
Wo Qualitätsmanagement lebensnotwendig ist
In einigen Industriezweigen ist die 100-prozentige Gründlichkeit Voraussetzung, vor allem wenn mit Produktabweichungen erhebliche Nachteile
bis Risiken für den Kunden verbunden sind (unter anderem Transport,
Medizin). Doch es gibt viele Unternehmen, die ISO bis zum Exzess betreiben, obwohl davon keine Menschenleben oder die Gesundheit abhängen.
Die Mitarbeiter klammern sich häufig an Ordner und Abläufe, damit sie ja
nichts ändern müssen und schon gar nicht mit den Kunden reden müssen.
Die Grenzen des Qualitätsmanagements
Ganze Scharen von Beratern zogen im letzten Jahrhundert durch das
Land, um den Unternehmen den Segen der Qualität zu geben und dafür
sehr hoch honoriert zu werden. Erfunden wurden wilde Wortkombinationen, von denen eine besser als die andere erschien. Zumindest war die
Einführung der Normen für die Unternehmen sehr teuer. Geholfen hat es
teilweise den Kunden, bei denen einiges standardisiert wurde. Jetzt, da
fast jedes Unternehmen nach einem oder mehreren Standards zertifiziert
ist, gilt es nicht mehr als Wettbewerbsvorteil.
Die ganze Zertifizierungsarie der letzten Jahre hat insbesondere in
Produktionsbetrieben sicherlich ihre Berechtigung. Da die zertifizierten
Unternehmen überwiegend selbst bestimmen, was Qualität ist, helfen
Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service  49
diese Systeme zur Standardisierung der Abläufe. Der Kunde kann sich
darauf verlassen, jeweils immer die gleiche Qualität zu erhalten. Unternehmen können theoretisch auch die Produktion von bleigefüllten Schwimmwesten zertifizieren lassen, solange die Westen immer den gleichen Bleigehalt haben und die Einhaltung regelmäßig dokumentiert wird. Es wäre
gleichbleibende »Qualität«. Das sagt jedoch gar nichts über den Nutzen
der Produkte aus. Aber ob die zertifizierten Unternehmen auch Produkte
herstellen, die die Kunden wollen und somit kaufen, steht auf einem ganz
anderen Blatt. So sind Qualitätsmanagement und bedürfnisorientierte
Produktentwicklung zwei Seiten einer Medaille. Sie sind unabhängig voneinander, jedoch beide notwendig. Gleichbleibender Nutzen geht nicht
ohne Qualitätsmanagement, doch ohne herausragenden Nutzen bringt
das ganze Qualitätsmanagement nichts. So verkommt das Qualitätsmanagement zu einem bürokratischen Akt.
Bei kurzen Lebenszyklen ist es häufig gar nicht mehr möglich, jedes Produkt über Jahre nach allen Standards zu testen. Wenn Microsoft so vorgehen würde, hätten wir heute noch DOS 3.3 als neuestes Betriebssystem.
Heute gibt es praktisch keine schlechten Produkte mehr. Qualitätsmanagement ist kein Wettbewerbsvorteil mehr, sondern ein Hygienefaktor. Die Eintrittskarte, um im Markt mitspielen zu dürfen. Wenn Sie
alles richtig machen und die Produkte keine Mängel aufweisen, dann sind
Ihre Produkte nur Durchschnitt. Gleichbleibende Qualität wird von den
Kunden vorausgesetzt. Es ist kein Anreiz für die Kunden, das eine Produkt
dem anderen vorzuziehen. Der Qualitätskrieg ist vorbei. Die Gewinner
dürfen alle noch mitspielen. Jedoch können sie leicht verlieren, wenn der
differenzierte Nutzen des Produkts aus Kundensicht fehlt beziehungsweise
in der Werbung nicht transportiert wird. Und gute Basisqualität gibt es
heute schon ganz selbstverständlich aus Osteuropa, Fernost, Südamerika
et cetera. Und zwar zu einem Bruchteil des Preises.
Was die Kunden von Qualität erwarten
Unternehmen hängen QM-Zertifikate häufig in den Kundenbereich, auch
wenn die Kunden die Zertifikate gar nicht verstehen. Jedoch bestimmt der
Kunde nicht die Zertifikate, sondern in welcher Qualität er das Produkt
möchte und wofür er bereit ist zu zahlen. Es ist ein Zeichen von Schwäche,
Qualitätsmanagement immer vor sich herzutragen; die meisten dieser
Hersteller haben außer Qualitätsmanagement nur wenig Kundennutzen
zu bieten.
50  Praxishandbuch Produktentwicklung
Qualität kann in diesem Zusammenhang wie folgt definiert werden:
• Qualität = Nutzen für den Kunden;
• Qualität ≠ Meinung externer Experten;
• Qualität ≠ Meinung der eigenen Mitarbeiter.
Qualität definiert der Kunde. Es zählt nicht die Meinungen der Lieferanten
oder des Produktionsleiters. Was der Kunde nicht unterscheiden kann,
kann er nicht bewerten und ist für ihn nicht kaufentscheidend. Das Produkt muss qualitativ so richtig wie nötig und so begeisternd wie nur irgend
möglich sein. Nicht umgekehrt! Das Produkt wird so hergestellt, wie der
Kunde es erwartet. Perfektion der Perfektion wegen wird vom Kunden
nicht honoriert. Übertriebene Qualität kostet Geld. Zahlt der Kunde diesen
Mehrpreis, dann wird sie umgesetzt. Sonst nicht. Mit einer Einschränkung:
gesetzliche Vorgaben bei der Qualität sind immer zu berücksichtigen.
In den Luxussegmenten ist die Qualität scheinbar gar nicht so wichtig.
Ein Ferrari wird nicht danach bewertet, wie oft er zur Reparatur muss,
eine Rolex nicht, wie genau sie die Zeit anzeigt. Wären das die Kriterien,
würde statt Ferrari vielleicht ein VW gekauft werden und statt einer Rolex
möglicherweise eine Quarzuhr.
Service
Der Service ist ein Dauerthema in Deutschland, zumal dieser oft zu wünschen übrig lässt. Jedoch ist dieser auch keine Wunderwaffe.
Die Grenzen vom Service
Der Service sind die Schokostreusel, die das Produkt abrunden. Mehr
nicht. Erst muss das Produkt den herausragenden Nutzen bringen. Ein
»schlechtes« Produkt kann auch nicht durch noch so guten Service gerettet werden. Erst muss die Pflicht erfüllt werden (die Differenzierung über
das Produkt), dann kann der Service abrunden. Viele Unternehmen – egal
ob Kleinunternehmen oder Großkonzerne – haben ganze Serviceabteilungen eingerichtet. In der Strategie dreht sich alles um den Kunden –
zumindest auf dem Papier. Was nützt jedoch die ganze Freundlichkeit an
der Reklamationsbehandlung oder der 24-Stunden-Bestellservice? An den
Symptomen des Umsatzrückgangs wird seit Jahren gearbeitet. Die Ursache
Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service  51
wird wenig beachtet: das Produkt. Dort ist der größte Stellhebel, zumal
Serviceleistungen meist sehr schnell von den Wettbewerbern kopiert werden können. Service, wie zum Beispiel das Rückgaberecht bei Erstattung
des Kaufpreises oder Bonuskarten, bieten heute fast alle an.
Blind ausgewählte Zusatzleistungen schaden mehr als sie bringen. Da
nützt auch – bis auf die PR in der Tagespresse – keine Oben-ohne-Bedienung, wie es der Elektrohandel Innova versucht hat. Verzichten Sie auf
irgendwelche 24-Stunden-Hotlines, die der Kunde nicht braucht und bei
denen er – wenn er doch mal anruft – in einem unqualifizierten Callcenter
landet.
Wann Sie auf Service »verzichten« können
The best service is no service ist ein Buch von Bill Price und David Jaffe.
Die Autoren sind der Meinung, dass die Kunden mit dem Kauf voll zufrieden sein müssen. Ein weiterer Kontakt mit dem Anbieter sei dann nicht
notwendig. Unternehmen sollen sich mehr darauf konzentrieren, dass
die Produkte funktionieren, die Gebrauchsanleitung verständlich ist und
Fragen zu ergänzenden Produkten aufgeführt sind. Ist dieses erfüllt, entfallen circa 80 Prozent der auch für Kunden nervigen Serviceanrufe. Denn
Service wird von den Kunden häufig als Drohung empfunden. Sätze wie
»Dann kommt jemand von unserem Service bei Ihnen vorbei« bedeuten
meist, dass ein genervter Angestellter lustlos zum Kunden geht, um ihm zu
zeigen, dass er nur nicht clever genug ist, das Produkt zu bedienen.
Wo Service Sinn macht
Die Serviceleistungen müssen am USP des Produkts ausgerichtet sein
und diesen unterstützen. Sie sind dann eine Ergänzung zum Produkt
und verstärken die Bedürfnisbefriedigung, die originär immer noch vom
Produkt erfüllt sein muss, ist Service als Ergänzung nicht nur sinnvoll,
sondern notwendig. Dann können diese Zusätze die Verkaufsquoten und
anschließende Kundenbindung erhöhen. Anbieter müssen genau wissen,
welche Serviceleistungen für den Kunden wirklich einen Mehrwert darstellen und nur diese anbieten. Qualität vor Quantität. Lieber wenige
Leistungen herausgreifen und diese dann zuverlässig umsetzen. Diese vom
Kunden honorierten Leistungen können in Marktgesprächen erfasst werden. Wichtig sind dabei honorierte Leistungen. Das heißt der Kunde wäre
52  Praxishandbuch Produktentwicklung
bereit, für diese Zusatzleistungen Geld zu bezahlen. Ist dieses nicht der
Fall, ist es ihm nichts wert und beeinflusst ihn auch nicht in seiner Kaufentscheidung. Serviceleistungen sind somit genauso auf den Prüfstand zu
stellen wie alle Produkteigenschaften. Bei jeder Servicemaßnahme sollte
vorab immer Folgendes geprüft werden:
•
•
•
•
•
•
Kaufen die Kunden dadurch eher?
Kaufen die Kunden dadurch mehr?
Kaufen die Kunden dadurch öfter?
Bleiben die Kunden dadurch länger dem Produkt treu?
Liefert der Service dem Kunden Erlebnisse, die er weitererzählen kann?
Würde der Kunde für den Service etwas extra zahlen?
Wenn keine der Fragen nachweislich mit ja beantwortet werden kann,
dann bitte Finger weg von diesen Spielereien!
Selbstverständlich sind in der Planung diese Serviceleistungen ebenfalls
zu quantifizieren: Wie groß ist der Aufwand beziehungsweise wie hoch
sind die Kosten für jede Serviceleistung und im Gegenzug dazu die zu
erwartenden Mehrumsätze? Kommt hier ein negativer Wert heraus, sind
diese Serviceleistungen den Kunden nicht so viel wert wie diese den Anbieter kosten. Dann gilt: Streichen dieser Serviceleistung, den Aufwand dafür
reduzieren oder den Service so verbessern, dass dieser dem Kunden viel
mehr wert ist.
Ebenso wichtig wie die Vorkalkulation ist das nachträgliche Controlling: Haben die Serviceleistungen auch wirklich den erwarteten Effekt
gebracht? Wie haben die Kunden diesen Service genutzt? Hier im Echttest
zeigt sich wirklich, ob diese Serviceleistungen nur Spielereien waren oder
tatsächlich zu mehr Umsatz führten. Und lassen Sie sich nicht erzählen:
»Das kann man nicht messen«. Wenn der Erfolg nicht gemessen werden
kann, ist er auch nicht vorhanden. Dann verzichten Sie bitte auf das Angebot dieser zusätzlichen Serviceleistungen.
Geistreiches und Zitiertes
»Qualität, definiert durch ›nur wenige Mängel‹, ist in der Automobilbranche
eher der Preis für den Markteintritt geworden, sie ist kein Wettbewerbsvorteil mehr.«
J. D. Power and Associates,
Marktforschungsunternehmen für die Automobilbranche
Grenzen von Strategie, Qualitätsmanagement und Service  53
»Qualität steht nicht für Hochwertigkeit, sondern bedeutet, dass die Anforderungen erfüllt sind.«
Phil Crosby
»Die Qualität muss aus der Perspektive des Kunden gesehen werden.«
Tom Peters in Kreatives Chaos
»Qualität ist, was der Kunde als für notwendig erachtet, und nicht, was
durch unsere Prüfungen als für angemessen erkannt wird.«
Tom Peters in Kreatives Chaos
»Sie müssen sich mit allem verfügbaren Elan für Service einsetzen, und zwar
für Service nach Wünschen des Kunden.«
Tom Peters in Kreatives Chaos
»Die Hauptvoraussetzung für echtes Kundenbeziehungsmanagement ist
ein Produkt, das vom Kunden gewünscht wird. Echtes Engagement in der
Beziehungspflege kann zwar viele Produktnachteile aufwiegen und für eine
gewisse Zeit kompensieren, dennoch ist der sogenannte Kernnutzen nach
wie vor auch Kern der Kundenzufriedenheit. Erfüllt das Produkt den Zweck
nicht, nützen die übrigen Aktivitäten wenig.«
Hannes Kunz in Beziehungsmanagement
54  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 4
Marketing, Werbung und Verkauf
Marketing – wirklich der Markt?
Viele Definitionen zum Marketing beschreiben nur die Produkt- und
Kommunikationsleistung. Die Kundenseite wird sträflich vernachlässigt.
Eine hier herausragende Marketing-Definition hat schon Peter F. Drucker
formuliert: »To look at the world from the custumer size«.
In vielen Organigrammen von Unternehmen ist die Abteilung »Marketing & Vertrieb« zu finden. Das sind zwei Bereiche, die gegensätzlicher nicht sein können. Vertriebsabteilungen haben die Aufgabe, so viele
Produkte wie möglich zum Listenpreis zu verkaufen. Der Bereich Marketing gehört nicht dazu. Das ist Sache der Produktentwicklung. Denn
»Marketing ist zu wichtig, um es der Marketingabteilung zu überlassen«
(David Packard). Lösen Sie die Marketingabteilung auf. Diese Mitarbeiter
werden anschließend in den Marktgesprächen direkt beim Kunden eingesetzt. Denn Marketing steht am Beginn der Produktentwicklung, nicht
am Ende, wenn das Produkt fertig ist.
Die 4 P – Und wo bleibe ich?
Die klassischen 4 P, Product (Produktmix), Price (Konditionenmix),
Promotion (Kommunikationsmix) und Place (Distributionsmix), gelten
als Basis des Marketings. Fast alle Parameter sind in diesen 4 P enthalten – jedoch wird hier das Marketing auf das Produkt und den Absatzgedanken reduziert. Das reichte zum Zeitpunkt der Entstehung dieser
Theorie im letzten Jahrhundert noch aus. Doch heute liegt kein Verkäufermarkt mehr vor. Heute haben wir einen eindeutigen Käufermarkt.
Wer Produkte nur von der Produktseite konzipiert, landet maximal
noch Zufallstreffer. Da helfen auch die häufig beschriebenen Ergänzungen nichts: Publicity, Präsentation und Permission. Der wichtigste
Teil wird vernachlässigt: People (Kunden). Zudem sollte ein weiteres P
Marketing, Werbung und Verkauf  55
hinzugenommen werden: Profit. Denn ohne Profit kann langfristig kein
Unternehmen bestehen.
Reizüberflutung
Alles wird schneller, komplexer, unübersichtlicher: das Internet, der Jobwechsel, die Lebenszyklen von Waren, die Anzahl der Fernsehsender, die
Angebotsvielfalt und so weiter. Den Kunden platzen die Köpfe. Sie sind
informationsüberlastet, denn die Möglichkeit zur Speicherung von Botschaften im menschlichen Gehirn ist begrenzt. Gemäß einer Studie des
Instituts für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des
Saarlands kann insgesamt nur noch weniger als 1 Prozent der auf die
Menschen einprasselnden Informationen aufgenommen werden. Unter
dieser Informationsflut befinden sich täglich über 5 000 Werbebotschaften (Radio, Fernsehen, Plakatwände, Litfasssäulen, Bildschirme in Bus
und Bahn, Zeitungsinserate, Werbung im Internet, Mail, Verpackungen,
Werbung auf Tickets, Briefwerbesendungen, Telefonwerbung, Werbung
an und in Geschäften et cetera). Davon nimmt der Mensch laut Marktforschungsinstitut Rheingold und BBDO nur 52 wahr, was 1 Prozent
entspricht. Über 95 Prozent der Postwerbesendungen wandern ungelesen
in den Mülleimer. Diese Selektion muss der Mensch vornehmen, um
in dieser Reizüberflutung überleben zu können. Das, was nicht in der
jetzigen Situation benötigt wird, wird ignoriert. Und Werbung wird
nicht benötigt. Den verbliebenen Prozenten wird überwiegend nur eine
Aufmerksamkeitsdauer von einer Sekunde gegönnt. Es zählt nur noch
das, was dringende Bedürfnisse wie Wunscherfüllung und Problemvermeidung befriedigt.
So reagieren Menschen auf Reizüberflutung:
• Verweigerung der Werbung, weil diese unverlangt eintrifft. Viele haben
bereits an ihren Briefkästen den Hinweis »Bitte keine Werbung einwerfen«. Dieses Hinweisschild wird häufig schon von der Hausverwaltung
gestellt;
• um die Gefahr eines Fehleinkaufs zu reduzieren, werden Bekannte oder
andere Quellen (zum Beispiel Internetforen) befragt, um Informationen zu Produkten einzuholen. Wenn diese ihm ein Produkt empfehlen
beziehungsweise vom Kauf abraten, ist dieses meist kaufentscheidend.
Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass diese Bekannten Ihre Produkte positiv nennen und nicht die des Wettbewerbers;
56  Praxishandbuch Produktentwicklung
• die Fernbedienung am Fernseher ist ein Segen: ohne Aufzustehen kann
die Werbung weggedrückt werden. Was nutzen den Werbetreibenden 8
Millionen Zuschauer bei einer Sendung, wenn in den Werbepausen die
Werbung ignoriert, der Sender gewechselt oder sich etwas zu trinken
geholt wird? Häufig werden die Sendungen auch aufgenommen, um
beim späteren Ansehen die Werbeblöcke zu überspringen;
• sie sind verunsichert, da morgen eine Werbung ein noch besseres Produkt verspricht. Das führt zu Kaufzurückhaltung;
• früher nahm sich Werbung das Recht, bis in die Privatsphäre der Mitmenschen zu gelangen. Heute entscheiden die Kunden, wann, wo und
welche Werbung sie konsumieren.
Durch die immer noch steigende Reizüberflutung steigt die untere Reizschwelle der Kunden zum Kauf eines Produkts weiter. Es muss schon das
herausragende Produkt mit einem ebensolchen Nutzen sein, um überhaupt
wahrgenommen zu werden. Aus welchen Gründen sollen nun die Kunden
Ihrer Werbung Aufmerksamkeit schenken und Ihnen zuhören?
Die Entwicklung
Früher wurden Werbebotschaften vom Kunden wahrgenommen und veranlassten ihn zum Kauf, wenn nur der Werbedruck groß genug war. Personalisierte Briefwerbung war etwas Besonderes. Der Adressat hatte den
Eindruck, dass ihm gezielt eine Person schreibt. Da diese Form heute ein
Masseninstrument ist, gehen die Briefe unter. Die Bestellquoten sinken
dramatisch.
Früher haben die Unternehmen die Kunden besucht und ihnen Produkte angeboten. Unternehmen sind den Kunden nahezu hinterhergelaufen und haben sie mit Werbung bedrängt. Heute überlegen Unternehmen,
wie die Kunden das Produkt und das Unternehmen finden. Früher wurde
die Masse (unter anderem über Fernsehwerbung und Tageszeitungen)
beworben und Durchschnittswerte als Erfolgskontrolle herangezogen.
Heute wird darauf geachtet, welches Nischensegment das Produkt in großen Mengen bestellt. Diese Gruppe wird gezielt beworben, die anderen
weggelassen. Früher haben Verkaufsvertreter noch Termine bekommen.
Heute hat für Vertreterbesuche im Business-Bereich keiner mehr Zeit. Vertreterbesuche enden somit immer häufiger schon bei der Sekretärin an der
Terminabsprache. Wenn der Nutzen des Angebots nicht einen zwingenden
Bedarf trifft, besteht keine Chance zu einem Termin. Früher steckten die
Marketing, Werbung und Verkauf  57
»Werbetricks« und die dreisten Drückermaßnahmen noch in den Kinderschuhen. Diese Methoden sind heute bis ins kleinste Detail ausgereift und
werden von vielen Anbietern angewendet. Einen Wettbewerbsvorteil aufgrund der Werbung zu holen, ist fast aussichtslos.
Werbung verliert an Wirkung, denn:
• Kunden wurden zu oft enttäuscht. Die Produkte haben nicht gehalten,
was die Werbung versprochen hat. Werbung wird nicht mehr geglaubt;
• Kunden wurden durch Werbung zu oft hinters Licht geführt. Zeitschriftenverlage zum Beispiel versenden als Befragung getarnte Werbung. Füllt der Kunde den Fragebogen aus, erhält er als »Geschenk«
einige Ausgaben. Danach ist er an ein Jahresabonnement gebunden;
• Kunden vergleichen Werbung mit Manipulation. Sie wollen nicht darauf
hereinfallen, sondern selbst entscheiden;
• Produkte und somit auch die Werbung sind meist austauschbar. Kunden können Slogans wie »Das Beste«, »Noch weißer«, »Die Billigste«,
»Billiger geht’s nicht« nicht mehr hören. Das sind alles leere, austauschbare Phrasen. Bei der Lautstärke der Marktschreier flieht der Kunde;
• je stärker der Werbedruck wird, desto mehr blocken Kunden ab.
Unternehmen verlieren Kunden hauptsächlich aufgrund schlechter Produkte. Kunden werden viel weniger abgeworben als angenommen. Um
abwerbwillig zu sein, muss zuerst eine Unzufriedenheit oder höchstens
eine mäßige Zufriedenheit mit dem jetzigen Angebot bestehen. Begeisterte
Kunden wechseln den Anbieter nicht. Wenn ihnen ausnahmsweise mal
etwas nicht gefällt, dann unterstützen sie »ihren« Anbieter häufig noch
mit Anregungen. Wenig gewechselt wird aufgrund der Preise beziehungsweise zu wenig oder zu schlechter Werbung.
So bitte nicht
Breit statt spitz – Masse statt Klasse
Massenwerbung im Gießkannenprinzip funktioniert nicht mehr. Dann
schon eher wie bei Google: je nach eingegebenem Suchbegriff erscheinen
Werbelinks. Das ist individuell und der Suchende empfindet das als weniger störend und sogar häufig als hilfreich bei seiner Suche.
58  Praxishandbuch Produktentwicklung
Den Werbedruck erhöhen
Klassische Werbung erzeugt Druck auf die Kunden. Wenn zu wenig
gekauft wird, wird der Werbedruck weiter erhöht. Egal, ob durch ein
Umsatzsteigerungsprogramm, eine Verkaufssteigerungsoffensive, oder
eine Absatzturbo-Innovation. Alle diese Aktionen haben eines gemeinsam: Durch Druck sollen kurzfristig die Umsätze erhöht werden. Ob
auch die Rendite gesteigert wird, steht meist auf einem anderen Blatt.
Denn diese Aktionen kosten Geld. Viel Geld. Und häufig hinterlassen
die selbsternannten Power-Seller nur verbrannte Erde, da Werbung
auf totale Ablehnung stößt. Immer mehr Werbung bei immer weniger
Response ist ein Weg, der immer schneller in die Sackgasse führt. Verkauf ist nichts Negatives, wir benötigen die Vertriebsabteilungen mit
ihren Mitarbeitern. Nur: Wenn das Produkt nicht den Bedarf trifft,
stehen diese Abteilungen auf verlorenem Posten. Eine Verdoppelung der
Werbeaktivität ist eben einfacher umzusetzen als eine kundenorientierte
Produktentwicklung. Aus diesem Grund wird der Werbedruck bei
Umsatzrückgang erhöht.
Preise senken
Verkäufer sind meist Preisverkäufer (sie nehmen als Verkaufsargument
gern einen niedrigen Preis), weniger Wertverkäufer (sie verkaufen über den
Nutzen). Die Nachteile der Preissenkung finden Sie in Kapitel 9 auf dieser
CD-ROM.
Falsche Werbeversprechen
Versprechen Sie Ihren Kunden nie etwas, was Ihr Angebot nicht erfüllen
kann. Kunden sind heute so gut informiert, vernetzt und selbstbewusst,
dass sie leere Versprechen schnell bemerken und entsprechend reagieren.
Und wenn der Vertrieb einem Kunden ein Produkt angedreht hat (Übertreiben der positiven Produkteigenschaften, Weglassen der negativen
Eigenschaften), dann ist zwar der Verkaufsabschluss gelungen. Nur:
• Ein Produkt, das nicht hält, was die Werbung verspricht, wird der
Kunde – sofern dieses möglich ist – zurückgeben und sein Geld zurück
verlangen. Die Bestellung folgt der Werbung. Dieses wird beeinflusst
Marketing, Werbung und Verkauf  59
•
•
•
•
vom Werbeversprechen. Jedoch basieren die Bezahlung, die Empfehlungen und die Wiederkäufe auf dem erfahrenen Produktnutzen;
der Kunde wird nie wieder bei diesem Unternehmen kaufen. Dadurch
gehen Umsatz und Gewinn verloren, denn eine 5 Prozent höhere Wiederkaufrate bei Kunden erhöht meist den Gewinn um über 25 Prozent;
der Kunde berichtet so vielen Bekannten und Freunden wie nur möglich von dem schlechten Produkt und der Täuschung beim Verkauf. Ein
unzufriedener Kunde erzählt es mindestens elf Personen, ein zufriedener drei Personen weiter. Bei 100 verkauften Produkten bedeuten 80
Prozent zufriedene Kunden 240 positive Empfehlungen, die 20 Prozent
unzufriedenen Kunden bedeuten hingegen 220 negative Berichte. Hier
wird deutlich: 80 Prozent zufriedene Kunden reichen nicht, da die 20
Prozent unzufriedenen nach außen die gleiche Wirkung – nur in die
andere Richtung – haben. Anbieter sollten sich nicht blenden lassen:
Nur ein Bruchteil der unzufriedenen Kunden meldet sich beim Anbieter, die Mehrheit lässt den Frust woanders ab;
es ist zwar der Verkauf gewonnen, jedoch der Markt verloren. Achten
Sie darauf, dass die Werbeagentur nur die Nutzenversprechen im Briefing erhält, die das Produkt halten kann;
der Kunde nutzt das Produkt wenig bis gar nicht. Folgekäufe bei diesem
Anbieter sind ausgeschlossen.
Die Aufgabe der Werbung besteht darin, neue Kunden zu beschaffen.
Kundentreue mit weiteren Käufen erreichen Sie nur über Ihr Produkt.
Sofern die Täuschung in der Werbung zu eindeutig ist, gibt es immer
noch den »befreundeten Wettbewerb«, der mit gerichtlichen Schritten
gegen das Unternehmen vorgeht, um der Konkurrenz zu schaden. Leider
geht es hier nicht um das Kundeninteresse. Der Betroffene geht der Einfachheit halber lieber gerichtlich gegen einen Konkurrenten vor, als sich
auf die Bedürfnisse der Kunden zu konzentrieren.
Verkäufertricks anwenden
Jahrzehntelang wurden die Verkaufstechniken perfektioniert: die Fragetechnik, die Einwandsbehandlung, die Körpersprache. Man glaubte, jedes
Produkt nur durch die richtigen Methoden den Kunden aufschwatzen zu
können. Als die Wirkung der Techniken zurückging und die Techniken
auch den Einkäufern ersichtlich waren, kam die nächste Welle: NLP.
Die Verkäufer versuchten, die Kunden auf der mentalen Ebene zu beein60  Praxishandbuch Produktentwicklung
flussen. Jeder Verkäufer hat mindestens zehn Bücher über diese Techniken
gelesen und weit über fünf Verkaufstrainer erlebt. Das Dumme ist nur:
Auch der Kunde hat sich zumindest im Bereich des business-to-business
(b-to-b) dieses Fachwissen auf vielen Seminaren angeeignet. Egal ob NLP,
DISG-Persönlichkeitsprofil, Einwandsbehandlungen, Pencil-Selling und
vieles mehr. Der Käufer ist darin genauso ein Profi wie der Verkäufer und
erkennt die Techniken. Mehr als ein leises Schmunzeln kann der Verkäufer ihm nicht entlocken. Darauf fällt keiner mehr rein, Verkaufstechniken
sind heute die Basis. Diese müssen Ihre Mitarbeiter beherrschen, damit Ihr
Unternehmen im Konzert überhaupt mitspielen darf. Ein Wettbewerbsvorteil ist damit nicht mehr zu erzielen.
Heute geht es um mehr, als den Arabern Sand zu verkaufen und den
Eskimos Kühlschränke. »Beschummeln« können Sie Ihre Kunden nur ein
Mal. Dann sind es Ihre Exkunden, wenn sie überhaupt die erste Lieferung
bezahlt haben.
Setzen Sie auf Motivation Ihrer Kunden statt auf Manipulation. Manipulation ist die Beeinflussung des anderen nur zum eigenen Vorteil. Motivation hingegen ist die Beeinflussung des anderen zum beidseitigen Vorteil.
Die falsche Reihenfolge in der Entwicklung
Häufig wird in der Produktentwicklung eine Idee bis zum fertigen Produkt
umgesetzt. Und dann wird es dem Vertrieb zugeschoben mit dem Auftrag,
eine möglichst große Stückzahl zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen: »Das sei doch nun wirklich Aufgabe des Vertriebs«. Die sowieso
schon unvollständigen 4 P werden so auf ein P reduziert: Promotion. Die
Versäumnisse in der Produktentwicklung sollen jetzt durch aggressive
Verkaufsstrategien wieder eingeholt werden. Der Vertrieb hat hier die Produktentwicklung zu unterstützen. Es ist jedoch genau umgekehrt, denn
Werbung kann kein Ersatz für schlechte Produktentwicklung sein.
So schon eher
Die richtige Reihenfolge
Das Produkt hat als erstes den Kunden erfolgreicher zu machen, erst
dann den Hersteller. Kundenerfolgssteigerungsprogramme statt UmsatzMarketing, Werbung und Verkauf  61
steigerungsaktionen! Somit hat die Produktentwicklung den Verkauf zu
unterstützen. Durch nutzwertige Produkte ist dafür zu sorgen, dass der
Vertrieb auch wirklich verkaufen kann, und nicht auf Drückermethoden umsteigen muss, um zumindest etwas an den Mann zu bringen.
Der Verkauf ist nicht das Absetzen von Produkten, die keinem etwas
nutzen. Der Verkauf ist nur der Abschluss eines gut vorbereiteten Prozesses. Die Produktentwicklung ist die Hausaufgaben und das Lernen,
der Verkauf nur die Abschlussprüfung. Je fleißiger gelernt wurde, desto
einfacher fällt einem die Prüfung und desto besser sind die Noten (entspricht Anzahl und Höhe der Verkaufsabschlüsse). Zäumen Sie das
Pferd von der richtigen Seite auf: Geschäftlicher Erfolg ist zu mindestens
80 Prozent ein einzigartiges Produkt und nur zu maximal 20 Prozent
ein guter Verkauf. Werbung und Verkauf müssen sein. Jedoch können
diese Bereiche nur Erfolg haben, wenn mehr in die Produktentwicklung investiert wird. Es zählt Sog (die Kunden finden von sich aus den
Anbieter und verlangen das Produkt) statt Druck mit Werbung. Einige
Anbieter werden von den Kunden gezielt gesucht, da sie ein Problem
besser lösen als alle anderen. Es zählt weniger die Verkaufspsychologie
als die Kaufpsychologie. Er wird immer weniger etwas verkauft, es
wird immer mehr etwas gekauft. Vom Hardselling zum Lösungskauf.
Trainieren Sie nicht Einwandsbehandlung bei den Verkäufern, sondern
Einwandsvermeidung bei Ihren Produktentwicklern. »Product find
your market, attraction sells«. Je attraktiver das Produkt ist, umso mehr
werden Verkaufswege zu Kapillarsystemen und die Kunden kommen
von alleine.
Werden Sie Transportunternehmer: Holen Sie die Menschen ab, wo sie
sind und liefern ihnen dann genau das, was sie benötigen. Wenn Sie Ware
abholen wollen, dann fahren Sie auch dort hin, wo die Ware ist und stoppen nicht einen Kilometer vorher und erwarten, dass die Ware von sich
aus zu Ihnen kommt. Sie müssen wirklich bis zum Kunden gehen.
Haben Sie schon mal eine Werbung für Viagra gesehen? Fast keiner
kennt dieses Produkt (zumindest wenn Menschen danach gefragt werden),
keiner nimmt es. Und trotzdem ist das Unternehmen mit diesem Produkt
Weltmarktführer. Es befriedigt ein Grundbedürfnis der untersten Stufe in
der Maslowschen Bedürfnispyramide: Sex. Für dieses Produkt würden die
meisten Kunden sicherlich auch den doppelten Preis zahlen. Gleiches gilt
für Medikamente gegen HIV oder Krebs, die in der Entwicklung sind. Der
Preis und insbesondere die Verpackung sowie die Verkaufsaktionen wären
völlig unwichtig. Bieten Sie einen existentiellen Nutzen und die Interessenten stehen Schlange. Und zwar ganz ohne Werbung.
62  Praxishandbuch Produktentwicklung
Weniger ist mehr – auch in der Werbung
Von Verkäufern werden meist alle Produktmerkmale (Funktionen et
cetera) betont. Die Werbung sollte jedoch nur Merkmale enthalten, die
auch einen Nutzen für den Kunden haben. Lieber weniger Merkmale
zusammen mit dem Kernnutzen erwähnen, als alle Funktionen gleichwertig nebeneinander aufzählen. Gleichwertig ist gleichgültig für den Kunden.
Die Merkmale und deren Nutzen sind klar zu verknüpfen. Kunden sind
nicht bereit, sich aus den Merkmalen den Nutzen selbst abzuleiten und
zu übersetzen. Weg von produktorientierter Präsentation hin zur Nutzenargumentation, lautet die Devise. Es ist dem Kunden zu verdeutlichen,
welchen Nutzen er mit dem Produkt hat und welcher Schaden und welche
Nachteile ihm entstehen, wenn er das Produkt nicht hat.
Die Verkäufer benötigen Kenntnisse über die Kunden
Nicht nur für die Produktentwicklung sind Kenntnisse über die Kunden
und ihre Bedürfnisse notwendig. Ohne Kenntnisse der Bedürfnisse feuern
die Verkäufer wie mit einer Schrotflinte die Produktmerkmale auf die
Kunden ab, in der Hoffnung, dass ein Merkmal schon treffen wird. Die
Verkäufer landen stattdessen Volltreffer, wenn sie viele Informationen
über die Kunden haben und so die Verkaufsargumentation genau auf die
Bedürfnisse eines jeden einzelnen Kunden ausrichten können. Nicht ins
Blaue reden, sondern ins Schwarze treffen.
Verlagern Sie die Werbeausgaben zu Investitionen in die
Produktentwicklung
Was würde passieren, wenn Sie 50 Prozent Ihres Werbeetats in Ihre Produktentwicklung investieren würden? Wenn Sie gut investieren, entstehen
sicherlich bessere Produkte, was eine weitaus größere Nachfrage zur Folge
hätte. Der Werbedruck kann dann reduziert werden. Bevor Sie weitere
Euro für Werbekampagnen ausgeben, setzen Sie sich zuerst mit Ihren
Kunden zusammen. Fragen Sie nach deren Bedürfnissen. Tauchen Sie in
deren Welt ein. Anschließend entscheiden Sie, ob sich weitere Werbemaßnahmen für die bestehenden Produkte lohnen, oder ob ein anderes Produkt her muss.
Marketing, Werbung und Verkauf  63
Selbst ist der Mann
Bevor etwas – egal auf welchem Weg – verkauft wird, ist es die Pflicht
eines jeden Verkäufers, dieses Produkt selbst zu nutzen. Nur wenn der
Verkäufer von dem Produkt überzeugt ist und auch dessen Anwendung –
mit allen Grenzen – kennt, kann er erfolgreich verkaufen. Denn nur so ist
es ihm möglich, alle Fragen des Interessenten kompetent zu beantworten
und sich in die Situation des Kunden hineinzudenken.
Mund-zu-Mund-Propaganda:
Loblied oder Frustbewältigung
Empfehlungsmarketing gewinnt immer mehr an Bedeutung. Vor dem
Kauf von technischen Geräten, teuren Anschaffungen und auch in anderen
Bereichen (Restaurantbesuch, Kinofilm und so weiter) werden fast immer
Personen (Verwandte, Kollegen, Bekannte aus dem Wohnumfeld und
Freizeitbereich) nach ihren Erfahrungen und Präferenzen gefragt. Seien
es Tipps zur neuesten HiFi-Anlage in der Mittagspause, das beste Theaterstück beim Kaffeekränzchen, der ultimative Babybrei in der Krabbelgruppe. Eine anonyme Form von Empfehlungen sind Kundenbewertungen
wie zum Beispiel bei Amazon, eBay und Holidaycheck. Dort finden Sie
Aussagen von zufriedenen oder weniger zufriedenen Kunden.
Das Beziehungsgeflecht eines Menschen umfasst über 50 Personen gleicher Interessensrichtung und Einkommenssituation. Ein Arbeitssuchender kennt Arbeitssuchende, ein Chemiestudent kennt Chemiestudenten,
ein Chefarzt kennt weitere Chefärzte und so weiter. Somit ist die Chance
groß, dass Ihre Kunden viele andere Personen kennen, die auch zu den von
Ihnen gewählten Marktsegmenten gehören.
Ein Grund für Empfehlungen im Bekanntenkreis kann einerseits die
Bereitschaft zur Hilfe sein. Teilweise kommt hier aber auch die Selbstdarstellung zum Tragen, da der Kunde allen berichten will, was für tolle Produkte er doch besitzt und was er erlebt hat. Das fällt ihm umso leichter, je
herausragender und prestigeträchtiger die Produkte sind.
Positive Mund-zu-Mund-Werbung hat für Sie viele Vorteile. Empfehlungen erreichen die besten Bestellquoten und das ohne Werbekosten für
Sie. Das sind Erfolgsquoten, von denen jeder Verkäufer nur träumen kann.
Die Kunden, die über Empfehlungen kommen, sind im Durchschnitt die
treuesten, geben am meisten Geld aus und reklamieren seltener. Diese
64  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kunden widerstehen auch verlockenden Angeboten Ihrer Konkurrenten.
Auch späteren billigeren Lösungen widerstehen sie, wenn Ihre Lösungen
für sie einen sichtbar besseren Nutzen bringen. Sie akzeptieren sogar Preiserhöhungen, solange Ihr Produkt nur deutlich besser ist.
Die Gründe, warum Kunden immer mehr auf Bekannte und weitere
eigene Informationsquellen setzen, sind unter anderem die Folgenden:
• Sie sind von Werbeaussagen zu oft enttäuscht worden;
• Werbung wird immer mehr ignoriert, weil die Kunden informationsüberlastet sind;
• die Vergleichbarkeit der Produkte und der Werbung lässt eine eigene
Bewertung nicht mehr zu, der Kunde blickt nicht mehr durch. Zu viele
Produkte, zu viel Werbung;
• die Kunden möchten das Risiko beim Kauf minimieren, insbesondere
da viele Produkte gar nicht (zum Beispiel Reisen) oder nicht ohne
Begründung zurückgegeben werden können. Sie glauben, dass sie
die besten und ehrlichsten Produktempfehlungen von Freunden und
Bekannten erhalten, Personen, die das Produkt bereits besitzen oder
besessen haben. Denn diese sind ehrlich, weil kein finanzieller Vorteil
durch die Empfehlung gesehen wird;
• viele Produkte sind erklärungsbedürftig. Die Informationen in der Werbung reichen nicht mehr aus;
• Produkte sind nur noch die physische Hülle einer geistigen Idee. Und
Ideen lassen sich über Werbung nur schlecht verbreiten.
Fest steht: Die passive Empfehlung ist Pflicht, die aktive die Kür.
Passive Referenzen und Empfehlungen
Ein Interessent fragt im Bekanntenkreis nach dem Nutzwert eines
bestimmten Produkts oder nach den Erfahrungen mit einem Anbieter.
Ihr Kunde gibt entsprechend Antwort. Hier sollte der Kunde sich positiv
zu Ihnen und Ihren Angeboten äußern. Es kann aber auch sein, dass ein
Interessent im Bekanntenkreis fragt, ob jemand eine Empfehlung für zum
Beispiel einen guten Fernseher oder ein tolles Auto hat. Hier sollten Sie
die erste und positivste Nennung sein. Ihr Kunde gibt hier jedoch nur eine
Empfehlung, wenn er danach gefragt wird.
Marketing, Werbung und Verkauf  65
Aktive Referenzen und Empfehlung
Ihre Kunden erzählen von sich aus vielen Personen in ihrem Umfeld – egal
ob diese gefragt haben oder nicht – von Ihren tollen Produkten. Dieses
machen sie jedoch nur, wenn sie wirklich begeistert sind. Jeder hat doch
schon mal Restauranttipps und Ähnliches von Freunden erhalten, ohne
danach gefragt zu haben. Wann erfolgt die aktive Empfehlung? Wenn
die Kunden deutlich mehr erhalten als sie erwarten. Sie müssen also
Ihre Kunden begeistern. Kundenzufriedenheit reicht nicht aus. Denn
zufriedene Kunden erzählen es drei anderen Personen weiter, begeisterte
Kunden erzählen es fünf anderen Personen weiter, positiv überraschte und
verblüffte Kunden erzählen es über zehn anderen Personen weiter. Wie
verblüffen Sie mit Ihren Angeboten Ihre Kunden? Stellen Sie bitte in Ihrem
nächsten Meeting diese Frage. Wenn jeder Ihrer positiv überraschten Kunden nur zehn weiteren Personen von Ihrem Produkt erzählt und nur jeweils
eine dieser Personen Ihr Produkt kauft, dann haben Sie Ihren Kundenkreis
verdoppelt. Werbekosten hierfür: 0 Euro. Unternehmen, die ihre Kunden
verblüffen, werden zukünftig erfolgreich sein beziehungsweise bleiben.
Barhockertest
Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Kunden sitzt am Wochenende in einer
Bar und wird nach seinen Erlebnissen der vergangenen Woche gefragt.
Erzählt er auf die Frage »Wie war deine Woche?« von seiner Arbeit, dem
Fernsehprogramm oder von positiven einmaligen Erlebnissen mit Ihrem
Unternehmen? Wenn nicht zumindest auch über Ihre Produkte und Ihr
Unternehmen gesprochen wird: aus welchen Gründen nicht? Dort ist
anzusetzen. Um zu erahnen, was Ihre Kunden berichten, können Sie sie
fragen: »Wie würden Sie einem guten Freund das Produkt beschreiben?«.
Wie Sie Mund-zu-Mund-Propaganda fördern
Nun gilt es, diese Chance in Ihrem Unternehmen zu nutzen. Schon für
positive Referenzen müssen Sie Ihre Kunden zufrieden stellen, für aktive
Empfehlungen müssen Sie sie jedoch verblüffen und begeistern. Es ist hier
zu prüfen: Was unternehmen Sie, damit Ihre Kunden Ihr Unternehmen
und Ihre Produkte aktiv empfehlen?
Mund-zu-Mund-Propaganda war vor 100 Jahren auf persönliche Kon66  Praxishandbuch Produktentwicklung
takte beschränkt, dann kam das Telefon hinzu. Heute ist eine weltweite
Masseninformation möglich (Mails, Foren, Blogs). Bieten Sie Ihren Kunden Plattformen, auf denen sie sich untereinander austauschen können.
Liefern Sie Ihren Kunden Erlebnisse, die sie in Form von Geschichten
berichten können. Denn Funktionen lassen sich schlecht erzählen.
Geistreiches und Zitiertes
»Ein Großteil der Werbung ist pure Belästigung.«
Jean Etienne Aebi
»Marketing is not the art of finding clever ways to dispose of what you
make. It is the art of creating genuine customer value.«
Philip Kotler
»Wir halten uns an fünf Grundregeln bei der Gestaltung einer Werbekampagne: Beginne beim Kunden. Lerne ihn in- und auswendig kennen. Enthülle
das Offensichtliche. Bleibe beim Einfachen. Und zieh’ es durch.«
Gay Kawasaki in Die Kunst, die Konkurrenz zum Wahnsinn zu treiben
»Vergessen Sie Ihre Programme zur Verkaufssteigerung – konzipieren Sie
Programme, mit denen Ihre Kunden erfolgreicher werden.«
Edgar K. Geffroy
»Produkte und Dienstleistungen werden heute immer seltener verkauft und
immer öfter gekauft. Die Menschen haben es einfach satt, dass ihnen irgendetwas aufgedrückt wird.«
Alexander Christiani
»Auch mit Gewalt lässt sich ein Bulle eben nicht melken.«
unbekannt
»Die Menschen lassen sich nicht täuschen – zumindest nicht lange. Man
kann hohe Erwartungen wecken, exzellente Werbung betreiben, für Schlagzeilen sorgen und ein bisschen übertreiben – aber wenn jemand die Erwartungen, die die Öffentlichkeit in ihn setzt, nicht erfüllt, dann wird er früher
oder später entlarvt.«
Donald Trump in Trump. Die Kunst des Erfolges
»Don’t sell, make customer buy.«
unbekannt
Marketing, Werbung und Verkauf  67
»Versuche zu verstehen, bevor du verstanden werden willst.«
Stephen R. Covey
»Schließlich liegt die Kunst des Verkaufens nicht mehr in der Vergleichbarkeit zu anderen Produkten oder Verkäufern, sondern in der Einzigartigkeit
eines Verkäufers, den zentralen Wunsch des Kunden zu erkennen und zu
erfüllen«
Edgar K. Geffroy
»Telling is not selling. Asking questions is selling.«
Brian Tracy
»The whole purpose of marketing is to make selling unnecessary.«
Brian Tracy
»Sie können werben, so viel Sie wollen. Wenn Ihre Zielgruppe in Ihrem
Produkt nicht die Lösung eines brennenden Problems sieht, bringt das gar
nichts, da sie einfach keinen Druck hat zuzugreifen.«
Strategiejournal 02–08
»Wir lassen das Informationszeitalter hinter uns und erreichen das Zeitalter
der Empfehlung. Empfehlungen fungieren als Abkürzungen im Informations­
dschungel.«
Trendforscher von Frog Design
68  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 5
Warum Kunden kaufen
Für die Hersteller geht es darum, das Kundenbedürfnis zu erfüllen und
den empfundenen Mangel zwischen dem aktuellen Zustand und dem
gewünschtem Zustand zu reduzieren.
Hin-zu-Motivation und Weg-von-Motivation
Grundsätzlich gibt es nach Frederic Herzberg zwei Motive, die die Menschen antreiben, etwas zu tun:
• positive Motivation (Hin-zu-Motivation): eine Belohnung in Aussicht stellen. Diese Belohnung muss jedoch von dem Motivierten auch
tatsächlich als Belohnung empfunden werden. Hierzu gehört etwa die
Erfüllung von Wünschen;
• negative Motivation (Weg-von-Motivation): Diese beruht auf Druck.
Es zählt das Vermeiden von Schmerz und das Lösen von Problemen.
Hierzu gehört zum Beispiel, mit dem Rauchen aufzuhören, um späteren
Lungenkrebs zu vermeiden, genauso wie der Abschluss von Versicherungen, um im Schadensfall abgesichert zu sein.
Menschen kaufen Produkte also aus einem dieser zwei Gründe. Sie
unternehmen generell mehr, um Schmerz zu vermeiden, als um Freude zu
erlangen. Die kurzfristige Auswirkung überwiegt jedoch gegenüber der
langfristigen. Kurzfristige Freude ist im Vergleich zu späterem Schmerz
wichtiger. Beispielsweise ist bei den Rauchern jetzt der Genuss der Zigarette wichtiger als das Risiko einer späteren Erkrankung. Ein üppiges
Mahl und Süßigkeiten werden gesunder Rohkost vorgezogen, auch wenn
es langfristig auf die Hüften schlägt.
Es gilt somit herauszufinden, wo bei Ihren Kunden die Probleme (der
Schmerz) liegen und wo ihre Wünsche sind. Seien Sie dann ihr Problemlöser und bieten Sie ihnen Produkte an, die ihren Schmerz beseitigen und
Warum Kunden kaufen  69
ihnen Freude bringen. Nur so können die Kunden zum Kauf motiviert
werden. Am besten sind die Produkte, die einerseits Wünsche erfüllen und
andererseits gleichzeitig Probleme vermeiden – und zwar besser als die
Konkurrenzprodukte.
Neben der positiven und negativen Motivation ist außerdem zwischen
materiellen und emotionalen Bedürfnissen zu unterscheiden:
Tabelle 13: Materielle und emotionale Bedürfnisse
materiell
emotional/immateriell
Lustgewinn
Haus, Auto
Prestige, Liebe, Ansehen,
Zugehörigkeit, Bedeutung
Schmerzvermeidung
Verlust von Auto, Haus,
Vermögen oder Nahrung
Krankheit, Ausstoß aus
der Gruppe
Die Vielzahl der Motive entspricht einer dieser vier Variationen. Somit muss
zuerst bei der Produktentwicklung überlegt werden, auf welchem Feld die
Kunden in erster Linie angesprochen werden sollen. Zu beachten ist, dass
einige Produkte auch mehrere Felder belegen. Jedoch ist vorab festzulegen, auf
welches Feld der Schwerpunkt zu setzen ist. Ein Auto kann rein aus materiellen
Gründen ausgewählt werden oder hauptsächlich aus Prestige-Gründen. Die
auf diese unterschiedlichen Bedürfnisse ausgerichteten Autos müssen sowohl
von der Ausstattung als auch vom Aussehen grundverschieden sein.
Umberto Saxer hat in seinem Buch Bei Anruf Erfolg die für den Kauf
wichtigen Grundbedürfnisse aufgelistet. Diese Liste wurde nachfolgend
noch erweitert. Kunden kaufen aus folgenden Gründen:
Profit
• Hierzu gehören: Vermögen aufbauen, Umsatz, Besitztümer, Gewinnstreben, Spartrieb, Zeit gewinnen, Produktivitätssteigerung, Kosten
vermeiden;
• mögliche Lösungen hierfür: Verkaufssteigerungsprogramme, Geldanlagen, Produkte zur Kostensenkung und Produktivitätssteigerung;
• zu prüfen ist daher:
 Wie verdienen Ihre Kunden mit Ihrem Produkt mehr Geld?
 Wie nutzt Ihr Kunde seine bestehenden Investitionen besser mit Ihrem Produkt?
70  Praxishandbuch Produktentwicklung
 Wer zahlt Ihren Kunden für die Investition in das Produkt noch etwas dazu?
 Wie spart Ihr Kunde mit Ihrem Produkt Zeit und Geld?
 Wo oder wie verliert Ihr Kunde etwas, wenn er nicht von Ihrem Produkt
Gebrauch macht?
Sicherheit
• Hierzu gehören: Vermeidung von Gefahr, Streben nach Stabilität,
Vermeidung jeglicher Veränderung (jedes Neue birgt die Unsicherheit
des Ungewissen), Wunsch nach Gesundheit, Schutz vor Krankheiten,
Existenzsicherung, finanzielle Absicherung, Sicherheit am Arbeitsplatz,
Risikofreiheit, Sorgenfreiheit, wirtschaftliches Auskommen, zukünftige Sicherheit, Sicherheit in den richtigen Entscheidungen, Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die Schutz bietet, Sicherheit und Gesundheit für
die Familie;
• mögliche Lösungen hierfür: Versicherungen, Altersvorsorge, Gesundheitsvorsorge, Produkte zum Schutz der Gesundheit und des Eigentums, Sicherheit beim Kauf von Produkten, einfache und verständliche
Produkte (Abbau von Komplexität), Produkte zur Probe, das Sparbuch, alle Produkte, die die Sicherheit des aktuellen Zustands erhöhen.
Die Zuverlässigkeit der fehlerfreien Funktion von Produkten und das
Renomé des Anbieters zählen ebenfalls hierzu. Hier wirken Referenzen
wahre Wunder;
• zu prüfen ist daher:
 Wie fühlt sich der Kunde sicherer durch Ihr Produkt?
 Wie verbessert das Produkt die Gesundheit oder Lebensgrundlage des Kunden?
 Welche Unannehmlichkeiten vermeidet Ihr Kunde durch die Nutzung Ihres
Produkts?
 Welche Sorgen muss er sich nicht mehr machen?
 Wie sichert Ihr Produkt den Fortbestand des Unternehmens oder der
Lebenserhaltung Ihres Kunden?
 Welche Probleme bekommt Ihr Kunde, wenn er nicht von Ihrem Produkt
profitiert?
Warum Kunden kaufen  71
Komfort
• Hierzu gehören: Bequemlichkeit, Ästhetik, Schönheitssinn, Jugend,
Aufwandsreduktion, maximaler Nutzen bei minimalem Einsatz;
• mögliche Lösungen hierfür: Convenience-Produkte, Design-Produkte
sowie alle Produkte, die die Komplexität reduzieren;
• zu prüfen ist daher:
 Wie steigert das Produkt den Komfort und die Bequemlichkeit und warum
fühlt sich Ihr Kunde wohler?
 Wie macht es das Leben des Kunden schöner und/oder ästhetischer?
 Wie verbessert Ihr Produkt die Atmosphäre?
 Welche negativen Folgen treten auf, wenn Ihr Kunde Ihr Produkt nicht hat?
Ansehen
• Hierzu gehören: Stolz, Prestige, Anerkennung, Dominanz, wirtschaftlicher und beruflicher Aufstieg, »in« sein, »dabei« sein, mitreden können, Zugehörigkeitsgefühl, Anlehnungsbedürfnis, Gruppenzugehörigkeit, Jugend, Aussehen, soziales Engagement, Mitreden können;
• mögliche Lösungen hierfür: Kleidung, Statusprodukte, die in der
Gruppe als »richtig« angesehen werden (das können in einigen Gruppen
Luxusmarken sein, in anderen gerade der Verzicht dieser Produkte),
Umweltprodukte (sofern dieses vom Umfeld erwartet wird), Produkte,
die ein soziales Engagement verdeutlichen;
• zu prüfen ist daher:
 Wodurch gewinnt Ihr Kunde dank Ihres Produkts an Ansehen und Prestige?
 Wo ist Ihr Kunde der Erste/der Einzige mit Ihrem Produkt?
 Bei wem erweckt Ihr Kunde Träume und Anerkennung, wenn er das Produkt hat?
 Zu welcher Gruppe möchte Ihr Kunde gehören, bei wem wäre er gerne
»dabei«?
 Was verpasst Ihr Kunde, wenn er Ihr Produkt nicht besitzt?
72  Praxishandbuch Produktentwicklung
Freude
• Hierzu gehören: Vergnügen, Großzügigkeit, Schenkungstrieb, Sympathie, Genuss, Faszination, Liebe, Freiheit, Selbstbestimmung, Neugier,
Zielerreichung (beruflich und privat), Spaß, Abwechslung, Erlebnisse;
• mögliche Lösungen hierfür: Fernreisen in unbekannte Länder, Extremsportarten, Erlebnisevents (Theater, Feste, Gastronomie et cetera),
Risiken, Neues, alles was ein schönes Gefühl erzeugt (zum Beispiel ein
Einsatz für die Umwelt);
• zu prüfen ist daher:
 Wie macht Ihr Produkt Ihrem Kunden Spaß und steigert seine Lebensfreude
und das Vergnügen?
 Wie kann Ihr Kunde sich selbst mit Ihrem Produkt etwas Gutes tun?
 Wie kann Ihr Kunde mit Ihrem Produkt anderen etwas Gutes tun?
 Wie drückt Ihr Kunde mit Ihrem Produkt seine Liebe zur Familie aus?
 Welche negativen Folgen treten auf, wenn der Kunde sich nicht für Ihr Produkt entscheidet?
Ein Produkt aus einer Kategorie (zum Beispiel Auto) kann mehrere Motive
ansprechen. Zum Beispiel Profit (geringere Beschaffungskosten), Sicherheit (Sieger bei allen Crashtests), Komfort (großer Innenraum und Kofferraum), Ansehen (Luxusmarke oder geringer Verbrauch), Freude (Sportwagen). Auch nach dieser Aufteilung wird deutlich, dass es verschiedene
Autos sein müssen, die die unterschiedlichen Motive befriedigen.
Bitte entwickeln Sie nun nicht auf Basis dieser Liste Produkte. Als erstes
müssen Sie heraus bekommen, welche Kundenbedürfnisse genau in Ihrem
Marktsegment dominieren.
Warum Kunden kaufen  73
Kapitel 6
Kundenerwartungen heute
»Es muss schon etwas mehr sein« ist heute die Erwartung der Kunden.
In diesem Kapitel werden die immer weiter steigenden Erwartungen der
Kunden aufgezeigt. Mit diesen Kenntnissen können Sie Ihr bestehendes
Sortiment kritisch durchleuchten. Außerdem legen Sie dadurch die Messlatte für Ihre Neuprodukte auf ein höheres Level, um den Kundenwünschen zu genügen.
Vom »Sein« über das »Tun« zum »Nutzen«
Viel zu sehr werden bei Angeboten immer noch die Produkte an sich und die
enthaltenen Funktionen hervorgehoben. Diese sind jedoch für den Kunden
unwichtig. Es zählt ausschließlich das Ergebnis, das er mit den Produkten
erreicht. Nachfolgend wird dieses anhand von Beispielen verdeutlicht.
Bespiel 1: Taxifahrt
»Sein«: Ein Taxifahrer zeigt Ihnen am Flughafen seine Lizenz und ver-
langt dafür Geld. Hier geht es um das »Sein«. Er ist Taxifahrer. Reicht
Ihnen das? Sicherlich nicht. Nur dafür, dass er Taxifahrer ist, zahlen Sie
ihm nichts.
»Tun«: Nun steigen Sie ein und er fährt 10 Minuten. Auch dafür sind Sie
nicht bereit, etwas zu zahlen. Was nützt es Ihnen, wenn er Sie 10 Minuten
wahllos durch die Stadt fährt?
»Nutzen«: Sie zahlen nur für das »Ergebnis«. Das heißt, dass er Sie auf
dem schnellsten Wege sicher zu Ihrem Ziel bringt. Das ist für Sie der
Nutzen: heil und schnell ankommen. Nicht mehr, jedoch auch nicht
weniger.
74  Praxishandbuch Produktentwicklung
Beispiel 2: Saftpresse
»Sein«: Eine Saftpresse an sich bringt noch nichts.
»Tun«: Wahllos Obst zu zerkleinern ist ebenfalls nicht das Ziel.
»Nutzen«: Was zählt, ist der Geschmack des Saftes und/oder die damit
verbundene gesunde Ernährung.
Beispiel 3: ein Abstecher in den Personalbereich eines jeden
Unternehmens
Wofür bezahlen Sie Ihre Mitarbeiter?
»Sein«: Die Sekretärin kommt morgens zu Ihnen und zeigt ihr Abschluss-
zeugnis. Danach legt sie den ganzen Tag ihre Arbeit nieder. Das werden
Sie nicht akzeptieren.
»Tun«: Lustlos erledigt die Sekretärin ihren Job. Damit sind Sie ebenso
unzufrieden. Was nützen Ihnen noch so viele abgetippte Briefe, wenn diese
voller Rechtschreibfehler sind und erst nach der sechsten Überarbeitung
verschickt werden können?
»Nutzen«: Es zählt auch hier ausschließlich das Ergebnis, das dem Unter-
nehmen einen Nutzen bringt, nämlich die gewissenhafte und korrekte
Erledigung der anfallenden Aufgaben. Nur dafür wird das Gehalt gezahlt.
Schauen Sie am Wochenende in den Stellenmarkt Ihrer Zeitung. Was
wird da gesucht? Sekretärin (Sein). Nachfolgend wird das Aufgabengebiet
beschrieben (Tun). Die zu erzielenden Ergebnisse – und nur dafür werden
Gehälter gezahlt – werden nur selten erwähnt, obwohl es doch genau
darum geht.
Kundenzufriedenheit ist heute viel zu wenig
Was ist Kundenzufriedenheit?
Sie ist das Ergebnis eines Leistungsabgleichs:
Kundenerwartungen heute  75
Abbildung 5: Kundenzufriedenheit
Was der Kunde erwartet
Abgleich/Prüfung
Was der Kunde erlebt und erhält
Von der Selbstverständlichkeit zum Jubelschrei
Die Kundenbewertung gliedert sich in fünf Nutzenstufen:
• Unzufriedenheit: Das Produkt erfüllt nicht die Erwartungen;
• Selbstverständlichkeit: Eine Basisqualität wird als selbstverständlich
vorausgesetzt, sie muss vom Produkt geboten werden. Wenn jedoch
nicht mehr als das Selbstverständliche geboten wird, ist der Kunde
enttäuscht. Die Basisqualität ist die Eintrittskarte in den Markt. Diese
Leistungen werden dem Kunden erst bei Nichterfüllung bewusst;
• Erwartung: Von dieser Erwartungsqualität gehen die Kunden aus. Dazu
gehört zum Beispiel die reibungslose Funktion. Der wahrgenommene
Nutzen entspricht dem Erwarteten. Wenn das Erwartete nicht erfüllt
wird, ist der Kunde unzufrieden. Nur die Erfüllung des Erwarteten
erzeugt jedoch Langeweile, es entsteht noch keine Kundenzufriedenheit. Die Erwartungsqualität reichte noch vor 50 Jahren: gute, solide
Qualität zum guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Heute reicht dies jedoch
oft nicht mehr;
• Hoffnung: Der Kunde erhält das, was er im Stillen erhofft. Meist ist es
etwas, was er in der Vergangenheit woanders schon erlebt hat. Erhält er
die erhoffte Leistung, erzeugt dies bei ihm Zufriedenheit. Mehr jedoch
nicht;
• positive Überraschung/Begeisterung: Übererfüllung der Erwartungen.
Diese Überraschungsqualität erzeugt Begeisterung. Nur das bleibt im
Kopf des Kunden haften und nur hierüber wird er den Menschen in seinem Umfeld positiv berichten. Die Überraschungsleistung muss es heute
schon sein. Hier muss angesetzt werden. Nur über diese fünfte Stufe
kann sich ein Anbieter von den Mitbewerbern differenzieren. Denn die
76  Praxishandbuch Produktentwicklung
ersten drei, vielleicht sogar vier Stufen werden auch von der Konkurrenz bedient.
Aufgrund von Überangeboten reichen erwartete Selbstverständlichkeiten
nicht mehr aus. Qualität und Funktion werden vorausgesetzt. Es wird
die Einzigartigkeit gesucht. Kunden suchen nach dem Wow-Effekt. Sie
wollen die Überraschung bei jedem Produkt, sonst wird das nächste Mal
zu einem anderen gegriffen. Bei allem Normalen rümpft der Kunde nur
noch die Nase: »Da habe ich mehr erwartet«. Verblüffen Sie immer wieder
aufs Neue. Denn Ihr Kunde fühlt sich gut dabei und wird süchtig danach.
Machen Sie die Kundenbegeisterung in Ihrem Unternehmen zur positiven
Gewohnheit.
Die Kunden werden immer anspruchsvoller. Kundenzufriedenheit reicht
nicht mehr. Was sie vor einigen Jahren noch zu Jubelstürmen verleitet hat,
lockt sie heute nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Mit der Zeit rutschen
die Produktleistungen immer eine Stufe tiefer. Wovon der Kunde gestern
noch positiv überrascht war, wird heute schon erhofft und bereits morgen
erwartet. Fragen Sie sich bitte: Was unternehmen Sie mit Ihrem Angebot,
damit Sie Ihre Kunden begeistern, ja positiv verblüffen? Begeistern Sie Ihre
Kunden von dem Nutzen Ihrer Produkte. Vergleichen Sie die Attraktivität
Ihrer Produkte mit der Nachfrage nach einem Popkonzert oder einem Fußballspiel. Da kreischen die Besucher, stürmen auf die Bühne, jubeln bei
einem Tor der eigenen Mannschaft. Sind Ihre Kunden heiß auf Ihre Produkte und stürmen sie Ihr Geschäft? Jubeln sie, wenn sie Ihre Produkte
oder Leistungen nutzen?
Bitte beachten Sie: Der selbstverständliche sowie erwartete Nutzen
muss ebenfalls zu 100 Prozent stimmen und zuverlässig geboten werden.
Ein Auto muss fahren, ein Telefon funktionieren. Noch so schöne Überraschungen können nicht über eine schlechte Basisfunktion hinwegretten.
Die fünf oben genannten Nutzenstufen werden nachfolgend anhand
einer Taxifahrt beschrieben:
• Unzufriedenheit: Der Zustand des Taxis ist schlecht (Innenraum dreckig und verraucht);
• Selbstverständlichkeit: Das Taxi ist fahrtüchtig;
• Erwartung: Der Fahrer kennt den Weg;
• Hoffnung: Der Fahrer fragt, welche der alternativen Routen er wählen
soll;
• positive Überraschung/Begeisterung: Der Fahrer fragt nach Musikwünschen und bietet verschiedene Tageszeitungen an.
Kundenerwartungen heute  77
Liefern Sie Ihren Kunden den Nutzen, den sie nie für möglich gehalten
haben und
•
•
•
•
•
•
•
sie kaufen häufiger;
sie geben pro Einkauf/Bestellung mehr Geld aus;
sie kaufen teurere Produkte;
sie wechseln seltener den Anbieter;
sie haben eine bessere Zahlungsmoral;
sie reklamieren weniger;
sie sind eher bereit, sich an der Entwicklung von Neuprodukten zu
beteiligen.
»Aber bitte mit Sahne« und Schokostreusel
Eine bildhafte Darstellung der Nutzenstufen ist das Tortenmodell nach
Klaus Kobjoll:
• Tortenboden: Basiseigenschaften der Produkte, die vom Kunden
vorausgesetzten Leistungen. Dieser Anteil wird durch steigende Kundenerwartungen mit der Zeit immer dicker und bewirkt keinen Wettbewerbsvorteil. Keiner kauft die Torte, weil der Boden gut ist;
• Sahnehauben: die Kernfähigkeiten, bei denen Sie mit Ihrem Angebot
mindestens 30 Prozent besser als die Konkurrenz sind (weniger als 30
Prozent werden vom Kunden nicht als Unterschied wahrgenommen).
Das sind Ihre strategischen Erfolgspositionen. Ihre Wettbewerber benötigen mindestens drei Jahre, um hier nachzuziehen. Andernfalls ist es
keine Kernfähigkeit;
• Schokostreusel: die Kleinigkeiten, mit denen der Kunde überrascht
und verblüfft wird. Sie erzeugen die positiven »Ahs« und »Ohs« bei
den Kunden. Diese Schokostreusel müssen zur Kernfähigkeit passen.
Sie sind zwar von den Mitbewerbern relativ leicht kopierbar, doch die
Summe und die konsequente Anwendung können mit der Zeit zu einer
Kernfähigkeit werden. Da viele kleine Überraschungen mehr bewirken
als eine große, sind hier insbesondere Kleinigkeiten gemeint. Der Kunde
gewichtet nicht, sondern zählt gefühlsmäßig quantitativ zusammen.
Die Sahnehauben und die Schokostreusel sacken mit der Zeit in den Tortenboden ab. Sie müssen somit immer oben nachlegen.
78  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Früher war alles besser«
Mittelmäßige Produkte mögen in Zeiten des Unterangebots und mittelmäßiger Anforderungen der Kunden ausgereicht haben. In Zeiten des Produktüberangebots jedoch stehen die Anbieter damit auf dem Abstellgleis.
Ein bisschen Kundennutzen hier, ein wenig dort reicht nicht mehr. In der
nachfolgenden Tabelle sind die Leistung und der Nutzen des Produkts
dem Absatz gegenübergestellt.
Tabelle 14: Leistung und Absatz des Produkts
Leistung
Absatz
früher
heute
mangelhaft
mangelhaft
nichts (garantierte
­ uslistung)
A
gut
gut
mittelmäßig bis mangelhaft
exzellent
exzellent
gut
hervorragend
hervorragend
exzellent bis hervorragend
Noch heute sind die meisten Produkte nur Mittelmaß. Sichtbar wird dies
unter anderem durch die Bewertungen der Stiftung Warentest. In deren
Studien werden im Durchschnitt über 80 Prozent der getesteten Produkte mit dem gleichen Urteil bewertet (häufig mit »gut« oder »befriedigend«). Somit folgt der Wettbewerb ausschließlich über den Preis.
Das ist für klein- und mittelständische Unternehmen nicht möglich. Ein
gleiches Angebot bedeutet Gleichgültigkeit bei den Kunden. Was nicht
bemerkenswert ist, wird nicht bemerkt, sondern ignoriert. Unternehmen müssen raus aus der Vergleichbarkeitsfalle. Als Differenzierungsmerkmal bleibt hier ausschließlich das Produkt. Es gilt: raus aus dem
Mittelmaß! Solange die Unternehmen ihren Interessenten nur das bieten,
was die Mitbewerber auch bieten, werden sie logischerweise auch nur
das bekommen, was alle bekommen: Durchschnitt. Und das bedeutet
durchschnittlichen Umsatz und geringe Rendite. Das ist zu wenig, um
Geschäfte zu machen. Oder reicht es Ihnen, wenn Sie am Morgen von
Ihrem Partner mit den Worten verabschiedet werden: »Ich wünsche
dir einen durchschnittlichen Tag«? Versinken Sie nicht im Mittelmaß!
Trennen Sie sich von vergleichbaren Produkten, oder der Markt trennt
sich von Ihnen. Erfüllen Sie die Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Kunden
deutlich besser als Ihre Konkurrenz. Schalten Sie auf Lebenshilfe für Ihre
Kundenerwartungen heute  79
Kunden um. Dafür müssen Sie jedoch viele und intensive Informationen
über Ihre Kunden haben.
In der Vergangenheit stürzten viele erfolgreiche Produkte ab. Gründe
hierfür sind unter anderem:
• Immer mehr Duplikate kommen immer schneller auf den Markt und so
steigt der Preisdruck;
• Kunden schrauben ihre Anforderungen immer höher. Geld wird nur
noch ausgegeben, wenn der Nutzen deutlich größer ist als der Preis;
• die Lebenswelten inklusive Rahmenbedingungen sowie Werte und
somit die Bedürfnisse der Kunden ändern sich immer schneller. Bestehende Produkte treffen nicht mehr die Bedürfnisse.
Vom Produkt zum System
Reine Produktlieferanten sind out. Liefern Sie Systeme, also alles, was zur
Lösung des Problems benötigt wird. Wenn Sie dafür Produkte benötigen,
die nicht in Ihrem Kernbereich der Herstellung liegen, dann kooperieren
Sie und kaufen diese Leistungen hinzu. Sie können nicht in der Herstellung
aller Produkte der Beste sein. Sie können jedoch dafür sorgen, dass Ihre
Kunden durch Sie ihr dringlichstes Problem lösen können. Der Kunde will
den Nutzen sofort und zwar komplett. Hören Sie nicht bei 95 Prozent auf.
Ein erklärungsbedürftiges Produkt ohne Beratung, ein Elektrogerät ohne
Netzkabel, ein Kinderspielzeug ohne Batterie kommen beim Kunden nicht
an. Um beim letztgenannten Beispiel zu bleiben: Gerade wenn Kunden
über das Internet kaufen, fehlt häufig der Verkäuferhinweis, dass Batterien
nicht im Lieferumfang enthalten sind. Jetzt stellen Sie sich das Geschrei
eines Kindes unter dem Weihnachtsbaum vor, wenn das Spielzeug aufgrund fehlender Batterien nicht sofort ausprobiert werden kann. So haben
Sie in den Eltern sofort Feinde fürs Leben gewonnen.
Im EDV-Bereich sind viele Anbieter diesen Weg bereits gegangen. Das
Angebot lautet »integrierte Beratungsdienstleistungen für IT-gestützte
Unternehmensumstrukturierungen mit kompletter Implementierung«.
HP liefert integrierte Lösungen – meist für das dringendste Problem. Ein
schlüsselfertiges System. Nur ganz am Rande wird dann noch ein HP-Server mitgeliefert. Auch hier ist also wieder die Entwicklung vom Produktlieferanten zum Lösungsanbieter erkennbar. In der Versicherungsbranche
werden auch nicht mehr Versicherungen angeboten, sondern Produkte
80  Praxishandbuch Produktentwicklung
und Dienstleistungen, damit die Kunden ihre Träume verwirklichen können: ein neues Auto, Urlaub, Altersvorsorge oder finanzielle Absicherung.
Das Standardprodukt »Versicherungen« ist lediglich die Eintrittskarte in
den Markt. Um bestehen zu können, muss den Kunden schon mehr geboten werden. So ist es in allen Bereichen: Wo früher Produkte und Dienstleistungen angeboten wurden, erwarten die Kunden heute Lösungen für
ihre Probleme. Dieses beinhaltet auch, was vor und nach der Nutzung
des eigentlichen Produkts passiert: Auf- und Abbau, An- und Abfahrt et
cetera. Beziehen Sie dies in Ihre Komplettlösung ein. Machen Sie es Ihren
Kunden so einfach wie nur irgend möglich. Bieten Sie Nutzen auf allen
Ebenen: Produkt, Vertriebswege, Service und Betreuung nach dem Kauf.
Nicht nur der direkte Nutzen durch das Produkt ist ausschlaggebend.
Die Kundenerwartung ist heute nicht nur eine schnelle Lösung eines
Problems, sondern die dauerhafte Garantie, dass das Problem umgehend
dauerhaft gelöst werden kann. Hier zählt die Nachhaltigkeit.
Kunden wollen laufend informiert werden
Auch die Beschaffungswege waren früher eher auf die Logistik der Anbieter ausgerichtet als auf die Präferenzen der Kunden. Die Kunden erwarten
heute die Möglichkeit, sich laufend informieren zu können. So können
sich beispielsweise bei FedEx die Versender und Empfänger laufend Informationen einholen, wo sich die Ware gerade befindet. Versuchen Sie das
doch bitte mal bei einer Überweisung von einer Bank zur anderen. Keine
Chance!
Geistreiches und Zitiertes
»Wenn Sie ihre Erwartungen (der Kundin) einmal nicht erfüllen, wird sie
Ihnen vergeben. Erfüllen Sie ihre Erwartungen ein zweites Mal nicht, wird
sie sich selbst die Schuld zuschreiben. Wenn Sie ihre Erwartungen ein drittes
Mal nicht erfüllen, haben Sie verspielt.«
Faith Popcorn in Evalution
»Denn nur vom Nutzen wird die Welt regiert.«
Friedrich Schiller
Kundenerwartungen heute  81
»Denn wer seine Kunden verwöhnt, der wird auch von seinen Kunden verwöhnt, und auf einmal ist ein Kunde mehr als nur ein Debitor.«
Daniel Zanetti in Kundenverblüffung
»Optimieren Sie den Kundennutzen, statt sich nur auf eine Gewinnerhöhung
zu konzentrieren.«
Fredmund Malik
»Denn jeden Tag ein bisschen besser zu werden, ist heute Standard, gerade
mal die Eintrittskarte für den globalen Wettbewerb, die Erlaubnis zum Mitspielen. Besser sein ist gewöhnlich, mehr nicht. Worum es wirklich geht:
außergewöhnlich sein. Einzigartig.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich
»Gib den Menschen nicht das, was sie wollen. Sondern das, wovon sie nie zu
träumen wagten.«
Diana Vreeland
»Wir sind umzingelt von langweiligen Angeboten, die irgendwie ›ganz okay‹
sind.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Spuren statt Staub
»Glühende Anhänger! Nur zufriedene Kunden zu haben ist zu wenig.«
Bob Curry
»›Gute Produkte‹ reichen nicht mehr aus. Bei weitem nicht. ›Gute Produkte‹
sind lediglich der Ausgangspunkt. Heute haben ›großartige Produkte‹ bereits
den Status von Standardware erreicht.«
Tom Peters in Re-imagine
82  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 7
Kundennutzen
Ausnahmsweise eine Definition
»In der ökonomischen Theorie versteht man unter dem Nutzen das Maß
für die Fähigkeit eines Gutes oder einer Gütergruppe, die Bedürfnisse
eines wirtschaftlichen Akteurs (zum Beispiel eines Privathaushalts) zu
befriedigen. Allgemein ist Nutzen eine Vergrößerung des Wertevorrats
oder eine Minderung des Werteverlusts.«1 Es geht bei Nutzen also ausschließlich um Bedürfnisbefriedigung durch Wunscherfüllung und Problemvermeidung beziehungsweise -minderung.
Der Nutzen wird durch den Kunden definiert
Es zählt nicht der objektive (was ist schon objektiv?) Nutzen oder der
Nutzen, den der Hersteller vermutet. Es zählt ausschließlich der von den
Kunden wahrgenommene Nutzen:
• Nutzen = Nutzen für den Kunden;
• Nutzen ≠ Meinung externer Experten;
• Nutzen ≠ Meinung der eigenen Mitarbeiter.
Und dabei ist der relative Nutzen wichtiger als der absolute. Erstgenannter
ist der Nutzen des neuen Produkts, verglichen mit dem Nutzen bestehender
oder alternativer Angebote. Und dieser relative Nutzen muss hoch sein,
damit die Kunden zu Ihnen wechseln.
Von Dale Carnegie stammt das Zitat: »Ich esse für mein Leben gern
Erdbeeren. Aber wenn ich angeln gehe, frage ich, was die Fische mögen«.
Der Wurm an der Angel muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.
1 Aus: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie. Begriff »Nutzen«. Stand 22.08.2009. Siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Nutzen
Kundennutzen  83
Was dem Fisch schmeckt ist noch einfach zu erfahren. Schwieriger wird es
zu erkunden, was den Kunden »schmeckt« und was sie wollen. Und noch
eine Stufe weiter: Was sind die Probleme und Bedürfnisse der Kunden,
deren Lösungsangebote sie veranlassen, in die Geldbörse zu greifen?
Heute bestehen Unternehmen nur noch, wenn sie sich auf die Bedürfnisse der Kunden konzentrieren. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen einer
Schweizer Fluggesellschaft wird der Bordservice beworben: Speisen werden auf Porzellangeschirr serviert. Ob nun kalte Brötchen auf Porzellan
oder auf Pappe: Die meisten Fluggäste suchen sich die Airline aus, die
sie sicher und pünktlich an ihr Ziel bringt. Da bringt es nichts, wenn die
Fluggesellschaften am Essen basteln. Sicherheit, Pünktlichkeit und Preis,
das reicht. Wie wäre demgegenüber eine Werbung, die hervorhebt, dass
keine der Maschinen älter als fünf Jahre ist, die Piloten sich regelmäßigen Prüfungen unterziehen müssen und die Flugzeuge x-mal die Woche
gewartet werden? Diese Aspekte sprechen mehr an als Porzellan. Hersteller können nicht erwarten, die Kunden zum Kauf zu motivieren, wenn
sie noch nicht einmal wissen, was die Kunden bewegt.
Da die zur Verfügung stehenden Mittel in der Regel beschränkt sind,
kann der Mensch nicht alle seine Bedürfnisse gleichzeitig befriedigen. Es
werden zuerst Bedürfnisse befriedigt, die aus seiner Sicht am dringendsten
sind. Je mehr wichtige Motive und Bedürfnisse angesprochen werden,
desto mehr will der Kunde das Produkt beziehungsweise die Lösung.
Die Befriedigung von Bedürfnissen ruft häufig weitere Bedürfnisse hervor. Einem neuen Haus folgen Bedürfnisse nach neuen Einrichtungsgegenständen und so weiter. In der Produktentwicklung ist zu prüfen, ob Sie
das ursprüngliche Bedürfnis befriedigen möchten, oder lieber die nachfolgenden, da hier häufig der Wettbewerb geringer ist.
Unterschieden wird zwischen bewussten und unbewussten Bedürfnissen. Unbewusste können zum Beispiel durch Werbung zu bewussten werden. Am erfolgreichsten sind jedoch die Produkte, die Bedürfnisse erfüllen, die den Kunden bereits bewusst sind. Bedürfnisse erst durch Werbung
und Produkte zu wecken, ist weitaus schwieriger.
Problemrelevanz und Häufigkeit
Voraussetzung für ein erfolgreiches Produkt ist, dass das zu lösende Problem den Kunden großen Kummer bereitet. Das Problem kann eine von
außen wirkende Gegebenheit (zum Beispiel Zeitdruck, rechtliche Vor84  Praxishandbuch Produktentwicklung
gaben, Steuern) sein oder durch Ansprüche auftreten, die die einzelne
Person an sich selbst stellt. Die Kunden haben bei hoher Relevanz einen
großen Schaden, wenn die Probleme nicht gelöst werden. Dann bereiten
die Probleme den Kunden große Sorgen aufgrund der von ihnen ausgehenden Gefahr (Finanzen, Beruf, Gesundheit). Tritt das Problem bei der
Kundengruppe häufig auf, haben Sie eine ideale Ausgangsposition: Lösen
Sie mit Ihrem Produkt dieses Problem und die Kunden werden Ihnen das
Produkt aus den Händen reißen. Gibt es eine hohe Relevanz, aber nur
geringe Häufigkeit, ist die Ausgangsposition für ein gutes Produkt immer
noch passabel. Eine hohe Häufigkeit bei nur geringer Relevanz reicht nicht
aus, ebenso nicht eine geringe Relevanz und geringe Häufigkeit.
Abbildung 6: Hohe Problemrelevanz und häufiges Auftreten
der Probleme sind Ansätze für ein Spitzenprodukt
Problemrelevanz
Sehr
hoch
Spitzenprodukt
– große Sorgen
– Gefahr/Risiko
– starker Druck
Schwaches
Produkt
gering
Problemhäufigkeit
selten
Sehr oft
Hauptaufgabe eines jeden Unternehmens
Die Kunden wollen keine Produkte mehr, sie wollen Lösungen und gute
Gefühle. Die Kunden haben Bedürfnisse und wollen Probleme gelöst,
Träume und Wünsche erfüllt bekommen. Sie wünschen sich die Vermeidung von Schmerz, Angst und Ärger bis hin zum Erreichen von Sicherheit,
Anerkennung, Freude und Erfolg. Helfen Sie den Kunden, dass sie so leben
können, wie sie es sich erträumen. Erfüllen Sie ihnen ihre Träume, lösen Sie
ihre Probleme, bieten Sie ihnen Nutzen. Davon kann es nicht genug sein!
Sinn und Daseinsberechtigung eines Unternehmens ist nicht die
Gewinnmaximierung, sondern das Lösen der Kundenprobleme. Je besser das gelingt, desto höher ist zwangsläufig der Gewinn. Wenn Sie den
Kundennutzen  85
Kunden erst den Nutzen geben, kommt der Gewinn von allein, sofern
ein Anbieter intern gut wirtschaftet. Es darf primär nicht um Gewinnmaximierung für das Unternehmen, sondern um Nutzenmaximierung für
den Kunden gehen.
Was ist Ihr Kerngeschäft?
Eine produktbezogene Definition des Kerngeschäfts reicht heute nicht
mehr. Das geht nur so lange gut, bis ein Konkurrent mit einem Vergleichsprodukt oder ein besseres Produkt auf den Markt kommt.
IBM hat in den letzten Jahrzehnten mehrfach sein Kerngeschäft angepasst, sodass die Definitionen des Kerngeschäfts folgendermaßen lauten
könnten:
• erste Definition: »Unser Geschäft ist die Herstellung von Lochkartenmaschinen« (Produktdefinition des Kerngeschäfts);
• zweite Definition: »Unser Geschäft ist die Datenverarbeitung« (problembezogene Definition. Es wurden keine Geräte mehr verkauft, sondern Lösungen angeboten);
• dritte Definition: »Unser Geschäft ist es, mit allen Mitteln und Möglichkeiten zu helfen, damit unsere Kunden selbst bessere Geschäfte
machen«. Das heißt, das Produkt (Server und Computer) ist nur Mittel
zum Zweck, um dieses Ziel zu erreichen.
Die letzte Definition bringt es auf den Punkt. Es geht hier nicht um Verkaufssteigerungsprogramme, die bei der heutigen Austauschbarkeit der
Werbung und der gut geschulten Einkäufer immer wirkungsloser werden.
Bei den Verkaufssteigerungsprogrammen ging es ausschließlich darum,
das eigene Unternehmen erfolgreicher zu machen. Die oben genannte
dritte Definition des Kerngeschäfts geht in eine ganz andere Richtung.
In Zukunft werden Unternehmen in Kundenerfolgssteigerungskonzepten
denken und denken müssen. Die Unternehmen, die dieses Denken am
konsequentesten umsetzen, werden trotz Wirtschaftsflaute im Umsatz
und Gewinn wachsen.
Für den Bereich business-to-customer (b-to-c) ist diese Definition leicht
zu modifizieren: »Unser Geschäft ist es, mit allen Mitteln und Möglichkeiten zu helfen, damit unsere Kunden ein einfacheres, besseres und glücklicheres Leben haben.« Werden Sie Berater und Lebenshelfer Ihrer Kunden. Nehmen Sie Ihren Kunden ihre Sorgen ab – oder zumindest einen
86  Praxishandbuch Produktentwicklung
wesentlichen Teil davon und/oder erfüllen Sie ihre Wünsche. Machen Sie
Ihre Kunden erfolgreicher und glücklicher. Machen Sie ihnen das Leben
leichter und schöner, und Ihr Erfolg lässt sich nicht mehr vermeiden. Die
Aufgabe der Produktanbieter ist und wird in Zukunft immer mehr, den
Kunden zu helfen. Schalten Sie auf die Lebenshilfe für Ihre Kunden um.
Dafür müssen Sie jedoch viele und intensive Informationen über Ihre
Kunden haben: Was sind deren Vorlieben, Werte, Prioritäten, Bedürfnisse, Träume und Wünsche auf der einen Seite? Und was sind die Sorgen,
Ängste, Probleme auf der anderen Seite? Sie müssen wissen, wie und was
Ihre Kunden wirklich denken und fühlen.
Verkaufen Sie heute schon Lösungen oder noch Produkte? Machen
Sie den Test: Fragen Sie Ihre Mitarbeiter: »Was ist unser Kerngeschäft?«.
Nennen Ihre Mitarbeiter dann Produkte beziehungsweise deren
­Eigenschaften, dann lebt bei Ihnen im Unternehmen noch das Produktdenken.
Ein klar definiertes Kerngeschäft hat ein Friseur aus Düsseldorf: »Wir
machen Frauen zehn Jahre jünger«. Kein Wort von Haare schneiden.
Sie können sich an jeder Straßenecke die Haare schneiden lassen. Doch
das Versprechen, dass Sie als Frau danach zehn Jahre jünger aussehen,
erhalten Sie nur in Düsseldorf. Da wird der Preis für den Haarschnitt zur
Nebensache. Welche Frau – sofern sie über vierzig Jahre alt ist – möchte
nicht gern mindestens zehn Jahre jünger aussehen? Wenn der Friseur das
Versprechen macht und – aus der Sicht der Kunden – auch hält, so hat er
einen großen Wunsch der Frauen erfüllt.
Kunden wollen keine Produkte, sondern Lösungen
Verkaufen Sie Produkte – entweder physisch oder in Form von Dienstleistungen? Falls Sie jetzt mit »ja« geantwortet haben, muss ich Sie leider
enttäuschen. Keiner Ihrer Kunden kauft Produkte. Der Kauf von Produkten ist nur Mittel zum Zweck. Die Kunden haben kein Interesse an
Produkteigenschaften und Funktionen, sondern nur an dem Nutzen, den
sie mit diesen erworbenen Produkten haben. Es geht hierbei nur um die
Bedürfnisbefriedigung, mehr nicht. Das ist Ihre Chance. Befriedigen Sie
die Bedürfnisse Ihrer Kunden besser als Ihre Mitbewerber und Preisgespräche gehören der Vergangenheit an.
Wenn es in Ihrem Unternehmen um Neuprodukte oder Produktoptimierungen geht, sollten Sie immer hinterfragen, was der wirkliche Nutzen
Kundennutzen  87
des Produkts ist. Eine Bezeichnung Ihres Angebots oder eine Beschreibung
der Funktion reicht hier nicht. Kunden kaufen:
• keine Geschirrspülmaschine, sondern sauberes Geschirr;
• keinen Strom, sondern Licht und Wärme;
• keine Bohrmaschinen (Produkt) und auch keine Löcher in der Wand,
sondern Möglichkeiten, etwas zu befestigen (Hängevorrichtungen,
Schrank zusammenbauen, Bilder befestigen). Somit stehen auch PowerStrips durchaus in Konkurrenz zu Bohrmaschinen;
• keine Mausefalle, sondern die Abwesenheit von Mäusen;
• keine Waschmaschine, Waschmittel, Bügelbrett, Bügeleisen, sondern
saubere, glatte Wäsche sowie Anerkennung durch Kleidung (Wann
kommt denn endlich mal jemand auf eine gute Produktidee, die das
lästige Bügeln erspart? Viele warten darauf!);
• kein Auto mit vielen PS, sondern die Möglichkeit der kurzen Wege beim
Überholen, des sicheren Einfädelns in den fließenden Straßenverkehr
und des Umgehens von Gefahrensituation sowie Spaß, neidische Nachbarn und Prestige;
• kein Auto mit wenigen PS, sondern geringen Verbrauch und Schonung
der Umwelt;
• keine Häuser, sondern Wohlfühlerlebnisse und Lebensqualität;
• keinen programmierbaren Thermostaten, sondern geringe Heizkosten
und Schonung der Umwelt sowie eine warme Wohnung, wenn man
nach Hause kommt;
• keine Reise, sondern Erholung, gutes und sicheres Ankommen, das
Erleben von neuen Dingen;
• keine dicke Angelschnur, sondern die Möglichkeit, große Fische zu fangen;
• keine Taxifahrt, sondern das sichere, schnelle und bequeme Ankommen am gewünschten Ort;
• keinen Fotoapparat, sondern das Festhalten von Erinnerungen mit einer
einfach zu bedienenden Kamera (Hobby-Fotografen), die Möglichkeit
des Verkaufs von Fotos oder der Fertigung von Postern mit hochauflösenden Kameras (Profis);
• kein Mineralwasser, sondern Durstlöscher;
• kein Handy, sondern durchgehende Erreichbarkeit und soziale Kontakte;
• keine weiße Wandfarbe, sondern ein Wohlfühlerlebnis zuhause mit
geringem Aufwand;
• keine Unfallversicherung, sondern Absicherung bei Risiken (Freude an
Risikosportarten);
88  Praxishandbuch Produktentwicklung
• keine Klimaanlage, sondern wohltemperierte Räume;
• keine Lebensversicherung und keinen Sparvertrag, sondern Sicherheit
und Auskommen im Alter;
• keinen Toaster, sondern ein schmackhaftes Frühstück;
• keinen Kühlschrank oder Klimaanlage, sondern Kühlung beziehungsweise länger haltbare Lebensmittel;
• keine Ski, sondern Spaß im Schnee. Dieses hat in den letzten Jahren
die Ski-Industrie schmerzlich erfahren müssen. Ging die Ski-Industrie
jahrzehntelang davon aus, dass der Wettbewerber andere Skihersteller
waren, so wurden sie von der neuen Konkurrenz förmlich überrollt:
Snowboardfahren war plötzlich in. Der Kunde kaufte auch früher
schon keine Ski, sondern Spaß im Schnee. Und dieser Nutzen wird seit
Jahren auch mit anderen Geräten geboten;
• keine Plattenspieler, sondern die Möglichkeit, in den privaten Räumen
Musik zu hören. Top-Unternehmen wie zum Beispiel Dual als ehemaliger Marktführer für Schallplattenspieler sind von den CD-Playern aus
dem Markt gedrängt worden. Diese hingegen werden es gegen mp3Player und Computer schwer haben;
• keinen Öl-Öfen, sondern Wärme und Behaglichkeit.
Dafür zahlt der Kunde nichts
Die Anzahl der Patente eines Produkts sind kein Verkaufsargument, auch
wenn die Techniker dieses gern hervorheben. Patente können maximal die
Werbeargumentation ergänzen. Mehr nicht.
Preise und Auszeichnungen bringen nichts. Es gibt zwei Arten von »ausgezeichneten« Produkten:
• die, die von einer Expertenjury als innovativ und außergewöhnlich
eingeschätzt und prämiert werden. Aber was haben Sie davon, dass Ihr
Produkt die Probleme löst und Wünsche erfüllt, die Ihre Kunden erst
in zehn Jahren haben werden? Wer zu spät kommt, den bestraft das
Leben. Wer zu früh kommt, den bestraft der Kunde;
• die, die von den Kunden für innovativ und nutzbringend gehalten werden.
Halten Sie sich an die letztgenannte Messlatte. Denn nur die bringt Ihnen
den Umsatz. Urkunden und Medaillen sind kein Indiz für Umsatz. Innovation ja, jedoch bitte innerhalb der Probleme und Fertigkeiten der Kunden.
Kundennutzen  89
Der Nutzen muss sofort spürbar sein
Der Nutzen des Produkts muss sofort erkennbar sein, sonst ist der
Schmerz (Kosten) beim Kauf immer höher als die Freude (Nutzen). Und
der Nutzen muss möglichst umgehend eintreten. Denn das Gefühl in der
Gegenwart beziehungsweise nahen Zukunft bestimmt mehr das Handeln
als das Gefühl in weiter Zukunft. Jetzt das Geld auszugeben und erst viel
später den Nutzen zu haben, verleitet die Kunden nicht zum Kauf.
Ebenso ist es wichtig, dass der Kunde das neue Produkt sofort einsetzen
und auch sofort den Erfolg wahrnehmen kann. Ist zum Beispiel die Komplexität zu hoch, sodass der Kunde zu lange probieren muss, ist die Gefahr
hoch, dass er von seinem Rückgaberecht Gebrauch macht.
»Nice to have« reicht nicht aus
»Nice to have« gilt für Produkte, die das Leben angenehmer gestalten,
auf die jedoch verzichtet werden kann. »Need to have« beziehungsweise
»must have« gilt für Produkte, die ein elementares Bedürfnis befriedigen,
ohne den das »Überleben« nicht oder nur sehr schwer möglich ist. Bei
Nice-to-have-Produkten hat der Kunde zwei Alternativen zu Ihrem
Angebot: Er wählt das Konkurrenzprodukt oder er verzichtet ganz (zum
Beispiel Restaurantbesuch, Theaterbesuch, Urlaub, neue Möbel et cetera).
Der Verzicht ist hier eine Alternative. Es ist zwar der Wunsch nach diesen
Nice-to-have-Produkten vorhanden, jedoch braucht der Kunde diese nicht
unbedingt zum Leben. Auf Produkte, die hier ansetzen, wird in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als erstes verzichtet.
Setzen Sie am wirksamsten Punkt an
Den größten Nutzen liefern Sie, wenn Ihre Produkte das größte Problem
lösen beziehungsweise den größten Wunsch erfüllen und ein Must-haveBedürfnis befriedigen. Das ist der Punkt, der entscheidend und dessen
Lösung essenziell ist. Betrachten wir ein Beispiel aus der Natur: Liebigs
Gesetz beschreibt, dass trotz der Fülle von Substanzen im Boden nur vier
Stoffe für das Wachstum von Getreide wichtig sind: Kali, Kalk, Phosphor und Stickstoff. Die Weiterentwicklung der Pflanze ist nur durch den
90  Praxishandbuch Produktentwicklung
Minimumfaktor begrenzt, also dem Stoff, der für die Pflanze in Relation
zur benötigten Menge am geringsten vorhanden ist. Wird dieser Stoff
dem Nährboden gezielt hinzugegeben, wächst die Pflanze so lange weiter,
bis es am nächsten Stoff mangelt. Wird auch dieser Engpass beseitigt,
geht das Wachstum bis zum nächsten Minimumfaktormangel weiter
und so fort. Diese Erkenntnisse revolutionierten die Landwirtschaft und
ermöglichten über eine gezielte Düngung eine erhebliche Steigerung der
Ernte. Für Sie als Anbieter bedeutet dies, dass Sie den Minimumfaktor
beziehungsweise Engpass bei Ihren Kunden finden müssen. Welche Faktoren und Probleme halten die Kunden am stärksten von guten Geschäften ab? Was ist der größte Engpass? Was würde sie weitaus erfolgreicher
und glücklicher machen? Schaffen Sie es, dieses Problem mit Ihrer Produktpalette zu lösen, erhält der Kunde einen maximalen Vorteil und Sie
werden einen reißenden Absatz bei Ihren Produkten haben. Ist dieses
Produkt auf dem Markt, dann wenden Sie sich in der Hierarchie dem
nächsten Minimumfaktor zu.
Unternehmen und Familien kaufen keine Produkte
Familien, Unternehmen, Einrichtungen und Behörden kaufen nichts.
Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Gegenwart und auch nicht in der
Zukunft. Es sind Individuen, die sich für oder gegen ein Produkt entscheiden. Und genauso individuell wollen sie behandelt werden. Anbieter gehen
meist von Familien oder Organisationen aus, die ihre Kaufentscheidungen
nach rationalen Gesichtspunkten treffen. Es sind jedoch Menschen mit
eigenen Bedürfnissen, die häufiger als wir glauben und wünschen völlig
emotional und irrational handeln – und das sowohl im privaten Bereich
wie im b-to-b-Bereich.
B-to-b und b-to-c unterscheiden sich – wenn überhaupt – dann nur
marginal. Gerade im b-to-b-Bereich ist die Ausrichtung des Nutzens auf
einzelne Personen eine häufig vernachlässigte Tatsache. Es wird häufig
insbesondere im b-to-b-Bereich statt nach Personen nach abstrakten
Branchen und Geschäftsfeldern segmentiert: »Unsere Zielgruppe ist die
Pharmaindustrie«, »Wir sind in der Computerbranche tätig«. Die Pharmaindustrie kauft keine Produkte. Ebenso wenig die Computerbranche.
Es sind die Menschen, die das Produkt auswählen, den Auftrag unterschreiben und das Produkt bezahlen. Ein auf den ersten Blick kleiner
Unterschied. Er ist jedoch wesentlich. Menschen entscheiden, ob AngeKundennutzen  91
bote ein Renner oder ein Ladenhüter werden. Der persönliche Nutzen
eines Produkts kann im b-to-b-Bereich mit dem Nutzen des Unternehmens, in dem Ihr potenzieller Kunde beschäftigt ist, übereinstimmen.
Das muss jedoch nicht sein. Die Produktentwicklung ist ausschließlich
auf den Nutzen der Personen auszurichten (beruflicher Aufstieg, sicherer
Arbeitsplatz, Anerkennung vom Vorgesetzten et cetera), nicht nach dem
Nutzen für das Unternehmen. Gemäß Wilhelm Tell: »Der Mensch denkt
an sich selbst zuletzt«, passender ist jedoch: »Der Mensch denkt an sich –
selbst zuletzt«. Das Interesse und der Vorteil der Firma stehen bei der
Produktentscheidung immer hinten an. Es gilt, das eigene Bedürfnis des
Kunden als Angestellter zu befriedigen. Und das gilt für alle am Kauf
Beteiligten: Nutzer, Entscheider und Zahler. Egoismus pur? Ja! Kunden
kaufen in erster Linie die Produkte, die ihnen Nutzen bringen. Erst in
zweiter Linie werden Produkte angeschafft, die für das Unternehmen gut
sind. Und dann auch nur, wenn sie dadurch einen Vorteil haben. Der
Nutzen im Beruf kann unter anderem Kostensenkung, Umsatzsteigerung
oder Zeitgewinn sein. Das sind alles Dinge, die auf den ersten Blick einen
Nutzen für das Unternehmen bedeuten. Jedoch wird sich Ihr Kunde
nur für die Produkte entscheiden, die auch ihm persönlich nutzen oder
zumindest nicht schaden. So zum Beispiel hat er durch die Produkte mehr
Anerkennung im Unternehmen, eine Beförderung, eine Gehaltserhöhung,
einen sicheren Arbeitsplatz oder einfach einen geringeren Zeitaufwand
und kann so abends eher nach Hause gehen. Im Idealfall decken sich
die beruflichen Bedürfnisse mit denen des Unternehmens weitgehend. Sie
müssen in den Gesprächen an erster Stelle die wahren Bedürfnisse der
Gesprächspartner erfahren und diese befriedigen, erst nachgeschaltet die
Ziele der Firma. Dann werden Ihre Produkte unentbehrlich für Ihre Kunden. Der Hauptunterschied von b-to-b zu b-to-c ist, dass im Berufsleben
der Käufer meist nicht sein eigenes Geld auf den Tisch legt.
Unterscheiden Sie zwischen Zahler, Entscheider und
Nutzer
Ist der Entscheider = Zahler = Nutzer? Meist leider nicht. Diese Funktionen
können sich zwar überschneiden. So kann zum Beispiel der Entscheider
auch gleichzeitig Nutzer sein, jedoch ist der Zahler eine andere Person.
Häufig sind unterschiedliche Personen (leider auch mit unterschiedlichen
Bedürfnissen) an dem Kaufprozess für ein Produkt beteiligt:
92  Praxishandbuch Produktentwicklung
•
•
•
•
Zahler: zahlt das Produkt, ohne es zwangsläufig selbst auch zu nutzen;
Entscheider: benutzt nicht und zahlt nicht;
Nutzer: setzt das Produkt ein und gebraucht es;
Empfehler: benutzt nicht und zahlt nicht, hat jedoch Einfluss auf die
vorherigen drei Gruppen. Hierzu gehören Vermittler und Meinungsbildner (zum Beispiel Arzt, Friseur, Internetportal, Blog).
Es geht hier nicht um den Nutzen des Produkts, sondern um den Nutzen
des Produkts für den Zahler, den Entscheider und den Nutzer. So muss
beispielsweise bei größeren Anschaffungen (Geräte, Software, Beratung)
in Unternehmen jeweils der Chef (also der Entscheider) gefragt werden,
auch wenn dieser später das Produkt gar nicht nutzt. Der Chef (er interessiert sich für die Rentabilität seiner Investition, die Liquidität muss
gesichert bleiben), der Einkäufer (möglichst geringe Kosten, der Nutzen ist
zweitrangig), Leiter der Logistik (Just-in-time-Lieferung), Angestellter in
der Fertigung (möglichst leichte Handhabung, volle Unterstützung durch
das Produkt und Zeitersparnis der individuellen Lösung) haben komplett
unterschiedliche eigene Interessen. Hinzu kommt, dass der Mitarbeiter
dem Chef gegenüber Hemmungen hat, das Produkt einzufordern, da er
gegebenenfalls hiermit Defizite seines Könnens aufdeckt. Ein oft gesehenes
Beispiel aus dem Bereich der Babybekleidung dafür, dass Entscheider, Käufer und Nutzer oft drei unterschiedliche Personen sind: Die Eltern suchen
etwas aus (Entscheider), die Großeltern zahlen (Zahler) und das Baby zieht
es an (Nutzer). Hier müssen also nur die Entscheider und Zahler überzeugt
werden. Bei Spielwaren wird die Sache schon komplizierter: Hier gilt es
neben dem Zahler und dem Entscheider auch noch den Nutzer zu überzeugen. Was nützt es, wenn die Eltern und Großeltern von Lego begeistert
sind, das Kind aber lieber mit Playmobil spielt? Spätestens wenn auch der
dritte Baukasten ungenutzt in der Ecke liegt, werden die Großeltern und
Eltern es aufgeben, weiterhin Legosteine für den Sprössling zu besorgen.
Ein Kids-Menü einer Fastfoodkette muss dem Kind gefallen – manchmal auch der Inhalt gut schmecken – und auch den Eltern zusagen. Was
nutzt das Obst in der Juniortüte, um den Eltern das Gefühl zu geben,
etwas für die Gesundheit der Kinder getan zu haben, wenn der Sprössling
Obst als uncool ignoriert?
Wenn sich diese Gruppen (Zahler, Entscheider, Nutzer) von den Bedürfnissen her komplett unterscheiden, muss jede Gruppe im Konzept einzeln
beschrieben werden. Somit wird die Anzahl der benötigten Marktgespräche verdreifacht, um diese Wirrungen zu erfassen und anschließend in das
Produkt und die abschließende werbliche Ansprache einfließen zu lassen.
Kundennutzen  93
Denn bereits in der Produktentwicklung ist zu beachten, dass alle Beteiligten (Entscheider, Nutzer und Zahler) einen Nutzen von dem Produkt
haben müssen. Da die Interessen dieser drei Gruppen häufig konträr sind,
ist dieses besonders schwer.
Es wird deutlich, dass es schwer – wenn nicht gar unmöglich – ist, alle
Beteiligten von Ihrem Angebot zu überzeugen. Denn indirekt beeinflussen
auch die Nutzer, Empfehler und Zahler den Entscheider. Am einfachsten
ist die Situation, wenn alle diese Positionen auf eine Person fallen. Dann
muss nur diese Person von dem Nutzen Ihres Produkts überzeugt werden:
Sie geht in ein Eiscafé und kauft sich ein Eis. Damit ist der Entscheider
= Zahler = Nutzer. Im b-to-c-Bereich ist außer bei Großanschaffungen
tatsächlich meist nur eine Person beteiligt.
Auch dem Zwischenhändler Nutzen geben
Wenn Sie über einen Händler (egal ob mit einem Ladengeschäft oder
ohne) verkaufen, dann müssen Sie in der Lage sein, auch diesem zu verdeutlichen, warum er Ihr Produkt bei seiner Präsentation in den Vordergrund stellen soll und nicht das der Konkurrenz. Es gilt somit den Händler
und den Endkunden zu überzeugen. Überzeugen Sie hingegen nur den
Händler, fliegen Sie letztlich im hohen Bogen aus dem Sortiment, weil der
Endkunde nicht kauft.
Geistreiches und Zitiertes
»Optimieren Sie den Kundennutzen, statt sich nur auf eine Gewinnerhöhung
zu konzentrieren.«
Fredmund Malik
»Der Kundennutzen ist der von dem Kunden wahrgenommene Nutzen, nicht
der Nutzen, von dem man glaubt, dass der Kunde ihn habe.«
Josef Gochermann in Kundenorientierte Produktentwicklung
»Die beste Art, die Konkurrenz zum Wahnsinn zu treiben, ist es, Ihre Kunden glücklich zu machen.«
Gay Kawasaki in Die Kunst, die Konkurrenz zum Wahnsinn zu treiben
94  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Wer unfähig ist Probleme zu lösen, wird vom Markt verschwinden.«
Kerstin Friedrich in Erfolgreich durch Spezialisierung
»Wer ein Problem sichtbar besser löst als andere, der kann seinen Erfolg
nicht verhindern.«
Arnold Weissman
»Vergessen Sie bitte die Detailverliebtheit und Ihre großen technischen
Erfindungen und schildern Sie Inhalte, die den anderen interessieren und die
er auch versteht.«
Joachim Skambraks in Elevator Pitch
»Kein Kunde kauft je ein Erzeugnis. Er kauft immer nur das, was das
Erzeugnis für ihn leistet.«
Peter F. Drucker
»Ein erfolgreiches Geschäft beginnt nicht mit einer großartigen Idee oder
einem tollen Produkt, sondern mit dem Wunsch, für das Problem eines
anderen eine Lösung zu finden. Sie müssen verstehen, dass Sie mit Ihrem
Geschäft ein höheres Ziel als Geld verdienen verfolgen. Ihr Ziel muss es
sein, zu verstehen, was Sie zur Lösung von Problemen anderer beitragen
können.«
Jay Abraham in Power Marketing mit kleinem Budget
»Am Ende entscheidet der Markt: für den Politiker der Wähler, im Geschäft
und in der Technik der Konsument.«
John Naisbitt in Mind Set!
»Die Hauptvoraussetzung für echtes Kundenbeziehungsmanagement ist
ein Produkt, das vom Kunden gewünscht wird. Echtes Engagement in der
Beziehungspflege kann zwar viele Produktnachteile aufwiegen und für eine
gewisse Zeit kompensieren. Dennoch ist der sogenannte Kernnutzen nach
wie vor auch Kern der Kundenzufriedenheit. Erfüllt das Produkt den Zweck
nicht, nützen die übrigen Aktivitäten wenig.«
Hannes Kunz in Beziehungsmanagement
»Der Untergang von Unternehmen wird nicht durch eine gewaltige, blutige
Palastrevolution heraufbeschworen, sondern durch einen langsamen und
vorsätzlichen Selbstmord durch Ihre Einstellung und Ihr Verhalten gegenüber den Kunden.«
Jerry Wilson
Kundennutzen  95
»Wer anderen nützt, nützt sich selber.«
Seneca
»Menschen, die wissen, dass es im Leben darum geht, anderen Menschen
Nutzen zu stiften, um dadurch selbst Nutzen zu erfahren, werden immer
wieder feststellen, dass die Chancen und Möglichkeiten trotz weltweiter
Rezession und wirtschaftlicher Probleme größer sind als die Probleme und
Schwierigkeiten, denen jeder täglich gegenübersteht.«
Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt?
»Wenn der menschliche Primat eine Entscheidung treffen muss zwischen
dem, was für das Unternehmen und was für ihn selbst das Beste ist, dann
wird er sich in der Mehrzahl der Fälle für das entscheiden, was seine eigenen
Karriereaussichten verbessert.«
Jack Trout in Trout über Strategie
96  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 8
Prozessmusterwechsel und Komplexität
Prozessmusterwechsel vs. Best Practice
Dass sich die Rahmenbedingungen immer mehr ändern, ist allgemein
bekannt. Die Unternehmen geraten so unter einen erheblichen Veränderungsdruck. Mit der angemessenen Reaktion darauf beschäftigen sich die
Unternehmen jedoch deutlich weniger.
Reaktionen auf Veränderungen
Wenn bei einem Auto die Ölkontrollleuchte blinkt, wird nicht der Strom
zur Lampe abgeklemmt, sondern schleunigst Öl nachgefüllt. Warum wird
diese Vorgehensweise nicht im Geschäftsleben praktiziert? Wenn plötzlich
etwas nicht mehr so läuft wie bisher – wenn sich die Produkte zum Beispiel
nicht mehr so gut verkaufen lassen –, tun Mitarbeiter entweder gar nichts
oder verdoppeln ihre Bemühungen mit der bisherigen Vorgehensweise, um
dadurch etwas zu verbessern. Ein Fehler, denn gerade die Handlungen der
Vergangenheit haben doch zur entstandenen Misere geführt.
Wo immer Menschen unter Druck geraten beziehungsweise wenn etwas
nicht mehr funktioniert, machen sie das, was sie schon immer gemacht
haben. Sie machen es nur heftiger, kommen damit jedoch nicht weiter.
Beobachtet werden kann das auch an einer verschlossenen Tür, die sonst
offen ist: Es wird versucht, diese zu öffnen. Funktioniert es nicht, wird
mehrmals heftig daran gerüttelt, ob sie nicht doch aufgeht. Dieses ist zwar
logisch verkehrt, psychologisch jedoch verständlich. Dieses Verhalten ist
auch in Unternehmen zu beobachten. Es werden die Verfahrensweisen beibehalten, die in der Vergangenheit den Erfolg gebracht haben. Mitarbeiter
erhöhen das Bemühen im festen Muster, grundlegende Veränderungen
finden nicht statt. Im Falle des zu geringen Absatzes von Neuprodukten
wird der Werbedruck erhöht und die bisherigen Maßnahmen intensiviert;
es werden nach den alten Methoden neue Produkte entwickelt. Selten wird
Prozessmusterwechsel und Komplexität  97
kritisch analysiert, ob das Produkt noch den aktuellen Kundenerwartungen entspricht und die Wünsche erfüllt. Genauso selten wird analysiert,
aus welchen Gründen die Käufe ausbleiben. Das wäre jedoch der Ansatz,
um das Produkt so zu verändern, dass es den Kundenbedürfnissen entspricht, wirklichen Nutzen liefert und somit gekauft wird.
Über Jahre wurden die Produkte mit bestehenden Verfahren in kleinen
Schritten optimiert. Produkte müssen jedoch um mindestens 30 Prozent
besser werden, damit diese Veränderung vom Kunden auch wahrgenommen wird. Wenn alles im Markt im Wandel begriffen ist, muss es jedoch
mehr sein als eine Optimierung: Wie von Professor Peter Kruse beschrieben, muss es zusätzlich zu Best Practice noch Next Practice beziehungsweise Prozessmusterwechsel geben. Denn eine deutliche Verbesserung dessen, was die Unternehmen in den letzten 20 Jahren erfolgreich gemacht
hat, ist zu wenig. Zukünftig muss die Neuerfindung in den Fokus rücken.
Und zwar gemeinsam mit dem Kunden. Ändern Sie die Regeln, bevor es
ein Mitbewerber tut. Innovationen sind immer ein Regelbruch. Wenn ein
kleines Kind einen Badestrand mit Sonne und Schneemann malt, dann ist
es nicht innovativ, sondern kennt die Regel nicht, dass der Schneemann in
der Sommerhitze schmilzt. Das Gemalte ist eine Zufallskombination. Sind
solche Unmöglichkeiten bekannt und werden trotzdem kombiniert, kann es
als innovativ gelten. Entsprechend müssen Kenntnisse über die Kunden und
die Mitbewerber bekannt sein, um die Regeln gezielt brechen zu können
und innovativ zu sein.
Eine von vielen Geschichten soll die Notwendigkeit zum Prozessmusterwechsel verdeutlichen: Als vor circa 100 Jahren die Gasindustrie die
Gefahr erkannte, durch die Einführung des elektrischen Lichts diesen
Markt zu verlieren, wurde schnell versucht, die Produktivität zu verbessern, die Preise zu senken et cetera. Kurzfristig konnte so die bestehende
Marktposition behauptet werden. Doch es wurde nicht verhindert, dass
heute die Städte mit elektrischem Licht versorgt werden. Genauso wenig
konnten bessere Fuhrwerke und schnellere Pferde das Auto verhindern.
Eine Weisheit der Dakota-Indianer sagt: »Wenn du entdeckst, dass du
ein totes Pferd reitest, steig ab«. Das heißt wenn die Produkte sich nicht
mehr verkaufen lassen, muss in der Produktentwicklung auf ganz andere
»Pferde«, sprich: Produkte gesetzt werden. Stattdessen werden in Unternehmen häufig folgende Maßnahmen ergriffen:
• Wir besorgen stärkere Peitschen und dreschen auf das Pferd ein. Übertragen auf das Unternehmen: Motivationssysteme, Bestrafungssysteme,
Controlling-Systeme;
98  Praxishandbuch Produktentwicklung
• wir wechseln die Reiter aus. Übertragen auf das Unternehmen: alter
Vorstand raus, neuer Vorstand rein;
• wir haben die Pferde immer so geritten. Wir reiten sie auch zukünftig
so, da wir damit auch früher erfolgreich waren. Übertragen auf das
Unternehmen: Wir machen das, was wir immer gemacht haben;
• wir gründen Arbeitskreise, um Pferde zu analysieren, die tot sind.
Übertragen auf das Unternehmen: Es werden die Produkte analysiert,
die sich nicht mehr verkaufen lassen, und Gründe dafür gesucht, ohne
jedoch zu analysieren, was geändert werden muss, damit ein Verkaufserfolg mit neuen Produkten eintritt;
• wir stellen Vergleiche unterschiedlicher toter Pferde an und stellen fest,
dass unser Pferd nicht ganz so tot ist wie das Pferd des Nachbarn. Übertragen auf das Unternehmen: Wir vergleichen die eigene Pleite mit dem
Index und hoffen, dass wir über dem Index liegen. Trotz Verlust wird
das Verhältnis zum Index gefeiert;
• wir ändern die Kriterien, die besagen, ob ein Pferd tot sei. Übertragen
auf das Unternehmen: Die Messlatte wird dem Abwärtstrend angepasst,
damit die Ziele erreicht werden. Es wird dann von einem »erhöhten
Nullwachstum« oder »degressivem Wachstum« berichtet;
• wir kaufen Leute von außerhalb ein, um das tote Pferd wiederzubeleben. Übertragen auf das Unternehmen: Es werden Unternehmensberater beauftragt;
• wir erklären: Kein Pferd kann so tot sein, dass man es nicht noch schlagen könnte.
Häufig werden diese Maßnahmen ergriffen, da keine Lösungen vorhanden
sind. Es haben eben immer die anderen Schuld.
Statt jedoch immer mehr auf bestehende Muster einzudreschen, muss
komplett neu gedacht werden. Von Best Practice zu Next Practice. Diese
zwei Formen der Veränderung werden nachfolgend beschrieben:
Prozessmusterwechsel und Komplexität  99
Tabelle 15: Prozessoptimierung und Prozessmusterwechsel
Prozessoptimierung
Prozessmusterwechsel
Immer mehr Pferde vor Kutschen
Auto
Kugelkopfschreibmaschine mit Korrekturmöglichkeit
Computer
Bessere medizinische Geräte und Tabletten zur Behandlung von Krankheiten
Neue Verfahren zur Prävention
Briefzustellung zweimal pro Tag, um eine
schnellere Zusendung zu gewährleisten
E-Mail
Alte Tapete mit noch weißerer Farbe überstreichen
Tapete, bei der sich die aufgetragene
Farbe durch chemische Vorgänge von
sich aus aufhellt
Noch bessere Plattenspieler
CD, mp3-Download
5¼-Zoll-Disketten durch 3½-Zoll abgelöst
CD
CD durch DVD abgelöst
USB-Stick mit vielfacher Speicherkapazität
Immer größere USB-Sticks
Datenspeicherung im Internet (Wolke)
Flexa-Wandfarben (im Deckel ist gleich ein
Abrollsieb eingebaut)
Eine Tapete, die so beschaffen ist, dass
sie nie mehr gestrichen werden muss
Puppen, die wie Babys aussehen
Barbie
Noch mehr Müslisorten
Müsliriegel
Hellere Kerzen mit längerer Lebensdauer
Öllampen
Öllampen mit geringerem Verbrauch
Gaslampen
Gaslampen mit geringerem Verbrauch
Glühbirnen
Segelschiffe mit größeren Segeln
Dampfschiffe
Immer mehr kleinere Kinos mit umfangreichem Angebot
Videoverleih und PayTV
Schnellere Entwicklung von Fotos
Polaroid und später Digitalfotografie
Foto-Filme, auf die noch mehr Fotos
passen
Digitalfotografie
Mehr geöffnete Bankschalter, um Wartezeit zu verkürzen
Onlinebanking und Geldautomaten
Variationen bestehender Produktkategorien
Neue Produktkategorien
effizient: das, was bis jetzt getan wird,
noch besser machen
effektiv: das Richtige tun
Evolution
Revolution
100  Praxishandbuch Produktentwicklung
Dabei ist weder das eine noch das andere per se besser. Es gilt nicht »oder«,
sondern »und«.
Best Practice (Funktionsoptimierung)
Hier geht es darum, das Ergebnis unter Beibehaltung der bestehenden
Vorgehensweise zu verbessern, indem das Gleiche nur immer etwas besser
gemacht wird. Eine Optimierung erfolgt im bestehenden Rahmen, im
alten perfektionierten System, in dem die Spielregeln befolgt werden.
Diese Funktionsoptimierung (Best Practice, Kaizen oder Kontinuierlicher
Verbesserungsprozess (KVP) genannt) und weitere Methoden der stetigen Verbesserung reichen in Zeiten der Stabilität, da fast alles konstant
bleibt, und haben sich dort bewährt. Bei den gerade grundlegenden Veränderungen im Markt ist das Festhalten an bestehenden Strukturen zwar
logisch verkehrt, jedoch psychologisch verständlich. Scheinbar kann alles
so bleiben wie es ist, es muss nur ein bisschen besser gemacht werden. Am
Anfang war mit der Funktionsoptimierung ein hoher Leistungsgewinn zu
verzeichnen, dann war das Plateau erreicht und weitere Optimierungen
bewirkten nichts mehr (Deckeneffekt). Große Leistungsverbesserungen
wie zum Beispiel eine Erschließung neuer Märkte, Produktivitätssteigerung oder Erhöhung der Erfolgsquote bei Produktneueinführungen von
50 Prozent im Verhältnis zum Wettbewerb sind nicht möglich, indem das
Gleiche nur mehr und/oder etwas besser gemacht wird.
Funktionsoptimierungen beinhalten meist eine Variation der bestehenden Produkte. Die Ideen stammen aus internen Kreativitätstechniken wie
Brainstorming, bei denen der Kunde nicht einbezogen wird. So entstehen Müslisorten mit etwas mehr Schokolade und Nüssen, etwas weniger
Zucker, einer anderen Verpackungsgestaltung und noch mehr ähnlichen
Varianten, die der Kunde nicht unterscheiden kann. Und der Umsatz verteilt sich auf viele Produkte, wodurch der Gewinn sinkt.
Die Grenzen von Best Practice
Viele Entwicklungen bleiben in der bestehenden Produktkategorie. Es tritt
ein Scheuklappendenken ein. An dem bestehenden Produkt wird so lange
»herumgeschraubt«, bis eine etwas optimierte Version entsteht. Um wirklich den großen Wurf zu landen, müssen sich Unternehmen davon lösen.
Es gilt nicht den 27. Rührmixer zu entwerfen, sondern das ursprüngliche
Problem zu lösen beziehungsweise das Bedürfnis zu befriedigen. InsProzessmusterwechsel und Komplexität  101
besondere wenn sich die Rahmenbedingungen so kolossal ändern wie in
den letzten Jahren (und das ist erst der Anfang), müssen die Unternehmen,
um langfristig Erfolg zu haben beziehungsweise überhaupt noch bestehen
zu können, ihre Verhaltensmuster komplett in Frage stellen. Funktionsoptimierung reicht nicht mehr aus, ausschließlich stetige Verbesserungen
gefährden die Existenz. Mit diesem Verfahren werden die Produkte nur
immer gleicher. Noch eine zusätzliche Klinge beim Rasierer, etwas mehr
Weißkraft beim Waschmittel – solche Maßnahmen bringen keinen langfristigen Erfolg. So ragt kein Unternehmen aus dem Gleichheitsbrei heraus,
weil der Kunde bei allen Konkurrenten den gleichen Preis mit annähernd
gleichem Nutzen findet. Die Gefahr besteht darin, dass ein Anbieter –
meist aus einer ganz anderen Branche – ein Verfahren entwickelt, das
derart überlegen ist, dass es bestehende Anbieter vom Markt verdrängen
kann. Vielleicht eine Creme, damit die Barthaare nicht mehr wachsen, oder
Kleidung, die sich selbst reinigt. Mit reiner Funktionsoptimierung würden
Sie vom Wettbewerber überrollt und vom Markt ignoriert werden, zumal
kleine Verbesserungen schnell von Wettbewerbern nachgeahmt werden
können. Machen Sie stattdessen Ihren bestehenden Produkten mit Ihren
Neuprodukten Konkurrenz, drängen Sie diese selbst vom Markt, bevor es
die Wettbewerber für Sie übernehmen. Die Kunden wollen keine besseren
Produkte, sondern ganz andere Lösungen. Entwickeln Sie also ganz neue
Produkte! Dies kann in drei Stufen geschehen:
1.Keine Optimierung bedeutet Rückschritt. Zuerst gibt es die gelbe Karte
von den Kunden, dann die rote, also die Kaufverweigerung;
2.kleine Optimierung mit den nächsten Modellen. Das ist Standard und
wird vorausgesetzt. So wird die Position maximal gehalten, gegebenenfalls mit Tendenz zum Rückschritt. Die Anbieter werden geduldet,
haben die Erlaubnis zum Mitspielen;
3.grundlegende Innovation aus Kundensicht. Das ist die Voraussetzung,
um als Unternehmen zu überleben. Es gilt, die Bedürfnisse der Kunden
nicht besser, sondern völlig anders mit dem Produkt zu befriedigen.
Prozessmusterwechsel
Die andere Form der Veränderung sind Prozessmusterwechsel: nicht das
Gleiche besser machen, sondern etwas ganz anderes. Und zwar so, dass der
Nutzen für den Kunden erheblich steigt und sein Bedürfnis auf eine ganz
andere Weise noch viel besser befriedigt wird. Erfolgreich waren nicht
102  Praxishandbuch Produktentwicklung
die Unternehmen, die in der Vergangenheit schnellere Pferde gezüchtet,
noch tüchtigere Segelschiffe gebaut oder die Postboten mit Rennwagen
ausgestattet haben. Sondern die, die Dampfschiffe, Autos und Mail-Technologie angeboten haben. Hier hat ein Prozessmusterwechsel die bestehende Nachfrage völlig neu definiert und auf den Kopf gestellt.
Ein viel zitiertes Beispiel hierfür ist im Hochsprung der Übergang vom
Straddle zum Fosbury-Flop. Vor 1968 sprangen alle vorwärts/seitwärts über
die Latte. Irgendwann war ein Leistungslimit (der Deckeneffekt) erreicht,
höher ging es mit dieser Technik nicht mehr. Ein junger Amerikaner sprang
rückwärts über die Latte. Eine neue Technik war geboren. Er hat nicht die
bestehende Technik optimiert, sondern etwas ganz anderes gemacht. Die
erste Reaktion auf seinen neuen Stil war die typische Reaktion: »Das muss
man verbieten«. Auch nachdem Fosbury 1968 die Goldmedaille gewonnen
hatte, sprangen viele noch den Straddle. Selbst vier Jahre später, 1972 in
München, sprang nur eine 16-jährige Frau den Fosbury-Flopp. Alle anderen
versuchten es nach wie vor mit dem Straddel. Diese Reaktion ist menschlich:
Auch wenn nachweislich ein neues Verfahren besser ist, werden die Menschen weiter versuchen, mit dem alten Verfahren erfolgreich zu sein. Das gilt
für den Sport wie für den Wirtschaftssektor. Nur der Vollständigkeit halber:
Die 16-Jährige war Ulrike Meyfarth und gewann die Goldmedaille.
Die typischen Reaktionen bei Prozessmusterwechseln sind:
• »Das muss man verbieten«, »Das kann nicht funktionieren«. Erwarten
Sie bitte nicht, durch Prozessmusterwechsel in Ihrem Unternehmen
geliebt zu werden. Ihre Mitarbeiter werden sich bei Neuerungen – und
seien sie noch so gut – an die gewohnten Verhaltensweisen klammern.
Neue Ideen werden größtenteils zunächst abgelehnt. Nur einige wenige
Mitarbeiter, sogenannte Early Mover, werden begeistert sein. Doch das
ist die kleine Minderheit;
• auch wenn ein neues Verfahren nachweislich besser ist, werden die Menschen weiter versuchen, mit dem alten Verfahren erfolgreich zu sein;
• »Das ist ein zu großes Risiko«. Stimmt, doch in veränderten Märkten
haben Sie keine andere Wahl. Wann immer sich das Umfeld ändert, ist
das Risiko der Stabilität deutlich größer als das Risiko der Instabilität;
• »Wenn das so einfach wäre, hätte ein anderer es schon entwickelt«.
Meist ist das jedoch nicht der Fall.
Es geht darum, die bestehenden Muster zu hinterfragen, zu brechen und
ganz neue Regeln aufzustellen: nicht Funktionen zu optimieren, sondern mit
Prozessmusterwechsel zu ganz neuen Generationen von Produkten zu gelangen. So werden Differenzierungen von den Kunden auch wahrgenommen.
Prozessmusterwechsel und Komplexität  103
Diese neuen Regeln mit ganz neuartigen Produkten kamen meist nicht von
der Konkurrenz der alten Produktgattung, sondern von Quereinsteigern, die
den Ballast der alten Muster nicht mitschleppten. Sie definierten ihre eigenen
Regeln: zum Beispiel Apple mit iTunes und dem iPhone, eBay, Amazon, Dell,
Swatch, Starbucks. Alle wurden so Marktführer in ihrem Gebiet.
Hinter diesen Neuerungen steht immer ein konstantes Grundbedürfnis.
Dieses besteht heute und auch in der Zukunft. Anbieter, die sich auf Produkte spezialisieren, laufen damit Gefahr, von Innovationen überrollt zu
werden. Konzentrieren sich Anbieter hingegen auf die Erfüllung eines konstanten Grundbedürfnisses, werden sie von sich aus die notwendigen Prozessmusterwechsel mitmachen oder diese sogar initiieren. Diese Anbieter
sind viel offener für Neuerungen und Trends.
Nicht alle Ihre Kunden werden sofort auf Innovationen anspringen,
auch wenn diese noch so gut sind. So haben Sie in Ihrem Marktsegment:
• die sogenannten Innovatoren/Frühadapter/Early Mover
(insgesamt circa 15 Prozent);
• die frühe Mehrheit (circa 35 Prozent);
• die späte Mehrheit (circa 35 Prozent);
• die Verweigerer (circa 15 Prozent. Zum Beispiel diejenigen, die auch
heute noch kein Handy haben).
Die Voraussetzung für einen Prozessmusterwechsel sind die dazu passenden Rahmenbedingungen. Nur dann funktionieren neue Muster. Zu
Fosburys Zeiten gab es als Auffanggrube keine Sandkiste mehr, sondern
eine Matte. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er nicht ohne Verletzungen auf dem Rücken landen können. Immer, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, funktionieren neue Muster. Und das sind die besten
Gelegenheiten für den großen Wurf. Kalkulieren Sie auch zusätzliche
Kosten und einen kurzen Leistungseinbruch ein. Am Anfang läuft es nicht
so gut wie mit dem alten Muster.
Von den Anforderungen zur Veränderung betroffene Mitarbeiter
äußern häufig: »Das geht bei uns nicht. Dafür sind unsere Produkte nicht
geeignet«, »Wir sind nicht Red Bull oder Starbucks. Die haben es einfacher«, »Bei uns ist der Markt ausgereift. Da ist nicht mehr drin«. Doch
gerade Produkte in »langweiligen« Branchen bieten Ansatzpunkte für Prozessmusterwechsel und somit eindeutige Differenzierung, zum Beispiel:
• Magic White: Diese Wandfarbe von Dulux ist beim Aufstrich rosa und
wird erst nach circa 30 Minuten weiß. So sieht der Hobbyheimwerker,
wo er bereits gestrichen hat;
104  Praxishandbuch Produktentwicklung
• Alpina AirClean: Diese Wandfarbe von Alpina baut durch Photokatalyse Verbrennungsprodukte und Fettsäuren in der Luft ab. So sollen
unangenehme Gerüche in der Luft verschwinden;
• Spezielle Tapete, die durch Faserzusätze elektrische Strahlung abfängt:
Die Angst vor Strahlung (DVBT, Handy, WLAN) ist bei einem Teil der
Bevölkerung vorhanden und wird hier zur Problemlösung umgesetzt.
Also: Ausreden gibt es keine. Binden Sie die Mitarbeiter rational und emotional ein, sonst wollen diese immer wieder in das alte Muster zurück,
denn das Gehirn schüttet Belohnungssysteme für Stabilität aus.
Um im Wettlauf mit der Konkurrenz an die erste Position zu kommen
beziehungsweise dort zu bleiben, brauchen Sie einen Wechsel zwischen Best
Practice und Prozessmusterwechsel. Denn der Wettbewerb wird weiterhin
die innovativen Unternehmen kopieren und die Merkmale der Branchenführer übernehmen. So versuchen beispielsweise viele Coffee-Shops, Starbucks zu imitieren. In solchen Fällen gilt es für die Branchenführer wieder
nachzulegen. Und zwar nicht nur mit kleinen Schritten. Hier muss auch
wieder ein Prozessmusterwechsel folgen, wenn diese Unternehmen an der
Spitze uneinholbar bleiben wollen. Auch Branchenführer haben Produkte,
deren Halbwertzeit aber etwas länger dauert und deren Verfall langsamer
vonstatten geht. Der Vorteil der Marktführerschaft beinhaltet auch meist
noch die notwendige Finanzkraft, um den nächsten Prozessmusterwechsel
zu starten. Dieser Vorteil ist unbedingt zu nutzen. Haben erst einmal die
anderen Anbieter aufgeschlossen, wird es ungleich schwerer, wieder den
alten Abstand herzustellen. Yahoo war Marktführer bei Suchmaschinen
und wurde dann deutlich überholt. Jetzt wurde Yahoo abgehängt. Keiner
kann sich mehr auf seinen Lorbeeren ausruhen.
Beispiele für Prozessmusterwechsel
Dell mit seinen Innovationen entlang der Wertekette:
• Auswahl: Dell stellt den Computer individuell nach Vorgabe eines jeden
Kunden zusammen;
• Angebotsform: Online, kein Geschäft;
• Fertigung: erst, wenn die Bestellung vorliegt und bezahlt wurde. Somit
nur minimales Lager und kein gebundenes Kapital;
• Lieferung: Dell liefert direkt an den Kunden. Es fallen keine Rabatte
an Zwischenhändler an. Das Ergebnis sind geringe Preise und ein hoher
Marktanteil.
Prozessmusterwechsel und Komplexität  105
Swatch
• Günstige Uhr aus der Schweiz mit wenigen Teilen;
• modische bunte Aufmachung.
Starbucks
• Auswahl aus circa 80 000 Kaffee- und Tee-Kombinationen, Sonderwünsche noch nicht mitgerechnet;
• Ausstattung: Plüsch mit Hotspot und Stromanschluss für den PC (der
»Dritte Ort« zwischen Arbeitsplatz und Zuhause);
• Kooperation: Wenn einem Gast ein gerade gehörtes Musikstück gefällt,
kann er es sofort über sein iPhone identifizieren und kaufen.
New Yorker Metropolitan Opera
• Übertragung von Aufführungen der Oper in Kinos. Hier wird ein ganz
anderes Marktsegment erreicht. Die Berliner Philharmonie überträgt
Konzerte im Internet.
Handy
• Wenn Sie heute jemanden auf der Straße sehen, der Ihnen entgegen
kommt und mit sich selber spricht, dann alarmieren Sie nicht mehr die
Psychiatrie, denn Sie wissen, dass Ihr Gegenüber einen Knopf im Ohr
hat, der mit einem Handymikrofon ausgestattet ist, und telefoniert.
5-Minuten-Terrine
• Heißes Wasser drauf und fertig. Andere Convenience-Produkte: auspacken, in den Ofen und fertig.
Prada-Store in New York
• Auf einem Display erhalten Kunden Hinweise über die Stoffe und zur
Pflege. Ebenfalls wird auf einem Bildschirm gezeigt, welche Kleidungsstücke sehr gut zu denen passen, die gerade in der Umkleidekabine
anprobiert werden.
Steuerberatungssoftware
• Für die meisten Angestellten reichen die Programme häufig, um ihre
Steuern einzureichen. Wieder ein Beispiel für ein Produkt, bei dem die
Konkurrenz aus einer ganz anderen Richtung kam.
CNN
• 24 Stunden lang Nachrichten.
106  Praxishandbuch Produktentwicklung
Ikea
• Transport und Endmontage durch den Kunden. Dadurch sind günstige
Preise möglich. Ikea baut auf das AAL-Prinzip: Andere arbeiten lassen.
Voraussetzung ist die Eis-Regel: Das Produkt muss einfach, interaktiv
und selbsterklärend sein.
Digitale Fotodatenbanken
• Mittels Suchmaschine kann das gewünschte Foto gefunden und für
sehr wenig Geld erworben werden. Auch die kommerzielle Verwertung
dieser Fotos ist möglich.
Cirque du Soleil
• Hat den Zirkus neu erfunden: keine Tiere, keine Stars, keine Kapelle,
dafür Akrobatik in eine initiierte und dekorierte Geschichte eingebunden. Jede Inszenierung wird gleichzeitig weltweit an mehreren Standorten aufgeführt. Als Orientierung für die Eintrittspreise (40 bis 170
Euro) wurden Theater, Oper und Musical herangezogen und so das
Preissegment des normalen Zirkus verlassen.
eBay
• Auktionen und Verkauf online. Was wirklich zum Durchbruch verhalf,
war die Kombination mit paypal, einem Online-Bezahlsystem zwischen
Verkäufer und Käufer. Apple hat mit iTunes auch gleich die Musikdatenbank zum iPod geliefert, die Bezahlung erfolgt bequem über die
Telefonrechnung. Auch hier führte kein Einzelprodukt, sondern ein
System mit dem gesamten Prozessablauf zum Erfolg.
iTunes
• Früher mussten ganze Schallplatten oder CDs gekauft werden, obwohl
nur zwei Lieder gewollt waren. Die Lieder waren in der festgelegten
Reihenfolge abzuspielen, ein Probehören war nur in den Geschäften
möglich. All diese Einschränkungen wurden von Anbietern wie iTunes
und Musikload aufgehoben.
Ryanair
• Flüge für 1 Euro (zuzüglich Gebühren). Dafür keine Sitzplatzreservierung, Start und Landung meist von Randflughäfen (um Gebühren zu
sparen), keine Verpflegung et cetera. Alle Leistungen wurden reduziert,
um einen unschlagbar günstigen Preis anzubieten.
Prozessmusterwechsel und Komplexität  107
Legitas
• Franchiseunternehmen für Anwälte als neue Geschäftsform (www.legitas.de).
Amazon
• Vertrieb von allen möglichen Produkten über das Internet. Somit große
Konkurrenz zum Einzelhandel (auch zu den Billigmärkten, da die Preise
bei Amazon häufig noch günstiger sind).
Pompduck, Witzigmann
• Kombinationen bestehender Produktkategorien: Restaurant mit Variete.
Für ein Abendessen mit Show zahlen die Gäste über 120 Euro. Diesen
Preis würden die Wenigsten nur für ein Essen zahlen.
Künstliche Blumen
• Verknüpfung von Optik und Langlebigkeit.
Haier
• Diese Waschmaschinen der chinesischen Marke kommen ohne Waschmittel aus (www.haier.com).
Napster
• Hier gibt es Downloads für Musik zum Festpreis. Der Kunde kann mit
seiner Flatrate pro Monat Mitgliedschaft so viel herunterladen wie er
will. Er mietet nur. Die Nutzungsmöglichkeit endet in dem Moment, in
dem der Kunde bei Napster gekündigt hat. Diese Flatrates gibt es auch
im medizinischen Bereich: Botox so oft der Kunde möchte und es verträgt (www.shapeandbeauty.de; ein eher fragliches Angebot) oder auch
Reinigungen (zum Beispiel Slate NYC in New York, www.slatenyc.
com).
Notebook-Tastatur
• Um den Tragekomfort zu erhöhen, sind diese meist sehr klein. Somit
muss der Nutzer sich gegenüber der Standardtastaturgröße umstellen.
Abhilfe liefert hier eine Tastatur, die zusammengerollt transportiert
werden kann und am Nutzungsort entrollt wird.
108  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 7: Zusammenrollbare Notebook-Tastatur
Netflix
• Dieser DVD-Verleih (www.netflix.com) erhebt keine Strafe bei verspäteter Rücksendung, da der Kunde die DVDs so lange behalten kann, wie
er möchte. Der Kunde zahlt einen Fixbetrag im Monat und erhält jeweils
drei DVDs im Tausch. Dieses Bezahlmodell ohne Nachgebühren haben
unter anderem auch Anbieter wie Netleih (www.netleih.de) eingeführt.
LTU
• Teilweise können Interessenten ihre Preisangebote für Flüge abgeben.
Innerhalb von 24 Stunden erhalten sie eine Antwort, ob das Angebot
von LTU angenommen wurde und sie den Zuschlag erhalten.
Fahrradverleih
• Fahrräder werden in der Regel gekauft, in Urlaubsregionen hat sich der
Fahrradverleih etabliert. In der Regel musste das Fahrrad dort abgegeben werden, wo es entliehen wurde. Zum Beispiel in Hamburg stehen
jetzt an mehreren Stationen die Fahrräder, mittels Kreditkarte wird am
Automaten bezahlt und über einen Code das Fahrrad von der Basis entfernt. Zurückgegeben werden kann das Fahrrad an jeder Verleihstelle.
Ein entsprechendes Modell bietet Zipcar (www.zipcar.com) für Autos.
Prozessmusterwechsel und Komplexität  109
Abbildung 8: StadtRAD Hamburg, Teil 1
Abbildung 9: StadtRAD Hamburg, Teil 2
110  Praxishandbuch Produktentwicklung
Wylerhof
• Die Ausgangslage war für die Landwirte ein geringer Verkaufspreis für
Käse an den Handel und somit geringe Gewinnmargen. Kunden können im Wylerhof (www.kuhleasing.ch) und auch bei anderen Anbietern (www.rent-a-cow.ch) eine selbst ausgewählte Kuh zum vereinbarten Preis leasen. Neben der Leasinggebühr kommen noch Kosten für
Melken und Käseherstellung dazu. Außerdem helfen die Kunden noch
etwas auf der Alm. Als Gegenleistung erhält der Kunde den Lebenslauf
»seiner« Kuh mit Zertifikat, den Käse zum Sonderpreis und das Naturerlebnis beim Besuch »seiner« Kuh und seiner Tätigkeit auf der Alm. Die
Landwirte sind auf diesem Wege raus aus der Preisfalle der Discountmärkte. Kunden sind sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen, die
sich zum Beispiel ein Umweltimage aufbauen wollen. Erweitert wurde
das Angebot um das Leasen von Ziegen und Kälbern.
Quabb
• Wie wurde doch um jeden Cent beim Porto für Briefsendungen gefeilscht.
Die Post musste im Centbereich senken, PIN Group hatte Probleme mit
seinen Mindestlöhnen und konnte so den Preis der Post nicht unterbieten.
Das Unternehmen Quabb (www.quabb.com) bietet nun den Briefversand
zum Nulltarif an. Kunden senden ihren Brief per Mail an Quabb und wählen aus, welche Werbung beigelegt werden darf. Der ausgedruckte Brief
sowie die Werbung werden dann an den Empfänger verschickt. Das Porto
zahlt der Werber. Das ist nicht Optimierung, sondern ein Prozessmusterwechsel. Die Spielregeln der Finanzierung wurden auf den Kopf gestellt.
Bei vielen Prozessmusterwechseln treten die technischen Funktionen
immer weiter in den Hintergrund.
Der Weg zum Prozessmusterwechsel
Die Prozessmusterwechsel können in allen Stufen der Wertschöpfung des
Produkts vollzogen werden. Wichtig ist, dass dieses jedoch eine wesentliche Verbesserung für den Kunden bringt. Im Zentrum steht immer noch
das Produkt.
Ansätze zum Prozessmusterwechsel:
• Erfolgreiche Unternehmen befolgen keine Regeln, sie schaffen ihre eigenen. Überschreiten Sie Grenzen und zwar zum Wohle Ihrer Kunden –
nicht zum eigenem Spaß. Stellen Sie Regeln infrage und auf den Kopf.
Dies können sein:
Prozessmusterwechsel und Komplexität  111
 Regeln des Preises. Kein Preiskampf, sondern das Spielfeld verlagern. Wie
beim Pokern im Kasino: einen neuen Tisch aufmachen und so den Gegnern
ausweichen. Nicht in den Verdrängungswettbewerb gehen;
 Regeln der Versandform;
 Regeln der sechs Perspektiven eines erfolgreichen Produkts (Funktionen,
Struktur, Ansprache, Produktart, Emotion, Design).
• Es ist sinnvoll, den Prozessmusterwechsel frühzeitig anzugehen, bevor
Ihnen die Veränderungen im Umfeld eine Veränderung aufzwingt. Je
länger gewartet wird und je mehr man unter Druck gerät, desto schwerer und auch kostenintensiver wird der Übergang. Nehmen Sie auch die
ersten Signale in Ihrer Umgebung – zum Beispiel bei Ihren Kunden –
wahr und reagieren Sie;
• man bekommt das Neue nur, wenn man das Alte zerstört. Man muss
das Alte nicht nur besser machen, sondern anders. Dynamische Systeme
versuchen die Stabilität zu erhalten, solange es geht. Keine Änderung ist
möglich ohne die Zerstörung des Bestehenden. Hierzu muss das stabile
System in eine instabile Lage gebracht werden. Von einer Stabilität zur
nächsten Stabilität geht es nur über eine Phase der Instabilität. Wenn
ein System gestört ist, wird das System nach einem neuen stabilen Muster suchen, um wieder in einen Zustand der Stabilität zu gelangen;
• suchen Sie Spielregeln und Unterscheidungsmerkmale aus anderen
Branchen und prüfen Sie sie auf Tauglichkeit zur eigenen Übernahme.
Gegebenenfalls in angepasster Form übernehmen;
• stellen Sie Bestehendes bezüglich Kundennutzen laufend infrage;
• verbinden Sie Bestehendes mit Bestehendem, was vorher noch nie
zusammengebracht wurde (zum Beispiel Produkteigenschaften aus verschiedenen Branchen). Verbinden Sie Neues mit Vertrautem oder Neues
mit Neuem, damit etwas ganz Neues entsteht. Durch die richtige Kombination wird nicht addiert, sondern das Produkt ist das Ergebnis einer
Multiplikation;
• suchen Sie neue Märkte für bestehende Produkte (auf leeres Spielfeld
wechseln);
• suchen Sie Lösungen für bestehende oder neue Märkte, die es bis dato
noch nicht gab;
• befriedigen Sie Bedürfnisse, von denen der Kunden noch gar nicht
wusste, dass er sie hat. Liefern Sie Lösungen, von denen der Kunde
noch nicht gedacht hatte, dass es sie geben könnte;
• Ansätze sind auch bei bestehenden Produkten möglich:
 Eigenschaften ersetzen;
 übertreiben: Cola-Flatrate bei McDonald’s, lebenslange Garantie bei
112  Praxishandbuch Produktentwicklung





Lands’End (Kleidungsstücke können ohne Angaben von Gründen unbefristet zurückgegeben werden. Die Rückgabequote liegt bei circa 1 Prozent);
umdrehen: Hotelkunde zahlt am nächsten Tag den Betrag, der ihm die
Übernachtung wert war;
kombinieren: Handy + Walkman = iPhone;
eliminieren: Selbstbedienungsrestaurants;
reduzieren: Handy mit nur einer Taste;
neue Verfahren: Prepaid-Karten (zahlen, bevor telefoniert wird), laufender
Wechsel der Werbung bei Plakatwänden.
• Hinterfragen Sie die eigenen und die Branchen-Regeln kritisch:
 Wer hat die Regeln aufgestellt?
 Sind die Regeln immer gültig?
 Gelten diese Regeln auch in allen anderen Branchen? Wenn nicht, welche
Regeln gelten dort?
 Dienen die Regeln wirklich den Kunden?
 Haben Entscheidungen im Unternehmen dazu beigetragen, dass diese
Regeln immer wieder bestätigt wurden und nur deshalb als unumstößlich
gelten?
• Fragen für Prozessmusterwechsel:
 Was ist das Problem der Kunden?
 Wie wird das Problem in der eigenen Branche zum jetzigen Zeitpunkt
gelöst?
 In welcher Branche haben Kunden ein vergleichbares Problem?
 Wie hat diese Branche das Problem der Kunden gelöst? Aus welchen Gründen funktioniert es dort?
 Wie können Sie diese Problemlösung auf Ihr Angebot übertragen?
Für Best Practice und insbesondere für Prozessmusterwechsel müssen Sie
Ihre Kunden sehr gut kennen, sonst schießen Sie mit verbundenen Augen
ins Leere. Nur Differenzierung und Prozessmusterwechsel um ihrer selbst
willen bringen nichts.
Komplexität
Früher war das Problem die Beschaffung der Waren (was heute in einigen
Gebieten der Welt teilweise immer noch so ist). Heute haben die Anbieter
das Problem, dass sie mit ihrer Werbung und ihren Produkten nicht mehr
die Aufmerksamkeit ihrer Kunden erreichen. Die Kunden haben jetzt häuProzessmusterwechsel und Komplexität  113
fig die Möglichkeit, ihren Bedarf an Waren weltweit zu decken. Wir leben
heute in einer Zeit der »Zuvielisation«: ein Überangebot an Produkten,
über 3 000 Werbeinformationen pro Tag, Stress, Unsicherheit (zum Beispiel Arbeitsplatz, Rente) und so weiter. Menschen ertrinken in Alltagskomplexität und es wird für sie immer schwieriger, sich zurecht zu finden.
Es gibt immer mehr Reize, doch die Gehirnstrukturen haben sich in den
letzten 1 000 Jahren fast nicht verändert. Somit kann nur eine begrenzte
Menge an Reizen aufgenommen und verarbeitet werden. Da wundert es
keinen, dass im Lebensmittelhandel die Floprate für Neuprodukte bei
über 80 Prozent liegt. Produkte stürzen ab, bevor sie von den Verbrauchern überhaupt registriert wurden. Die exponentielle Zunahme von Produkten verwirrt den Kunden. Früher war das Problem, dass die Menschen
von allem zu wenig hatten. Heute ist das Problem, dass – zumindest in
Europa – die meisten zu viel haben. Das wird heute als Bedrohung empfunden. Was zudem erklärungsbedürftig ist, ist nur schwer zu verkaufen.
Einfache Dinge funktionieren schon besser. Am besten gehen die Produkte, die raffiniert einfach sind. Dabei zählt der Grad an Komplexität,
den der Kunde für sich empfindet. Was der eine zu kompliziert findet, ist
für den anderen einfach. Die Meinung des Verkäufers und Produktentwicklers sind unerheblich.
Damit Produkte besser beim Kunden ankommen, wird fälschlicherweise versucht, diese noch komplexer zu gestalten und mit Funktionen zu
überladen. Hier werden Arbeit und Leistung mit Wirkung verwechselt.
Es geht nicht darum, wie viel Arbeit ein Unternehmen in die Produktion
eines Produkts gesteckt hat beziehungsweise wie viel das Produkt leistet.
Es geht nur darum, was der Kunde – aus seiner Sicht – von dem Produkt
hat, also um die Wirkung. Die meisten Produkte sind reich an Funktionen,
aber arm an Nutzen. Die Wertigkeit eines Produkts hängt nicht von der
Leistung und Anzahl der Funktionen ab. Je höher jedoch die Komplexität
ist, desto schwerer ist das Produkt für den Kunden zu verstehen und desto
eher wird es abgelehnt. Der Umfang an Ausstattung und Funktionen löst
eher Ängste bei den Kunden aus als Befriedigung. Elektrogeräte werden
für Kunden deutlich attraktiver, wenn sie gleich nach dem Anschluss
funktionieren und kein vorheriges Studium eines Handbuchs mit mehreren hundert Seiten notwendig ist. Die Lücke zwischen technischem Funktionsumfang und Fähigkeiten (und auch Bereitschaft) der Kunden wird
immer größer. Wer von uns ist denn in der Lage, die Peripheriegeräte
(Router, Scanner et cetera) für den PC problemlos zum Laufen zu bringen?
Wer kennt noch alle Funktionen des eigenen Handys, des Fernsehgeräts
und DVD-Players? Haben Sie die Zeit, Gebrauchsanleitungen von über 100
114  Praxishandbuch Produktentwicklung
Seiten zu lesen? Die meisten Funktionen dieser Wunderwerke der Technik
bleiben den Kunden für immer verborgen. Nach einer Studie der Yankee
Group werden über 25 Prozent aller Geräte für den Heimbedarf zurückgegeben, weil der Kunde damit nicht klar kommt. Hier wurde eindeutig
am Markt vorbei produziert. Da geht Umsatz verloren. Und zwar erheblich. Was der Kunde nicht versteht, will er nicht bezahlen. Je einfacher ein
Produkt für den Kunden zu verstehen ist, desto attraktiver ist es für ihn.
Zukünftig werden diejenigen Unternehmen am erfolgreichsten sein, die
komplizierte Dinge und Zusammenhänge über einfache Produkte zu lösen
wissen und dieses auch einfach darstellen können. Die Anbieter, die diese
Lücke schließen, werden Erfolg haben. Es ist doch so einfach: Man gebe
einem Interessenten unter Beobachtung ein neues Gerät und prüfe dann,
wie lange er benötigt, um die einfachsten Funktionen ausführen zu können. Aus diesen Erkenntnissen würden ganz andere Produkte entstehen.
Die Erweiterung des Angebots und somit die Erhöhung der Komplexität wurde in den letzten Jahren durch folgende Faktoren begünstigt:
• Digitalisierung:
 Früher begrenzte die Ladenfläche das Angebot. Wurden neue Produkte ins
Sortiment aufgenommen, mussten andere ausgelistet werden. Heute stehen
Lager auf der grünen Wiese, auf denen der Quadratmeterpreis einen Bruchteil der 1a-Lagen beträgt. So können auch selten gekaufte Produkte rentabel
am Lager gehalten werden;
 Lieferkosten sind zum Beispiel bei Ebooks nahezu nicht existent. Der Postversand hingegen ist deutlich teurer;
 vieles, was früher physisch gelagert werden musste, wird heute platzsparend
digital archiviert – und zwar sowohl beim Anbieter als auch beim Kunden.
Das können berufliche Unterlagen sein, die nicht mehr weggeschmissen
werden, oder eine Musiksammlung, die jetzt digital archiviert werden kann,
ohne dafür auch nur ein einziges Regal zu benötigen. Lagerplatz bei Anbietern und Kunden reduziert sich in vielen Fällen nahezu gegen null.
• Globalisierung:
 Beim Einkauf geht der Kunde immer weniger in das Geschäft, sondern
wählt und bestellt über das Internet. Somit sind große Distanzen zwischen
dem Kunden und der Ware möglich.
• Günstige Herstellungskosten bei Produktvarianten und kleiner Stückzahl:
 Amazon bietet Verlagen an, vergriffene Bücher erst nach vorliegender
Bestellung herzustellen, Dell produziert die Computer erst nach Eingang
der Bestellung.
Prozessmusterwechsel und Komplexität  115
• Durch die zunehmende Vernetzungsdichte, zum Beispiel mit Handys
und dem Internet, explodieren die Komplexität und die Umfelddynamik – und zwar so schnell, dass die Kunden nicht mitkommen.
Beispiele der Komplexitätserhöhung:
• Unsere Vorfahren haben sich von dem ernährt, was sie gesammelt und
gejagt haben. Heute steht jeder von uns beim Einkauf vor einer so großen Auswahl an Lebensmitteln, dass er leicht den Überblick verliert. In
den USA gibt es über 30 000 Artikel im Supermarkt: 1 300 Shampoo-,
200 Getreideflocken- und 250 Softdrink-Sorten. In Deutschland findet
man im Supermarkt durchschnittlich über 10 000 Artikel: 30 Sorten
Mineralwasser, 50 Sorten Marmelade und 50 verschiedenen Schokoriegel. Und das, obwohl eine Familie ihren Tagesbedarf mit circa 150
Artikeln abdeckt. Da scheinen die Anbieter die Bedürfnisse der Kunden nicht zu kennen. Viele Studien ergeben, dass im Einzelhandel der
Umsatz nicht sinkt sondern steigt, wenn in einer Warengruppe die Artikelanzahl bis zu 50 Prozent herabgesetzt wird und die verbleibenden
Artikel in größerer Stückzahl ausgestellt werden. Sicher, einige Kunden
werden ihre Produkte nicht mehr finden. Das wird jedoch durch die
Mehrkäufe überkompensiert;
• bei einem Neuwagen kann der Kunde heute zwischen 100 000 Ausstattungsvarianten wählen. Ergebnis: Die Produktion wird unübersichtlicher und es gibt immer mehr Rückrufaktionen wegen der hohen
Fehlerrate;
• Shop-in-the-Shop-System in Kaufhäusern: Zum Beispiel im KaDeWe in
Berlin sind Damenhosen auf über zehn Abteilungen verteilt;
• es gibt über 100 Fernsehprogramme. Vor 30 Jahren waren es maximal
fünf: ARD, ZDF, Das Dritte und gegebenenfalls noch zwei Programme
aus der DDR. Die »Aktuelle Schaubude« auf N3 hatte teilweise über 30
Prozent Marktanteil. Da kommt heute keiner mehr heran;
• früher gab es bei Sportschuhen je Marke nur wenige Modelle. Heute
gibt es pro Marke je Sportart viele verschiedene Modelle (Jogging auf
der Straße, auf Waldwegen; Schuhe für Spreizfüße und so weiter);
• das Handy ist gleichzeitig Spielkonsole, Filmkamera, Fotoapparat, mp3Player, GPS, Fernseher – und natürlich Telefon. Es gleicht einem Wettrüsten der Hersteller. Nur bedienen können es die meisten nicht mehr.
Eine reine Funktionitis. Oft beherrschen die Kunden ihr Handy erst zu
dem Zeitpunkt richtig, wenn es veraltet ist und sie sich ein neues kaufen. Natürlich ist dieses mit noch mehr Funktionen ausgestattet. Nur:
Ein Handy bleibt ein Handy. Und es wird nie so gute Bilder machen wie
116  Praxishandbuch Produktentwicklung
•
•
•
•
•
•
•
•
ein Fotoapparat, nie so gute Bässe haben wie ein mp3-Player und nie
die scharfen Bilder eines Fernsehers liefern. Ein Handy ist somit diesen
Geräten unterlegen, wodurch diese Zusatzfunktionen auch nur bedingt
nutzbar sind;
Autoradio, DVD-Player mit vielen fast nie gebrauchten Zusatzfunktionen: Da die Tastatur für die vielen Funktionen nicht ausreicht, werden Knöpfe mit mehreren Funktionen belegt. Da reicht nicht mehr ein
Knopfdruck. Eine bestimmte Tastenkombination ist notwendig, um
eine Funktion zu erreichen. Noch schlimmer: Häufig müssen mehrere
Knöpfe gleichzeitig gedrückt werden. Da gilt nicht »plug and play«,
sondern »plug and pray«: installieren und beten, dass es funktioniert;
Preismodelle scheitern häufig an der Unverständlichkeit bei den Kunden. So war zum Beispiel das neue Preisgefüge bei der Bahn ein Fiasko
(nicht einmal die Bahnangestellten blickten durch), die variablen Preisstrukturen der Fluggesellschaften und Hotels (Preise ändern sich teilweise stündlich) führen eher zu Unmut als zu Kundenbindung;
über 2 000 Möglichkeiten der Handy-Tarife in Verbindung mit Geräten. Immer mit versteckten Zusatzkosten;
Staubsaugerbeutel: über 100 verschiedene Marken und Varianten.
(www.staubbeutel.de, www.staubsaugerbeutel.de, www.staubsaugerbeutel-depot.de);
über 100 000 Buchneuerscheinungen pro Jahr allein in Deutschland;
Computerspiele sind oft so kompliziert, dass man jede Minute seiner
Freizeit dafür opfern muss, um sie zu beherrschen. Wer ein Spiel kauft,
will jedoch kein Studium der Anleitung absolvieren müssen, sondern
spielen. Vielleicht sind schon deshalb die »Atari-Spiele« und andere Altversionen am Computer heute so beliebt;
die Anzahl der Publikumszeitschriften hat sich in den letzten 25 Jahren
mehr als verdreifacht, verkaufte Exemplare in dieser Zeit sind noch
nicht einmal um 50 Prozent gestiegen. Somit sind die durchschnittlichen Auflagen je Titel mehr als halbiert;
der Umfang bestimmt die Bedeutung – oder doch nicht?
 Die Zehn Gebote kommen mit ca. 80 Wörtern (je nach Konfession) aus.
Hier ist alles enthalten, was eine christliche Lebensführung ausmacht;
 die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung benötigt 1 500 Wörter. Sie ist
die Grundlage der amerikanischen Demokratie;
 die Verordnung Nr. 78/890/EWG der Kommission über die Einzelheiten der
Zertifizierung von Hopfen hat circa 5 000 Wörter. Gemessen an der Länge
wäre diese Verordnung dreimal wichtiger als die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung und 60-mal wichtiger als die Zehn Gebote.
Prozessmusterwechsel und Komplexität  117
• durch Verschmelzung von Arbeit und Privatleben steigt die Komplexität.
So findet beispielsweise Weiterbildung für den Job oft in der Freizeit statt.
Wenn Sie jetzt meinen, das sei vorerst genug Komplexität, dann warten Sie
bitte ab, was in den nächsten Jahren passieren wird. Wir stehen erst am
Anfang der Spirale.
Der Wunsch nach Komplexitätsreduktion
Das menschliche Gehirn macht circa 2 Prozent des Körpergewichts aus,
verbraucht jedoch 20 Prozent der Energie im menschlichen System. Je
höher der Anteil an bewusstem Denken ist, desto mehr Energie wird im
Gehirn benötigt. Seit der menschlichen Urzeit versucht unser System Energie zu sparen, also nur so viele Informationen ins Bewusstsein gelangen
zu lassen wie unbedingt nötig. Somit greift der Mensch bevorzugt auf
Gewohnheiten zurück, denn wiederkehrende Ereignisse gelangen nicht
mehr ins Bewusstsein. Je komplexer die Welt ist, desto mehr besteht der
Wunsch nach Einfachheit, Stabilität, Planbarkeit und Orientierung. Dieses wird unter anderem im Convenience-Trend sichtbar. Die vom Kunden
gewünschten Lösungen sind meist einfacher, als die Hersteller glauben.
Die Kunden wollen Komplexitätsreduktion. Die Anbieter werden in den
nächsten Jahren von ihren Kunden dafür vergoldet werden, wenn diese
für sie die Komplexität reduzieren. Genau dazu passte zum Beispiel der
Werbespot der HypoVereinsbank: »Ich will ja nicht die Welt anhalten.
Aber kann sie sich nicht ab und zu mal um mich drehen? Nur so lange, bis
ich hier in meinem Eck ein paar Sachen in den Griff gekriegt habe.« Das
dazugehörige Lösungsversprechen lautete: »Leben Sie, wir kümmern uns
um die Details«. Und ein ehemaliger Werbespot von E-Plus formulierte:
»Die Umstände sollten sich unserem Leben anpassen«.
Gerade die Google-Generation (Geburtsjahr 1985 oder jünger) ist
äußerst ungeduldig und verlangt nach Einfachheit. Diese Eigenschaft
übernehmen auch die älteren Generationen. Alles muss
•
•
•
•
•
•
•
schnell zu finden sein;
schnell begreifbar sein (zum Beispiel Preisstruktur);
schnell auswählbar sein (zum Beispiel Empfehlungen bei Amazon);
leicht bedienbar sein;
schnell zu bekommen sein;
einfach bestellbar sein;
schnell komplett die Bedürfnisse befriedigen.
118  Praxishandbuch Produktentwicklung
Vor dem Kauf tendieren die Kunden jedoch teilweise noch zu den Produkten mit möglichst vielen Funktionen, sofern sie das Produkt noch
nicht kennen. Da gilt noch: mehr ist besser, auch wenn es zu Lasten der
Bedienerfreundlichkeit geht. Ist das Produkt jedoch erst einmal bezahlt
und liegt in den eigenen Händen, so wird die Bedienerfreundlichkeit bei
komplexen Geräten verflucht. Die Kunden sind einfach überfordert und
haben weder Zeit noch Lust, sich so intensiv damit zu beschäftigen. Das
heißt je mehr Knöpfe vorhanden sind, desto attraktiver ist das Produkt
vor dem Kauf, jedoch desto geringer ist die Kundenzufriedenheit bei der
Nutzung. Sie haben mit einem überfrachteten Produkt zwar Erstkäufer,
aber viele Kunden werden das Produkt innerhalb der Ansichtsfrist zurückgeben oder beim nächsten Kauf ein anderes Gerät wählen. Und sie werden
sich im Bekanntenkreis Luft machen und allen davon abraten, das Produkt zu kaufen. Somit steht hier der kurzfristige Abschluss gegen einen
mittel- und langfristigen Unternehmensgewinn. Wer auch morgen noch
Gewinne machen will, sollte in erster Linie die Bedienerfreundlichkeit in
den Fokus seiner Produktentwicklung stellen.
Wie Menschen reagieren
Steht Kunden nur eine Sorte einer Produktkategorie zur Verfügung,
wünschen sie sich mehr Auswahl. Bei zwei wählbaren Sorten ist dieser
Wunsch immer noch vorhanden. Er besteht bis zu circa vier Sorten.
Bei noch größerer Auswahl bewirkt die zunehmende Komplexität und
Kompliziertheit eine Unsicherheit bis hin zu Angst bei den potenziellen
Kunden. Je mehr Produkte und Produktvarianten der Kunde zur Auswahl
hat, desto mehr ist er verunsichert und desto länger dauert die Entscheidung, desto schwieriger ist sie und desto weniger wird ausgewählt. Der
Kunde überlegt, und überlegt und überlegt … und kauft dann doch nicht.
Weniger ist mehr, denn jede Entscheidung des Kunden für ein Produkt ist
gleichzeitig eine Entscheidung gegen ein anderes. Ist diese Menge groß,
meidet der Kunde jegliche Entscheidung, da er immer Angst hat, sich für
das falsche Produkt und gegen die richtigen entschieden zu haben. Diese
Kunden bedauern häufiger ihre Wahl und sind unzufrieden. Ein Test im
Supermarkt zur Größe der Auswahl im Verhältnis zum Kaufverhalten
verdeutlichte dies: In zwei Parallelversuchen wurden 24 beziehungsweise
6 Sorten Marmelade zum Probieren angeboten. Bei 24 Sorten zur Auswahl sahen sich zwar 60 Prozent der Kunden das Angebot an, jedoch
kauften nur 3 Prozent ein Glas. Bei 6 Sorten zur Auswahl blieben nur
Prozessmusterwechsel und Komplexität  119
40 Prozent der Kunden stehen, aber 30 Prozent kauften ein Glas. Manche
Supermarktketten haben ihre Umsätze im zweistelligen Bereich gesteigert,
als sie die Angebotsvielfalt halbiert haben. Ein vergleichbares Ergebnis
brachte ein Versuch an der Stanford Universität: Studenten wurden in
einem Kurs über Sozialpsychologie entweder 6 oder 30 Themen für einen
freiwilligen Aufsatz angeboten. Bei der geringeren Themenauswahl entschieden sich mehr Studenten zu dem Aufsatz, außerdem erzielte diese
Gruppe bessere Ergebnisse.
Auf das Überangebot an Produkten und Varianten, der Vielfalt an
Werbung sowie Preismodellen sind folgende Kundenreaktionen zu beobachten:
• Der Kunde vermutet, dass morgen ein besseres Produkt zum günstigeren Preis angeboten wird. Und somit kauft er zur Sicherheit heute nicht.
Morgen wartet er dann lieber auf übermorgen und so weiter. Diese
Kaufverweigerung aufgrund von Unsicherheit ist in vielen Branchen zu
beobachten;
• der Kunde sucht sich aus allen Produktinformationen die heraus, die
er objektiv einschätzen kann: den Preis. Somit wird der Preis in dem
Angebotschaos als Entscheidungsgrundlage herangezogen;
• die Kunden greifen zu den ihnen bekannten Produkten oder zu bekannten Marken, da sie Markennamen mit Qualität verbinden. Alles, was
einfach bewertet werden kann und bekannt ist, entlastet das Gehirn;
• Bekannte, die Erfahrung mit den Produkten haben, werden gefragt, um
die Floprate beim Kauf zu verringern. Positive Mund-zu-Mund-Propaganda wird dadurch immer wichtiger;
• viele Geräte stehen heute bei den Kunden ungenutzt herum, da die
Bedienung zu umständlich ist oder nie verstanden wurde. Diese Nichtnutzung bewirkt, dass die Kunden nicht wieder bei dem Anbieter kaufen und in ihrem Umfeld negativ über das Produkt sprechen;
• selektiv wird nur das wahrgenommen, was eine große Gefahr bedeutet
beziehungsweise einen großen Nutzen bringt und aus der breiten Masse
herausragt. Somit muss der Nutzen Ihrer Produkte herausragend sein.
Wie Unternehmen reagieren
Je mehr Produkte der Hersteller im Angebot hat, desto weniger kann er in
jedes einzelne investieren, um dieses für den Kunden optimal zu gestalten,
desto weniger kann der Kundenwunsch exakt getroffen werden, desto
120  Praxishandbuch Produktentwicklung
aufwendiger wird die Produktion, die Werbung, der Verkauf et cetera.
Und der Gewinn sinkt erheblich. Seit Jahren steuern Discounter und
Luxusanbieter mit einem reduzierten Sortiment erfolgreich dagegen an.
Statt Geräte mit immer mehr Funktionen auszustatten, fand in den
letzten Jahren ein Paradigmenwechsel hin zur Vereinfachung statt. Simplify in allen Lebenslagen. Einige Unternehmen merken bereits, dass ihre
Produkte zu kompliziert sind und wagen einen neutralen Test. Das von
Tim Bosenick gegründet und geführte Hamburger Unternehmen Sirvaluse
untersucht im Auftrag von Produzenten die Benutzerfreundlichkeit von
Produkten – meist vor der Markteinführung. Die Auftraggeber haben
erkannt, dass die eigenen Mitarbeiter so verliebt in die technischen Raffinessen sind und eigene Tests nur durch die rosarote Brille »kritisch«
betrachtet werden. Wer ein Produkt selbst entwickelt hat, hat alle Schritte
der Entstehung miterlebt und beschäftigt sich den ganzen Tag damit – und
hält die Nutzung für einfach. Da hilft nur der gnadenlose externe Test.
Besser als der Test durch einen Berater ist es, die Kunden bei der Nutzung
zu beobachten und nach der Nutzbarkeit zu fragen.
Beispiele der Komplexitätsreduktion:
• In den USA und auch schon in Deutschland haben Geschäfte die Komplexität des Preises herabgesetzt: »Alles für 1 Dollar«, heißt es in den
Dollarstores mit einfacher Preisstruktur und glatten Preisen. Bei Dollar General (www.dollargeneral.com) gibt es nur wenige verschiedene
Preise. Bei Jack’s World kann man das meiste für 99 Cent kaufen;
• erste Autohändler haben Festpreise – Feilschen muss nicht mehr sein;
• Toys’R’us: Wenige Produkte, jedoch jeweils in großer Stückzahl;
• einige Optiker bieten Brillen innerhalb von einer Stunde an (Fertigung
direkt im Laden), normal sind zwei Wochen;
• McDonald’s hat bis auf Sonderaktionen seit Jahrzehnten die gleiche
begrenzte Auswahl an Speisen im Programm. Und das fast weltweit;
• Strumpf-Abo von Blacksocks (www.blacksocks.com). Grundsätzlich
sind Strümpfe Nebenprodukte mit geringen Margen, da Kunden keine
Bereitschaft haben, dafür viel Geld auszugeben. Die Kunden haben in
ihren Schränken eine Auswahl an Strümpfen mit unterschiedlichen
Farben, Mustern und Längen. Wechselnde Modelle bei den Anbietern erschweren zusätzlich die Zuordnung nach jeder Wäsche. Ist ein
Strumpf kaputt, wird auch gleich der dazu passende entsorgt, da die
Paare nur jeweils einmal vorhanden sind. Je nach Bestand im Schrank
werden in unregelmäßigen Abständen neue Paare erworben. Dieses
alles wird durch Blacksocks vereinfacht. Angeboten wird nur ein kleiProzessmusterwechsel und Komplexität  121
•
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nes Sortiment: Wadensocken, Kniestrümpfe, Cashmere-Seiden-Socken,
Sneaker-Socken, Füßlinge, Skistrümpfe und, jetzt neu, das Modell
»Business light«. Seit Jahren gibt es immer die gleichen Modelle. Die
Lieferung erfolgt automatisch nach Kundenwunsch zwei-, drei-, vieroder sechsmal pro Jahr. Somit ist für den Kunden kein eigener Einkauf
mehr notwendig und er hat immer genügend Strümpfe im Schrank. Die
Sortierung ist einfach und die Paare können kombiniert werden, wenn
einzelne Strümpfe kaputt sind;
mit einem iPod von Apple können Sie »nur« Musik hören. Ist er vielleicht gerade deshalb das erfolgreichste Abspielgerät für Musik? Apple
setzt auf Einfachheit, Reduktion auf die Hauptfunktionen. Die Hülle
mit den wenigen Knöpfen könnte auch aus der Zeit des ersten Walkmans stammen. Doch diese Funktionen reichen völlig aus. Ob die neu
hinzugekommenen Funktionen zum Beispiel beim iPod Nano (unter
anderem Radio) ein Erfolg werden, bleibt abzuwarten;
vergleichen Sie doch bitte die Seiten www.google.com und www.yahoo.
com. Welche Seite ist übersichtlich und welche ist überladen? Ist das der
Grund für den Siegeszug von Google? Sicherlich einer der Gründe;
ein US-Online-Händler (www.woot.com) hat pro Tag immer nur ein
Produkt im Angebot und das zum Sonderpreis;
bei dem Camcorder Flip (www.theflip.com) wurde alles auf das Wesentliche reduziert. Das Produkt wurde ein Verkaufsschlager in den USA.
Das Gerät wird nicht nur gekauft, sondern im Gegensatz zu den viel zu
komplizierten anderen Geräten, die eingestaubt in der Ecke liegen, auch
genutzt;
Aldi hat nur 500 Produkte im Sortiment. Nicht die Anzahl der angebotenen Artikel entscheidet über den Erfolg, sondern die Anzahl der
Käufe. Aldi hat eine Sorte Haarshampoo in drei Varianten (für normales Haar, fettiges Haar, trockenes Haar), andere Supermärkte über 20
Marken in jeweils vielen Varianten;
das iPhone stellt eine einfache Bedienung mit nur einer Taste sicher.
Auf der anderen Seite haben Kunden die Möglichkeit, ihr iPhone mit
herunterladbaren Programmen zu individualisieren. Somit wird auch
diesem Trend entsprochen;
Flatrate bei Telefon- und Internet-Anbietern, Downloads für Filme und
Musik: Festpreis zahlen und ohne nachträgliche Überraschungen das
Produkt unbegrenzt nutzen. Kunden lieben Flatrates;
teure Geräte werden im b-to-b-Bereich als Leasing angeboten – inklusive aller anfallenden Reparaturen und Wartungen. Die Kosten sind
einfach zu überschauen und auch über eine lange Zeit kalkulierbar;
122  Praxishandbuch Produktentwicklung
• um die eigenen Produkte einfacher zu gestalten, hat Philipps ein Simplicity Adisory Board gegründet. Hierzu gehören vier externe Personen:
ein Architekt, ein Designer, ein Radiologe und eine Modeschöpferin.
Alle vier hatten vorher keinen Kontakt mit der Elektroindustrie. Somit
waren sie noch »unverdorben« und stellen sich als Kunden die Frage:
Geht das Produkt auch einfacher? Die besten Ideen und Anregungen
zur Vereinfachung kommen von Amateuren, nicht von TechnologieExperten.
Der Weg zur Komplexitätsreduktion:
• Der größere Hebel in der Kundenakzeptanz liegt im Weglassen. Es ist
nicht interessant, welche Funktionen noch hinzugefügt werden, sondern welche Funktionen weggelassen werden können, um die Nutzung
für den Kunden so einfach wie möglich zu machen. Besser sind weniger
Funktionen, die so gut ausgereift sind, dass die Produkte ihren Zweck
herausragend erfüllen. So kann mit Klarheit und Eliminierung ein Kundenbedürfnis zu 100 Prozent befriedigt werden;
• Vereinfachung: Setzen Sie Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten dazu ein,
es anderen Menschen mit Ihren Produkten so einfach wie möglich zu
machen. Bewirken Sie mit Ihrem Angebot eine Komplexitätsreduktion
bei Ihren Kunden. Das Prinzip heißt KISS: keep it simple (and) stupid;
• führen Sie regelmäßige Produktentwicklungsmeetings durch mit der
Fragestellung: »Auf welche Funktionen können unsere Produkte verzichten?«. Trennen Sie sich von dem Unwichtigen und sofort rückt das
für den Kunden wirklich Wichtige in den Fokus;
• bieten Sie von einem Produkt nur eine, maximal drei Varianten an,
mehr nicht. Diese Varianten sollten sich sowohl von der Bedürfniserfüllung als auch vom Preis deutlich unterscheiden;
• machen Sie es Ihren Kunden einfach, Ihre Waren zu kaufen: Bieten Sie
sie an, wann und wo immer Ihre Kunden es wollen, und nicht dort, wo
es für Sie am kostengünstigsten und bequemsten ist. Erleichtern Sie den
Kauf. Gehen Sie zum Kunden, um es Ihren Kunden leichter zu machen.
Reduzieren Sie die Komplexität über einen einfachen Bestellvorgang
und einfache Reklamation. Machen Sie Ihren Kunden alle Stufen so
einfach wie möglich. »Schenken« Sie Ihren Kunden Zeit, indem alle
Abläufe schnell gehen – und zwar insbesondere bei den alltäglichen
Dingen wie Standardlebensmittel, Reinigung et cetera. Ermöglichen Sie
so Ihren Kunden mehr Freizeit;
• vereinfachen Sie ebenfalls die Installation, Bedienungsanleitung, Nutzung bis hin zur Entsorgung. Wenn ein Produkt von den Kunden mehr
Prozessmusterwechsel und Komplexität  123
Fähigkeiten und Kenntnisse verlangt als diese haben, ist das ein Problem der Hersteller, nicht der Kunden. Alle Bedienerfehler sind Fehler
des Produkts;
• testen Sie die Bedienbarkeit und die Verständlichkeit Ihrer Gebrauchsanweisung selbst oder bitten Sie einen Freund darum. Seien Sie Ihr
eigener Kunde. Sie werden erstaunt sein, was Ihnen und Ihren Freunden
alles auffällt und was Sie stört. Machen Sie Ihre Produkte so einfach
wie möglich – mit allen Funktionen, die die Kunden wünschen, aber
keiner einzigen mehr;
• setzen Sie auf ein klares und nachvollziehbares Preismodell.
Best Practice, Prozessmusterwechsel und
Reduktion der Komplexität entlang der gesamten
Wertschöpfungskette
Ein Produkt ist nicht nur der physische Teil oder die reine Dienstleistung,
sondern alle Kontakte des Kunden mit Ihrem Unternehmen und Ihrem
Produkt gehören dazu. Es ist die gesamte Kette zu berücksichtigen: von
der Werbung über die Nutzung bis hin zur Entsorgung.
Die Wertekette ist so zu gestalten, dass an allen Kontaktpunkten ein
Wert für Ihre Kunden besteht und diese bereit wären, für jeden Kontaktpunkt zu zahlen. Jeder dieser Punkte ist für die Kunden ein Moment der
Wahrheit, an dem sie die Leistung Ihres Unternehmens bewerten.
Bewerten lieber Sie vorab alle Ihre (Haupt-)Produkte und alle Schritte
Ihrer Prozesskette. Liefern Sie maximalen Nutzen entlang der ganzen
Erfahrungskette oder zumindest an den Punkten, die für Ihre Kunden
wichtig und kaufentscheidend sind. Der Kauf ist das Ziel des Verkäufers,
jedoch für den Kunden nur ein Schritt der Erfahrungskette. Um positive
Mundpropaganda und weitere Verkäufe zu erreichen, müssen Sie den
Kunden an so vielen Stellen und Augenblicken wie möglich begeistern und
positiv überraschen. Er muss nach jedem Kontakt mit Ihnen oder Ihren
Produkten ein besseres Gefühl haben als vorher.
Nachfolgend sind die wichtigsten Kontaktpunkte aufgeführt:
• Werbung
 Nervt diese nur oder erhält der Kunde zusätzlich Informationen, die ihn
interessieren?
• Beratung
124  Praxishandbuch Produktentwicklung
 Wie kann sich der Kunde zusätzliche Informationen über die Produkte einholen (Zeitrahmen, Qualität der Beratung)?
• Angebotspräsentation
 Einzelhandel, Internet, Messen/Veranstaltungen, privat (zum Beispiel Tupper-Party);
 wie ist der Weg zum Geschäft (ist das Geschäft leicht zu finden, Parkmöglichkeiten et cetera)?;
 wie werden das Unternehmen und die Produkte präsentiert? Ist das
Geschäft eine Erlebniswelt? »Q110 – Die Deutsche Bank der Zukunft«
(www.q110.de) hat in Berlin eine Filiale, in der ein Coffeeshop sowie Kinderbetreuung im modernen Design integriert sind; sie gleicht einer Erlebnislandschaft. Luxusmarken zeigen schon durch die Verkaufsräume, in
denen sie angeboten werden, ihren Wert und die Exklusivität (siehe zum
Beispiel Prada in New York am Broadway (www.galinsky.com/buildings/
prada/index.htm) oder Armani (www.armani5thavenue.com)). Ähnlich
ist es bei Restaurants: Hier ist das Ambiente oft genauso wichtig wie das
Essen. Das Ambiente überträgt der Kunde auf die Qualität der Produkte;
 die Präsentation muss zum Produkt passen. Luxusprodukte können nicht
bei Aldi im Regal stehen, sondern sind in wenigen exklusiven Geschäften
hochwertig zu präsentieren. Zu überlegen ist, in wie vielen Geschäften/
Portalen das jeweilige Produkt angeboten werden soll. Mehr Vertriebsorte bedeuten nicht zwangsläufig mehr Umsatz und schon gar nicht mehr
Gewinn. Je mehr Wiederverkäufer es gibt, umso größer ist die Konkurrenz
zwischen ihnen. Je häufiger das Produkt angeboten wird, desto eher kommt
es zu einem Preiskampf und desto weniger exklusiv erscheint das Produkt;
 Öffnungszeiten;
 Ort: Das Produkt muss dort erhältlich sein, wo es der Kunde braucht.
• Bestellwege
 Heute erwarten Kunden, dass sie über alle Wege bestellen können: per Brief,
per Fax, per Mail, über die Homepage, telefonisch oder persönlich.
• Auswahl
 Der Kunde erwartet häufig eine auf seine Bedürfnisse abgestimmte Vorauswahl durch den Anbieter zur Komplexitätsreduktion. So werden zum
Beispiel bei Amazon Bücher aufgelistet, die zu den bereits angesehenen oder
bestellten passen.
• Kauf/Bestellung
 Wie sieht das Angebot aus? Insbesondere wenn einem Entscheider ein
schriftliches Angebot zur Unterschrift vorgelegt werden soll, ist das »Nein«
bei Unverständnis vorprogrammiert. Hier sollten zusätzliche Werbeargumente für den Entscheider ins Angebot aufgenommen werden;
Prozessmusterwechsel und Komplexität  125
 Kunden sollen sich nach der Bestellung besser fühlen als vorher und auf
keinen Fall an ihrer Kaufentscheidung zweifeln.
• Auftragsbestätigung
 Muss verständlich formuliert und kein für den Kunden unverständlicher
Nummernsalat sein.
• Probenutzung
 Um Misstrauen zu reduzieren, sind Proben hilfreich. Der Kauf ist noch nicht
vollzogen, der Kunde kann testen;
 wenn der Kunde erst einmal das Produkt getestet hat und zufrieden ist,
will er es meist auch behalten. Beispielsweise verkaufen Tierhandlungen so
teilweise ihre Tiere. Interessenten sollen das Tier über das Wochenende zur
Probe mit nach Hause nehmen. Hat die Familie erst einmal das Tierbaby ins
Herz geschlossen, wird es für kein Geld der Welt zurückgegeben.
• Rückgaberecht
 Insbesondere wenn das Vertrauen der Kunden zum Produkt oder zum Hersteller noch fehlt, sollte eine Rückgabe ermöglicht werden. Es gibt den Kunden Sicherheit und nimmt die Angst vor Fehleinkäufen. Bei Amazon haben
Kunden zum Beispiel über »Blick ins Buch« die Möglichkeit, das Inhaltsverzeichnis sowie einige Seiten zu lesen. Ein Rückgaberecht ermuntert den
Kunden zur Bestellung – aber nur, wenn er das Produkt ohne Angabe von
Gründen zurückgeben kann. Dieses Gefühl der Sicherheit wird noch verstärkt, wenn der Kunde erst bezahlen muss, nachdem er entschieden hat,
das Produkt zu behalten. Das menschliche Gehirn sucht nach Gefahren.
Diese sind für den Kunden zu reduzieren;
 Varianten der Rückgabemöglichkeit: mit oder ohne Begründung, Geld
zurück, Gutschein, mit oder ohne zeitliche Befristung, und so weiter. Geldzurück-Garantie bieten heute viele an. Das ist kein Verkaufsargument mehr,
zumal der Kunde neben einer erfolglosen Nutzung auch noch die Rücksendung übernehmen muss. Diese Verfahren haben für den Hersteller kein
Risiko und er hofft, dass auch bei einem nicht so guten Produkt der eine
oder andere Kunde zahlt. Wenn der Hersteller von dem Nutzen seines Produkts überzeugt ist, sollte er folgende Garantie anbieten: »Kompletter Kaufpreis zurück + X Prozent vom Kaufpreis als Aufwandsentschädigung« (mindestens 10 Prozent). Wenn das Produkt hält, was der Hersteller verspricht,
werden nur ganz wenige Kunden von dieser Regelung Gebrauch machen
beziehungsweise diese missbrauchen. Die Prämien der Mitarbeiter in der
Werbung und im Vertrieb sollten an die Rücksendequote gekoppelt sein.
Dann wird nur das versprochen, was auch gehalten werden kann. Wenn das
Produkt wirklich den versprochenen Nutzen liefert, wird fast nichts zurückgegeben. Wird das Werbeversprechen nicht eingehalten, ist die Rückgabe
126  Praxishandbuch Produktentwicklung
noch das kleinste Übel. Außerdem betreibt der Besteller negative Mund-zuMund-Propaganda und wird bei einem weiteren Kauf weitaus vorsichtiger
agieren. Eine lebenslange Geld-zurück-Garantie bietet zum Beispiel der
Bekleidungsversender Lands’End (www.landsend.de).
• Rechnung
 Geld auszugeben bereitet den Menschen Schmerz und ein negatives Gefühl.
Um dieses zu kompensieren, müssen positive Gefühle geweckt werden, die
überwiegen (zum Beispiel überraschende Zusatzleistung). Zugaben müssen
jedoch zum Produkt passen. Das Produkt muss auch ohne Zugaben marktfähig sein. Gratisfilme beim Kauf einer Analogkamera haben nicht den
Durchbruch der Digitalkameras verhindert;
 belohnen Sie die Menschen beim Kauf, denn der Kunde wird dann in seinem Verhalten bestärkt und wird es wieder anwenden. Momente des Glücks
machen Menschen süchtig.
• Bezahlung
 Es gibt mehrere Möglichkeiten bei den Zahlungsbedingungen: Einmalzahlung, Ratenzahlung, Leasing/Miete;
 auch der Zeitpunkt der Bezahlung ist wählbar: Vorabkasse, bei Lieferung,
X Tage nach der Lieferung;
 Bezahlungswege: Kreditkarte, Abbuchung, Überweisung, per Nachnahme,
Rechnung, Internet (zum Beispiel Paypal). Es bestehen immer noch Bedenken, im Netz die Daten der Kreditkarte zu hinterlassen. Das Misstrauen
wird dadurch bestärkt, dass manche Anbieter gar keine Bestellungen mehr
per Rechnung oder Nachnahme annehmen. Der Online-Preis kann dann
noch so günstig sein: Es wird das Produkt gewählt, das erst nach Erhalt
der Ware bezahlt werden muss;
 Überraschungen bei der Bezahlung (zum Beispiel eine kleine Aufmerksamkeit).
• Wartezeit
 Schnelligkeit der Lieferung;
 gegebenenfalls künstliche Wartezeiten, um den Wert der Ware (zum Beispiel
bei Luxusartikeln) zu erhöhen.
• Produkt






Funktion;
Struktur;
Ansprache;
Produktart;
Emotion;
Design.
• Zusatzleistungen
Prozessmusterwechsel und Komplexität  127
 zum Beispiel Informationen: Als Käufer von Iglo-Rahmspinat können Sie im
Internet durch Eingabe eines Codes auf der Verpackung die Herkunft des
Spinats zurückverfolgen, und zwar bis zum Bauern. Das ist Transparenz pur.
• Preis
 Anwendersoftware für Privatkunden gibt es immer noch zum Einmalkauf
(Microsoft). Zukünftig liegt das Produkt auf dem Anbieterserver (andere
Form der Warenlieferung) und der Kunde zahlt die Nutzungsdauer;
 Preisvarianten: Kombipreis/Paketpreis, Subskriptionspreis/Einstiegspreis;
 Preismodelle:
– Honorierung bei Erfolg und nicht nach Zeit oder Festhonorar (zum Beispiel bei Beratern);
– Butter muss nicht nach Gewicht, eine Kinokarte nicht pro Besuch, und
Benzin nicht pro Liter abgerechnet werden. Alle Formen der Tauschgeschäfte sind anzudenken (Steuerrecht beachten);
– im Handy-Segment ist es üblich, dass die Geräte für 1 Euro mit Festvertrag (Grundgebühr und Flatrate) angeboten werden. Das Handy mit
Grundgebühr und Abrechnung der einzelnen Telefonate ist schon teurer.
Am teuersten sind die Geräte, wenn ohne Vertrag nur eine Prepaid-Card
genutzt wird;
– Autoversicherungen sind abhängig von der Anzahl der Fahrer, der gefahrenen Kilometer und so weiter;
– Hotel mit Aktionswochen: Der Gast bezahlt bei der Abreise den Preis,
den ihm der Besuch wert war. Fast alle Gäste zahlten einen angemessenen Preis. Die Werbewirkung war jedoch gigantisch und die Zimmerauslastung höher als sonst;
– alle Produkte zum gleichen Preis;
– warum soll immer der Nutzer/Käufer zahlen? Produkte können auch verschenkt beziehungsweise zu einem symbolisch niedrigen Preis verkauft
und von anderer Seite gesponsert werden. So werden zum Beispiel viele
Branchenzeitschriften, regionale Wochenblätter und U-Bahn-Zeitschriften (zum Beispiel in London) über Anzeigen finanziert, Mietwagen mit
Außenwerbung;
– Kopierer im Büro: gezahlt wird pro Kopie, Gerät ohne Leasinggebühr;
– Drucker: Das Gerät ist sehr günstig, dafür sind die Patronen sehr teuer
(übliche Variante). Oder genau umgekehrt für Intensivnutzer: Der Drucker ist etwas teurer, dafür die Tinte weitaus günstiger;
– Flatrate beim Friseur oder im Restaurant: Nutzung pro Monat so oft der
Kunde will;
– Nutzung durch mehrere Kunden (zum Beispiel größere Gartengeräte, die
selten gebraucht werden).
128  Praxishandbuch Produktentwicklung
• Lieferung/Übergabe
 Lieferart: Lieferung nach Hause oder zur Arbeit;
 Lieferzeitpunkt: Kann dieser vom Kunden bestimmt werden oder heißt es
wie bei Möbelgeschäften: »Wir kommen am XX.YY.ZZZZ. Die Uhrzeit
hängt von unserer Tour ab«?;
 neue Vertriebswege für altbekannte Produkte: Nachhilfe für Schüler über
interaktive Lernprogramme oder über das Internet. In manchen Ländern –
bis jetzt noch – mit Lehrern aus dem Umkreis. In den USA haben viele Kinder
bereits Nachhilfe bei Personen in Indien, mit denen sie über Webcam, Mail
und Scanner kommunizieren. Der Vorteil für die Eltern: nur ein Drittel der
Kosten gegenüber einem Nachhilfelehrer in den USA. Welche bestehenden
Vertriebswege gibt es in Ihrer Branche? Welche Vertriebswege gibt es in
anderen Branchen? Und jetzt die entscheidende Frage: Welche Kombination
bestehender Produkte mit neuen Vertriebswegen gibt es, mit der Sie es dem
Kunden einfacher machen?;
 Erklärung des Produkts bei Lieferung.
• Installation/Endmontage
 Kunden halten Produkte oft für wertvoller, wenn sie selbst an der Herstellung mitgewirkt haben und beispielsweise bei den letzten Schritten der
Uhrproduktion selbst Hand anlegen konnten. Fertigkuchen werden von
Personen mit viel Zeit eher abgelehnt. Backmischungen sind gerade noch
akzeptabel, wenn noch selbst Zutaten hinzugegeben und geknetet werden
muss. Der Kunde will Erfolg haben, jedoch darf die Endproduktion nicht zu
schwer sein und muss gelingen.
• Mahnwesen
 Erst Telefonat oder gleich schriftlich.
• Garantie
 Dauer und Umfang;
 Garantie erzeugt Sicherheit vor dem Kauf. Nach dem Kauf setzt der Kunde
diese voraus. Das heißt wenn die Garantie erfüllt wird, ist es für den Kunden in Ordnung (er ist aber nicht begeistert). Wenn sie nicht erfüllt wird,
erzeugt es Frust;
 zu beachten sind die je nach Land rechtlich festgelegten Gewährleistungsfristen. Gegebenenfalls sind diese freiwillig um festgelegte Zeiträume oder
für die gesamte Lebensdauer des Produkts zu erweitern;
 unterschiedliche Garantieerwartungen: Sofortige Reparatur oder Austausch werden im beruflichen Umfeld häufig vorausgesetzt. Im privaten
Bereich kann etwa die Reparatur eines Staubsaugers auch schon mal eine
Woche dauern, ohne dass der Kunde verärgert ist. Die Garantie ist somit
auf die jeweiligen Bedürfnisse der Kunden abzustimmen und gegebenenfalls
Prozessmusterwechsel und Komplexität  129
sind unterschiedliche Garantien für unterschiedliche Kundengruppen anzubieten. Auch ist zu überlegen, ob zusätzliche Garantien (Austauschgerät,
24-Stunden-Service, Garantielaufzeit et cetera) gegen Aufpreis angeboten
werden.
• Service
 Wie ist die Erreichbarkeit des Kundenservices?
 Werden bei jedem Kontakt den Kunden Fragen zur Nutzung und weiteren
Bedürfnissen gestellt?
 Wo sind die Kontaktmöglichkeiten veröffentlicht?
 Was beinhaltet der Service (zum Beispiel Beratungshotline für Ernährungsfragen bei Lebensmitteln, kostenlose Telefonnummer eines Tierarztes auf
der Verpackung von Tierfutter für ein Beratungsgespräch). Hier ist zu prüfen, welches Grundbedürfnis hinter dem Produkt steht;
 Telefonservice: Nach Ablauf der Garantie nehmen einige Unternehmen
(unter anderem Dell und Apple) je Anruf eine Gebühr beziehungsweise geben
nur Antwort, wenn ein separater Servicevertrag abgeschlossen wurde. Viele
Unternehmen haben für Kundenanfragen ausschließlich gebührenpflichtige
Nummern eingerichtet. Hiervon wird abgeraten, da Kundenanfragen meist
aus schlechten Produktbeschreibungen resultieren. Hier sollten nicht die
Kunden doppelt bestraft werden, sondern der Hersteller. Außerdem sollte
der Filter für Kundenanfragen so gering wie möglich sein, denn jede Anfrage
kann als Ideenquelle zur Produktoptimierung oder für neue Produktideen
genutzt werden;
 Schulungen zur besseren Nutzung. Apple bietet beispielsweise in seinen
Läden regelmäßig Schulungen zu den Programmen an (wie ein Stundenplan
in der Schule). In einigen Geschäften sind dies mehr als sieben Schulungen
pro Tag, die kostenfrei für Kunden und Nichtkunden sind.
• Wartung/Reparatur/Schadensfall
 Ist zum Beispiel auch eine fehlerhafte Bedienung durch den Kunden versichert?
 Verhalten bei Beschwerden (Kulanz);
 Reaktionszeit;
 Dauer, bis die Reparatur erfolgt;
 Austauschgerät innerhalb von X Stunden oder Minuten. Zum Beispiel holt
der Nespresso-Kundendienst das defekte Gerät ab und stellt ein Austauschgerät bereit. So hat der Kunde weiterhin seinen Kaffee, und Nespresso weiterhin den Verbrauch seines Kaffees – auch während der Reparaturzeit.
• Update
 Sind Aktualisierungen des Produkts inbegriffen?
• Entsorgung
130  Praxishandbuch Produktentwicklung
 Wird das Produkt zur Entsorgung abgeholt?
 Kostenfreie Entsorgung durch den Hersteller?
Jedes Detail und jede Kundenberührung zählt. Werden Sie detailbesessen,
Abkürzungen sind ausgeschlossen. Denn unterschiedliche Kunden nehmen
verschiedene Details (bewusst und unbewusst) wahr. Stellen Sie die eingefahrenen Modelle Ihrer Branche infrage. Setzen Sie die Kundenbrille auf.
Optimieren Sie nicht die bestehenden Modelle, sondern schaffen Sie neue.
Auch bei Bio reicht nicht mehr ausschließlich das Produkt. Die gesamte
Wertschöpfungskette muss den ökologischen Ansprüchen genügen. Regionale Produkte werden bevorzugt, da der Transport die Umwelt nicht so
stark geschädigt hat. Bodyshop ist nicht so sehr für Produkte bekannt,
sondern für die umweltschonende Herstellung und Produktentwicklung
ohne Tierversuche. Alle Stufen müssen zusammenpassen. Eine ökologische
Produktion (Nachhaltigkeit) muss auch die Entsorgung berücksichtigen.
Geistreiches und Zitiertes
»Selbst erfolgreiche Unternehmen können sich in Zukunft zugrunde ruinieren, wenn sie weiterhin so vorgehen wie in der Vergangenheit.«
Warren Bennis
»Nicht die Stärksten überleben oder die Intelligentesten, sondern die am
meisten bereit zum Wandel sind.«
Charles Darwin
»Das Unternehmen wie wir es kennen, ist nun 120 Jahre alt und wird die
nächsten 25 Jahre nicht überleben. Rechtlich und finanziell schon, aber nicht
strukturell und ökonomisch.«
Peter F. Drucker
»Es ist keine Frage mehr, ob wir uns verändern müssen. Die einzige Frage
ist, ob wir schnell genug sein werden!«
Cay von Fournier
»Die besten Gelegenheiten ergeben sich dann, wenn man die Grundregeln
ändert.«
Edgar K. Geffroy
»Falle: Der Erfolg von gestern ist der Feind von heute und der Killer von
morgen.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich
Prozessmusterwechsel und Komplexität  131
»Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und
andere Ergebnisse zu erwarten.«
Albert Einstein
»Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, dass ihre Verwirklichung von
vornherein ausgeschlossen erschien.«
Albert Einstein
»Jeder möchte Wirtschaftswachstum, aber niemand möchte einen grundlegenden Wandel.«
Paul Romer
»Seien Sie nicht dumm, sondern hinterfragen Sie den Status quo.«
Timothy Ferriss in Die 4-Stunden-Woche
»Einige Menschen sehen die Dinge an, die da sind, und fragen, warum. Ich
träume von Dingen, die nie da waren und frage, warum nicht.«
George Bernard Shaw
»Die Menschen sind sehr offen für neue Dinge – solange sie nur den alten
gleichen.«
Charles F. Kettering
»Wer sich eine schwierige Aufgabe stellt, braucht keine Angst haben, dass er
viel Konkurrenz bekommt.«
Klaus Kobjoll
»Die Ablehnung eines Risikos ist für ein Unternehmen das größte Risiko.«
Reinhard Mohn
»Das Problem eines schrumpfenden Marktes kann nicht durch Verbesserung
der Technologie eines bereits veralteten Produkts gelöst werden.«
John Naisbitt in Mind Set!
»Wir sollten aufhorchen, wenn die Leute etwas verrückt finden. Denn wenn
Leute etwas gut finden, macht es bereits ein anderer.«
Fujio Mitarai
»Wer sich hinter Methoden der achtziger und neunziger Jahre versteckt –
wer versucht, sein Produkt lediglich ein bisschen besser zu machen –, dessen
Uhr ist abgelaufen. Ein Verbesserer kann mit dem Tempo der Veränderung
nicht mithalten.«
Tom Peters
132  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Es gibt zwei Überlebensmöglichkeiten für einen Anbieter: entweder er ist
günstiger als seine Mitbewerber oder aber bedeutend besser.«
Daniel Zanetti in Kundenverblüffung
»Wenn Du ein Problem nicht lösen kannst, liegt es daran, dass Du Dich an
die Regeln hältst.«
Paul Arden in Es kommt nicht darauf an,
wer Du bist, sondern wer Du sein willst
»Wir haben zu viele ähnliche Firmen, die ähnliche Mitarbeiter beschäftigen
mit einer ähnlichen Ausbildung, die ähnliche Arbeiten durchführen. Sie
haben ähnliche Ideen und produzieren ähnliche Dinge zu ähnlichen Preisen
in ähnlicher Qualität. Wenn Sie dazugehören, werden Sie es künftig schwer
haben.«
Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie
»Ein Denkender ist immer ein Andersdenkender.«
Albert Keller
»Jede Zusatzfunktion ist eine weitere Sache, die erlernt werden muss, eine
weitere Sache, die missverstanden werden kann, und eine weitere Sache, die
die Suche nach dem, was man eigentlich will, erschwert.«
Jakob Nielsen
»Die Betriebsanleitung meines neuen Handys umfasst 118 Seiten. Mit dem
Ding kann man alles machen, außer seinen Hund waschen.«
Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how
»Einfachheit ist das Resultat der Reife.«
Friedrich von Schiller
»Bequemlichkeit war noch nie der Vater des Erfolgs. Es sei denn, man verkauft sie.«
unbekannt
»Hohe Bildung kann man dadurch beweisen, dass man die kompliziertesten
Dinge auf einfache Art zu erläutern versteht.«
George Bernard Shaw
»Fortschritt heißt, das Primitive zu entwickeln und das Entwickelte zu vereinfachen.«
Werner Tiki Küstenmacher
Prozessmusterwechsel und Komplexität  133
»Freiheit bedeutet Verantwortung. Das ist der Grund, warum die meisten
Menschen sich vor ihr fürchten.«
George Bernard Shaw
»Hersteller, die heute nicht auf die einfache Bedienbarkeit ihrer Produkte
achten, werden morgen keinen Markt mehr haben.«
Tom Bosenick
134  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 9
Preisfindung
Das gemeinsame Ziel von Kunden und Unternehmen
Das Ziel der Unternehmensführung ist die langfristige Wertsteigerung
des Unternehmens – oder sollte es zumindest sein. Hinzu kommt es,
Liquidität zu sichern und Renditen zu erwirtschaften. Ziel ist nicht die
maximale Kundenzufriedenheit. Denn die ist nicht realistisch. Maximale
Kundenzufriedenheit würde bedeuten: Top-Produkte, die alle Wünsche
erfüllen und für 0,- Euro angeboten werden. Das ist aus Sicht der Kunden
maximale Zufriedenheit. Das kann kein Unternehmen erfüllen, sofern
es weiter existieren will. Somit muss Ihr Ziel sein, die Zufriedenheit
auf beiden Seiten, nämlich auf Ihrer und der des Kunden, zu haben. Die
Produkteigenschaften sind mit Differenzierungsmerkmalen voll auf den
Kundenwunsch auszurichten. Der Nutzen für den Kunden muss so hoch
sein, dass er auch bereit ist, dafür möglichst viel Geld auszugeben. Und
zwar einen Preis, der auch Ihre Bedürfnisse erfüllt. Mit dem Umsatz und
Gewinn werden die Wünsche des Unternehmens befriedigt (wobei ausschließlich der Gewinn den Fortbestand des Unternehmens sichert, nicht
der Umsatz). Nur wenn die Kundenbedürfnisse und die Bedürfnisse der
Anbieter befriedigt werden, ist der Fortbestand des Unternehmens gesichert.
Die Entwicklung der Preisstruktur
Das Preis-Absatz-Verhältnis – die tote Mitte
Wäre der Preis das wichtigste Kaufkriterium, so würde die Kurve linear
von oben nach unten verlaufen (theoretische Kurve in Abbildung 10):
günstiger Preis bewirkt den größten Absatz, dieser nimmt mit zunehmender Preiserhöhung ab. Schon früher verlief diese Kurve anders: Die
Preisfindung  135
größten Mengen wurden im mittleren Preissegment (Durchschnittssegment) abgesetzt (in den 70er Jahren noch 50 Prozent), geringere im
Billigbereich sowie im Luxussegment. Die typische Gauß-Verteilung. Es
war die Zeit des soliden Mittelstands: gute Produkte in guter Qualität
zu guten Preisen. Das haben überwiegend die mittelständischen Unter­
nehmen geboten. Seit Jahren erhält diese Kurve jedoch Druck von oben:
Die Mitte bricht ein (auf geschätzte 20 Prozent im Jahr 2010; sie ist
somit in 30 Jahren um 60 Prozent geschrumpft). Statt Gauß-Verteilung
liegt hier eher die Form einer Sanduhr vor. Der Durchschnittsbürger hat
keine Lust mehr am Durchschnitt. Und dort, wo viele Anbieter waren,
ist ein Preiskampf ausgebrochen. Somit lassen sich mit Produkten im
mittleren Segment nur noch geringe oder gar keine Renditen mehr erzielen. Und das über die Branchen hinweg: egal ob Lebensmittel, Reisen,
Schmuck, Friseur, Kleidung, Möbel et cetera. Die Mitte schrumpft, die
Pole wachsen dagegen. Die Kundenwünsche haben sich in der letzten
Zeit immer weiter polarisiert und werden sich auch noch weiter polarisieren. Es gilt:
• das Billigsegment mit »Geiz ist geil« bis »Ich bin doch nicht blöd«:
Entweder es wird extrem auf den Preis geachtet und das Produkt muss
mit geringem bis mittelmäßigem Nutzen »saubillig« sein. In diesem
unteren Preissegment gibt es unter anderem Aldi, Lidl, Ikea, H&M,
C&A, Etap-Hotels, Saturn, Media Markt, Ryanair, unter 10-EuroFriseure und Selbstbedienungsbäcker. Es gilt: niedrigster Preis bei
Konzentration auf den Grundnutzen bei solider Basisqualität (zum
Beispiel Billigflieger: Transport von A nach B ohne Extra-Service). Es
sind die funktionalen Güter des täglichen Bedarfs, auf Emotionen und
Service wird weitestgehend verzichtet. Wobei auch in diesem Segment
Emotionen und Design eine Bedeutung haben, jedoch längst nicht so
stark. Was hier gespart wird, kann im Erlebniskonsum »verprasst«
werden. Meist können die Kunden in diesem Segment keine Unterschiede im Nutzen der Produkte erkennen. Dann legt der Wettbewerb
den Marktpreis fest, indem die Kunden dort kaufen, wo das Produkt
am günstigsten angeboten wird. Der einzige Orientierungspunkt ist
der Preis;
• eine andere Möglichkeit: Es wird das Beste vom Besten gekauft, die
Premiumqualität zum entsprechenden Preis. Und da muss es nicht viel
Masse sein. In dieses obere Preissegment gehören unter anderem Dallmayr, Feinkost Käfer, Apple, Bang & Olufsen, Harley Davidson, Prada,
Rolex, Alessi, Bio-Bäcker, Vertu (Handy-Luxussparte von Nokia: Leder,
136  Praxishandbuch Produktentwicklung
Edelstahl, Edelsteine; Preis ab einigen Tausend Euro, nach oben offen.
Gleiche Funktionen wie jedes 1-Euro-Handy, nur anderes Material und
Design), Mont Blanc. Unternehmen im Hochpreissegment führen die
Differenzierung zu ihren Mitbewerbern nie im Preisvergleich, sondern
ausschließlich über das Produkt. Aus Kundensicht sind das gegenüber den Wettbewerbern überlegene Produkte. Diese Nischen können
jedoch von den Unternehmen nur erfolgreich besetzt werden, wenn ihr
Angebot um mindestens 30 Prozent für den Kunden erkennbar besser als das der Mitbewerber ist. Es sind die Produkte, die neben dem
rationalen Nutzen auch starke Emotionen wecken, einen Status ausdrücken, Träume erfüllen und ein entsprechendes Design haben. Eine
teure Uhr wird nicht gekauft, um die Zeit abzulesen. Dafür reicht auch
eine günstige Ausführung. Ins Restaurant gehen die wenigsten, um den
Hunger zu stillen. Das geht zu Hause weitaus günstiger. Somit gibt es
ganz andere Motive, als alles zum günstigsten Preis zu bekommen. Es
liegen hier unerschöpfte Gewinnpotenziale: Leistungsmaximierung zu
einem entsprechenden Preis. Und dieses Hochpreissegment gibt es auch
für Haustiere: Katzenfutter mit Hühnchen und Garnelen oder Pastete
mit Lachs. Auch der Biomarkt darf in der Haustierernährung nicht
fehlen. Definieren Sie eine Nische neu und positionieren Sie sich mit
Ihren Produkten. Dann brauchen Sie sich nicht mit der Konkurrenz
herumzuschlagen. Bieten Sie entweder »I fancy«- (Produkte im Hochpreissegment) oder »I need«-Produkte an (günstige Alltagsprodukte
vom Kostenführer);
• im mittleren Preissegment befinden sich unter anderem Opel, Karstadt,
Handy-Sparte von Siemens, Spar (in Edeka eingeflossen), die Fluglinien
Swiss und Alitalia. Dies sind jeweils die undifferenzierten Anbieter, die
nicht günstig, wenig innovativ sind und nur wenige Emotionen beim
Kunden auslösen.
Gefördert wird diese Polarisierung zusätzlich durch die Veränderung in
der Bevölkerungsstruktur. Auf der einen Seite Hartz IV, Sozialabbau und
Massenentlassungen. Auf der anderen Seite ein Anstieg der wohlhabenden
Bevölkerungsschicht. Es gibt fast eine Million Euro-Millionäre in Deutschland, vor zehn Jahren waren es nur halb so viele. Und die Gehälter der
Topmanager stiegen – gegen den Trend der unteren Lohngruppen – weiter
kräftig an und werden auch nach Wirtschaftskrisen wieder mindestens
auf das alte Niveau angehoben. Früher war der Mittelstand das Markenzeichen in Deutschland. Zukünftig werden die Segmente oben und unten
zunehmen.
Preisfindung  137
Abbildung 10: Schematische Darstellung der Abhängigkeit des Absatzes
vom Preis
Absatz
theoretische Kurve
früher
Aktuelle Entwicklung
Preis
In Zahlen hat das B.A.T. Institut diese Entwicklung in einer Studie bestätigt:
Abbildung 11: Entwicklung der Marktanteile
Verteilung der Preissegmente
100 %
80 %
Luxussegment
60 %
Mittleres Preissegment
40 %
Billigprodukte
20 %
0%
1971
1981
1986
1990
2010
Es gibt auch viele Produkte von unterschiedlichen Herstellern im oberen
und gleichzeitig im unteren Preissegment. Und beide Anbieter sind mit ihrer
Strategie erfolgreich. Zum Beispiel sind Jeans für 9 Euro bei Anbietern wie
Tchibo, C&A, H&M keine Seltenheit. Dann gibt es Geschäfte, in denen
eine Jeans über 1 000 Euro kostet – und auch gekauft wird. Im ersten Fall
ist die Jeans Kleidung für den Alltag, im anderen Fall ein Designerstück mit
Statussymbol. Bei Roberto Cavallis muss auch schon mal mehr als 2 000
Euro für eine edle Jeans auf den Tisch gelegt werden. Der Unterschied liegt
weniger im Stoff als in kleinen Accessoires wie Stickereien und der Marke.
138  Praxishandbuch Produktentwicklung
Letztgenannte ist meist als Namenszug von außen deutlich sichtbar, damit
die ganze Welt sehen kann, was sich der Käufer leisten kann. Da wird keine
Jeans mehr verkauft, sondern ein gutes Gefühl und Status.
Der Teufel trägt Prada – und kauft bei Aldi
Abbildung 12: Die Devise des heutigen Kunden
So lautet die Devise des heutigen Kunden. Die meisten kaufen gleichzeitig
in beiden Polen ein. Luxuskarossen auf dem Aldiparkplatz gehören zur
Normalität. Keiner schämt sich mehr dafür – egal in welcher Gesellschaftsschicht –, bei Aldi einzukaufen. Es gibt keine festen Kundengruppen mehr
bei den unterschiedlichen Preissegmenten. Ein und derselbe Kunde ist von
einer Minute zur nächsten preissensibel (insbesondere bei austauschbaren
Produkten) und unsensibel bei nicht austauschbaren Produkten. Bei Aldi
werden die Grundnahrungsmittel gekauft, der Käse aber im Feinkostgeschäft, mittags gibt es Fastfood und am Abend geht es mit dem Partner
zum Edel-Italiener. Menschen entscheiden situativ und je Lebensbereich,
in welchem Preissegment sie einkaufen. Dieses ist am Äußeren, Alter,
Beruf, der Wohngegend nicht erkennbar. Unterschätzen Sie niemals die
Kaufkraft der Kunden, in keiner Bevölkerungsschicht. Was Personen für
bestimmte Produkte ausgeben, kann meist auch nicht am Geldbeutel vorPreisfindung  139
hergesehen werden. Auch wenn Personen wenig Geld haben, so können
sie doch zum Beispiel für ihr Hobby, Fernseher/Musikanlage oder den
Jahresurlaub alles zusammensparen. Menschen haben immer Bereiche,
die ihnen wichtig sind. Sie sparen in einem Bereich, um sich in einem
Produktsegment das Beste kaufen zu können. Hier kann es teilweise nicht
teuer genug sein, häufig auch über die wirtschaftlichen Möglichkeiten
hinaus.
In der Maslowschen Bedürfnispyramide begann alles unten: Zuerst
mussten die Bedürfnisse wie essen, trinken, schlafen befriedigt werden.
Als nächste Stufe galt es diese Bedürfnisse zu sichern. Erst wenn diese
beiden Stufen und zwei weitere befriedigt waren, strebte der Mensch nach
Selbstverwirklichung. Heute oszillieren die Menschen die Bedürfnispyramide gleichzeitig rauf und runter. Der Status in der Gruppe bis hin zur
Selbstverwirklichung wird angestrebt, auch wenn die Basis von essen und
trinken noch nicht abgesichert ist.
Die Kunden werden nicht preisbewusster – sie werden wertbewusster.
Ein Produkt muss preiswert, also den Preis (mindestens) wert sein. Wenn
etwas wegen des geringen Preises gekauft wird, dann liegt die Ursache
in den Produkten. Somit müssen sich die Anbieter heute entscheiden, um
eine gute Rendite zu erzeugen: entweder als Kostenführer über die Menge
im Billigsegment (mit den dahinter liegenden Gefahren) agieren oder im
Hochpreissegment die Träume der Kunden als Nischenanbieter erfüllen.
Dazwischen gehen Sie unter und werden in der toten Mitte im Preiskampf
zerquetscht. In beiden Segmenten muss ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis vorliegen. Und wer mehr ausgibt als im unteren Segment, will viel
mehr und überspringt so die Mitte.
Wo ist Rendite zu erwirtschaften?
Die Porter-Kurve spiegelt die Polarisierung der Märkte wider. Die Rendite
der Unternehmen steigt nicht linear mit deren Marktanteil. Es gibt gemäß
der Porterkurve drei Positionierungen:
• Nischenanbieter: geringer Marktanteil insgesamt, jedoch hoher Marktanteil in seiner Marktnische. Die Produktpreise sind hoch, ebenso die
Rendite;
• Kostenführer: hoher Marktanteil durch Massenprodukte zu geringen
Preisen. Pro Produkt wird nur eine geringe Rendite erwirtschaftet, ins140  Praxishandbuch Produktentwicklung
gesamt jedoch ein hoher Betrag. Aufgrund von Mengenvorteilen kann
auch mit dem geringen Preis ein Gewinn erwirtschaftet werden. Einkäufer von Aldi haben eine Marktmacht und können so die Einkaufspreise »diktieren«. Ebenso sind alle Abläufe auf Menge ausgerichtet,
was die Stückkosten niedrig hält;
• »Das Tal der Tränen«: Im mittleren Segment kann nicht so sehr auf
individuelle Kundenwünsche eingegangen werden. Somit sind die Preise
eher »Mittelmaß«. Auf der anderen Seite sind die Mengen noch zu
gering, um die Kosten gering zu halten. Die Anbieter »sitzen zwischen
den Stühlen«. Die Gewinne sind aus diesen Gründen sehr gering oder
es werden sogar Verluste eingefahren. Die Unternehmen in der Mitte
verlieren ihre Kunden an Großanbieter, die niedrige Discountpreise und
durchschnittlichen Nutzen bieten. Oder die Kunden wandern zu den
Spezialisten, die »Maßlösungen« der Spitzenklasse zu höheren Preisen
anbieten. Unternehmen in der Mitte haben oft ein neutrales Image und
stehen für nichts im Markt. Mittlerer Nutzen zum mittleren Preis ist
nicht mehr gefragt. Die Unternehmen in der Mitte sollten versuchen,
dort schnell heraus zu kommen und in eine der Außenpositionen zu
gelangen, da diese – insbesondere die Nischenstrategie – rentabler sind.
Dieses haben empirische Studien mehrfach belegt, unabhängig von der
Branche.
Abbildung 13: Porter-Kurve (schematische Darstellung)
Rentabilität
Nischenanbieter
Kostenführer
»Das Tal der Tränen«
Marktanteil
Preisfindung  141
Ein vorsichtiger Ausblick in die Zukunft
Die Pole werden weiter wachsen. Auch wenn in einer Krise alle drei
Segmente zu kämpfen haben und es in allen Preissegmenten Firmenschließungen geben wird, so ist die Mitte doch am stärksten davon
betroffen. Im Billigsegment werden die Preise immer weiter sinken, da
die Wettbewerber als Hauptdifferenzierungsmerkmal den Preis haben, bis
nur noch ein Anbieter (maximal zwei) je Produktsegment übrig bleibt.
Alle anderen konnten die eigenen Kosten nicht so weit senken, um immer
noch Gewinn zu erwirtschaften. Die Menschen haben sich in Krisenzeiten
daran gewöhnt, austauschbare Produkte zu Niedrigstpreisen zu kaufen
und werden dieses Verhalten auch in besseren Zeiten als Gewohnheit
beibehalten, um Geld für das Hochpreissegment zu haben. Denn dieser
Bereich um hochpreisige Produkte wird weiter ansteigen, spätestens wenn
die Wirtschaftskrise einigermaßen abgefangen wurde.
Der Irrsinn mit dem Preis
»Können wir am Preis noch etwas machen?«, ist die Standardfrage aller
Kunden. Und ich gebe zu, dass auch ich sie häufig stelle. Zusätzlichen
Nachlass beim Preis nimmt man gern hin. Wenn Sie zukünftig von einem
Kunden diese oder ähnliche Fragen gestellt bekommen, antworten Sie
doch direkt mit »ja«. Nach einer ganz kurzen Pause sagen Sie: »Bei diesem
für Sie nützlichen Produkt halte ich einen Aufschlag von 15 Prozent für
gerechtfertigt«. Aus welchen Gründen müssen Preise immer nur in eine
Richtung verändert werden? Bieten Sie dem Kunden einen Aufschlag an.
Oder Sie bieten einen Preisnachlass bei gleichzeitiger Reduzierung der
Leistung an. Gleiche Leistung zu einem niedrigeren Preis würde nur signalisieren, dass der offizielle Preis ein Mondpreis ist.
Manche Anbieter haben als einziges Angebot nur noch den Preis und
werben mit:
•
•
•
•
•
•
»Saubillig«
»Lass Dich nicht verarschen – vor allem nicht beim Preis«;
»Wir hauen die Preise k. o.!«;
»Geiz ist geil«;
»Ich bin doch nicht blöd«;
»Preissturz!«;
142  Praxishandbuch Produktentwicklung
•
•
•
•
•
»Kleiner kann’s keiner!«;
»Jede Woche günstiger!«;
»Selbst schenken ist teurer!«;
»Jetzt: Alles unter Wert!«;
»Billiger als kostenlos!«.
Diese Strategie – sofern man diese Aktion überhaupt als solche bezeichnen
darf – führt mittel- und langfristig zum Fiasko.
Wer soll das verstehen?
Während der Fußball-Europameisterschaft hätten Media-Markt-Kunden
beim Kauf eines Fernsehers am 02. Juni 2004 den Kaufpreis zurück erhalten, wenn die deutsche Mannschaft den Titel geholt hätte. Die Mannschaft
schied wenig überraschend in der Vorrunde aus. Aber was hat Fußball mit
der Qualität und dem Preis eines Fernsehgeräts zu tun?
Auf Mallorca werden 10-Liter-Eimer als Trinkgefäße für 7 Euro verkauft. Es sind gewöhnliche Putzeimer, auf die mit Filzstift die Ziffer 6
gemalt wurde (Ballermann 6: Hochburg der Touristen). Der Normalpreis
dieser Eimer in Drogeriemärkten beträgt nur einen Bruchteil von 7 Euro.
»Kunden wollen nur noch günstig einkaufen und achten nur noch
auf den Preis«, ist oft zu hören. Aus welchen Gründen denn wohl? Die
Anbieter haben es ihnen doch eingetrichtert und hervorgehoben, dass nur
der Preis zählt und so die Kunden zu Preisgeiern und Schnäppchenjägern
erzogen.
Auf der anderen Seite lassen sich Einkäufer immer neue Anlässe einfallen, um Rabatte zu verlangen. Im Lebensmitteleinzelhandel sind scheinbar
keine Kreativitätsgrenzen gesetzt:2
•
•
•
•
•
•
•
•
Auslistungsverhinderungsrabatte;
Neueinlistungsgelder;
Jubiläumsprämien;
Zuschüsse zur Eröffnung eines neuen Zentrallagers;
Unterstützung der Auslandsexpansion;
Ladenöffnungszeitenverlängerungsrabatt;
Umsatzausfallvergütung;
Juniorenrabatt (zur Unterstützung des reibungslosen Generations­
wechsels);
2 Dieter Brandes: Die 11 Geheimnisse des Aldi-Erfolgs. Campus 2003.
Preisfindung  143
• Zukunftsbonus;
• Sofortabzugsrabatt, Artikelgruppenrabatt, Aktionsrabatt,
Zentralvergütung, Verkostungskondition.
Gerade die Hersteller mit austauschbaren Produkten haben gegenüber den
Händlerforderungen eine ganz schwache Position. Solange der Hersteller
die 25. Ketchup-Variante anbietet, die sich in keiner Weise von den anderen
abhebt, muss das Spiel mitgemacht werden. Erst wenn das Produkt einzigartig ist und dem Bedarf der Kunden entspricht, dreht sich das Verhältnis
um. Fordern die Kunden gezielt eine Marke im Laden, dann müssen die
Händler dieses Produkt im Regal stehen haben. Dass sich somit die Verhandlungsposition des Herstellers deutlich verbessert, steht außer Frage.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie der Universität
Münster zum Preiswissen der Kunden. Diese ergab, dass den Kunden im
Lebensmittelbereich die Preise gar nicht bekannt waren, obwohl der Preis
von den Kunden als wichtig erachtet wurde. Die Kunden würden häufig von höheren Preisvorstellungen ausgehen, als der reale Preis ist. Hier
werden große Gewinnmöglichkeiten seitens des Handels verschenkt. Dass
Kunden häufig bereit sind mehr zu zahlen, verdeutlicht auch die Studie
zu dem Generikum ASS-Ratiopharm. Der Verkaufspreis wurde von der
befragten Gruppe im Durchschnitt fast 50 Prozent höher geschätzt als die
unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers. Da liegt noch Potenzial
im Preis.
Sofern die Kunden über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, dreht
sich das Kaufverhalten häufig – entgegen sämtlicher Logik – um. »Hoher
Preis = gute Qualität«, lautet die Rechnung. Bei minderer Qualität wäre
das Produkt ja günstiger. Der Preis wird als Indikation für Qualität und
Exklusivität herangezogen. Ein bei gleichem Produkt höherer Preis kann
eine größere Anziehung bewirken und zu höheren Verkaufszahlen führen. Dazu bewirkt noch der höhere Preis einen exponentiellen Anstieg im
Gewinn für den Anbieter. Preisempfinden ist nicht rational – insbesondere wenn die Produkte sich nicht miteinander vergleichen lassen und die
Kunden die Qualität nicht einschätzen können. Produzieren Sie kleine,
schicke, teure Parfum-Flaschen und der Kunde hält den Inhalt für wertvoll und von hoher Qualität – auch wenn dieser der gleiche wie in einer
günstigen 100-ml-Flasche ist. Viele Studien haben belegt, dass es bei Kosmetikprodukten oft keinen Zusammenhang zwischen Preis und Qualität
des Inhalts gibt.
144  Praxishandbuch Produktentwicklung
Die Berechnung des Gewinns
Gewinn = Preis * Volumen – Kosten
Erläuterung:
• Preis = Nettoverkaufspreis an den direkten Kunden (muss nicht der
Endkunde sein) abzüglich aller Rabatte;
• Volumen = verkaufte Stücke zum Preis;
• Kosten = Allgemeinkosten + Fixkosten + (variable Stückkosten * Volumen).
Die Unternehmen haben in den letzten Jahren ihren Kostenobergrenze
erreicht und deshalb zur Kostenreduktion die Produktion ins Ausland verlagert, die Belegschaft reduziert und die Prozesse optimiert. Das Volumen
ist häufig über die Werbung ausgeschöpft, die Märkte meist gesättigt.
Verkaufszahlerhöhungen sind hier über Produktinnovationen möglich,
was aufwändig ist. Die Gewinnoptimierung über Preiserhöhungen wird
immer noch häufig vernachlässigt.
Rabattaktionen lohnen sich meist nicht. Ein Rechenbeispiel: Wirbt ein
Anbieter mit »Heute keine Mehrwertsteuer«, ist dies gleichbedeutend mit
einer Preissenkung von 19 Prozent. Angenommen, die Differenz vom Einkaufspreis zum Verkaufspreis beträgt 25 Prozent, so verbleiben abzüglich der 19 Prozent nur noch 6 Prozent. Um somit den gleichen Gewinn
wie vor der Rabattaktion zu erhalten, muss der Anbieter mindestens den
vierfachen Umsatz erreichen. Das ist fast unmöglich und nur sehr schwer
vorauszusagen. Damit der Gewinn höher wird, muss mehr als das Vierfache verkauft werden.
Nachfolgend ist anhand eines Beispiels die Wirkung des Preises auf den
Gewinn verdeutlicht:
Tabelle 16: Die Wirkung des Preises auf den Gewinn
Preis der Ware [in Euro]
Verkaufsvolumen pro
Jahr [Stück]
Umsatz [in Euro]
Kosten allgemein und
fix [in Euro]
Kosten variabel bei 15 €
pro Stück [in Euro]
Kosten gesamt [in Euro]
Gewinn [in Euro]
Fall 1
Fall 2a
Fall 2b
Fall 3a
Fall 3b
Fall 3c
20
21
21
19
19
19
100 000
100 000
90 000
100 000
110 000 125 000
2 000 000
400 000
2 100 000 1 890 000
400 000
400 000
1 900 000
400 000
2 090 000 2 375 000
400 000 400 000
1 500 000
1 500 000 1 350 000
1 500 000
1 650 000 1 875 000
1 900 000
100 000
1 900 000 1 750 000
200 000
140 000
1 900 000
0
2 050 000 2 275 000
40 000 100 000
Preisfindung  145
• Fall 1: Ausgangssituation
• Fall 2a: Preiserhöhung um 1 Euro
 Eine Preiserhöhung um 5 Prozent bewirkt, sofern alle anderen Faktoren
konstant bleiben, eine Verdoppelung des Gewinns. Kleine Änderung, große
Wirkung.
• Fall 2b: Preiserhöhung um 1 Euro auf 21 Euro bei einem Verlust von 10
Prozent der Kunden. Somit wurden nur noch 90 000 Stück verkauft.
 Eine Preiserhöhung um 5 Prozent bei einem Kundenverlust von 10 Prozent
bewirkt, sofern alle anderen Faktoren konstant bleiben, eine Erhöhung des
Gewinns von 40 Prozent.
• Fall 3a: Preissenkung um 1 Euro auf 19 Euro
 Eine Preissenkung um 5 Prozent bewirkt, sofern alle anderen Faktoren konstant bleiben, einen Verlust des gesamten Gewinns.
• Fall 3b: Preissenkung um 1 Euro auf 19 Euro, zusätzlich 10 Prozent
mehr Kunden
 Eine Preissenkung um 5 Prozent und 10 Prozent zusätzliche Kunden bewirken, sofern alle anderen Faktoren konstant bleiben, einen Verlust von 60
Prozent des Gewinns.
• Fall 3c: Preissenkung um 1 Euro auf 19 Euro, zusätzlich 25 Prozent
mehr Kunden
 Bei einer Preissenkung um 5 Prozent werden zusätzlich 25 Prozent mehr Kunden benötigt, um auf den Gewinn des Ausgangspreises zu kommen.
Rechnen Sie doch einmal aus, wie sich eine 1- oder 2-prozentige Preiserhöhung Ihrer Produkte auf Ihre Gewinne im Unternehmen auswirken
würden. Einmal, sofern alle anderen Parameter gleich blieben und einmal,
wenn sie sich entsprechend ändern. Eine Tabelle finden Sie auf dieser CDRom.
Was wirklich zählt
Grundsätzlich will der Käufer für viel Leistung wenig zahlen, der Verkäufer hingegen will viel erhalten. Das Gleichgewicht wird gefunden im
Preis-Leistungs-Verhältnis. Bei mehr Leistung sind die Kunden bereit,
einen höheren Preis zu zahlen. Gehen Sie zum billigsten Friseur in Ihrer
Stadt, fahren das Auto mit dem günstigsten Preis und gehen dort essen,
wo es fast nichts kostet? Sicherlich nicht. Somit ist es nicht der Preis allein,
der bei Ihnen über eine Produktwahl entscheidet.
146  Praxishandbuch Produktentwicklung
Nun gibt es unterschiedliche Typen von Menschen, wobei innerhalb
eines Marktsegments der eine oder andere Typ überwiegt:
• Personen mit viel Geld und viel Zeit suchen Erlebnisse;
• Personen mit viel Geld und wenig Zeit (diese Gruppe wird größer)
erleichtern sich das Leben mit Convenience-Produkten;
• Personen mit wenig Geld und viel Zeit wollen sich an der Produktion
beteiligen (zum Beispiel IKEA);
• Personen mit wenig Geld und wenig Zeit wollen günstig kaufen, sich
aber nicht selbst an den Produkten beteiligen.
Zeit ist für die Mehrheit der Menschen in Europa heute das knappste
Gut. Es gilt, den Kunden das Leben einfacher zu machen und ihnen Zeitersparnis zu ermöglichen. Viele sind bereit, dafür viel zu bezahlen. Für
die jeweiligen Gruppen sind unterschiedliche Produkte zu entwickeln. Auf
welche Gruppe konzentrieren Sie sich? Der Preis muss so gesetzt sein, dass
Ihre potenziellen Kunden das Produkt
• kaufen können. Wenn die Kunden ein Produkt unbedingt haben wollen, dann sparen sie bei anderen Ausgaben, damit der Kauf möglich ist.
Die Kunden haben, trotz mancher Wirtschaftsflaute und Steuererhöhung, im Durchschnitt mehr Geld in der Tasche als noch vor einigen
Jahren;
• kaufen wollen. Das »Wollen« hängt von dem Nutzen ab, den Ihr Produkt bietet. Und hier werden die Kunden immer anspruchsvoller. Es
geht häufig nicht um die Frage »Kann ich es mir leisten?«, sondern
vielmehr: »Will ich es mir leisten?«. Die Kunden sind für Billigangebote
empfänglich, wenn die Produkte vergleichbar sind.
Der Jagdinstinkt
Manche Kunden sehen den Preiskampf als Spiel, um das eigene Ego zu
befriedigen: Ich bin schlauer als die anderen Kunden und kann meinen
Erfolg anderen erzählen.
Das Preis-Nutzen-Verhältnis
Das Preis-Nutzen-Verhältnis bestimmt fast ausschließlich, ob der Kunde
kauft oder nicht:
Preisfindung  147
• Ist der Nutzen größer als die Summe des Aufwands, wird das Produkt
gekauft. Der Wert eines Produkts (= Nettonutzen) für den Kunden ist
Nutzen – Aufwand. Dieser Wert muss positiv sein;
• ist der Nutzen kleiner als der Aufwand, wird das Produkt zum Ladenhüter.
Der Aufwand setzt sich zusammen aus:
•
•
•
•
•
•
Preis;
Aneignung von Wissen und Fähigkeiten, das Produkt zu nutzen;
Aufwand zur Beschaffung des Produkts;
Inbetriebnahme;
Entsorgung;
zusätzlich anfallende Kosten durch die Nutzung.
Hier wird deutlich, dass der Preis nur ein Teil des Gesamtaufwands ist.
Convenience-Produkte (insbesondere im Lebensmittelbereich) sind im
Verhältnis zu den Bestandteilen teurer, die Zeitersparnis (Zubereitung,
Reinigung) wird mitbezahlt. Die Kunden sind häufig bereit, mehr zu
zahlen, wenn das Produkt wirklich einen echten Nutzen für sie bei gleichzeitig geringen anderen Aufwänden hat. Ein zwingender Nutzen mit einer
mindestens 30 Prozent besseren Lösung als die Konkurrenz (geringere
Unterschiede nimmt der Kunde nicht wahr) und eine echte Begeisterung
des Kunden bewirken, dass dieser den Preis »vergisst«. Der Kunde will
zwar den Preis noch wissen, aber für die Entscheidung, ob er bei Ihnen
kauft oder nicht, spielt er fast keine Rolle mehr. Gerade im b-to-b-Bereich
zählen Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und Nutzen weit mehr als der Preis.
Einbußen in diesem Bereich haben weitaus größere Konsequenzen als ein
höherer Einkaufspreis.
Verkäufer fürchten nichts so sehr wie das Preisgespräch mit den Kunden. Oft sagen Kunden: »Zu teuer!«. Damit meinen sie jedoch: »Das Produkt liefert mir nicht genug Nutzen für diesen Preis«. Somit ist die Standardfrage, die sich die Produktentwickler stellen müssen: »Was muss das
Produkt enthalten, damit die Interessenten es nicht für zu teuer empfinden
beziehungsweise sich gar nicht trauen zu feilschen?«. Statt das Produkt zu
verbessern, reagieren viele Verkäufer leider nach der »zu teuer«-Aussage
des Kunden mit: »Wie viel Rabatt möchten Sie haben? Für welchen Preis
würden Sie das Produkt kaufen?«. Die Verkäufer versuchen nicht, durch
den Nutzen den Preis zu verkaufen, sondern den Preis durch Rabatte zu
verkaufen. Zu bedenken ist: Auch der billigste Anbieter ist dem Kunden
nie billig genug. Auch der Billigste hört nie, dass er der Billigste ist, son148  Praxishandbuch Produktentwicklung
dern nur: »Es gibt noch Billigere. Sie müssen im Preis noch mehr runter
gehen.«
Auch im Low-Price-Segment reichen einige wenige Produkte
Es zählen nicht die objektiven Preisvergleiche, sondern das vom Kunden
subjektiv wahrgenommene Preisgefüge. Im Lebensmitteleinzelhandel
reicht es, wenn ausgewählte Produkte des täglichen Bedarfs, die im Fokus
der Kunden stehen (unter anderem Mehl, Zucker), günstiger sind als beim
Wettbewerber. Hier können die Preise verglichen werden. Die Kunden
schließen daraus auf das gesamte Sortiment. Ebenso werden Preise im
Restaurant anhand von Standardgerichten (Wiener Schnitzel et cetera)
verglichen und die Preiseinschätzung auf die gesamte Speisekarte übertragen.
Der Preis als Instrument der Komplexitätsreduktion
Die Kunden sind heute durch die Angebotsvielfalt und intensive Werbung derart reizüberflutet, dass sie die Qualitätsanalyse bei Produkten
abkürzen. Bei über 10 000 verschiedenen Produkten im Supermarkt ist
der Preis häufig die einzige Unterscheidung. Die Qualität zu bewerten
fällt den Kunden schwer, einfacher geht der Produktvergleich über den
Preis.
Je teurer desto besser?
So einfach ist es leider nicht. Nur wenn der Nutzen des Produkts für den
Kunden herausragend und größer als der Aufwand ist, spielt der Preis eine
untergeordnete Rolle. Kunden müssen einen rationalen und emotionalen
Grund haben, tiefer in die Geldbörse zu greifen.
Typische Reaktionen auf Absatzrückgang
Die häufigste Reaktion der Mitbewerber ist die Preissenkung. Denn diese
ist ein technisch einfacher Schritt. Produktverbesserungen sind schon
Preisfindung  149
schwieriger. Es wird so am Anlass (niedrige Verkaufszahlen) herumgedoktert, statt die Ursache zu beheben (zu niedriger Produktnutzen).
Die Verkäufer orientieren sich meist an der Anzahl ihrer Aufträge, eventuell noch an ihren Umsätzen. Die Verkäufer wollen verkaufen, also den
Abschluss. Das ist jedoch leider nicht immer zwangsläufig mit Gewinn
für das Unternehmen verbunden. Häufig geht der Verkäufer mit dem Preis
so weit herunter, dass es dem Unternehmen mehr Kosten verursacht, den
Auftrag auszuführen, als an Umsatz hierfür generiert wird. Der Auftrag
ist zwar »geholt«, jedoch zu Lasten des Unternehmensgewinns.
Es gilt: »Teure Ideen zur Lösung von Problemen kommen meist von mittelmäßigen Mitarbeitern«. Preissenkungen – nur um Aufträge zu generieren – sind meist die teuersten Lösungen und wirken sich am negativsten
auf die Rendite aus. Wenn ein junger Mitarbeiter im Kundenkontakt den
Vorschlag macht, jeder Rabattanfrage eines Kunden nachzukommen, dann
gibt es noch Hoffnung. Ihm kann man noch erklären, dass der Wert einer
Ware vom Produktnutzen abhängt und die Kunden für echten Nutzen auch
zu zahlen bereit sind. Wenn jedoch erfahrene Mitarbeiter bei jeder Anfrage
eines Kunden nachgeben wollen, wird sich diese über Jahrzehnte gewachsene Grundeinstellung nicht mehr ändern. Dann ist zu überlegen, in welchen
Positionen der Mitarbeiter sich im Unternehmen besser einbringen kann.
Folgen von Preissenkung und Rabatten
Weder eine Steigerung der Abverkäufe noch die Kostensenkung beeinflussen die Rentabilität so stark wie der Preis. Nachfolgend sind die – meist
negativen – Folgen von Preissenkungen zusammengefasst:
Kunden werden zu Schnäppchenjägern erzogen
Wenn den Kunden in der Werbung nur gezeigt wird, dass der Preis das
Wichtigste ist, gilt: »Das Gefeilsche der Kunden ist das Produkt der
Rabattschlachten der Hersteller«. Jedes Unternehmen hat die Kunden, die
es verdient. Große Elektrohändler haben die Kunden mit »Geiz ist geil«
zu Schnäppchenjägern erzogen. Dann dürfen sich diese Geschäfte auch
nicht wundern, dass die Kunden jetzt ins Internet abziehen, da dort die
Elektrogeräte noch circa 10 Prozent günstiger sind. Beim Autokauf sind
Listenpreise nur noch die Basis zum Verhandeln. Für Neuwagen bieten die
150  Praxishandbuch Produktentwicklung
Verkäufer einen Stammkundenbonus, wenn der alte Wagen von der gleichen Marke ist. Wer kein Stammkunde ist, erhält eben den Wechselbonus.
Dazu gibt es noch den Winterbonus, den Einführungsbonus et cetera. Und
jeder Kunde prahlt in seinem Bekanntenkreis, wie viel Rabatt er herausgeschlagen hat. Ein Preiszugeständnis bei einem Kunden verbreitet sich
wie ein Flächenbrand. Alle weiteren »Empfehlungskunden« wollen dieses
natürlich toppen, um auch ihre Erfolgsstory zu haben. Beim nächsten Kauf
müssen einfach mehr Prozente drin sein. Und dann beschweren sich die
Hersteller über zu geringe Gewinnmargen. Die Kunden übertrumpfen sich
in diesem »Spiel« gegenseitig, jedoch auf Kosten der Anbieter. Hätten die
Wagen ein für eine bestimmte Gruppe geltendes Alleinstellungsmerkmal,
dann würde nicht über den Preis verkauft werden. Wer unter 15 Prozent
Preisnachlass erhält, hat beim Autokauf schon ein schlechtes Geschäft
gemacht. An diese Rabatte gewöhnen sich die Kunden. Alles wird auf
den Preis fixiert, der Nutzen rückt in den Hintergrund – und das hauptsächlich durch die Fokussierung der Anbieter auf den Preis. Die Kunden
sind so nicht mehr loyal zum Unternehmen beziehungsweise zum Produkt,
sondern nur noch zum günstigsten Preis. Sie sind keine Neukunden, sondern Einmalkunden. Wenn der Kunde die für seinen Bedarf vergleichbare
Ware woanders – auch nur ein wenig – billiger findet, ist er weg.
Hierzu gehören auch die Dauerschnupperneukunden, die immer wieder
bestellen und anschließend kündigen. Diese haben ein wahres Interesse
am Produkt, sehen es jedoch nicht ein, für Treue bestraft zu werden. Sie
nutzen nur die Möglichkeiten der Einsparung, die ihnen der Hersteller
bietet. Dann gibt es Kunden, die eigentlich gar nicht am Produkt interessiert sind, es nicht nutzen werden und somit nur die Einstiegsprämie
abgreifen. Letztere kosten den Hersteller nur Geld. Die dritte Gruppe sind
bestehende Kunden, die zusätzlich eine zweite Ausführung bestellen, um
die Prämie abzugreifen (zum Beispiel bei Kreditkarten), jedoch das zusätzliche Produkt nicht nutzen.
Die Produkte werden immer ähnlicher
Durch die geringeren Preise müssen die Herstellungskosten gesenkt
werden. Die Produkte werden zwangsläufig dadurch immer ähnlicher.
Es fehlen die finanziellen Mittel, um ein differenziertes Produkt herzustellen. Und aus dieser Abwärtsspirale kommen die Hersteller nicht mehr
heraus.
Preisfindung  151
Ein Kostendruck im Unternehmen entsteht
Preissenkungen haben direkte Auswirkungen auf die Kostengestaltung
innerhalb des Unternehmens. Wenn ganz hart am Limit kalkuliert wird,
dann muss intern gespart werden. Und zwar bis unter die Schmerzgrenze.
Das fängt meist bei den Mitarbeitergehältern an.
Nach einer Preisanhebung sind die Verkaufszahlen wieder
auf dem alten Niveau
Rabatte und Preisaktionen sind meist von der Zukunft geborgte Umsätze.
Ist von einem Produkt (zum Beispiel Alltagsartikel wie Lebensmittel,
Windeln) der Preis kurzfristig gesenkt, so kaufen die Kunden sicherlich
mehr. Der Anbieter hat zwar mehr Umsatz, ob der Gewinn höher ist, ist
jedoch fraglich. Außerdem haben die Kunden jetzt einen so großen Vorrat (mehr essen geht nur begrenzt, öfter am Tag werden die Windeln bei
Babys auch durch Preissenkungen nicht gewechselt), dass so der Bedarf in
der Zukunft erst einmal sinkt. Der einmalige Umsatz zum Niedrigpreis
ist also von der Zukunft geborgt. Ein Mehrverkauf erfolgt – wenn überhaupt – nur solange die Preise gesenkt sind.
Der Umsatzrückgang ist nicht ausgeschlossen
Mehr verkaufte Produkte bedeutet nicht zwangsläufig mehr Umsatz. Und
schon gar nicht mehr Gewinn. Denn ein Anreiz ist bei Preissenkungen
um 10 Prozent noch nicht gegeben. Wer nicht den vollen Preis zahlen
wollte, kauft jetzt auch nicht (außer bei vergleichbaren Produkten). Erst
ab mindestens 30 Prozent Preissenkung steigt der Anreiz für einen ausreichenden Anteil an Kunden, häufig erst ab 50 Prozent. Mit diesen Schritten
mehr Umsatz und auch noch mehr Gewinn zu erzielen, ist praktisch ausgeschlossen.
Teilweise Verlust mit jedem Verkauf
Häufig werden mit Kampfpreisen noch nicht einmal die Produktionskosten aufgefangen. Zusätzlich sind diese Aktionen meist noch mit viel
Werbegeld verbunden.
152  Praxishandbuch Produktentwicklung
Käufer fühlen sich über den Tisch gezogen
Radikale Preissenkungen erzeugen Frust bei den Kunden, die gestern
noch den vollen Preis gezahlt haben. Gestern wurde das Produkt noch als
besonders wertvoll angepriesen, heute ist es nur noch die Hälfte wert. Das
ist nicht nachvollziehbar.
Produkte verlieren an Anziehungskraft und Ausstrahlung
Was nichts kostet, ist nichts wert. Günstig und billig wird häufig von den
Kunden mit schlechter Qualität verbunden, da sich ein niedriger Preis und
eine hohe Qualität aus Kundensicht widersprechen. Wenn die Kunden
Ihre Produkte als wertvoll einschätzen und mit hoher Qualität verbinden
sollen, dann ist ein entsprechender Preis die Grundvoraussetzung. Das gilt
gerade bei den Produkten, die von den Kunden nicht mehr seitens der Qualität objektiv beurteilt werden können. So gelten teure Autos und Uhren
als hochwertiger als günstigere Vergleichsangebote. Die Qualität entsteht
subjektiv im Kopf des Kunden. Die Kunden assoziieren eine Preissenkung
mit dem Wertverlust der Produkteigenschaften und somit des Nutzens,
sonst hätte er ja keinen Rabatt erhalten. Premiummarken mit Rabatten
verlieren ihre Glaubwürdigkeit. Die Kunden kaufen im Luxussegment
weniger das Produkt an sich, sondern mehr das Prestige der Ware und der
Marke. Menschen schließen immer von den Kunden auf die Marke. Wenn
sich ein bestimmtes Produkt jeder leisten kann, ist der Ruf als Edelmarke
dahin. Bei einer Preissenkung fällt das Prestige in sich zusammen. Das
Ergebnis: weniger Umsatz pro Stück und weniger verkaufte Stücke.
Es dauert Jahrzehnte, um eine Marke und das entsprechenden Preisgefüge beim Kunden durchzusetzen, jedoch nur Tage, um dieses mit Rabattaktionen zu zerstören. Das ist nachfolgend an einer Situation verdeutlicht:
Sie stehen beim Juwelier und haben sich die seit Jahren heiß ersehnte Uhr
umgebunden. Mit dieser wollen Sie alt werden, denn bei diesem Preis muss
sie ewig halten. Dann kommt die von Ihnen geäußerte schüchterne Frage
an den Verkäufer: »Wie viel können Sie mir im Preis entgegen kommen?«.
Nach kurzer Überlegung kommt die Antwort: »Weil Sie es sind: 12 Prozent«. Und das, obwohl Sie vorher den Laden noch nie betreten haben.
Ihre Freude ist dahin, das Edelobjekt verkommt umgehend zum Schnäppchen und verliert an Wert. War der offizielle Preis nur ein Mondpreis? Ist
die Uhr nur zweite Wahl? Wäre ich der Depp, wenn ich den vollen Preis
gezahlt hätte? Sind nicht auch 20 Prozent Rabatt drin?
Preisfindung  153
Die Kunden gehen davon aus, dass bei dem gesenkten Preis und
den Preisen anderer Produkte noch Luft ist
Preisnachlässe lassen an der Glaubwürdigkeit der Preise zweifeln. Die
Kunden sind sich unsicher, ob der gesenkte Preis dem Wert der Ware entspricht, oder ob dieser noch niedriger liegt. Und somit wird verhandelt
oder gewartet, ob der Preis noch weiter sinkt. Auch erwarten die Kunden
bei den anderen Originalpreisen ebenfalls Preisnachlässe, da ja noch
Spielraum vorhanden zu sein scheint.
Geben Sie Ihren Kunden den kleinen Finger, wollen sie – verständlicherweise – gleich Ihre ganze Hand. Wenn der Kunde einmal spürt, dass Ihr
Standardpreis nur Zierde ist und mit Rabattaktionen oder durch Preisverhandlungen deutlich weniger gezahlt werden muss, dann wird er immer
weiter nachverhandeln. Denn auch der Kunde will maximalen Nutzen zu
minimalem Aufwand (und dazu gehört auch der Preis) und glaubt, alle
Preise beinhalten einen Verhandlungspuffer. Er hat immer den Eindruck,
zu viel zu bezahlen. Hat der Kunde Alternativen zu Ihrem Produkt, stärkt
das seine Verhandlungsposition und er wird mit noch mehr Nachdruck
einen niedrigeren Preis fordern.
Der Kunde hat kein Verständnis, wenn Preise wieder auf das
Normalniveau angehoben werden
Kunden gewöhnen sich an den niedrigen Preis bei Sonderangeboten und
kaufen nicht mehr zum Normalpreis.
Das Interesse der Zwischenhändler sinkt
Mit jeder Preissenkung fällt auch der Wert des Produkts aus der Sicht
des Händlers und es wird für ihn immer uninteressanter, das Produkt ins
Sortiment aufzunehmen, da durch eine Preissenkung die Gewinnspanne
geringer wird.
Mehr Aufwand bei Mehrverkauf
Im höheren Preissegment werden weniger Kunden benötigt, um Gewinne
einzufahren. Das heißt, der Hersteller kann sich viel besser auf die Bedürf154  Praxishandbuch Produktentwicklung
nisbefriedigung dieser kleineren Gruppe konzentrieren und hat meist
weniger Konkurrenz. Je geringer jedoch der Preis und die Gewinnmarge
ist, desto mehr muss verkauft werden. Das bedeutet mehr Produktionskosten, mehr Verwaltungsaufwand et cetera.
Verärgerung der Stammkunden
Neukunden werden häufig bessere Preise angeboten als Stammkunden.
Sei es bei Zeitschriften (Geschenke), im Bereich der Telekommunikation
(Geschenke, Zusatzgeräte zum Sonderpreis, Preisnachlass), Pay-TV und
so weiter. Diese Werbung erhalten jedoch auch die Stammkunden, die
nicht verstehen, dass sie als Bestandskunden mehr zahlen sollen und
sind somit verärgert. Zumal sie diese Konditionen auch auf Nachfrage
nicht erhalten. Mit dem Hinweis: »… ein Angebot je Neuauftrag, gilt
nicht bei Tarifwechsel« bei einem Telekommunikationsanbieter wird im
Prospekt gleich deutlich gemacht, dass bestehende Kunden die Dummen
sind. Es gibt keinen größeren Frust für treue Stammkunden, als dass sie
regelmäßig erfahren, dass Neukunden bessere Konditionen erhalten. Sie
als »brave« zufriedene Kunden sind die Benachteiligten, Ihre Treue wird
bestraft. Der Wechsel wird belohnt. Und das sogar bei teuren Produkten
wie Autos. Wenn man vorher eine andere Marke gefahren hat, gibt es
noch 2 bis 3 Prozent Wechselrabatt obendrauf. Wie soll da der Kunde
verstehen, dass er ein paar Jahre später bei Treue zur neuen Marke mehr
bezahlen soll?
Es ist wie in der Werbung: »Die Hochzeit (Bindung) ist der schönste Tag
im Leben«. Bis dahin wird sich angestrengt und danach geht es anscheinend bergab. Ist der Partner (Kunde) gebunden, wird seine Treue als
selbstverständlich angesehen und es wird Ausschau nach neuen Partnern
(Kunden) gehalten. Und dann wundert man sich, dass der eigene Partner
(Kunde) fremdgeht.
Mit »Kunden werben Kunden«-Aktionen versuchen insbesondere Zeitschriftenverlage Abonnements zu verkaufen. Da kostet das Jahresabo zum
Beispiel 150 Euro, der Empfehler erhält Prämien oder 130 Euro in bar.
Der Empfehler muss nicht selbst bereits Abonnent sein, das heißt ein Deal
mit einem Freund und man erhält die Zeitschrift für 20 Euro im Jahr.
Nach einem Jahr das Spiel in umgekehrter Reihenfolge und der Verlag
erhält noch nicht einmal sein Porto. Um die gekündigten Abonnenten als
Kunden zu halten, werden dann Angebote mit mehr als 50 Prozent Rabatt
verschickt. Wie soll da eine Wertschätzung der Zeitschrift entstehen?
Preisfindung  155
Mit diesen Einstiegsrabatten »züchten« sich die Unternehmen Wechselkunden, die sich jeweils nach der ersten Kündigungsmöglichkeit beim
anderen Anbieter wieder die Neukundenkonditionen abgreifen. Aus
diesem Grund sollten Neukunden keine anderen Konditionen angeboten
werden als Altkunden. Hinzu kommt, dass gerade die Gewinnung von
Neukunden durch die Werbung sehr teuer ist. Es ist mindestens fünfmal
teurer, neue Kunden zu gewinnen, als die alten Kunden zu halten.
Komplexität des Angebots noch weiter erhöht
Frühbucherrabatt, Last-Minute-Rabatt, Bonus und so weiter: Da blickt
kein Kunde mehr durch und der Preis wird von den Anbietern in den Vordergrund gerückt und somit von den Kunden als Hauptkriterium gesehen.
Da der Kunde jedoch Angst hat, durch das Preisgefüge nicht durchzublicken, kauft er häufig gar nicht.
Der Nutzen tritt in den Hintergrund
Bei Kampfpreisen wird der Preis zum Hauptverkaufsargument, der Nutzen des Produkts tritt in den Hintergrund. Nur: Ohne Nutzen sind die
Kunden nicht bereit, auch nur einen Cent auszugeben.
Der Wettbewerb senkt ebenfalls seine Preise
Rein rechnerisch mag eine Preissenkung zu einer Umsatzsteigerung oder
gar Anhebung des Gewinns führen. Doch dann ist die Rechnung noch
ohne den Wettbewerb vergleichbarer Produkte gemacht. Denn Preiskriege
breiten sich heute viel schneller aus als eine Grippe. Das, was Unternehmen schnell umsetzen können, sind Preissenkungen. Produktnutzen – insbesondere wenn er maximal ist – zu kopieren ist schon fast ausgeschlossen. Dieses bräuchte viel Know-how und insbesondere Zeit. Stattdessen
senkt der erste Anbieter seine Preise und die anderen Anbieter ziehen nach
und unterbieten die Preise. Daraufhin senkt der erste Anbieter noch mehr
und so weiter. Dieser Teufelskreis kennt nur eine Richtung als Einbahnstraße: nach unten. Das führt zu Umsatzrückgang und Gewinneinbruch
bei allen Anbietern und die Marktanteile sind verteilt wie früher. Mehr
Kunden werden im Markt dadurch nicht gewonnen. Und wenn der eigene
156  Praxishandbuch Produktentwicklung
Marktanteil steigen sollte, muss dies nicht gleichzeitig mehr Umsatz und
mehr Gewinn bedeuten. Mit Preissenkungen schaden Sie zwar der Konkurrenz – jedoch insbesondere auch Ihrem eigenen Unternehmen. Der
lachende Dritte ist Ihr Kunde. Was ja grundsätzlich nichts Schlechtes ist,
jedoch nicht ganz im Sinne der Anbieter.
Im b-to-b-Bereich werden Einkäufer so dreist, dass sie bestehende
Lieferanten um Zugeständnisse bitten. Deutlich gesagt: »Entweder
Preisnachlass oder ich wechsle zu Anbieter X, der ist Y Prozent günstiger«. Gehen die Lieferanten darauf ein, wiederholt sich diese Szene
jedes Jahr.
Hotels vergleichen täglich die eigenen Preise mit denen der Konkurrenz.
Geht der Nachbar runter, wird ebenfalls gesenkt. Dieses Yield-Management in der Hotellerie hat viele Häuser fast bis in die Pleite geführt. Je nach
Buchungstermin, Buchungsweg und Verhandlungsgeschick unterscheiden
sich die Preise um ein Vielfaches für ein und dieselbe Zimmerkategorie
eines Hauses zu einem Termin. Wer da den Listenpreis zahlt, ist selbst
schuld. Und die Preise fallen – wenn nicht gerade Messe ist – ins Bodenlose. Bei unter 100 Euro für ein Doppelzimmer im 5-Sterne-Hotel einer
Großstadt zahlt das Hotel noch drauf und macht sich die Preise kaputt.
In vielen Hotels ist das Rezeptionspersonal dahingehend geschult, dass es
bei der Bezahlung dem Gast die Rechnung überreicht, jedoch auf keinen
Fall den Preis laut nennen darf. Denn wenn Gäste im hörbaren Umkreis
ein Vielfaches dieses Preises bezahlt haben, wird es laut. In jeder Branche
sollte gelten: gleiche Ware für alle Kunden zum gleichen Preis. Das vermeidet viel Ärger.
Preissenkungen beziehungsweise Preiskriege sind generell zu vermeiden.
Egal ob in gesättigten oder ungesättigten Märkten. Bei Krieg verlieren
immer alle Beteiligten. Preissenkung als Waffe ist ein stumpfes Schwert.
Wer mit Rabatten und Boni um sich wirft, ist kein Experte, sondern
vernichtet Gewinn und beschädigt meist gleichzeitig die Marke. Nur billiger als die Konkurrenz sein zu wollen, ist einfach nur billig.
Wo Preisnachlässe akzeptiert werden
Das ist jeweils dann der Fall, wenn die Kunden die Preissenkung nachvollziehen können: Auslaufmodelle, Winterschlussverkauf, günstigere Hotels
in der Nebensaison et cetera.
Preisfindung  157
Methoden der Preisfestsetzung
Der Preis muss gleich am Anfang der Produktidee eingeplant werden. Es
ist zu riskant, darauf zu hoffen, dass am Ende ein Gewinn übrig bleibt.
Variante 1
In vielen Unternehmen erfolgte früher und teilweise auch heute noch die
Preisfindung des Artikels nach der Methode: Kosten (Herstellungskosten
und Allgemeinkosten) + Gewinnaufschlag = Verkaufspreis. Da bleibt
sowohl die Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit der Kunden als
auch die Wettbewerbssituation unberücksichtigt. Die Produktentwicklung
hat entworfen, anschließend wurde produziert. Wer von der Produktseite
her kommt und am Ende den Preis auf der Basis der Herstellungskosten
festlegt, darf sich nicht wundern, wenn er nie zum optimalen Preis gelangt.
Diese Methode hat Nachteile in beide Richtungen:
• Sind die Herstellungskosten niedrig und der Bedarf am Markt groß,
ist der hieraus berechnete Preis zu gering. Das Unternehmen verzichtet
freiwillig auf Gewinn;
• sind jedoch die Herstellungskosten hoch und der Bedarf nicht in entsprechender Höhe, erwirtschaftet das Unternehmen einen Verlust, da
der Preis nicht durchzusetzen ist. Denn der Wert des Produkts entsteht
für den Kunden nicht bei der Herstellung und ist somit unabhängig von
den Produktionskosten. Was der Kunde bereit ist zu zahlen, richtet sich
ausschließlich nach dem Nutzen, den das Produkt ihm bietet, und nie
nach den Kosten, die der Hersteller hat. Kein Kunde fragt danach, wie
hoch die Produktivität der Unternehmen ist. Die Kunden zahlen für den
Nutzen und nicht für die Entschädigung der Herstellungskosten.
Variante 2
Die andere – fortschrittlichere – Methode besteht darin, ein für die
Kunden optimales Produkt zu entwerfen. Anschließend erfolgt die Preisermittlung mittels Marktgesprächen und Beobachtung. Als Maßstab
dienen der Kundennutzen und das Bedürfnis. Daraus resultiert, wie viel
der Kunde für das Produkt zu zahlen bereit ist. Es wird also ausschließlich
der Bedarfspreis herangezogen, der wertbasiert ist und nicht auf der Basis
158  Praxishandbuch Produktentwicklung
der Herstellkosten beruht. Je höher der Bedarf des Kunden nach dem Produkt ist, desto mehr ist er bereit für die Lösung zu zahlen und desto höher
kann auch der Verkaufspreis sein. Hiervon subtrahiert wird der Mindestgewinn, der erzielt werden soll. Nach Abzug der Gemeinkosten bleiben
die maximalen Herstellungskosten übrig, die zur Verfügung stehen. Es gilt
somit: Preis – Gewinnaufschlag – Allgemeinkosten = maximal zur Verfügung stehende Herstellungskosten (Zielkosten). Hier ist nun intensiv zu
versuchen, die Herstellungskosten ohne Qualitätsverlust des Produkts so
gering wie möglich zu halten, maximal bis zu den berechneten Zielkosten
(also genau umgekehrt zur Variante 1). Mit diesem Design-to-Cost-Ansatz
werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen:
• Der Preis entspricht dem, was die Kunden gerade noch zu zahlen bereit
sind. Das können in Segmenten, in denen die Kunden sehr stark auf
den Preis achten, auch geringe Preise sein, in anderen weitaus höhere.
So gibt es in beiden Bereichen einen Markt. In jedem Segment können
signifikante Angebote festgelegt werden;
• erfahrungsgemäß werden mit diesem Verfahren die Herstellungskosten
erheblich gesenkt, ohne dass der Nutzen aus Kundensicht darunter leidet. Durch den Kostendruck werden die Funktionalitäten weggelassen,
auf die der Kunde gern verzichtet.
Das ist ein Verfahren, bei dem die Kunden und der Produzent gleichzeitig einen Vorteil haben. Dabei sollten die Mitarbeiter, die den Preis
festlegen, die Kostenkalkulation nicht kennen. Sonst verfallen sie leicht
in die Kalkulation: Kosten + X Prozent Gewinnaufschlag = Verkaufspreis. Der Verkaufspreis ist unabhängig von den Kosten (man kann es
gar nicht oft genug sagen). Wenn die Kosten nicht bekannt sind, haben
Abbildung 14: Preisfestlegung
Reihenfolge der
Vorgehensweise
Gewinnaufschlag
Indirekte
Kosten
Direkte
Kosten
Variante 1
Reihenfolge der
Vorgehensweise
Festgelegter
Preis
Gewinnaufschlag
Indirekte
Kosten
Vom Kunden
akzeptierter
Preis
Zielkosten
Variante 2
Preisfindung  159
die Mitarbeiter gar keine andere Möglichkeit, als den Preis über den
Nutzen festzulegen.
Bei dieser Variante gibt es zwei Fälle
Fall 1: Aufgrund niedriger Kosten (unterhalb der Zielkosten) bleibt ein
höherer Gewinn übrig. Und jetzt gilt es den Preis zu halten, anstatt als
Reaktion auf niedrigere Herstellungskosten die Preise zu senken. Dann
würden Sie Gewinn verschenken! Es ist keine Schande, mit einem TopProdukt, das zu einem entsprechenden Preis angeboten und auch verkauft
wird, überdurchschnittliche Gewinne zu erzielen. Es ist der Lohn dafür,
dass Sie die Bedürfnisse Ihrer Kunden exakt befriedigen. Somit sollte
immer ein marktgerechter Preis bei minimalen Kosten angestrebt werden.
Ein hoher Produktnutzen mit einem hohen Preis bei gleichzeitig geringen
Herstellungskosten schließt sich nicht aus. Es ist immer die Pflicht der Mitarbeiter, die Produktionskosten so niedrig wie möglich zu halten, selbstverständlich unter Einhaltung der geforderten Produkteigenschaften.
Fall 2: Mit der bestehenden Produktionsstruktur sind die Herstellungskosten so hoch, dass Sie keinen Gewinn erwirtschaften. Dann bleibt
Ihnen Folgendes zur Auswahl: entweder die Produktionskosten – bei gleicher Qualität für den Kunden – senken, oder das Produkt nicht herstellen.
Manchmal ist es trotz großer Anstrengungen nicht möglich, die Zielkosten zu erreichen. Dann lassen Sie bitte die Finger von der Produktidee.
Die Kalkulation zu »belügen« und den Preis zu erhöhen, ist der falsche
Weg. Denn wie oben gesagt: Die Höhe Ihrer Herstellungskosten ist Ihren
Kunden egal und hat keinen Einfluss auf ihre Kaufentscheidung. Preise,
die über dem Nutzen liegen, führen zu erheblichen Einbußen im Verkauf.
Daher ist bei den Herstellungskosten anzusetzen. Möglichkeiten der Senkung sind unter anderem:
•
•
•
•
•
unwichtige Funktionen reduzieren und eliminieren;
andere Materialien verwenden;
Einsparungen im Einkauf durchsetzen;
andere Form der Herstellungsprozesse wählen;
Übernahme der Fertigung von anderen Anbietern. Prüfen Sie auch, ob
Sie hier mit dem Wettbewerber zusammenarbeiten können.
Wenn jetzt die Ideen sprudeln, gestatten Sie bitte eine Frage: Aus welchen
Gründen wurden diese Maßnahmen nicht bereits in der ersten Kalkulation berücksichtigt? Maximalen Nutzen bei minimalen Kosten zu liefern
ist die Hauptaufgabe von Unternehmen.
160  Praxishandbuch Produktentwicklung
Entkoppeln Sie die Verbindung zwischen Herstellungskosten und Nutzen beziehungsweise Verkaufspreis. Wenn ein Produkt einen einzigartigen
Nutzen bietet, muss die Produktion nicht automatisch teuer sein. Es gibt
Möglichkeiten, insbesondere in noch freien Marktsegmenten, einen Nutzen zu liefern und einen hohen Preis dafür zu verlangen. Die Preisgestaltung von Wettbewerbsprodukten ist hier bewusst nicht mit einbezogen.
Sie haben nach Jack Trout sowieso nur die Wahl zwischen Differenzieren
oder Verlieren. Wenn sich Ihr Produkt nicht aus Kundensicht positiv vom
Wettbewerb unterscheidet, befinden Sie sich im Preiskampf. Da werden
die meisten Anbieter nach kurzer Zeit als Verlierer dastehen. Sofern sich
jedoch Ihr Produkt von dem der Wettbewerber positiv abhebt, sind Sie aus
der Preisvergleichbarkeit raus. Und das muss Ihr Ziel sein.
Wer sich Preissenkungen erlauben kann – und wer nicht
Es gibt immer wieder Unternehmen, die über den Preis – teilweise jedoch
nur kurz- und mittelfristig – erfolgreich werden. Das sind jedoch ganz
wenige. Langfristigen Erfolg mit günstigen Preisen haben noch weniger
Anbieter, zum Beispiel Aldi, Ikea, Ryanair, Dell (bei Ryanair und Dell
bleibt abzuwarten, wie lange der Erfolg anhält). Sofern Ihr Unternehmen
nicht zu den eben genannten zählt, lautet die Devise: Hände weg von der
Preisschraube! Die Lösung scheint ja so einfach zu sein: Preise senken und
schon geht es wieder bergauf. Das lohnt sich nur, wenn alles (aber auch
wirklich alles) im Unternehmen auf diese Preispolitik ausgerichtet ist. Eine
Preissenkung als isolierte Maßnahme führt meist ins Verderben. Wenn
jemand Preisführer ist, muss er in den internen Abläufen, in der Produktion, den Personalkosten und im Einkauf auch Kostenführer sein, sonst
wird er immer unterboten. Das ganze Unternehmen muss dann auf Kostenführerschaft ausgerichtet sein. Und zwar so gut, dass kein Konkurrent
es nachmachen kann. Erst ist die Kostenführerschaft zu erreichen, danach
ist auch die Preisführerschaft möglich. Nie umgekehrt. Preissenkungen
sind immer der letzte Schritt – das Ergebnis der Kostenführerschaft.
Jetzt werden Sie sicherlich einwenden: Es gibt doch erfolgreiche Billiganbieter. Stimmt. Aber nur sehr wenige. Und die arbeiten fast alle nach
dem gleichen Schema:
• geringe Auswahl;
• gute Basisleistung;
Preisfindung  161
• einfache Preisstruktur;
• großer Durchsatz;
• wenig Service (zum Beispiel wenig Bedienung im Laden. Bei Ikea müssen Sie die gekauften Waren selbst aus dem Lager herausnehmen, nach
Hause transportieren und zusammenbauen);
• geboten werden einzelne Produkte (Der Fokus liegt zum Beispiel bei
Aldi ganz auf den Produkten – ein Einkaufserlebnis bekommt der
Kunde nicht. Eine dauerhafte – oder zumindest über einen längeren
Zeitpunkt – gesicherte Lieferfähigkeit ist auch nicht gegeben. Bei Aldi
sind PCs häufig schon nach einer Stunde ausverkauft. Auch müssen
die Waren untereinander nicht zusammenpassen), keine Komplettsysteme;
• ein unschlagbar günstiger Preis.
Von den Anbietern im mittleren und hohen Preissegment wird genau das
Gegenteil erwartet: Viel Service (24-Stunden-Kundenservice an 365 Tagen
im Jahr, Wartung, Garantie), ein umfangreiches Sortiment, eine große
Auswahl, die Ansprache auch auf der emotionalen Ebene, Komplettlösungen statt Produkte. Low Price ist den Unternehmen vorbehalten, die
nach der Erfahrungskurve über die Masse den besten Preis bieten können.
Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen schaffen es nicht,
die Preisführerschaft über einen Zeitraum zu behaupten, ohne Verluste
einzufahren, denn ihnen fehlt die Möglichkeit zur Kostenführerschaft
wie zum Beispiel Wal-Mart und Aldi. Das Marketinginstrument Preis ist
somit für kleine und mittelständische Unternehmen keine scharfe Waffe.
Letztgenannte müssen sich über den Service, ein spezielles Produktsortiment, Individualleistungen et cetera differenzieren. Übernehmen Sie die
Nutzenführerschaft. Dann können Sie den »Riesen« überlegen sein, denn
die Massenproduktion ist insbesondere bei transportablen Gütern in Südostasien günstiger. In Deutschland wird der Stundenlohn eines Industriearbeiters mit 50 Euro berechnet, in China mit 2. Der Pharma-Hersteller
Pfizer entlastet Mitarbeiter, indem Routinearbeiten nach Indien auslagert
werden. Als nächste Revolution wird der Dacia Sandero (www.dacia.de)
mit einem Preis von 7 500 Euro beworben. Die nächsten günstigen Kleinwagen kommen jedoch aus China oder Indien für deutlich unter 5 000
Euro, zum Beispiel der Indica Vista (www.indicavista.com) von Tata. Da
sind die 7 500 Euro von Dacia schon wieder um 33 Prozent unterboten.
Es gibt pro Branche mittel- und langfristig nur einen Kostenführer und
somit meist nur ein Unternehmen, das Low Price mit Gewinn anbieten
kann. Es gibt nur ein Dell, ein Southwest Airlines, ein Wal-Mart (in den
162  Praxishandbuch Produktentwicklung
USA), ein Aldi. Diese haben Kostenvorteile in der Logistik, die den meisten Anbietern verwehrt bleiben. Somit ist es ausgeschlossen, einen Preiskrieg gegen diese Unternehmen zu gewinnen. Und wenn es einem weiteren
Großunternehmen gelingt, diese Position einzunehmen, bekommen die
oben genannten ernste Probleme, denn eine Kundenbindung erzielen diese
Unternehmen meist nicht. Die Bindung ist der Preis, bis ein anderer noch
günstiger ist. Ein kleiner Friseursalon im kalifornischen Santa Monica
bekam diesen Effekt zu spüren, als ein neuer Konkurrent seinen Preis für
einen Haarschnitt von 12 Dollar um 7 Dollar unterboten hat. Statt weiter
zu unterbieten stellte der Besitzer des kleinen Friseursalons ein Schild in
sein Schaufenster: »Wir bringen Ihren 5-Dollar-Haarschnitt wieder in
Ordnung«.
Aldi – das Paradebeispiel für Low Price
Aldi ist es gelungen, über ein straffes Sortiment und eine Top-Logistik
diese Position über Jahrzehnte zu halten. Aldi kann auch mit niedrigen
Preisen überleben, weil das Sortiment ganz klein gehalten wird. Aldi hat
statt 10 000 Artikel der üblichen Supermärkte nur 500 bis 800 im Sortiment, vieles davon sind Eigenmarken. Pro Produktgattung ist meist nur
ein Produkt vorhanden, nicht fünf Sorten Essig, zehn Sorten Senf und 20
Sorten Mineralwasser wie in anderen Supermärkten. Daher ist der Durchschnittsabsatz pro Produkt bei Aldi etwa um das Zehnfache höher als bei
anderen Supermärkten, und auch die Rendite ist um ein Vielfaches höher.
So ist die Logistik weitaus einfacher und günstiger. Ebenfalls werden
über die Mengen ganz andere Einkaufskonditionen ausgehandelt. Die
Qualitätsprüfung kann viel intensiver erfolgen, da man sich auf wenige
Produkte konzentrieren muss. Die Produkte sind auf Paletten im Geschäft
aufgestellt, das Einsortieren durch Mitarbeiter entfällt. Aldi hat schon
früh auf Einkaufswagen mit Pfand gesetzt. Dadurch übernehmen die Kunden auch die Tätigkeit des Zurückbringens. Durch die häufig gewählten
Randlagen sind die Immobilienpreise gering. Und dann folgt noch ein einfaches Preissystem mit geringer Komplexität. Denn: komplexer Rabatt +
schwache Mission = kleiner Erfolg. Einfacher Rabatt + starke Mission =
großer Erfolg. So bringt es Dieter Brandes in seinem Buch Die 11 Geheimnisse des Aldi-Erfolgs auf den Punkt. Nur durch diese Maßnahmen ist
es Aldi möglich, die Produkte zu einem günstigen Preis anzubieten und
trotzdem Gewinne zu erwirtschaften.
In den letzten Jahren ist jedoch Lidl den Aldi-Supermärkten als weiterer
Preisfindung  163
Discounter auf den Fersen. Wenn Lidl sein Sortiment konzentriert, wird
diese Kette noch schneller wachsen. Es zeigt sich: Auch der Kostenführer
kann Konkurrenz bekommen.
Ryanair hat die Flugbranche durchgeschüttelt
Je nach Vorbuchung und Flugzeit kosten die Flüge bei Ryanair ab 1 Euro
zuzüglich Flughafengebühr. Der wahre Preiskrieg! Doch Ryanair hat erst
alle Abläufe und die Produktform modifiziert – und als letzten Schritt
diese Preise festgelegt. Das System beruht unter anderem auf
• Abflügen von Flughäfen in Randlagen, weil dort die Gebühren geringer
sind;
• keine Rückerstattung von Tickets;
• kein Weiterleiten von Gepäck bei Anschlussflügen;
• keine Zeitungen und Zeitschriften im Flugzeug und keine Gepäcknetze
im Kniebereich. Hierdurch werden der Reinigungsaufwand und die
Zeit für die Entsorgung der Zeitschriften gekürzt. Außerdem wird so
die geringere Beinfreiheit durch den geringeren Abstand der Sitzreihen
etwas ausgeglichen;
• nur ein Flugzeugtyp (Boing 737);
• keine Buchungen über das Reisebüro, sondern nur Direktbuchungen.
Somit entfallen die Händlerkonditionen;
• Förderung des Onlineverkaufs;
• Speisen/Getränke im Flieger nur gegen Bezahlung;
• keine Sitzplatzreservierung;
• schlanke Struktur im eigenen Unternehmen;
• keine Bonusprogramme.
Alles wurde auf ein Minimum reduziert. Und der Preis wurde deutlich
gedrückt. Ryanair-Gründer Michael O’Leary will in der Zukunft kostenlose Flugtickets anbieten. Einnahmen will er dann von den Flughäfen,
den Städten und den Taxiunternehmen erhalten, die von der Vielzahl an
Touristen profitieren. Es ist abzuwarten, wie lange Ryanair diese Preisstruktur durchhält, zumal andere Airlines ebenfalls ein Low-Price-Segment installiert haben. In der Branche wird damit gerechnet, dass in fünf
Jahren maximal noch fünf Billig-Airlines übrig sind. Alle anderen werden
Minus eingefahren haben, da es für die Kunden immer eine noch günstigere Airline gab und die innere Kostenstruktur dem Preiskampf nicht
standgehalten hat.
164  Praxishandbuch Produktentwicklung
Das Unternehmen Eos ging genau in die andere Richtung. Statt der
üblichen 220 Plätze in der Boing 757 sind es nur 48 »Premium Suites«.
Man hat sich auf die kleine Nische der finanzkräftigen Geschäftsreisenden konzentriert.
Etap – 1 Stern zum günstigen Preis
Mit wenig Service, funktionalen Einheitszimmern und einem Bad, das
eher an eine Nasszelle im Fernzug erinnert, bietet Etap das Doppelzimmer ab 30 Euro pro Nacht an. Die Hotels sind meist in Randlagen,
was die Grundstückskosten niedrig hält, die Zimmer sind einfach und
schnell zu reinigen. Gerade für Werktätige, Jugendgruppen und Senioren
ist diese Kette mittlerweile salonfähig geworden und häufig – insbesondere zu Messezeiten – ausgebucht. Nun hat Etap in den letzten Jahren an
attraktiven Standorten die Festpreispolitik aufgegeben und erhöht zum
Wochenende und zu den Messen die Preise. Andere Hotels im Zwei- bis
Drei-Sterne-Bereich haben aufgrund der geringen Auslastung die Preise
drastisch gesenkt und sind teilweise günstiger als Etap. Es bleibt abzuwarten, ob Etap die Auslastung früherer Jahre noch halten kann.
Voraussetzungen für Sie
Somit müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein, um das Low-PriceSegment zu wählen und erfolgreich durchzusetzen:
• Sie müssen sich sicher sein, dass Sie in der Kostenführerschaft Vorteile
haben, sodass Ihre Mitbewerber nicht mitziehen können und Sie mit
niedrigen Preisen noch Gewinn einfahren (zum Beispiel dadurch, dass
Sie uneinholbare Preisvorteile in der Fertigung oder im Einkauf haben).
Diese Luxusposition bleibt wohl heute nur ganz wenigen vorbehalten;
• Sie müssen die Preise mindestens 30 Prozent (meist über 50 Prozent)
unter denen der Mitbewerber halten, damit Ihre Kunden dieses wahrnehmen. Ryanair war zu Beginn über 80 Prozent günstiger als die anderen Fluglinien.
Preisfindung  165
Preismodelle
Es gibt bereits Preismodelle, bei denen Zahler und Nutzer unterschiedliche
Personen sind. Das Produkt wird zum Beispiel an Kunden verschenkt oder
zum symbolischen Preis abgegeben, ein Dritter zahlt. Beispiele hierfür:
• kostenlos verteilte Stadtteilzeitungen. Diese werden komplett durch
Werbung finanziert;
• Flugtickets von Ryanair sind kostenlos. Einnahmen erfolgen über die
Zielflughäfen, denen kaufwillige Touristen »geliefert« werden;
• Mietwagen zum Nulltarif oder zum symbolischen Preis, zum Beispiel
bei Lauda Motion (www.laudamotion.com). Die Miete zahlen die Firmen, die auf den Autos werben;
• Reisefahrten (früher als »Kaffeefahrt« bezeichnet). Es werden immer
Verkaufsstätten und bestimmte Restaurants angefahren, von denen der
Veranstalter sich einen Teil der Kosten finanzieren lässt (fix oder variabel vom Umsatz, den die Touristen getätigt haben).
Übernehmen Sie kein Preismodell, sondern kreieren Sie Ihr eigenes, das
genau zu Ihren Kunden passt. Der Preis muss nicht pro Gramm, Zeit oder
Stück berechnet werden.
Die Preise von Produkten sind variabel und werden stündlich geändert, wie etwa bei Hotels mit ihren Angeboten im Internet. Die Preisfestlegung endet somit nicht mit Erscheinung des Produkts, sondern muss
laufend überprüft werden. Es ist jedoch zu beachten, dass der Einstiegspreis über das Preisgefüge im gesamten Lebenszyklus entscheidet. Ist
der Preis falsch festgelegt, ist dieser (insbesondere wenn er zu niedrig
angesetzt wurde) in den weiteren Phasen nicht mehr zu korrigieren. Also
sollten Sie in der Einstiegsphase nicht ängstlich agieren, wenn das Produkt einen für den Kunden herausragenden Nutzen bietet. Wenn günstigere Preise ab der Mitte des Lebenszyklus angeboten werden sollen,
dann sind reduzierte Produktvarianten zu erstellen, um das grundsätzliche Preisgefüge nicht zu gefährden. So macht es unter anderem Apple
mit den iPods, bei denen Modelle mit geringerem Speicherplatz zu einem
späteren Zeitpunkt erscheinen. So kann der Preis für das Ursprungsmodell gehalten werden.
Es gibt auch Anbieter, die den Kunden nach erbrachter Leistung überlassen, wie viel sie zahlen möchten, beispielsweise Hotels, Restaurants
und Friseure. Und man glaubt es kaum: Fast alle Kunden zahlen einen
realistischen Preis. Gerade wenn der Kunde zufrieden war und er die
Leistung zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Anspruch nehmen will,
166  Praxishandbuch Produktentwicklung
ist er geneigt, real zu zahlen. Die Kunden haben mit diesem Modell ein
gutes Gefühl, denn sie haben genauso viel gezahlt, wie ihnen das Produkt
wert war. Neben dem Reiz für die Kunden kommt noch der PR-Effekt
hinzu, da dieses Modell noch sehr selten ist.
Andere Anbieter passen ihre Preise dem Nutzen, den die Kunden vom
Produkt haben, und deren Zahlungsvermögen an. So zahlen Mieter im
Alstertaler Einkaufszentrum in Hamburg eine Grundmiete, die individuell
ausgehandelt wird (je nach zu erwartendem Umsatz pro Fläche). Es werden nicht Quadratmeter vermietet, sondern Umsatzmöglichkeit (Nutzen).
Der variable Mietanteil richtet sich dann nach dem Realumsatz. Steigt der
Umsatz im Vergleich zum Vorjahr, muss mehr gezahlt werden und umgekehrt. Einige Softwareanbieter passen Ihre Produkte nicht jedem Kunden
an, sondern liefern das Gesamtpaket und berechnen die Lizenzen und
Servicegebühren nach dem Umsatz der Kunden.
Meist wird heute noch der Preis von Waren nach der abgegebenen
Menge festgelegt (pro Stück, nach Gewicht), so früher zum Beispiel auch
beim Verkauf von Pflanzenschutzmitteln. Wurde viel Pflanzenschutzmittel benötigt, musste mehr bezahlt werden. Heute gleicht der Verkauf von
Pflanzenschutzmitteln häufig einer Dienstleistung. Es wird zwar immer
noch ein Produkt geliefert, jedoch haben Lieferant und der Landwirt das
Ziel der Erntesteigerung. Denn der Lieferant erhält 20 Prozent vom Endverkaufspreis der Ernte, mehr nicht. Je wirksamer das Mittel, desto weniger wird benötigt und desto geringer sind die Kosten für den Lieferanten.
Der Kunde will keine Produkte, auch keine Leistung. Er will Wirkung!
Der Kunde zahlt hier nicht für eine Produktmenge, sondern ausschließlich
für die Wirkung. Heute wird in vielen Branchen nur noch diese bezahlt.
Demnächst auch bei Ihnen!
Beispiele, bei denen sich höhere Preise
durchgesetzt haben
Meist ist der Marktführer auch Preisführer, das heißt der teuerste Anbieter in dem Produktsegment. Er bietet maximalen Nutzen und hat durch
den höheren Preis auch die Möglichkeit, in die Produktentwicklung zu
investieren.
Preisfindung  167
Individueller Schmuck
Eine handgefertigte Kette kostet in der Regel 50 Euro. Eine kleine Werkstatt bittet vor der Fertigung um Angaben zum späteren Besitzer inklusive
Foto von ihm. Entsprechend dieser Informationen wird die individuelle
Kette gefertigt. Der Preis dieser individuellen Produkte liegt bei 500 Euro.
Getränkepreise wie Aktien an der Börse
In einer Bar in Mannheim wird der Bierpreis wie an der Börse festgelegt.
Je mehr bestellt wird, desto höher ist der Preis. Der aktuelle Kurs ist für
alle Gäste sichtbar. Diese Echtzeitpreisbildung gibt es bereits bei einigen
Getränkeautomaten: je nach Jahreszeit, Außentemperatur und Wetterlage
wird der Preis angepasst.
Die Kategorie wechseln
Einige Unternehmen haben das Spielfeld gewechselt und sind so der
Vergleichbarkeit bei den Preisen entflohen. So wie oben beschrieben
Starbucks (kein Café, sondern der dritte Ort) oder Alessi mit seinen WCBürsten (kein Hygieneartikel aus Plastik, sondern aufgrund des Designs
ein »Zierstück«). Wirtschaftsspiele für zu Hause sind keine Spiele (Vergleich mit Gesellschaftsspielen), sondern werden mit Seminaren und
Workshops in Verbindung gebracht und entsprechend mit diesen Preisen
verglichen.
Gewöhnliches zu Luxus machen
So setzt Kettle Foods (www.kettlefoods.com) auf handgefertigte Kartoffelchips mit ausgewählten Zutaten wie Meersalz oder Balsamico-Essig.
Die Kunden können auch ihre eigene Gewürzmischung kreieren. Handgeschöpfte Schokolade zum Beispiel von Josef Zotter wird zu einem weitaus höheren Preis verkauft als die technische »Massenproduktion«.
168  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Get one« – nur eine Gurke?
Biologisch schon, vom Preis her auf keinen Fall. Das Produkt besteht
aus einer einzigen großen Gurke in einer kleinen Weißblechdose. »Get
one« (www.spreewaldhof.de) wird nicht als Gemüse vermarktet, sondern
als die gesunde Zwischenmahlzeit und Lifestyleprodukt. Statt das angestaubte Image der Sauerkonserven zu wählen, wurde hier ein Trendprodukt kreiert. Einer Vergleichbarkeit mit Gewürzgurken im Glas wurde
ausgewichen. Es wurde die Kategorie gewechselt: von der Sauerkonserve
zum Snack. Und gleichzeitig wurde der Gesundheitstrend aufgenommen.
Marktsegment sind überwiegend Jugendliche, bei denen »normale«
Sauerkonserven nicht punkten können. Nachfolgend ist eine beispielhafte
Gegenüberstellung von herkömmlichen Gewürzgurken im Glas und »Get
one« aufgeführt.
Tabelle 17: Gegenüberstellung von herkömmlichen Gewürzgurken im
Glas und »Get one«
Gewürzgurken im Glas
»Get one«
Kategorie
Sauerkonserve
Snack
Marktsegment
Familien
Ernährungsbewusste,
Jugendliche, Sportler
Verkaufsort
Supermarkt
Tankstellen, Fitnessstudios,
selten in Supermärkten
Konkurrenz
Große Auswahl anderer
vergleichbarer Sauer­
konserven
Schokolade, Chips und
Müsliriegel
Nutzen
Sättigung
Etwas Gutes für die Gesundheit tun (da kalorienarm)
Anlass
Mahlzeit
Snack für zwischendurch
Menge
Spreewaldgurken:
650 Gramm Füllmenge,
370 Gramm Abtropfgewicht
250 Gramm Füllmenge,
100 Gramm Abtropfgewicht
Preis
1,49 Euro
1,50 bis 2,20 Euro
Mit dieser neuen Positionierung konnte ein Preis verlangt werden, der im
Vergleich zu den Sauerkonserven stark überteuert ist.
Preisfindung  169
Abbildung 15: »Get one«
Kleine Utensilien
Beim Verkauf mehrerer Produkte wird meist zuerst der Verkauf des teuersten Produkts abgeschlossen (zum Beispiel der Anzug für 300 Euro).
Dagegen wirken die später angebotenen Utensilien wie Hemd und Krawatte für je 70 Euro fast wie ein Schnäppchen. Der Kunde bestätigt mit
dem Kauf der »günstigen« Nebenprodukte außerdem, dass er mit dem
Anzug die richtige Wahl getroffen hat.
Das Tagungshotel Schindlerhof
Trotz mehrerer Einbrüche in dieser Branche hat der Schindlerhof fast jedes
Jahr die Preise erhöht. Hier geht es nicht um Preiskampf, sondern um
Nutzen und Einzigartigkeit pur. Mit dieser eindeutigen Positionierung
und Ausrichtung auf die Gäste gab es zwar zu Zeiten des Branchenabsturzes eine kleine Umsatzdelle, über die Jahre hinweg jedoch kräftige
Zuwächse. Gearbeitet wird hier mit einer Preisgarantie. Feilschen ist
zwecklos. Neukunden bekommen mit dem Angebot einen Text des englischen Sozialreformers John Ruskin zugeschickt, damit sie gar nicht auf
170  Praxishandbuch Produktentwicklung
»dumme Gedanken« kommen: »Es gibt kaum etwas auf dieser Welt,
das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen und etwas billiger
verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren,
werden die gerechte Beute solcher Machenschaften. Es ist unklug, zu viel
zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie
zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen
zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal, da der gekaufte Gegenstand
die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das
niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas
hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld,
um für etwas Besseres zu bezahlen.«
Bei Befragungen von Kunden zum Schindlerhof über das Preisempfinden erhält das Unternehmen durchschnittliche Bewertungen. Die Priorität
des Preises wird von den Kunden jedoch überwiegend als unwichtig eingestuft. Es zählt hier der klare Nutzen und weniger der Preis.
Etwas noch Teureres daneben stellen
Wenn ein teures Produkt verkauft werden soll, ist ein noch teureres
daneben zu stellen. Dann wirkt erstgenanntes durch den Vergleich subjektiv günstiger. Studien haben gezeigt, dass bei zwei Ausführungen zu
unterschiedlichen Preisen das hochpreisigere Modell vermehrt verkauft
wird, wenn eine dritte, noch teurere Variante mit angeboten wird. Der
Kunde wählt dann nicht das Teuerste, aber das Billigste will er auch nicht.
Demokratisch wird das mittlere Preissegment gewählt. So gibt es häufig
»Platinserien« von Produkten, die nur dazu dienen, den Preis der anderen
Varianten geringer erscheinen zu lassen. Dass dann vereinzelt auch noch
die »Platinserie« verlangt wird, ist ein positiver Nebeneffekt.
Verknappen
Viele kennen die Episode aus Tom Sawyer von Mark Twain, in der Tom
den Zaun seiner Tante streichen sollte. Weil Tom keine Lust dazu hatte und
sich die Hänseleien seiner Freunde ersparen wollte, tat er so, als würde ihm
diese Tätigkeit so viel Freude bereiten, dass er sie mit keinem anderen teilen
wollte. Nach langen Diskussionen »gestattete« er einigen Jungs, an dieser
Freude teilzuhaben – jedoch nicht ohne die Bezahlung in Form von Äpfeln.
Preisfindung  171
Der Wert der Tätigkeit entstand also auch für die Freunde. Durfte erst ein
Junge mitstreichen, so wollten auch die anderen dazugehören. Aus einer
lästigen Arbeit wurde so eine fast unerreichbare Freude. Um den Wert einer
Ware in den Augen der Kunden zu steigern, sollte diese knapp gehalten,
aufgewertet und schwer erreichbar gemacht werden.
Wenn Sie verdeutlichen, dass Sie es mit dem Verkauf eilig haben oder
sogar verkaufen müssen, weil Ihr Lager voll ist, dann hat Ihr Kunde ein
leichtes Spiel mit Ihnen. Entscheiden Sie sich eher für die umgekehrte
Marketingstrategie und geben nach außen den Anschein, dass Sie den
Verkauf nicht unbedingt nötig haben. Hierzu gehört auch die Knappheit des Produkts, die einen Preisverfall verhindert. »Limitierte Auflage«,
»Erst ab … lieferbar«, »Nur bis zum … lieferbar«: Hiermit verknappen
Anbieter – häufig künstlich – das Angebot und steigern so den subjektiven
Wert. Es wird zusätzlich die Begehrlichkeit gesteigert, genau das Produkt
zu besitzen. Dieses Vorgehen ist insbesondere bei Luxusmodellen und bei
Sammelobjekten zu beobachten. Diese selbst auferlegten Begrenzungen
muss der Anbieter jedoch konsequent einhalten, sonst verliert er sofort
an Glaubwürdigkeit. Diese Varianten können den Ausschlag zum Kauf
geben, jedoch muss das Grundinteresse (Grundnutzen) für den Kunden
vorhanden sein. Nur mit einem »Sondermodell« lässt sich kein Kunde zum
Kauf bewegen.
Unterschiedliche Preisgestaltung an verschiedenen Orten
oder Zeiten
Der Preis kann von Ort zu Ort unterschiedlich und der Nutzen- und
Finanzstruktur der Kunden angepasst sein, insbesondere, wenn lokal
eingekauft wird (zum Beispiel Lebensmittel). Der einzige Supermarkt im
Ort kann andere Preise durchsetzen als einer von vielen in der Großstadt.
Unterschiede sind auch möglich, wenn die Nutzung sofort erfolgen soll
und nicht alle Beschaffungswege offen sind: wenn der Kunde zum Beispiel
nachts Getränke kaufen möchte. Da können Tankstellen im Vergleich
zum Supermarkt astronomische Preise durchsetzen.
Es geht auch in die andere Richtung
Grundsätzlich gilt es, von jedem Kunden so viel Geld zu fordern, wie er zu
zahlen bereit ist. Listen Sie die 20 Prozent Ihrer umsatzstärksten Kunden
172  Praxishandbuch Produktentwicklung
auf (nach dem Pareto-Prinzip liefern diese 20 Prozent ganze 80 Prozent
Ihres Umsatzes) und stellen Sie sich für jeden Kunden einzeln die Frage:
»Würde ich den Kunden verlieren, wenn ich den Preis um 1, 2, 3 Prozent, anheben würde?«. So lange die Antwort »nein« lautet, gehen Sie
weiter hoch. Wenn Sie mit Ihrem Unternehmen eine Rendite von 6 Prozent
erwirtschaften und die Preise um 3 Prozent erhöhen, ohne einen Kunden
zu verlieren, dann haben Sie Ihre Rendite um 50 Prozent gesteigert. Wenn
das Produkt sich wirklich von denen der Mitbewerber positiv abhebt und
so aus der preislichen Vergleichbarkeit raus ist, wird bei 3 Prozent Preiserhöhung in fast 100 Prozent der Fälle das Produkt weiterhin gekauft.
Auch wenn die Kunden über Preisanpassungen murren, sollten Sie sich
nicht verunsichern lassen. Denn der Kunde versucht immer, Ihr Produkt – egal wie gut es ist – für einen minimalen Preis zu erhalten. Auch
wenn heute das Geld »nicht mehr so locker sitzt«, lassen sich gerade im
b-to-b-Bereich Preise durchsetzen, die im privaten Bereich selten möglich
sind – es zahlt ja die Firma. Unmoralisch sind hohe Preise nur, wenn die
Not von Menschen ausgenutzt wird, also wenn es zum Beispiel nur einen
Anbieter lebensnotwendiger Medikamente gibt oder nur einen Lebensmittellieferanten bei Hungersnöten.
Das bitte nicht
Quersubventionen
Jedes Produkt muss sich für ein Unternehmen rechnen – und zwar positiv.
Bieten Sie nicht einige Produkte zu einem so niedrigen Preis an, sodass
Sie keinen Gewinn hiermit einfahren. Die Hoffnung, auf diesem Wege
Kunden zu erreichen, die dann auch die teuren Produkte kaufen, ist fast
immer ein Trugschluss. Zumal diese teuren Produkte überteuert sein müssen, um die Verluste durch die billigen zu kompensieren. Meist nutzen die
Kunden nur das Low-Price-Produkt und holen sich die anderen Produkte
von der Konkurrenz. Ein klassisches Modell hierfür sind PC-Drucker.
Diese werden fast verschenkt, um Kunden anzulocken, der Gewinn wird
mit den Patronen verdient. Nur schlecht, dass andere Marken passende
Patronen zu einem günstigeren Preis anbieten. Früher funktionierte dieses
Verfahren noch besser: John D. Rockefeller verschenkte Öllampen an die
Chinesen und weckte so den Bedarf an Öl, um die Lampen zum Leuchten
zu bringen. Das Öl wurde dann selbstverständlich auch von ihm geliefert.
Preisfindung  173
Damals gab es noch nicht so viele Alternativen, sich günstigere Varianten
der teuren Folgeprodukte von anderer Seite zu beschaffen.
Wenn schon in der Kalkulation abzusehen ist, dass ein Produkt keinen
Gewinn erwirtschaftet, dann muss der Nutzen für den Kunden erhöht
werden, um so einen höheren Preis durchzusetzen. Oder die Herstellungskosten sind zu reduzieren, ohne den Nutzen für den Kunden zu senken.
Kostensenkungen zur Preissenkung nutzen
Sie haben ein Produkt, was hinsichtlich des Nutzens für Ihre Kunden
positiv gegenüber den Mitbewerbern herausragt. Dann wird der von den
Kunden akzeptierte Preis ausschließlich von diesem Nutzen abhängen. Bei
einer Kostensenkung (Produktivitätssteigerung, günstiger Einkauf, andere
Einsparungen) kann somit der Preis bestehen bleiben und dadurch der
Gewinn erhöht werden. Diese zusätzlichen Einnahmen können in die Entwicklung weiterer Produkte fließen. Senken Sie bitte nicht die Preise, nur
weil die Kosten niedriger sind. Das wäre verschenkter Gewinn.
Preisverhandlungen mit den Kunden
Verhandeln Sie nie über Preise. Rabat(t) ist und bleibt eine Stadt in Marokko
und nicht mehr. Wenn ein Kunde versucht zu feilschen, verdeutlichen Sie
den Produktnutzen. Außerdem verweisen Sie auf Unternehmensrichtlinien
und Vorgaben eines obersten Ausschusses. Wenn Sie dem Kunden sagen,
Herr X hat die Preise festgelegt, dann wollen die Kunden mit Herrn X
sprechen. Wenn es ein Gremium ist (»Preiskontrollausschuss«), ist das
nicht möglich.
»Einmal ist keinmal?«. Nein, einmal zu viel! Preisnachlass im Einzelfall
ist wie ein Staudamm: Wenn man immer wieder einen Stein wegnimmt,
bricht irgendwann der ganze Damm, weil die Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen keine Richtlinie mehr haben. Wenn insbesondere Neukunden
nach Rabatten fragen, neigen viele Verkäufer zu Zugeständnissen: »Einmal ist keinmal. Später zahlt er wieder den vollen Preis«. Jedoch bleibt
das ein Traum. Einkäufer werden dafür bezahlt, so wenig wie möglich
auszugeben und Rabatte zu verhandeln, wo es nur irgendwie geht – und
zwar langfristig. Lassen Sie sich bitte nicht von Ihren Verkäufern diese
Märchen aufschwatzen. Ein Kunde, der einmal Rabatt bekommen hat,
riecht Lunte. Dann will er den Frühjahrsrabatt, Weihnachtsrabatt, Waren174  Praxishandbuch Produktentwicklung
einstandsrabatt und zu guter Letzt natürlich den Treuerabatt. Zumal er ja
schon so viel mit Rabatt gekauft hat.
Lockangebote werden meist zu Verlustgeschäften. Setzen Sie nicht den
langfristigen Wert Ihrer Produkte und Ihrer Marke für einen erhofften
kurzfristigen Umsatz aufs Spiel. Denn es gilt häufig: heute billig – morgen
insolvent.
Im Tagesgeschäft heißt es immer, wenn ein Kunde anfängt zu feilschen:
Können wir nicht in diesem Einzelfall etwas nachgeben? Entweder der
Mitarbeiter begründet das Nachgeben mit der finanziellen Situation
des potenziellen Kunden. Oder es wird argumentiert, dass der Kunde
abspringt, wenn er nicht den günstigeren Preis bekommt. Ist das alles
Quatsch? Eventuell! Wenn Sie austauschbare Leistungen bieten, ist dieses
realistisch. Ist Ihr Produkt jedoch einzigartig, dann kauft Ihr Kunde. Der
Preis ist dann Nebensache.
Wenn der Kunde nicht den vollen Preis zahlen kann beziehungsweise
nicht will, dann ist zu überlegen, wo der Anbieter die Leistung kürzt.
Lassen Sie jeden Kunden für die gleiche Leistung den gleichen Preis zahlen. Sollte ein Kunde auf einem Rabatt bestehen, dann ist es nur fair, dass
auch die Leistung gekürzt wird (Zusatzgeräte fallen weg, die Endmontage
übernimmt der Kunde oder Ähnliches). Machen Sie nie Preiszugeständnisse ohne Gegenleistung. Umgekehrt verlangen Sie bei Zusatzleistungen
immer auch einen Preisaufschlag. Oder bieten Sie andere Zahlungsmodelle
wie Raten und Leasing an. Starke Marken haben starre Regeln.
Im Low-Price-Segment »schlechte« Ware liefern
Auch bei Kampfpreisen erwartet der Kunden gute Qualität und einen
Nutzen. Abstriche beim Nutzen und der Qualität nimmt der Kunde auch
bei Billigprodukten nicht hin. Senken Sie nicht die Herstellungskosten,
wenn dadurch das Nutzenversprechen nicht mehr eingehalten werden
kann.
Immer noch mehr »draufpacken«
Insbesondere wenn der Kunde zögert oder die Produkte Ladenhüter sind,
werden oft noch Zusatzleistungen ohne Berechnung und ohne vorab zu
prüfen, ob dadurch der Wert des Produkts aus Kundensicht erhöht wird,
draufgepackt. Hierzu gehören auch die Bonusprogramme beim MenPreisfindung  175
genkauf. Gerade wenn die Bonusleistung nicht zum Kernprodukt passt,
schadet diese mehr, als dass sie den Verkauf steigert. Diese Methode hat
folgende Nachteile:
• »Was nichts kostet, ist nichts wert«. Diese Zusatzleistungen werden von
den Kunden nicht als wertsteigernd angesehen;
• im Zuge der Komplexitätsreduktion gilt hier: »Weniger ist mehr«. Die
Zusatzleistungen lenken den Kunden vom Hauptnutzen des Produkts
ab;
• der Gewinn sinkt, da den Herstellern diese Zusatzleistungen Geld kosten;
• Umsatzpotenzial wird verschenkt. Wenn die Zusatzleistungen einen
wirklichen Nutzen für den Kunden darstellen, dann ist er auch bereit
dafür zu zahlen;
• die Kunden nehmen die Zusatzleistung in Anspruch, obwohl sie keinen
Nutzen davon haben. Oder sie ignorieren diese Zusätze komplett. In
diesem Fall sind die Zusatzleistungen nicht nur kostenlos, sondern auch
umsonst.
Wenn das Kernprodukt nicht einen herausragenden Nutzen liefert, dann
bringen auch die noch so umfangreichen Zusatzleistungen nichts. Zwei
lahme Hühner zusammengebunden ergeben noch keinen Adler, und kombinierte Teile, die der Kunde nicht braucht, ergeben zusammen kein gutes
Produkt. Es ist immer zu prüfen, welche Zusatzleistungen berechnet werden können. Das sind alle, die den Kunden einen wirklichen Zusatznutzen
liefern. Die anderen können Sie ohnehin weglassen. Eine Digitalkamera
zur Kontoeröffnung einer Bank bringt nichts. Und trotzdem hebt eine
Bank dieses Präsent als Hauptnutzen auf Plakaten hervor. So wird teilweise versucht, »tote« Produkte durch Zusätze zu retten.
Auch Bonusprogramme beziehungsweise Rabattmarken führen meist
nicht zum gewünschten Erfolg. Mit dieser Belohnung der Mehrfachkäufer
kann der Verkauf maximal kurzfristig gesteigert werden. Denn wenn die
Programme erfolgreich sind, kopiert sie der Wettbewerb. Und wenn der
Kunde seine Prämie eingelöst hat, fängt er wieder bei Null an. Dann ist
die Bindung auch bei Null. Der Kunde überlegt, welches Bonusprogramm
er von welchem Anbieter neu startet.
Konzentration auf die Kosten
Viele Mitarbeiter im Unternehmen beschäftigen sich laufend damit, die
176  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kosten gering zu halten. Und das ist auch gut so. Mit Kostensenkung
kann der Gewinn kurzfristig gesteigert werden. Viel stärker sollten sich
die Mitarbeiter in den Unternehmen jedoch mit den Kundenwünschen und
den Bedürfnissen beschäftigen. Daraus Produkte zu entwickeln, ist für
den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens mit großem Abstand der
größte und langfristige Stellhebel. Wenn dann im Bereich Herstellungskosten und Produktivität nicht große Fehler gemacht werden, lässt sich
der wirtschaftliche Erfolg nicht vermeiden.
Ohne Komplettkalkulation spontan die Preise senken
Es gilt bei abnehmenden Geschäften immer noch die Wild-West-Mentalität: erst handeln (aus der Hüfte schießen), dann nachdenken. So entstehen
viele Preisaktionen, die – wenn überhaupt – ein kurzfristiges Umsatzplus
bewirken, jedoch fatale negative Auswirkungen auf die Rendite und den
Wert der Marke haben.
Hochpreissegment und Low Price unter einem Dach
Eine Marke ist entweder im Hochpreissegment oder Niedrigpreissegment
zu platzieren. Billige Produkte eines Anbieters schaden den teuren Produkten desselben Anbieters erheblich, da die günstigen Produkte auf den
Wert der teuren Produkte strahlen. Preise müssen zum Unternehmensleitbild und zu der Wahrnehmung des Unternehmens bei den Kunden passen.
Als Billigmarke wahrgenommene Anbieter können unter diesem Label
nicht auf einmal hochpreisige Produkte anbieten. Am erfolgreichsten sind
die Unternehmen, die unterschiedliche Preiskategorien auch unter verschiedenen Labeln vermarkten und nach außen komplett in der Wahrnehmung voneinander trennen. Hier gilt: »entweder oder«, nicht »sowohl
als auch«. Mitarbeiter sind entweder für die eine Marke zuständig oder
für die andere, um sich voll mit Überzeugung auf die unterschiedlichen
Preissegmente zu konzentrieren. Gleichzeitig Low-Price- und Luxus-Produkte zu entwerfen, herzustellen und zu verkaufen geht nicht. Je nach
Preissegment sind bei den Mitarbeitern andere Überzeugungen und Menschentypen notwendig.
Liegen Ihre Produkte im Hochpreissegment, dann sollten Sie diese
auch nicht bei einem Billiganbieter ins Regal stellen. Die Produkte, die
im Hochpreissegment platziert sind und von den Kunden als solche wahrPreisfindung  177
genommen werden sollen, benötigen das entsprechende Umfeld. Alles
andere würde der Akzeptanz und somit dem Verkauf schaden.
Den Preis als größtes Werbeargument einsetzen
Machen Sie den Preis nie zum Bestandteil Ihrer Positionierung. Maximaler Nutzen bei niedrigstem Preis ist natürlich die sicherste Kombination
für eine große Nachfrage. Ob dann jedoch für Ihr Unternehmen auch
noch etwas übrig bleibt, ist fraglich. Die Kunden sind begeistert und das
Unternehmen ist bankrott.
Bringen Sie die Gespräche mit Ihren Kunden auf den Nutzen des Produkts – weg vom Preisvergleich hin zum Nutzen- und Leistungsvergleich.
Wenn Sie zu sehr den Preis als Argument nutzen, laden Sie den Kunden
zum Feilschen ein.
Unterschiedliche Preise bei gleicher Leistung
Wie oben erwähnt, führt dieses nur zur Verärgerung bei den Kunden, die
den hohen Preis gezahlt haben. Unterschiedliche Preise bei unterschiedlichen Leistungen sind in Ordnung (zum Beispiel für Hotelzimmer oder
Flüge unterschiedliche Preise veranschlagen, je nachdem ob die Buchung
stornierbar beziehungsweise umbuchbar ist oder nicht).
Fragen nach dem Preis
Häufig steht in Fragebögen der Unternehmen die Frage: »Wie bewerten Sie
den Preis des Artikels: zu günstig, gerade richtig, zu teuer?«. Aus Prinzip
kreuzen die meisten Kunden »zu teuer« an, in der Hoffnung, dass viele
Kunden den gleichen Schritt tun und der Anbieter dann denkt, er müsse
die Preise senken. Viel wichtiger ist die anschließende Frage nach der
Bedeutung des Preises. Wenn der Nutzen des Produkts hoch ist – und
entsprechend auch der Preis –, dann wird dieser als hoch empfunden. Das
Produkt wird jedoch trotzdem gekauft. Somit ist immer danach die Frage
zu stellen: »Wie bedeutend ist für Ihre Kaufentscheidung X, Y, Z?«, jeweils
mit der Bewertung »unwichtig, weniger wichtig, wichtig, sehr wichtig«
(ein Bewertungspunkt darunter ist der Preis). Bei wirklich nutzwertigen
Produkten liegt die Bedeutung des Preises gegenüber den anderen Pro178  Praxishandbuch Produktentwicklung
dukteigenschaften abgeschlagen hinten. Lassen Sie diese Preisfragen somit
bitte alle weg.
Äußern die Gesprächspartner bei Marktgesprächen – egal bei welchen
Fragen – jeweils den Einwand »zu teuer«, kann dieses mehrere Ursachen
haben. Zum einen wirklich die fehlenden finanziellen Mittel, zum anderen gibt es eine günstigere Alternativlösung oder der Nutzen ist ihm noch
nicht deutlich geworden. Und dann ist da noch das Standardklagen – egal
zu welchem Preis ein Produkt angeboten wird. Grundsätzlich wird mit
Preisbefragungen der Preis künstlich in der Bedeutung angehoben, auch
wenn dieser in der Kaufentscheidung weniger von Bedeutung ist.
Preiserhöhungen über den Nutzen hinaus oder bei
austauschbaren Produkten
Nicht für alle Produkte können hohe Preise verlangt werden. Und nicht
jede Preiserhöhung führt zur Gewinnsteigerung. Bei Anbietern mit austauschbaren Produkten hätten Preiserhöhungen fatale Folgen. Das PreisLeistungs-Verhältnis muss stimmen. Es soll in diesem Kapitel nur verdeutlicht werden, dass der reine Aktionismus zur Preissenkung kein Mittel ist,
um Gewinne zu steigern. Der große Hebel ist und bleibt eine erfolgreiche
Produktentwicklung.
Preis festlegen: »Ohne Preis kein Fleiß«
Die Frage ist einerseits, welchen Preis die Kunden für das bestehende
beziehungsweise geplante Produkt bereit sind zu zahlen. Als erstes muss
also der Nutzen stehen, dann kann ein entsprechender Preis festgelegt
werden. Liefert ein Anbieter gute Ware, kann er sowohl von der verkauften Menge als auch über den Preis gut ernten. Mindestens ebenso wichtig
ist die Frage: Wie können Sie den Nutzen erhöhen, sodass die Kunden
bereit sind mehr zu zahlen? Bieten Sie nicht den geringsten Preis, sondern
das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.
Sie müssen wissen, wie sich welcher Preis auf den Absatz auswirkt. Das
können Sie entweder über Schätzungen und Tests oder Befragungen und
Beobachtungen (was der Kunde sonst noch alles in welchem Preissegment
kauft) herausfinden. Nutzen Sie viele Quellen, denn das Thema Preis ist zu
wichtig, als dass die Festlegung auf eine Methode gestützt werden kann.
Preisfindung  179
Interne Schätzungen sind dabei die unsicherste Methode, denn diese beruhen mehr auf Ideologie statt auf Realität.
Wenn Ihr neues Produkt einen hohen Nutzen für Ihre Kunden hat und
diese bereit sind, einen hohen Preis zu zahlen, dann verlangen Sie diesen
Preis – und zwar unabhängig von Ihren niedrigen Herstellungskosten. Es
ist doch nicht verboten oder unanständig, eine hohe Gewinnmarge zu
haben. Bei einem Top-Produkt dürfen doch alle davon profitieren. Den
Überschuss, den Sie jetzt haben, können Sie zum Beispiel in neue Produktentwicklung stecken. Oder – was leider nicht zu vermeiden ist – zum Auffangen von Produktideen, die nicht den erwarteten Ertrag gebracht haben.
In Marktgesprächen
Erhalten Sie in den Marktgesprächen zur Zufriedenheit von Produkten
den Hinweis »zu teuer«, dann fragen Sie: »Was muss das Produkt enthalten beziehungsweise welche Eigenschaften müsste es zusätzlich haben,
damit es den Preis wert ist?«. Die hieraus resultierenden Antworten
sind meist die Produkteigenschaften, auf die es den Kunden wirklich
ankommt und die letztendlich kaufentscheidend sind. Die Antworten
auf diese Fragen bringen mehr Informationen als auf die Frage »Wie viel
wären Sie bereit zu zahlen?«. Denn hier werden meist utopische Kleinstbeträge genannt.
Preisbefragungen
Wenn doch mal eine Befragung zum Preis getätigt werden soll, ist die
Conjoint-Analyse eine mögliche Methode. Hier werden in verschiedenen
Kombinationen jeweils zwei Produkteigenschaften (Marke, Funktionen,
Preis et cetera) gegenüber gestellt und der Proband nach seiner Präferenz
gefragt. Es sind jedoch Antworten unter »Laborbedingungen«.
Oder lassen Sie Ihre Kunden den Preis für Ihre Neuprodukte schätzen.
Sind diese Werte deutlich über Ihrem aktuellen Preis, dann haben Sie im
Preis (und somit Gewinn) noch Luft nach oben.
Fragen Sie Ihre Kunden, wie hoch der Nutzen des Produkts für sie ist.
Das Ziel ist es, den Preis genau da anzusetzen, wo er leicht unter dem Produktwert für den Kunden liegt. Dann sind beide Seiten zufrieden. Nicht
fragen: »Wie hoch darf der Preis sein?«, sondern »Was ist es Ihnen wert?«,
»Wie hoch ist Ihr Nutzen von dem Produkt?«.
180  Praxishandbuch Produktentwicklung
Den Produktwert für den Kunden schätzen
Der Preis lässt sich am besten festlegen und auch dem Kunden kommunizieren, wenn der Nutzen für den Kunden quantifiziert werden kann. Bringen
Sie hierzu den Wert Ihrer Produkte für den Kunden entlang der gesamten
Wertschöpfungskette in Erfahrung, zum Beispiel wie viel Zusatzumsatz
er durch Ihr Produkt macht beziehungsweise wie viel Kosten er spart.
Dieser Wert muss jeweils höher als der Kaufpreis sein, sollte jedoch nicht
zu groß sein. Wobei zu beachten ist: Für die Kaufentscheidung zählt der
vom Kunden wahrgenommene Nutzen, nicht der objektive.
Die meisten Unternehmen haben viel zu wenige Informationen über
ihre Kunden und somit wissen sie auch nicht, welchen Preis sie zu zahlen
bereit sind. Die Preisfestlegung ist häufig ein Stochern im Nebel.
Der Preistest
Sofern Sie die Kunden in Ihrem Marktsegment zeitweise trennen können
und kein Kontakt untereinander besteht, kann in der Phase des Produkttests auch die Preisakzeptanz erfasst werden: Zwei Gruppen wird
ein Produkt zu unterschiedlichen Preisen angeboten. In die anschließende
Auswertung sind die Anzahl der Bestellungen beziehungsweise Käufe,
Umsatz und Gewinn einzubeziehen, um abschließend den optimalen
Preis festzulegen. Dieses Testergebnis hat mehr Aussagekraft als jedes
Bauchgefühl.
Preisgrenzen beachten
Im Businessbereich ist über Marktgespräche zu erfassen, ob Preisgrenzen
beim Kunden vorliegen. Gerade in Behörden gibt es Grenzen, bis zu welchem Preis Einkäufe getätigt werden dürfen. Und das ist unabhängig vom
Nutzen des Produkts. Diese müssen bekannt sein und auch bei der Preisfestlegung berücksichtigt werden. Benötigt Ihr Kunde erst einmal fünf
Unterschriften für seine Bestellung und muss sich einem Spießrutenlauf
unterziehen, so stehen die Chancen schlecht, dass es zu einer Bestellung
kommt. Hier ist ausnahmsweise zu prüfen, ob durch eine leichte Senkung
unterhalb der Preisgrenze geblieben werden kann, oder ob das Produkt
in einzelne Einheiten mit separaten Preisen geteilt wird und so die Einzelpreise unter der Höchstgrenze liegen. Andererseits bekommen in vielen
Preisfindung  181
Unternehmen Mitarbeiter eher hochpreisige Anschaffungen als Kleinstausgaben für Büromaterial genehmigt.
Preissenkung: wenn, dann richtig
Überlegen Sie nicht, wie Sie die Preise der Mitbewerber um 0,5 Prozent
unterbieten können. Wenn Preissenkung, dann über Prozessmusterwechsel die Herstellung revolutionieren und Preise um mindestens 50 Prozent
senken (siehe Billig-Airlines). Alles andere ist Preiskampf und Sandkastenspielerei. Jedoch gilt auch hier: Die Marktanteile können so kurzfristig
gesteigert werden, die langfristige Rendite ist jedoch fraglich.
Preisanpassung
Viele Preise haben – sofern es keine vergleichbare Problemlösung gibt oder
die eigene besser ist – nach oben etwas Luft. Nutzen Sie dieses. Bei jeder Produktverbesserung ist ebenfalls der Preis nach oben anzupassen. Die meisten
Unternehmen hinterfragen zwar den Preis bei verlorenen Kundenbeziehungen
oder nicht erhaltenen Aufträgen. Nur: Welches Unternehmen stellt umgekehrt
die Frage bei erhaltenen Aufträgen: »War der Preis zu niedrig angesetzt? Wie
viel höher hätte der Preis sein können, um immer noch den Auftrag zu erhalten? Wurde Preispotenzial verschenkt?«. Dieses sollte ebenso Pflicht sein.
Neben kleinen Preisanpassungen ist zu überlegen: Wie muss die Lösung
sein, damit der Kunde mindestens 50 Prozent mehr zahlt? So haben es
Starbucks und Apple vorgemacht. Sie haben eine ganz neue Kategorie
geschaffen, um das Bedürfnis auf eine ganz andere Art und Weise zu
befriedigen, damit keine Preisvergleiche mehr möglich sind.
»Den Elefanten essbar machen«
Wenn der Preis für den Einmalkauf zu hoch erscheint, dann zerlegen Sie
das Produkt in Einzelteile. Dieses wird häufig bei vielen Sammelobjekten
wie Figuren aus Überraschungseiern oder Panini-Fußballbildern vorgenommen, wenn dem Kunden einige Figuren beziehungsweise Bilder
mehrfach vorliegen, andere jedoch immer noch fehlen. Für den späteren
insgesamt gezahlten Preis, um die Serie komplett zu haben, hätte fast
keiner am Anfang gekauft.
182  Praxishandbuch Produktentwicklung
Der Preis muss nicht für alle Kunden akzeptabel sein
Suchen Sie nicht den Preiskorridor der Masse, sondern den Korridor, in
dem mit dem Preis der höchste Gewinn erzielt werden kann.
Produkte einbeziehen, die das gleiche Problem lösen
Kunden vergleichen den Preis nicht nur mit den Produkten derselben
Kategorie, sondern darüber hinaus auch mit ganz anderen Produkten,
die dasselbe Problem lösen. Ist das komplette Alleinstellungsmerkmal
für Ihr Produkt nicht gegeben, sind somit die Preise der konkurrierenden
Lösungen einzubeziehen. Sichten Sie hierfür nicht nur die Lösungen aus
der eigenen Branche, sondern auch aus Branchen, in denen die Produkte
das gleiche Problem lösen. Der Autohersteller Ford hatte früher als Konkurrenz die Pferdekutsche, die ebenfalls als Fortbewegungsmittel für
mehrere Personen geeignet war. Er hat sich somit bei seiner Preisfestlegung an den Preisen für Pferdekutschen orientiert. Fluglinien dürfen
nicht nur die Preise untereinander vergleichen, sondern müssen auch die
Preise für Bahnfahrt und Auto einbeziehen. Gerade bei kurzen Strecken
ist die Zeitersparnis für Flüge gering und die anderen Verkehrsmittel sind
eine Alternative.
Bietet das eigene Produkt Unterschiede gegenüber den Wettbewerbsprodukten, so kann die folgende Formel eingesetzt werden:
Festzulegender Preis für das eigene Produkt = Preis eines vergleichbaren
Produkts + Zusatzwert des eigenen Produkts durch Differenzierung –
Wert der Differenzierung des Konkurrenzprodukts.
Die Werte der Differenzierungsmerkmale aus Kundensicht können nur
durch Gespräche mit den Kunden und durch Beobachtung der Kunden
erfahren werden.
Die Motive der Preisfestsetzung bei den Wettbewerbern erfahren
Der eigene Preis ist nicht blind an dem der Konkurrenz auszurichten. Die
Motive für die Preisfestsetzung der Konkurrenz müssen vorab analysiert
werden, um diese einzuschätzen und entsprechend reagieren zu können.
Mögliche Motive zur Preisfestsetzung beim Wettbewerber sind unter
anderem:
Preisfindung  183
• blindes Haschen nach Marktanteilen, egal mit welchen Folgen;
• das Produkt ist nur Lockangebot, ohne Ziel des Gewinns. Die Hoffnung ist, später bei den Kunden mit Nachfolgeprodukten einen Gewinn
zu erzielen;
• der Anbieter will mit aller Kraft in den Markt;
• das Unternehmen soll verkauft werden. Es zählt, die »Braut schön zu
machen«;
• der Mitbewerber hat sich verkalkuliert (was nie auszuschließen ist);
• der Mitbewerber hat eine andere Kostenstruktur.
Für unterschiedliche Bedürfnisse verschiedene Produkte zu
unterschiedlichen Preisen
Wenn Sie in Ihrem Marktsegment einige Untersegmente mit differierenden
Bedürfnissen haben, kann es sinnvoll sein, unterschiedliche Ausführungen zu unterschiedlichen Preisen anzubieten. Bei nur einem Preis wäre der
Effekt, dass einige Kunden nicht kaufen, da das Produkt im Verhältnis
zum Nutzen zu teuer ist. Andere Kunden hätten jedoch auch noch mehr
gezahlt, da der Nutzen für sie sehr hoch ist. Hier wird bei gleichen Ausführungen Geld verschenkt. Die Kunst besteht darin, den maximalen Preis
pro Kunde zu erzielen. Hier bieten sich Unterschiede zum Beispiel im Nutzungsumfang (gleiches Produkt, jedoch je nach Umfang der Freischaltung
unterschiedliche Preise), im unterschiedlichen Funktionsumfang oder
unterschiedliche Preise je Bestellweg/Serviceumfang/Servicegeschwindigkeit/Garantie sowie bei unterschiedlicher Finanzierungen (Raten) an.
Manchen Kunden reicht die Minimalversion ohne Service, für andere
gehört das Produkt zu den »lebenswichtigen« Dingen, es muss jederzeit zu
100 Prozent funktionieren. Somit haben Sie je Variante unterschiedliche
Herstellungskosten, wodurch unterschiedliche Preise jeweils rentabel sein
können.
Veröffentlichen Sie eine Preisgarantie –
und halten Sie diese auch ein
So wird es im bereits erwähnten Seminar- und Tagungshotel Schindlerhof
in Nürnberg gemacht. In der Preisliste im Prospekt und an allen Orten im
Hotel, an denen der Kunden auf die Idee kommen könnte zu feilschen,
steht: »Liebe Gäste und Freunde unseres Hauses! Wir garantieren Ihnen,
184  Praxishandbuch Produktentwicklung
dass niemand unsere Gastfreundschaft zu einem anderen Preis erhält als
Sie! Mit gastfreundlichen Grüßen, Renate und Klaus Kobjoll.«
Sie werden sehen: Die Anzahl der Rabattanfragen geht drastisch
zurück. So lange die Kunden wissen, dass alle den gleichen Preis zahlen,
sind sie zufrieden und kommen nicht so sehr auf die Idee zu feilschen.
Positionieren Sie Ihre Preisgarantie an jeder Stelle, an der Ihre Kunden
auf »dumme Gedanken« kommen könnten. Drucken Sie die Preisgarantie
auf die Rückseite Ihrer schriftlichen Angebote, hängen Sie diese in Ihren
Verkaufsräumen aus und so weiter.
Kunden versuchen zu feilschen, wenn
• sie erahnen, dass es Aussicht auf Erfolg hat;
• sie erahnen, dass andere Kunden für das Produkt weniger bezahlt haben
beziehungsweise bezahlen werden;
• der Preis höher ist als der Nutzen für den Kunden;
• es ein vergleichbares Produkt bei einem Mitbewerber zu einem günstigeren Preis gibt.
Es liegt in Ihrer Hand, diese vier Ansätze von Beginn an zu entschärfen.
Wie wichtig ist der Preis wirklich?
Prüfen Sie, wie hoch der Anteil der Kosten Ihres Produkts an den Gesamtkosten bei Ihren Kunden ist. Meist beträgt der Anteil Ihres Produkts unter
10 oder gar weit unter 1 Prozent seiner Ausgaben. Dann beeinflussen Ihre
Produktpreise und Preisanpassungen auch nicht den Erfolgsfaktor Ihrer
Kunden. Der Einkaufspreis stellt lediglich bei Einkäufern einen Erfolgsfaktor dar, da diese als Hauptaufgabe haben, so günstig wie möglich Produkte zu beschaffen.
Beziehen Sie Ihre Mitarbeiter mit ein
Verdeutlichen Sie Ihren Mitarbeitern, welche Negativspirale durch Preissenkungen und Rabatte ausgelöst wird. Geben Sie Anti-Rabatt-Prämien
(Umsatz zum Listenpreis) oder zum Deckungsbeitrag, keine Provisionen
zum Gesamtumsatz. Nur auf den Umsatz ausgerichtete Prämien fördern
Rabatte, wenn der Kunde zögert. Und zahlen Sie Prämien anhand einer
erzielten Wiederkaufsrate. Denn nur wenn der Kunde richtig beraten, das
Produkt nicht aufgeschwätzt wurde und er zufrieden ist, kauft er wieder.
Preisfindung  185
Geistreiches und Zitiertes
»Wenn möglich, wenden Sie Value Pricing an. Aggressives Pricing lohnt sich
nur, wenn Ihre Kosten dauerhaft niedrig sind.«
Hermann Simon
»Es gibt grundsätzlich die Chance, mit niedrigen Kosten und Preisen erfolgreich zu sein. Aber nur wenige Unternehmen sind dieser Herausforderung
gewachsen. Wer mit niedrigen Preisen Geld verdienen will, muss seine
gesamte Strategie (Produktion, Marketing, Kultur) auf Sparsamkeit trimmen
und seine Kunden verdammt gut kennen.«
Hermann Simon
»In a competitive war, the atomic bomb and price are subject to the same
limitation. Both can only be used once.«
Hermann Simon
»Value-to-Customer ist die entscheidende Determinante des Preises. Deshalb
kommt es darauf an, den Value-to-Customer tiefgründig zu verstehen und
präzise zu messen.«
Hermann Simon
»Wer nichts besser tut als andere, muss sich nicht wundern, wenn er austauschbar und erpressbar ist und sich auf einen heillosen Preiskampf einstellen muss.«
Kerstin Friedrich in Erfolgreich durch Spezialisierung
»Menschenkenner haben immer gewusst, dass man den Leuten eine teure
Sache leichter verkaufen kann als eine billige.«
William Somerset Maugham
»Preispolarisierung: Gewinnen Sie, indem Sie Ihre Preise nach oben katapultieren oder in den Keller schicken.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking
»Es stimmt nicht, dass die Kosten die Preise bestimmen. Die im Markt
erzielbaren Preise definieren die Kosten, die man sich leisten kann«
Rainer Megerle
»Wir müssen am Standort Deutschland immer so viel besser sein, wie wir
teuer sind.«
Rupert Stadler
186  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Die teure Hose kommt vom Markenhersteller. Deshalb löst sie im Gehirn
eine ähnliche Reaktion aus wie ein Drogenrausch.«
FAZ, 18.11.2007 im Artikel
»Warum gibt es Jeans für 9 und für 900 Euro?«.
»Es gibt viele Gründe für Kunden einen höheren Preis zu bezahlen … allerdings muss ein Unternehmen diese auch bieten.«
Cay von Fournier
»Billigangebote sind die letzte Möglichkeit eines Produktentwicklers oder
Marketingexperten, dem die Ideen ausgegangen sind.«
Seth Godin in Purple Cow
»Wo kein Reiz, da regiert der Geiz.«
Klaus-Dieter Koch in Reiz ist geil
»Der Preis ist tot. Als alleiniges Differenzierungsmerkmal hat er definitiv
ausgedient, das ist vorbei.«
David Bosshart
»Wenn Sie den Preis mit der Zahl 2 multiplizieren, könnte ich Ihnen einen
Rabatt von 50 Prozent geben.«
unbekannt
»Nichts ist so erotisch wie hoher Nutzen zu sündhaft hohen Preisen.«
Reinhard K. Sprenger
»Die Kunden werden in dem Maße für ›Billiganbieter‹ empfänglich sein, wie
die Marktführer ihnen kein klares Gegenargument liefern.«
Tom Peters in Re-imagine
»Viele Bauherren haben es sich zur Gewohnheit gemacht, Prominenten
besondere Konditionen einzuräumen; für mich ist das ein Zeichen von
Schwäche.«
Donald Trump in Trump. Die Kunst des Erfolges
»Die einfachste Regel für den Verkauf heißt, dass man mehr verlangt.
Mehr als man vorher bekommen hat, mehr als der Kunde meint, mehr als
Sie selbst in Ihrer Unsicherheit zu verdienen glauben.«
Bob Fifer in Was zählt ist der Gewinn
Preisfindung  187
»Smarte, bedienerfreundliche Produkte. Punktgenaue Dienstleistungen.
Wohldesignte Erlebnisräume. Authentische Wellness- und Selfness-Landschaften. Wetten, dass Kunden dafür jede Menge Geld bezahlen würden?
Wenn man es ihnen denn anböte.«
Matthias Horx
»Im Luxussegment darf man auch mit nichts und niemandem vergleichbar
sein.«
Wendelin Wiedeking
»Wer keine deutlichen, schwer kopierbaren und dauernd beweisbaren Wettbewerbsvorteile aufweist, kann den Wettbewerb nur über den Preis führen.«
Klaus Kobjoll
»Während Strategien für Nischenmärkte und höherwertige Produkte zunehmend Trumpf sind, können Hersteller mit Niedrigkosten erfolgreich sein.
Ein von Zaudern diktierter ›Mittelweg‹ führt meist in die Katastrophe.«
Tom Peters in Kreatives Chaos
»Das unprofilierte Mittelfeld der Branche gerät unter Druck und wird morgen oder übermorgen verschwunden sein.«
Holger Zwink
»Niedrige Preise und hohe Gewinne kommen selten zusammen.«
Peter F. Drucker
»Preise senken kann jeder. Aber man braucht Genialität, Zuversicht und
Hartnäckigkeit, um eine Marke aufzubauen.«
Jack Trout in Differenzieren oder verlieren
»Wer vom Preis lebt, kann auch am Preis sterben – und das vor allem in einer
Branche, in der es von virtuellen und realen Konkurrenten nur so wimmelt.«
Jack Trout in Differenzieren oder Verlieren
»Ware verschenken ist der sicherste Weg, Zeitfresser anzulocken und Geld
für Leute auszugeben, die nicht gewillt sind, sich zu revanchieren.«
Timothy Ferriss in Die 4-Stunden-Woche
»Wir sind der Meinung, dass das Prinzip des kleinen Preises und das des
kleinen Warenangebots untrennbar miteinander verbunden sind.«
Theo Albrecht
188  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Sie sind ein Verbraucher der Post-Konsum-Ära. Sie haben alles, was Sie
brauchen, und fast alles, was Sie haben wollen. Außer Zeit.«
Seth Godin in Purple Cow
»Guter Rat ist teuer. Aber nicht jeder teure Rat ist gut.«
Hartmut Rau
»Das Ziel eines gewinnorientierten Unternehmens ist jedoch nicht die maximale Differenzierung, sondern die Bereitstellung von Differenzierungskomponenten, die der Kunde nicht kostenlos bekommt, und zu deren Bezahlung
er bereit ist.«
Bob Fifer in Was zählt ist der Gewinn
Preisfindung  189
Kapitel 10
Fokussierung: spitz statt breit
Fragt man einen Unternehmer nach seinem Geschäftsfeld, erzählt er meist
mit geschwellter Brust, dass er den gesamten Markt bedient und wie groß
und vielseitig er ist. In der Realität wird so jedoch nur ein bisschen Nutzen
für möglichst viele Kunden geboten. Der Preis ist in der Mitte, um nichts
falsch zu machen. Der breiten Masse wird ein Einheitsprodukt geboten,
was jedem – aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse – hier und dort
etwas Nutzen liefert. In dieser Mitte verlieren fast alle Unternehmen nur
Geld. Jedes Unternehmen hat nur ein gewisses Maß an Ressourcen zur
Verfügung (die Mitarbeiter, die Kenntnisse, die finanziellen Mittel). Nun
könnten diese auf viele Marktsegmente und viele Produkte verteilt werden.
Das ist das Gießkannenprinzip: ein paar Tropfen für möglichst Viele. Nur
blüht damit nichts auf. Besser ist es, die Mitte zu verlassen und eine eindeutige Position im Premium-Nischen-Segment zu beziehen. Lieber Hecht
im Karpfenteich als Wal im Pazifik. Lieber Champion in der Nische sein,
als Mitläufer im großen Markt. Das Discount-Massen-Segment können
sich nur die großen Unternehmen mit einer dicken Finanzdecke leisten. Es
ist für die meisten Unternehmen keine Alternative.
Verzichten Sie auf Kunden
Wem möchten Sie Ihre Produkte verkaufen? Nun sagen Sie bitte nicht
»allen«. Mit dem Argument »Wir wissen ja nicht, wer in den Laden kommt
und was er will« versuchen viele Anbieter, jedem etwas zu bieten und nach
allen Seiten offen zu bleiben. Aber: »Wer nach allen Seiten offen ist, kann
nicht ganz dicht sein«. Oder anders ausgedrückt: »Everybody’s Darling is
everybody’s Depp«. Ein Unternehmen kann es nicht allen Menschen recht
machen. Wenn ein Produkt für alle Kunden gleich gültig ist, dann ist es
gleichgültig. Wenn Sie alle ansprechen wollen, dann fühlt sich keiner richtig angesprochen und alle hören weg. Wenn jeder der Kunde sein kann,
190  Praxishandbuch Produktentwicklung
dann ist niemand der Käufer. Wenn ein Unternehmen hingegen 1 Prozent
der Bevölkerung eine Träumlösung anbietet, dann sind dieses in Deutschland circa 800 000 Personen. Das reicht den meisten Anbietern als Marktsegment. Fallen jetzt noch die Grenzen durch das Internet (Informationen
und Bestellung), so reichen Promilleanteile aus, um astronomische Marktsegmente zu selektieren. Bieten Sie nicht allen etwas, sondern wenigen viel
(die komplette Bedürfnisbefriedigung).
Verzichten Sie auf Kunden außerhalb Ihres engen Marktsegments und
auf unrentable Produkte und setzen Sie die frei werdenden Ressourcen
lieber anderweitig ein. Fokussieren Sie Ihr Unternehmen auf die profitablen Kunden. Gemäß dem Pareto-Gesetz werden mit 20 Prozent der
Kunden/Produkte 80 Prozent des Umsatzes erwirtschaft. Die restlichen
80 Prozent tragen häufig noch nicht einmal zum Deckungsbeitrag bei.
Mehr Kunden bedeuten nicht gleich mehr Gewinn. Konzentrieren Sie Ihre
Zeit und Ihr Geld auf Ihre Topkunden, denen Sie mit Ihrer Spezialisierung
einen herausragenden Nutzen bieten können und die auch bereit sind,
dafür zu zahlen. Gewinne werden im Kerngeschäft erwirtschaftet. Produktentwickler sind Trüffelschweine: Sie greifen selektiv das Wertvollste
heraus und lassen den Rest liegen.
Sie werden immer feststellen, dass Ihr auf eine spitze Kundengruppe
ausgerichtetes Produkt auch von anderen Personen gekauft wird. Lassen Sie es zu. Kunden am Rande oder außerhalb des Segments dürfen
zwar bestellen und werden auch beliefert. Es ist aber zu beachten, dass
diesen Randgruppen nicht ein optimaler Nutzen geliefert werden kann,
die Werbekosten und der Servicebedarf überproportional hoch sind und
der Umsatz gering. Entscheiden Sie, welche Kunden Sie haben möchten
und welche nicht. Eine Kundengruppe, die über Jahre keinen Ertrag
bringt, wird dieses mit größter Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft
nicht tun. In Unternehmen trennt man sich von Mitarbeitern, die nicht
zum Unternehmen passen. Dieses Vorgehen ist bei den Kunden weitaus
notwendiger. Verwässern Sie nicht Ihr Produkt, nur um eventuell noch
weitere Kunden abgreifen zu können. Ihre Kernkundengruppe würde Sie
abstrafen.
Die notwendige Größe der Kundengruppe hängt ab von
•
•
•
•
•
Bestellquote;
Rückgabeverhalten/Reklamationsverhalten;
Preis;
Anzahl der Käufe je Zeiteinheit;
Zahlungsbereitschaft.
Fokussierung: spitz statt breit  191
Wenn Sie eine hohe Bestellquote bei einem hohen bezahlten Preis haben,
dann kann die absolute Kundengruppe auch sehr klein sein, um Gewinne
zu erwirtschaften.
Umsatz oder Rendite
Wenn Sie Gewinn machen wollen, dann verabschieden Sie sich von der
Fokussierung auf den Umsatz. Umsatz um jeden Preis, das heißt die Produkte an möglichst Viele zu verkaufen, bedeutet, dass Unternehmen an
die Randbereiche gehen, Zugeständnisse im Preis machen und den Werbedruck erhöhen. Das sind drei Maßnahmen, die Umsatz bringen, aber
die Kosten übersteigen den Umsatz häufig. Eine Wiederkaufrate ist hier
außerdem sehr gering. Zum Wohle des Gewinns sollten die Unternehmen
auf diese unprofitablen Kunden verzichten.
Meist wird mehr Rendite durch weniger Umsatz und einen geringeren
Marktanteil im Gesamtmarkt, jedoch ein weitaus höherer Marktanteil im
Nischenmarkt erzeugt.
Gegenüberstellung von spitzen und breiten Produkten
Tabelle 18: Gegenüberstellung von spitz und breit
Spitz
Breit
Anwalt als Spezialist für Verkehrsdelikte mit Trunkenheit
Anwalt für alle Rechtsfragen
Facharzt für Pollenallergiker
Facharzt für Präventivmedizin
Allgemeinmediziner
Hotel für Erholungsurlaub von Erwachsenen ohne Kinder
Hotel für Erlebnisurlaub von Eltern mit
Kindern
Hotel (Die meisten Ferienziele sind austauschbar geworden. Hunderte bieten Sonne, Strand
und Meer mit Pool, Bar, Abendprogramm und
Buffet. Eins ist wie das andere. Da geht es nur
noch über den Preis)
Vermögensverwalter für Vermögen ab
10 Millionen Euro mit Schwerpunkt
Aktien in Ostasien
Anbieter für die Zusatzrente im Alter für
Angestellte im unteren Lohnsegment
Finanzberater
192  Praxishandbuch Produktentwicklung
Anbieter für Kreuzfahrtreisen in der
Karibik
Reisebüro
Hersteller von Spülmaschinen für die
Großgastronomie
Hersteller von Spülmaschinen
Einrichter für Arztpraxen
Büroausstatter
EDV-Systeme für Bekleidungsgeschäfte
EDV-Kundenverwaltungen
Aldi (wenig Artikel)
Rewe, Edeka
Einige Beispiele vertieft:
• Zum Hausarzt gehen die Leute meist, wenn sie nicht ernsthaft erkrankt
sind. Wenn doch, werden sie gleich zum Spezialisten überwiesen: innere
Medizin, Orthopäde et cetera;
• zu wem gehen Sie bei Rechtsstreitigkeiten? Zum »Wald und Wiesen«Anwalt um die Ecke, der morgens eine Scheidung vertritt, mittags einen
Verkehrsunfall und am Nachmittag einen Einbruch? Oder zu dem, der
sich auf Ihren Problemfall spezialisiert hat (zum Beispiel Erbschaftsangelegenheiten, Entzug des Führerscheins oder Urheberstreitigkeiten), sich dort einen Namen gemacht hat und andere Fälle gar nicht
annimmt? Sie gehen wohl zu Letzterem. Mandanten akzeptieren nur
Spezialisten und schreiben auch nur diesen die geforderte Kompetenz
zu;
• die Gegenüberstellung von Aldi und anderen Supermärkten verdeutlichen dieses noch mehr. Aldi hat ein enges Sortiment (circa 500 Artikel),
ein Supermarkt in Deutschland über 10 000 Artikel im Markt. Die Brüder Albrecht, Gründer von Aldi, zählen laut Forbes-Statistik 2009 zu
den zehn reichsten Menschen der Welt.
Spitz bedeutet, dass das Produkt in seinem Nutzen fokussiert ist und nur
einer kleinen Gruppe einen maximalen Nutzen liefert.
Früher
Früher ging es in Marketing und Vertrieb insbesondere darum, ein Produkt an eine möglichst große Gruppe zu verkaufen. Große Gruppen
wurden gleichgesetzt mit großer Stückzahl. Es entstanden multifunktionale Massenprodukte. Was dabei herauskam, war ein kleiner Nutzen
Fokussierung: spitz statt breit  193
für eine große Gruppe. Diese Produkte wurden von mehreren Anbietern
produziert und waren austauschbar. Mit Me-too-Produkten zu wachsen
geht jedoch nur in ebenfalls wachsenden Märkten und ist lediglich bei
schwacher Konkurrenz möglich.
Aus Mangel an guten Ideen für das Produkt wurden viele zusätzliche
»Spielereien« zum Kernprodukt mitgeliefert. Das waren beispielsweise
Clubkarten (zu welchem Nutzen auch immer), kostenlose 24-StundenHotlines oder ergänzende Tools. Das sind jedoch alles vergebliche Hilferufe, weil die Ideen zu einem wirklich passenden Produkt fehlen. Lassen
Sie die Zusatzprodukte weg. Diese retten kein mäßiges Hauptprodukt.
Heute
Massenmarketing war gestern, Mikrokosmos ist heute. Speziell schlägt
allgemein. Das Ende der »eierlegenden Wollmilchsau – tieftaucherfahren
und höhenerprobt« ist längst vorbei. Die Welt sucht nach Spezialisten. Es
geht in die Extreme:
• »Aldisierung« vs. Luxus/Status;
• rationale Problemlösung vs. Emotion/Erlebnis;
• schlank um jeden Preis vs. Genuss.
Und die Kunden von heute sind hybrid und hüpfen von einer Sekunde zur
nächsten in das andere Extrem.
Massenprodukte sind immer Kompromisse. Es muss für alle einigermaßen passen, individuelle Bedürfnisse müssen zurückgesteckt werden.
Nur: Dem Kunden ist es egal, dass so ein »Kompro-Mist«-Produkt auch
für andere interessant ist. Er will – und zahlt nur – für seine Traumlösung.
Sie können als Anbieter nur Erfolg haben, wenn Sie aus der Sicht Ihrer
Kunden etwas deutlich besser können und einen höheren Nutzen liefern
als Ihre Mitbewerber. Den Generalisten wird dieses heutzutage nicht
mehr zugetraut. Wer sich konzentriert, der wächst. Wer sich verzettelt,
der schrumpft. Auch im Sport können nicht überall Spitzenleistungen
erbracht werden: Die Sieger im Zehnkampf würden sich für die Einzeldisziplinen nicht einmal qualifizieren. Die Zehnkämpferunternehmen bieten
eine breite Produktpalette mit universell einsetzbaren Produkten und werden in allen Segmenten von Spezialisten überholt. Spitzenleistung = spitz.
Heute müssen die Produkte und die Unternehmen wendige Schnellboote sein, keine Ozeantanker. Letztgenannte brauchen auf dem Meer
194  Praxishandbuch Produktentwicklung
mehrere Kilometer, um zum Stehen zu kommen beziehungsweise den Kurs
zu ändern. Dinosaurier haben nicht überlebt, Insekten schon. Ein Schnellboot kann einem Eisberg ausweichen, die Titanic konnte es nicht.
Für die Kunden ist das Beste gerade gut genug, denn sie sollen ja auch
ihr Bestes geben: ihr Geld. Aber kein Unternehmen kann auf jedem Gebiet
das beste Angebot liefern. Lieber in einem spitzen Segment die unangefochtene Nummer eins sein und Gewinne einstreichen, als in mehreren
Bereichen Durchschnitt. Diese Produkte werden im Wettbewerb weggefegt. Jedes Ihrer Produktsegmente sollten Sie hinterfragen: Sind wir dort
Marktführer oder können wir es werden? Bei General Electric unter der
Leitung von Jack Welch galt die Maßgabe: entweder Marktführer (oder
maximal die Nummer zwei), oder dieses Marktsegment verlassen. Um
bemerkt zu werden, müssen Ihre Produkte bemerkenswert sein.
Die Natur macht es vor
In der Natur haben sich nie verschiedene Arten und Rassen zusammengetan. Umgekehrt haben sich die Arten über Spezialisierung voneinander
getrennt. Wegen dieser Historie und weiterer Erfahrung ist auszuschließen,
dass ein Verschmelzen der Technologien vonstatten geht. Technologien
verbinden sich nicht, sondern es erfolgt die Teilung. Die Kombination von
Auto und Boot (Amphicar) floppte wie so viele Kombiprodukte. Es war
auf der Straße mehr ein Boot und im Wasser ein Auto. Und nicht etwa
umgekehrt, wie von den Anbietern gewollt.
Sie brauchen Produkte mit einem fokussierten USP wie ein Brennglas.
Nur mit dem fokussierten Sonnen- oder Laserstrahl ist es möglich, Papier
zu entzünden. Hier wird die ganze Energie auf einen Punkt konzentriert.
Fokussieren Sie so, dass Ihr Kunde Feuer fängt. Nehmen Sie einen Bleistift
und ein Blatt Papier. Versuchen Sie mit der stumpfen Seite ein Loch in das
Papier zu bohren. Es geht nur mit größter Kraftanstrengung, und meist
zerreißt dabei das ganze Blatt. Die Fläche der stumpfen Seite ist so groß,
dass sich Ihre eingesetzte Kraft auf eine größere Fläche auf dem Papier
verteilt. Mit der spitzen Seite hingegen haben Sie das Blatt mit geringem
Kraftaufwand sauber durchbohrt. Hier haben Sie Ihre Kraft spitz eingesetzt beziehungsweise die Energie auf einen kleinen Bereich fokussiert.
Physikalisch ist Druck gleich Kraft pro Fläche. Das heißt: je kleiner die
Fläche, desto größer ist der Druck bei gleich bleibender Kraft. Richten Sie
Ihre Produktentwicklung auf eine klar fokussierte, also spitze KundenFokussierung: spitz statt breit  195
gruppe aus und liefern Sie ihr ein spitzes Produkt: So schonen Sie Ihre
Ressourcen und erhalten einen maximalen Erfolg.
Warum nur diese Funktionitis?
Die Hersteller sind meist so technikverliebt, dass sie so viele Funktionen
in die Produkte einbauen wie irgendwie möglich. Sie gehen davon aus,
dass die Kunden auf dem gleichen Niveau sind wie sie und sich genauso
viel Zeit mit dem Produkt nehmen. Die Hersteller hoffen, mit den kleinen
Zusatzfunktionen weitere Kunden anzusprechen. Statt ein Produkt auf
eine fest umrissene Gruppe zu fokussieren (zum Beispiel Handy für den
Manager), wird durch die Zusatzfunktionen erhofft, alle anzusprechen:
Vom Kleinkind bis zum Senioren. Zu allem Überfluss kommt bei diesen
überladenen Geräten auch noch die höhere Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls der wichtigen Funktionen hinzu, denn diese Hightech-Monster sind
weitaus anfälliger als einfache Geräte.
Breit funktioniert fast nie
An folgenden Beispielen lässt sich gut erkennen, dass breit fast nie funktioniert:
• Coca-Cola kaufte Colombia Pictures und verkaufte das Unternehmen
sieben Jahre später wieder;
• Chrysler kaufte Gulfstream Aerospace und verkaufte es fünf Jahre später;
• der Einstieg von McDonald’s in die Hotelbranche war auch kein Erfolg;
• Daimler hat seine Anteile an Chrysler nach neun Jahren wieder verkauft;
• das goldene Zeitalter der Kaufhäuser ist vorbei, die großen Kaufhausketten sind in finanziellen Schwierigkeiten: Karstadt/Quelle, Macy’s
(größtes Kaufhaus der Welt). Das ist das Problem: viele Angebote, neutrales Design. Keiner fühlt sich so richtig angesprochen;
• Partnerbörsen im Internet als Sammelbecken für alle sind out. Es muss
schon das Portal für Tierliebhaber, Golfer, U30, Ü30 oder Vegetarier
sein. Diese Entwicklung werden auch die Sammelportale wie StudiVZ,
Xing et cetera in den nächsten Jahren bemerken.
196  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kunden wollen Spitzenprodukte vom Marktführer, keine Kombi-Dinos
vom Mittelmaß. »Big is beautiful« war gestern – wenn überhaupt. Heute
zählt »Small is the new big« (so lautet auch ein Buchtitel von Seth Godin).
Weitaus mehr als die Hälfte der Unternehmensfusionen scheitern und
werden zum Minusgeschäft. Synergien sind ein Traum, der sich nicht
erfüllt. Die oben Genannten sind nur sechs Beispiele aus einer Vielzahl
von Diversifikationsversuchen (beziehungsweise Verzettelungen). Nimmt
man weitere Käufe und Verkäufe hinzu und vergleicht die Zeitspannen, so
fällt auf, dass meist nach sechs Jahren der Wiederverkauf erfolgte. Diese
sechs Jahre reichen anscheinend aus, um festzustellen, dass sich der Kauf
nicht gelohnt hat und auch zukünftig nicht rentabel sein wird.
Der Mensch ist täglich über 5 000 Werbereizen ausgesetzt. Um als
Mensch überleben zu können, wird Unwichtiges herausgefiltert und nicht
im Bewusstsein wahrgenommen. Durchschnittlicher Nutzen fällt hierbei
unter Unwichtiges und geht in der Masse unter. Nur das, was für den
Menschen sehr relevant ist, wird wahrgenommen. Wer allen alles bieten
will, setzt sich zwischen die Stühle und liefert im optimalen Fall Durchschnitt.
Es gibt nicht den Durchschnittskunden wie Lieschen Müller oder Hans
Mustermann, der so ist wie alle circa 80 Millionen Bundesbürger. Einheitliche Bedürfnisse gibt es nicht. Ebenso ist es unmöglich, dass ein Produkt in allen Eigenschaften besser als die Konkurrenz ist.
Die eierlegende Wollmilchsau versinkt in der totalen Langeweile. Zum
Beispiel sind die Anforderungen an einen Fotoapparat grundverschieden:
•
•
•
•
•
Unfallaufnahmen zu Beweiszwecken;
Schnappschüsse im Urlaub;
die neueste Technik (für Early Mover);
Bilder für das Wohnzimmer;
Profiaufnahmen.
Das sind mindestens fünf unterschiedliche Produktkategorien.
Spitz funktioniert schon häufiger
Auch hierfür einige Beispiele:
• Starbucks: Wenn eine Innenstadt erschlossen wird, dann komplett
(viele Stores in kleinem Umkreis) oder gar nicht. In Hamburg gibt es
Fokussierung: spitz statt breit  197
Starbucks erst seit wenigen Jahren. Dann aber wurden gleichzeitig in
der Innenstadt vier Restaurants im Umkreis von 100 Metern eröffnet.
Allein in Manhattan gibt es circa 150 Stores. Mit dieser Vorgehensweise wurde Starbucks zum Weltmarktführer;
• American Girl Bookstore: ein ganzes Büchergeschäft nur für Mädchen.
Der Laden ist voll und Jungs machen einen großen Bogen darum;
Abbildung 16: American Girl Bookstore
• Rice to riches (www.ricetoriches.com): ein auf Milchreis spezialisierter
Lieferservice in New York. Im Angebot ist nur Milchreis in verschiedenen Geschmackssorten;
• Max Brenner (www.maxbrenner.com): eine Kette von Schokoladenrestaurants in den USA, Singapur, Israel, Australien und den Philippinen. Neben einer Vielzahl an Schokoladenspeisen (Fondue, Waffeln
et cetera) gibt es auch eine kleine Speisekarte mit Salaten und Snacks.
Nicht 100-prozentig spitz, jedoch zu 80 Prozent und einmalig auf
der Welt. Ab dem Nachmittag ist eine Wartezeit von mindestens 30
Minuten einzuplanen – und das jeden Tag, Reservierungen werden
nicht angenommen. Es erfolgt eine vertikale Spezialisierung rund um
Schokolade: Restaurant, Außer-Haus-Verzehr, Lieferservice, Shop mit
Kochbuch, Zutaten für die eigene Zubereitung, fertige Produkte und
Geschirr. Alles dreht sich nur um Schokolade. Andere Restaurants bieten auf Ihrer Karte verschiedene Fischgerichte, Rind, Wildfleisch, Grillteller, Sushi, Pasta und orientalische Gerichte – und bleiben meist leer.
198  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 17: Schokoladen-Shop von Max Brenner
Abbildung 18: Klassisches Menü mit Schokoladen-Fondue
bei Max Brenner
Fokussierung: spitz statt breit  199
Abbildung 19: Schokoladen-Restaurant von Max Brenner
• mymuesli (www.mymuesli.com): Versandservice für Müsli. Der Kunde
stellt sich online sein individuelles Müsli aus der Vielzahl an Zutaten
zusammen;
• Paul Neal Adair (genannt Red Adair) galt zu Lebzeiten als der bestbezahlte Feuerwehrmann der Welt. Er spezialisierte sich auf Erdgasund Erdölbrände. Mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen hatte er
eine große Erfolgsquote und musste dafür nur geringe Risiken eingehen. Aufgrund der großen Schäden, die diese Brände bei seinen Kunden
auslösten, zahlten sie ihm pro Auftrag häufig Millionenbeträge, wenn
er nur die Brände schnell wieder löschte;
• New York Cat Hospital (www.newyorkcathospital.com): Krankenhäuser für Haustiere sind scheinbar zu breit, es muss schon ein Krankenhaus nur für Katzen sein.
200  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 20: Ein Krankenhaus nur für Katzen
• Ein Tierarzt für alle Krankheiten der Haustiere ist wohl auch noch zu
unspezifisch. Ein Tierarzt aus Hamburg hat sich auf den Bereich der
Kardiologie bei Haustieren spezialisiert. Hundeinbalance (www.hundein-balance.de) bietet als Praxis Physiotherapie speziell für Hunde;
• Just Bulbs – The light bulb store in New York (www.justbulbsnyc.com):
Glühlampen in allen Voltangaben, Materialien, Farben und Ländermaßen;
• Volvo: gilt als nicht gerade formschönes Auto, hat jedoch seit Jahrzehnten das Prädikat »Sicherheit« in den Köpfen der Menschen verankert;
• M&M’s (www.mymms.com): In New York, Orlando und Las Vegas
gibt es ganze M&M’s-Welten auf mehreren Etagen. Süßwaren, Plüschtiere, Tassen et cetera. Alles dreht sich nur um die Schokolinsen. Da ist
kein Platz für andere Produkte;
Fokussierung: spitz statt breit  201
Abbildung 21: M&M’s in New York auf drei Etagen
202  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 22: M&M’s so weit das Auge reicht
•
•
•
•
•
Psychopharmaka für Katzen;
Versicherungen/Altersvorsorge für Künstler;
Telefone für Senioren;
Benimmkurse getrennt für Kinder, Erwachsene und Senioren;
Friseur getrennt für Kleinkinder, Jugendliche und Senioren.
Den garantierten Weg zum Erfolg kann Ihnen keiner zeigen. Der garantierten Weg zum Misserfolg: es allen Recht machen zu wollen.
Mögliche Produktausrichtungen
Produktausrichtungen können sein:
• multifunktional: ein Produkt, das alles kann (zum Beispiel »Ihre komplette Küchenhilfe«);
• multifunktional + eine Funktion ausgebaut (»Das Küchengerät, speziell
für …«);
• spezialisiert auf nur einen Bereich (»Der Cocktailmixer«).
Fokussierung: spitz statt breit  203
Varianten der Spezialisierung
Spezialisierung auf Kundengruppen
•
•
•
•
•
Altersgruppen;
Familienstand;
Geschlecht;
Beruf;
Einkommen.
Eine reine Kundenspezialisierung ist jedoch gefährlich, da hier in erster
Linie die Segmentierungsmerkmale im Fokus stehen, weniger die Probleme der Kunden.
Technologiespezialisierung
Technologiespezialisierung ist die Spezialisierung auf ein bestimmtes Herstellungsverfahren. Wenn die Technologie durch eine bessere ersetzt wird,
wird es eng.
Rohstoffspezialisierung
Hierunter versteht man die Spezialisierung auf einen bestimmten eingesetzten Rohstoff beziehungsweise eine Rohstoffgruppe. Das ist ebenso
gefährlich wie die Technologiespezialisierung. Gerade in den Zeiten des
rasanten Wandels sind diese Anbieter voll und ganz davon abhängig, wie
lange die Materie beziehungsweise die Technik für die Kunden und die
Lösung ihrer Probleme attraktiv ist. Wird das Problem auf einmal durch
ein anderes Material oder eine andere Technik viel besser gelöst, bleibt der
Umsatz aus.
Produktspezialisierung
Die Produktspezialisierung ist die Spezialisierung auf die Herstellung
bestimmter Produkte, beispielsweise Öfen, Faxgeräte, Plattenspieler.
Die Gefahr besteht dann, wenn es neue Produktkategorien gibt, die das
Kundenbedürfnis besser lösen. Dann sind die auf Produkte spezialisierten
204  Praxishandbuch Produktentwicklung
Unternehmen meist nicht flexibel genug. Ebenso wird mit der Produktspezialisierung nur ein Teil des Problems gelöst und nicht die ganzheitliche
Lösung geliefert. Bei den oben genannten Produkten wäre ein Umstieg auf
die Herstellung von Heizungen, Internet und CD/Download notwendig.
Diese Gefahr lauert auch bei Dienstleistungen. Denn auch hier kann ein
Markt wegbrechen. London drohte vor 150 Jahren im Pferdemist zu ersticken. Jedes der circa 50 000 Pferde produzierte täglich circa 10 Kilo Mist
und über einen Liter Urin. Mit zunehmender Bevölkerungszahl kamen
immer mehr Pferde hinzu. Wer den ganzen Mist aus der Stadt heraus
gekarrt hat, hatte ein gutes Geschäft – bis das Auto das Pferd ersetzte.
Vertriebsspezialisierung
Bei Amazon kann online fast alles bestellt werden. Wenn es jedoch
zukünftig einen von den Kunden bevorzugteren Weg gibt, muss Amazon
sich umstellen.
Preisspezialisierung
Beispiele sind Aldi und www.guenstiger.de. Preisspezialisierung ist jedoch
immer ein Wettlauf, da die Gefahr besteht, dass andere Anbieter noch
günstiger sind.
Kurzfristig können die oben genannten Spezialisierungen auf Kundengruppen, Technologien, Produkte et cetera ganz erfolgreich sein. Langfristig sollte jedoch die Ausrichtung auf die nächsten beiden Spezialisierungen
erfolgen.
Bedürfnisspezialisierung
Die Unternehmen, die sich auf ein Problem und ein Bedürfnis (beispielsweise ein angenehmes warmes Zuhause) spezialisieren, haben bessere
Chancen, einen Wandel zu überstehen. Diese Anbieter haben vielleicht
früher Öfen hergestellt, dann Heizungen und bieten jetzt Solarenergie
für Eigenheime an. Sie entwickeln ihr Angebot mit den sich veränderten
Lösungen unabhängig vom Produkt und der Technologie und bieten so
die zum jeweils aktuellen Zeitpunkt optimale Lösung. Es ist das Konzentrieren aller Kräfte und Ressourcen auf den wirkungsvollsten Punkt
Fokussierung: spitz statt breit  205
bei den Kunden: seinen größten Wunsch beziehungsweise sein größtes
Bedürfnis.
Spezialisierung auf Grundbedürfnisse
Erfolgt die Spezialisierung nicht auf ein Einzelproblem, sondern wird damit
ein menschliches Grundbedürfnis befriedig, wächst das Unternehmen mit
seinen Kunden mit und passt sich permanent an. So bleibt das Unternehmen für seine Kunden ständig attraktiv. Hierzu gehören Bedürfnisse, die
sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern werden, zum Beispiel die
eigene Gesundheit und die Kommunikation der Menschen untereinander.
Die Übergänge zu der Spezialisierung auf Bedürfnisse sind fließend.
Kombination von Spezialisierungen
Hierunter fällt zum Beispiel die Bedürfnisspezialisierung auf eine klar
eingegrenzte Kundengruppe. Dieses ist meist der erfolgreichste und somit
profitabelste Weg. Nachfolgend einige Beispiele:
• Der Anwalt Matthias Prinz vertritt erfolgreich Prominente bei Verleumdungen;
• Eine Berufsunfähigkeitsversicherung für freiberufliche männliche
Außendienstmitarbeiter in der gehobenen Gehaltsklasse im Alter von
30 bis 50 Jahren;
• Wohnungsrenovierung im Altbau bei alleinstehenden Frauen zwischen
50 und 70 Jahren.
Vorteil von spitz statt breit (sowohl bei der
Kundenauswahl als auch beim Produktnutzen)
• Es ist einfacher, sich deutlich positiv von der Masse abzuheben;
• ein Angriff auf »wehrlose« diversifizierte Unternehmen ist möglich;
• Fehlinvestitionen werden schneller bemerkt und halten sich im Rahmen;
• eine Marktführerschaft ist in der Nische eher und einfacher zu erreichen. Beispiele dafür liefert Herman Simon in seinen Büchern Hidden
206  Praxishandbuch Produktentwicklung
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Champions sowie Hidden Campions des 21. Jahrhunderts. Hier werden Unternehmen mit ihrer Marktpositionierung aufgeführt, die zwar
uneingeschränkter Marktführer sind, die jedoch fast keiner kennt;
tiefgreifendes Wissen über die Bedürfnisse der Kunden in der Nische ist
einfacher sich anzueignen;
spitz = maximaler Nutzen. Es ist eine bessere Möglichkeit, das Produkt
genau auf den Bedarf der engen Kundengruppe zuzuschneiden (bis hin
zu Individuallösungen);
maximaler Nutzen (und höhere Produktpreise) können durchgesetzt
werden. Somit folgt mehr Gewinn;
es erfolgt ein größerer Lernerfolg für den Anbieter in kurzer Zeit, da
man sich auf nur einen schmalen Bereich konzentriert;
Marketing und Werbung sind auf eine spezielle Kundengruppe ausgerichtet, was höhere Bestellquoten zur Folge hat;
es entstehen geringere Werbekosten, um ein Produkt im Nischenmarkt
einzuführen, weil es weniger Streuverluste gibt. Spezialisten zielen, Generalisten können nur streuen und hoffen. Die für Massenmärkte notwendigen Millionenbeträge können sich nur wenige Unternehmen leisten;
es gibt wenig Konkurrenz. Nischen für Großunternehmen sind meist zu
klein und aufgrund der Firmenstruktur oft unrentabel;
weniger Reklamationen und Rückgaben;
mehr Wiederkäufer und größere Kundentreue, da eine höhere Kundenzufriedenheit gegeben ist;
eine höhere Produktivität aufgrund der Spezialisierung;
die Produkte werden wahrgenommen. Somit bestellen die Kunden teilweise von sich aus ohne Werbedruck;
die Produkte ragen heraus, sodass Kunden zum Wechsel von anderen
Herstellern bereit sind;
ein Spezialist kann der Erste im Nischenmarkt sein;
Sie sind im Bewusstsein der Kunden an erster Stelle. Das gilt nur jeweils
in engen Bereichen. Überall top of mind geht nicht;
ein Wachstum ist auch in rückläufigen Branchen möglich.
Was sind Spezialisten?
Spezialisten bieten Spitzenleistung. Sie machen gewöhnliche Dinge außergewöhnlich gut. Sie haben sich auf Weniges konzentriert, um dort herausragend zu sein. Mit dem Aufbau des Alleinstellungsmerkmals in einem
Fokussierung: spitz statt breit  207
Bereich wurde gleichzeitig entschieden, in anderen Bereichen nicht an der
Spitze zu sein. Es wurde der Bereich ausgewählt, in dem den Kunden mit
einem großen Vorsprung ein Mehrwert geliefert werden kann.
Der Kundenwunsch zur Individualität
»Unterm Strich zähl ich« ist der Slogan der Post. Für individuelle Lösungen ist der Kunde bereit, den doppelten Preis und noch mehr gegenüber
der festgelegten Version von der Stange zu zahlen. Es zählt der funktionale und symbolische Nutzen (Anhebung des eigenen Egos durch ein
einmaliges Produkt). Dieses soll die eigene Einmaligkeit verstärken und
verdeutlichen.
Nutzen Sie die Losgröße 1. Durch neue Produktionsmethoden sind Individualproduktionen in vielen Branchen bezahlbar. Modular aufgebaute
Produktionsmethoden (Mass Customization) können da eine große Hilfe
sein. Gegebenenfalls kann der Kunde das Produkt abschließend noch seinen weiteren individuellen Bedürfnissen anpassen. Der Kunde ist so kein
passiver Konsument, sondern ein Mitproduzent.
Bereits seit Jahren geschieht dies im Softwarebereich: Jeder User
bestimmt, welche Funktionen und Inhalte eines Programms auf seinem
Computer installiert werden. Auf dem Handy wählt jeder sein Hintergrundbild und seinen Klingelton selbst aus, letztgenannter wird teilweise
selbst komponiert. Oder der Kunde gibt bei der Bestellung seine Varianten ein und in Echtzeit wird seine Maßlösung produziert. Der Grad
der Individualisierung ist jeweils ein Kompromiss zwischen den Freiheitsgraden des Kunden und den Kosten der individuellen Herstellung. Überlegen Sie, wo Sie individualisieren und Produkte veredeln können. Denn
die Massenproduktionen können die sogenannten Billiglohnländer besser
und kostengünstiger.
Polarisieren Sie mit spitzen Produkten
Um in der Informationsflut wahrgenommen zu werden, haben die Unternehmen am meisten Erfolg, die polarisieren und die tote Mitte verlassen.
Ein Produkt darf alles sein, außer egal! Die nervigsten Spots polarisieren
und werden so von allen wahrgenommen. Oder fanden Sie den Melitta208  Praxishandbuch Produktentwicklung
mann etwa toll und die Werbung anspruchsvoll? Das Gegenteil von Liebe
in einer Zweierbeziehung ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Solange
in der Beziehung noch Teller fliegen, sind Gefühle und Emotionen vorhanden. Es ist besser, wenn 80 Prozent der Menschen Ihr Unternehmen
hassen, und 20 Prozent es lieben, als dass Sie 100 Prozent egal sind.
Gleichgültigkeit führt nie zum Kauf. Dann konzentrieren Sie sich bitte
auf die 20 Prozent, die Sie lieben. Denen liefern Sie das Traumprodukt.
Die, die Sie hassen, können Sie maximal dazu bringen, dass Sie ihnen egal
sind. Zu Ihren Kunden wird diese Gruppe nie gehören. Versuchen Sie nie,
Gegner zu bekehren. Und diejenigen, denen Sie egal sind, werden auch
nichts von Ihnen kaufen. Schaffen Sie Liebhaber und Gegner Ihrer Produkte. Wer will schon etwas, das – meist zu einem günstigen Preis – alle
haben. Die Liebhaber geben Unmengen mehr an Geld aus.
Fast alle lehnen McDonald’s ab, lesen nie die Bild-Zeitung und fanden
die Benetton-Werbung mit den Bildern von Aids-Kranken und Kriegsbildern abschreckend. Und trotzdem hat sich McDonald’s auf der ganzen
Welt mit einem engen Filialnetz ausgebreitet. Bild ist die Tageszeitung mit
der höchsten Auflage in Deutschland. Und die Benetton-Werbung haben
viele gesehen und die meisten erinnern sich noch daran.
Je spitzer ein Produkt ist, desto größer ist die Anziehung beziehungsweise Abstoßung. Einige Kunden sind süchtig nach einem Produkt, andere
würden es nicht nehmen, wenn sie noch Geld dazu bekämen. Hassen und
Lieben ist Wechselstrom. Und Hochspannung entsteht nur bei großen
Spannungsunterschieden. Gleichstrom ist Gleichgültigkeit und Langeweile ist die tote Mitte.
Häufig provoziert die deutliche Ablehnung bei der einen Gruppe die
Faszination bei der anderen. Denken Sie an FC Bayern München, Heino,
Dieter Bohlen, Stefan Raab, Madonna, Tokio Hotel. Alle polarisieren und
können so im Markt sehr gut bestehen. Sie haben auf der einen Seite Fans
und glühende Verehrer, auf der anderen Seite aktive Gegner. Und trotzdem
sind sie uneingeschränkte Marktführer. Vielleicht auch gerade deshalb,
weil sie von der Mehrheit abgelehnt werden. Dieter Bohlen wurde bei der
Vorstellung seines Buches Nichts als die Wahrheit auf der Frankfurter
Buchmesse 2003 von einem Reporter entgegengehalten, dass nach einer
Umfrage 96 Prozent der Bundesbürger sein Buch nicht kaufen würden.
Antwort: »Toll. 4 Prozent kaufen es. Das sind bei 80 Millionen Deutschen
3,2 Millionen. Das wird der Bestseller des Jahres«. Über die literarische
Qualität des Buches kann man sicherlich streiten. Es war jedoch – neben
den Büchern von Naddel und der Frau von Harald Juhnke – das Hauptgesprächsthema dieser Buchmesse. Ähnlich ist es beim iPhone: Es wird
Fokussierung: spitz statt breit  209
von vielen als technisch überholt und als zu teuer bezeichnet. Andere übernachten vor den Läden, um zu den ersten Käufern zu gehören.
Es geht nicht um mögen oder nicht mögen, sondern um lieben oder
hassen. Differenzieren und polarisieren Sie, oder Sie werden verlieren.
Ihre Produkte müssen in Ihrem Marktsegment unwiderstehlich sein. Ob
die anderen Ihr Produkt abstoßend oder skandalös finden, ist egal. Seien
Sie mit Ihrem Produkt einzig, nicht artig. Polarisieren Sie beispielsweise
dadurch, dass Sie Kunden ansprechen, die Extreme mögen:
•
•
•
•
•
•
das schnellste Auto;
die lauteste Stereoanlage;
die schalldichtesten Fenster;
die stärkste Zigarette;
das stärkste Gewürz für Currywürste;
die Geräte mit dem geringsten Verbrauch und so weiter.
Diese Positionierung muss jedoch einen Nutzen für Ihre Kunden haben.
Der Weg der Finanzierung
Damit spitze Lösungen sich lohnen, müssen die Kunden zu Wiederkäufen bewegt werden. Dieses so in der Werbung gesparte Geld wird in die
Produktentwicklung gesteckt. Das geht am besten mit begeisterten und
immer wieder verblüfften Kunden, die zu Fans werden. Weiterhin ist das
Ziel, so viele Kunden wie möglich zu erreichen, allerdings in einem engen
Zielsegment, um einen großen Marktanteil zu haben und die individuellen
Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen.
Das 4-Aktionenformat für eine neue Nutzenkurve3
Listen Sie alle Eigenschaften auf, die ein Produkt haben kann. Dann
prüfen Sie, welche der Eigenschaften Sie eliminieren, reduzieren, steigern
und kreieren:
3 Nach W. Chan Kim und Renée Mauborgne aus Der blaue Ozean als Strategie. Hanser 2005.
210  Praxishandbuch Produktentwicklung
• eliminieren. Und zwar all das, was nicht zum herausragenden Nutzen
für Ihr definiertes Marktsegment beiträgt. Eine aus Kundensicht überlegene Differenzierung von den anderen Produkten ist notwendig. Sonst
wird nichts verkauft. Das bedeutet jedoch nicht nur Differenzierungen
hinzuzufügen. Die Kunst besteht auch darin, teure Differenzierungsmerkmale zu streichen. Einfachheit ist die höchste Form von Raffinesse.
Menschen beherrschen und benutzen von Elektrogeräten meist weniger
als 50 Prozent der Funktionen, und seien sie auch noch so sinnvoll. Beim
Handy sind es maximal 20 Prozent, bei Microsoft-Office-Produkten
unter 5 Prozent. Menschen haben eine Abneigung gegen Verwirrendes.
Sie lieben das Einfache, bei dem sie einen Überblick haben. Menschen
möchten die Produkte beherrschen und nicht von ihnen beherrscht
werden. Je mehr Funktionen ein Produkt hat, desto schwerer ist es für
den Kunden zu verstehen und desto mehr geht der Kernnutzen unter.
Und ein in allen Bereichen für alle Kundengruppen mit allen Funktionen optimiertes Produkt ist unbezahlbar, denn die Herstellungskosten
bei Funktionen sind nicht skalierbar. Das heißt, der Ressourcenbedarf
für weitere Funktionen steigt nicht linear, sondern meist exponentiell.
Doppelt so viele Funktionen kosten meist mehr als das Dreifache.
Jedoch sind die Kunden heute nicht mehr bereit, für Funktionen zu
zahlen, die ihnen keinen Nutzen bieten. Ist der Preis aufgrund dieser
nicht gewollten Differenzierungsmerkmale zu hoch, wechseln die Kunden zum Wettbewerber. Wenn nur die Anzahl der Funktionen erhöht
wird, der Preis jedoch gleich bleibt, geht das zu Lasten der Rendite.
Lassen Sie alles weg, was der Kunde nicht kaufen würde, wenn er für
diese zusätzliche Eigenschaft/Funktion einen Aufpreis zahlen müsste.
Das Streichen fällt vielen produktverliebten Entwicklern häufig viel
schwerer als das Hinzufügen weiterer Merkmale. Wie in der Werbung
und im Verkauf: Die Kunst des Weglassens entscheidet auch in der Produktentwicklung über den Erfolg. Zum Beispiel erhalten Fluggäste bei
Ryanair und Germanwings nur gegen Aufpreis etwas zu essen und zu
trinken. Dafür ist der Flugpreis entsprechend geringer. Die nur seltene
Nutzung dieses kostenpflichtigen Verpflegungsangebots zeigt, dass die
Verpflegung keinen Wert für die Fluggäste hat. Fehlende Zeitschriften
an Bord sparen diesen Fluglinien zusätzlich die Entsorgungskosten
nach dem Flug. Es gilt auch hier: Reduce to the max. Also weg mit
Überflüssigem für das jeweilige Kundensegment. Machen Sie den Test:
Wenn Ihr Produkt nur eine Eigenschaft haben dürfte, welche wäre das?
Schreiben Sie Prämien für Ihre Mitarbeiter aus: Jeder, der etwas am
Produkt findet, was aus Kundensicht überflüssig ist, erhält eine von
Fokussierung: spitz statt breit  211
Ihnen bestimmte Prämie. Grundsätzlich gilt: Für jede neue Funktion
bei einem Produkt muss eine bestehende gestrichen werden. Erstellen
Sie bei Ihren Produkten nicht nur eine Liste mit Dingen, die Ihr Produkt
können muss, sondern insbesondere eine »don’t do it anymore«-Liste.
Auch bei den Funktionen gilt die Regel von Vilfredo Pareto: 20 Prozent des Inputs tragen zu 80 Prozent des Outputs bei. 20 Prozent der
Funktionen eines Produkts tragen zu 80 Prozent zur Kaufentscheidung
bei. Von diesen 20 Prozent tragen wiederum nur 20 Prozent zu 80 Prozent der Kaufentscheidungen bei. Das sind 4 Prozent der Funktionen zu
64 Prozent der Kaufentscheidung. Bei Produkten ist diese Regel meist
noch stärker ausgeprägt: 1 bis 5 Prozent der Funktionen tragen zu 99
beziehungsweise 95 Prozent zur Kaufentscheidung bei. In Gesprächen
mit den Kunden ist in Erfahrung zu bringen, welche 1, 5 oder 20 Prozent dieser Funktionen es sind. Verbinden Sie im Produktkonzept die
Produkteigenschaften immer mit dem Nutzen. Hierfür hilft folgender
Filter: »… (Produkteigenschaft), das bringt dem Kunden … (maximiert,
erhöht, spart, ermöglicht, erleichtert, senkt, steigert, gewährt, sorgt
für, schützt vor, verhindert, sichert).« Jede Produkteigenschaft muss
den USP unterstützen und für den Kunden einen Nutzen haben. Alle
anderen Funktionen sind zu eliminieren. Stellen Sie sich bei jedem Produktrelaunch die folgende Frage: Auf welche Funktionen würden wir
heute verzichten, wenn wir sie nicht schon im alten Modell integriert
hätten? »Keine« ist auf diese Frage die schlechteste Antwort;
• reduzieren (im Verhältnis zu den Produkten Ihrer Mitbewerber). Das,
was zwar enthalten, jedoch nicht so sehr ausgeprägt sein muss;
• steigern (weit über den Branchenstandard hinaus). Machen Sie Differenzierungen und Zusätze nur dort, wo diese den Kunden wirklich
Nutzen bringen und zu deren Bedürfnisbefriedigung beitragen. Und das
nur in dem Umfang, für den die Kunden zu zahlen bereit sind;
• kreieren (was in der Branche an Eigenschaften noch nicht üblich ist).
Kreieren Sie das, was einen herausragenden Nutzen liefert.
Entwickeln Sie Produkte mit einer anderen Wertedimension: Nehmen Sie
einige Produkteigenschaften entlang der Wertekette hinzu und lassen Sie
andere weg (das, was den Kunden nicht wichtig ist). Das könnte zum Beispiel ein Hotel ohne Wellness-Angebot, dafür aber mit Ausflugsplanung
sein. Viele Produkte sind in der Gleichheitsfalle. Eine Möglichkeit zur
Differenzierung wäre, in allen Parametern besser werden. Machen Sie
das bitte nicht! Polarisieren Sie. Das, was dem Kunden in Ihrem Marktsegment nicht wichtig ist und worauf er verzichten kann, lassen Sie weg
212  Praxishandbuch Produktentwicklung
(eliminieren); was nur wenig wichtig ist, reduzieren Sie; was wichtig ist,
sollten Sie verstärken. Und was ein positives Alleinstellungsmerkmal
bewirkt, nehmen Sie neu hinzu. Listen Sie alle Ihre Produkteigenschaften
auf und fragen sich dann: Was würde passieren, wenn wir diese weglassen oder genau ins Gegenteil verwandeln? Viele bestehende Funktionen
bewirken überhaupt nichts, außer Verwirrungen beim Kunden und hohe
Herstellungskosten bei Ihnen. Kunden haben meist eine Scheu vor hoch
technisierten Geräten. Es ist eher der Wunsch nach einfacher Bedienung
vorhanden.
Die Umsetzung Ihrer Differenzierung muss aus einem Guss sein. Dafür
ist in Erfahrung zu bringen, aus welchen Gründen sich die Kunden für ein
Produkt entscheiden und aus welchen Gründen nicht.
Das Hinzunehmen bereitet weniger Probleme als das Eliminieren. Das
Parkinson’sche Gesetz besagt, dass die scheinbare Wichtigkeit einer Aufgabe sich genau bis zu dem Punkt ausdehnt, wie Zeit und Ressourcen
dafür zur Verfügung stehen. Dieses ist auch in der Produktentwicklung
zu beobachten. Steht viel Geld zur Verfügung, dann werden die Produkte
überfrachtet. Kürzen Sie das Budget für die Herstellung, um die Funktionen im Produkt auf das Wesentliche zu beschränken. Halbieren Sie das
Budget, dann wird auf das Wesentliche reduziert. Hier wird Kreativität
frei. Prüfen Sie bei jeder Funktion, in welchem Umfang diese die Kaufentscheidung beim Kunden beeinflusst. Was ist jede Funktion dem Kunden
wert?
Reduzieren Sie auch die Anzahl Ihrer Angebote, so wie es die Marktführer machen. Vom iPhone gibt es nur ein Modell (in drei Varianten
der Speicherkapazität), vom iPod nur vier (in teilweise unterschiedlichen
Farben und Speichergrößen). Den iMac gibt es nur in vier Varianten. Vergleichen Sie dieses enge Angebot mit anderen Handy- und PC-Anbietern.
Bei der geringen Auswahl von Apple unterscheiden sich die Geräte so sehr,
dass jeder Kunde genau das Produkt wählt, was er benötigt. Bei zu vielen
ähnlichen Angeboten der anderen Anbieter haben Kunden immer wieder
Angst, sich für das Falsche zu entscheiden.
Spitz auch in der Fertigungstiefe
Alles selber machen? Nein. Wenn es ein anderer besser kann (zum Beispiel Teile Ihres Produkts herzustellen), dann kaufen Sie ein. Sie veredeln
und/oder übernehmen den Verkauf. Nike und Timberland produzieren
Fokussierung: spitz statt breit  213
die Schuhe nicht mehr selbst. Diese Unternehmen übernehmen nur noch
die Produktentwicklung und das Marketing. Die Produktion erfolgt nach
deren Vorgaben bei anderen Herstellern. Die Kompetenz dieser Unternehmen sind die Produktentwicklung und das Marketing, nicht die Fertigung.
Ein anderes Beispiel ist Nestlé mit Nespresso. Der Kaffee wird von Nestlé
geliefert, die Geräte jedoch zum Beispiel von Miele, Krups und Siemens
produziert. Betrachten Sie alle Stufen der Wertschöpfung als einzelne
Bausteine und entscheiden Sie dann, was selbst gemacht wird und was
in andere Unternehmen verlagert werden kann, die die einzelnen Schritte
besser können.
Wenn zu einer Problemlösung schon viele Anbieter konkurrieren, dann
prüfen Sie, welche Folgeprodukte die Kunden benötigen. Konkurrieren
Sie nicht mit anderen Restaurants, sondern bieten Sie einen BabysitterService, damit die Eltern den Restaurantbesuch genießen können. Konkurrieren Sie nicht mit den anderen Reiseveranstaltern, sondern bieten
Sie Reiseutensilien. Vertreiben Sie keine Hardware, sondern Software für
die Lösung der Hardwareprobleme. Am besten ist sicherlich, wenn Sie
ein komplettes System anbieten. Hier sind Kooperationen mit anderen
Anbietern zu prüfen.
Der Weg zu »spitz«
Der Weg besteht aus elf Schritten:
1.Auswahl einer konkreten Kundengruppe, für die Sie mit Ihren Stärken
die brennendsten Probleme besser lösen können als der Wettbewerb.
Lieber für eine abgegrenzte Gruppe Hoflieferant mit Spitzenprodukten sein, als für alle den Durchschnitt anbieten. Das Segment darf
jedoch nicht so klein werden, dass kein Gewinn mehr erwirtschaftet
werden kann;
2.prüfen Sie, ob auch Nichtkunden, Kunden der Konkurrenz und Kunden, die das Problem bis jetzt mit Produkten aus anderen Branchen
gelöst haben, von Ihnen besser bedient werden können;
3.richten Sie Ihr Produkt als Punktlandung aus: Lösen Sie das brennendste Problem. Dann haben Sie hier einen großen Erfolg, statt in der
großen Masse anonym mitzuschwimmen. Denn je kleiner die Nische
ist, desto mehr und tiefergehende Informationen sind notwendig;
4.machen Sie keine Kompromisse. Gestalten Sie Ihr Produkt mit Ecken
214  Praxishandbuch Produktentwicklung
und Kanten. Schrecken Sie einige Käufer ab, und gewinnen Sie andere
Gruppen als echte Fans;
5.misten Sie aus. Gerade elektrische Geräte sind vollgestopft mit Knöpfen, Schaltern und Funktionen, die der Kunde nicht nutzt und deren
Notwendigkeit er nicht sieht. Lassen Sie mit Ihrem Produkt nur das
zu, was der Kunde wünscht. Erstellen Sie ebenfalls eine Liste: Was soll
Ihr Produkt nicht können, welche Funktionen werden bewusst weggelassen? Sie sind nicht auf dem Hamburger Fischmarkt, wo immer
noch ein Aal mehr in die Tüte gelegt wird, bis der Kunde dann endlich
kauft;
6.prüfen Sie, ob Sie in diesem Marktsegment mit Ihrer Bedürfnisbefriedigung in naher Zukunft die Nummer eins oder Nummer zwei werden
können. Wenn nicht, segmentieren Sie weiter und definieren Sie neue
Märkte. Oder lösen Sie Probleme, die neben beziehungsweise hinter
dem Hauptproblem des Marktsegments stehen. Lösen Sie Probleme,
die bei der Nutzung von anderen Produkten auftreten. Dort gibt es
meist noch keine Konkurrenz;
7. prüfen Sie, ob Sie die Ersten sind, die das Kundenproblem auf diese
Weise lösen oder den Wunsch erfüllen. Den ersten Mann auf dem
Mond (Neil Armstrong) oder den ersten Mann, der allein mit dem
Flugzeug den Atlantik überquerte (Charles Lindbergh) kennen die
meisten. Was machen Sie nun, wenn es in Ihrer Branche schon einen
Ersten gibt? (Er)finden Sie eine neue Produktkategorie, um dort der
Erste zu sein;
8.übernehmen Sie die Produktionsschritte, die Sie am besten können. In
allen anderen Bereichen kooperieren Sie mit anderen Unternehmen;
9. bauen Sie das Angebot später in der Tiefe aus;
10.polarisieren Sie Ihre Werbung. Betonen Sie die Ecken und Kanten
Ihres Produkts. Schaffen Sie ein klares Profil. Nur Nullen haben keine
Ecken und Kanten. Sie haben in der Werbung nur wenige Sekunden,
um potenzielle Kunden zu überzeugen. Da müssen Sie genau den Nerv
treffen – und zwar rational und emotional;
11.bleiben Sie in Ihrer Nische – solange Sie Marktführer sind und dieser
Bereich rentabel ist. Um zu wachsen, müssen Sie sich nicht diversifizieren. Wachstum können Sie auch erreichen, indem Sie zum Beispiel
Ihr Angebot einer lokalen breiteren Kundengruppe anbieten. Haben
Menschen im Ausland das gleiche Problem wie Ihre Kunden?
Fokussierung: spitz statt breit  215
Geistreiches und Zitiertes
»In einer emotionalen Ökonomie ist es besser, auf 90 Prozent der Menschen
zu verzichten und das Interesse der restlichen 10 Prozent zu erregen, als für
alle irgendwie okay zu sein … Einige Kunden freuen sich darüber, andere
werden traurig oder wütend. Aber zumindest fühlen sie etwas.«
Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever
»Die Grundregel Nummer 1 des Erfolgs lautet demnach: Konzentration und
Spezialisierung auf eine ganz bestimmte Zielgruppe und deren Probleme.«
Kerstin Friedrich in Empfehlungsmarketing
»Nur eine Marke mit schmalem Sortiment, wenigen Vertriebskanälen, einfacher wie transparenter Preisstrategie, eindeutiger Zielgruppe und polarisierender Kommunikation sichert langfristig hohen Ertrag.«
Klaus-Dieter Koch in Reiz ist geil
»Wenn Sie bemerkenswert sind, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass manche
Leute Sie nicht leiden können.«
Seth Godin in Purple Cow
»Der Motor der Privatwirtschaft ist nicht Konvergenz, er heißt Teilung.«
Al Ries in Die Strategie der Stärke
»Konzentration ist der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg.«
Peter F. Drucker
»In Nachbars Garten sind die Kirschen immer größer als die eigenen. Manager glauben oft, sie hätten die Grenzen ihres Markts erreicht und sind daher
bestrebt, etwas Neues auszuprobieren.«
Al Ries in Die Strategie der Stärke
»In einem Krieg wäre es Selbstmord, auf breiter Front anzugreifen. Die einzige Erfolg versprechende Strategie wäre ein Angriff auf schmaler Front. …
In einem Wirtschaftskrieg gilt das gleiche Prinzip. Konzentration ist Stärke.
Diversifikation ist Schwäche.«
Al Ries in Die Strategie der Stärke
»Zum Überleben auf jeder Stufe der Evolution gehört die Fähigkeit, aus dem
überwältigenden Angebot von Milliarden von Signalen die wenigen lebenswichtigen Signale herauszufiltern«
Rolf W. Schirm
216  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Nicht allen alles bieten, sondern wenigen vieles. Das ist Konzentration.«
Adrian Stalder
»Um eine Nutzeninnovation erreichen zu können, muss man dann entscheiden, welche Faktoren zu eliminieren und zu reduzieren sind – nicht nur,
welche gesteigert und kreiert werden müssen –, damit eine divergierende
Nutzenkurve entsteht.«
W. Chan Kim und Renée Mauborgne in Der blaue Ozean als Strategie
»Der Erste bekommt die Perle, der Zweite nur die Muschel.«
Andrew Carnegie
»In Gefahr und in der Not ist der Mittelweg der Tod.«
unbekannt
»Das größte Übel, das wir unseren Mitmenschen antun können, ist nicht, sie
zu hassen, sondern ihnen gegenüber gleichgültig zu sein.«
George Bernard Shaw
»Alle wirklichen Unternehmenserfolge sind Konzentrationserfolge.«
Fredmund Malik
»Strategie heißt Spezialisierung.«
Jack Trout in Trout über Strategie
»Generalisten wie General Electric, so groß ihr Name auch sein mag, sind
im Markt eher schwach.«
Jack Trout in Trout über Strategie
»Lebenskunst ist die Kunst des richtigen Weglassens.«
Coco Chanel
»Schaffen Sie mit Klarheit und Verzicht ein unwiderstehliches Angebot.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking
»Es geht nicht darum, zu sammeln, sondern zu eliminieren. Es ist kein tägliches Anwachsen, sondern ein tägliches Abnehmen. Die Krone einer jeden
Kultur ist die Schlichtheit.«
Bruce Lee
»Eitel ist es, mit mehr zu tun, was auch mit weniger getan werden kann.«
Wilhelm Ockham
Fokussierung: spitz statt breit  217
»Es ist nicht nur möglich, mehr zu erreichen, indem man weniger tut.
Weniger zu tun ist auch die unabdingbare Voraussetzung dafür, mehr zu
erreichen. Willkommen in der Welt des Eliminierens.«
Timothy Ferriss in Die 4-Stunden-Woche
»Die eigentliche Frage lautet nämlich: Besitzt man nicht nur die Disziplin,
die richtigen Sachen zu tun, sondern auch die Disziplin, die falschen zu
lassen?«
Jim Collins in Der Weg zu den Besten
»Es ist besser, auf einem Gebiet außerordentlich, als auf vielen Gebieten gut
zu sein.«
Jack Trout in Trout über Strategie
»Fügen Sie nichts hinzu, ohne etwas wegzulassen.«
John Naisbitt in Mind Set!
»Um Wissen zu erlangen, füge täglich etwas hinzu, um Weisheit zu erlangen,
entferne täglich etwas.«
Lao Tzus
»Vereinfachen bedeutet, man muss so lange streichen, bis man nichts mehr
weglassen kann, ohne das Wesen zu verändern.«
Dieter Brandes
218  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 11
Zukunftsmärkte
Es gibt zwei große Marktsegmente, die von den Anbietern noch fast vollständig vernachlässigt, oder zumindest nicht so sehr in den Fokus gerückt
werden, wie es in Anbetracht ihrer Bedeutung sein müsste. Diese beiden
Märkte werden nachfolgend beschrieben.
»Graue Revolution«
Die demografische Entwicklung
»Das alte Land«: Vor zehn Jahren hat jeder mit diesem Begriff noch das
Obstanbaugebiet an der Elbe gemeint. Heute gilt dieser Begriff nicht nur
für Deutschland, sondern für Westeuropa, Nordamerika und Japan, wo
jeweils eine vergleichbare Entwicklung zu beobachten ist: Die Gesamtbevölkerung in Deutschland schrumpft, der Anteil an über 50-Jährigen
nimmt jedoch sowohl prozentual als auch absolut in den nächsten Jahren
zu. Vieles lässt sich nicht mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen, die
Entwicklung der Alterspyramide allerdings schon. Hierzu einige Zahlen:
• Bereits im Jahr 2010 sind circa 60 Prozent der Arbeitskräfte in Deutschland über 40 Jahre alt, über 40 Prozent der Deutschen über 50 Jahre alt;
• das Durchschnittsalter in Europa wird für 2015 auf 44 Jahre geschätzt,
bis im Jahr 2030 auf 47 Jahre;
• 2030 wird es in Deutschland mehr als 22 Millionen Menschen über 65
Jahre geben;
• der Altersquotient (Rentner auf 100 Erwerbstätige) wird bis 2030 auf
circa 70 Prozent steigen;
• bis 2050 steigt das Durchschnittsalter auf 50 Jahre, auf 100 Erwerbstätige kommen dann 77 Rentner.
Personen über 50 Jahre haben durchschnittlich noch mehr als die Hälfte
Zukunftsmärkte  219
ihres Erwachsenenlebens vor sich. Sie bilden jetzt und noch mehr in der
Zukunft die Konsumentenmehrheit. Dieser demografische Wandel erfordert ein Umdenken. Und es reicht nicht, wenn die Werbung sich auf diese
Generation einstellt. Es wird Zeit, dass die Produktentwicklung eine Ausrichtung vornimmt. Kein Markt wächst so schnell, und das mit 100-prozentiger Garantie.
Zur Verschiebung der Alterspyramide kommt eine weitere Entwicklung
hinzu: Immer mehr Beziehungen bleiben kinderlos. Im Jahrgang 1940
blieb nur eine Frau von zehn kinderlos, im Jahrgang 1965 waren es bereits
drei von zehn.
Auswirkungen
Bestehende Produkte werden in Zukunft nicht mehr verkaufbar sein:
Handys mit schlecht zu lesendem Display, kompliziert zu bedienende
DVD-Player et cetera bleiben Ladenhüter. Senioren werden es nicht mehr
akzeptieren, ein 500-seitiges Handbuch lesen zu müssen, um ungefähr mit
dem Gerät umgehen zu können
Keine Gruppe wächst so schnell und so sicher wie die Gruppe der heutigen Rentner. Rentner entscheiden Wahlen, denn es gehen mehr Menschen
über 50 Jahre wählen als jüngere. Diese Entwicklung ist in allen westlichen Ländern zu beobachten. Jedoch ist keiner richtig vorbereitet: weder
die Rentenkassen noch die Industrie. Noch nicht einmal ein Name wurde
der Generation gegeben. So lauten die Versuche: Jungsenioren, Golden
Oldies, Best Ager, Silver Surfer, junge Alte, Generation 50 plus, Selpies
(Second Life People), Woopie (Well-off older People) und so weiter.
Eine ganz andere Generation
Die jungen Alten werden anders arbeiten, anders leben und andere
Ansprüche an ihre Lebensqualität und ihre Gesundheit haben. Nachfolgend sind die Veränderungen gegenüber vorherigen Seniorengenerationen
kurz zusammengestellt:
Fitness
Der medizinische Vorsorgebereich wächst, die medizinische Versorgung
im Krankheitsfall wird immer besser. Beides bewirkt einen Anstieg der
220  Praxishandbuch Produktentwicklung
Lebenserwartung. Die jungen Alten haben noch 50 Prozent ihres Erwachsenenlebens vor sich. Diese Altersgruppe ist nicht nur fitter, sie will es auch
noch so lange es geht bleiben. Somit wird mehr Geld für Gesundheitsprodukte und gesunde Ernährung ausgegeben. Nicht nur für die Behandlung
von Krankheiten, sondern auch für die Prävention.
Erscheinung
Neben der körperlichen Fitness wollen sie auch attraktiv bleiben. Die
Anzahl der Schönheitsoperationen bei Personen ab 60 nimmt deutlich zu.
Die Kleidung wird nicht mehr nach funktionalen Eigenschaften gekauft,
immer mehr entscheidet die Optik. Das Modebewusstsein steigt.
Finanzstärke
Armut und Alter gehören heute nicht mehr zusammen. Die neuen Alten
haben finanzielle Mittel wie noch keine Generation vor ihnen, und noch
viele Jahre vor sich. Was für die Rentenkasse ein Riesenproblem darstellt,
ist für Produktanbieter ein Glücksfall. In der Presse wird die demografische Entwicklung immer negativ tituliert. Die Chancen für die Wirtschaft werden verschwiegen.
Der Lebensstandard ist in den letzten Jahren gestiegen und die jetzt
jungen Alten profitieren von einem noch funktionierenden Rentensystem.
Die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse hat ermittelt, dass die
über 50-Jährigen nach Abzug der Kosten pro Monat im Durchschnitt
mehr Geld zur freien Verfügung haben als die unter 50-Jährigen. Zwar
ist die Rente kleiner als das Einkommen von Erwerbstätigen, doch auch
die finanziellen Verpflichtungen sind niedriger. Die Kinder sind aus dem
Haus, die Hypothek ist abbezahlt, für die Rente braucht nichts mehr
zurückgelegt werden. So haben viele Rentner finanzielle Rücklagen. Die
Best Ager in Deutschland (20 Millionen Bürger) besitzen 60 Prozent des
Vermögens, die über 50-Jährigen sind für über 50 Prozent der Ausgaben
für Konsumgüter verantwortlich.
Wie sie sich fühlen und wie sie sind
Was gestern die 40-Jährigen waren sind heute die 60-Jährigen: von der
Einstellung, der Lebenslust, dem Verhalten und den Erwartungen. Egal
wie alt die Menschen über 30 sind (oder bereits schon eher), sie fühlen
sich jünger, mindestens 10 Jahre jünger als sie biologisch sind. Und diese
Zukunftsmärkte  221
Spanne wird durch den medizinischen Fortschritt immer größer. Diese
Differenz zwischen den Erwartungen und den realen körperlichen Fähigkeiten zu schließen, ist der Wachstumsmarkt.
Körperlich treten Alterserscheinungen auf, zum Beispiel ein Nachlassen der Sinne (Sehen, Hören, Tasten), der Motorik, des Gleichgewichts,
der Gelenkigkeit, der Kraft. Immer noch wie vor 50 Jahren. Dieses wird
merkbar beim Treppensteigen, Bedienen von Geräten, Öffnen von Verpackungen, akustischen Verstehen, Lesen des Kleingedruckten. Dieses
ist bei der Produktentwicklung zu berücksichtigen. Hinzu kommt auch
ein Nachlassen geistiger Fähigkeiten (zum Beispiel Anpassung an Neues,
Lernfähigkeit), Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit.
Durch jedoch jahrelange geistige Tätigkeit (weit mehr als noch vor 50
Jahren) im Beruf bleibt hier das Niveau länger bestehen.
Erwartungen und Konsum
Früher war das Rentenalter eher ein gemütliches Aussteigen, heute wird
durchgestartet. Stützstrümpfe, Treppenlift und Klosterfrau Melissengeist
waren gestern. Das Bild der alten, dahinsiechenden Generation ist völlig überholt. Harley Davidson, Wellness, Spielzeugeisenbahn, Weltreise
und Spanischkurs sind heute gefragt. Feuerstuhl statt Schaukelstuhl.
Das Einstiegsalter von Harley-Fahrern ist nicht 20 oder 30, sondern 56
Jahre. Diese Altersgruppe fliegt nach Mallorca, kauft sich endlich den
Neuwagen, den sie schon immer haben wollte. Und für den Kurztrip nach
England wird noch ein Sprachschnellkurs absolviert. Es werden Jugendträume erfüllt, zu denen in früheren Jahren keine Zeit war oder für die die
finanziellen Mittel fehlten. Das Ziel ist die selbstständige Lebensführung.
Das Alter bestimmt nicht mehr das Verhalten.
Die neuen Alten sind moderner Technik gegenüber aufgeschlossener,
da sie in ihrem Leben bereits viele Neuerungen erlebt (und überlebt)
haben. Auch das Internet wird von den älteren Jahrgängen immer mehr
angenommen. Bereits im Jahr 2005 surfte laut Allensbacher Computerund Telekommunikationsanalyse ein Drittel der Rentner im Internet. Zu
beachten ist jedoch: es ist die Generation v. C. Die Generation ist vor dem
Computerzeitalter aufgewachsen und musste sich an diese Technologie
gewöhnen. Und das sollte berücksichtigt werden. Die Senioren haben sich
häufig den ersten PC mit über 60 Jahren gekauft. Da ist viel Beratung und
Schulung notwendig.
Die Senioren haben grundsätzlich die gleichen Bedürfnisse wie alle
Generationen, jedoch mit anderen Schwerpunkten. Sie wollen weniger
222  Praxishandbuch Produktentwicklung
Risiko eingehen. Sicherheit in Bezug auf Eigentum, Finanzen und Gesundheit sowie Zweckmäßigkeit rücken durchschnittlich mehr in den Vordergrund als bei jüngeren Generationen.
Verhalten gegenüber Werbung
Sie haben viel Lebenserfahrung und glauben der Werbung nicht mehr
alles, denn sie sind in ihrem Leben zu oft von Werbung enttäuscht worden.
Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist ihnen daher noch wichtiger. Vor dem
Kauf wollen sie das Produkt ausgiebig testen. Und sie wollen überzeugt,
nicht überredet werden. Entscheidungsprozesse dauern länger, »man
hat ja Zeit«. Die jungen Alten werden immer selbstbewusster und haben
gelernt, zu diskutieren und sich durchzusetzen. Die 68er kommen jetzt ins
Rentenalter. Das Alter bestimmt immer weniger das Verhalten und die
Bedürfnisse und ist immer weniger als Segmentierungsparameter geeignet.
Es gibt nicht »den Seniorenmarkt«
60 plus = 60 plus? Nein. Die Gruppe ist nicht homogen, denn zwischen 60
und 90 liegen 30 Jahre mit unterschiedlichen Bedürfnissen, unterschiedlichen Fähigkeiten und Gesundheitszuständen. Und neben den Unterschieden im Alter gibt es wie in allen Generationen je Altersstufe differenzierte
Bedürfnisse. Es gibt auch hier die Passiveren/Zurückgezogenen, die aktiv
Kulturinteressierten, die Erlebnisorientierten und so weiter. Somit sind
unterschiedlichste Bedürfnisse zu beobachten, die zu unterschiedlichem
Konsumverhalten führen. Die Heterogenität nimmt im Alter aufgrund
unterschiedlicher körperlicher und geistiger Einschränkungen noch eher
zu. Einige 80-Jährige nehmen am 10-km-Lauf teil, andere sind Pflegefälle. Kein Anbieter würde auf die Idee kommen, 10- bis 40-Jährige in
einen Topf zu schmeißen und ihnen ein und dasselbe Produkt anzubieten.
Genauso unterscheiden sich 60- und 90-Jährige.
Und dann diese Produkte
Nun stellt sich die Frage: Was haben Oma und Opa nur falsch gemacht?
In der Produktentwicklung werden sie vernachlässigt, in der Werbung
praktisch ignoriert. Die Werbung konzentriert sich auf die Jungen, statt
auf die jungen Alten. Letztgenannte sind in der Mehrheit und haben die
Zukunftsmärkte  223
Kaufkraft und die Zeit, um das Geld auszugeben, und auch die Lust am
Konsum.
Die Modebranche konzentriert sich nur auf Junge mit Konfektionsgröße 34 beziehungsweise 94. H&M und Zara passen ihre Kollektion im
Zweimonatsrhythmus den Erwartungen der jüngeren Generation an. Aus
welchen Gründen gibt es diese Anpassungen nicht auch für die Generation
50+? Viele Unternehmen haben anscheinend Angst, die Jungen zu vergraulen, wenn sie auch die ältere Generation ansprechen. Aber die Gruppe
der älteren Menschen wird immer größer.
Elektroprodukte sind komplett an den Senioren vorbei entwickelt.
DVD-Player, PC, Handy et cetera: Geräte, die voll von Technik sind. Sie
haben zu viele Funktionen zu Lasten der Bedienerfreundlichkeit. Und
die Homepages der Hersteller sind voll mit blinkenden Bannern, kleiner
Schrift, viel Text, Fremdworten und Anglizismen sowie unverständlicher
Navigation.
Alt sind immer nur die anderen
Wenn Sie Ihre potenziellen Kunden als Senioren ansprechen und in der
Werbung Rentner mit Gehhilfe abbilden, dann können Sie sich sicher sein:
Sie verschrecken diese Gruppe. Diese Gruppe sieht und fühlt sich mindestens zehn Jahre jünger als sie in Wahrheit ist. Sie will weder auf ihr Alter
noch auf die altersbedingten Einschränkungen angesprochen werden.
Niemand fühlt sich geschmeichelt, wenn man ihm Produkte anbietet, die
schon vom Namen her für »Alte« sind. Um 70-Jährige von einem Produkt
zu überzeugen, sollte es in der Werbung dargestellt werden, als wenn es für
50-Jährige ist (inklusive der abgebildeten Personen). Der Begriff »Seniorenteller« konnte früher im Restaurant noch zu Bestellungen führen, heute
wird er als Beleidigung aufgefasst. Wie wäre eine Rubrik »Für den kleinen
Hunger« mit vollwertigen Gerichten, nur eben etwas weniger? Beim Essen
etwas übrig zu lassen, schmerzt dieser Generation. Dafür haben sie zu
viele schlechtere Zeiten erlebt.
Literatur mit dem Namen »Computerwissen für Senioren« ist genauso
unpassend wie der 50plus-Supermarkt oder 50plus-Hotels. Diesen Fehler
bekam Tibal Fisher mit seiner Handelkette TF’s Next Stage zu spüren.
Der Zustrom blieb aus, da alles in den Geschäften den Kunden verdeutlicht, wie alt sie sind. Die Produkte für dieses Marktsegment sollten nicht
als Seniorenprodukte gekennzeichnet und beworben werden. Am besten
sind Produkte, die altersunabhängig die Bedürfnisse erfüllen. Ein einfa224  Praxishandbuch Produktentwicklung
ches Handy wird von vielen gewünscht. Die altersbedingten Defizite sind
dezent und vorteilhaft in Ihre Produktentwicklung einzubeziehen, denn
diese Defizite gilt es zu lindern.
Die Herausforderung für die Wirtschaft
Mit der wachsenden Zahl der Senioren und ihren veränderten Erwartungen besteht ein großer Bedarf an Produkten, die genau auf diese Erwartungen zugeschnitten sind. Prüfen auch Sie mit Ihrem Angebot, ob Sie mit
Ihren Produkten auf diesen wachsenden Markt aufspringen können oder
welche Schritte zu unternehmen sind, um in diesen Wachstumsmarkt einzusteigen. Diese Gruppe erwartet Produkte, die heute noch gar nicht auf
dem Markt sind. Und das Marktsegment für Menschen ab 50 oder ab 60
ist keine Nische, es ist – neben dem Marktsegment Frauen – der Markt.
Wenn diese Gruppe quantitativ die größte wird und über das größte Vermögen verfügt, dann führt kein Weg mehr an ihr vorbei. Erst wenige
Anbieter haben das Potenzial erkannt – und noch weniger Anbieter haben
ihr Angebot auf die Bedürfnisse der Best Ager ausgerichtet. Machen Sie
aus der Alterspyramide Ihren Altersdiamanten!
Die größte Herausforderung für Unternehmen ist es, die Ansprache
bedarfsgerecht zu gestalten. Die Werbung ist voll von englischen Begriffen, die Beschreibung unverständlich und die Ausdrucksweise für Senioren
gewöhnungsbedürftig. »Lasst euch nicht verarschen«: ist das die Sprache
der kaufkräftigen Kundengruppe? Ein Großteil des Sortiments des Elektrohandels, der mit diesem Slogan wirbt, liegt im Hochpreissegment. Ein
Fernseher für 6 999,- Euro wird meist nicht von Kindern oder Studenten
gekauft, sondern von erwachsenen Menschen. Und die erwarten, dass
man entsprechend mit ihnen redet. Wie wäre es – gerade im technischen
Bereich –, Verkäufer im gehobenen Alter für Senioren einzusetzen? Die
Verständigung wäre sicherlich einfacher. Was erlebt man stattdessen heute
im Einzelhandel?: Junge Verkäufer versuchen mit ihrem Fachchinesisch,
den »Alten« zu erklären, was die Geräte alles können. Dabei sind Lesbarkeit der Werbung und auch der Produktbeschreibung (bitte gedruckt und
nicht nur auf CD oder im Internet) wichtig für die Wahl des einen oder
anderen Produkts. Auf der Firmenhomepage sollte es möglich sein, die
Schriftgröße anzupassen. Auch eine verständliche Preisstruktur steigert
die Akzeptanz der Produkte. Neben der Ansprache ist bei den Geräten
noch mehr auf eine einfache Bedienung und eine hohe Fehlertoleranz zu
achten, damit auch eine fehlerhafte Bedienung nicht zur Schädigung des
Zukunftsmärkte  225
Produkts führt und der Kunde auf vielen Wegen der Bedienung an das
Ziel gelangt.
Wie in allen Marktsegmenten müssen auch im Seniorensegment die
Käufer, Zahler und Entscheider im Produktkauf nicht eine Person sein.
Bei Hochbetagten kommen als wichtige Gruppe noch die Beeinflusser wie
Angehörige, behandelnde Ärzte, Sozialarbeiter und so weiter mit hinzu,
die eine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielen. Somit sind Produkte
so zu erstellen und zu bewerben, dass auch diese Personen einen Vorteil in
der Wahl eines bestimmten Produkts sehen.
Sich in die Gruppen hineinversetzen
Sie müssen die Regeln und Erwartungen der Gruppe kennen, um diesen
Zukunftsmarkt nutzen zu können. 25-jährige Mitarbeiter in der Produktentwicklung und im Verkauf können nicht funktionieren. Diese können
sich nicht in einen 60-Jährigen mit seinen Defiziten und Bedürfnissen
hineinversetzen.
Um mit Produkten in diesem wachsenden Marktsegment erfolgreich
zu sein, müssen die Senioren verstanden und deren »Eigenheiten« in allen
Belangen (Produkt, Kommunikation et cetera) berücksichtigt werden.
Leider haben viele Unternehmen ihre älteren Mitarbeiter alle in Rente
geschickt. Es bleiben verschiedene Ansätze, damit sich die Jüngeren in das
Marktsegment der Senioren hineinversetzen können:
• der direkte Kontakt der Mitarbeiter zu dieser Gruppe (zum Beispiel
durch Einzelgespräche oder Gruppendiskussionen). Wichtig sind hier
insbesondere Beobachtungen in Alltagssituation und bei der Nutzung
von Produkten;
• Simulation der altersbedingten Einschränkungen, denn junge Ingenieure können zum Beispiel das Ein- und Aussteigen aus einem PKW
für Senioren nicht nachempfinden. Damit die Mitarbeiter in der Produktentwicklung in die Welt der Senioren einsteigen können, hat unter
anderem Ford die altersbedingten Hindernisse der Senioren simuliert
und einen Testanzug entwickelt. Dieser Testanzug macht über schwer
gängige Manschetten die Gelenke steif, erhöht den Leibesumfang
und das Körpergewicht. Durch Handschuhe wird der Tastsinn herab
gesetzt, durch Kopfhörer der Eindruck der Schwerhörigkeit erzeugt und
durch eine milchige Brille die Sehfähigkeit reduziert und Grauer Star
simuliert. Gewichte an Körpergelenken sollen den Kraftverlust sowie
226  Praxishandbuch Produktentwicklung
eingeschränkte Bewegung verdeutlichen. Motorische und sensorische
Fähigkeiten sind so erheblich reduziert. Mit diesem Alterssimulationsanzug sollen die Mitarbeiter in das Auto steigen, den Motor starten und
fahren. Als Ergebnis dessen wurde das Armaturenbrett lesbarer, der
Platz für das Einsteigen geräumiger und so weiter. Einen vergleichbaren
Anzug hat Meyer Hentschel Management Consultung (www.mhmc.de)
mit dem »Age Explorer« entwickelt;
• am besten ist es immer noch, Personen aus dem Marktsegment als Produktentwickler im Unternehmen zu haben (angestellt oder freiberuflich), die dann über Gespräche und Beobachtungen den Kontakt zu den
Kunden herstellen.
Produkte
Der USP und alle sechs Perspektiven der Produkte (Funktionen, Struktur,
Ansprache, Produktart, Emotion, Design) sind den Bedürfnissen der
Senioren anzupassen, egal, ob Sie Waren oder Dienstleistungen anbieten.
Einige Beispiele:
• Durch die Kinderlosigkeit beziehungsweise die häufige geografische
Trennung von Kindern und den Eltern kann eine Betreuung innerhalb
der Familie nicht mehr gewährleistet werden. Hier erschließt sich ein
gigantisches Marktsegment in der Altenpflege und der Betreuung;
• ältere Kunden brauchen Autos, in die man einfach ein- und aussteigen
kann, und die mit Armaturenbrettern sowie Bedienungsanleitungen
ausgestattet sind, die leicht lesbar sind;
• Convenience-Produkte, wenn die selbstständige Zubereitung des Essens
nicht mehr möglich ist. Produkte, die nur die Zubereitungszeit reduzieren, sind von weniger Interesse, denn Zeit steht genug zur Verfügung;
• Komplexitätsreduktion ist in diesem Marktsegment noch wichtiger als
bei den jüngeren Generationen. Gewünscht werden Handys und Telefone mit nur wenigen, einfach zu bedienenden Tasten, den wichtigsten
Funktionen und einfachster Menüführung (ohne Untermenüs). So bietet
zum Beispiel das Unternehmen Mobitel mit dem Slogan »Das einfachste
Mobiltelefon der Welt« ein Handy mit nur drei Tasten an. Hierüber
erreicht werden dann Disponenten, die alle Anfragen und Wünsche des
Handybesitzers weiterleiten oder gleich erfüllen;
• Waschmaschinen, bei denen kein Waschpulver mehr zugegeben werden
muss beziehungsweise dieses automatisch dosiert wird;
Zukunftsmärkte  227
• Produkte zur Sicherheit: sei es gegen Diebstahl, oder für Gesundheit
und körperliche Unversehrtheit. Manche auf ältere Gäste spezialisierte
Hotels stellen sich – dezent – schon auf Notfälle ein. Das komplette
Team ist geschult und auch für erste Hilfe ausgerüstet. Bei Stammgästen ist die Krankenakte hinterlegt;
• aus der Not heraus (immer weniger Kinder) entdecken die ersten Spielwarenhersteller jetzt die Senioren. Die Umsetzung gestaltet sich allerdings nicht ganz einfach, da die Produkte für Kinder nicht eins zu eins
übernommen werden können;
• Lieferservice für alle Produkte des täglichen Bedarfs;
• Einkaufen kann einerseits Stress bedeuten, andererseits ist es häufig
der einzige verbliebene soziale Kontakt. Dann sollte dieser ein Erlebnis
sein. Die Senioren müssen sich nach der Auswahl und dem Kauf des
Produkts besser fühlen als vorher, nicht schlechter;
• grundsätzlich sollten alle Produkte ohne motorische Feinfertigkeit und
ebenso ohne großen Kraftaufwand bedienenbar sein;
• der gesamte Gesundheitsmarkt mit den Produkten zur Linderung und
zur Prävention, um Alterserscheinungen so weit wie möglich herauszuzögern. Einbußen werden nicht mehr als Schicksal akzeptiert. Spezielle
Fitnessstudios für Frauen gibt es bereits. Wie wären Fitnessstudios für
Senioren? Insbesondere Fitnessstudios – aber auch Sportvereine – buhlen um die Jugend, obwohl der größere und zahlungskräftigere Markt
die Senioren sind. Und die wollen nur ungern im direkten Vergleich mit
Topathleten trainieren.
Frauen
Es geht im Folgenden ausschließlich um ökonomische Belange, nicht um
politische oder ideologische Haltungen zur Gleichberechtigung zwischen
Mann und Frau. Die Hälfte der Bevölkerung sind Frauen, und da Frauen
die Mehrheit der Entscheidungen treffen, sind sie der Markt.
Ausbildung und Beruf
Noch vor 30 Jahren trugen Männer meist zum Haupteinkommen in der
Familie bei. Das war die Zeit, in der nur der Mann das Geld mit nach
Hause brachte und er der Frau etwas Haushaltsgeld gab. Der Anteil der
228  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abiturientinnen liegt heute bei über 50 Prozent, das Frauen-Männer-Verhältnis der Bachelor-Absolventen bei circa 1,4:1, das der Master-Absolventen bei circa 1,5:1. Das ist ein deutlicher Indikator für die aktuelle und
zukünftige finanzielle Verteilung der Kaufkraft. Das Durchschnittseinkommen der Frauen stieg in den letzten Jahren mehr als das der Männer.
In den USA verdienen über 20 Prozent der berufstätigen Ehefrauen mehr
als ihre Männer – Tendenz steigend. Immer mehr Frauen gründen Unternehmen, was in der vorherigen Generation fast ausgeschlossen war. Frauen
bekleiden auch in Deutschland immer häufiger Führungspositionen. Der
Unterschied der Erwerbsquoten zwischen Frauen und Männern wird
geringer. Frauen sind schon heute für die Mehrheit der Kaufentscheidungen in der Familie zuständig. Sie geben nicht mehr das Geld ihrer Männer,
sondern ihr eigenes aus. Es interessiert für die Produktentwicklung auch
nicht, wer das Geld »nach Hause bringt«, sondern wer entscheidet, wo es
in welchem Umfang ausgegeben wird.
Wo Frauen entscheiden
Häufig ist in Zeitschriften und Büchern über die neuen Frauen zu lesen.
Doch keiner kümmert sich um sie, obwohl der Einfluss der Frauen stetig
zunimmt. Ob im Berufsleben als Führungskraft oder – und für Ihre Produktentwicklung viel wichtiger – bei den Entscheidungen des Einkaufsverhaltens. Weit über 50 Prozent der Kaufentscheidungen werden von Frauen
getroffen und zwar in allen Bereichen: Haushaltsgeräte, Bedarf für die
Familie, Geldanlagen, Elektrogeräte, Gesundheitsprodukte, Computer,
Auto (die Entscheidung wird zu 65 Prozent von Frauen getroffen, auch
wenn noch über 50 Prozent der Wagen auf die Männer zugelassen sind).
Frauen entscheiden praktisch alles. Die Entscheidung über den Urlaub,
die Einrichtung, die Häuser- und Wohnungswahl, die Versicherungen,
die Bankangelegenheiten, die Krankenversicherung werden sogar zu über
75 Prozent von Frauen gefällt. Hinzu kommen noch Kaufentscheidungen,
die von Männern gefällt werden, auf deren Entscheidungsweg jedoch die
Frauen einen erheblichen Einfluss und ein Vetorecht haben.
Das heißt, Frauen haben bei der Produktauswahl nicht nur eine entscheidende Rolle, sie haben die entscheidende Rolle. Sogar bei der »Männerdomäne« des Biereinkaufs treffen zu 30 Prozent die Frauen die Kaufentscheidung. Die Frauen agieren bei den Kaufentscheidungen häufig im
Hintergrund, da im Geschäft die Männer noch eher ernstgenommen werden und bei zum Beispiel Preisverhandlungen mehr erreichen. Lassen Sie
Zukunftsmärkte  229
sich nicht vom vermeintlich geringen Einfluss der Frauen täuschen. Da die
Frauen die Mehrheit der Entscheidungen treffen, darf man sie nicht übersehen, sondern muss sie ins Zentrum setzen.
Der »kleine« Unterschied
»Männer sind anders, Frauen auch.« Dieser Titel des Klassikers von John
Gray bringt es auf den Punkt. Frauen denken, fühlen und kommunizieren
komplett anders als Männer. Frauen und Männer sind in ihrem Einkaufsverhalten, der Reaktion auf Werbung, ihren Bedürfnissen und Gründen
für eine Produktwahl grundverschieden. Leider wurde im letzten Jahrhundert versucht, neben der rechtlichen Gleichstellung auch das Wesen
und die Fähigkeiten gleichzusetzen. Das klappt nicht. Dabei sind Frauen
nicht besser und auch nicht schlechter als Männer. Sie sind nur anders.
Gleichberechtigung ja – Gleichheit nein.
Tabelle 19: Einige Geschlechterunterschiede, die insbesondere für das
Kaufverhalten entscheidend sind
Frauen
Männer
denken vernetzt
denken linear
wollen mit allen Sinnen angesprochen
werden, achten auf das Gesamte. Alles
am Produkt muss stimmen
entscheiden aufgrund einiger weniger
Fakten. Fokussieren auf den Kernnutzen
des Produkts
schließen sich den Marken an und möchten eine Beziehung zur Marke aufbauen
kaufen Produkte
Design und vom Produkt erzeugte Emotionen sind wichtig
kaufen mehr funktional
suchen nach Gemeinsamkeiten, Zugehörigkeit und Beziehungen in der Gruppe
wollen herausragen und sich absetzen.
Es gilt der Wettbewerb
im Sportverein zählt mehr das Knüpfen
von Kontakten und Schließen von
Freundschaften
im Sportverein zählt Sieg oder Niederlage
bevorzugen Netzwerke
lieben Hierarchien
Bequemlichkeit, Sicherheit, Stabilität,
Fürsorge sind wichtig. Frauensprache:
»Dadurch kann ich auf der Autobahn
sicher einfädeln«
Technik steht im Vordergrund. Männersprache: »Das Auto schafft es von 0 auf
100 km/h in 7 Sekunden«
230  Praxishandbuch Produktentwicklung
bevorzugen runde, verzierte Formen
bevorzugen gerade Formen
suchen aktiv die Hilfe anderer Personen
ziehen sich zurück, wenn sie Probleme
haben und versuchen, die Lösung allein
zu finden
kommunizieren, um Beziehungen zu
schaffen
kommunizieren, um Informationen zu
erhalten
denken »sowohl als auch« (Grautöne)
denken »entweder oder« (schwarz-weiß)
Frauen shoppen: suchen aus und wägen
ab. Umfassende Blicke auch nach
Dingen, die zum eigentlichen Produkt
passen könnten
Konzentration beim Kauf auf das Problem. Sie suchen und kaufen genau das,
was sie sich vorgenommen haben
betreiben mehr gesundheitliche Vorsorge
gehen nur zum Arzt, wenn sie krank sind
achten mehr auf ihre Gesundheit. Sie
wählen die Lebensmittel viel sorgsamer
und nach anderen Kriterien aus. So
kommt es zu einem völlig unterschiedlichen Ernährungsverhalten (mehr Obst
und Gemüse, weniger Fleisch und
Alkohol)
möchten ihren Hunger stillen
Die obige Gegenüberstellung stellt die überwiegend zu beobachtenden
Unterschiede dar.4
Und wie reagieren Unternehmen?
Frauen entscheiden alles, nur werden sie von Anbietern vernachlässigt.
Warum? Weil bei Anbietern die leitenden Positionen meist von Männern
besetzt sind. Frauen wollen nicht wie Barbiepuppen behandelt, sondern
auf Augenhöhe ernst genommen werden. Das haben viele männliche Verkäufer und Produktentwickler noch nicht verstanden.
Werbung und Verkauf
Werbung ist – bis auf die typischen »Frauenprodukte« – überwiegend an
Männer gerichtet. Leider spricht sie damit nicht die Mehrheit der Ent4 Zur Vertiefung dieses Themas empfehle ich das Buch von John Gray: Männer sind
anders, Frauen auch (Goldmann 2009) sowie Evalution von Faith Popcorn (Heyne
2001).
Zukunftsmärkte  231
scheider an. Auch online zeigen Frauen ein ganz anderes Kaufverhalten als
Männer. Frauen haben auch hier Spaß am Shoppen und sind eher emotional geleitet. Aber sind die Internetportale darauf eingerichtet? Nein! Wer
entwickelt denn die Portale? AWM, also Alte Weiße Männer (gemeint ist
das natürlich ergraute Haar im Alter).
Auch der Verkauf hat sich insbesondere bei »Männerdomänen« wie
zum Beispiel Autohäusern immer noch nicht auf Frauen eingestellt. Wer
verkauft zum Beispiel Autos in Deutschland? Es sind AWM. Wenn Frauen
in den Autohäusern beschäftigt sind, dann meist im administrativen
Bereich, nur äußerst selten im direkten Verkauf. Aber wie viele männliche
Autoverkäufer kennen sich mit den Erwartungen der Frauen hinsichtlich
Autos aus und wissen, was Frauen bei Autos wirklich wichtig ist? Praktisch gar keine. Häufig werden Frauen so behandelt, als wenn sie einen
niedrigen IQ und wenig Geld hätten. Wenn ein Paar ins Autohaus geht,
dann spricht der Verkäufer oft nur mit dem Mann. Und dann ist der Verkäufer verwundert, wenn abschließend der (Mit-)Entscheider ohne Kauf
den Laden verlässt. Hier wird echter Umsatz verschenkt. Zumal wenn
man berücksichtigt, dass Frauen meist ein größeres Netzwerk haben und
somit ihre Erlebnisse noch weiter verbreiten.
In der Produktentwicklung
Männer entwickeln Produkte für Frauen nach ihrer eigenen Denkweise
und ihren Bedürfnissen. Und wer entwickelt noch heute Produkte für
Frauen? Auch hier überwiegend AWM. Das kann nur schief gehen. Ein
Mann kann noch so sehr versuchen, Produkte für Frauen zu entwickeln.
Er kann es nicht. Allerspätestens (meist schon viel eher) bei der Emotionalität des Produkts wird er scheitern. Um optimale Produkte für Frauen
zu entwickeln, müssten auf jeden Mann mindestens neun Frauen im Team
kommen. Die Gruppe, die später kaufen soll, muss auch im Entwicklungsteam sitzen – und zwar in der deutlichen Mehrheit. Männer mit der
Unisex-Auffassung »Wir denken doch alle gleich« helfen da nicht. Die
Denkweise des anderen Geschlechts bleibt den Menschen auf ewig verschlossen – und zwar in beide Richtungen. So sehr wir uns auch bemühen.
Ein sehr plakatives Beispiel der Missachtung wird bei jedem Theaterund Messebesuch deutlich. Und das in Hamburg, Stuttgart, Berlin, London und New York. Aus Gründen der Gleichberechtigung (mir fällt sonst
kein anderer ein) gibt es gleichviel Toiletten für Männer und Frauen. Da
waren sicherlich männliche Architekten am Werk. Das Ergebnis: Vor den
Herren-WCs gibt es fast keine Schlange, bei den Damen mindestens 10
232  Praxishandbuch Produktentwicklung
Meter. Im Theater ist die Pause eher vorbei, als die Schlange abgebaut
ist. An die Zeit für ein Getränk in der Pause ist gar nicht zu denken.
Wollen die Veranstalter nicht auch Umsatz mit den Getränken machen?
Solange die Damen woanders stehen, wird nichts konsumiert. Sie meinen,
das kommt nur bei Altbauten vor? Nein, auch in neuen Messehallen und
Theatern ist diese Form der Gleichbehandlung zu beobachten.
Ebenso sind für den Entwurf von Wohnungen und Häusern meist Männer zuständig. Die Kaufentscheidungen werden jedoch meist von Frauen
getroffen. Wer ist wohl meistens für die Entwicklung von Supermärkten
verantwortlich? Und wer kauft überwiegend dort ein? Ein entsprechendes
Verhältnis gibt es bei der Produktentwicklung von PKW. Das kann nicht
gut gehen. Was liegt hier für ein Potenzial, wenn auch Frauen in der Produktentwicklung das Sagen hätten? Endlich mal ein Auto, das den Bedürfnissen der Frauen entspricht. In der Möbelbranche herrscht das gleiche
Bild: Männer arbeiten im Entwurf und in der Tischlerei, Frauen treten als
Käufer auf. Die Inneneinrichtung in Hotels wird meist von Männern entworfen. Wer berücksichtigt hier die Bedürfnisse der Entscheidungsträger?
Denn der Anteil an weiblichen Geschäftsreisenden wird immer größer.
Doch welches Hotel ist darauf eingerichtet? Eine Hotelbar gibt es immer.
Und Tageskindergarten? Babysitter? Spielplätze? Der früher übliche Kinderhort in Möbelgeschäften und Kaufhäusern wurde abgeschafft. Wer
soll das verstehen? Wohl nur Männer.
Auf Messen gibt es das gleiche Bild (egal ob Fachmessen oder Verbraucherveranstaltungen): an den Ständen stehen überwiegend AWM.
Als Besucher auf Fachmessen sind auch überwiegend AWM zu finden.
Wie sollen die denn beurteilen können, nach welchen Kriterien später der
größte Teil der Endabnehmer (Frauen) die Produktauswahl trifft. Gar
nicht!
Es geht hier nicht um die Parole »Rechte für Frauen« oder um Quotenregelung, sondern nur darum, dass Anbieter endlich die größte Entscheidergruppe und deren Bedürfnisse berücksichtigen. Frauen und Männer
sind anders. Somit gehören in die Produktentwicklung und auch in die
Entscheidungsgremien der anbietenden Unternehmen viel mehr Frauen als
es heute der Fall ist.
Auswirkungen für die Produktentwicklung
Die Unternehmen, die zukünftig erfolgreich Produkte verkaufen wollen,
müssen sich den Frauen stellen, ob sie wollen oder nicht. Und das in der
Zukunftsmärkte  233
gesamten Prozesskette: Produkt, Service, Werbung et cetera. Frauen und
Männer sind sprachlich unterschiedlich zu überzeugen. Frauen suchen
mehr nach Beziehungen und bauen Netzwerke auf. Bringen Sie in Ihrer
Werbung mehr Personen in den Vordergrund, weniger technische Daten.
Frauen wollen sich mit den Personen aus der Werbung identifizieren. Verzichten Sie auf Topmodels in der Werbung.
Beachten Sie, dass Frauen ein größeres Netzwerk als Männer haben.
Aktive positive wie auch negative Weiterempfehlungen sind hier noch entscheidender. Passen Sie alles an, und zwar konsequent und komplett. Für
die Unternehmen, die diesen Unterschied begriffen haben, sind die Frauen
die Chance für neue Märkte.
Entwickeln Sie Produkte, die voll und ganz auf die Bedürfnisse der
Frauen ausgerichtet sind, jedoch deklarieren Sie diese nicht in der Werbung
als Frauenprodukte. »PC-Kurs für Frauen« wirkt auf Frauen diskriminierend und wird abgelehnt. Daneben werden häufig auch noch PC-Kurse
für Senioren angeboten. Dieses deutet in eine Richtung: Es gibt Kurse
für Normalbürger (mit normalem IQ) und für nicht so schnell denkende
(Frauen und Senioren). Zudem sind diese als Frauenprodukte deklarierten
Waren häufig die Light-Version der ursprünglichen Ware, jedoch zu einem
höheren Preis. Hiermit sollten Hersteller vorsichtig sein, denn das kommt
raus.
Erste Ansätze
Den Frauen geht es wie oben erwähnt neben den Funktionen der Produkte
auch um Begegnungen, insbesondere bei Produkten, die nicht den Grundbedarf decken. Hersteller müssen sich neben den Produkteigenschaften
überlegen, wie sie im Rahmen ihres Produkts die Frauen zusammenbringen. Wenn das gelingt, entsteht die Bindung zum Produkt und zur Marke.
Auch wenn Väter heute mehr in die Kinderbetreuung und in den Haushalt eingebunden werden, so wird dieser Teil auch heute noch überwiegend
von Frauen übernommen. Hinzu kommt dann noch der Beruf. Produkte,
die hier die Komplexität reduzieren, werden gern genommen.
Endlich fällt auch eine der letzten Männerdomänen: die Baumärkte.
Toom will seine Märkte an den Bedürfnissen der Frauen ausrichten. Service und Beratung sollen in den Vorgrund gestellt werden, die Geräte sind
leichter, die Regalgestaltung soll nicht nur Profis oder die, die sich dafür
halten, ansprechen, denn der Startschuss der Renovierung im Haus wird
überwiegend von Frauen gegeben. Frauen wollen nicht mehr warten, bis
234  Praxishandbuch Produktentwicklung
der Mann mit dem Werkzeugkasten kommt. Für sie gilt: Do it yourself –
and do it now!
Geistreiches und Zitiertes
»Auf der Grafik mit den Altersjahrgängen gibt es eine Säule, die nach oben
immer dicker wird. Das Gebilde ähnelt einem Eishörnchen mit einer großen
Kugel oben drauf.«
Süddeutsche Zeitung im Januar 2005
»Die wichtigsten Kunden von morgen haben graues Haar!«
Oliver Gassmann und Gerrit Reepmeyer in Wachstumsmarkt Alter
»Wenn eine Gruppe den überwiegenden Teil des Reichtums und des frei verfügbaren Einkommens kontrolliert, dann … ist sie der Markt.«
Tom Peters in Tom Peters essentials: Trends
»Frauen, die so gut sein wollen wie Männer, haben einfach keinen Ehrgeiz.«
unbekannt
»Die Probleme, mit denen Mann und Frau heute konfrontiert sind, nehmen
ihren Anfang, sobald sie vergessen, dass sie in ihrem Wesen verschieden
sind. Männer erwarten immer noch von Frauen, dass sie denken und reagieren wie Männer. Frauen erwarten von Männern, dass sie sich benehmen wie
Frauen.«
John Gray in Männer sind anders. Frauen auch
»Moderne Intelligenz bedeutet Intuition – eine Domäne der Frauen.«
Tom Peters in Re-imagine
»Frauen sind keine Nische. Streichen Sie sie aus der Gruppe der Spezialmärkte.«
Tom Peters in Re-imagine
Zukunftsmärkte  235
Kapitel 12
Emotion
Fast alle Produkte funktionieren. Jetzt geht es darum, auf der nächsten
Stufe das Herz der Kunden anzusprechen und Emotionen zu erzeugen, die
im Gedächtnis bleiben.
Die Interessenten wählen ihre Kaufentscheidung nach dem, was ihrem
Bedürfnis nach Nutzen am nächsten kommt. So vergleichen sie die Produkte und stellen ein Ranking auf: Welches Produkt ist besser, und welches schlechter? Der herausragende rationale Nutzen ist Voraussetzung.
Jedoch ist die Zeit der nur nützlichen – jedoch seelenlosen – Produkte
endgültig vorbei. Es reicht nicht mehr, nur zu befriedigen. Die Kunden
wollen verführt werden und in eine andere Welt eintauchen. Das ist verheerend für die Unternehmen, die zwar rational überzeugen, aber die
emotionale Komponente vernachlässigen. Produkte müssen den Kunden
einen rationalen und einen emotionalen Wert liefern.
Somit gilt es zukünftig nicht mehr nur Waren zu verkaufen, sondern
Träume, Gefühle, Illusionen, Abenteuer. Es muss um Emotionen gehen,
die der Kunde hat, wenn er mit dem Produkt das Geschäft verlässt und es
nutzt. Denn die Kundenerlebnisse befriedigen ebenfalls Bedürfnisse und
stellen somit auch einen (immateriellen) Nutzen dar. Das Immaterielle
macht häufig über 50 Prozent des Produktwerts aus, gerade auch bei physischen Produkten. Rational und emotional sind jedoch keine Gegenpole.
Es sind zwei Seiten einer Medaille. Beide Bereiche sind zuständig für die
Kaufentscheidung. Somit sollten auch beide Bereiche bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden.
Erfolgreiche Produkte – und besonders die mit großen Gewinnspannen – liefern alle ein Erlebnis und lösen positive Emotionen aus. Nicht
nur das: Die Produkte und das Drumherum sind ein Erlebnis! Egal, ob
bei physischen Produkten oder Dienstleistungen: Jeder – oder zumindest
fast jeder – Kontakt zu diesen Anbietern hinterlässt positive Gefühle und
Erinnerungen. Je häufiger diese positiven Gefühle ausgelöst werden und je
intensiver diese sind, desto besser werden sie von den Kunden gespeichert.
Die Kunden werden magisch berührt und zwar so, dass sie ihre Erlebnisse
236  Praxishandbuch Produktentwicklung
Freunden und Bekannten bei jeder Gelegenheit erzählen. Was erzählen
Ihre Kunden ihren Freunden über Sie?
Viele Anbieter konzentrieren sich jedoch auch heute immer noch fast
ausschließlich auf die Funktionen ihrer Produkte. Welche Gefühle die
Kunden bei der Auswahl, dem Kauf, der Nutzung et cetera haben, wird
sträflich vernachlässigt und dem Zufall überlassen. Im Restaurant folgt
zum Schluss immer noch die Standardfrage: »Hat es Ihnen geschmeckt?«,
obwohl es bei einem Restaurantbesuch doch wirklich auf mehr ankommt
als nur den Geschmack des Essens. Die Wenigsten gehen ins Restaurant,
weil sie Hunger haben. Das Essen ist nur noch ein Bestandteil des Gesamtnutzens. Wurden Sie schon mal gefragt »Wie war das Erlebnis?«. Eigentlich
ist das doch die viel wichtigere Frage. Denn die Erwartung vieler Gäste
lautet: »Here we are now. Entertain us!« Denn:
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Rolex verkauft keine Uhren;
Ritz-Carlton verkauft keine Hotelübernachtungen;
Harley-Davidson verkauft keine Motorräder;
Gucci verkauft keine Kleidung;
Starbucks verkauft keinen Kaffee;
Louis Vuitton verkauft keine Handtaschen;
Donald Trump keine Wohnungen;
Nike verkauft keine Schuhe;
Disney verkauft keine Videos;
Christian Louboutin verkauft keine Schuhe;
und Apple hat noch nie ein Handy verkauft.
Verkauft werden stattdessen Träume, Gefühle, Erlebnisse, Lebensgefühle,
die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und noch Vieles mehr. Die Produkte
sind nur noch die physische Hülle einer geistigen Idee. Nur: Was ist die
Idee Ihres Produkts? Stellen Sie sich diese Frage, denn davon hängt Ihr
Produkterfolg mindestens genauso viel ab wie vom rationalen Nutzen. Es
ist etwas, was Sie nicht messen können – außer später am Umsatz. Es
ist der Elfenstaub, der Ihren Produkten Flügel verleiht. Diese Emotionen
polarisieren. Sie ziehen Kundengruppen magisch an, andere werden abgestoßen. Genau das soll auch erreicht werden. Sie brauchen Kunden, die
bewusst und unbewusst nicht anders können, als Ihre Produkte zu kaufen.
Und über 70 Prozent aller Entscheidungen fallen unbewusst.
Zu viele Sinneseindrücke prasseln auf uns ein, als dass sie im Bewusstsein verarbeitet werden können. Diese gelangen jedoch alle ins Unterbewusstsein (über 90 Prozent). Und diese 90 Prozent sind für die meisten
Entscheidungen verantwortlich. Daher treffen Menschen die meisten EntEmotion  237
scheidungen emotional, die wenigsten rein rational. Es geht heute immer
weniger um PS, Megahertz et cetera, sondern um Gefühle. Gefühle steuern
das Verhalten. Da die Kunden diese Gefühle jedoch weder messen noch
begründen können, werden die emotionalen Entscheidungen nachträglich
rational begründet. Somit brauchen Kunden auch die Sachargumente,
für die Begründung sich selbst und dem Umfeld gegenüber. Dieses gilt es
zu bedenken, wenn der Nutzer nicht gleich der Entscheider oder Zahler
ist. Denn für die Letztgenannten zählt die Rationalität mehr. Geben Sie
bei hochemotionalen Produkten somit immer auch rationale Gründe mit
an. Auch wenn der rationale Teil nicht an der Kaufentscheidung beteiligt
war, muss er nachträglich befriedigt werden. Emotionale Ansprache und
rationale Begründung gehören zusammen. Kopf und Bauch müssen dem
Angebot zustimmen, erst dann erfolgt der Abschluss. Bei Kopf (rational)
gegen Bauch (emotional) gewinnt immer der Bauch. Facts tell, Emotions
sell! Nur was der Kunde emotional akzeptiert, lässt er überhaupt in seinen
Kopf.
Je komplexer das Umfeld des Kunden ist, je vielfältiger ist das Warenangebot, desto weniger wird rational gekauft. Früher reichten verlässliche
Produkte, heute muss es schon das Besondere sein. Produkte erfüllten
Funktionen, heute müssen sie Gefühle auslösen und eine Geschichte erzählen. Bedürfnisbefriedigung war gestern, heute wollen Träume verwirklicht werden. Die Kunden waren zufrieden, wenn sie das bekamen, was
sie sahen. Heute wollen sie das, was sie sich vorstellen können – und noch
etwas mehr. Heute müssen die Produkte die Kunden mit allen fünf Sinnen
ansprechen und sie über alle fünf Sinne die Produkte erleben lassen. Denn
wenn die Kunden auf mehreren Sinnen gleichzeitig angesprochen werden,
wird dieser Effekt nicht addiert, sondern multipliziert.
Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström raten in ihrem Buch Funky
Business forever zu folgendem Test: »Tut es weh, wenn Sie sich Ihren Wettbewerbsvorteil auf die Zehen fallen lassen? Wenn ja, sollten Sie sich über
Innovationen Gedanken machen. Denn alles, was wehtut, besteht aus zu
viel Material und zu wenig Wissen.« Ändern Sie dieses leicht ab: »Wenn
es wehtut, dann besteht Ihr Wettbewerbsvorteil aus zu viel Material, und
zu wenig Emotionen.« Was Sie anfassen können, ist meist nur wenig wert.
Bieten Sie mehr als nur ein Produkt. Ihre Kunden erwarten es!
So wie Sie nicht nicht kommunizieren können, erzeugen alle Ihre Kontakte zu Ihren Kunden Emotionen. Keine Emotionen erzeugen geht nicht.
Die Frage ist nur, welche das sind und wie intensiv sie werden. Und das
sollten Sie mit beeinflussen.
238  Praxishandbuch Produktentwicklung
Warum Kunden kaufen
Kunden wollen weder abgelehnt noch gleichgültig behandelt werden.
Letztgenanntes ist heute in vielen Branchen noch üblich. Auch die
Akzeptanz reicht nicht. Sie wollen fasziniert und emotional berührt – ja
geliebt – werden. Bei vergleichbarem Preis wird das Produkt mit dem
höheren Leistungsspektrum gekauft, also das mit dem höheren Nutzen.
Hat jedoch eines dieser Produkte einen emotionalen Zusatznutzen, so
wird häufig dieser bevorzugt, auch wenn das Produkt weniger Leistung
bietet.
Einige Gründe, warum die Kunden kaufen:
• Aufgrund der Verwendungsmöglichkeit (rationaler/funktionaler Nutzen);
• seiner Verantwortung gerecht werden. Vielen Kunden ist wichtig, wo
(bei wem) und unter welchen Bedingungen das Produkt entstanden ist;
• Produkte sind Ausdruck seines Besitzers, dessen Identität. Mit Produkten zeigen Menschen, wer sie sind und was sie fühlen;
• Selbstverwirklichung;
• gekauft wird das Gefühl, das die Kunden zum Beispiel beim Kauf, der
Nutzung et cetera damit verbinden. Der Erfolg hängt davon ab, wie
diese Gefühle und Träume Ihrer Kunden befriedigt werden;
• der Kunde will mit Produkten in eine Traumwelt/Illusion eintauchen,
seinem Idealbild näher kommen und das erleben, was er in seinen
kühnsten Träumen nicht zu wünschen gewagt hat;
• durch den Kauf teilhaben am Mythos und der Geschichte der Marke.
Das gibt den Kunden ein gutes Gefühl;
• bei teuren Artikeln erwerben die Kunden keine Produkte, sondern Identität. Und das gute Gefühl, in sich selbst zu investieren: »Weil ich es mir
wert bin«, und das ist mehr als ein paar Cent;
• aufgrund der Bedeutung des Produkts (symbolischer Nutzen). Durch
den Kauf signalisiert der Kunde die Zugehörigkeit zu einem Lebensstil
und zu einer Gruppe beziehungsweise zu einer sozialen Schicht. Dieser
schließen sie sich an und grenzen sich gleichzeitig von anderen Gruppen
gezielt ab. Manche treibt auch die Angst, nicht dazu zu gehören. Nicht
der eigentliche Besitz sichert die Zugehörigkeit, sondern die Kommunikation an die Umwelt. Vor 15 Jahren zeigte man mit einem Handy
noch seine Fortschrittlichkeit. Um Trendsetter zu sein, musste es im
Jahr 2007 schon das iPhone sein. Doch auch damit gehört man heute
schon fast zur »Masse«;
Emotion  239
• in der Zeit von Skandalen bezüglich der Zusammensetzung und der
Herstellungsverfahren wird Vertrauen immer wichtiger. Vertrauen wird
überwiegend durch Emotionen erzeugt;
• die Kunden wollen heute neben dem Produkt auch Erlebnis, Ambiente
und Spaß. Das eigentliche Produkt ist nur noch ein Teil des Gesamten
und tritt in den Hintergrund.
Es gilt das biologische Grundgesetz der Rationalität: Maximale positive
Emotionen und minimale negative Emotionen. Und das jeweils bei minimalem Aufwand für den Kunden.
Eine Geschichte als Beispiel
Ein Blinder sitzt morgens im Central Park in New York mit einem Kasten
und einer Geldschüssel. Ein Werbetexter kommt vorbei und will ihm
Geld geben, hat jedoch nur große Scheine. Der Werbetexter sagt zu dem
Blinden: »Ich gebe dir etwas viel Wertvolleres«, nimmt einen Stift, streicht
etwas auf dem Kasten durch und schreibt etwas hinzu. Am Abend kommt
er erneut vorbei und fragt den Blinden, ob sich etwas geändert hat. Dieser
ist ganz begeistert, da viel mehr Geld in seine Schüssel geworfen wurde.
Nun fragt er den Werbetexter, was dieser geändert hatte. Antwort: »Deinen Satz ›Helft dem Blinden‹ habe ich durchgestrichen. Stattdessen habe
ich geschrieben ›Es ist Mai – die Blumen blühen – und ich kann sie nicht
sehen‹«. Werden Menschen emotional berührt, reagieren sie ganz anders.
Bei den grundsätzlichen Kaufmotiven gibt es keinen Unterschied zwischen b-to-b oder b-to-c. Auch im b-to-b-Bereich fällen Menschen mit
ihren persönlichen Bedürfnissen die Entscheidungen über den Kauf. Die
Menschen unterscheiden nicht zwischen b-to-b und b-to-c, es sind immer
Emotionen mit im Spiel.
Fragen Sie bitte nie Ihre Kunden, ob sie Kaufentscheidungen rational fällen oder ob sie das gerade gekaufte Produkt unter emotionalen
Gesichtspunkten gekauft haben. Die Antwort ist fast immer »aus rationalen Gründen«. Wer gibt denn schon gerne zu, dass er vom Unterbewussten beeinflusst wird, nicht alles im Griff hat und sich von Emotionen
steuern lässt?
240  Praxishandbuch Produktentwicklung
Warum Emotionen?
Schon aus der eben genannten Liste der Kaufmotive wird deutlich, dass
die Kunden mehr wollen als nur rationalen Nutzen. Nachfolgend sind die
Vorteile emotionaler Produkte aufgeführt:
• Ohne Emotionen kann der Mensch nicht entscheiden. Alle Produkte,
die für den Menschen keine Emotionen auslösen, sind für ihn wertlos;
• Menschen berichten anderen selten über Funktionen, denn diese sind
rational, lassen sich schlecht erzählen und sind selten spannend. Viel
eher lassen sich Erlebnisse und emotionale Berührungen in Geschichten
verpacken, die sie im Zusammenhang mit den Produkten erlebt haben.
Diese Geschichten besitzen Macht, da sie gern und häufig weitererzählt
werden. Wenn Ihre Kunden Erlebnisse mit Ihren Produkten erzählen
können, dann haben Sie den günstigsten und effektivsten Werbeweg:
Empfehlungsmarketing. Was tun Sie dafür bei der Produktentwicklung, dass Ihre Kunden genügend Erlebnisse berichten können?;
• Geschichten bleiben im Gedächtnis der Erzähler und der Zuhörer
haften, da sie Bilder im Gehirn erzeugen. Es werden so beide Gehirnhälften angesprochen. Produkte mit Funktionen kommen und gehen,
Geschichten bleiben;
• emotionale Produkte erzeugen Sog, somit ist weniger Werbedruck notwendig;
• Verlangen = Funktionaler Nutzen (Motiv) * emotionale Reize, nicht
»+« sondern »*«. Das heißt, wenn ein Bereich fehlt, kann er durch einen
anderen nicht kompensiert werden;
• gerade bei voll ausgereiften Produkten, die auch hinsichtlich des rationalen Nutzens ausgereift sind und den Konkurrenzprodukten immer
mehr ähneln, ist eine Differenzierung fast nur noch über das Erlebnis
möglich. Und diese Emotionen sind nicht austauschbar. Geben Sie doch
bitte mal einem Ihrer Bekannten zehn verschiedene Kaffeesorten zu
trinken: von der Billigvariante am Kiosk bis hin zum Kaffee aus dem
Adlon. Auch wenn sicherlich qualitative Unterschiede bestehen, werden
die Geschmacksnerven häufig eher ein Zufallsergebnis liefern als das
Preisgefüge widerzuspiegeln. Der Unterschied liegt im Erlebnis für den
Kunden und der emotionalen Besetzung des Produkts, dem emotionalen Mehrwert. Was erlebt der Kunde beim Kauf und der Nutzung des
Produkts? Welche emotionalen Reize werden angesprochen?;
• Kunden sind bereit, für Produkte, die positive Emotionen auslösen, viel
mehr Geld auszugeben. Die Kunden greifen dafür – wie selbstverständEmotion  241
•
•
•
•
•
•
•
lich – tief in die Tasche, auch wenn die Herstellungskosten teilweise
niedriger sind als für rein rationale Produkte des täglichen Bedarfs
(zum Beispiel Lebensmittel). Wenn die Kunden neben dem guten realen
Nutzen zusätzlich emotional berührt sind, reden sie nicht mehr über
den Preis. Wer die Herzen gewinnt, hat mit den Köpfen und den Geldbörsen ein leichtes Spiel;
Kundenloyalität nimmt ganz andere Dimensionen an;
emotional gebundene Kunden kaufen häufiger und wählen teurere
Varianten;
große Gewinnspannen sind nur mit emotionalisierten Produkten möglich;
Design und Emotion kosten in der Herstellung häufig nur sehr wenig;
je unübersehbarer und unberechenbarer die Welt für den Kunden wird,
je vielfältiger das Warenangebot, desto weniger rational wird gekauft
und desto drängender sind die Gefühle und Emotion und desto unbewusster sind die Entscheidungen. Der Mensch nimmt nur das wahr,
was emotional Sinn macht. Er stabilisiert sich über Emotionen, Leitbilder und Werte. Der Einzelhandel befindet sich nicht im Wettbewerb
der Produkte, sondern im Wettbewerb der Wahrnehmung;
gerade in unsicheren Zeiten wird auch Vertrauen gekauft;
neben der Wirkung auf Ihre Kunden wirken die Emotionen positiv auf
Ihre Mitarbeiter. Diese sind stolz, für ein Erlebnisunternehmen wie
Starbucks, Harley-Davidson, Apple oder Disney zu arbeiten. Das löst
doch eine ganz andere Motivation aus als beim Kellner im Plüschcafé
um die Ecke.
Deshalb distanzieren Sie sich davon, nur Produkte zu verkaufen. Menschen überzeugen Sie mit rationalem Nutzen und mit Emotionen.
Die emotionale Komponente
Häufig ist zu hören »Emotionen bei Rolex, Apple und Harley – das
ist einfach zu realisieren. Aber bei unseren Produkten geht das nicht«.
Doch, es geht! Das Gehirn des Käufers ist immer das gleiche, ob beim
Juwelier oder bei Aldi. Nun muss nicht jeder Anbieter zu einem LifestyleUnternehmen wie Harley-Davidson werden, jedoch sind Erlebnisse und
Emotionen für den Kunden in jeder Branche möglich. Jedes Angebot lässt
sich emotionalisieren. Auch beim Kauf von Stahlrohren, Haushaltswaren,
242  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kopiergeräten, Möbeln, Werkzeug, Gullydeckeln, Kopierpapier, im Baugewerbe, Dienstleistungen einer Bank, Versicherungen und Behandlung
im Krankenhaus sind Emotionen mit im Spiel. Somit versehen Sie all
Ihre Angebote mit einer emotionalen Komponente, geben Sie ihnen über
Emotionen eine Seele. Denn jedes Produkt löst Emotionen aus. Auch bei
einem Bankbesuch erwarten Kunden Emotionen durch Erlebnisse – und
zwar positive.
Emotion kann auch Schlichtheit bedeuten. Beim Einkauf von Alltagsartikeln verzichten Kunden gern auf das glamouröse Ambiente und schickes Design. Weniger ist dabei mehr. Wichtig ist dabei für den Kunden
das richtige Gleichgewicht zu finden. Auch Aldi erzeugt Emotionen (gute
Qualität zu einem günstigen Preis: Da wird der Jagdinstinkt befriedigt).
Die Grenzen
Das Kundenerlebnis mit den erzeugten Emotionen ist Pflicht, um langfristig als Anbieter Erfolg zu haben. Das Erlebnis kann jedoch kein Produkt
retten, das den Kunden keinen rationalen Nutzen bringt. Emotion und
Design können noch nicht einmal reduzierten rationalen Kundennutzen
kompensieren. Auch ein Apple-Computer und das iPhone müssen funktionieren und einen deutlichen rationalen Nutzen liefern. Aus diesem
Grund sind Emotionen eine der Perspektiven in der Produktentwicklung,
nicht die einzige. Käufer brauchen rationale und emotionale Gründe,
um ein Produkt zu kaufen. »High Tech« und »High Tough« müssen im
Gleichgewicht sein.
Glaubhafte Emotionen können Unternehmen bei den Kunden nur erzeugen, wenn die Inhalte aus den Unternehmensleistungen resultieren und
nicht von außen aufgesetzt sind. Erzeugte Emotionen und der Produktnutzen hängen direkt zusammen und müssen auch in eine Richtung gehen.
Die emotionale Wirkung bricht sofort ab, wenn die erwartete Lösung und
der erwartete Nutzen durch das Produkt nicht erbracht werden.
Jedoch sollten Emotionen nicht nur in die Imagebroschüre geschrieben,
sondern müssen auch eingehalten werden. Kunden suchen bei einer Kaufhauskette mit dem Slogan »Das Erlebniskaufhaus« immer noch nach dem
Erlebnis.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt auch Fälle, in denen emotionale Produkte mit Emotionen überfrachtet sind und so eine Entemotionalisierung dem Bedürfnis einer Kundengruppe entspricht. Schon aus
Emotion  243
Zeitgründen wünschen sich manche in bestimmten Situationen eine rein
funktionale Lösung. Die meisten Männer gehen zum Friseur zwecks Haareschneiden und möchten so schnell wie möglich auch wieder den Laden
verlassen. Sie wollen keine Kompresse, Kopfmassage oder Ähnliches.
Andere Gruppen sehen einen Friseurbesuch als Highlight der Woche. Da
geht es fast nur um Emotionen. Wechseln Sie von einer emotionalen Ausrichtung auf die rein funktionale und Sie werden eine ganz andere Kundenklientel ansprechen. Sie können dann überlegen, ob Sie die durch die
Entemotionalisierung eingesparten Kosten in Form von Preissenkungen an
Ihre Kunden weitergeben oder nicht. Es gibt sicherlich Personen, die gerade
für die Entemotionalisierung des Friseurs sogar noch mehr Geld ausgeben
würden, wenn sie doch nur schneller wieder den Laden verlassen könnten.
Die Stufen der Wertschöpfungspyramide
Es gibt unterschiedliche Stufen der Wertschöpfung, angefangen vom Verkauf der Rohstoffe bis hin zur Traumerfüllung beim Kunden. Die meisten
Produkte befinden sich auf den Stufen eins bis drei, mit Tendenz zu den
unteren zwei. Jedoch sind die höchsten Preise und die größte Gewinnspanne mit Produkten der oberen Stufen zu erzielen. Diese Steigerung
erfolgt nicht linear, sondern exponentiell. Die reine Produktion von Produkten können Unternehmen in anderen Ländern meist weitaus günstiger erledigen. Erklimmen Sie mit Ihrem Angebot die oberste Sprosse der
Werteleiter.
Abbildung 23: Wertschöpfungspyramide
Träume wahr
werden lassen
Fesselnde Erlebnisse
Service/Dienstleistung
Produkte
Rohwaren/Rohstoffe
244  Praxishandbuch Produktentwicklung
Es zählt die immaterielle Wertschöpfung: weg von physischen Produkten,
sondern über Gefühle und Erlebnisse zur Traumerfüllung. Bieten Sie
Traumerfüllung, statt in der Stufe eines Warenlieferanten festzustecken.
Helfen Sie den Kunden mit Ihren Produkten das zu sein, was sie gerne
sein wollen. Hören Sie in der Produktentwicklung nicht eher auf, ehe das
Produkt nicht diesen Elfenstaub von Harley-Davidson oder Starbucks
bietet. Vom Customer Success zu Customer Satisfaction. Bewerben Sie
einen Traum, nicht ein Produkt. Und platzieren Sie Ihre Marke um die
Traumerfüllung. Die Traumerfüllung unterscheidet sich von sachlichen
Dienstleistungen, wie diese sich von physischen Produkten unterscheidet
und Produkte von Rohwaren differieren.
Eine weitere Stufe an der Spitze ist: Erlebnis + Lernen (Kunden werden
in die Produktentwicklung einbezogen und lernen etwas), zum Beispiel ein
Uhrmacher(schnell)kurs für Kunden von Edeluhren. Der Kunde legt selbst
Hand an und dreht die letzten Schrauben fest. Dieses erzeugt einen ganz
anderen Bezug zum Produkt. Whisky Shops bieten Getränke und Workshops an, in denen der Kunde etwas über die Herstellungsmethoden, die
verwendeten Inhaltsstoffe et cetera erfährt. Delikatessengeschäfte bieten
Kochkurse an, in denen die Kunden die Möglichkeit haben, sich dort das
Essen zuzubereiten und nach Hause mitzunehmen. Die Kunden wollen
teilhaben, nicht passiv sein. Sie wollen keine Marke kaufen, sondern sich
in eine Marke einkaufen. Dieses Handwerkersyndrom kann nicht nur bei
Werkzeug, sondern in vielen Bereichen genutzt werden. Je mehr Handlungsfreiheit vorhanden ist, desto größer ist der Stolz. Für Viele zählt ein selbst
gebackener Kuchen in der Außenwirkung mehr als eine Backmischung, noch
»schlimmer« ist gekaufter Kuchen. Für das Computerspiel SIMS (www.
thesims.ea.com) gibt es Zusatztools, mit denen die Kunden das Spiel weiterentwickeln können. Auch ist der Austausch der Eigenentwicklungen mit
anderen Kunden möglich. Die Kunden übernehmen so – ohne Bezahlung –
die Aufgaben der Hersteller und sind dadurch emotional stärker gebunden.
Die Tendenz zum Handanlegen ist eher im privaten Bereich zu beobachten,
im b-to-b-Bereich werden die funktionalen Endprodukte bevorzugt.
Die Veredelung von der Kaffeebohne zum Erlebnis auf der Wertschöpfungspyramide zeigt Starbucks der ganzen Welt:
• Der Rohstoff für einen Becher Kaffee liegt im Cent-Bereich pro Pfund.
Die Wertschöpfung für den Kaffeebauern ist die geringste aller Stufen,
obwohl hier die meiste und schwerste Arbeit anfällt;
• Kaffeeröster erwirtschaften mit geröstetem Kaffee schon etwas mehr,
jedoch immer noch wenig;
Emotion  245
• Mit gemahlenem Kaffee im Einzelhandel steigt der Preis (500 Gramm
kosten circa 4,50 Euro) und die Wertschöpfung weiter;
• der Preis für eine Tasse in einem Café (Dienstleistungsunternehmen)
liegt bei circa 2,50 Euro. Hier ist die Rendite schon recht hoch. Berechnen Sie mal die Wareneinsatzkosten für eine Tasse Kaffee;
• Starbucks gibt noch etwas Sirup dazu und macht aus Kaffee ein Erlebnis (spricht mit dem Ambiente, Duft, Einrichtung, Musik et cetera alle
fünf Sinne an). Jetzt kostet der Becher 5 Euro.
• Einzigartige Erlebnisse bieten zum Beispiel Restaurants an der Champs
Elysees in Paris oder 6- bis 7-Sterne-Hotels. Hier wird der Kaffee zur
Nebensache. Sehen und gesehen werden zählen hier. Über 10 Euro muss
der Kaffee einem schon wert sein. Im Burj al Arab in Dubai werden für
den Afternoon Tea circa 50 Euro berechnet, pro Person.
• Wenn dann noch die Kunden über Erlebnisse in die Herstellung des
Produkts eingebunden werden (zum Beispiel durch Schulungen werden
Kunden zum Kaffeekenner), dann sind auch hier mit dem Preis nach
oben keine Grenzen mehr gesetzt. Der Preis für die Rohstoffe liegt
immer noch im Cent-Bereich
Der Erfolg von Starbucks zeigt, dass mit einem so einfachen Getränk wie
Kaffee durch Produkterweiterungen und ein passendes Umfeld ein hochpreisiges Erlebnis erzeugt werden kann – und zwar im Weltformat. Allein
in Manhattan gibt es circa 150 Starbucks-Cafés. Wenn Sie sich mit einem
Bekannten bei Starbucks auf dem Broadway treffen wollen, verpassen Sie
sich wahrscheinlich. Es gibt dort 19 Starbucks-Cafés. Auch in Deutschland, wo ja die Geiz-ist-geil-Welle regiert, haben Sie zum Beispiel auf dem
Kurfürstendamm in Berlin zu jeder Zeit lange Schlangen vor Starbucks,
ein Becher kostet auch hier um die 5 Euro.
Stellen Sie sich folgende Fragen: Auf welcher Stufe sind Ihre Kuchen?
Was ist Ihr Sirup? Ihr Elfenstaub? Wo und womit verzaubern Sie? Wie
können Sie mit kleinen Veränderungen Ihr Produkt zu einem Erlebnis
machen und locker einen höheren Preis verlangen?
Beispiele
Was haben der iPod, edle Weine und Davidoff gemeinsam? Sie lösen Emotionen aus, erfüllen Träume. Alles ist um eine Geschichte gebaut (über
Herstellungsverfahren, Ursprung, Vision, Firmenkultur, Mitarbeiter,
Kundenerlebnisse und Ähnliches).
246  Praxishandbuch Produktentwicklung
Nike
Verkauft wird die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und der Traum von
Sportlichkeit. Es geht um die Bedeutung für einen selbst und für das
Umfeld. Gerade in Gruppen »müssen« es bestimmte Schuhe sein, um mitreden zu dürfen.
Bahlsen-Kekse
Das Knacken des Kekses beim Durchbrechen ist ein Qualitätskriterium.
Es wird darauf geachtet, dass es immer gleich »klingt«. Die akustische
Wahrnehmung ist Bestandteil des Produkts. Qualität soll man hören
können. Auch Kellogg’s achtet sehr genau auf das Crunch-Geräusch seiner
Frühstücksflocken.
Build-a-Bear
Ein Traum für Kinder und Erwachsene. Statt aus einem Regal ein Plüschtier zu wählen, sind die Kunden voll in der Produktion einbezogen und
können ihren Bären (oder auch andere Tiere) individuell kreieren. Das
Logo verdeutlicht dieses: »Bulid-a-bear Workshop«. Dieses erfolgt in
folgenden Schritten, die auch an Tafeln »vorgegeben« sind. Da traut sich
kein Kunde abzuweichen:
• »Such mich aus«: eine Auswahl aus circa 50 verschiedenen Bären, Katzen, Hunden;
• »Horch mal«: kleine, auf Druck reagierende Geräuschkästen mit Musik
oder Stimme, 16 zur Auswahl;
• »Füll mich«: gemeinsam (der Kunde betätigt ein Pedal, das die Federn
pumpt) mit der Verkäuferin wird der Bär mit Federn gefüllt, der Kunde
sucht ein Stoffherz aus, reibt es an seinem Herz, erweckt es so zum
Leben, küsst es und steckt es in den Bären;
• »Mach mich flauschig«: mit Kaltluft und Bürste wird der Bär vollendet;
• »Zieh mich an«: Kleidung, Schuhe, Sonnenbrille, Bälle in allen Varianten. Einige Kleidungsstücke sind mit dem Hinweis »Schicke Sommermode« gekennzeichnet. Spätestens zum Winter sollte dann der Bär neu
eingekleidet werden. Sonst ist er out;
• »Gib mir einen Namen«: Am einfach zu bedienenden Computer werEmotion  247
den die persönlichen Daten des Besitzers eingegeben und dem Bären
einen Namen gegeben;
• »Nimm mich mit nach Hause«: Der Kunde zahlt, erhält eine Geburtsurkunde mit den am Computer eingegebenen Daten und ein kleines
Haus für den Bären.
Abbildung 24: Build-a-Bear-Anleitung
248  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 25: Ankleideraum für Bären bei Build-a-Bear
Zum Schluss
»Das Bärenversprechen: Mein Bär ist etwas ganz Besonderes. Ich habe
ihm das Leben geschenkt. Ich habe ihn selbst ausgesucht und gefüllt. Jetzt
nehme ich ihn mit nach Hause. Beste Freunde hat man ein Leben lang.
Und so verspreche ich jetzt: Dass mein Bär mein allerbester Freund sein
wird.«
Build-a-Bear ist kein Geschäft, sondern mehr eine Geburtsstätte für
Baby-Bären, die Lichtjahre entfernt ist vom Kauf eines »fertigen« Bären aus
dem Regal. Und das lassen die Kunden sich gern etwas kosten. Den Bären
gibt es für circa 20 Euro. Für Kleidung und Accessoires wird schon beim
Kauf ein Vielfaches ausgegeben. Der spätere Kauf aktueller Saisonmode
ist hier noch nicht mitgerechnet. Und mit dem Kauf ist noch nicht Schluss:
Über die Registrierung in Schritt 6 können »Bäreneltern« im Internetforum miteinander kommunizieren und ihre Erfahrungen austauschen. Und
nicht nur Kinder zählen zu den Kunden. Teenager und Erwachsene stehen
Schlange, um ihr Stofftier gefüllt zu bekommen. Auch die »technische«
Seite ist bemerkenswert. Trotz dieser optisch total unterschiedlichen Tiere
passen alle Kleidungsstücke allen. Die Körpermitte hat identische Maße,
nur Kopf, Arme und Beine sind unterschiedlich.
Emotion  249
Starbucks
Starbucks ist mit weltweit circa 15 000 Stores in circa 40 Ländern die
größte Coffeeshop-Kette der Welt. Stammkunden besuchen Starbucks
mindestens jeden zweiten Tag – das ist fast Kultstatus. Starbucks hat es
geschafft, viele Menschen, die noch nie in einem Café waren, dazu zu
bewegen, für das Alltagsgetränk Kaffee mit etwas Sirup das Doppelte
gegenüber einem normalen Kaffee auszugeben (bis zu 5 Euro pro Becher).
Und das, wo die Menschen bis jetzt nur Kaffee, Milchkaffee, Capuccino
und Latte Macchiato kannten. Die Kunden zahlen das Doppelte für das
Ambiente, die Atmosphäre, die Individualität. Kaffeetrinken ist hier weitaus mehr als Durst löschen. Starbucks ist zum Third Place geworden:
der gemütliche Ort, der Wärme ausstrahlt zwischen Arbeit und Zuhause
(vor und nach der Arbeit) mit WLAN, ansprechender Musik, Sofaecken,
ansprechendem Design, Steckdosen für das Laptop – ein Stück Lebensgefühl, das Identität gibt. Es geht um das Wohlgefühl mit allen Sinnen.
Es sind die 15 Minuten Pause vor den Problemen des Alltags und am
Abend ein Stück Belohnung. Es gibt hier auch keine missbilligenden Blicke
der Bedienung, wenn man etwas länger sitzt. Die Kunden können die
Bestellung ihren persönlichen Bedürfnissen anpassen (Eigenkreationen,
Temperatur, entkoffeiniert, Sojamilch, Sirup et cetera). In einem klassischen Café ist dieses ausgeschlossen. »Wir sind nicht im Kaffee-Geschäft
und bedienen Menschen. Wir sind im Menschen-Geschäft und servieren
Kaffee«, beschreibt Howard Schultz, CEO von Starbucks, die Philosophie. Die Atmosphäre soll so gut sein, dass die Kunden auch kommen,
wenn es keinen Kaffee gäbe und Starbucks Eintritt verlangen würde. Für
manche ist Starbucks nicht der dritte Ort, sondern der zweite: Sie kommen
mit Laptop und erledigen dort ihre Arbeit. Starbucks hat ein einfaches,
vergleichbares Produkt durch Möglichkeiten der Individualisierung und
dem Ambiente emotional aufgeladen und so eine sowohl von der Kundenanzahl als auch der Gewinnmarge einzigartige Marktposition erhalten.
Bleibt die Frage: Was ist Ihr Starbucks-Effekt? Was ist Ihr Aromasirup?
Wie können Sie Ihre Produktpalette um einen Zusatz so emotionalisieren, dass die Kunden ein Vielfaches dafür zahlen und Schlange stehen?
Je höher Ihr Angebot auf der Erlebnisleiter steht, desto mehr Spielraum
haben Sie in der Preisgestaltung nach oben. Würde Starbucks einfach nur
Kaffee verkaufen, wären die Kunden auch nur bereit, maximal 1,50 Euro
pro Becher zu bezahlen.
Bei aller Marktführerschaft stößt Starbucks in den letzten Jahren an
seine Grenzen. Das hat unter anderem folgende Gründe:
250  Praxishandbuch Produktentwicklung
• Starbucks hat mittlerweile zu viele Stores (in Kaufhäusern, Supermärkten). Das Feeling des dritten Orts lässt sich hier häufig nicht rüberbringen, das Magische verfliegt. Manche neue Läden sind nicht mehr
gemütlich, sondern gleichen einem Stehimbiss. Da kann die Expansion
nach hinten losgehen. Ohne Emotion rückt der Preis in den Vordergrund. Und der ist bei Starbucks sehr hoch;
• das seit über 20 Jahren bestehende Konzept ist lange keine Innovation
mehr, Kunden erwarten gerade vom Marktführer den neuen Kick;
• andere Anbieter kamen hinzu oder holen auf (beispielsweise Balzac
Coffee in Norddeutschland). Diese Unternehmen haben Elemente von
Starbucks in ihr Konzept übernommen. Somit verschwindet der große
Unterschied zu Starbucks.
Harley-Davidson
Der ehemalige CEO von Harley-Davidson, Richard Teerlink, brauchte
lange, um es allen zu verdeutlichen. Schlussendlich hatten die meisten
es begriffen: Harley-Davidson ist ein Lifestyle-Unternehmen und kein
Motorradhersteller. Dazwischen liegen Welten. Harley markiert den
rebellischen Lebensstil. Eine Harley-Davidson ist der Ausdruck der Persönlichkeit des Fahrers – oder zumindest der Versuch. Das macht heute
den Marktwert von Harley aus.
Denn was verkauft Harley? Hierzu eine Aussage eines ehemaligen
Geschäftsführers: »Was wir verkaufen ist die Möglichkeit für einen 43-jährigen Buchhalter, sich in schwarzes Leder zu kleiden, durch kleine Dörfer
zu rasen und die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen«. Es geht
hier nicht nur um das Motorrad, sondern um die Möglichkeit – zumindest
kurzzeitig – auszusteigen. Auf die Frage der Citybank nach Sicherheiten
des Unternehmens war die Antwort von Willie Davidson: »Ich habe das
einzige Firmenlogo der Welt, das sich Menschen tätowieren lassen«. So
groß ist die Verbundenheit der Harley-Fahrer zum Unternehmen. Wenn
Sie glauben, dass Sie bereits treue loyale Kunden haben, dann sei diese
Frage gestattet: Wie viel Prozent Ihrer Kunden haben Ihren Firmennamen,
Ihren Slogan oder den Namen eines Ihrer Produkte sich auf ihren Körper
tätowieren lassen? Wenn es – technisch gesehen – ein Haufen Metall zu
einem Motorrad zusammengeschweißt schafft, diese Emotionen auszulösen, warum dann nicht auch Ihre Produkte?
Für die meisten ist eine Harley Lärmbelästigung – für einige das
schönste Geräusch auf der ganzen Welt. Harley hat sein Motorengeräusch
Emotion  251
patentieren lassen, nachdem japanische Hersteller versucht haben, dieses
über ein zusätzliches elektronisches Soundsystem in ihren Maschinen
nachzukonstruieren. Harley-Davidson hat mit Coca Cola und Walt Disney mehr gemeinsam, als mit anderen Motorradherstellern. Harley verkauft als erstes Emotionen und Gefühle – den amerikanischen Traum von
Freiheit und Nostalgie. Und als »kostenlose« Beigabe erhält der Kunde
noch ein Motorrad hinzu. Der Preis liegt über dem der meisten anderen
Motorradhersteller, wobei das physische Produkt nicht besser ist. Wer nur
ein Fortbewegungsmittel auf zwei Rädern will und ausschließlich rational
entscheidet, wird sich höchstwahrscheinlich ein Motorrad einer anderen
Marke kaufen. Aber bei Harley-Davidson geht es nicht um Motorradfahren, sondern um das Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Ein ganz anderes
Lebensgefühl. Optik, Sound und Geruch sind wichtig. Hinzu kommen
die ganzen Clubs und Treffen, die eine noch stärkere Bindung an Harley erzeugen. Harley-Days gibt es in ganz Deutschland. Können Sie sich
Yamaha-Days vorstellen? Aussage eines Bikers: »Mein Bike bin ich. Der
Ofen drückt mich aus – hart und schwarz«. Ein Harley-Fahrer bezeichnet
sein Gefährt nie als Motorrad, Inhaber anderer Marken schon. Man fährt
halt eine Harley oder (nur) ein Motorrad. Und wenn doch mal etwas mit
der Harley sein sollte, lautet die Antwort: »Meine Harley verliert kein Öl,
sie markiert ihr Revier«.
Luxuswohnungen
Als rational können viele Wohnungskäufe in Manhattan nicht bezeichnet werden. Wenn für ein Einzimmerapartment im Trump-Tower eine
Monatsmiete im fünfstelligen Bereich zu zahlen ist, dann sind Emotionen im Spiel. Es sind Prestigegründe, die Interessenten dazu bringen, so
viel zu zahlen. Der durchschnittliche Preis für eine Eigentumswohnung
in Manhattan hat sich in den Jahren 1995 bis 2005 mehr als verdreifacht. Und Geld allein reicht nicht: Relativ willkürlich entscheidet
der Verwaltungsrat von Edelgebäuden, wer dort ein Luxusappartement
erwerben kann und wer sich nach einer anderen Bleibe umsehen muss,
unabhängig vom Berühmtheitsgrad und Geldbeutel. Man mache etwas
knapp, elitär und teuer und kann sich vor Umsatz kaum retten. Bei
solchen »Produkten« müssen neben der Hardware (dem Apartment)
selbstverständlich die weichen Faktoren herausragen. Hier gilt es – unter
anderem mit Design – überwiegend die Emotionen der Interessenten
anzusprechen.
252  Praxishandbuch Produktentwicklung
Fernsehköche
Kocht Jamie Oliver wirklich so viel besser als alle anderen? Wohl kaum.
Er hat sich in Jeans, Turnschuhen und T-Shirt jedoch von den anderen
Köchen im weißen Kittel und Mütze abgehoben und eine ganz andere
Kundengruppe angesprochen. Er wurde zum Popstar der Köche.
Vertu
Diese Edelmarke von Nokia verkauft zwar technisch Handys, auf der
anderen Seite aber alles andere, nur keine Handys. Es sind Schmuckstücke
zum Preis von 3 000 und über 100 000 Euro. Sie werden nicht in HandyLäden verkauft, sondern in eigenen Geschäften, bei Juwelieren und in
Uhrengeschäften. Diese Handys sind so positioniert, dass sie preislich
nicht mit den Geräten anderer Anbieter verglichen werden, sondern mit
Schmuck. Diese Schmuckstücke sind mit Edelsteinen besetzt, auf Druck
der VIP-Taste meldet sich der Concierge und beantwortet Fragen, zum
Beispiel nach dem aktuellen In-Restaurant in Mailand.
Apple
Dieses Unternehmen hat es geschafft, mit seinen technischen Produkten
eine Fangemeinde zu gewinnen. Es sind Geräte (Computer, mp3-Player
und Handys), die grundsätzlich weit weg von jeglicher Emotionalität sind.
Und doch stehen die Kunden um Mitternacht Schlange, um das neueste
Modell zu ergattern. Man hat entweder einen Computer oder einen Mac,
einen mp3-Player oder einen iPod oder ein Handy oder ein iPhone.
Kein Kunde antwortet auf die Frage, womit er schreibt oder Fotos
verwaltet: »Mit meinem Toshiba/Samsung/Sony«. Da heißt es: »Auf
meinem PC«. Ein Mac-Besitzer nennt die Geräte beim Namen: »iPod«,
»iPhone« und »Mac«. Die Apple-Kunden lieben ihre Geräte. Andere
Computer hingegen sind für ihre Besitzer lediglich Arbeitsgeräte. Neben
dem Design fällt Apple unter anderem noch durch seine kostenlosen
Anwendungsschulungen und eine äußerst einfachen Bedienbarkeit der
Geräte auf.
Emotion  253
iPod
Die Käufer sind zufriedener mit ihrem Gerät als die Käufer anderer Marken. Er ist von der Klangqualität gemäß diverser Tests nicht der beste,
jedoch mit Abstand der teuerste mp3-Player. 2007 wurde seit der Markteinführung 2001 der hundertmillionste iPod verkauft. In den USA hat
Apple mit dem iPod einen Marktanteil von über 50 Prozent.
iPhone
Das neue iPhone 3GS wurde am ersten Tag in Deutschland 18 000 Mal
verkauft (die Vorgängermodelle »nur« 10 000 beziehungsweise 15 000
mal am ersten Tag), zwischenzeitlich lagen 10 000 Vorbestellungen vor.
Insgesamt hat Apple an den ersten drei Tagen mehr als eine Million von
diesem neuen Modell verkauft. Auch das Vorgängermodell knackte an
den ersten drei Tagen die Millionen-Marke. Wochen später waren um
7:00 Uhr und 23:00 Uhr noch Menschenschlangen im Apple-Store von
circa 50 Personen zu beobachten. Für das erste iPhone haben die Kunden
vor den Läden in den USA im Schlafsack übernachtet. Und das für ein
Gerät, was es mit vergleichbaren Grundfunktionen sonst – mit Vertrag –
für einen Euro gibt. Doch da steht keiner Schlange. Wann hatten Sie vor
Ihren Verkaufsstellen in der Nacht vor einer Produktneueinführung
Bettenlager? Was hier zählt, ist unter anderem ein Top-Design, die Verbundenheit zu Apple (viele iPhone-Kunden besitzen auch einen Mac) und
das Gefühl, zu den ersten Auserwählten zu gehören.
Nespresso
Rational ist es nicht zu begründen, für eine Espresso-Maschine im Durchschnitt 600 Euro auszugeben (häufig noch mehr). Hinzu kommen die
Tabs mit je 5 Gramm Espresso-Pulver zu einem Preis von circa 35 Cent.
Hochgerechnet auf ein Kilo beträgt der Preis 70 Euro, bei Aldi steht
Espressokaffee für 7,49 Euro pro Kilo im Regal. Aber die NespressoKaffeeautomaten sind ein Statussymbol und drücken ein Lebensgefühl
aus. Es wird mehr Image und Exklusivität verkauft als Kaffee. Die Innovation bei Nespresso (www.nespresso.com) besteht unter anderem darin,
die Portionen einzeln verpackt anzubieten. Somit ist das Gerät einfach zu
bedienen und zu reinigen und gewährleistet lange Haltbarkeit, die insbesondere in ­Single-Haushalten geschätzt wird. Neben Kaffee und Geräten
254  Praxishandbuch Produktentwicklung
werden noch Ergänzungen angeboten – ein ganzes Nespresso-System. So
zum Beispiel Accessoires wie Geschirr, Shaker, Duftkerzen und in kleinen
Portionen verpackter Zucker mit unterschiedlich farbiger Papierhülle.
Preis: 100 Stangen à 3 Gramm für 6,50 Euro. Das heißt der Kilopreis
für diesen Zucker liegt bei über 21 Euro. Vergleichen Sie diesen Preis mal
mit Zucker aus dem Supermarkt. Und trotz – oder gerade wegen – der
Preise und dem Gesamtkonzept sind in den Stores meist Schlangen an den
Kassen. Da kauft man nicht mal eben Kaffee, sondern schließt sich der
Marke und dem Lebensgefühl an.
Es gibt sogar einen Nespresso-Club, den man in einem registrierungspflichtigen Bereich auf der Homepage findet. Da geht es weniger um
das Produkt, als um die Zugehörigkeit. Und so sind teilweise auch die
Geschäfte aufgebaut: Im Geschäft in New York sind nur im hinteren
Bereich die Produkte ausgestellt. Der vordere Bereich ähnelt einer Galerie,
in der aus den Tabs kreierte »Gemälde« aushängen.
Abbildung 26: Mit Kaffee-Tabs erstellte Portraits füllen fast den ganzen
Laden
Emotion  255
Harry Potter
Nachts zur Geisterstunde stürmen die Kunden in die Läden, um am ersten
Tag ihr vorbestelltes Exemplar in den Händen zu halten. Die Exemplare
und Eintrittskarten für das Nachtevent sind begrenzt (künstliche Verknappung) und heiß begehrt. Neben dem Kaufpreis für das Buch nehmen
die Geschäfte auch noch Eintritt. Am nächsten Tag wäre das Buch ohne
Eintritt und ohne nächtliche Wanderung zu erhalten.
Nintendo Wii
Am Morgen der Markteinführung stand um 5:00 Uhr im Winter in New
York vor dem Geschäft eine lange Menschenschlage. Sie wollten alle das
neue Produkt am ersten Tag nach Hause tragen. Rationell ist dieses bei
Temperaturen weit unter 0 Grad nicht zu begründen. Kunden nehmen
solche Strapazen nur auf sich, wenn das Produkt etwas Besonderes bietet.
Und da reicht ein rationaler Nutzen nicht aus, es müssen Emotionen angesprochen werden. Ging es hier um den Preis? Sicherlich nicht.
Jones Soda
Hier (www.jonessoda.com) werden die Kunden in die Produktentwicklung involviert. Sie stimmen über neue Geschmackssorten, Farben und
Produktnamen ab. Sie schicken Fotos ein, von denen dann einige auf
den Flaschenetiketten abgedruckt werden. Die Marke gehört somit
nicht dem Unternehmen, sondern den Kunden, die diese erst erschaffen.
Das erzeugt Bindung. Die Menschen sind nicht auf der Welt, um allein
zu sein, sie wollen zu einer Gruppe gehören. Bieten Sie ihnen mit Ihren
Produkten und Ihrer Marke diese Gelegenheit. Dass dieses Unternehmen in Facebook, Twitter, Flickr und Youtube vertreten ist und dort
Informationen einstellt um mit den Kunden zu diskutieren, ist selbstverständlich.
Spielautomaten
Der »Geldeinwurf« bei diesen Geräten erfolgt heute über Kreditkarten.
Um Kunden zumindest noch akustisch das Gefühl zu geben, sie gewinnen
256  Praxishandbuch Produktentwicklung
zwischendurch etwas Geld, ist unten ein Lautsprecher angebracht, woraus
nach einem Gewinn das Geräusch von klingenden Münzen zu hören ist.
Abbildung 27: Spielautomat ohne Geldauswurf, dafür mit Lautsprecher
(rechts unten)
Umwelt
Immer mehr Kunden interessieren sich dafür, wie sehr bei der Forschung
(Tierversuche), Herstellung (Produktion in China oder in Deutschland, wie
etwa Trigema) und den verwendeten Rohstoffen die Umwelt (Menschen,
Tiere, Pflanzen) geschädigt oder geschützt wird. Gehören auch die Menschen in Ihrem Marktsegment dazu, sollten Sie alle Produktionsschritte
entsprechend anpassen und dieses auch hervorheben. Hierzu gehören auch
Standards wie SA 8000, bei der die Unternehmen sich zur Einhaltung
von sozialen Verhaltensnormen verpflichten. Im SA 8000 Standard ist
die Verantwortung gegenüber Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden und
der Gesellschaft festlegt. So unter anderem das Verbot von Kinder- und
Zwangsarbeit, das Verbot von Rassen-, Geschlechts- und Religionsdiskriminierung, die Einforderung und Einführung von menschenwürdigen
Arbeitsbedingungen. Dieses kann für Unternehmen wichtig sein, die in
Emotion  257
Drittländern herstellen lassen. Denn die Bekanntgabe von schlechten
Arbeitsbedingungen kann die Akzeptanz von Produkten fast auf Null
abstürzen lassen und ein Unternehmen in den Ruin führen.
Die Entwicklung
In den erfolgreichen Produkten von heute und insbesondere von morgen
stecken Sinn und Emotionen. Diese Produkteigenschaft ist unsichtbar –
beeinflusst jedoch das Kauf- oder Nichtkaufverhalten der Kunden enorm.
Diese Eigenschaft steht nicht in den Funktionen. Es geht hierbei darum,
die Kunden zu begeistern, zu binden, die Kunden mit mehr als den Funktionen und den niedrigen Preisen zum Kauf zu bewegen.
Abbildung 28: Woraus ein Produkt besteht
100 %
80 %
Emotion
60 %
Dienstleistung
40 %
Ware
20 %
0%
Früher
Heute
Morgen
Auch bei physischen Produkten besteht der Wert nicht mehr nur aus der
Ware. Die Kunden erwarten ein Komplettpaket. Hierzu gehört die zugehörige Dienstleistung und ein immer größerer Anteil an Emotionen.
Der Kunde von morgen sucht und erwartet die emotionale Bindung zu
seinen Produkten. Produkte haben zukünftig nur dann noch eine Chance
auf Erfolg, wenn neben dem rationalen Nutzen auch die Emotionen angesprochen werden. Der Kauf und der Nutzen des Produkts müssen zu einem
einmaligen Erlebnis werden.
258  Praxishandbuch Produktentwicklung
Zwei Ansätze, um Emotionen zu erzeugen
Starke Reize von außen
Hierzu gehören Hardfacts wie die Hardware-Ausstattung, zum Beispiel in
einem Hotel ein 25-Meter-Schwimmbad im Keller, goldene Wasserhähne,
Marmor in der Eingangshalle, Originalgemälde in jedem Zimmer und so
weiter. Häufig ist dieser Ansatz in den internationalen Top-Hotels (6 bis
7 Sterne) zu beobachten. Jedoch können sich die meisten Unternehmen –
insbesondere klein- und mittelständische Betriebe – diesen Ansatz nicht
leisten. Denn in diesen Betrieben müssen sich Investitionen rechnen. Starke
Reize von außen sind eher etwas für Großunternehmen, die ein Prestigeobjekt brauchen und wo es zweitrangig ist, ob es sich finanziell rechnet.
Sie können noch so gute Hardfacts haben, wenn (wie zum Beispiel in
einigen Luxusläden) den Mitarbeitern die Arroganz ins Gesicht geschrieben steht, werden keine positiven Emotionen bei den Kunden erzeugt und
die Ausgaben für die Hardfacts sind aus dem Fenster geworfen.
Heimliche Berührungen von innen
Das ist der Bereich mit den weichen Faktoren wie:
• Art der Herstellung (Kinderarbeit in Fernost? Umweltschädigend? Um
sich positiv abzuheben, sollte gerade dies nicht der Fall sein);
• Softskills: die Ausstrahlung, das Auftreten, der Respekt und die Herzlichkeit der Mitarbeiter gegenüber dem Kunden;
• Verhalten der Mitarbeiter bei Anfragen und Beschwerden;
• Servicequalität.
Die Softfacts sind die kleinen Dinge und Aufmerksamkeiten, die Ihre
Kunden mitten ins Herz treffen. Diese sind viel wirksamer und auch in der
Umsetzung viel günstiger als Hardfacts, jedoch schwieriger umzusetzen.
Jeder Kontakt zählt
Jeder Kontakt des Kunden mit Ihrem Unternehmen löst Emotionen aus.
Es hängt von Ihnen ab, wie stark diese ausgeprägt und ob diese positiv
oder negativ sind. Positive Erlebnisse und Emotionen sollen die Kunden
Emotion  259
nicht nur bei der Nutzung haben, sondern bei allen Kontakten mit dem
Unternehmen und den Produkten. Die ganze Kontaktkette der Kunden
muss aus einem Guss sein, sonst wirkt es aufgesetzt. Setzen Sie – wie die
Hotelkette Ritz-Carlton – auf »moments of truth«: auf die magischen
Momente der Wahrheit. Dazu gehören alle Kontakte des Gastes mit einem
Mitarbeiter, egal ob Rezeptionsleitung oder Zimmermädchen. Am besten
ist, wenn bei diesen Momenten etwas eintritt, was den Kunden positiv
überrascht. Überlassen Sie diese magischen Momente nicht dem Zufall.
Bei jedem Kontakt soll der Kunde glücklicher als vorher sein. Das gilt für
Auswahl, Kauf, Lieferung, Nutzung, Service, Reklamation und Entsorgung (zumindest soll der Kunde hier nicht das schlechte Gefühl haben,
dass er in diesem Schritt die Umwelt schädigt).
Bei jeder Stufe muss jeder Kunde seine individuelle positive Geschichte
erleben, die er Freunden erzählen kann.
Ihre Standortbestimmung
Hier können Sie prüfen, ob und wo Sie Nachholbedarf bei der Emotionalisierung Ihrer Produkte haben:
• Wie oft kommen die Begriffe »Emotion«, »Kundenträume verwirklichen« und Ähnliches in Ihren Produktentwicklungsmeetings vor?;
• fahren Sie Harley, besuchen Sie Starbucks, gehen Sie in einen AppleStore, laufen Sie mit Freunden in Nike-Schuhen und machen Sie einen
Urlaub im Robinson-Club. Da spüren Sie die Emotionen, auf die es
ankommt. Sammeln Sie diese Produkte. Schreiben Sie auf, was das
Besondere an ihnen ist. In welchem Umfang sind diese Produkte ein
Erlebnis, wo werden Träume erfüllt? Erstellen Sie eine Skala von 1 bis
10 und bewerten Sie, wie intensiv Erlebnisse enthalten sind und Träume
angesprochen werden;
• welche Emotionen lösen Ihre Produkte in den Köpfen Ihrer Kunden
aus? Jetzt tragen Sie Ihre Produkte in die Skala ein;
• welche Geschichten können Ihre Kunden über Ihr Unternehmen und
Ihre Produkte erzählen? Und welche werden wirklich erzählt?
260  Praxishandbuch Produktentwicklung
Umsetzung bei Ihren eigenen Produkten
So machen Sie aus Ihren nutzwertigen Produkten ein Erlebnis und eine
Traumerfüllung:
1.Sie müssen die emotionalen Treiber bei Ihren Kunden herausfinden.
Wovon träumt Ihr Kunde? Beschaffen Sie sich so viele Informationen
wie möglich. Denn nur dann ist es möglich, auf dieser Klaviatur zu
spielen und am wirkungsvollsten Punkt anzusetzen. Diese Informationen erhalten Sie nicht über Sekundärforschung oder Marktforschungsagenturen, sondern eher über Einzelgespräche im gewohnten
Umfeld des Kunden. Und da zählen Beobachtungen mindestens so viel
wie das, was der Gesprächspartner sagt;
2.erstellen Sie eine Liste der Emotionen, die ausgelöst werden sollen,
und der Träume, die geweckt und erfüllt werden sollen;
3.setzen Sie ein Team zusammen, das für die Einbettung von Emotionen
und Träumen zuständig ist. Und bitte: keine AWM (Alte Weiße Männer) für die Entwicklung von Teenagerprodukten oder Produkten für
Frauen einsetzen. Umgekehrt gilt das gleiche. Beziehen Sie stattdessen
Personen mit ein, die dem Marktsegement entsprechen. Und lassen
Sie diese auch entscheiden, auch wenn diese in der Entscheidungshierarchie noch nicht ganz oben stehen;
4.laden Sie Ihr Produkt mit Emotionen auf, die Ihre Kunden ins Herz
treffen und träumen lassen. Hauchen Sie allen (mindestens allen relevanten) Funktionen und rationalem Nutzen eine Seele ein, und zwar
entlang der gesamten Angebotskette und für jede einzelne Funktion:
Werbung, Geschäft, Probenutzung, Kundenservice und so weiter. Das
gilt für b-to-c und b-to-b;
5.überlegen Sie, ob das Produkt limitiert ist oder Wartezeit für den Kunden angesetzt wird. Im Hochpreissegment gilt häufig: Je knapper das
Produkt ist, als desto wertvoller wird es empfunden, desto größer ist
der Reiz, es zu besitzen und desto teurer lässt es sich verkaufen;
6.wie können Sie mit Ihren Produkten Bilder und Filme in den Vorstellungen Ihrer Kunden erzeugen? Überlegen Sie, wie Sie diese in
positive Geschichten einbetten können, die Ihre Kunden dann von
sich aus weitererzählen. Das Produkt, das die besten Geschichten
erzählt, gewinnt. Kombinieren Sie die sechs Perspektiven (Funktionen,
Struktur, Ansprache, Produktart, Emotion, Design) so, dass es Ihren
Kunden leicht fällt, über Ihre Produkte Geschichten zu erzählen. Die
Menschen erzählen gern, am liebsten das, was sie selbst erlebt haben.
Emotion  261
Fördern Sie so das Storytelling Ihrer Kunden, insbesondere über den
subjektiven Wert Ihrer Produkte. Denn Produkte, über die die besten
und emotionalsten Geschichten erzählt werden, haben die Nase vorn
und differenzieren sich vom Wettbewerb. Diese Geschichten müssen
etwas enthalten, was den Menschen wichtig ist. Schreiben Sie diese
Geschichten auf, kreieren Sie eine Legende um Ihre Produkte. Überlassen Sie es nicht dem Zufall, was Ihre Kunden abends an der Bar
ihren Freunden über Sie erzählen: Sie sollen von ihrer Begeisterung
erzählen und nicht von Produktfrust. Es kann Geschichten geben über
das Herkunftsland, die verwendeten Rohstoffe (Stichwort: Schonung
der Umwelt), die Art der Herstellung (handverlesen, Beschreibung
des Originalrezepts), die Nutzung und den Service. Fakten erzählen,
Geschichten verkaufen;
7. wie kann noch etwas Elfenstaub auf Ihr Produkt gestreut werden?;
8.legen Sie neben dem USP (einzigartiges Verkaufsargument) auch den
ESP (Emotional Selling Proposition, das emotionale Verkaufsargument) fest, die Einmaligkeit im emotionalen Bereich;
9. richten Sie auch Ihre Werbung auf die Träume und die Emotionen
Ihrer Kunden aus, die sie haben, wenn sie das Produkt nutzen; nicht
nur auf den rationalen Produktnutzen;
10.gestalten Sie Ihre Marke um den Traum, nicht um das Produkt;
11.ruhen Sie nicht, bevor Sie mit Ihrem Team mindestens Ihre Hauptprodukte auf der obersten Stufe der Wertschöpfungspyramide platziert
haben.
Geistreiches und Zitiertes
»Das Kapital einer Marke hat nichts mit Marketing zu tun, sondern mit der
emotionalen Bindung zwischen Käufer und Produkt.«
Howard Schultz
»Wir wollten nicht in die Transportbranche einsteigen. Wir sind immer noch
ein Teil der Unterhaltungsbranche – auf einer Höhe von 25 000 Fuß«
Richard Branson
»Produkte, die als Marke bestehen wollen, werden nicht mehr allein durch
reine Funktion überzeugen. Sie müssen vielmehr zu Erfüllungshilfen individueller und emotionaler Anspruchshaltungen werden!«
Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking
262  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Was das Herz begehrt, rechtfertigt der Verstand!«
Anja Förster und Peter Kreuz in Different Thinking
»Perspektivwechsel: von ›Die Ware ist gut‹ zu ›Das Gefühl ist super‹.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich
»Der eigentliche Wettbewerb muss bei grundlegenden Gefühlen und Fantasien ansetzen – bei Emotion und Fantasie.«
Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever
»Der Planungsprozess beginnt nicht beim Architekten, sondern in den Herzen der zukünftigen Bewohner.«
Louis Astorino
»Der Kunde vergleicht uns mit der Konkurrenz und stuft uns entweder
besser oder schlechter ein. Das geht nicht sehr wissenschaftlich vor sich, ist
jedoch verheerend für den, der dabei schlechter abschneidet.«
Jack Welch in Was zählt
»Emotionen sind der Feind rationaler Argumente.«
Steven D. Levitt und Stephen J. Dubner in Freakonomics
»Im Wesentlichen gilt es heute, die Träume der Kunden in Geld zu verwandeln.«
Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how
»Kunden reagieren auf Ihre fehlende Leidenschaft mit Fremdgehen.«
Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how
»People will forget what they buy. People will never forget how they feel
like.«
unbekannt
»Kurz gesagt, wir verkaufen keine Wohnungen, sondern einen Traum.«
Donald Trump in Trump. Die Kunst des Erfolges
»Hundert Worte, die den Verstand beeindrucken, wirken nicht so tief, wie
ein einziges Wort, das das Herz berührt.«
Thyde Monnier
Emotion  263
»Autokauf ist Traumerfüllung.«
Ferdinand Dudenhöffer
»Verkaufen Sie USE … Unvergessliche Sinnliche Erlebnisse.«
Tom Peters in Der Innovationskreis
»Wir müssen Wellen … von leidenschaftlichem Verlangen nach unseren Produkten hervorrufen.«
Andy Grove
»The essence of our success is not the coffee, it’s the culture, the values.«
Howard Schultz
»Derjenige gewinnt, der die beste Geschichte erzählt. Wie lautet Ihre
Geschichte?«
Tom Peters in Re-imagine
»Idioten verkaufen Rolex-Uhren. Genies verkaufen das Rolex-Lebensgefühl.«
Tom Peters in Re-imagine
»In unserer Fabrik produzieren wir Lippenstifte. In unserer Werbung verkaufen wir Hoffnung.«
Charles Revson
»Der Wert eines Produkts und einer Dienstleistung hängt davon ab, ob diese
im Kunden positive Motiv- und Emotionsfelder aktivieren.«
Hans-Georg Häusel in Brain Script
»Added value durch Verpackung von konkreten Produkten in eine Hülle von
Story, Mythos und Service.«
Norbert Bolz
»Wovon uns das Herz voll ist, davon geht der Mund über.«
unbekannt
»Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Männer zusammen, um
Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und
die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem
weiten, endlosen Meer.«
Antoine de Saint-Exupéry
264  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Wir müssen dem Kunden ein Gefühl geben, an das er sich erinnert.«
Niki Lauda bei der Eröffnung seiner Fluglinie Niki
»Werbung ist die Kunst, auf den Unterleib zu zielen und die Brieftasche zu
treffen.«
Peter Sellers
»Die Kunden sollen weinen, wenn sie unsere Produkte verlieren.«
Norbert Platt
Emotion  265
Kapitel 13
Design
Dieses Kapitel ist keine Abhandlung über Design. Das haben andere
Experten schon viel besser veröffentlicht. Es geht hier um die Abrundung
zu erfolgreichen Produkten. Design ist ebenso ein Differenzierungsmerkmal und Wettbewerbsfaktor wie die anderen fünf Perspektiven (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart und Emotion). Je mehr positive
Emotionen das Design bei den Kunden hervorruft, desto besser.
Design ist überall
Die meisten denken bei Design an Unternehmen wie Ferrari, Apple, Ritz
Carlton Hotels, Disneyland und Gucci. Design gilt jedoch für alle Preisklassen. Sowohl bei Konsum- als auch bei Industriegütern, für physische
Produkte und für Dienstleistungen: Rasierer von Gillette, Produkte von
3M, Küchenkessel, Badutensilien. Gerade für diese im Vergleich günstigen
Artikel ist die Umsetzung von Design meist bezahlbar. Design ist nicht nur
wichtig bei Produkten wie Autos und Uhren, mit denen Eindruck geschunden werden soll, sondern auch bei Produkten des täglichen Bedarfs. Zum
Beispiel Muji (www.muji.com) bietet Alltagsgegenstände im Top-Design.
Design muss nicht bunter, schriller, lauter und teurer sein, auch Aldi
hat Design. Ein Blick und die Kunden wissen, wo sie sind. Aldi hat durch
seinen Minimalismus einen hohen Wiedererkennungswert. Steht ein
Kunde bei den großen deutschen Kaufhausketten im Geschäft, sieht für
ihn alles gleich aus. So wie es nicht geht, nicht zu kommunizieren, gilt
genauso: Es geht nicht, kein Design zu haben. Fragt sich nur, ob es bei den
Kunden positive Gefühle auslöst. Denn das sollte Design. Design ist nicht
nur schick, sondern notwendig.
Neben der Optik sind mit Design auch der Geruchssinn und Hörsinn
anzusprechen. So muss ein Sportwagen bei der Beschleunigung auch entsprechende Geräusche machen. Ein Sportwagen ohne Motorengeräusche
266  Praxishandbuch Produktentwicklung
wäre ein Reinfall. Bei einigen Sportwagen kann der Fahrer selbst zwischen einigen Klangfarben des Motors wählen und je nach Laune hin und
her schalten. Das Zuschlagen einer Autotür insbesondere bei teuren Autos
muss sich ebenfalls »wertvoll« anhören. Das Geräusch ist auch wichtig bei
Haushaltsgeräten und Werkzeug.
Beim Geruch von Produkten ist zu beachten, dass ein zu starker Geruch –
auch wenn er eigentlich wohlriechend ist – als Gestank empfunden wird
und zur Ablehnung führt. Es ist zu prüfen, in welcher Umgebung und
welchen Temperaturen das Produkt präsentiert und genutzt wird, denn
diese Faktoren beeinflussen den wahrgenommenen Geruch erheblich.
Design galt früher als ein Kostenfaktor, heute ist Design ein Wertfaktor. Früher war Design ein nachträgliches Verschönerungsinstrument,
heute ist es einer der Hauptbestandteile einer Traumlösung.
Warum Design?
Design erhöht den Wert des Produkts. Differenzierungen und Preisaufschläge zu Wettbewerbsprodukten sind teilweise nur noch über Emotion
und Design möglich. Bang&Olufsen, Porsche, Ferrari verkaufen auch nur
Waren, die technisch nicht immer besser sind als die des Wettbewerbs.
Aber diese Unternehmen können höhere Preise verlangen.
Jeder in Design investierte Euro bringt ein Vielfaches an Gewinn durch
Mehrverkäufe wieder ein. Auch im Low-Price-Segment bei Produkten
unter einem Euro werden mit Design einige Cent mehr beim Ladenpreis
akzeptiert.
Design ist einer der Parameter, der Emotionen auslöst. Design macht
viele Produkte erst begehrenswert. Von Design wird häufig auf Funktionen
geschlossen: »Wenn die sich schon so viel Mühe mit dem Design geben,
muss der Rest ja auch perfekt sein«. Kultprodukte werden fast ausschließlich über Design erreicht. Neben der Form Ihres Produkts und der Verpackung sollten Sie die Farbe sehr sorgfältig auswählen. Machen Sie die
Kombination aus Form und Farbe so einzigartig, dass jeder diese gleich mit
Ihrem Unternehmen verbindet. Bei Weltfirmen reicht allein die Farbe, um
den Menschen Ihre Firma und Ihr Produkt ins Gedächtnis zu rufen. Wenn
Ihnen zum Beispiel ein Mann im braunen Overall entgegenkommt, wissen
Sie gleich, dass er von UPS ist. Dieses Braun »gehört« diesem Unternehmen.
Die Farbe Magenta beansprucht die Telekom für sich, die Kombination aus
Blau und Gelb wird sofort mit Ikea in Verbindung gebracht.
Design  267
Gerade wenn ein Produkt gleichzeitig in Konkurrenz mit anderen
Produkten steht (wie zum Beispiel im Supermarkt), ist es manchmal das
Design, das die erste Aufmerksamkeit auslöst. Bringt das Produkt dann
noch einen größeren Nutzen als die daneben stehenden Produkte, greift
der Kunde zu.
Design in allen Stufen des Kundenkontakts
Nur eine schicke Verpackung reicht nicht. Design muss bei jedem Kontakt
mit dem Kunden berücksichtigt werden, um den Wettbewerbsvorteil zu
verstärken. Design ist unter anderem wichtig bei:
• Werbung inklusive Homepage;
• Produktpräsentation inklusive Verkaufsstellen: Hier haben es Einrichtungen von Prada am Broadway oder von Armani in der 5th Avenue
(www.armani5thavenue.com) in New York als Sehenswürdigkeit in die
Reiseführer geschafft. Als Design gilt hier die Atmosphäre in den Verkaufsräumen (Dekoration, Farben, Beleuchtung, Hintergrundmusik,
Einrichtung, Geruch et cetera). Da beginnt die Traumwelt gleich beim
Betreten des Ladens;
• Produkt: Das Design muss den Wert des Produkts verstärken und nach
Möglichkeit deutlich anheben. Bei Prestige-Produkten gehört das Logo
außen sichtbar auf das Produkt;
• Verpackung: Gerade bei Produkten, die sehr stark aufgrund subjektiver Eindrücke bewertet werden, wird die Wahrnehmung der Produkteigenschaften durch die Verpackung beeinflusst. Schon ein Wechsel
der Verpackungsfarbe oder des Schriftzugs kann bei den Kunden die
Wahrnehmung des Produkts erheblich beeinflussen. Dies ist insbesondere bei Produkten der Fall, bei denen ein objektiver Produktvergleich
häufig schwer fällt, zum Beispiel bei kosmetischen Artikeln, Wein oder
Schmuck. Jede Verpackung hat ein Design. Nur: Ist es ein Zufallsprodukt? Spricht es die Kunden an? Passt es zum Produkt? Auch ein minimalistisches Design (Verpackung aus Pappe, nur mit den gesetzlich vorgeschriebenen Angaben) kann sinnvoll sein, wenn das Umweltbewusstsein oder der günstige Preis hervorgehoben werden soll;
• Service-Design.
Ein Produkt ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem alles aufeinander abgestimmt ist und Design den USP verstärkt.
268  Praxishandbuch Produktentwicklung
Abbildung 29: Armani-Store
Design  269
Beispiele für erfolgreiches Design
Apple-Produkte
Apple-Computer werden nicht nur wegen ihrer Rechnerleistung gekauft.
Apple ist die Marke, die mit ihrem Design aus allen anderen herausragt.
Apple-Produkte sind Kultobjekte: Mac, iPod, iPhone. Und dazu trägt
stark das Design bei. Die Antwort von Apple-Gründer Steve Jobs auf
die Frage, warum das Betriebssystem Mac OS so großartig sei, bringt
es auf den Punkt: »Wir haben die Schaltflächen auf dem Bildschirm so
verlockend gestaltet, dass man sie am liebsten abschlecken möchte«. Er
wusste, warum er nicht mit der Anzahl der Funktionen und Megahertz
geantwortet hat.
Produkte von Alberto Alessi
Dieses Unternehmen (www.alessi.com) entwirft WC-Bürsten, Zahnputzbecher, Aschenbecher et cetera mit ungewohntem – nicht immer
praktischem – Design. Das sind alles Gegenstände des täglichen Bedarfs.
Alberto Alessi erwirtschaftet damit pro Jahr über 100 Millionen Euro
Umsatz. In der Produktentwicklung geht es im ersten Schritt nicht um die
Kosten oder die Funktionen der Produkte, sondern um die Gefühle und
Bilder, die ein Entwurf auslöst. Wenn Kunden für eine WC-Bürste über 30
Euro zahlen, dann hat sich das Design gelohnt.
Schokolade
Schokolade in üblicher Verpackung gibt es für 70 Cent pro 100 Gramm
im Supermarkt. Ein klassisches Alltagsprodukt. Schokolade in besonderen
Formen und Verpackungen (zum Beispiel in einer Metall-Box, etwa von
Hershey’s) gilt als hochwertiges Geschenk. Preis pro 100 Gramm: über
5 Euro, obwohl sich die Produkte im Geschmack für den »normalen«
Kunden nicht unterscheiden.
270  Praxishandbuch Produktentwicklung
Max Brenner
Ein Restaurant (www.maxbrenner.com), in dem es fast nur Schokolade
gibt. Entsprechend ist die Einrichtung (Fotos siehe Seite 199 f.):
•
•
•
•
•
alles in Brauntönen;
große Rührkessel mit flüssiger Schokolade;
Berge von Schokoladenblöcken;
verschiedenste Sorten von Kakao-Pulver als Dekoration;
Rohre an den Decken, durch die Schokolade »fließt«.
Gullydeckel
In Schleswig-Holstein gibt es einen Anbieter für Gullydeckel, der es
geschafft hat, auch aus diesem Produkt etwas Besonderes zu machen. Es
werden Deckel mit gewünschtem Emblem in einer Stückzahl ab einem
Exemplar gefertigt. Unternehmen können so die Gullydeckel auf ihrem
Abbildung 30: Gullydeckel aus Schleswig-Holstein
Design  271
Gelände mit ihrem Logo individualisieren. Ebenso können diese Deckel
in der Kieler Innenstadt zu Werbezwecken eingesetzt werden. In Berlin
gibt es die Deckel mit den Wahrzeichen der Stadt. Dass diese Deckel das
Vielfache eines »normalen« Deckels kosten, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Wenn sich ein Produkt wie Gullydeckel mit Design
individualisieren lässt, dann wird es auch mit Ihren Produkten möglich
sein. Sicher!
Logitech
Das Unternehmen kreiert einfach zu bedienende Designmodelle und schafft
es somit an die Spitze einer Branche mit sonst austauschbaren Produkten.
Die Produkte sind nicht zu vergleichen mit »normalen« PC-Mäusen und
Tastaturen. Auch nicht beim Preis, denn für einige Tastaturen sind bis zu
200 Euro zu zahlen. Übrigens hat diese auch nur so viele Tasten wie eine
Tastatur für 20 Euro.
Werkzeug von Tuf-E-Nuf
Hier wurde Design mit Nutzungseigenschaften kombiniert. Zum Beispiel
sieht ein Hammer (Fotos unter www.flickr.com) nicht nur schick aus,
sondern ist außerdem der Handform angepasst.
Kinderwagen von Stokke
Der Kinderwagen Xplory von Stokke (www.stokke.com) wird für circa
700 Euro angeboten. Ob die Babys darin glücklicher sind, ist offen. Das
Design hebt sich zumindest ab.
Rasierer von Gillette
Es muss nicht immer das Hochpreissegment sein. Auch diese Produkte
fallen durch ein ausgereiftes Design auf.
272  Praxishandbuch Produktentwicklung
Das bitte nicht
Design ist zwar ein wichtiger Faktor, der viel zu häufig gerade im technischen Bereich unterschätzt wird. Die ausschließliche Fokussierung auf
diesen Bereich ist jedoch genauso riskant. Design gibt einem Produkt die
Veredelung. Doch auch das beste und aufwendigste Design rettet kein
Angebot, wenn die Kunden keinen Nutzen haben und kein wichtiges
Bedürfnis mit dem Angebot befriedigt wird. Es reicht nicht, wenn Design
der einzige Unterschied zu den Produkten der Wettbewerber ist.
Design darf nicht der letzte Schritt in der Produktentwicklung zur Verschönerung sein, und obendrauf gepackt werden, nachdem das gesamte
Produkt fertig ist. Design muss gleich zu Beginn der Produktentwicklung
berücksichtigt werden. Es muss gleichberechtigt neben den anderen fünf
Perspektiven des Produkts (Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart
und Emotion) existieren. Und: Design ist nicht die Werbung. Design ist
das Produkt.
Anregungen für Design
Wie wäre es mit einer Bäckerei im Stil des 19. Jahrhunderts? Eine imaginäre Welt à la Disney oder Warner Brothers? Das Betreten des Ladens
wäre schon ein Erlebnis, und dann erst die Einrichtung … Jedes Produkt
hätte seine eigene Geschichte. Alles – auch das kleinste Detail – müsste
hier authentisch sein. Kein Stilbruch, alles aus einem Guss. Hier würden
auch keine Schrippen und Schwarzbrote verkauft werden, sondern Illusionen und Erlebnisse. Das Brot wäre dann eine Beigabe. Die Qualität müsste
jedoch auch hier stimmen.
Oder Design-Verpackungen für Medikamente (im Rahmen der vorgeschriebenen Deklarationspflichten): Kranke wollen sich nicht immer
krank fühlen und bei jeder Einnahme von Medikamenten durch die sterile
Verpackungen an ihr Leid erinnert werden. Wie wäre es mit neutraleren
Verpackungen von Medikamenten? Muss eine Salbendose immer steril
aussehen, oder ist auch Design möglich, sodass sie eher nach Kosmetik
aussieht? Statt der typischen Optik von Pharma-Produkten könnten Lifestyle-Verpackungen getestet werden. Das ist gerade für Jugendliche wichtig.
Prüfen Sie bitte einmal selbst mit Ihren Mitarbeitern, welche Wirkung
Design hat. Die meisten Menschen erkennen beispielsweise eine ColaDesign  273
Flasche auch ohne Etikett. Hier ist es gelungen, die Emotionen mit einem
spezifischen Design zu verknüpfen. Wenn Sie diesen Test mit Bürogeräten
machen, wird die Erkennungsquote gegen Null gehen, obwohl es sich
auch hier um Weltmarken handelt. Hier wurde es häufig versäumt, die
Marktstellung mit einem spezifischen Design zu verbinden. Pflegen Sie
ein unverwechselbares Design. Seien Sie nie ein Anbieter unter vielen.
Holen Sie sich Ideen aus anderen Branchen wie zum Beispiel Kunst oder
Musik.
Umsetzung
Sie müssen kein Leonardo da Vinci oder Michelangelo werden. Es gilt nur,
Design als festen Bestandteil in die Produktentwicklung einzubeziehen.
Um die Informationen Ihrer Kunden in Design umzusetzen, stellen Sie für
die Produktentwicklung nicht nur Mitarbeiter aus Ihrer Branche ein. Wie
wäre es mit Künstlern oder Musikern? Diese sehen die Welt mit anderen
Augen. Das Design der Apple-Computer erstellte Jonathan Ive, ein Designer, der vorher Badezimmer gestaltet hat.
In jedes Projektteam gehört ein Designer. Auch hier gilt: Design ist
nicht Selbstzweck selbstverliebter Mitarbeiter in der Designabteilung.
Design soll den USP und den Nutzen des Produkts verstärken. Die Frage
ist: Welches Gefühl soll das Produkt auslösen? Hierfür muss das passende Design festgelegt werden. Das Produkt braucht Eigenschaften, die
dieses Gefühl auslösen und unterstreichen, und es muss dem Marktsegment angepasst werden. Das bedeutet: Für das Design von Produkten
für Frauen kann es nur eine zuständige Gruppe in Ihrem Unternehmen
geben: Frauen!
Wie auch schon die Perspektive Emotion, so können Sie auch die Hinweise zum Design für neue Produkte leider nicht direkt vom Kunden
erfragen. Hier muss vieles beobachtet werden: Wie lebt der Kunde? Wie
ist er eingerichtet? Welche Produkte nutzt er noch? Womit identifiziert er
sich?
274  Praxishandbuch Produktentwicklung
Geistreiches und Zitiertes
»Entscheiden Sie sich für ein explizites Design oder bereiten Sie sich schon
mal auf den Untergang vor.«
Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever
»Männer können nicht für die Bedürfnisse von Frauen designen!«
Tom Peters in Tom Peters essentials: Design
»You know a design is good when you want to link it.«
Steve Jobs
»Vor 15 Jahren lief der Wettbewerb zwischen den Unternehmen über den
Preis. Heute geht es um Qualität. Und morgen um das Design.«
Robert Hayes
Design  275
Kapitel 14
Trend
Trends und Moden
Die Mode ist eine kurzfristige Laune, die auf schnellen Wechsel und intensive Reize setzt. Trends sind Entwicklungstendenzen über einen längeren
Zeitraum, denen sich niemand entziehen kann. Im Gegensatz zu Moden
können Trends nicht gezielt »gemacht« werden. Trends drücken meist die
Bedürfnisse der Menschen aus. Im Nachfolgenden wird nicht zwischen
Trends, Moden und Entwicklungen unterschieden, sondern ein Ausblick
gegeben, was nach dem jetzigen Stand zu erwarten ist. Die Zukunft vorhersagen kann zwar keiner. Jedoch ist es uns allen möglich, aus den heute
erkennbaren Veränderungen Erkenntnisse über die Zukunft abzuleiten.
Es geht insbesondere darum zu erkunden, welcher Nutzen in der nächsten
Zeit von den Kunden erwartet wird. Hier gilt es, die Produkte darauf auszurichten. Bei den austauschbaren Produkten wird sich der rücksichtslose
Verdrängungswettbewerb an der Preisfront noch verstärken. Der Kunde
entscheidet, wo und wann er kauft. Und bei austauschbaren Produkten
entscheidet er auch, wie viel er dafür zahlt. Vergessen Sie Anpassung und
Stabilität. In modernen Märkten werden nur diejenigen überleben, die
etwas riskieren und sich zu 100 Prozent an den Kunden ausrichten. Was
in den letzten zehn Jahren geklappt hat, wird in zehn Jahren nicht mehr
funktionieren.
Fliehen und Verstecken vor Veränderungen ist nicht möglich. Die Kunden ändern sich dramatisch, das Produktangebot muss sich daran anpassen. Beachten Sie jedoch nur die Trends, die für Ihre Branche entscheidend
sind. Wichtig ist nicht die Neuigkeit des Trends, sondern die Wirkung
auf das Geschäftsfeld. Stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt Ihrer
Unternehmensstrategie.
Es gibt keinen Trend ohne Gegentrend: Gesundheitsbewusstsein/Diäten vs. Anteil an Übergewichtigen, geringe Arbeitszeiten vs. Workaholics,
Umweltbewusstsein vs. Privatflüge, Aldi/Lidl vs. Luxusmarken. Wenn
alle Anbieter in eine Richtung laufen, lohnt es sich vielleicht, als einziger
276  Praxishandbuch Produktentwicklung
Anbieter den Nutzen zu bieten, den gerade die Trendverweigerer suchen.
Und es gibt nicht nur die Trendverweigerer. Bei zunehmender Mobilität,
Zeitdruck, kürzeren Produktzyklen, hoher Komplexität, Stress, Ergebnisorientierung sehnen sich viele Menschen in anderen Teilen ihres Lebens
genau nach dem Gegenteil: Cocooning (Zurückziehen in die vertraute
eigene Umgebung), Sinn, Werte, Zusammenhalte, Entspannung, Sicherheit.
Das Wirtschaftsleben in der heutigen Zeit kann mit einem Tsunami
verglichen werden, dessen erste Anzeichen bereits zu erahnen sind – mehr
jedoch nicht. Das Seebeben ist bereits erfolgt, doch an der Oberfläche
ist fast noch nichts zu spüren. Diese Welle wird jedoch auf einmal die
Anbieter treffen und nur die, die vorbereitet sind, werden überleben. Im
Wirtschaftsleben, so wie wir es kennen, werden in den nächsten Jahren
Veränderungen auf uns zukommen, die wir uns alle noch nicht vorstellen
können.
Der Verbraucher ist heute komplett unabhängig vom Anbieter. Der
Kunde diktiert, und die Anbieter haben es umzusetzen:
• Es gibt nicht mehr Millionen von Kunden auf wenigen Märkten, sondern Millionen von Märkten für jeweils wenige Kunden. Gehen Sie auf
die individuellen Bedürfnisse Ihrer Kunden ein;
• die Oder-Kultur war gestern, es lebe die Und-Kultur;
• keine Massenkultur, sondern Mikrokulturen.
Neue Technologien (zum Beispiel Elektrizität, Auto) brauchten früher
Jahrzehnte, um sich flächendeckend in der Bevölkerung durchzusetzen.
Um 50 Millionen Kunden zu erreichen, brauchte:
•
•
•
•
•
•
•
das Radio fast 40 Jahre;
das Fernsehen 13 Jahre;
das Handy nur noch zehn Jahre;
DVD-Player sieben Jahre;
das Internet nur fünf Jahre;
der iPod nur drei Jahre;
und Facebook nur zwei Jahre.
Heute ist diese Zeitspanne noch kürzer. Das Tempo der Veränderung
nimmt rasant zu. Neue Technologien setzen sich viel schneller durch. Versetzen Sie sich zehn Jahre zurück: kein iPod, kein Musikload, kein iTunes,
kein Wikipedia, Google noch am Anfang (gegründet 1998, heute ein
Marktanteil von 75 Prozent), erst wenige hatten ein Handy (es gab noch
Telefonkarten). Andere Innovationen des letzten Jahrhunderts sind schon
wieder vom Markt verschwunden oder im Abklingen:
Trend  277
• Walkman: seit 1979 auf dem Markt, heute bedeutungslos;
• VHS-Videorecorder: seit circa 1980 im Markt durchgesetzt. Heute findet man in Geschäften diese Produktform unter den Raritäten;
• Dual war Weltmarktführer für Plattenspieler, heute fast verschwunden;
• Musik-CDs seit 1982, heute neue Konkurrenz durch mp3. Ab wann
werden CDs vom Markt verschwunden sein?;
• Fax-Geräte hatten sich gerade zum Ende der 80er Jahre des letzten
Jahrhunderts durchgesetzt, heute wird das meiste per Mail versendet.
Die bisherige und zukünftige Entwicklung der
Kundenwelt
Geschwindigkeit
Das Tempo des Wandels steigt immer mehr. Das betrifft sowohl Ihre Kunden als auch Ihr Unternehmen. Es ist daher eine innerbetrieblich lernende
Organisation notwendig, um sich den sich ändernden Kundenwünschen
anpassen zu können. Nach außen hin finden Kooperationen statt, da einzelne Unternehmen mit dem Wandel auf allen Gebieten nicht mehr Schritt
halten. Erforderlich sind statt der eingefahrenen Weiterentwicklungsstrategien oder stetigen Optimierung die weit reichenden Prozessmusterwechsel (siehe Kapitel 8) in allen Bereichen. Sonst kann die Marktposition
nicht gehalten – geschweige denn ausgebaut – werden. Das betrifft den
Vertrieb, den Einkauf und insbesondere die Produktentwicklung. Was in
den letzten zehn Jahren zum Erfolg geführt hat, verliert an Wirkung. Es
behindert sogar und kann kontraproduktiv wirken. Die Erkennung neuer
Entwicklungen vor dem eigentlichen Wirkungseintritt wird Grundvoraussetzung zum Überleben sein. Nur so können Maßnahmen früh genug
ergriffen werden, um einen echten Wettbewerbsvorsprung zu erlangen.
Denn Produkte sind Vermögenswerte mit rascher Wertminderung. Also
müssen Entwickler immer schneller wieder nachlegen, um mit neuen Produkten die geänderten Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen.
In kurzer Zeit gelingen die größten Erfolge und passieren die größten
Abstürze. Gestern noch erfolgreiche Unternehmen melden heute Konkurs
an, da ein anderer Anbieter mehr Nutzen liefert oder für die Produkte
plötzlich keine Nachfrage mehr besteht. Auf der anderen Seite gab es noch
nie so viele Unternehmen, die plötzlich (teilweise waren sie vorher noch
kurz vor der Insolvenz) wieder erfolgreich wurden. Unternehmen hatten
278  Praxishandbuch Produktentwicklung
noch nie so viele Möglichkeiten und Chancen – und waren auf der anderen Seite noch nie so vielen Gefahren ausgesetzt. Haben vor 50 Jahren
diese Zyklen noch Generationen gedauert, reichen jetzt wenige Jahre, in
Extremfällen bereits Monate aus. Die Produktlebenszyklen werden extrem
kurz. »Verrückte« Produktideen werden zum Volltreffer, und einen Monat
später erinnert sich keiner mehr daran. Ein Beispiel hierfür ist das Tamagochi. Er wurde millionenfach verkauft. Kindertränen flossen, wenn einer
»starb«. Und ein Jahr nach der Einführung war er bereits bedeutungslos.
Keine Träne wird mehr vergossen, kein Euro mehr ausgegeben. Stars in
der Musikszene schießen auf die Nummer eins der Charts, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. Durch die enorme Verkürzung
der Produktlebenszyklen überleben auch die besten Ideen mit großem
Erfolgspotenzial nur noch eine kurze Zeit. Trends müssen immer schneller
erkannt und umgesetzt werden. Die Produktentwickler müssen einen Vorsprung in der Produktentwicklung vor den Mitbewerbern haben. Das ist
überlebenswichtig. Das geht jedoch nur bei einem sehr engen Kontakt zu
den Kunden. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen sind hier
klar im Vorteil. Sie können viel schneller die Kundenbedürfnisse in Produktangebote umsetzen.
Wettbewerbsvorteile können sich durch globale neue Konkurrenz und
neue Technologien über Nacht in Nichts auflösen. Schnell kommen Metoo-Produkte auf den Markt. Um auf dem Markt zu bestehen, müssen
die Produkte immer weiter den aktuellen, sich stets verändernden Bedürfnissen der Kunden angepasst werden. Alle Lebensphasen werden kürzer,
alles wird wechselhafter: die Dauer einer Ehe, die Tätigkeit bei einem
Arbeitgeber, Kundenwünsche und somit letztlich auch Produkte …
Früher galt: »Ich will so bleiben wie ich bin – Du darfst«, heute gilt
im Berufsleben für jeden Einzelnen und für Unternehmen: »Ich will so
bleiben wie ich bin – Du darfst nicht«.
Bildung und Arbeitswelt
Weiterbildung und lebenslanges Lernen wird für viele Menschen Grundvoraussetzung, um die Position im Beruf halten zu können. So lange in den
Ausbildungsstätten – insbesondere Universitäten – überwiegend noch die
theoretischen Fachkenntnisse im Vordergrund stehen, wird der Bedarf an
Wissen und Fähigkeiten für das nachfolgende, sich im Wandel befindliche
Berufsleben steigen. Es reicht nicht mehr, »universitätsschlau« zu sein. »Straßenschlau« (Überleben in der Wirtschaft, unter anderem über NutzenmaxiTrend  279
mierung) ist mindestens genauso wichtig. Hier werden die Anbieter große
Chancen haben, die die richtigen Weiterbildungsprodukte zusammenstellen
und dabei auch bedenken, dass Freizeitangebote immer mehr mit Weiterbildung verschmelzen. Es wird selbstverständlich, dass die Menschen ihre
eigene Weiterbildung komplett oder mindestens teilweise mitfinanzieren und
in die Freizeit verlegen. Flexiblere Arbeitszeiten werden sich durchsetzen.
Längere Öffnungszeiten in Geschäften sind nur ein Teilbereich dessen.
Arbeit gibt es genug – Arbeitsplätze zu wenig. Nach einer Studie vom
Statistischen Bundesamt aus dem Jahr 2009 sank der Anteil der Erwerbstätigen mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag für eine sozialversicherungspflichtige Stelle mit einer Arbeitszeit von mindestens 20 Stunden pro
Woche von 72,6 Prozent (1998) auf 66 Prozent (2008). Demgegenüber
stieg der Anteil an »atypischer Beschäftigung« wie zum Beispiel befristete
Arbeitsverhältnisse beziehungsweise Tätigkeiten mit unter 20 Stunden pro
Woche. Fast die Hälfte der »atypischen« Beschäftigten erhielt einen Verdienst unterhalb der Niedriglohngrenze. Die Garantie der Vollbeschäftigung gehört der Vergangenheit an. Dieses gilt schon heute und in Zukunft
noch viel mehr. In spätestens 20 Jahren wird es über 50 Prozent der heutigen Arbeitsplätze in dieser Form nicht mehr geben. Es werden neue hinzukommen, jedoch sind hier andere Qualifikationen gefragt. Denn immer
weniger Erwerbstätige sind im produzierenden Gewerbe, sondern mehr
im Dienstleistungsbereich tätig.
Es zählen nicht mehr die Arbeit und die Leistung, sondern nur noch
die Ergebnisse. Wissensarbeiter teilen sich die Arbeitszeit und den Ort frei
ein. Man geht nicht mehr Montagmorgen ins Büro, sondern man bringt in
einer bestimmten Zeiteinheit eine vereinbarte Wirkung.
Angebotsvielfalt
Es gibt immer mehr Produkte und Produktvarianten. Großauflagen bei
Büchern und Musikalben liegen lange zurück. Es gibt immer mehr Filme
im Kino, mehr Zeitungen und Zeitschriften (Komplexität). Damals war
das Angebot auch noch weitaus geringer: drei Fernsehkanäle, heute sind
es 100. Die Tendenz ist stark ansteigend. Einschaltquoten von 30 Prozent
waren früher bei nur drei Programmen keine Seltenheit, heute wird schon
bei 10 Prozent gejubelt. Alles wird zum Nischenprodukt. Dem Kunden
steht nicht mehr eine geringe Auswahl zur Verfügung, die dann in großen
Stückzahlen gekauft wird, sondern eine unendliche Fülle von Nischenprodukten, die genau auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sind und
280  Praxishandbuch Produktentwicklung
somit nur in einer geringen Stückzahl abgesetzt werden. Die Nachfragekurve wird flacher. Um noch Gewinne zu erwirtschaften, müssen die Entwicklungskosten, die Fixkosten, die variablen Kosten in der Produktion,
Lager- und Transportkosten sowie die Vertriebskosten erheblich sinken.
Digitale Produkte sind praktisch in unendlicher Vielfalt lagerbar, Lieferkosten fallen kaum an. Wenn früher in einem Geschäft etwas hinzukam,
musste ein anderes Produkt ausgelistet werden. Heute finden Sie Nischenprodukte über Suchmaschinen im Internet. Der Vorteil am Online-Handel ist, dass physische Produkte im Onlineshop an mehreren Positionen
präsentiert werden können. Eine Dose Tomatensoße wird im Supermarkt
in dem Konservenregal einsortiert. Die Positionierung im Supermarkt ist
durch die Ladenfläche begrenzt. Im Onlineshop kann diese unter Dosen,
Spaghetti, Single-Mahlzeit, Kinder-Menü, Preisaktionen und so weiter
präsentiert werden. Menüvorschläge an mehreren Positionen sind möglich. Eine schnelle Anpassung an die aktuellen Erfordernisse und Kundenbedürfnisse kann ohne physisches Umräumen schnell vorgenommen
werden.
Vom Konsument zum Prosument
Kunden entwickeln und produzieren Produkte ohne Hersteller. Viele
Onlineprodukte wurden von Open-Source-Gemeinschaften mit offenem
Quellcode erstellt. Über 90 Prozent der Wertschöpfung findet so durch
die Usergemeinschaft statt. Hierzu gehören insbesondere Produkte wie
der erste Browser Mosaic, Second Life, Firefox, Linux, Apache, diverse
Blogs und Flickr. Einer hat eine Idee und stellt seine erste Version ins Netz.
Der Nächste optimiert und so weiter. Die Gemeinschaft entwickelt und
Kunden bringen sich voll in die Entwicklung ein – und zwar ohne kommerzielle Absichten, ohne dass ein Hersteller daran verdient hat, genau
nach den Bedürfnissen der Kunden, die hier gleichzeitig Entwickler waren.
Statt MS Office können Sie sich auch kostenlos unter www.OpenOffice.org
bedienen. Statt Adobe Photoshop können Sie auch ein Grafikprogramm
bei www.Gimp.org herunterladen. Das Produkt gehört keinem und somit
allen. Das ist eine völlig neue Herausforderung für kommerzielle Softwareanbieter. Professionelle Software war früher noch ausschließlich käuflich.
Und in der Zukunft? Um zumindest noch etwas an dieser Entwicklung
zu verdienen und einen geringen Einfluss zu haben, stellen Unternehmen
eigene Software-Entwicklungen frei ins Netz und auch das Endprodukt
kostenfrei zur Verfügung. Die Einnahmequelle ist hier der Support bei
Trend  281
der Implementierung der Software zum Beispiel in Unternehmen. Manche
Unternehmen stellen auch geistiges Eigentum zur Verfügung, das nicht zu
ihrem Kernbereich gehört, jedoch zu dem ihrer Wettbewerber. Somit soll
dessen Monopolstellung verhindert werden. Die drei Regeln für OpenSource-Software sind: Keiner besitzt sie, jeder kann sie verwenden, jeder
kann sie verändern/verbessern. Eines der bekanntesten Open-Source-Produkte mit knapp 10 Millionen Artikeln ist Wikipedia. Erstellt von hunderttausenden freiwilligen »Autoren«, die sich ohne Bezahlung mit dem
Ziel identifizieren, das Wissen der Welt allen zugänglich zu machen. Sie
sind nicht Angestellte, sondern Individualisten, die in ihrer Summe jedoch
Teil eines amorphen Ganzen sind. Bei Fehlern findet bei Wikipedia schnell
eine Korrektur statt, bei aktuellen Änderungen eine Anpassung. Fehler
oder fehlende Artikel in Print-Produkten beziehungsweise auf CDs werden
hingegen erst in der nächsten Ausgabe korrigiert. Die Fehlerquoten bei
Wikipedia und Encyclopaedia Britannica sind ungefähr gleich. Wikipedia
ist die Gemeinschaft, Britannica ein starres Werk. Zum Beispiel waren am
Tag der vier Bombenattentate am 07. Juli 2005 in London keine 20 Minuten später die ersten Einträge hierzu auf Wikipedia zu lesen. Am Ende
dieses Tages hatten mehr als 25 000 User einen 14-seitigen Beitrag verfasst
und laufend aktualisiert. Da kam keine Nachrichtenagentur mit.
In allen Branchen erwarten die Kunden die Möglichkeit, an der Entwicklung von Produkten mitwirken zu können und diese zu beeinflussen.
Die Kunden wollen nicht mehr nur auf den kaufenden und zahlenden
wehrlosen Verbraucher reduziert werden. Der Kunde ist auch nicht mehr
König oder Kaiser oder Bittsteller, sondern gleichwertiger Partner. Er will
mit seinen Problemen ernst genommen werden und sich auf Augenhöhe
mit den Anbietern unterhalten, wie es bereits Grundprinzip der Hotelkette
Ritz Carlton ist: »We are ladies and gentlemen serving ladies and gentlemen«. In zehn Jahren werden diejenigen Unternehmen den größtmöglichen Erfolg erzielt haben, die den Begriff »Kunde« gestrichen haben. Der
Begriff »Verbraucher« ist ja jetzt schon nicht mehr angebracht. Ändern Sie
die Grundregeln Ihres Geschäfts. Stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt. Nennen Sie ihn »Partner« und behandeln Sie ihn auch so. Erfolgreiche Produktentwicklung schafft Ihr Unternehmen in der Zukunft nie
mehr allein. Ihr Erfolg hängt in der Zukunft davon ab, wie es Ihnen
gelingt, feste Partnerschaften einzugehen. Der Kunde hält alle Zügel der
Macht in seinen Händen. Geben Sie ihm auch die Möglichkeit, sich in
der Produktentwicklung einzubringen. Zeitschriften befragen ihre Abonnenten, welches Cover-Format sie gerne hätten, um nur ein Beispiel zu
nennen. Das ist ein erster Schritt, nur reicht er nicht mehr.
282  Praxishandbuch Produktentwicklung
Informationen für den Kunden
Informationen sind grenzenlos. Ganz früher gab es lokale Zeitschriften
und national begrenzte Fernsehsender. Heute sind Informationen zeitgleich weltweit verfügbar. Kunden können sich so immer mehr untereinander austauschen und nutzen dieses auch vermehrt. So lehren Urlauber
den Reiseveranstaltern und Hotelbesitzern das Fürchten. Sie berichten mit
Fotos im Internet von den Schandflecken am Urlaubsort. Zu lesen sind
diese Berichte unter anderem unter www.hotelkritiken.de, www.trivago.
de und www.hotelcheck.de. Vergleichbarkeit gibt es auch bei Krankenhäusern. Die Qualitätsberichte der einzelnen Häuser sind im Internet
unter www.qualitätsbericht.de nachzulesen. Außerdem gibt es eine Unterstützung bei der Wahl des geeigneten Krankenhauses, zum Beispiel über
den Klinik-Lotsen der Ersatzkassen. Hinzu kommen die Internetportale,
auf denen entlassene Patienten von ihren Eindrücken berichten. Die Zeit,
die im Internet verbracht wird, steigt. Immer mehr Menschen gehören zur
»Generation Always«. Es spricht für sich, dass die Ausgaben für Kommunikation immer weiter steigen. Jeder Einwohner in Deutschland hat
laut Statistik schon jetzt mehr als ein Handy.
Die Zeit wird das knappste Kulturgut
»35-Stunden-Woche« und »Freizeitgesellschaft« sind Begriffe, die zukünftig nur noch in Museumsbänden des Dudens zu finden sein werden. Bei
der tarifvertraglich vereinbarten Arbeitszeit lag Deutschland im Jahr
2004 in Europa im unteren Drittel (unter anderem durch Branchen wie die
Metall- und Elektroindustrie und das Druckgewerbe mit ihrer 35-Stunden-Woche). Um – wenn auch nur kurzfristig – gegenüber dem Ausland
konkurrenzfähig zu bleiben, wird die Wochenarbeitszeit schrittweise
ohne Lohnausgleich auf mindestens 40 Stunden angehoben – und das mit
machtlosem Zusehen der Gewerkschaften oder gar mit deren Zustimmung. Die wieder eingeführte 40-Stunden-Woche oder insbesondere bei
Selbstständigen eine noch höhere Arbeitszeit führt zu Freizeitverlusten
und noch größerer Zeitknappheit. Frei verfügbare Zeit wird als Luxus
empfunden. Zeit löst das Kapital als kostbarstes Gut ab. Neben Geldsparen besteht der dringende Wunsch, Zeit zu sparen, was per Definition gar
nicht möglich ist. Dies ist eine Riesenchance für Anbieter mit Produkten,
die lästige Tätigkeiten abnehmen und das Leben durch Dienstleistungen
und Convenience-Produkte in allen Varianten und in unterschiedlichen
Trend  283
Abbildung 31: Bei Pret A Manger sind alle Speisen ohne Mindesthaltbarkeitsdatum, da am jeweiligen Tag frisch zubereitet
Preissegmenten einfacher gestalten. Die Londoner Restaurantkette Pret A
Manger (www.pret.com) zum Beispiel bietet relativ hochpreisige fertige
Speisen zum Verzehr im Restaurant oder zum Mitnehmen an. Geworben
wird mit den Trendthemen Convenience und Gesundheit durch die täglich
frische Zubereitung und den Verzicht auf Zusatzstoffe. In London gibt es
hiervon bereits über 100 Filialen, in New York über 20.
Zeit ist die Währung der Zukunft: »time poor, money rich« betrifft viele
Menschen, die 50 und mehr Stunden in der Woche arbeiten. Menschen
mit viel Geld haben meist wenig Zeit, es auszugeben und es zu genießen.
Auf der anderen Seite der Skala ist das andere Extrem der Arbeitslosigkeit: time rich, money poor. Diese beiden Extreme werden immer stärker
ausgeprägt. Diejenigen, die Arbeit haben, werden immer mehr arbeiten.
Je mehr Stress und weniger Zeit vorhanden sind, desto größer ist das Verlangen nach Ruhe und Verwöhnen in der geringen Freizeit. Da darf es
dann auch schon mal etwas mehr kosten.
284  Praxishandbuch Produktentwicklung
Gesundheitswesen und demografische Entwicklung
Krankenkassen haben immer weniger Geld. Eine große Anzahl der Behandlungskosten ist vom Lebensstil (Essen, Risikosportarten) abhängig. Für
medizinische Versorgung muss der Patient immer mehr selbst zuzahlen.
Andererseits wird gelten: Wer gesund lebt und isst, muss weniger zum
Arzt und somit weniger zahlen. Im Rahmen des – meist selbst auferlegten – Leistungsstresses werden Pillen zur geistigen Leistungssteigerung
ein großes Thema. In den USA sind sogenannte Merkpillen bereits fester
Bestandteil der Prüfungsvorbereitung.
Verbunden mit der Verschiebung der Alterspyramide (mehr Ältere mit
längerer Lebenserwartung) wird der Gesundheitssektor weiter deutlich
wachsen. Die Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten in diesem
Bereich wird entsprechend zunehmen. Schon jetzt arbeitet jeder neunte
Erwerbstätige in Deutschland im Gesundheitswesen, Tendenz steigend.
Ob im Bereich Verpflegung, medizinische Versorgung, neue Wohnformen,
Behandlungstechniken: Gesundheit ist weltweit ein großer, wenn nicht
der größte Wachstumsmarkt. Die Leute wollen mit 40 Jahren nicht aussehen und sich fühlen wie 40. Wir haben eine physiologische Überalterung
bei gleichzeitiger psychologischer Verjüngung. 60-Jährige verhalten sich
so wie früher 40-Jährige. Das Verhalten wird immer weniger vom Alter
bestimmt als von der Lebenseinstellung. Die Menschen merken, dass sie
selbst die Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen müssen. Spätestens in der zweiten Lebenshälfte konzentrieren sich die Menschen auf
ihre eigene Gesundheit. Sie beschaffen sich Wissen und investieren selbst
in ihre Vorsorge, um gesund zu bleiben. Ihnen stehen immer mehr Quellen zur Verfügung, um sich Wissen zu diesem Thema anzueignen. Einige
Unternehmen bieten bereits an, das Erbgut der Kunden auf Risikofaktoren wie zum Beispiel Diabetes und Krebs zu untersuchen (www.23andme.
com). Manche Praxen konzentrieren sich voll auf die Gesunden und den
Erhalt von deren Gesundheit (zum Beispiel www.spitzbart.com). Früher
galt: Sex sells. Heute zusätzlich: Health sells. Gesundheit ist heute und
in Zukunft mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Die Lebensqualität
soll so lange wie möglich erhalten bleiben, um die zusätzlichen Jahre voll
genießen zu können. Das ist auch ein Teil der Selbstverantwortung. Es
geht nicht mehr darum, eine Krankheit zu lindern, sondern gar nicht erst
krank zu werden.
Viele Produkte – insbesondere in den Bereichen Ernährung, Kosmetik
und Sport – werden mit dem Zusatznutzen oder gar Hauptnutzen der
Gesundheit beworben. Wir verwandeln uns von der Konsumgesellschaft
Trend  285
der Völlerei zur Gesundheitsgesellschaft mit Prävention. Hierfür werden
Nährwert und Zusammensetzung von Packungsinhalten verständlicher
deklariert, damit die Verbraucher bewusst entscheiden können. Jogging
und Nordic-Walking ziehen Millionen an. Gesundheit wird zum Produkt
und zum großen Industriezweig. Das wird insbesondere die Kosmetik,
Sport und Nahrungsmittelbranche umkrempeln. Produkte, die genau diesem Trend entgegenwirken (fettreiche Lebensmittel, Alkohol, Zigaretten)
werden Absatzprobleme bekommen. Aber: kein Trend ohne Gegentrend.
Es wird immer noch einige geben, die nach dem Motto »jetzt erst recht«
genau diese Produkte bevorzugen. Fettleibigkeit sowie Zivilisationskrankheiten wie Diabetes werden daher ein Thema bleiben. Und das weltweit.
Grund ist zu fettreiche Ernährung und zu wenig Bewegung. Das ist ein
deutlicher Gegentrend zum »Gesundheitswahn«. Und dann gibt es noch
die große Gruppe, die dem Motto »sowohl als auch« folgt: Morgens joggen, nur Saft zum Frühstück, zum Mittag einen Salat. Und am Abend
dann Schweinshaxe, Bier und Zigarre. Morgens für die Gesundheit –
abends für die Lust. Sowohl als auch – nicht entweder oder.
Die Menschen zieht es in die Städte. In 20 Jahren werden über 60 Prozent
der Weltbevölkerung in Städten leben. Da das Rentenmodell jetzt schon
hinkt und in einigen Jahren ganz zusammenbrechen wird, werden sich
immer mehr Menschen – sofern sie die finanziellen Mittel dazu haben –
um Eigenversorgung für den Ruhestand kümmern. Anbieter von soliden
und relativ sicheren Rentenformen werden zu den Gewinnern zählen.
Globalisierung
Die Globalisierung wird – trotz zeitweiliger Gegenströmungen – weiter
voran schreiten. Unternehmen verlagern nicht nur die Produktion, sondern immer mehr auch die Entwicklung in sogenannte »Billiglohnländer«.
Bangalore in Indien ist im Bereich Softwareentwicklung die Nummer zwei
in der Welt. Viele Weltfirmen wie AXA, Sun Microsystems und Cisco
haben dort ihre Niederlassungen.
Das Thema Umwelt wird uns immer mehr beschäftigen. Die Abhängigkeit von anderen Ländern wird bei Lieferausfällen immer deutlicher.
Außerdem steigen langfristig die Rohstoffpreise aufgrund geringer Ressourcen sowie steigender Nachfrage. Für das Sparen von Rohstoffen werden zukünftig Milliarden ausgegeben, sei es über die Reduktion des Verbrauchs oder über erneuerbare Energien. Die Auswirkungen des Klimawandels spüren immer mehr Menschen immer deutlicher. Skiorte bleiben
286  Praxishandbuch Produktentwicklung
schneefrei, Umweltkatastrophen nehmen zu, warme Erdregionen werden
noch wärmer, bis sie zu heiß sind, um dort zu leben. Trinkwasser wird
knappes Gut und zur Ursache für Auseinandersetzungen.
Landesgrenzen verlieren an Bedeutung. Die Unternehmen und die Wirtschaft sind global aufgestellt, über die Grenzen hinweg. Und in der Wirtschaft wird deutlich schneller globalisiert als in der Politik. Die Wirtschaft
und die Technologie ändern sich viel schneller, als die Staaten Vorschriften zur Regulierung erlassen können. »Made in …« verliert immer mehr
an Bedeutung, weil ein Produkt häufig über Zwischenstufen in mehreren
Ländern hergestellt wird. Die Kunden kaufen immer mehr Produkte und
Marken, und keine Länderabzeichen. Die Unternehmen haben zwar einen
Hauptsitz, operieren jedoch weltweit. Nationale Rechtsvorschriften werden umgangen und ausgehoben. So wird im Internet gegen Bezahlung eine
Software zum Kopieren von DVDs und CD-ROMs angeboten, deren Vertrieb in Deutschland verboten wird. Damit diese Software per Mail auch
aus Deutschland bestellt werden kann, wird der Kunde vom Anbieter aufgefordert, als Absender »Schweiz« anzugeben. Eine andere Variante sind
Server im Ausland, die Pay-TV-Sendungen kostenlos ins Netz stellen. Da
machen sich Hobby-Freaks einen Spaß, indem sie die Bilder vom Dekoder
abgreifen und auf ausländischen Servern zur Verfügung stellen. Insbesondere durch das Internet sind die Grenzen und somit auch die Länderrechte
praktisch aufgehoben für alles, was digital vertrieben werden kann. Neuprodukte sind weltweit jederzeit verfügbar. Neue Kinofilme sind maximal
eine Woche nach der Erstausstrahlung im Kino im Internet (wenn auch
nicht immer auf legalen Seiten) kostenlos abrufbar.
Informationsverhalten und Digitalisierung
Bei jeder Regulierung bildet sich ein Schwarzmarkt. Immer mehr Informationen sind immer leichter zugänglich. Die Kunden sind immer besser
ausgestattet. Mit dem Computer können zum Beispiel Filme geschnitten
und Fotos bearbeitet werden, was vor Jahren noch Profis vorbehalten
war. Was digitalisiert werden kann, wandert ins Internet: Informationen,
Musik, Beratung, Produktpräsentationen, Bestellwesen und Dienstleistungen. Die Geschäfte verlagern sich ins Internet.
Berufe fallen aufgrund der Digitalisierung weg. In ersten Restaurants
bestellt der Gast über die in Tische integrierten Touch-Screens. Ein Kellner wird überflüssig.
Die Bedeutung des Fernsehens nimmt immer mehr ab. Früher war der
Trend  287
Kunde an die vom Sender festgelegten Sendezeiten gebunden. Heute kann
immer mehr auch im Internet angesehen werden. Gerade in den USA
sind die meisten Sendungen bereits ab dem Sendetag im Internet in voller
Länge verfügbar.
Werbung wird in der Zeit der Digitalisierung brutal übersprungen. Das
Internet bietet nun die komplette Freiheit: Interessierte können wählen,
wo und wann sie etwas sehen, und haben eine unendliche Auswahl. Da
zieht das Fernsehen den Kürzeren. Der Kunde stellt sich sein individuelles
Programm zusammen. Das Fernsehen der Vergangenheit war Massenware, ein bisschen Berieselung für viele. Hier Sender, dort Empfänger.
Der heutige Verbraucher akzeptiert nur noch Individualsendungen. Mit
den digitalen Möglichkeiten stellt er sich den Informationsbedarf frei aus
unterschiedlichen Medien zusammen. Er wird zum Programmgestalter.
Das Internet löst – insbesondere bei der jüngeren Generation – das Fernsehen als Informationsquelle und Unterhaltungsmedium ab. Zusammen
mit der nachlassenden Wirkung der Massenwerbung werden die Preise für
Spots in den Keller fallen. Die ersten Großunternehmen steigen bereits aus
der TV-Werbung aus und investieren in neue Medien.
Die next Generation ist die net Generation. Sie ist mit Computer und
Handy aufgewachsen. Gerade das Handy wird zentraler Bestandteil »des
Körpers«, eingesetzt für Buchungen, Bahnkarte, als Autoschlüssel et
cetera.
Kinder und Jugendliche machen alles gleichzeitig und parallel: Hausaufgaben, Fernsehen, im Internet chatten, telefonieren und so weiter. Für
sie ist dieses Multitasking normal, aus ihrer Sicht machen sie dann gerade
nichts.
Die Aufmerksamkeitsspanne wird immer geringer. Fernsehserien und
Nachrichten müssen immer kürzer werden.
Das Internet ist ein Pull-Medium. Der Kunde sucht aktiv und will
nicht mit uninteressanter Werbung vollgeschüttet werden. Dafür gibt es ja
Popp-up-Blocker sowie weitere Filter. Es ist using on demand.
Kaufentscheidungen werden immer weniger am Point-of-Sale (also im
Laden) getroffen, sondern immer mehr am Point-of-Decision (vor dem
Computer). Dort werden Produkte und insbesondere Preise verglichen
(zum Beispiel auf www.guenstiger.de oder www.idealo.de). Dieser Weg
ist außerdem bequemer und nicht durch das Ladenschlussgesetz begrenzt.
Wo Technik mit Nutzen verbunden werden kann, wird dieses immer
vielfältiger eingesetzt. So sind in New York die Taxen mit einem Sensor
ausgestattet, um die Werbung auf dem Autodach an die Gegend anzupassen, in dem das Taxi gerade fährt. Da wird Technik mit Nutzen kom288  Praxishandbuch Produktentwicklung
biniert. Keinem Restaurant nutzt eine Taxi-Werbung in einer Entfernung
von 50 km zum Restaurant.
Wirtschaft
Extreme nehmen zu: billig vs. Luxus, arm vs. reich, Produkte für Massen
vs. Nischenprodukte für Kleinstmärkte, Edelmarken vs. no name. Die
Mitte bleibt auf der Strecke.
Wirtschaftsleben ist gegenseitiges Lösen von Problemen. Es gab in
der Geschichte der Menschheit noch nie so viele ungelöste Probleme wie
heute. Und es gab noch nie eine Zeit, in der sich die Probleme der Kunden
so schnell verändert haben. Dieses geschieht auch durch die rasante technische Entwicklung, die einerseits Probleme löst, andererseits mindestens
genauso viele neue Probleme aufwirft. Das sind Felder für problemlösungsorientierte Produktentwickler, die Chancen sind hoch wie nie zuvor.
Gestalten Sie mit, damit Sie nicht gestaltet werden. Sie werden Ihr Angebot
ändern, weil Sie von Ihren Kunden dazu gezwungen werden. Heute reicht
es nicht mehr, das nur Bewährte zu pflegen. Sie müssen Ihre Gewohnheiten infrage stellen und sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Und
das nahezu täglich!
Es zählt mehr der Zugang (Access) als der Besitz. Timesharing bei
Urlaubswohnungen, Nutzungsstunden bei Privatjets, Fahrrad am Automaten zur Kurzmiete, Teilung von Autos. Autohersteller werden immer
weniger Autos verkaufen, sondern zukünftig den Zugang gemessen in
Stunden einen Wagen zur Verfügung stellen. Preis inklusive Benzin, Versicherung, Steuern, Wagenwäschen, vielleicht sogar inklusive Strafzettel.
Wenn man bedenkt, wie selten ein Auto in der Regel genutzt wird, lohnt
es sich für viele der Noch-PKW-Kunden.
Die Unternehmen bekommen heute Konkurrenz aus den Bereichen, die
sie gestern noch gar nicht beachtet haben, von Produktformen, die die
Bedürfnisse viel besser lösen. Aufwändige Laboruntersuchungsverfahren
werden zu Schnelltests. Medikamente zur Behandlung von Krankheiten
werden zu Medikamenten der Prävention, damit diese Krankheiten gar
nicht auftreten. Fotofilme wurden ersetzt durch die Digitalfotografie. Das
sind alles keine Produktoptimierungen, sondern Prozessmusterwechsel.
Die Konkurrenz kommt nicht nur aus der eigenen Produktbranche, sondern mindestens mit gleicher Intensität aus fremden Branchen. Hier wird
deutlich: Märkte, die über Aufgaben und Probleme definiert sind, sind um
ein Vielfaches größer als Märkte, die über Produktkategorien definiert
Trend  289
sind. Die Produkte konkurrieren nicht mit den Angeboten aus der eigenen
Branche, sondern mit allen Angeboten zu den zu leistenden Aufgaben und
der zu lösenden Probleme. Die Grenzen der Branchen verwischen, sie fallen teilweise ganz weg. Sony wird Finanzdienstleister, DaimlerCrysler zur
Bank. Deutsche Post und Otto-Versand verkaufen Strom, und bei Tchibo
erhalten Sie neben Autos und Rentenversicherungen sogar noch Kaffee.
Der Star am Kochhimmel ist nicht ein Sternekoch aus Frankreich, sondern
ein Jugendlicher aus England. Amazon wurde nicht von einem Buchhändler oder Grossisten gegründet. Auch innerhalb der Branchen wird häufig
durch Kooperation das Angebot ausgeweitet. Dass diese Diversifikationen
nach kurzer Zeit zum Flop werden, ändert nichts an der Tatsache, dass
diese Einsteiger den etablierten Anbietern durch Schnäppchenangebote
das Leben schwer machen. Axel Springer und die Holzbrinck-Gruppe
übernahmen gemeinsam die Mehrheit am Berliner Postdienstleister Pin
AG, dem nach der Deutschen Post zweitgrößten Briefzusteller in Deutschland. Mit der Süddeutschen Zeitung begann ein weiterer Großverlag mit
der regionalen Zustellung von Briefen in München und Umgebung. In der
Wirtschaft kommen neue Wettbewerber mit ganz neuen Fähigkeiten in
ihr Marktsegment. CNN bot als neuer Sender 24 Stunden Nachrichten.
Warum kamen nicht die großen Fernsehsender auf diese Idee, der Markteinstieg wäre für sie technisch viel einfacher gewesen. Nicht Dual als
Marktführer von Schallplattenspielern wurde führend in der Produktion
von CD-Playern, sondern Neueinsteiger in der Unterhaltungsbranche.
Nicht Sony oder BMG sind Marktführer für Musikdownloads, sondern
der Computerhersteller Apple. Der Neueinsteiger Starbucks, nicht Wiener
Kaffeehäuser oder die großen Kaffeeröstereien und -vertreiber, hat das
größte Filialnetz an Coffee-Shops aufgestellt. Die etablierten Branchenunternehmen hatten doch aufgrund ihrer Historie einen großen Vorsprung
gegenüber dem Newcomer. Neue Anbieter haben es jedoch leichter, sie
tragen keinen Ballast alter Erfolge und Erfahrungen mit sich herum, sondern gehen, immer mit dem Kundenwunsch im Blick, direkt ans Problemlösen. Meist betrachten die Unternehmen nur die anderen Unternehmen
aus der Branche als Konkurrent. Das ist zu kurz gedacht. Irgendwo gibt
es Unternehmen, die noch gar nicht in dieser Branche sind, jedoch das
Potenzial zur Produktentwicklung haben und in einigen Jahren die Branche als Quereinsteiger aufmischen werden. Aus welchen Gründen haben
nicht große Buchhandlungen oder Kaufhäuser zuerst Bücher und Konsumprodukte aller Art im Internet angeboten? Amazon verkauft neben
Spielwaren, Elektrogeräten, Heimwerkerbedarf und Kosmetikartikeln
auch noch Lebensmittel (Start in den USA). »Ganz am Rande« gibt es
290  Praxishandbuch Produktentwicklung
bei Amazon noch Bücher zu kaufen. Intel fürchtet heute weniger seine
bisherige Konkurrenz der Chiphersteller, viel mehr eventuelle Anbieter
von Einheiten, die diese Chips zum Beispiel auf gentechnologischer Basis
ersetzen. Tankstellen machen den größten Teil ihres Gewinns mit Nichtmineralölprodukten. Aldi stellt zwischen Kaffeesahne und Keksen Computer ins Regal und macht so »Medion« zu einer Marke. Daneben werden
Hotelübernachtungen in Luxushotels angeboten. Lidl bietet Tickets der
Deutschen Bundesbahn an. Der klassische Begriff der Marktgrenzen wird
ad absurdum geführt. Es gibt keine Grenzen mehr, auf die man sich heute
noch verlassen kann.
Produkte unterschiedlicher Branchen konkurrieren untereinander. Die
Konkurrenz kommt von allen Seiten. Nicht nur Kinos gegen Kinos, Restaurants gegen Restaurants und Theater gegen Theater. Menschen überlegen, ob sie am Freitagabend ins Kino gehen, sich mit Freunden treffen, in
eine Bar oder ins Restaurant gehen, im Internet surfen oder das Heimkino
vorziehen. Somit kommt die Konkurrenz überwiegend aus ganz unterschiedlichen Branchen. Die Brötchen eines Bäckers konkurrieren einerseits mit den Brötchen anderer Bäcker. Das ist reines Produktdenken. Geht
man jedoch von dem Problem (Sättigung) aus, das das Brötchen lösen soll,
kommen branchenübergreifend viele weitere Produktkategorien dazu: die
gesamte Lebensmittelpalette von Bananen, Müsliriegeln, Süßwaren bis
hin zum Milchshake.
Früher waren Trends über Jahre angekündigt. Trendursprung waren
meist die USA. Von dort aus kamen die Trends dann langsam nach
Deutschland. Heute kommen die Trends aus allen Richtungen und sind
(fast) gleichzeitig überall.
Früher bestimmten die Anbieter, wo und wann der Kunde kaufen
durfte, und hielten es nicht für nötig, den Kunden den Kauf so einfach wie
möglich zu machen. Heute ist es genau umgekehrt: Es gibt den rollenden
Supermarkt, Homeshopping, kostenlosen Lieferservice und die Bank im
Bus. Sogar die katholische Kirche kommt jetzt zum »Kunden«: In dem
zum Beichtmobil umgebauten Kleinbus können die Bürger vor Ort die
Beichte ablegen. Eingesetzt wird das Beichtmobil (http://www.kirche-innot.de/was-wir-tun/beichtmobil) unter anderem bei Wandertagen und
Stadtfesten. Wenn nicht mehr so viele Gläubige zum Beichten in die Kirche gehen, dann kommt die Kirche eben zu den Gläubigen.
Kooperationen nehmen zu, die Fertigungstiefe wird geringer. Die
Firmen-Homepage ist für die Anfahrtsskizze mit Google oder Falk verknüpft. Anbieter von Produkten bieten gleichzeitig Literatur zu diesem
Thema (verlinkt mit Amazon). Nike stellt Schuhe nicht mehr selbst her,
Trend  291
bei Autos findet maximal noch die Endmontage in den eigenen Hallen
statt.
Es erfolgt der Abschied von der Größe. Diversifikation, Massengeschäft und Generalisten sind out, Spezialisierung ist in. Ein Beispiel dafür
sind die großen Kaufhäuser mit all ihren Problemen. Ein Haus wie das
andere bietet alles an, und in der Tiefe doch »nichts«. Der Marktanteil der
Warenhäuser ist in den letzten Jahren erheblich gesunken. Bis auf wenige
Premiumstandorte werden diese Giganten von der Bildfläche verschwinden und durch Shop-in-the-Shop-Systeme oder durch Galerien selbstständiger Geschäfte ersetzt. Kunden wollen nicht mehr den Allrounder mit
Rheumadecken neben Zierfischen und Bohrmaschinen. Sie wollen keine
Verkäufer, die gestern noch Strümpfe verkauft haben und heute aufgrund
von Personalengpässen in der Abteilung für Koffer stehen. Von Fachberatung kann dort keine Rede sein. Da gehen die Kunden lieber zum Elektrohandel, Küchenausstatter, Bekleidungsgeschäft, Juwelier, Spielwarenladen, Möbelgeschäft und so weiter. Dort haben neue und kleine Anbieter
die Möglichkeit, erfolgreich gegen undifferenzierte große Wettbewerber
anzutreten. Hochrentable Spezialisten haben sich auf einen Markt konzentriert, der für die Generalisten nicht interessant ist.
Die Macht der Kunden
Früher lag die Macht beim Hersteller, weil die Nachfrage größer als die
Produktionskapazität war. Zwischendurch hatte der Handel die Macht,
denn nur dieser hatte den Zugang zum Kunden (zum Beispiel Kaufhaus).
Heute liegt die Macht beim Kunden, denn es gibt mehr Direktvertrieb
und eine größere Auswahl an Händlern. Zwischenhändler werden immer
mehr ausgehebelt. War der direkte Weg vom Hersteller zum Endkunden
vor Jahren noch eher die Ausnahme, so ist es über das Internet die Regel.
Da können sich Hersteller und Endkunden die Händlermarge einstreichen
und haben beide den Vorteil. Insbesondere wenn der Händler mehr als
Durchreicher denn als Verkäufer und Berater fungierte, hat er jetzt ausgedient. Das Diktat des Herstellers wich dem Diktat des Handels. Dieses
weicht dem Diktat des Kunden. Dieser Macht werden sich immer mehr
Kunden bewusst und setzen diese auch ein.
Der Kunde gibt dem Anbieter vor, wann und wo er Werbung haben
möchte und wann, wo und auf welchem Wege er das Produkt zu welchem
Preis erwerben will. Er ist gut informiert und kann – praktisch ohne Kosten – weltweit Angebote hinsichtlich Nutzen und Preis vergleichen und
292  Praxishandbuch Produktentwicklung
entsprechend beziehen. Dies gilt insbesondere für Waren. Viele Dienstleistungen werden an Ort und Stelle verrichtet (Friseurbesuch, Arzt), jedoch
kommt es hier bei hochpreisigen Leistungen schon zu einem weltweiten
Tourismus.
Früher wurden den Kunden nicht zu viel Informationen gegeben, damit
sie nicht vergleichen und woanders kaufen konnten. Das geht heute nicht
mehr. Die Verbraucher sammeln Informationen im Internet und tauschen
sich untereinander aus, ohne Einbeziehung beziehungsweise Kontrolle
der Anbieter. Referenzlisten, die nur Positives erzählen, verlieren an
Bedeutung. Informationen zum Produkt erhält man heute nicht mehr ausschließlich vom Hersteller, sondern von begeisterten und verärgerten Nutzern. Platte Werbeversprechen prallen an den Kunden ab. Sie sind durch
tausende Werbebotschaften pro Tag abgestumpft und »imprägniert«. Der
einzig gangbare Weg für Produktanbieter ist es, die Bedürfnisstruktur
der Kunden zu erkennen und diese Bedürfnisse zu befriedigen. Und zwar
besser als jeder Wettbewerber.
Patienten gehen – dank Internet – häufig mit klaren Vorstellungen und
Selbstdiagnosen zum Arzt. Im Internet werden die benötigten Informationen gegoogelt, anschließend in Chatrooms und Foren die Erfahrungen
ausgetauscht und der Arzt mit diesen Informationen konfrontiert. Das
persönliche Gespräch mit dem Arzt findet dann fast auf Augenhöhe statt.
Patienten schlucken nicht mehr alles (im doppelten Sinne). Der Arzt als
reiner Rezeptverteiler wird nicht mehr akzeptiert. Das ist Patientensouveränität pur. Es geht um Beratung, und nicht nur um Symptombekämpfung
und Entgegennahme von Rezepten.
Kundenbindung ist nicht mehr möglich. Noch immer versuchen viele
Unternehmen ihre Kunden wie in den letzten Jahrzehnten zu binden.
Dabei ist heute kein Kunde mehr bereit, auf »Knebelverträge« einzugehen. Da der nächste Anbieter mit einem vergleichbaren Angebot ohne
Langzeitbindung häufig nur 100 Meter oder im Internet nur einen Klick
entfernt ist, sinkt die Kundenbindung rapide. Die Kunden wechseln die
Anbieter schneller denn je. So bleibt für die Anbieter nur noch die Möglichkeit der Attraktivität für den Kunden. Anbieter können eine langfristige Kundenbeziehung nur durch dauerhafte Faszination und Begeisterung
des Kunden erreichen. Dann bleibt der Kunde freiwillig und möchte von
sich aus die Geschäftsbeziehung mit Ihnen ausbauen und betreibt freiwillig unbezahlte Mundpropaganda für Ihr Unternehmen. Und er ist bereit,
sich aktiv in die Entwicklung Ihrer Produkte einzubringen.
Trend  293
Privatleben
Privatsphäre = 0. Das gilt für Prominente wie auch für Otto-Normal-Verbraucher. Sie müssen an jeder Straßenecke mit einer Life-Cam rechnen,
mit der Sie im Internet sichtbar sind. In New York gibt es einige Cams
an Subway-Ausgängen (www.earthcam.com/usa/newyork/timessquare/).
Dort kann jeder genau kontrollieren, wann sein Partner wo war – und
wo nicht. Party-Fotos und Cam-Aufnahmen wandern ungeschnitten
ins Internet. Einmal eine falsche Person im Arm und schon kann es die
ganze Welt auf YouTube oder Flickr sehen. Texte, die eigentlich nur für
einen kleinen Leserkreis gedacht waren, können weltweit unter Google
gefunden werden. Unternehmen recherchieren vor der Einstellung die
Bewerber im Internet, um zu sehen, ob der Bewerber irgendwann etwas
veröffentlicht hat, was nicht zur Firmenphilosophie passt. Heute werden
Sie nach Namen, Anschrift, Geburtsdatum, Einkommen, Familienstand,
Hobby und so weiter gefragt, wenn Sie bei Gmx oder Freenet eine E-MailAdresse beantragen. Viel mehr als bei der Volkszählung im Jahr 1987, die
einen kollektiven Aufschrei verursacht hat – und alle finden es normal.
In Foren präsentieren sich die Teilnehmer mit intimsten Details. Bei Xing
ist der ganze berufliche Lebenslauf der Benutzer hinterlegt – eine ideale
Informationsquelle für Unternehmen. In StudiVZ sind neben Hobbys der
eingetragenen Benutzer auch weitere Interessen angegeben. Sie können
dort in Gruppen eintreten, die ihre Gesinnung verdeutlichen und Namen
wie »Jägermeister ist auch nur ein Lebensmittel« tragen.
Individualisierung
Jeder von uns glaubt, der Mittelpunkt der Welt zu sein – und das zu
Recht. Nur leider gibt es bereits knapp 7 Milliarden Menschen auf der
Welt. Jeder möchte etwas Besonderes sein und auch als das angesehen
werden. Er möchte und erwartet individuelle Lösungen für seine Probleme. Massenprodukte werden nicht mehr akzeptiert, Produkte von
der Stange werden verschmäht. Ein erfolgreiches Produkt passt bei dem
Kunden wie der Maßhandschuh zu seiner Hand beziehungsweise wie der
Schlüssel zum Sicherheitsschloss. Es gab auch in der Vergangenheit noch
nie einen Massenmarkt. Hersteller glaubten es nur und behandelten ihre
Kunden wie eine Masse. Schon damals waren es Individuen, die kauften,
nur war da die Nachfrage größer als das Angebot, sodass die Hersteller
sich diese Haltung erlauben konnten. Bei niedrigpreisigen Produkten sind
294  Praxishandbuch Produktentwicklung
die Individuallösungen beschränkt, jedoch nicht ausgeschlossen (zum Beispiel Privatkaffee von Tchibo: Der Kunde stellt »seine« Mischung selbst
zusammen). Bei hochpreisigen Angeboten ist diese Individualisierung
schon Pflicht.
Mass-Customization ist der Schlachtruf. Produkte für die Masse an
Kunden müssen her, bei denen jedoch die spezifischen Kundenwünsche
in der Produktion berücksichtigt werden. Es sind die Build-to-order-Produkte, die erst produziert werden, wenn der Kunde bestellt hat. Dieses
ist seit Jahren bei Computern möglich, indem der Kunde im Internet
sein individuelles Gerät zusammenstellt. Oder auch beim Autokauf, bei
dem zwischen 100 000 Varianten gewählt werden kann. Durch Fortschritte in der Fertigung ist diese Individualität auch für Hersteller rentabel. Die Auffassung von Henry Ford: »Ein Auto darf jede Farbe haben,
solange es schwarz ist« ist längst überholt. Vor 20 Jahren waren bei
Autos nur bestimmte Sitze zu bestimmten Außenfarben zu bestimmten
Bezügen möglich. Das wird heute nicht mehr akzeptiert. Früher stellte
die Musikindustrie Schallplatten und CDs zusammen. Wer zahlt, will
jedoch auch entscheiden, wofür er zahlt. Und so begann der Erfolg von
Musicload und iTunes. Weitere Branchen greifen diesen Trend auf. So
kann der Kunde bei Mymuesli (www.mymuesli.com) im Internet seine
Mischung selbst zusammenstellen. Auf M&M’s (www.mymms.de) kann
der Kunde individuelle Texte auf die Produkte drucken lassen, in den
USA kann er die Schokolinsen mit eigenen Fotos verzieren. Selbst kreierte
Schokolade bieten Deineschokoladen (www.deineschokoladen.com) und
Chocri (www.chocri.de). Bei Chocri können die Kunden aus circa 100
Zutaten ihre Lieblingsschokolade kreieren – insgesamt sind das über 10
Milliarden Varianten. Produziert wird entsprechend erst nach Eingang
der Bestellungen, Lagerfläche für fertige Waren entfällt. Auf den persönlichen Bedarf zugeschnittene Vitaminportionen können Kunden online
bei Customcapsule (www.customcapsule.com) bestellen. Bei Starbucks
besteht die Auswahl aus circa 85 000 Kombinationen (drei verschiedene
Größen, über 15 Getränke und Milchschaum oder Sahne, Kuhmilch
oder Sojamilch, entkoffeiniert und Zusätze wie extra Espresso oder Sirup
nach Wahl). Plüschtiere werden bei Build-a-Bear (www.build-a-bear.
com) nicht von der Stange gekauft, sondern aus einer Vielzahl an Tieren
und Accessoires selbst kreiert. Diese Individualisierung zieht sich über die
Bekleidungsbranche (www.nike.com) bis hin zu Kosmetikartikeln. Ein
eigenes Parfum kann bei My Parfum (www.myparfum.com) zusammengestellt werden. Bei Lego können Kunden sich virtuell im Internet ihr
Wunschobjekt zusammenbauen und eigene Modelle kreieren. Online
Trend  295
wird ausgerechnet, wie viel dieser individuelle Bausatz kostet und nach
Bestellung erhält der Kunde seine benötigten Steine zugeschickt. Stößt
das Modell auf die Akzeptanz der Lego-Angestellten, so wird das Modell
in das offene Lego-Programm übernommen. Kunden werden zu Fans,
da sie selbst mitwirken können. Interessierte arbeiten auf gleicher Hierarchieebene an einem Projekt. Setzen Sie hier an. Mitmachen lassen statt
kontrollieren lautet die Devise.
Für die verlangte Individualität ist der Kunde bereit, für das von ihm entworfene Produkt weitaus mehr (häufig ein Vielfaches) zu zahlen als für die
Standardausführung. Neben dem Gefühl, etwas Einmaliges zu haben, hat
der Kunde so die Möglichkeit, das Produkt seinen spezifischen Bedürfnissen anzupassen und so den Produktnutzen für sich selbst zu erhöhen. Für
den Anbieter ist vorteilhaft, dass das Rückgaberecht der Kunden bei diesen individuellen Produkten eingeschränkt ist, insbesondere dann, wenn
die Produkte nicht anderweitig verkauft werden können. 5 Zu beachten ist,
dass die Individualisierung für den Kunden so einfach wie möglich sein
muss, denn jede Erhöhung der Komplexität reduziert die Akzeptanz beim
Kunden. Apple hat mit seinem iPhone durch wenige Modelle die Komplexität extrem reduziert, gibt jedoch den Kunden über die vielen Apps
die Möglichkeit, das Gerät individuell anzupassen. Er kauft somit kein
abgeschlossenes Produkt, sondern eine offene, »frei« gestaltbare Grundausstattung. Bereits im ersten Jahr haben Kunden 1,5 Millionen Apps
aus einer Auswahl von über 65 000 heruntergeladen, Tendenz steigend.
Wochenlang auf Platz eins der Downloads war das App »Around me«,
mit dem Restaurants, Hotels, Geschäfte und Ähnliches in der jeweiligen
näheren Umgebung angezeigt werden. Hier wird der Hang der Menschen
zur Vernetzung deutlich.
Viele Unternehmen haben sich jedoch immer noch nicht auf dieses
Bedürfnis der Individualisierung eingestellt, obwohl es doch gerade im
Dienstleistungsbereich möglich wäre. Sie arbeiten nach dem »GoldfischModell« (einige Spezies von tropischen Goldfischen haben kein Gedächtnis für ihre Umgebung und langweilen sich so nie im Aquarium). Hierbei
werden Stammkunden so behandelt, als wenn man sie das erste Mal sieht.
Zum Beispiel werden nach über zehn Jahren beim gleichen Friseur immer
noch die gleichen Fragen gestellt: »Wann waren Sie das letzte Mal hier?«,
»Wie möchten Sie den Haarschnitt?«, »Möchten Sie eine Kopfmassage?«.
Und von dem Kunden kommt immer die gleiche Antwort: »4 Wochen«,
5 Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie unter www.configurator-database.com.
296  Praxishandbuch Produktentwicklung
»kurz, fingerbreit«, »nein«. Das nervt den Kunden. Wie wäre es mit einer
Kundendatei, in der hinterlegt ist, wann der Kunde zuletzt da war und
welche Leistungen er in Anspruch genommen hat?
Kundenverhalten
Weder Herkunft noch Alter noch Geschlecht bestimmen unser Verhalten
ausschließlich. Wir leben im Zeitalter der Multigrafie. Die Lebensabschnitte Kindheit, Jugend, Berufstätigkeit und Rente konnten früher zur
Marktsegmentierung herangezogen werden, heute nicht mehr. Menschen
entscheiden nach ihren Lebenswelten und immer mehr aus der Situation
heraus. Das Verhalten der Kunden wird immer widersprüchlicher und
dadurch immer weniger kalkulierbar. Es gilt die Multioptionalität: morgens im Porsche zu Aldi, mittags Fastfood, dann bei H&M einen Mantel
einkaufen und abends einen Salat im Edelrestaurant, um sich gesundheitsbewusst zu ernähren. Die meisten nutzen die extremen Pole und nicht die
langweilige Mitte mit den Durchschnittsprodukten. Der heutige Kunde ist
ein Chamäleon. Früher gab es den Otto-Normal-Verbraucher – heute den
Otto-Normal-Abweichler. Die Kunden von heute sind schizophren wie
Jekyll & Hide.
Vernetzung
Auf der Welt und insbesondere in den sogenannten Industrienationen verlief in den letzten Jahren eine der größten – wenn nicht die größte – Veränderung: Vernetzung. Alles wird mit allem vernetzt. Ein weltumspannendes Netzwerk entsteht. Und die Vernetzungsdichte wird immer höher.
Wir vernetzen uns in der Kommunikation per Handy, Computer und allen
Varianten. Was früher undenkbar war, erscheint heute allen als selbstverständlich. Einige Auswirkungen der Vernetzung bis heute sind nachfolgend zusammengefasst:
• Das Internet ist nur ein Teil der weltweiten Vernetzung. Unternehmen
treiben weltweiten Handel miteinander – was vor 20 Jahren noch den
Big Playern vorbehalten war, ist heute jeder Einmannfirma möglich. Die
Waren bei eBay sind nicht in einem Laden, sondern weltweit verteilt;
• eine weitere Auswirkung der Vernetzung ist die Tatsache, dass auch
unbedeutende Nachrichten in Sekundenschnelle um die Welt gehen,
Trend  297
•
•
•
•
•
•
•
wenn diese auf Resonanz stoßen. Wenn eine entsprechende Sensibilität
vorhanden ist, können marginale Ereignisse ganze Staatskrisen und
Unternehmenspleiten auslösen;
durch die totale Transparenz und Vernetzung brechen Margen weg,
die Unternehmen geraten unter Preisdruck, da die Kunden Preise vergleichen können. Internetportale wie www.getprice.de, www.geizkragen.de oder im Hotelbereich www.hrs.de ermöglichen den Kunden,
die Preise weltweit zu vergleichen und den günstigsten Anbieter zu
wählen. Hatten früher Sortimentsanbieter einige supergünstige Lockangebote und ein Standardsortiment, um den Ertrag zu sichern, werden heute nur noch die Lockangebote gekauft. Die anderen Artikel gibt
es woanders günstiger. Große Preiseinbrüche bescherten den Kunden
unter anderem auf dem Strommarkt, in der Telekommunikation und
im Einzelhandel Traumpreise. Porzellanfiguren zum Sammeln wurden
früher in Deutschland zu astronomischen Preisen angeboten. Mit dem
Internet hat jeder Endkunde die Möglichkeit, die Preise weltweit zu
vergleichen. Da liegen die Preise häufig um 70 Prozent und mehr unter
den deutschen Angeboten. Die Figuren gibt es dann jeweils mit Echtheitszertifikat im Originalkarton;
jede Seite im Internet ist mit jeder anderen über maximal 15 Links vernetzt, jeder Mensch somit mit (fast) jedem über mehrere Klicks (zum
Beispiel über Chatrooms, Foren, Portale, Blogs oder Ähnliches). Informationen aus allen Bereichen werden ausgetauscht;
der Kopierschutz von CDs, DVDs, Software und Pay-TV wird immer
mehr durchlöchert. Hat ein Hacker einen Code geknackt, wird dieser
sofort im Internet weltweit verbreitet. Der Schaden für den Rechteinhaber ist unermesslich. Die Unternehmen können die Verschlüsselungen
gar nicht so schnell ändern, wie Hacker weltweit die neuen Verschlüsselungen wieder entschlüsseln;
das Internet (oder zukünftig ganz andere Kommunikationswege, die
wir uns heute noch gar nicht vorstellen können) wird immer mehr unser
Leben bestimmen und zur Normalität werden. Das heutige Internet ist,
verglichen mit der Entwicklung des Automobils, auf der Entwicklungsstufe des T-Models von Ford;
wäre Facebook ein Staat, wäre dieser der viertgrößte der Welt;
das Handy wird Multifunktionsgerät. Wir stehen auch hier in der Vernetzung noch ganz am Anfang;
durch das Netz verschwimmen Grenzen zwischen Profis und Amateuren immer mehr, zum Beispiel Journalisten und Hobby-Schreiber in
Blogs, Foren und Wikipedia. Die Masse schlägt die Experten;
298  Praxishandbuch Produktentwicklung
• je größer der Grad der Vernetzung, desto größer ist auch die Komplexität und damit verbunden eine immer schnellere Geschwindigkeit
der Veränderung. Das erste, was Jugendliche morgens anschalten beziehungsweise das letzte, was sie abends ausschalten (sofern überhaupt),
ist das Handy. Ständig wird geschaut, ob eine SMS oder eine Sprachnachricht eingegangen ist.
Komplexität
Durch die zunehmende Vernetzungsdichte explodieren die Komplexität
und die Umfelddynamik. Und zwar so schnell, dass die Kunden nicht mitkommen. Viele Kunden fühlen sich der Dynamik und Komplexität nicht
gewachsen, ertrinken in der Alltagskomplexität, sind verunsichert und
suchen händeringend nach Stabilität. Sie fühlen sich wie der Zauberlehrling in Disneys »Fantasia« von den aufschaukelnden Ereignissen überrollt.
Kunden werden in Zukunft dafür zahlen – ja sie werden die Anbieter
dafür vergolden –, wenn es den Anbietern gelingt, ihre Komplexität zu
verringern. Es gibt für die Menschen nur zwei Chancen, um der zunehmenden Komplexität zu entkommen:
• das Komplexe künstlich einfach machen (Trivialisierung). Der Preis
ist das Einfachste, was der Kunde noch objektiv vergleichen kann, das
heißt, er kauft das Billigste;
• wann immer Menschen irritiert sind, suchen sie nach emotionaler
Orien­tierung und Stabilisierung. Somit sollten die Anbieter versuchen,
die Menschen in hoch instabilen Märkten emotional zu stabilisieren.
Gewinner werden Discounter sein (sie machen komplexe Dinge trivial)
und die starken Marken, die den Kunden emotional berühren.
Die bereits genannten Entwicklungen beschreiben nach unseren Schätzungen nur circa 25 Prozent der Veränderungen, die in den nächsten zehn
Jahren auf die Unternehmen zukommen. Einige Anbieter werden sich vom
Markt verabschieden, da sie sich nicht den neuen »Spielregeln« angepasst
haben. Die wenigsten Unternehmen werden mit den heutigen Methoden
überleben, jedoch kaum erfolgreich sein. Kein Unternehmen kann mehr
so weitermachen, wie es bis jetzt agiert hat. Wir leben inmitten einer wirtschaftlichen Revolution. Da der Wandel jedoch langsam begann und stetig
an Geschwindigkeit gewinnt, wird er häufig noch nicht wahrgenommen.
Und viele, die ihn wahrgenommen haben, hoffen, dass diese Revolution
an uns vorübergeht. Nun das Positive: Es gab noch nie so viele ErfolgsTrend  299
chancen für Unternehmer wie heute. Gerade wenn alle Spielregeln geändert werden, entstehen neue Märkte. Nutzen Sie die Möglichkeit, Ihre
eigenen Geschäfte neu zu definieren. Das einzige, was wir sicher wissen:
Es wird Kunden mit Bedürfnissen geben. Und für die Befriedigung dieser
Bedürfnisse sind sie bereit, eine Gegenleistung (Geld) zu geben. Wir werden bereits in fünf Jahren
•
•
•
•
•
•
•
anders einkaufen;
anders (und woanders) produzieren;
anders arbeiten;
anders verkaufen;
anders werben;
ganz andere Erwartungen an Produkte haben;
anders leben.
Die Industriegesellschaft ist vorbei. Früher bestand der Wert eines Unternehmens aus den Gebäuden und Maschinen. Diese Bereiche galten als
Investitionen, Mitarbeiter waren Kosten. Heute sind das größte Kapital
und der Wettbewerbsvorteil der Unternehmen die Mitarbeiter, deren
Wissen und Fähigkeiten. Produktionsmittel sind nicht mehr schwer und
aus Stahl, sondern wiegen je circa 1,3 Kilogramm und sind weich: die
Gehirne Ihrer Mitarbeiter. Henry Ford beklagte vor 80 Jahren: »Ich will
nur ein Paar Hände, aber jedes Mal bekomme ich auch einen Kopf dazu«.
Heute heißt es eher: »Wofür benötigen wir Hände?«. Wir leben in einer
Wissensgesellschaft. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ist es
möglich, ein Unternehmen nicht durch Kapital, sondern durch die Kontrolle von Wissen erfolgreich aufzubauen. Schaffen Sie Ihr eigenes Wirtschaftswunder, Ihre eigene Konjunktur. Lösen Sie sich von der allgemeinen Wirtschaftslage, stellen Sie eigene Regeln auf. Unternehmen erzielen
die größten Erfolge in Zeiten des Umbruchs, nie in Zeiten der Stagnation.
Die besten Gelegenheiten ergeben sich, wenn die Rahmenbedingungen im
Markt auf den Kopf gestellt werden. Machen Sie Ihre eigene Konjunktur.
Für Sie ist nicht die deutsche Wirtschaft beziehungsweise Branchenkonjunktur maßgeblich. Nur der Nutzen, den Sie Ihren Kunden bieten,
entscheidet. Rückblickend ist festzustellen, dass in einem Abschwung
immer einige Branchen geboomt haben, in einer Branchenkrise einige
Unternehmen gerade in dieser Branche enorm gewachsen und innerhalb
von Großunternehmen einige Sparten geradezu explodiert sind. Umsatz,
Marktanteil und Gewinn sind durch nutzwertige Lösungen gestiegen, und
zwar unabhängig von der Durchschnittsentwicklung. Krisen sind schwere
Zeiten, jedoch ist auch hier Wachstum möglich. Gute Produkte werden
300  Praxishandbuch Produktentwicklung
immer gebraucht. Gerade hier ist der Kontakt zu den Kunden unentbehrlich, denn sie haben in Krisen viele Must-have-Bedürfnisse. Diese gilt es
zu erfüllen.
Das Wissen über die Kunden und die Kundenkontakte wird das wertvollste Kapital für die Unternehmen. Kundenzufriedenheitsabfragen reichen nicht mehr aus. Haben Sie das Ohr am Markt und erkennen somit
eher Trends bei Ihren Kunden als Ihre Konkurrenten. So können Sie als
Erster neue Lösungen anbieten. Auch bahnbrechende Trends fangen klein
und fast nicht erkennbar an. Um diese zu erkennen, empfiehlt John Naisbitt, sich bei kleinen Trends eine Steigerung um den Faktor 10 vorzustellen. Und dann prüfen Sie bitte, was das für Ihr Geschäft bedeutet. Nun
gilt es für Sie in Ihrer Produktentwicklung, diese Entwicklung vor dem
Wirkungseintritt zu erkennen. Nur so können Sie vor Ihren Mitbewerbern
Maßnahmen in der Produktentwicklung ergreifen, um von diesen Entwicklungen zu profitieren.
Einen Trend zu erkennen ist meist noch einfach. Hieraus die für die
eigene Kernkompetenz wichtigen Trends herauszuselektieren und Produkte zu entwickeln, ist schon schwieriger.
Listen Sie für jeden Trend auf, welche Bedeutung dieser hat:
• für Ihr Unternehmen




Relevanz;
ab wann wirksam?;
welche Technologie wird benötigt?;
welche rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen bestehen (inkl. Handelsbeschränkungen et cetera)?;
 welche neuen Marktsegmente entstehen?;
 wie sind Sie und die Umwelt dafür gerüstet? Erstellen Sie eine Swot-Analyse
(Stärken/Schwächen- und Chancen/Risiken-Analyse).
• für Ihre Mitbewerber;
• für Ihre Kunden bezüglich Rahmenbedingungen, Tätigkeiten, Aufgaben, Problemen, Erfolgsfaktoren und Komplexität sowie die daraus
resultierenden Bedürfnisse;
• für Ihre Zwischenhändler;
• für Ihre Lieferanten.
Konzentrieren Sie sich insbesondere auf die Trends, die Ihnen Rückenwind
verschaffen. Erfüllen Sie hier die Bedürfnisse. Wer Trends aufnimmt, die
ihm voll ins Gesicht blasen, erreicht maximal Stillstand. Kombinieren Sie
Trends in Ihren Produkten. Zum Beispiel könnte eine Kombination aus
Gesundheit und Alter zu einem Sport-/Fitnessangebot für Ältere, also
Trend  301
einem Sportstudio ohne junge »Muskelprotze« werden. Oder kombinieren
Sie die Bereiche Internet und Weiterbildung zu Online-Learning. Prüfen
Sie bei jedem Trend, welche Auswirkungen er für Ihr Unternehmen und
Ihr Umfeld hat. Entscheidend ist, was sich für die Kunden verändert und
wie Sie als Lösungsanbieter darauf Ihre Produkte anpassen.
Erwarten Sie keinen globalen Aufschwung für alle. Ein Warten auf die
Hochkonjunktur, von der alle etwas abbekommen, ist äußerst unwahrscheinlich. Hingegen werden einzelne Unternehmen aufblühen und zu
ungeahnter Größe aufsteigen. Es werden diese Unternehmen sein, die es
verstehen, den Kunden wirklich einen entscheidenden Nutzen zu liefern.
Somit ist es Aufgabe der Produktentwicklung, über nutzwertorientierte
Produktentwicklung die eigene wirtschaftliche Zukunft zu sichern. Unternehmen wachsen immer dann sehr schnell, wenn die ungelösten Probleme
der Menschen riesig sind und sie auf die Lösung ihrer Probleme warten.
Schlechte Zeiten für Unternehmen gibt es immer dann, wenn die Kunden
keine oder wenige Probleme haben beziehungsweise die Probleme zu ihrer
Zufriedenheit gelöst sind.
Bis zu dieser Seite sind die Veränderungen in den Kundenerwartungen
beschrieben. Nun müssen Sie und Ihre Mitarbeiter direkt an Informationen über Ihre Kunden herankommen und aus den Gesprächsinhalten die
Produkte entwickeln, für die ihre Kunden auch bereit sind, Geld auszugeben. Hierfür benötigen Sie einen Werkzeugkoffer mit Tools. Genau dieser
Werkzeugkoffer ist ab Kapitel 1 des Buches für Sie geöffnet. Greifen Sie zu.
Mit dem Kauf dieses Buches haben Sie ihn bereits bezahlt.
Geistreiches und Zitiertes
»Der beste Fechter der Welt braucht sich vor dem zweitbesten nicht zu fürchten. Der, vor dem er sich hüten muss, ist vielmehr ein stümperhafter Gegner,
der noch nie zuvor einen Degen in der Hand gehalten hat, denn er tut nicht,
was er tun müsste, und so ist der Könner auf sein Verhalten unvorbereitet.
Er tut, was er nicht tun dürfte, und das trifft den Meister häufig unversehens
und erledigt ihn auf der Stelle.«
Mark Twain
»Globalisierung 3.0, das Zeitalter, in dem die Welt flach wird, ist nicht bloß
eine Intensivierung von Globalisierung 2.0, sondern etwas ganz anderes,
etwas Neues.«
Thomas L. Friedman in Die Welt ist flach
302  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Die Gesellschaft der Zukunft bringt dem Einzelnen mehr Wandlungsdruck,
weil Globalisierung und neue Technologien die Risiken und das Tempo
zwangsläufig erhöhen.«
Matthias Horx in Wie wir leben werden
»Warnung: Die Zukunft ist immer näher, als es scheint.«
Faith Popcorn und Lys Marigold in Evalution
»In nur 5 Jahren wird nichts – oder so gut wie nichts – von den wirtschaftlichen Spielregeln so sein, wie wir es aus den 50 Jahren heraus kennen. Wir
leben mitten in einer wirtschaftlichen Revolution.«
Edgar K. Geffroy
»Die besten Gelegenheiten ergeben sich dann, wenn man die Grundregeln
ändert.«
Edgar K. Geffroy
»Es ist keine Frage mehr, ob Sie sich verändern müssen. Die einzige Frage ist,
ob Sie schnell genug sein werden.«
Cay von Fournier
»Nicht die Stärksten überleben oder die Intelligentesten, sondern die am
meisten bereit zum Wandel sind.«
Charles Darwin
»Wer sich heute noch auf das kleine © beruft, hat bereits verloren. In der
Zeit, in der Sie gerade versuchen, Ihre Innovation zu schützen, wird jemand
anderes davon schwanger. Es ist Zeit, einen Gang höher zu schalten und
über Eigenschaften nachzudenken, die nicht kopierbar sind.«
Daniel Zanetti in Vom Know-how zum Do-how
»Machen Sie nicht jede Mode mit – erfolgreiche Strategien werden nicht auf
dem Fundament kurzlebiger Marktlaunen, sondern langfristigen Trends
gebaut.«
Al Ries und Jack Trout in Die 22 unumstößlichen Gebote im Marketing
»Zu Beginn des neuen Jahrtausends waren 51 der 100 weltweit größten
Wirtschaftsmächte keine Nationen mehr, sondern Unternehmen. Die 500
größten Unternehmen zeichneten sich für sage und schreibe 70 Prozent des
Welthandelsaufkommens verantwortlich.«
Jack Trout in Trout über Strategie
Trend  303
»Das Internet wie wir es kennen entspricht in etwa dem Ford T-Modell bei
den Autos. Vergleichen kann man das heutige Internet auch mit dem damaligen Druck der Gutenberg-Bibel und der nachfolgenden Entwicklung des
Drucks. Das Internet wird sich in den nächsten Jahrzehnten so dramatisch
weiterentwickeln, wie sich das Auto seit dem Ford T-Modell bis heute entwickelt hat.«
Michael Dell
»Der so [über das Internet] vorinformierte Kunde wird sicherlich die ›Art des
Verkaufens‹ wesentlich verändern. Der dumme, loyale, demütige, uninformierte Mitarbeiter, Kunde, Patient etc. ist gestorben.«
Karl Pilsl in Die 10 Haupttrends der aus den USA
kommenden Wirtschaftsrevolution
»Ungelöste Probleme sind Ihre Chance. Und diese Chancen gibt es viele.«
Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt?
»Die Wirtschaft erlebt immer dann einen Boom, wenn die ungelösten Probleme der Menschen riesig groß sind und viele Menschen auf die Lösung
ihrer Probleme warten.«
Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt?
»Wir leben in der chancenreichsten Zeit aller Zeiten, weil wir in einer Zeit
leben mit den meisten ungelösten Problemen, und diese warten auf den Problemlöser – auf Sie.«
Karl Pilsl in Was hat mein Chef davon, dass es mich gibt?
»Wir haben keine Wirtschaftskrise. Wirtschaftsleben ist nichts anderes als
ein gegenseitiges Problemelösen. Eine Wirtschaftskrise hätten wir, wenn alle
unsere Probleme gelöst wären. Dann hätten wir nichts mehr zu tun.«
Karl Pilsl in Die naturkonforme Strategie
»Sie müssen für andere Menschen ein Segen, ein Problemlöser und keine
Belastung sein. Dann sind Sie attraktiv.«
Karl Pilsl in So komme ich zu meinem Traumjob
»Ich glaube an das Pferd. Das Auto ist nur eine vorübergehende Erscheinung.«
Kaiser Wilhelm II. Anfang des 20. Jahrhunderts
304  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Ich glaube, es gibt einen Weltmarkt für fünf Computer.«
Thomas J. Watson im Jahr 1943
»Kein Mensch hat einen Grund, einen Computer zu Hause zu haben.«
Ken Olsen im Jahr 1977
»Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht
überschreiten, allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.«
Gottlieb Daimler im Jahr 1901
»Bohren für Öl? Sie meinen, in die Erde bohren und versuchen, Öl zu finden? Sie sind verrückt!«
Bohr-Arbeiter vor dem ersten Bohr-Öl-Projekt 1859
»Das Auto ist fertig entwickelt. Was kann da noch kommen?«
Carl Benz um 1920
»Alles, was erfunden werden kann, ist erfunden.«
Durell Patentamt USA 1899
»Wer zum Teufel will denn schon Schauspieler sprechen hören?«
Harry Warner im Jahr 1927 über den Tonfilm
Trend  305
Kapitel 15
Ihre Chancen
Nun stellt sich die Frage, welche Chancen die Unternehmen bei der
Änderung ihrer Vorgehensweise in der Produktentwicklung haben, völlig berechtigt. Wird tuwun® oder eine vergleichbare Methode nicht schon
längst von anderen Unternehmen praktiziert?
Mit einer kleinen Einschränkung: nein. Einige Großunternehmen beziehen ihre Kunden bereits aktiv in ihre Produktentwicklung mit ein. Der
andere Großteil noch nicht. Betrachten Sie Deutschland somit als Wunderland für neue Produkte. Heben Sie sich mit Ihrem Angebot ab, entwickeln Sie Produkte gemeinsam mit Ihren Interessenten. Sie sind dabei
nur der Koordinator und Umsetzer der Kundenwünsche, mehr nicht. Die
Anregungen kommen ausschließlich von Ihren Kunden. Das sichert in den
nächsten Jahren Ihren Vorsprung.
In circa zehn Jahren werden die Unternehmen, in denen die Mitarbeiter immer noch glauben, sie wären die besten Produktentwickler, keine
Bedeutung mehr am Markt haben. Oder die Unternehmen werden ganz
vom Markt verschwunden sein. Ich gehe davon aus, dass in zehn Jahren
nur noch die Unternehmen erfolgreich sind, die ein festes Netzwerk mit
dem Kunden aufgebaut haben – von der Angebotsidee über die Entwicklung bis zum Fulltimeservice. Seien Sie dabei!
306  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 16
Die Umsetzung im Betrieb
Das Wichtigste kommt jetzt: die Umsetzung von tuwun® in Ihrem Unternehmen. Denn das investierte Geld für dieses Buch und Ihre investierte
Zeit für das Lesen lohnen sich nur, wenn Sie tuwun® jetzt auch umsetzen.
Wissen ist nur wertvoll, wenn Sie es anwenden. Der Unterschied zwischen guten Unternehmen beziehungsweise guten Führungskräften und
exzellenten Unternehmen beziehungsweise Führungskräften ist die Konsequenz im Handeln, im Umsetzen der festgelegten Ausrichtung. Nehmen
Sie sich nicht zu viel auf einmal vor. Fangen Sie jedoch umgehend mit dem
ersten Schritt an. Beginnen Sie noch innerhalb der nächsten 72 Stunden
mit der Umsetzung. Studien belegen, dass Vorhaben nur eine Chance zur
Verwirklichung haben, wenn innerhalb der nachfolgenden drei Tage mit
der Umsetzung begonnen wird. Starten Sie mit dem ersten Schritt jetzt.
Entweder Sie setzen den Kunden mit seinen Bedürfnissen und Wünschen konsequent in den Mittelpunkt Ihrer Produktentwicklung oder gar
nicht. Etwas tuwun® bringt nur Frust und keinen Erfolg. Nur die komplette Umsetzung bewirkt den Schub in der Produktentwicklung, den Sie
sich wünschen.
Etwas muss investiert werden
Auch wenn der Erfolg schnell eintritt, müssen Sie Ihren Mitarbeitern
Zeit für die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Marktgesprächen zur Verfügung stellen. Die »Ernte« fahren Sie dann mit den
neuen Produkten ein. Und die ist größer als die vorab investierte Zeit für
die Marktgespräche.
Wie bei fast jeder Umstellung benötigen Sie auch bei der Einführung
von tuwun® mehr Ressourcen. Da die Einführung von tuwun® nicht mit
externen Kosten verbunden ist, ist der Start schon einmal einfacher. Ihre
Mitarbeiter benötigen nur die Zeit, um Gespräche vorzubereiten, zu fühDie Umsetzung im Betrieb  307
ren und auszuwerten. Stellen Sie diese Zeit zur Verfügung. Sonst haben
die Veränderungsgegner ein gewichtiges Argument gegen die Umstellung.
Nehmen Sie möglichen Verweigerern dieses Argument.
Werden Ihre Mitarbeiter begeistert sein?
Die größte Hürde zur Einführung von tuwun® sind nicht fehlende finanzielle Mittel oder mangelnde Zeit. Es ist die Bequemlichkeit der Menschen
und deren Angst vor Veränderungen. Diese Reaktion ist menschlich. Auch
wenn nachgewiesen ein neues Verfahren besser ist, werden die Menschen
weiter versuchen, mit dem alten Verfahren erfolgreich zu sein. Das menschliche Gehirn lehnt alle neuen und unbekannten Informationen ab, die sich
nicht bereits im Gehirn vorhandenen Informationen zuordnen lassen,
beziehungsweise wenn diese eindeutig den vorhandenen Informationen
widersprechen.
Sie können die Mehrzahl von Mitarbeitern mit nichts mehr verunsichern
und verärgern, als mit der Veränderung des gewohnten Tagesablaufs. Viele
nehmen noch eher einen Gehaltsverzicht in Kauf, als sich umzustellen und
Schritte ins Unbekannte zu wagen. Das ist ganz natürlich. Sofern keine
massive Bedrohung vorliegt (finanzieller Verlust, Bedrohung der Gesundheit et cetera) wird am Verhalten nichts geändert. Die Gewohnheit ist der
härteste Klebstoff: Viele nehmen lieber ein bekanntes Elend hin, als sich
auf eine unbekannte Freude einzulassen. Schließlich reißen Sie Ihre Mitarbeiter durch Veränderungen aus der gewohnten Tätigkeit heraus und
stellen die bisherige Vorgehensweise infrage. Klassische Reaktionen bei
Veränderungen ist die deutsche Betriebsamkeit:
•
•
•
•
»Das haben wir schon immer so gemacht«;
»Das haben wir noch nie so gemacht«;
»Der Kollege kommt gleich und macht das«;
»Wenn das so einfach wäre, hätte es jemand anders schon gemacht«.
Dynamische Systeme versuchen immer, das Gewohnte zu erhalten, so
lange es nur irgendwie geht. Egal aus welcher Richtung Sie und Ihre Mitarbeiter kommen, das Gehirn versucht die Stabilität und das Bestehende
zu erhalten. Über 80 Prozent der Menschen haben Angst vor Veränderungen. Der einzige Mensch, der Veränderungen mag, ist ein Baby in nassen
Windeln. Erwachsene möchten, dass alles beim Alten bleibt. Doch genau
das Gegenteil wird in den nächsten Jahren auf uns zukommen: immer
308  Praxishandbuch Produktentwicklung
schnellere Veränderungen. Nehmen Sie Ihren Mitarbeitern die Angst vor
dem Wandel. Die Anpassung an Veränderungen wird die entscheidende
Eigenschaft sein, für Sie, Ihre Mitarbeiter und Ihr Unternehmen. Viele
heute erfolgreiche Produkte hat es vor einigen Jahren noch nicht gegeben.
Viele heute erfolgreiche Produkte werden in einigen Jahren überholt sein.
Menschen sind leider immer erst zu Veränderungen bereit, wenn der
Panikpegel schon fast an die obere Grenze gestiegen ist. Dann ist es jedoch
vielfach zu spät und Sie stehen am Point of no Return. Zu diesem Zeitpunkt haben Sie schon fast keine Möglichkeiten mehr, erfolgreich etwas
zu drehen. Warten Sie nie bis zu diesem Punkt und bemühen Sie sich um
das Wohl Ihres Unternehmens. Denn Unternehmen, denen es gut geht,
haben zu diesem Zeitpunkt noch viel mehr Optionen und Handlungsspielraum für Maßnahmen.
Betriebsblindheit ist etwas ganz Natürliches. Es handelt sich hier um
eingeschränkte Wahrnehmung der betrieblichen Abläufe und Veränderungen im Markt durch Wissen und Erfahrungen aus der Vergangenheit.
Frei nach dem Motto: »Mit meinem Handel bin ich in der Vergangenheit
gut gefahren und das wird auch so bleiben«. Doch so werden gerade
heute Risiken und Chancen übersehen. Es werden die Informationen verstärkt wahrgenommen, die den eigenen Vorstellungen und Erfahrungen
entsprechen. Widersprüchliches wird meist unterdrückt oder herausgefiltert.
Wenn es in einem Betrieb zu gravierenden Veränderungen kommt, werden Sie jeweils sieben verschiedene Gruppen von Mitarbeitern haben. Die
Gruppen sind dabei unanhängig von der Betriebsgröße, der Betriebszugehörigkeit und dem Alter der Mitarbeiter. Überlegen Sie vorab (schriftlich),
wie Ihre jeweiligen Mitarbeiter auf Veränderungen reagieren könnten und
listen Sie ebenfalls vorab auf, wie Sie darauf reagieren. Die sieben Gruppen werden nachfolgend beschrieben, ebenso Ihre passenden Reaktionen
(in Anlehnung an Ausführungen von Klaus Kobjoll):
• die Emigranten: eine kleine Gruppe, die von sich aus das Unternehmen
verlassen wird. Diese Mitarbeiter gehen jeglicher Veränderung aus dem
Weg, sie haben Angst vor Neuerungen. Bitte seien Sie nicht ängstlich:
Sie werden keinen echten Leistungsträger verlieren. Diese zählen nicht
zu den Emigranten. Somit bereitet Ihnen diese Gruppe keine Probleme;
• die aufrechten Gegner: eine Gruppe, die häufig zu Unrecht kritisiert
wird. Stattdessen sollte man ihre Ehrlichkeit anerkennen. Sie sagen
ganz offen ihre Meinung und nennen häufig auch konstruktive Gründe.
Mit dieser Gruppe müssen Sie sich auseinandersetzen. Sind diese MitDie Umsetzung im Betrieb  309
•
•
•
•
arbeiter erst einmal überzeugt, dann stehen sie voll hinter der Veränderung und werden häufig zu Missionaren;
die Missionare: Die für Sie wichtige Gruppe ist wirklich von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt. Einige Ihrer Mitarbeiter sollten
zu dieser Gruppe zählen, um Ihre anderen Mitarbeiter von dem Sinn
der Veränderung und zur Umsetzung zu bekehren. Diese Gruppe sorgt
dafür, dass eine kritische Masse an Mitarbeitern von der Umstellung
überzeugt und mitgezogen wird. Diese von den Missionaren überzeugte
Gruppe sind die Gläubigen. Konzentrieren Sie sich bei der Implementierung insbesondere auf die Gruppe der Missionare. Das sind Ihre Schlüsselfiguren. Sichern Sie Ihren Missionaren auch Ihre volle Unterstützung
bei der Umsetzung zu. Ohne Missionare geht es nicht, Sie allein sind auf
verlorenem Posten, da Sie nicht alle Mitarbeiter überzeugen können;
die Gläubigen: Diese Mitarbeiter setzen sich voll und ganz für die Veränderung ein, glauben auch an das Positive der Neuerungen und an die
Notwendigkeit der Veränderung aufgrund der aktuellen und zukünftigen Rahmenbedingungen. Sie sehen die Sicherung ihres Arbeitsplatzes
ganz rational und lassen sich den Einsatz mit Prämien verstärken. Es ist
die Gruppe, die über den Erfolg der Umsetzung entscheidet. Sie müssen
jedoch von den Missionaren überzeugt werden;
die Lippenbekenner: Sie scharren als erstes mit den Hufen: »Chef, super
Idee. Hätte fast von mir kommen können. Wann fangen wir endlich mit
der Umsetzung an?«. Doch das war es dann auch schon. Sie tun so, als
würden sie in der ersten Reihe sofort alles umsetzen, es folgen jedoch
keine Taten. Hier gilt es, konsequent zu sein. Bei fehlender Umsetzung
empfehlen sich hier Einzelgespräche. Wenn auch diese zweite Chance
nichts bringt, hilft nur noch eine Trennung zum Wohle beider Seiten.
Zu unterscheiden ist jeweils: Setzt ein Mitarbeiter eine Neuerung trotz
mehrfacher Hinweise nicht um, da er nicht will? Dann gilt die oben
genannte Konsequenz. Setzt er nicht um, weil er es nicht kann, unsicher
ist oder ihm die Ressourcen fehlen, dann muss ihm schnellstmöglich
Unterstützung gegeben werden;
die Gleichgültigen: Das ist zahlenmäßig die größte Gruppe. Sie wartet
erst einmal ab, was wirklich umgesetzt wird. Das ist Ihre Chance beziehungsweise Ihr Risiko: Gelingt es Ihnen, diese Gruppe mit den Missionaren zu bekehren, so haben Sie gewonnen. Hat jedoch die nächste
Gruppe, die Widerstandskämpfer, einen größeren Einfluss auf diese
Mitarbeiter, so stehen Sie mit Ihrer Neuerung auf verlorenem Posten.
Sie müssen die kritische Masse überschreiten und ausreichend Mitarbeiter zu Gläubigen »bekehren«;
310  Praxishandbuch Produktentwicklung
• die Widerstandskämpfer: Diese Guerilleros schießen hinter Ihrem
Rücken gegen alles, was Sie durchzusetzen versuchen. Nach außen
hin sind sie freundlich, doch wenn Sie aus der Tür sind, wird scharf
gegen Sie und Ihre Idee geschossen. Sie versuchen Mitarbeiter aktiv zu
beeinflussen, entweder aus Geltungsdrang, weil die von ihrer Blockade
überzeugt sind oder aufgrund eines Charakterdefekts. Wenn es dieser
Gruppe gelingt, die Gleichgültigen und die Gläubigen zu überzeugen,
dann haben Sie verloren, da jetzt die Mehrheit Ihrer Mitarbeiter gegen
die Veränderung ist. Wenn Sie zum Beispiel zwei dieser Mitarbeiter
haben, müssen Sie nur einen identifizieren. Hier hilft nur die Trennung.
Und der zweite? Er wird sich herausreden: »War nicht so gemeint,
Chef«.
Praktisch ist, wenn Sie in Ihrem Unternehmen expandieren und neue Mitarbeiter einstellen. Diese neuen Mitarbeiter sind generell offen, da sie sich
von Grund auf neue Arbeitsabläufe aneignen müssen. Eine Einarbeitung
sollte dann durch die Missionare erfolgen, damit es wirklich zu einem
Neuanfang kommt. Schicken Sie diese neuen Mitarbeiter im ersten Monat
doch ausschließlich zum Kunden. Nach Möglichkeit sollen sie dort leben
und so viele Eindrücke wie möglich sammeln, um ihre Beobachtungen
anschließend im Betrieb zu »verkünden« und diese Informationen in Produkte umzusetzen.
Die Einbeziehung Ihrer Mitarbeiter
Nun gibt es – theoretisch – mehrere Möglichkeiten, mit den Mitarbeitern
Veränderungen durchzuführen. Eine Möglichkeit ist, mit Angst und
Druck zu »motivieren«. Dies ist in Zeiten schwieriger Wirtschaftslagen
leider ein häufig gewählter Weg: »Alles wird schlechter. Der Umsatz geht
zurück. Wenn wir das nicht machen, wird die Firma geschlossen.« Auch
wenn der Druck von außen noch so groß wird, mit Angst können Mitarbeiter nie motiviert werden – schon gar nicht langfristig. Angst wirkt
nur so lange, wie Sie die Umsetzung überwachen und Bedrohung steigern.
Wenn der Chef die Mitarbeiter mit immer neuen Katastrophenszenarien
motivieren will, stumpfen diese ab. Bei gleich bleibendem Druck wird die
Reaktion der Mitarbeiter abnehmen, da diese sich an den Druck gewöhnen. So bewegen Sie nichts. Die Mitarbeiter denken sich dann nur noch:
»Mal sehen, womit der Chef uns heute Angst machen will«. Wenn zu viel
Die Umsetzung im Betrieb  311
Angst erzeugt wird, schalten die Mitarbeiter auf Panik um. Dann hört
jede Kreativität auf. Alles geht zurück auf die letzten stabilen Muster. Ihre
Mitarbeiter müssen tuwun® von sich aus aktiv umsetzen. Der Erfolg der
Umsetzung ist immer dann sichtbar, wenn kein Vorgesetzter zugegen ist
und die Mitarbeiter ihr Handeln weitgehend selbst bestimmen.
Die andere und weitaus bessere Variante zur Motivation der Mitarbeiter ist Faszination. Wecken Sie Neugier. Motivieren Sie mit dem Ziel und
der Vision, nicht mit dem Horrorszenario. Dazu muss der Chef wissen,
was die jeweiligen Mitarbeiter zur Veränderung reizt. Und welche Vorteile
sie (nicht Sie) von der Neuausrichtung der Produktentwicklung haben,
denn wie bereits erwähnt, interessieren sich die Mitarbeiter mehr für ihre
eigenen Vorteile als für die des Unternehmens. Ebenfalls sollte der Megatrend »Sinnstiftung« aufgegriffen werden. Die Mitarbeiter setzen nur
etwas um, wenn sie den Sinn verstehen. Zu Beginn der Veränderung brauchen Sie eine gute Antwort auf die Frage der Mitarbeiter: »Warum und
wozu?«. Verdeutlichen Sie Ihren Mitarbeitern, aus welchen Gründen die
Einführung von tuwun® notwendig ist. Erläutern Sie die aktuelle Situation
der Branche, die zukünftige Entwicklung und was die Einführung von
tuwun® für Vorteile bringt. Verdeutlichen Sie, welche Erwartungen sie in
der Umsetzung haben – und zwar ganz konkret. Sofern Ihren Mitarbeitern
diese Informationen fehlen, wird es unweigerlich zur Ablehnung kommen.
Denn Mitarbeiter, die keine Informationen haben, können nicht die Verantwortung übernehmen und umsetzen. Mitarbeiter, die diese Kenntnisse
haben, können nicht umhin, die Verantwortung und die Umsetzung zu
übernehmen.
Mitarbeiter erwarten es und haben ein Recht darauf zu erfahren, aus
welchen Gründen eine Veränderung durchgeführt werden soll, also auch
bei der Umsetzung von tuwun®.
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen grundlegende Veränderungen vornehmen, ist die Kommunikation in diesen Zeiten äußerst wichtig. Informieren Sie Ihre Mitarbeiter laufend über den aktuellen Stand der Umsetzung.
Berichten Sie in Meetings über die neue Methode und präsentieren Sie
erste Ergebnisse. Nutzen Sie – sofern vorhanden – Ihre Firmenzeitschrift.
Gehen Sie in die Offensive, bevor über den »Bürofunk« die Gerüchteküche brodelt. Ihre Mitarbeiter sind bei grundlegenden Veränderungen aus
ihrer gewohnten Stabilität gerissen. Und gerade dann reagieren sie sehr
sensibel auf jegliche wahre und unwahre Information, insbesondere auf
die Äußerungen des Vorgesetzten. Durch regelmäßige Feedbackgespräche
über den Fortschritt von Veränderungen verdeutlichen Sie als Vorgesetzter
außerdem die Bedeutung dieser Neuerung. Es gibt fast keinen größeren
312  Praxishandbuch Produktentwicklung
Verstärker zum Rückfall in alte Muster, als eine Veränderung bekannt zu
geben, anschließend die Umsetzung jedoch sich selbst zu überlassen. Der
Widerstand gegen neue Ideen ist häufig auf einen Mangel an Informationen zurückzuführen.
Sie können nicht das Verhalten Ihrer Mitarbeiter ändern, indem Sie
nur an sie appellieren, sie sollen ihr Verhalten ändern. Eine Verhaltensänderung ist nie der Startpunkt, sondern immer nur der mittlere Schritt
zwischen Motiv und Ziel. Sie müssen am Motiv und am Ziel der Mitarbeiter ansetzen, nicht Druck auf das Verhalten ausüben. Reden Sie mit
Ihren Mitarbeitern mehr über ihre Motive und ihre Ziele. Genauso wie
Ihre Kunden nur die Produkte kaufen, die Ihnen wirklich nutzen, so muss
Ihren Mitarbeitern auch der Nutzen von tuwun® verdeutlicht werden.
Menschen tun etwas, um Schmerz zu vermeiden und Freude zu erreichen.
Motivieren Sie mehr mit Freude als mit Schmerzvermeidung. Sie müssen
Ihre Mitarbeiter so von der Notwendigkeit und dem Vorteil der kundenorientierten Produktentwicklung überzeugen, dass sie es selbst umgehend
umsetzen wollen.
Vermeiden Sie bitte jegliche Form der Vorwürfe an Ihre Mitarbeiter.
Wenn die Produktentwicklung bis jetzt gehakt hat, dann lässt sich dieses
nicht ändern. Richten Sie alle Gespräche auf die Zukunft: die Notwendigkeit erfolgreicher, auf die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtete Produktentwicklung und auf die notwendigen Maßnahmen, um dieses Ziel zu
erreichen. Fokussieren Sie auf die Möglichkeiten und Chancen.
Selbst ist der Chef
Das von Tom Peters beschriebene »Management by walking around« zum
direkten Kontakt zu den Mitarbeitern kann auch bezüglich der Kundenkontakte verwendet werden. Das öffnet so mancher Führungskraft die
Augen. Sich täglich etwas Zeit zu nehmen und Kontakt zu den Mitarbeitern zu haben, bringt mehr Verständnis für deren Belange und mehr
Einblicke, wo es wirklich etwas zu verbessern gibt, als jeder noch so lange
Monatsbericht. Entsprechendes gilt bei den Kontakten zu Ihren Kunden.
Die Umsetzung von tuwun® ist Chefsache. Wenn Sie nicht voll hinter
dem Veränderungsprozess stehen, werden es Ihre Mitarbeiter Ihnen danken: Dann bleibt nämlich alles beim Alten. In der Phase der Veränderung
sind Ihre Mitarbeiter hochsensibel. Das Toppmanagement muss Vorbild
sein. Das ist insbesondere bei der Einführung neuer Verfahren VorausDie Umsetzung im Betrieb  313
setzung. Wenn »der Alte« sich zu fein für etwas fühlt, wie sollen dann
die Mitarbeiter davon zu begeistern sein? Den Olymp zu verlassen und
Basistätigkeiten zu übernehmen, ist sicherlich nicht so angenehm wie das
Philosophieren über die Unternehmensvision und den Zehnjahresplan.
Gerade die neuen Mitarbeiter beobachten den Chef und die »alten«
Mitarbeiter in deren Verhalten und passen sich schnell an. Die Menschen
tun das, was sie sehen, nicht, was sie gesagt bekommen. Eine Rede des
Chefs über die Wichtigkeit von Marktgesprächen reicht nicht, wenn er
anschließend wieder hinter seinen Schreibtisch flüchtet. Er muss ein Vorbild sein. Warum sollten die Mitarbeiter etwas umsetzen, wenn der Chef
alles beim Alten lässt? Alle Schulungen verpuffen, wenn tuwun® nicht von
allen Hierarchieebenen gelebt wird. Für die Mitarbeiter zählt nicht, was
Sie als Vorgesetzter sagen, sondern nur das, was Sie vorleben (zum Beispiel
wie viel Zeit Sie selbst mit den Kunden verbringen). Daran wird gemessen,
wie wichtig Ihnen der Kundenkontakt zur Produktentwicklung ist. Der
Chef muss bereit sein, die Veränderungsbereitschaft vorzuleben, und mindestens 30 Tage pro Jahr bei den Kunden vor Ort sein, nicht die Kunden
in ein Seminarhotel oder in einen Besprechungsraum einladen. Rufen Sie
zusätzlich pro Woche mindestens drei Personen aus Ihrem Marktsegment
an. Und zwar ohne Verkaufsabsichten, sondern nur um zu erfahren, was
diese Personen bedrückt. Das können Sie zum Beispiel in eine Kaffeepause
nach dem Mittagessen einschieben. Wenn Sie das mit fünf Führungskräften umsetzen, dann kommen Sie auf 60 Kundenkontakte im Monat.
Abzüglich Urlaub, Feiertage und Krankheitstage sind das 600 pro Jahr.
Und das fast ohne Aufwand. Neben der Vorbildfunktion haben Sie so
Informationen aus erster Hand. Denn wie wollen Sie sonst die Produktkonzepte Ihrer Mitarbeiter beurteilen, wenn Sie nicht die potenziellen
Kunden und deren Bedürfnisse einschätzen können? Das geht nur über
den direkten Kontakt.
Gehen Sie auch einmal im Monat in Ihre Versandabteilung. Dort erfahren Sie ungefiltert, wie die Waren zum Kunden herausgehen, wie die Kunden die Waren zurücksenden und welche Gründe sie für die Rücksendung
angeben. Dann glauben Sie den Kunden viel eher und sind weniger geneigt,
die Reklamationen als das übliche Gejammer abzutun. Nur so erhalten
Sie die Informationen aus erster Hand und nicht durch Statistiken und
Berichte verzerrt und weichgespült. »Management by walking around«
statt »Verschanzen am Schreibtisch« lautet die Devise.
314  Praxishandbuch Produktentwicklung
tuwun® in den Alltag einbeziehen
Beginnen Sie jedes Meeting – egal um welches Thema es geht – mit Ihren
Produktentwicklern mit neuen Erkenntnissen über Ihre Kunden. Was
haben Ihre Mitarbeiter in der letzten Woche Neues über die Kunden
erfahren? Welche Schlussfolgerungen ziehen sie daraus für ihre Produktentwicklung? Reden Sie zuerst über Kundenwünsche, dann erst über das
eigentliche Meetingthema. So werden die Prioritäten für Ihre Mitarbeiter
sichtbar. Produktentwicklung und Kundeninformationen sind so ein fester
Bestandteil einer jeden Tagesordnung.
Setzen Sie sich mindestens einmal pro Monat mit jedem Ihrer Mitarbeiter zusammen und sprechen Sie über neue Informationen von den Kunden
und Zwischenhändlern. Lassen Sie sich mindestens einmal pro Monat
von Ihren Mitarbeitern aus dem Kundenservice und dem Verkauf über
die Kundenäußerungen (Wünsche, Beschwerden, Reaktionen) berichten.
Die 10 Schritte zur Umsetzung von tuwun®
(vom »Ist« zum »Soll«)
Nutzen Sie hierfür einen Zeitplan mit exakt festgelegten Meilensteinen:
1.die Ist-Situation beschreiben;
2.die Soll-Situation, also das Ziel beschreiben (so, als wäre es bereits
erreicht: in der Gegenwartsform);
3.die Maßnahmen beschreiben, wie diese Soll-Situation zu erreichen
ist. Wenn das Ziel X Neuprodukte sind, dann können die im Buch
beschriebenen Stufen des Gesamtablaufs herangezogen werden;
4.die Mittel beschreiben, mit denen das Ziel erreicht werden kann;
5.Verantwortlichkeiten benennen: Wer setzt um? Wer unterstützt?;
6.einen Zeitplan erstellen, bis wann der Soll-Zustand zu erreichen ist;
7. Voraussetzungen schaffen, damit der Soll-Zustand erreicht werden
kann (Zeit, Geld et cetera). Schaffen Sie Ihren Mitarbeitern einen
Zeitkorridor zur Umsetzung von tuwun®. Für die Gespräche muss
in der Hektik des Tagesgeschäfts die Möglichkeit der Durchführung
bestehen;
8.umsetzen, bei Bedarf mit laufender Unterstützung;
9. kontrollieren, in welchem Umfang die Ziele erreicht wurden;
10.gegebenenfalls die Ziele modifizieren oder weitere Ziele setzen.
Die Umsetzung im Betrieb  315
Die größte Hürde bereitet häufig die Beschreibung des in der Zukunft
liegenden Soll-Zustands. Definitionen wie: »Wir wollen mehr erfolgreiche
Produkte« sind eher vage Absichten und haben nur geringe Aussicht
auf Erfolg, da sie nicht eindeutig formuliert sind. Ohne konkreten SollZustand arbeiten jedoch alle in unterschiedliche Richtungen, es fehlt der
anziehende Magnet und es kann nicht gemessen werden, was bis wann
erreicht wurde. Ohne Ziel ist kein Weg der Richtige. Bei großen Zielen
mit langer Zeitspanne sind kleinere Zwischenziele zu stecken. Kleine,
stetige Veränderungen führen eher zum Ziel (zu großen Wirkungen) als
eine große, deren Endzustand man sich nicht vorstellen kann. Teilen Sie
die Umstellung auf tuwun® in mehrere kleine Schritte ein. Dann löst diese
Umstellung bei Ihren Mitarbeitern weniger Angst und Ablehnung aus.
Das Erreichen jedes Zwischenschritts kann gefeiert werden.
Die Beschreibung des Soll-Zustands sollte folgende Eigenschaften
haben, um so die Wahrscheinlichkeit der späteren Umsetzung zu erhöhen:
• positiv/konstruktiv formuliert: Negationen erzeugen im Unterbewusstsein Bilder des genauen Gegenteils dessen, was wir wollen. Positive
Formulierungen motivieren weitaus mehr;
• in der Gegenwart formuliert: nicht »Wir werden …« oder »Wir wollen
…«, sondern »Wir haben …«. Das Ziel ist so zu formulieren, als wenn
Sie es bereits erreicht hätten;
• persönlich: beginnend mit »ich« oder »wir«. Diese Form verpflichtet
mehr als »man«;
• messbar: Nur so kann die Zielerreichung festgestellt werden. Und zwar
nicht nur qualifizierbar (was erreicht werden soll), sondern auch quantifizierbar (wie viel erreicht werden soll). Sagen Sie nicht: »mehr Produkte« oder »groß« beziehungsweise »viele«. Das erzeugt Frust, da das
Ziel nie erreicht wird, denn es geht immer noch »mehr«. »X Neuprodukte mit Y Ertrag« ist da schon eher ein Ziel. Das Ziel muss so eindeutig formuliert sein, dass der Grad der Zielerreichung sowohl qualitativ
als auch quantitativ von einem unbeteiligten Dritten festgestellt werden
kann und kein Spielraum für Interpretationen bleibt. Nur was gemessen
wird, wird auch getan. Messen Sie die Einhaltung notwendiger Schritte
zur Erreichung eines Ziels. Das ist für die Zielerreichung absolut notwendig;
• aktuell: Es muss einen Bezug zur aktuellen Situation geben;
• terminiert: Bis wann soll was erreicht werden? Nur dann wissen alle,
ob das Ziel auch erreicht wurde. »So schnell wie möglich« beziehungsweise »im nächsten Jahr« ist zu vage. Setzen Sie einen festen und allen
316  Praxishandbuch Produktentwicklung
Beteiligten bekannten Termin, bis wann das Ziel oder das Teilziel
erreicht werden soll. Gibt es keinen fixen Termin, so wird die Umsetzung ins Unendliche verlegt, da der Druck weg ist. Wenn die Zeitspanne zu lang ist, passiert erfahrungsgemäß auch erst einmal nichts.
Es sind Zwischenziele zu setzen, damit bei stetiger Tätigkeit die Umsetzung gelingt. Haben Sie die Umsetzung von tuwun® auf 12 Monate
angesetzt, so teilen Sie dieses Ziel in Etappen von Quartalszielen, diese
in Monatsziele;
• erreichbar/realistisch: Ziele sollten so hoch sein, dass Sie selbst und Ihre
Mitarbeiter die Erreichung für nahezu unmöglich halten, sie jedoch
unter maximalen Anstrengungen erreichbar sind. Die Ziele dürfen
nicht ohne Anstrengung in sechs Monaten erreicht werden. Das demotiviert mehr als dass es motiviert. Die Ziele sollen das enthalten, was die
Mitarbeiter nie für erreichbar hielten. Gehen Sie lieber das Risiko ein,
ein zu hohes Ziel nicht ganz, als ein Miniziel ohne Anstrengung innerhalb von sechs Monaten zu erreichen. Das Ziel sollte jedoch auch nicht
so hoch sein, dass die Aussicht, es in den nächsten Jahren zu erreichen,
gleich Null ist. Utopische, auch bei idealem Ablauf nicht zu erreichende
Ziele frustrieren ebenfalls mehr, als dass sie motivieren. Zu hohe Ziele
erzeugen Furcht, zu geringe erzeugen Langeweile. Für mittelmäßige
Ziele wird sich mittelmäßig angestrengt. Unverschämt hohe Ziele führen zu einem Adrenalinstoß und zu höchster Motivation und machen
die Zielerreichung wahrscheinlicher. Gute Ziele sind der Spagat zwischen Größenwahn und Mittelmaß;
• angemessen: Der Nutzen bei der Zielerreichung muss höher als der Einsatz sein;
• akzeptiert: Es sind eher Zielvereinbarungen mit den Mitarbeitern zu
erstellen, die sie akzeptieren können, als Ziele aufzuoktruieren. Die Mitarbeiter müssen die Bedeutung des Ziels verstehen und die Notwendigkeit der Erreichung einsehen. Die Führungskräfte und die Mitarbeiter
müssen akzeptieren, dass die Ideenquelle für die Produktentwicklung
die Kunden sind. Wird diese Einsicht zu Beginn nicht erreicht, wird
die Methode später infrage gestellt. Insbesondere dann, wenn die Aussagen der Gesprächspartner nicht mit den festgefahrenen eigenen Überlegungen übereinstimmen. Nichts ist jedoch schlimmer, als eine nachträgliche Diskussion über die Form und Aussagekraft der Gespräche.
Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern den Soll-Zustand.
Dann identifizieren sich Ihre Mitarbeiter damit und das Ziel wirkt für
alle wie ein Magnet. Wenn das Ziel nicht akzeptiert wird, dann werden
Ausreden gesucht und gefunden, warum es unerreichbar ist;
Die Umsetzung im Betrieb  317
• mit Konsequenzen: Sowohl für das Unternehmen als auch für jeden
Einzelnen muss die Zielerreichung beziehungsweise Nichterreichung
Folgen haben. Die Folgen für das Unternehmen, wenn das Ziel nicht
erreicht wird, müssen auch den Mitarbeitern deutlich sein. Sonst werden Ziele nicht ernst genommen;
• verständlich formuliert: Der Soll-Zustand muss so genau beschrieben
werden, dass jeder ihn versteht. Missverständnisse behindern die Zielerreichung und erzeugen nur Frust. Bitten Sie die Mitarbeiter, das Ziel
mit eigenen Worten wiederzugeben;
• schriftlich formuliert: Das bringt Klarheit der Gedanken. Fast 90 Prozent aller guten Neujahrsvorsätze scheitern. Der Hauptgrund dafür ist,
dass die verbindliche Schriftform fehlt. Worte sind Schall und Rauch.
Mit der Schriftfassung erhöhen Sie die Chance der Umsetzung um ein
Vielfaches;
• begründbar und nachvollziehbar: Aus welchen Gründen soll das Ziel
erreicht werden? Es ist die Verknüpfung mit dem Sinn (zum Beispiel
Unternehmensstrategie, Unternehmenswerte). Ziele und deren Erreichung sind kein Selbstzweck;
• widerspruchsfrei: Eine neue Tätigkeit in Asien und gleichzeitig mehr
Zeit mit der Familie in Deutschland verbringen, geht nicht. Das Ziel
und auch die Zwischenziele müssen zueinander passen. Alle Ziele müssen in eine Richtung ausgerichtet und fokussiert sein.
Der Erfolg beinhaltet immer zwei Aspekte:
• Ziel: mit der verbundenen Zieldefinition, Planung, Durchführung und
Kontrolle;
• Methode: Kenntnis + Fähigkeit + Möglichkeit zur Umsetzung.
Somit ist es neben den Zielen ebenso wichtig, dass Ihre Mitarbeiter die
entsprechenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Ressourcen zur Umsetzung
von tuwun® haben. Für die Kenntnisse und Fähigkeiten bieten sich interne
und externe Schulungen mit Workshop-Charakter an. Die Möglichkeiten
zur Umsetzung beinhalten zum Beispiel die technische Ausstattung sowie
das notwendige Zeitbudget. Sind diese Rahmenbedingungen nicht gegeben, werden Ihre Mitarbeiter begründete Einwände gegen die Einführung
von tuwun® haben.
318  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kleine Schritte zwischendurch sichern
Wenn Sie mehrere Bereiche in Ihrem Unternehmen haben, dann starten
Sie mit dem, in dem Sie den größten Zuspruch bei der Einführung von
tuwun® erwarten. Wenn Sie tuwun® in Ihrem Unternehmen einführen
wollen, suchen Sie sich zuerst die Mitarbeiter, die grundsätzlich offen für
Neues sind. Sie brauchen Anfangserfolge.
Auch wenn tuwun® so schnell wie möglich komplett umgesetzt werden
soll, so teilen Sie die Umsetzung in kleine Schritte. Die Mitarbeiter können
so die Veränderung nachverfolgen und haben häufiger einen Grund zur
Freude, wenn ein Zwischenziel erreicht ist.
Gestalten Sie die Veränderungen so, dass die Geschwindigkeit der
Umsetzungsebene auf jeden Fall schneller ist als auf der Beschlussebene.
Werden zu viele Neuerungen auf einmal beschlossen und in der nachfolgenden Zeit weitere in so kurzen Abständen verkündet, dass die Mitarbeiter mit der Umsetzung nicht nachkommen, passiert nichts. Die Mitarbeiter stellen sich darauf ein, dass die aktuelle Veränderung in kurzer
Zeit durch eine neue Anweisung überholt beziehungsweise zurückgestellt
wird. Verkünden Sie aus diesem Grund lieber wenige Veränderungen und
bestehen Sie auf deren Umsetzung. Erst danach verkünden Sie weitere
Maßnahmen.
Die folgenden vier Phasen beim Erlernen von Fähigkeiten werden Sie
und Ihre Mitarbeiter durchlaufen (zum Beispiel die Fähigkeit der kundenorientierten Produktentwicklung):
Abbildung 32: Vier Phasen beim Erlernen von Fähigkeiten
unbewusst
wissend
bewusst
wissend
bewusst
unwissend
unbewusst
unwissend
Zeitverlauf
Die Umsetzung im Betrieb  319
Die Belohnung
Auch ein Prämienmodell kann die Einführung von tuwun® fördern. Prämieren Sie jedoch bitte nicht die Arbeit oder die Leistung, sondern ausschließlich die Wirkung, denn nur die bringt Ihnen den Unternehmenserfolg. Bei
einem Mitarbeiter, der in der Woche mehr als zehn Überstunden macht
oder X Marktgespräche führt, muss nicht zwangsläufig etwas herauskommen. Die nächste Stufe ist Leitung: zum Beispiel X Neuproduktkonzepte im Zeitrahmen Y. Das ist schon eine Stufe besser. Aber auch eine
große Anzahl von Produkten nutzt nichts, wenn diese nicht erfolgreich verkauft werden. Bevorzugen Sie die Wirkung des Mitarbeiters: den mit den
entwickelten Produkten erzielten wirtschaftliche Erfolg. Ein Konzept mit
nur einem Neuprodukt pro Mitarbeiter ist, wenn das bei den Kunden einschlägt, viel wertvoller als viele Mini-Erfolge. Verdeutlichen Sie dieses Ihren
Mitarbeitern. Honoriert wird die Wirkung. Und die ist sichtbar und kann
gemessen werden. Insbesondere sollten Sie die bestehenden Vergütungssysteme beachten. Kein Mitarbeiter wird etwas Neues umsetzen, wenn er
dadurch zum Beispiel die Nichterreichung eines Ziels in einem bestehenden
Prämiensystem riskiert. Die Mitarbeiter müssen vorab erfahren, wonach
sie beurteilt und anhand welcher Kriterien die Prämien ausgezahlt werden.
Lob und Ermunterung vom Vorgesetzten sind selbstverständlich. Heben
Sie auch hier weniger die Tätigkeiten hervor, sondern mehr die dadurch
erzielte Wirkung.
Und wenn sich einige Mitarbeiter
nicht überzeugen lassen?
Wenn Sie überzeugt sind von der Idee, tuwun® in Ihrem Unternehmen
einzuführen, dann seien Sie konsequent. Planen Sie gemeinsam mit Ihren
Mitarbeitern per Detailplan die Einführung. Was ist bis wann von wem
umzusetzen? Und machen Sie auch gleich deutlich, welche Konsequenzen
es hat, wenn ein Mitarbeiter sich bewusst nicht an die Umsetzung hält.
Konsequenz ist nicht mit Härte zu verwechseln. Sie bedeutet lediglich,
dass die allen Beteiligten bekannten Spielregeln mit den ebenfalls bekannten Folgen eingehalten werden. So kann sich ein Mitarbeiter nie beschweren, er habe es nicht gewusst, welche Folgen eine Missachtung von Vereinbarungen hat. Bei einer Studie mit Führungskräften wurden diese jeweils
ein Jahr nach der Übernahme einer Position gefragt, was sie rückblickend
320  Praxishandbuch Produktentwicklung
anders gemacht hätten. An Position eins mit deutlichem Abstand wurde
genannt: konsequenter durchgreifen.
Der Berater als Lösung?
Neue Produktideen kann Ihnen kein Berater liefern. Der kennt Ihren
Markt nicht. Das Wissen für neue Produkte steckt teilweise in Ihren Mitarbeitern, in Ihrem eigenen System, hauptsächlich jedoch in den Wünschen und Bedürfnissen Ihrer Kunden. Die darauf bauenden Lösungen zu
neuen Produkten müssen Sie und Ihre Mitarbeiter anschließend ableiten.
Externe Berater können Sie nur in der Systematik der Vorgehensweise
unterstützen.
Nach jeder Weiterbildungsveranstaltung – egal, ob extern oder intern –
sind konkrete Aktionspläne aufzustellen. Was wird von wem wie bis wann
umgesetzt? Sonst verlaufen die neuen Erkenntnisse im Sande.
Am besten, Sie schulen die ganze Abteilung. Dann profitieren Ihre Mitarbeiter gemeinsam: Alle sind auf dem gleichen Stand, alle sprechen die gleiche Sprache. So ist ein gegenseitiger Erfahrungsaustausch bei der Umsetzung
gegeben. Die Chance der Umsetzung steigt hierbei um ein Vielfaches. Wenn
Sie die Umsetzung eines neuen Verfahrens – egal welches – zur Chefsache
erklärt haben, dann sollten Sie zumindest bei einigen Weiterbildungsveranstaltungen – egal ob intern oder extern – dabei sein. So verdeutlichen Sie die
Bedeutung der Veränderung. Sie wissen dann, welche neuen Erkenntnisse
Ihre Mitarbeiter erlangt haben. Überlegen Sie die Auswirkungen externer
Schulungen einiger ausgewählter Mitarbeiter. Sind es die Meinungsführer,
die andere begeistern können? Oder sind die Daheimgebliebenen voller
Neid und boykottieren deshalb? Die Weiterbildung einiger Mitarbeiter
kann somit auch die soziale Beziehung am Arbeitsplatz stören.
Bleiben Sie am Ball
Selbst wenn die Mitarbeiter erlebt haben, dass eine neue Vorgehensweise
bessere Ergebnisse bringt, fallen sie häufig in das alte Muster zurück. Das
gilt für den Sport wie für den Wirtschaftssektor. Das Gehirn scheint Belohnungssysteme für Stabilität auszuschütten. Das menschliche Gehirn arbeitet am liebsten im Energiesparmodus. Alles, was neu ist, muss mindestens
Die Umsetzung im Betrieb  321
20-mal besprochen werden, sonst hat das Gehirn keine Chance, das Neue
umzusetzen. Also verzweifeln Sie bitte nicht, wenn das erste Meeting zur
Umsetzung nicht ausreicht. Wenn Sie in Ihrem Betrieb mit der Umsetzung
beginnen, dann bleiben Sie bitte am Ball. Mitarbeiter gehen häufig davon
aus, dass die angekündigten Veränderungen im Sande verlaufen. Wird nicht
nachgehakt, bleibt alles Alte bestehen. Sichern Sie daher jedes erreichte
Zwischenziel ab, indem Sie sicherstellen, dass die Umsetzung der gerade
erreichten Stufe zur Gewohnheit wird. Erst dann geht es zur nächsten Stufe.
Sonst laufen Sie Gefahr, dass Sie und Ihre Mitarbeiter mitten im Prozess
wieder auf den Ursprungszustand zurück fallen.
Die größte Herausforderung bei Veränderungen ist, den Rückfall in die
alten Verhaltensmuster und Gewohnheiten zu verhindern. Da hilft es, die
Mitarbeiter auch bei noch so kleinen Schritten der umgesetzten Veränderung
zu bestärken. Mitarbeiter müssen das neue Verhalten »trainieren« bis es zur
neuen Gewohnheit wird. Erst dann sind Sie vor einem Rückfall »sicher«.
Abbildung 33: Der Weg zur stetigen Optimierung
Grad der Veränderung
Verbesserung
Sicherung
Zeit
322  Praxishandbuch Produktentwicklung
Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche
Implementierung von tuwun®
• Akzeptieren Sie, dass die meisten Mitarbeiter von der Umstellung nicht
begeistert sein werden;
• seien Sie ein Visionär: Malen Sie sich gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern aus, was sie mit tuwun® erreichen können. Das muss für Ihre Mitarbeiter faszinierend sein, sodass sie die Veränderung selbst wollen;
• beziehen Sie Ihre Mitarbeiter frühzeitig in die Umstellung mit ein;
• halten Sie maximale Transparenz;
• sorgen Sie für einen Erfahrungsaustausch zwischen den Mitarbeitern
über die Marktgespräche;
• feiern Sie Erfolge: jeden erfolgreichen Test, jedes erfolgreiche Produkt.
Zum Schluss noch ein Hinweis: tuwun® ist keine Eintagsfliege, kein abgeschlossenes Projekt. Sondern eine neverending story. Es geht immer weiter,
da sich die Welt für Ihre Kunden laufend ändert und auch Ihre Konkurrenz leider nicht schläft. Hören Sie bitte nie auf, Ihre Produkte hinsichtlich
des Kundennutzens weiter zu optimieren.
Und jetzt wirklich zum Schluss: Blicken Sie in Ihren Kalender. Seien Sie
ehrlich: Wie viel Zeit haben Sie für direkte Gespräche mit den Kunden
im nächsten Monat eingeplant? Wie viele Kontakte hierzu sind bereits
vereinbart? Sind es unter 10 Prozent bei Ihnen beziehungsweise unter 20
Prozent bei Ihren Mitarbeitern? Dann vereinbaren Sie bitte so viele Termine, um mindestens auf diesen Wert zu kommen. Ist Ihr Terminkalender
schon voll? Dann streichen Sie bitte einige Termine und füllen die neuen
Lücken mit Terminen für Ihren direkten Kundenkontakt. Um sofort einen
positiven Eindruck von den Kundengesprächen zu haben, laden Sie zur
Einstimmung sechs Ihrer Kunden zum Essen ein. Fragen Sie sie, was sie
auf dem Herzen haben.
Geistreiches und Zitiertes
»Amateure hoffen, Profis handeln.«
Garson Kanin
»Wenn du etwas als richtig erkannt hast, dann tu es – und zwar sofort!«
Jack Welch
Die Umsetzung im Betrieb  323
»Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.«
Hermann Hesse
»Ein Buch unterm Kopfkissen hilf nur, wenn Sie vorher drin lesen.«
Manfred Spitzer
»Suchen Sie nicht gleich Perfektion, suchen Sie den ersten Schritt.«
Hermann Scherer
»Machen Sie es gut, aber machen Sie es bald.«
Klaus Kobjoll
»Es ist leichter zu leiden als zu handeln.«
Sigmund Freud
»Man kann im Leben alles erreichen, solange es einem egal ist, wer den
Lohn dafür einstreicht.«
Harry S. Truman
»Die Menschen lassen sich lieber durch Lob ruinieren als durch Kritik verbessern.«
George Bernard Shaw
»The problem is never how to get new innovate thoughts into your mind, but
how to get the old ones out.«
Dee Hock
»Weisheit ist zu wissen, was man als Nächstes tun muss. Tugend ist, danach
zu handeln.«
Tenneva Jordan
»Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen
Windmühlen.«
Chinesisches Sprichwort
»Selbst der Klügste nimmt seine Gewohnheiten wichtiger als seinen Vorteil.«
Friedrich Nietzsche
»Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber ich weiß, dass
es anders werden muss, damit es besser wird.«
Georg Christoph Lichtenberg
324  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Herr, lass mich rein und keusch werden. Nur jetzt noch nicht.«
Augustus
»Führen heißt vorleben – alles andere ist Dressur.«
Boris Grundl
»Man lässt sich leichter von Gründen überzeugen, die man selbst gefunden
hat, als von denen, die ein anderer gefunden hat.«
unbekannt
»You must be hard to be soft.«
Jack Welch
Die Umsetzung im Betrieb  325
Quellen
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Birkenbihl, Vera F.: Fragetechnik … schnell trainiert. Das Trainingsprogramm für
Ihre erfolgreiche Gesprächsführung, mvg 2007.
Birkenbihl, Vera F.: Kommunikation für Könner … schnell trainiert. Die hohe
Kunst der professionellen Kommunikation, mvg 2000.
Birkenbihl, Vera F.: Psycho-logisch richtig verhandeln. Professionelle Verhandlungstechniken mit Experimenten und Übungen, mvg 2007.
Brückner, Michael: Megamarkt Luxus. Wie Anleger von der Lust auf Edles profitieren können, FinanzBuch 2008.
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Carnegie, Dale: Wie man Freunde gewinnt. Die Kunst beliebt und einflussreich zu
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Carlzon, Jan: Alles für den Kunden. Jan Carlzon revolutioniert ein Unternehmen,
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2004.
Christiani, Alexander: Magnet Marketing. Erfolgsregeln für die Märkte der
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Clark, Maxine: The Bear Necessities of Business: Building a Company with Heart,
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Collins, Jim: Der Weg zu den Besten. Die sieben Management-Prinzipien für dauerhaften Unternehmenserfolg, dtv 2003.
Cooper, Robert G.: Top oder Flop in der Produktentwicklung. Erfolgsstrategien:
Von der Idee zum Launch, Wiley 2002.
Czartowski, Tori: Die 50 bekanntesten Marken der Welt. Ein populäres Lexikon
von Adidas bis Zippo, Piper 2006.
326  Praxishandbuch Produktentwicklung
Dannenberg, Marius/Barthel, Sascha: Effiziente Marktforschung, Redline 2005.
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328  Praxishandbuch Produktentwicklung
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Pepels, Werner: Market Intelligence. Moderne Marktforschung für Praktiker.
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Sawtschenko, Peter: Positionierung – das erfolgreichste Marketing auf unserem
Planeten. Das Praxisbuch für ungewöhnliche Markterfolge, Gabal 2005.
Sawtschenko, Peter/Herden, Andreas: Rasierte Stachelbeeren – So werden Sie die
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Trout, Jack/Ries, Al: Die 22 unumstößlichen Gebote im Marketing, Econ 2001.
Welch, Jack: Was zählt. Die Autobiographie des besten Managers der Welt, Econ
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Wüst, Petra: Self Branding für Manager. Oder die Kunst, sich besser zu positionieren, Orell Füssli 2006.
Zanetti, Daniel: Kundenverblüffung. Kreative Tipps, wie Sie Ihre Kunden nachhaltig an sich binden, Redline 2005.
Zanetti, Daniel: Vom Know-how zum Do-how – Ein Buch für Macher, Econ 2006.
Hörbücher
Stöger, Gabriele/Stöger, Hans: Es muss ja nicht gleich Liebe sein. Besser verkaufen
mit Glaubwürdigkeit und Sympathie, Radioropa 2006.
Welch, Jach/Welch, Suzi: Winning. Mein Know-how für Ihr Unternehmen, Campus 2005.
330  Praxishandbuch Produktentwicklung
DVD
Birkenbihl, Vera F.: Frage-Technik. Ganztags-Seminar, Breuer & Wardin 2006.
Birkenbihl, Vera F.: Männer/Frauen. Wie es dazu kam, dass alle Welt glaubt, Männer und Frauen seien gleich … und weshalb das nicht stimmt, Walhalla und
Praetoria 2008.
Molcho, Samy: Mit Körpersprache zum Erfolg, USM 2008.
Molcho, Samy: Samy Molcho live, mvg 2006.
Peters, Tom: Re-Imagine! Business excellence in a Disruptive Age, Better Life
Media 2006.
Seminare
Correll, Werner: Gruppenüberzeugung und Konferenzleitung, Management Institut Ruhleder 2002.
Fetzer, Petra/Breuer, Susanne: Effektive Frage- und Explorationstechniken, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2008.
Fetzer, Petra/Breuer, Susanne: Moderation von Gruppendiskussionen, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2005.
Fetzer, Petra/Breuer, Susanne: NLP. Eine neue Innovative Methode in der qualitativen Marktforschung, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher
e. V. 2009.
Geffroy, Edgar K.: Clienting Business Mastery Seminar, Geffroy Business Akademie, 2003.
Kobjoll, Klaus: Profit inkl. Benefit, Glow & Tingle 2004.
Kobjoll, Klaus/Berger, Roland: Return on Marketing, Glow & Tingle 2003.
Krohn, Felix/Meckes, Dr. Rainer: Strategisches Preismanagement: Ertragssteigerung durch optimiertes Pricing, Akademie des Deutschen Buchhandels 2003.
Liebel, Franz: Durchführung von Intensiv-/Tiefeninterviews, Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2006.
Naderer, Gabriele: Auswertung qualitativ-psychologischer Untersuchungen, Be­
rufs­verband Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. 2007.
Petersen, Brigitte: Erfolgreiches Management von Komplexitäten und Instabilitäten, ZFU – International Business School 2004.
Ruhleder, Rolf H.: Dialektik exklusiv – das Premium-Seminar, Management Institut Ruhleder 2004.
Quellen  331
Fotos
Fotograf und Rechteinhaber aller im Buch und auf der CD-Rom gezeigten Fotos ist
Arno Langbehn.
332  Praxishandbuch Produktentwicklung
Anhang
Der Fragenkatalog
Anhang zum Kapitel Fragetechnik
Auch wenn das Gespräch noch so offen geführt werden soll, ist für die
Zielausrichtung ein Fragenkatalog erforderlich, der die grobe Richtung vorgibt. Die Betonung liegt dabei auf »grob«. Abhängig von den
Gesprächszielen wird aufgelistet, zu welchen Bereichen Informationen
benötigt werden, zum Beispiel zur Lebenswelt, zu den Tätigkeiten, Problemen oder um die Perspektiven des Produkts ableiten zu können. Da
der Gesprächspartner meist nicht von sich aus alle Punkte behandelt – wie
soll er denn auch, da er diese ja nicht kennt – wird er vom Interviewer
dezent über Fragen »gelenkt«. Springt der Gesprächspartner von einem
Thema zu einem anderen, wird dieses vom Interviewer aufgenommen und
er folgt weitestgehend dem Gesprächspartner. Eine grobe Gesprächsstruktur bewirkt jedoch, dass der Gesprächsablauf von der Richtung her einer
Logik folgt: Tätigkeiten, Aufgaben, Probleme, Erfolgsfaktoren. Letztere
sind jeweils Teilmengen aus den vorherigen. Der Gesprächspartner kennt
zwar nicht diese Grundstruktur, hat jedoch das Gefühl einer inneren
Logik, sodass die Themen aufeinander aufbauen und in sich geschlossen
abgehandelt werden.
Ein vorab erstellter breiter Fragenkatalog dient hierbei der Unterstützung und gibt Anregungen. Im späteren Gespräch sollte dieser nur als
Gedächtnisstütze dienen und nicht von oben nach unten »abgearbeitet«
werden. Stattdessen sollten die Fragen den Ausführungen des Gesprächspartners angepasst werden. Gerade noch nicht so geübten Interviewern
gibt es Sicherheit, wenn so eine Liste vorbereitet ist, auf die sie im
Gespräch zurückgreifen können. Erfahrene Interviewer werden eher frei
aus der Gesprächssituation heraus die Fragen stellen. Damit dieser nicht
zum Leitfaden und Korsett wird, liegt er später während des Gesprächs
nicht in schriftlicher Form vor, sondern ist im Kopf des Interviewers. So
kann dieser viel schneller auf die aktuelle Gesprächssituation eingehen.
Die Fragen sind nur Mittel zum Zweck. Wenn der Gesprächspartner tiefgreifend zu einem Thema berichtet hat, dann sollte der Interviewer keine
weiteren Fragen mehr hierzu stellen, sondern zum nächsten Thema überAnhang  335
leiten. Je konkreter und besser die Fragen vorbereitet sind, desto ergiebiger
sind die Antworten.
Einige der nachfolgenden Fragen sind auch ähnlich. Sie dienen beispielsweise dazu, die Fragen mit anderen Worten zu wiederholen, sofern
der Gesprächspartner die erste nicht verstanden hat beziehungsweise die
Antwort zu kurz ausfällt. Der Gesprächspartner wertet es als Provokation, wenn er bei Unverständnis wortgenau die gleiche Frage noch einmal
gestellt bekommt.
Das Gespräch sollte spannend gestaltet werden und daher sind verschiedene Frageformulierungen und Frageformen zu verwenden.
Die Erstellung des Fragenkataloges erfolgt in folgenden Schritten:
1.Das Gesprächsziel formulieren;
2.legen Sie fest, zu welchen Bereichen Informationen benötigt werden
(zum Beispiel Lebenswelt, Tätigkeiten, Perspektiven) und listen Sie die
mögliche Reihenfolge auf;
3.listen Sie mögliche Fragen auf;
4.streichen Sie die Fragen, deren Beantwortung keinen Einfluss auf die
Produktentwicklung haben;
5.Pre-Test mit Kollegen und Freunden, die nicht in die Erstellung involviert waren. Diese Gesprächsergebnisse sind zu verwerfen;
6.Pre-Test aus drei bis fünf Gesprächen mit Personen aus dem Marktsegment (simulierte Gespräche, die später nur in die Auswertung einfließen, wenn an der Gesprächsstruktur nur wenig geändert wurde);
7.passen Sie den Fragenkatalog gegebenenfalls an (zum Beispiel missverstandene/schwer verständliche Fragen umformulieren oder streichen).
Der Fragenkatalog umfasst folgende Komplexe, die vom Interviewer ins
Gespräch gebracht werden. Optimal ist es, wenn der Gesprächspartner
von sich aus durch seine Ausführungen die Fragen beantwortet, ohne dass
der Interviewer diese stellen muss. Viele Fragen liefern Informationen zu
unterschiedlichen »Töpfen« (zum Beispiel zur Lebenswelt und gleichzeitig
zu den Problemen). Somit ist eine exakte Abgrenzung nicht möglich.
Lebenswelt
• »Was fällt Ihnen zum Thema X ein?«
• »Was fällt Ihnen zum Thema X in Verbindung mit Y ein?«
• »Woran denken Sie beim Thema X?«
336  Praxishandbuch Produktentwicklung
•
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»Was halten Sie von X?«
»Was denken Sie über X?«
»Was bedeutet das für Sie?«
»Was verbinden Sie mit X?«
»Wie sehen Sie das Thema X?«
»Wie stehen Sie zum Thema X?«
»Wie sehen Sie sich beim Thema X?«
»Welche Beziehung haben Sie zum Thema X?«
»Woran denken Sie da?«
»Wie sehen Sie das im Zusammenhang mit X?«
»Erzählen Sie mir bitte Ihre Erlebnisse bei X?«
»Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn Sie an X denken?«
»Aus welchen Gründen passt es/passt es nicht?«
»Stellen Sie sich einen Tag vor, an dem X gemacht wird. Wie wäre dieser Tag?«
Der Gesprächspartner kommt darüber meist auf seine Tätigkeiten, Aufgaben et cetera zu sprechen, bringt jedoch auch seine Gefühlswelt mit
hinein.
Fragen zum Ableiten des USPs
Treiber/Rahmenbedingungen
• »Welche Rahmenbedingungen bestimmen Ihren Tagesablauf?«
• »Welche neuen Gesetze/Verordnungen/Vorschriften/Normen erwarten
Sie in Ihrem Umfeld?«
• »Wie werden sich die Rahmenbedingungen verändern?«
• »Wovon sind diese Rahmenbedingungen abhängig?«
• »In welchem Umfang können Sie diese Rahmenbedingungen verändern?«
• »Mit welchen Konsequenzen müssen Sie rechnen, wenn …?«
• »Welche Änderungen der Rahmenbedingungen (Treiber, technische
Möglichkeiten et cetera) werden Ihren Tätigkeitsablauf zukünftig verändern?«
• »Was ist vorgegeben?«
• »In welchem Rahmen können Sie entscheiden?«
• »Wonach müssen Sie sich richten?«
Anhang  337
• »Was veranlasst Sie, X anzugehen?«
• »Was bedeuten diese Rahmenbedingungen für Sie?«
• »Was ist die Ursache von X?«
Tätigkeiten
• Stellen Sie zum Einstieg die Fragen »Wo kommen Sie gerade her?«,
»Was haben Sie bis eben gemacht?«. Der Gesprächspartner wird zu
den Gedanken gebracht, die er sowieso noch im Hinterkopf hat. Das
erleichtert den Gesprächseinstieg.
• »Wie sieht Ihr typischer Tagesablauf aus?«
• »Womit beschäftigen Sie sich gerade? Was machen Sie noch?«
• »Was sind die wesentlichen Tätigkeiten?«
• »Was waren heute bis jetzt Ihre Tätigkeiten?«
• »Wie war Ihr gestriger Tagesablauf?«
• »Was waren Ihre Tätigkeiten/Erlebnisse in den letzten X Tagen/
Wochen?«
• »Wie muss ich mir Ihre wesentlichen Tätigkeiten vorstellen?«
• »Bitte beschreiben Sie einen Ihrer typischen Arbeitstage von morgens
bis abends.«
• »Wie sieht Ihr typischer Alltag/Arbeitsalltag aus?«, »Was machen Sie
zuerst? Was danach?«, »Mit welchen Personen haben Sie wie Kontakt?«
• »Wie gliedert sich Ihr Tag?«
• »Was sind Ihre Tätigkeiten bei X?«
• »Was sind wiederkehrende Tätigkeiten bei Ihnen?« (wie oft zu welchen
Terminen, Events)
• »Welche Termine werden gern wahrgenommen, welche nicht so gern?«
• »Wo halten Sie sich bei welchen Tätigkeiten auf?«
• »Wie viel Zeit nehmen die angesprochenen Tätigkeiten ein?«
• »Womit verbringen Sie die meiste Zeit?«, »Mit welcher Tätigkeit verbringen Sie die meiste Zeit?«
• »Wie viel Zeit wenden Sie für X auf?«
• »Was sind die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit?«
• »Wie hoch sind die Anteile der Tätigkeiten?«
• »Für welche Tätigkeit haben Sie die geringste Zeit?«
• »Welche Tätigkeiten fallen in die Routine?«
• »Welche Tätigkeiten übernehmen Sie gern, welche nicht so gern?«
• »Wie werden sich die Tätigkeiten in Zukunft ändern?«
• »Was werden Sie zukünftig anders angehen?«
338  Praxishandbuch Produktentwicklung
•
•
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•
»Wie hat sich Ihr Alltag verändert?«
»Wo hat sich Ihr Alltag verändert?«
»Wo gehen Sie abends hin?«
»Was unternehmen Sie?«
»Zu welchen Anlässen?«
»Mit welchen Personen haben Sie regelmäßigen Kontakt?«
Aufgaben
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»Welche Aufgaben fallen bei Ihnen an?«
»Was sind Ihre Aufgaben?«
»Wie organisieren Sie X?«
»Was sind in der nächsten Zeit Ihre wichtigsten Aufgaben?«
»Welche Aufgaben haben Sie als X?«
»Was sind die typischen Aufgaben eines X?«
»Was sind Ihre Hauptaufgaben?«
»Was macht Ihren Beruf aus?«
»Was ist das Wesentliche an Ihrem Beruf?«
»Wie sah Ihr gestriger Arbeitsalltag aus?«
»Womit beschäftigen Sie sich gerade?«
»Woran arbeiten Sie gerade?«
»Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?«
»Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus?«
»Wie wird sich Ihr Arbeitsalltag verändern?«
»Wie muss ich mir einen typischen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?«
»Wenn Sie an einen typischen Arbeitsablauf denken: Wie sieht der aus?«
»Womit/woran arbeiten Sie gerade?«
»Welche Aufgaben müssen Sie bewältigen?«
»Was steht im Moment an Aufgaben an?«
»Welche Aufgaben sind wie wichtig? Aus welchen Gründen sind diese
wichtig?«
»Welche Aufgaben werden an Sie herangetragen?«
»Welche Aufgaben fallen im Zusammenhang mit X an?«
»Wie hat sich Ihr Aufgabenbereich verändert?«
»Mit welchen Aufgaben rechnen Sie für die Zukunft?«
»Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert?«
»Womit rechnen Sie für die Zukunft?«
»Was für Aufgaben kommen auf Sie zu?«
»Wie werden sich Ihre Aufgaben in der Zukunft verändern?«
Anhang  339
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»Was kommt hinzu und was fällt weg?«
»Wo holen Sie sich Informationen/Unterstützung zum Thema X?«
»Welche Quellen zur Unterstützung nutzen Sie?«
»Mit welchen Anforderungen rechnen Sie in der Zukunft?«
»Welche Treiber/Rahmenbedingungen bestimmen Ihre Aufgaben?«
»Welche Hilfsmittel stehen Ihnen zurzeit zur Verfügung?«
»Welche Hilfsmittel nutzen Sie zur Erledigung Ihrer Aufgaben?«
»Welche Hilfsmittel haben Sie, die Sie nicht nutzen?«
»Wie viel Zeit nehmen die angesprochenen Aufgaben ein?«
»Welche der genannten Aufgaben nimmt die meiste Zeit ein?«
»Wie viel Zeit benötigen Sie für X?«
»Wie viel Zeit verbringen Sie mit X?«
»Für welche Aufgaben benötigen Sie die meiste Zeit?«
»Wie viel Zeit haben Sie für die Erledigung folgender Aufgaben zur Verfügung?«
»Wie viel Zeit benötigen Sie, um X zu erledigen?«
»Wie viel Zeit steht Ihnen zur Verfügung, um X zu erledigen?«
»Was beschäftigt Sie in Ihrem Arbeitsgebiet am meisten?«
»Womit beschäftigen Sie sich bei der Arbeit am meisten?«
»Wie viel Zeit müssen Sie für X aufwenden?«
»Was gefällt Ihnen bei Ihren jetzigen Aufgaben?«
»Was erledigen Sie nicht gern?« (hier werden vom Gesprächspartner
gern Produkte angenommen, die ihm diese Aufgaben abnehmen)
»Für welchen Bereich sind Sie verantwortlich?«
»Zu wem haben Sie in Ihrem jetzigen Arbeitsumfeld Kontakt?«
»Was lösen Sie selbst?«, »Wie weit gehen Sie, um das Problem zu lösen?«,
»Was vergeben Sie an andere?«, »Welche Aufgaben führen Sie selbst
durch, welche delegieren Sie?« (Diese Fragen dienen dazu, die Lösungstiefe des Gesprächspartners zu erkennen)
»Welche Aufgaben im Zusammenhang mit X übernehmen Sie?«
»Wer übernimmt die restlichen Aufgaben?«
»Wer ist an Entscheidungen beteiligt?«
»Wer trifft die Entscheidung?«
»In welchen Bereichen treffen Sie die Entscheidungen?«
»Wie lange sind Sie bereits in diesem Bereich tätig?«
340  Praxishandbuch Produktentwicklung
Probleme
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»Welche Argumente sprechen dafür, das Thema nicht anzugehen?«
»Wann trat das Problem das erste Mal auf?«
»Welche Herausforderungen treten bei X auf?«
»Welche Hindernisse treten bei X auf?«
»Welche Hindernisse müssten entfallen?«
»Was fällt dabei schwer, was leicht?«
»Welche Aufgaben haben die größte Priorität?«
»Welche Anforderungen bereiten Ihnen am meisten Sorgen/Kopfschmerzen?«
»Was hindert sie an X?«
»Was stört Sie an X?«
»Was ist Ihnen bei X im Wege?«
»Was würde ein ideales Produkt bei Ihnen verbessern?«
»Welche Probleme/Hindernisse treten bei der Erledigung Ihrer Aufgaben auf?«
»Was machen Sie, wenn ein Problem auftritt?«
»Bei welchen Tätigkeiten treten Hindernisse auf?«
»Bei welchen Aufgaben treten Hindernisse auf?«
»Welche Aufgaben würden Sie gern abgeben?«
»Was davon wird als problematisch empfunden?«
»Was stört manches Mal bei Ihren Aufgaben?«
»Wo gibt es Fragestellungen?«
»Was ist Ihre wichtigste Aufgabe?«
»Was beschäftigt Sie im Moment?«
»Für welche Tätigkeiten/Aufgaben haben Sie zu wenig Zeit?«
»Für welche Tätigkeiten/Aufgaben hätten Sie gern mehr Zeit?«
»Was sind die Hauptthemen, die Sie beschäftigen?«
»Welche Hindernisse treten bei den von Ihnen genannten Aufgaben auf?«
»Wie haben sich Ihre Herausforderungen verändert?«
»Wie werden sich Ihre Herausforderungen/Probleme verändern?«
»Welche zusätzlichen Herausforderungen kommen auf Sie zu?«
»Wo liegen die größten Herausforderungen heute?«
»Wo liegen die größten Herausforderungen in der Zukunft?«
»Wie lange wird das Problem noch auftreten?«
»Ist das Problem langfristig drückend?«
»Wie werden sich Ihre Probleme/Herausforderungen in der Zukunft
verändern?« Wenn sich die Problemstellungen Ihrer Kunden verändern,
so müssen auch die Problemlösungen (also Ihre Produkte) sich ändern.
Anhang  341
• »Was kommt hinzu und was fällt weg?«
• »Was erschwert zurzeit Ihre Arbeit?«
• »Welche Aufgaben/Tätigkeiten bereiten Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?«
• »Welche Wünsche haben Sie bezüglich X?«
• »Was möchten Sie mit X erreichen?«
• »Welche Probleme haben sie mit X?«
• »Was passiert, wenn Sie nicht handeln?«
• »Was passiert, wenn Sie X nicht lösen?«
• »Welche Auswirkungen hat X?«
• »Wie zufrieden sind Sie mit X?«
• »Welche Kenntnisse sind bei X nützlich?«
• »Welche Fähigkeiten sind bei X nützlich?«
• »Wozu braucht man viel Erfahrung?«
• »Wo lässt man keine Anfänger ran?« Dieses nimmt den Druck vom
Gesprächspartner weg und er nennt die Aufgaben, die ihm früher und
zum Teil heute noch Probleme bereiten.
• »Was muss man da machen/worauf achten?«
• »Was sind die Hauptthemen, die Sie beschäftigen?«
• »Welchen Herausforderungen stehen Sie gegenüber?«
• »Was fehlt Ihnen bei X?«
• »Wann ist das Problem am schlimmsten?«
• »Was sind zurzeit die größten Herausforderungen in ihrer Position?«
• »Welche X sind Ihnen wichtig?«
• »Welche Ihrer Fähigkeiten sind in dieser Situation am nützlichsten?«
• »Welche Fähigkeiten wären in dieser Situation am nützlichsten?«
• »Welche Ziele haben Sie bei X?«
• »Welche Lösungen gibt es bereits für dieses Problem?«
• »Welche Lösung nutzen Sie bereits für dieses Problem?«
• »Welche der Tätigkeiten bereiten Ihnen Kopfzerbrechen?«
• »Wie lange tritt das Problem schon auf?«
• »Sie nannten X als Thema Nummer eins. Wie gehen Sie damit
um?«
Für schwierige/heikle Themen
• »Was unternimmt X in diesen Situationen?«
• »X wird gerne von Medien aufgebauscht. Wo sind Sie denn wirklich
davon betroffen? Was ärgert/stört Sie dabei?«
• »Wie sieht es bei der Konkurrenz aus?«
342  Praxishandbuch Produktentwicklung
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»Welche Themen beschäftigen/bedrücken die Branche?«
»Welche Themen beschäftigen Ihre Kollegen?«
»Welche Schwierigkeiten sehen Sie auf die Branche zukommen?«
»Worüber spricht Ihre Branche?«
»Was bedrückt die Branche?«
»Welche Probleme hat die Branche?«
»Was hindert die Branche an X?«
»Über welche Probleme spricht die Branche/sprechen Ihre Kollegen?«
»Worüber spricht die Branche/Ihre Kollegen im Augenblick?«
»Welche Probleme treten bei Ihren Kollegen auf?«
»Welche Probleme können bei Ihren Kollegen auftreten?«
»Womit davon haben Ihre Berufskollegen die meisten Probleme?«
»Welches Arbeitsfeld bereitet Ihren Kollegen Schwierigkeiten?«
»Was ist schwierig in der Branche?«
»Was kommt auf Ihre Branche zu?«
»Welche Themen werden von Ihren Kollegen behandelt?«
»Wie schätzen Ihre Kollegen X ein?«
»Wo sehen Ihre Kollegen die größten Probleme in der Zukunft?«
»Was beschäftigt Ihre Kollegen im Moment?«
»Welche Probleme/Herausforderungen bewegen die Branche?«
»Was sind zurzeit die größten Herausforderungen der X in der Branche?«
• »Was ist schwierig in der Branche?«
• »Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Branche?«
Umkehrung
• »Welche Vorteile hat das Problem für Sie?«
• »Welche Vorteile hat das Problem für Ihre Kollegen?«
Erfolgsfaktoren
• »Aus welchen Gründen ist es wichtig, für das Problem X eine Lösung
zu haben?«
• »Ab wann betrachten Sie das Problem als gelöst?«
• »Ab wann würden Sie Ihre Tätigkeit/Aufgaben als erfolgreich betrachten?«
• »Auf die Erreichung welcher Ziele kommt es an?«
Anhang  343
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•
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•
•
•
•
»Auf die Lösung welcher Probleme kommt es insbesondere an?
»Aus welchen Gründen ist es hier wichtig, eine Lösung zu haben?«
»Aus welchen Gründen ist es wichtig, das Problem zu lösen?«
»Für welche Ergebnisse erhalten Sie eine Jahresprämie?« (Das sind die
Erfolgsfaktoren aus Sicht des Vorgesetzten).
»Wann betrachten Sie die Lösung von X als erfolgreich?«
»Wann betrachten Sie Ihre Tätigkeiten als erfolgreich?«
»Wann betrachten Sie sich als erfolgreich?«
»Wann werden Sie von Ihrem Vorgesetzten geschätzt?«
»Wann werden X von Ihren Vorgesetzten als erfolgreich angesehen?«
»Wann würden Sie Ihre Arbeit als erfolgreich bezeichnen?«
»Warum ist es hier wichtig, eine gute Lösung zu haben?«
»Was bedeutet Ihnen das?«
»Was bestimmt zukünftig Ihren Erfolg?«
»Was betrachten Sie beim Thema X als erfolgreich?«
»Was davon ist am wichtigsten für Ihren Erfolg?«
»Was erwarten andere von Ihnen?«
»Was erwartet Ihr Chef von Ihnen? Was erwartet Ihre Familie von Ihnen?«
»Was erwartet Ihr Vorgesetzter von Ihnen?«
»Was haben Sie davon?«
»Was ist dabei besonders wichtig?«
»Was ist Ihnen davon wichtig? Aus welchen Gründen?«
»Was ist Ihnen in dieser Situation am wichtigsten?«
»Was ist von X, Y und Z wirklich wichtig/ausschlaggebend für Ihren
Erfolg?«
»Was können Sie damit erreichen?«
»Was macht ein gutes X aus?«
»Was muss gemacht/anders werden, damit das Problem gelöst ist?«
»Was passiert, wenn das Problem nicht gelöst wird?«
»Was raubt Ihnen den Schlaf?«
»Was sind die Folgen, wenn das Problem nicht gelöst wird?«
»Was sind Ihre größten Befürchtungen im Zusammenhang mit X?«
»Was sind Ihre größten Befürchtungen/Ängste/Sorgen?«
»Was sind Ihre größten Herausforderungen als X?«
»Was sind Ihre größten Herausforderungen bei der Umsetzung von X?«
»Was unternehmen Sie, um diesen Erfolgsfaktor zu erreichen?«
»Was wird als erfolgreich angesehen?«
»Was würde Ihnen fehlen, wenn X nicht vorhanden wäre?«
»Was würde sich für Sie ändern, wenn X gelöst wäre?«
»Welche Auswirkungen hat das für Sie?«
344  Praxishandbuch Produktentwicklung
• »Welcher der von Ihnen angegebenen Aspekte ist wichtig für Ihren
Erfolg?«
• »Welche der von Ihnen genannten Herausforderungen/Probleme sind
wirklich wichtig/ausschlaggebend für Ihren Erfolg?«
• »Welche der von Ihnen genannten Punkte sind ausschlaggebend/am
wichtigsten für Ihren Erfolg«
• »Welche der von Ihnen genanten Aufgaben haben bei Ihnen höchste
Priorität?«
• »Welche dieser Aufgaben bereitet Ihnen am meisten Kopfzerbrechen?«
• »Welche Konsequenzen hätte das für Sie?«
• »Welche Wirkung hat X in der von Ihnen beschriebenen Situation?«
• »Welchen Nutzen/Vorteil hätte das für Sie?«
• »Welches der genannten Probleme muss gelöst werden, um den größten
Erfolg zu haben?«
• »Welches Ergebnis wünschen Sie sich nach der Lösung des Problems?«
• »Wie definieren Sie Erfolg?«
• »Wie dringend benötigen Sie eine Lösung des Problems?«
• »Wie groß ist der Schaden, wenn X nicht gelöst wird?«
• »Wie relevant ist die Lösung des Problems für Ihre Arbeit? Wie erfolgswichtig ist die Problemlösung?«
• »Wie relevant ist für Sie die Lösung des Problems X?«
• »Wie wichtig ist dafür eine gute Lösung?«
• »Wie wichtig ist für Sie die Lösung des Problems X?«
• »Wie wichtig ist es für Sie, bei X eine Lösung zu bekommen?«
• »Woran messen die anderen Ihren Erfolg?«
• »Woran messen Sie Ihren Erfolg?
• »Woran werden Sie gemessen?«
• »Woran wird Ihr Erfolg gemessen?«
• »Woran werden Sie von anderen gemessen?«
• »Woran wird Ihre Prämie gemessen?«
• »Worauf ist dabei zu achten?«
• »Worauf kommt es bei der Lösung des Problems an?«
• »Worauf kommt es bei Ihrer Tätigkeit an?«
• »Worauf kommt es bei X an?«
• »Worauf kommt es in Ihrem Beruf an?«
• »Worauf legen Sie besonderen/den höchsten Wert?«
Anhang  345
Neutralisiert
•
•
•
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•
•
•
»Wie relevant ist die Lösung dieses Problems für X?«
»Was bedeutet das Problem für Ihre Kollegen?«
»Woran wird jemand als gut angesehen, der daran arbeitet?«
»Worauf sollten Neulinge in dem Bereich achten?«
»Woran wird hier der Erfolg gemessen?«
»Worauf müssen Anfänger achten?«
»Woran wird der Erfolg eines X gemessen?«
»Unter welchen Umständen wird man als erfolgreicher Kollege angesehen?«
• »Welche Aufgaben sind dem Vorgesetzten/Partner/… besonders wichtig? Mit welchem Ergebnis?«
• »Welche Folgen hat es für Ihre Kollegen, wenn das Problem nicht gelöst
wird?«
Komplexität
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»Welche Kenntnisse sind nötig, um X zu lösen?«
»Wie zeitaufwändig ist die Erledigung von X?«
»Wie viel Zeit müssen Sie aufwenden, um X zu tun?«
»Wie zeitaufwändig ist X?«
»Welche Ausbildung ist dabei notwendig?«
»Welches Ausmaß an Erfahrungen wird benötigt bei X?«
»Was bindet die meiste Energie?«
»Wie schwierig ist X zu lösen?«
»Was hindert Sie daran, diesen Erfolgfaktor zu erreichen?«
»Bei welcher Tätigkeit/Aufgabe/Problem wünschen Sie sich Unterstützung?«
»Welchen Einfluss haben Sie auf die Lösung des Problems X?«
»Wie beeinflussbar sind das Problem und die Lösung für Sie?«
»Wie einschätzbar/steuerbar/beeinflussbar ist X?«
»Welche Einflussmöglichkeiten haben Sie für das Problem?«
»Die Lösung welcher Probleme fällt Ihnen leicht, welche schwer?«
»Was ist nötig, um das Problem X zu lösen?«
»Was könnte Ihren Kollegen helfen, um X zu lösen?«
»Was fällt Ihnen leicht und was weniger?«
»Wie viel Energie ist nötig?«
»Wie oft kommt es vor?«
346  Praxishandbuch Produktentwicklung
Wunschfragen
Diese können zum Beispiel mit der Feenfrage kombiniert werden. Gefragt
wird hierbei nach dem Wunschergebnis, nicht nach dem Weg, wie es
erreicht werden kann beziehungsweise soll:
•
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•
•
•
•
»Was sind Ihre Wünsche im Bereich X?«
»Wann betrachten Sie X als gelöst?«
»Was möchten Sie erreichen?«
»Was sollte in einem Jahr erreicht sein?«
»Wie sollte X in einem Jahr sein?«
»Woran erkennen Sie, dass X eingetreten ist?«
»Was könnte Ihnen dabei helfen?«
»Was fällt Ihnen bei X, das Y löst, ein?«
»Wenn Sie X nutzen: Was sehen/fühlen/hören/riechen Sie?«
»Wenn Sie X ohne Y nutzen: Was sehen/fühlen/hören/riechen Sie?«
»Wenn Sie sich das optimale Produkt zur Lösung von X vorstellen, was
müsste es Ihnen bieten?«
Perspektiven
Funktion
• »Was gehört alles zu dieser Tätigkeit/Aufgabe/Problem/Erfolgsfaktor?«
• »Was umfasst bei Ihnen alles das Problem X?«
• »Ab welcher Stufe der Problemlösung ziehen Sie Hilfsmittel mit hinzu?
Welche Hilfsmittel nutzen Sie?«
• »Was aus dem Problembereich fällt Ihnen leicht und was nicht?«
• »Welche Bereiche aus dem Problemfeld können Sie selbst beeinflussen
und welche nicht?« Es ist nur sinnvoll das Produkt mit den Funktionen
auszustatten, mit denen der Kunde auch die Problemlösung beeinflussen kann
• »Welche Anforderungen muss X liefern?«
• »Was dürfte auf keinen Fall fehlen?«
• »Welche Fertigkeiten zu Lösung von X haben Sie in Ihrer Ausbildung
beziehungsweise Weiterbildung gelernt?«
• »Was davon kennen/können Sie von Ihrer Ausbildung/Qualifikation
her gut/nicht gut?«
Anhang  347
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•
»Was umfasst bei Ihnen alles das Thema X?«
»Was davon können Sie ausbildungsseitig gut/nicht gut?«
»Was fallen bei dem Thema X noch für Anforderungen an?«
»Was können Sie beeinflussen?«
»Zu welchen Bereichen liegen Ihnen heute schon Lösungen vor?«
»Was gehört alles zu dem Problem/Problemkreis?«
»Wann greifen Sie auf Hilfsmittel zurück?«
»Was fällt Ihnen beim Problem X noch an Anforderungen ein?«
»Wo beginnt Ihr Mitwirken bei der Lösung und wo endet es?«
»Wo sind die Grenzen des Themas für Sie?«
»Was gehört alles zum Problem dazu?«
»Wo beginnt das Problem und wo endet es?«
»Wo ist der Übernahmepunkt der Tätigkeit/Aufgabe des Problems?«
»Wo ist der Übergabepunkt der Tätigkeit/Aufgabe des Problems?«
»Bis zu welchem Lösungsgrad/Lösungstiefe muss das Problem von
Ihnen gelöst werden?«
»Was erwarten Sie von einer alternativen Lösung? Was muss alles von
dieser geleistet werden?«
»Welche anderen Quellen ziehen Sie heran?«
»Was benötigen Sie, um X zu lösen?«
»Auf welche Eigenschaften/Funktionen kommt es an?«
»Was verwenden Sie heute schon?«
»Was muss enthalten sein?«
»Was müsste gelöst werden?«
»Auf welche Funktionen greifen Sie heute schon zurück?«
»Was davon können Sie auf anderen Wegen wie lösen?«
Aufbau/Struktur
•
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•
•
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•
•
»In welcher Vorgehensweise wird X eingesetzt?«
»Wann nutzen Sie X?«
»Wie gehen Sie bei X vor?«
»In welchen Situationen nutzen Sie X?«
»Wie sind Sie an die Aufgabe/Problem bis jetzt herangegangen?«
»Wie läuft so etwas ab?«
»Wie war das, als Sie X getan haben?«
»Was geschah danach?«
»Mit wem haben Sie im Zusammenhang mit X Kontakt? In welchem
Verhältnis stehen Sie zu diesen Kontaktpersonen?«
348  Praxishandbuch Produktentwicklung
•
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•
»Wie gehen Sie an das Problem heran?«
»In welcher Reihenfolge gehen Sie mit den jetzigen Lösungen vor?«
»Wie ist das Problem/Lösung in Ihrem Tagesablauf integriert?«
»Wer ist davon noch betroffen?«
»Wie ist der Zusammenhang zwischen X und Y?
»Wie kommt das Problem auf Sie/Ihre Kollegen zu?«
»Wie gehen Sie an die Aufgabe heran und wie führen Sie diese durch?
Bitte beschreiben Sie die einzelnen Schritte.«
»In welchen Abläufen erledigen Sie die Aufgabe?«
»Wie gehen Sie vor, wenn das Problem auftritt?«
»Zu welchen Lösungen greifen Sie heute, wenn das Problem auftritt?«
»Woher beschaffen Sie sich Informationen zur Lösung des Problems?«
»Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es bereits?«
»Wie beschaffen Sie sich diese Lösungen?«
»Wie gehen Sie/Ihre Kollegen an die Lösung des Problems heran?«
»Nennen Sie bitte Beispiele für Ihre Vorgehensweise?«
»Wie haben Sie/Ihre Kollegen das Problem in der Vergangenheit gelöst?«
»Wie lösen Ihre Kollegen das Problem?«
»Wie gehen Sie an die Lösung des Problems X heran?«
»Mit welchen Fragestellungen gehen Sie an das Problem heran?«
»Wie muss ich mir das vorstellen? Wie läuft so etwas ab?«
»Wie tritt das Problem bei Ihnen/Ihren Kollegen auf?«
»Bei welchen Anlässen tritt das Problem bei Ihnen auf?«
»In welcher Form kommt das Problem auf Sie zu?« (regelmäßig/unregelmäßig, vorhersehbar/plötzlich/zufällig)
»Wann kommt das Problem auf Sie zu?«
»Wie lösen Sie heute das Problem?«
»Welche anderen Vorgehensweisen haben Sie schon mal ausprobiert?«
»Welche anderen Vorgehensweisen führen ebenfalls zum Erfolg?«
»Wie wurde das Problem in der Vergangenheit gelöst?«
»Wie sehen Ihre heutigen Lösungsansätze aus?«
»Welche Hilfsmittel nutzen Sie bei welchem Anlass?«
»Welche Vor- und Nachteile haben welche Lösungen?«
»Wie haben Sie es früher gelöst? Was war dabei gut/weniger gut?«
»Wie könnte eine Lösung aussehen, die wirklich funktioniert und das
Problem löst?«
»Bitte beschreiben Sie, wie Sie heute das Problem lösen.«
»Wie gehen Sie dabei vor? Was sind die einzelnen Schritte?«
»Welche Voraussetzungen (Technik, Wissen, Fähigkeiten et cetera)
muss ich haben, um das Problem zu lösen?«
Anhang  349
• »Auf welche Angebote haben Sie in der Vergangenheit zurückgegriffen,
wenn das Problem auftrat?«
• »Was machen Sie bei X zuerst?«
• »Wie gehen Sie mit X um?«
• »Wie gehen Sie an X heran?«
• »Wo treten bei der Herangehensweise Probleme auf?«
• »Was betrachten Sie als zum Problemkreis gehörend?«
• »Können Sie bitte beschreiben, wie Sie das heute machen?«
• »Wie gehen Sie an die Aufgabenstellung heran?«
• »Wie gehen Sie mit diesem Problem/Thema um?«
• »Wie gehen Sie an das Problem/Thema heran?«
• »Welche Hilfsmittel nutzen Sie bereits?«
• »Welche Hilfsmittel nutzen Sie bei welcher Gelegenheit?«
• »Wenn Sie mit Kollegen sprechen, welche Lösungen haben diese? Welche Vorteile, welche Nachteile gibt es da?«
• »Unter welchen Umständen klappen solche Lösungen?«, »Was ist Ihre
langjährige Erfahrung?«
• »Das sieht sehr aufwändig aus. Haben Sie schon mal andere Vorgehensweisen ausprobiert? Gibt es andere Vorgehensweisen? Welche?«
• »Wie weit gehen Sie, um das Problem zu lösen?«
• »Gibt es Möglichkeiten, mit anderer Vorgangsweise zum Erfolg zu
gelangen?«
• »Wann passt X, wann passt Y?«, »Aus welchen Gründen passt es?«
• »Stellen Sie sich einen Tag vor, an dem X verwendet/genutzt wird. Wie
wäre der Tag?«
• »Sie nutzen X. Wie gehen Sie vor?«, »Was kommt danach?«, »Auf was
achten Sie?«
Diese Fragen werden jeweils auf den Gesprächspartner bezogen oder in
neutralisierter Form auf Kollegen, Freunde und so weiter.
Ansprache
Hierzu gehören Fragen nach der Ausbildung und Weiterbildung, um den
Sprachgebrauch einschätzen zu können. Neben dem Inhalt der Antworten
zu den folgenden Fragen ist ebenfalls die Ausdrucksweise des Gesprächspartners zu beachten und auszuwerten. Ebenfalls ist zu sichten, welche
Werbemittel/Produktbeschreibungen dem Gesprächspartner vorliegen
und welche Produkte genutzt werden. Denn auch die anderen Anbieter
350  Praxishandbuch Produktentwicklung
haben (oder sollten es zumindest) ihre Ausdrucksweise den Kunden
angepasst. Dort können Sie sich erste Informationen abschauen. Folgende
Fragen an den Gesprächspartner können eingesetzt werden:
•
•
•
•
»Welche Produkte nutzen Sie sonst?«
»Was lesen Sie?«
»Was lesen Sie gerne?«
»Welche Ausbildung/Voraussetzungen/Kenntnisse benötigen Sie für
Ihre Tätigkeiten?«
Produktart
Hiermit werden Informationen zu den Anforderungen der Produktart im
Verhältnis zu den Fähigkeiten und der Ausstattung sowie dem Einsatzort
der Produkte gesammelt:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
»Welche technische Ausstattung besitzen Sie?«
»Welche technische Ausstattung nutzen Sie?«
»Welche Ausstattung im Bereich X haben Sie?«
»Welche Hilfsmittel setzen Sie sonst ein?«
»Welche technische Ausstattung nutzen Sie in welchen Fällen?«
»Mit welcher Ausstattung sind Sie gewohnt zu arbeiten?«
»Mit welcher Ausstattung arbeiten Sie gern/nicht so gern?«
»Mit welchen Geräten arbeiten Sie gern/nicht gern?«
»Welche Geräte sind Ihnen vertraut?«
»Welche Produkte werden sonst von Ihnen verwendet?«
»In welchem Umfeld nutzen Sie vergleichbare Produkte?« (beispielsweise wenn es regnet, im Büro et cetera).
»In welchen Situationen tritt das Produkt auf?«
»An welchem Ort tritt das Problem auf?«
»Wann tritt das Problem auf?«
»In welchem Umfeld lösen Sie das Problem?«
»In welcher Form würden Sie X gern nutzen?«
»Welche Art von Lösungen setzen Sie sonst ein?«
»Wohin transportieren Sie X?«
»Wo ist Ihr Arbeitsplatz?«
»Wo lösen Sie diese Aufgabe?«
»Wobei nutzten Sie X?«
»Was nutzen Sie sonst, um X zu tun?«
Anhang  351
Emotion
Neben den Äußerungen des Gesprächspartners ist für die Perspektiven
Emotion und Design insbesondere die Beobachtungen wichtig: Wie ist der
Gesprächspartner eingerichtet, womit umgibt er sich und so weiter.
• »Was sollen andere über Sie sagen, wenn sie X lösen/haben?«
• »Stellen Sie sich vor, Sie haben das neue Produkt X. Wie reagiert Ihr
Umfeld?«
• »Was bedeutet das in Ihrem Umfeld?«
• »Was denken andere über Sie?« (oder neutral: »Was denken andere über
die Person X?«, »Was denken andere über das Produkt X?«
• »Wie würden Sie sich in der Gruppe fühlen bei X?«
• »Was haben Sie dabei gefühlt/empfunden?«
• »Aus welchen Gründen ist Ihnen X wichtig?«
• »Welche Stimmung tritt da bei Ihnen auf?«
• »Wie fühlte sich das an?«
• »Wie geht es Ihnen dabei?«
• »Wie fühlen Sie sich bei X?«
• »Wobei fühlen Sie sich besonders gut?«
• »Wie fühlen Sie sich, wenn Sie an X denken?«
• »Welche Bedeutung hat X für Sie?«
• »Was bewirkt X bei Ihnen?«
• »Welche Wirkung geht von X aus?«
Design
•
•
•
•
•
»Wie müsste X aussehen?«
»Was ist Ihnen bei dem Aussehen von X wichtig?«
»Was wäre Ihnen beim Design/Aussehen von X wichtig?«
»Was benutzen Sie gleichzeitig?«
»Wie müsste X aussehen, um Ihnen sympathisch zu sein?«
352  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 1: Beschwerden
• Zum Gespräch
 Gesprächspartner aus dem Unternehmen
 Datum
 Ort
 Uhrzeit
 Dauer
 Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich)
• Hauptthema des Gesprächs






Anlass des Anrufs
Was ist vorgefallen?
Aus welchen Gründen?
In welchem Umfeld ist der Fehler aufgetreten?
Vorschlag des Kunden zur Behebung
Vereinbarte Lösung
• Fragen zur Produktentwicklung (je nach Gesprächsstimmung)





Wo und wann wird das Produkt eingesetzt?
Anregungen zur Produktoptimierung
Aufgaben des Gesprächspartners
Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners
Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen)
 Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs
angerufen werden?
• Gesprächspartner/Person
 Name
 Position
 Abteilung
• Unternehmen








Name
Branche
Produkte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
• Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat
• Sonstige Anmerkungen zum Gespräch
Anhang  353
Formblatt 2: No-Report
• Zum Gespräch






Gesprächspartner aus dem Unternehmen
Datum
Ort
Uhrzeit
Dauer
Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich)
• Hauptthema des Gesprächs





Welches Produkt wird angefragt?
Welches Problem soll damit gelöst werden?
In welchem Umfeld soll das Produkt eingesetzt werden?
Welche Antwort erhielt der Kunde?
Vereinbarte Lösung
• Fragen zur Produktentwicklung (je nach Gesprächsstimmung)





Wo und wann wird das Produkt eingesetzt?
Anregungen zur Produktoptimierung
Aufgaben des Gesprächspartners
Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners
Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen)
 Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs
angerufen werden?
• Gesprächspartner/Person
 Name
 Position
 Abteilung
• Unternehmen








Name
Branche
Produkte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
• Anregungen für die Produktentwicklung aus der Anfrage
354  Praxishandbuch Produktentwicklung
• Die Umsetzung bringt für den Kunden eine Verbesserung in folgenden
Bereichen:








Zeitersparnis
Problemlösung
Wunscherfüllung
Kostenreduktion
Umsatzerhöhung
Arbeitserleichterung
Umweltfreundlichkeit
Sonstiges
• Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat
• Sonstige Anmerkungen zum Gespräch
Anhang  355
Formblatt 3: Ideenblatt
• So sieht die Sache jetzt aus
• Mein Veränderungsvorschlag dazu (Idealzustand)
• Die Umsetzung bringt eine Verbesserung in folgenden Bereichen:
 Zeitersparnis
 Problemlösung
 Wunscherfüllung
 Finanzieller Vorteil
 Arbeitserleichterung
 Höhere Zufriedenheit der eigenen Kunden
 Umweltfreundlichkeit
 Sonstiges
356  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 4: Außendienstbesuche
• Zum Gespräch





Name des Außendienstmitarbeiters
Datum
Ort
Uhrzeit
Dauer
• Anlass des Termins




Verkauf
Service/Wartung
Reklamation/Reparatur
Ergebnis (zum Beispiel Verkauf erfolgt ja/nein)
• Fragen zur Produktentwicklung





Wann und wo wird das Produkt eingesetzt?
Anregungen zur Produktoptimierung
Aufgaben des Gesprächspartners
Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners
Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners
(Treiber/Rahmenbedingungen)
 Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines
Marktgesprächs angerufen werden?
• Beobachtungen vor Ort




Einsatzort des Produkts
Ausstattung des Kunden
Konkurrenzprodukte beim Kunden
Weitere Produkte beim Kunden
• Gesprächspartner/Person
 Name
 Position
 Abteilung
• Unternehmen








Name
Branche
Produkte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
Anhang  357
• Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat
• Sonstige Anmerkungen zum Gespräch
358  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 5: Verkaufsgespräche in den eigenen Räumen
• Zum Gespräch





Name des Mitarbeiters
Datum
Ort
Uhrzeit
Dauer
• Anlass des Kundenbesuchs




Kauf
Service/Wartung
Reklamation/Reparatur
Ergebnis (zum Beispiel Verkauf erfolgt ja/nein)
• Fragen zur Produktentwicklung





Wann und wo wird das Produkt eingesetzt?
Anregungen zur Produktoptimierung
Aufgaben des Gesprächspartners
Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners
Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen)
 Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs
angerufen werden?
• Gesprächspartner/Person
 Name
 Position
 Abteilung
• Unternehmen







Name
Branche
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
• Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat
• Sonstige Anmerkungen zum Gespräch
Anhang  359
Formblatt 6: Vertriebsagenturen
• Zum Gespräch





Name des Agenturmitarbeiters
Datum
Uhrzeit
Dauer
Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich)
• Hauptthema des Gesprächs






Angebotenes Produkt
Positiver Abschluss: ja/nein
Welche Verkaufsargumente wirkten positiv?
Welche Verkaufsargumente wirkten negativ?
Einwände des Gesprächspartners bei Nichtkauf?
Wurde ein weiterer Termin vereinbart?
• Fragen zur Produktentwicklung (je nach Gesprächsstimmung)
 Anregungen für das Unternehmen
 Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen)
 Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs
angerufen werden?
• Gesprächspartner/Person
 Name
 Position
 Abteilung
• Unternehmen








Name
Branche
Produkte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
• Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat
• Sonstige Anmerkungen zum Gespräch
360  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 7: Händler im Massengeschäft
• Allgemeine Daten
 Auswertungszeitraum
• Zwischenhändler




Name
Kontaktdaten
Branche
Ansprechpartner beim Zwischenhändler
• Informationen über Kunden





Kundenanfragen/Kundenwünsche
Gründe für Kauf/Nichtkauf
Reklamationen/Kundenäußerungen zu den Produkten
Informationen aus dem Umfeld der Kunden
Beobachtungen
• Sonstige Anmerkungen des Zwischenhändlers
Anhang  361
Formblatt 8: Messen, Kongresse und Seminare
• Formblatt ausgefüllt von
• Zur Veranstaltung











Titel
Branche
Datum
Ort
Uhrzeit
Dauer
Preis
Anzahl der Teilnehmer
Themen
Fragen der Teilnehmer
Kontrovers diskutierte Themen
• Randgespräche mit Teilnehmern beziehungsweise Besuchern







Name
Position
Abteilung
Kontaktdaten
Aufgaben des Gesprächspartners
Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners
Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen)
 Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs
angerufen werden?
 Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat
 Sonstige Anmerkungen zum Gespräch
362  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 9: Interne Auswertung von Postkorbanalysen
• Koordinator im eigenen Unternehmen
• Zeitspanne
• Wer hat gesammelt?
 Name
 Position
 Abteilung
• Unternehmen








Name
Branche
Produkte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
• Eingetroffene Produktinformationen





Anbieter 1 (gleiches gilt für beliebig viele weitere Anbieter)
Werbeform
Beworbene Produkte
Hauptwerbeargumente
Werbefrequenz
• Anregungen für die Produktentwicklung
• Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs angerufen werden?
• Persönlicher Eindruck, den der Sammler hinterlassen hat
• Sonstige Anmerkungen
• Anhang (die jeweiligen Werbeinformationen)
Anhang  363
Formblatt 10: Produktbewertung
Produkt X
Positiv
negativ
USP
Funktion
Struktur
Ansprache
Produktart
Emotion
Design
364  Praxishandbuch Produktentwicklung
Aus welchen Gründen positiv
oder
­negativ?
Ideen für
die eigene
Produktentwicklung, die
sich daraus
ergeben
Formblatt 11: »Zufällige« Gespräche
• Zum Gespräch




Gesprächsführer
Datum
Ort
Uhrzeit
• Hauptthemen des Gesprächs
 Einstiegsthema
 Weitere Themen
• Fragen zur Produktentwicklung
 Aufgaben des Gesprächspartners
 Hindernisse/Probleme des Gesprächspartners
 Aktuelle Themen im Umfeld des Gesprächspartners (Treiber/Rahmenbedingungen)
 Kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal wegen eines Marktgesprächs
angerufen werden?
• Gesprächspartner/Person
 Name
 Position
 Abteilung
• Unternehmen (zum Beispiel über Visitenkarte)








Name
Branche
Produkte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
• Persönlicher Eindruck, den der Gesprächspartner hinterlassen hat
• Sonstige Anmerkungen zum Gespräch
Anhang  365
Formblatt 12: Gesprächsprotokoll
• Vorbereitung Marktgespräch










Gesprächsserie
Anzahl der Gespräche für diese Serie
Verantwortlich für das Gespräch und die Auswertung im Unternehmen
Nach welchem Kriterium wurde der Gesprächspartner kontaktiert?
Aus welcher Quelle wurde der Gesprächspartner kontaktiert (Kundenkartei,
Adressbuch et cetera)?
Beziehung des Gesprächspartners zum Unternehmen (Stammkunde, ehemaliger Kunde, Experte et cetera)
Datum der Terminvereinbarung
Art der Terminvereinbarung
Durch wen erfolgte Terminvereinbarung?
Besonderheiten bei der Terminvereinbarung
• Zum Gespräch
 Gesprächsziel (zum Beispiel Themenrelevanz erfassen, Informationen zum










USP oder zu den Perspektiven einholen)
Erstgespräch oder Folgegespräch
Datum
Ort
Uhrzeit
Dauer
Art der Aufzeichnung
Interviewer
Assistent
Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich)
Die Höhe des Honorars für den Gesprächspartner
• Gesprächspartner











Name
Funktion
Position
Position im Organigramm (wer ist unter anderem Vorgesetzter/
Entscheider?)
Abteilung
Werdegang
Alter
Anzahl/Alter der Personen im Haushalt
Hobbys
Besitz (Eigenheim, Auto et cetera)
Weitere Anwesende
• Umfeld/Gesprächsort
366  Praxishandbuch Produktentwicklung
 Räumlichkeit
 Ausstattung
 Störungen
• Unternehmen des Gesprächspartners






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







Name
Branche
Produkte
Kundenstruktur
Vertriebswege
Position im Markt
Umsatz
Umsatzentwicklung
Anzahl Mitarbeiter/Anzahl Mitglieder im Haushalt
Standorte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
Bereits bekannte Treiber und Rahmenbedingungen in der Branche
• Sonstiges
 Persönlicher Eindruck, den der Interviewer bekommen hat
 Gesprächsatmosphäre, Reaktion des Gesprächspartners auf einzelne Fragen
 Kommentar des Interviewers
• Gesprächsinhalte (hier die einzelnen Gesprächsinhalte nach Themen sortiert eintragen)



1. Stufe: Lebenswelt
2. Stufe: jeweils allgemein oder zum Spezialthema
 Rahmenbedingungen/Treiber
 Tätigkeiten
 Aufgaben
 Probleme
 Erfolgsfaktoren
 Komplexität
3. Stufe: zu den Perspektiven
 Funktionalität
 Struktur
 Ansprache
 Medium
 Emotion
 Design
Anhang  367
• Sonstiges
• Der Gesprächspartner steht für weitere Gespräche (Nachfragen) zur Verfügung: ja/nein?
• Empfehlungen des Gesprächspartners für weitere Gespräche
368  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 13: Kriterien für den Interviewer
• Benötigte Grundeinstellung zum Thema
• Notwendige Fachkenntnisse
• Notwendige methodische Kenntnisse
• Branchenzugehörigkeit
• Weitere Kriterien (zum Beispiel Alter, Geschlecht)
Anhang  369
Checkliste 1: Quellen zu Vorabinformationen
über den Gesprächspartner
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Homepage
Prospekte
Unternehmensbroschüren
Geschäftsberichte
Branchenführer
Zeitungsartikel
Pressemitteilungen, unter anderem im Internet unter www.paperball.de,
www.paperboy.de, www.presseportal.de
Portale für Personenrecherche, unter anderem www.yasni.de,
www.123people.de, www.google.de
eigene Datenbank mit Kaufhistorie: Was hat er wann gekauft,
bezahlt beziehungsweise zurückgegeben?
Protokolle ehemaliger Gespräche (gegebenenfalls auch mit anderen
Personen aus dem Unternehmen)
Vorab-Recherche vor Ort
370  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 14: Gesprächsvorbereitung
Bei den Gesprächen ist auf Folgendes zu achten:
•
•
•
•
•
freundlicher Einstieg
Körpersprache des Gesprächspartners, nonverbale Signale beachten
Blickkontakt zum Gesprächspartner
eigene offene Gestik/Mimik
Gesprächsstruktur




»Thementöpfe« gemäß Gesprächsziel füllen
den Gesprächspartner zum Weitererzählen verleiten
aktiv zuhören
Pausen des Gesprächspartners aushalten, ohne selbst weiterzuerzählen
• Fragetechnik einsetzen
 offene Fragen
 Bestätigungsfragen et cetera
• den Gesprächspartner ausreden lassen
• die Aussagen des Gesprächspartners mehrfach zusammenfassen
• den Gesprächspartner in den Mittelpunkt stellen, ihn mehrfach mit Namen
ansprechen
• flexibles Reagieren auf die Aussagen des Gesprächspartners
• Gesprächsende
 Dank aussprechen
 fragen, ob der Gesprächspartner wieder kontaktiert werden darf
 nach Empfehlungen fragen
Anhang  371
Formblatt 15: Informationen zum Gespräch
• Vorbereitung Marktgespräch










Gesprächsserie
Anzahl der Gespräche für diese Serie
Verantwortlich für das Gespräch und die Auswertung im Unternehmen
Nach welchem Kriterium wurde der Gesprächspartner kontaktiert?
Aus welcher Quelle wurde der Gesprächspartner kontaktiert (Kundenkartei,
Adressbuch et cetera)?
Beziehung des Gesprächspartners zum Unternehmen (Stammkunde, ehemaliger Kunde et cetera)
Datum der Terminvereinbarung
Art der Terminvereinbarung
Durch wen erfolgte die Terminvereinbarung?
Besonderheiten bei der Terminvereinbarung
• Zum Gespräch
 Art des Gesprächs (telefonisch, persönlich)
 Gesprächsziel (zum Beispiel Themenrelevanz erfassen, Informationen zum









USP oder zu den Perspektiven einholen)
Erstgespräch oder Folgegespräch?
Datum
Ort
Uhrzeit
Dauer
Art der Aufzeichnung
Interviewer
Assistent
Höhe des Honorars für den Gesprächspartner
• Gesprächspartner










Name
Funktion
Position
Position im Organigramm (wer ist unter anderem Vorgesetzter/
Entscheider?)
Abteilung
Werdegang
Alter
Hobbys
Besitz (Eigenheim, Auto et cetera)
Weitere Anwesende
• Umfeld/Gesprächsort
 Räumlichkeit
372  Praxishandbuch Produktentwicklung
 Ausstattung
 Störungen
• Unternehmen
















Name
Branche
Produkte
Kundenstruktur
Vertriebswege
Position im Markt
Umsatz
Umsatzentwicklung
Anzahl Mitarbeiter/Anzahl Mitglieder im Haushalt
Standorte
Anschrift
Telefonnummer
Faxnummer
E-Mail-Adresse
Homepage
Bereits bekannte Treiber und Rahmenbedingungen in der Branche
Anhang  373
374  Praxishandbuch Produktentwicklung
Neukunden
5
Homogenität
des Marktsegments
prüfen
Im eigenen
Unternehmen
(Büro)
Fragebogen
Schriftlich
Brief
Wen
Anzahl
Gespräche
Ziel (was ist
in Erfahrung
zu bringen?)
Ort
Methode
Medium
(womit?)
(bitte hier Ihre Kundensegmente eintragen)
Kunden­
segment
Produktneugestaltung
X Wochen
nachdem
Kunde das
Produkt
erhalten hat
Auf Messen/
Kongressen
Treiber und
Rahmenbedingungen
erfahren
15
Schriftlich
Online
25
Neutraler Ort
Telefonisch
Beobachtung/ Experiment
Praktikum
Beim
Gesprächspartner
USP-Idee
Tätigkeiten,
Aufgaben, Pro- auf Relevanz
bleme, Erfolgs- prüfen
faktoren, Komplexität zur
Ableitung des
USP erfahren
20
Schriftlich auf Schriftlich als
Homepage
Beilage (zur
Lieferung, zur
Rechnung, in
Zeitschrift)
Einzelgespräch Gruppendiskussion
Im eigenen
Unternehmen
(Verkäufsräume)
In die Lebenswelt eintauchen, Werte
und Ähnliches
erfahren
10
Beschwerer
Stammkunden Gelegenheits- Ehemalige
kunden
Kunden, Rücksender
Laufende
Optimierung
Neuprodukt
Zeitpunkt
Beta-Test
Lösungsvarianten
Merkmale
Persönlich
Stammtisch
Informationen
für die Perspektiven
einholen
30
Nichtkunden
Tabelle 7: Varianten der Informationsbeschaffung
Rückkehrer
Konzept/Idee
Sonstige
Informationen prüfen
zum Kunden
(Kaufverhalten,
Produktnutzunget cetera)
erfahren
Wechselkunden
Zufriedenheit
und Nutzung
von bestehenden Produkten
erfahren
Kunden der
Konkurrenz
Grund für
Rückgabe
beziehungsweise
Kündigung
erfahren
Kunden ande- Multiplikato- Händler
rer Branchen ren/Empfehler/
Entscheider
Zulieferer
Anhang  375
Aus eigenem
Unternehmen
Nur schriftlich, Nur schriftlich, Nur schriftlich, Schriftlich und Schriftlich und Schriftlich,
Kamera
Audio und
mit Moderati- Audio
Notationslineare AufKamera
onskarten
technik
zeichnung
Interviewer
Aufzeich­
nungsart
Aus Agentur
Panel
Erstgespräch
Häufigkeit
Mehrfachkontakt
Zusatzbestandteile
Hauptprodukt
Was
Zusatzprodukte
Nein
Befragendes Ja
Unternehmen
ist dem
Gesprächs­
partner
bekannt
376  Praxishandbuch Produktentwicklung
X
X
X
X
X
X
Gruppen­
diskussion
X
X
X
X
Stammtisch
X
X
X
X
X
Konzept/Idee
prüfen
Praktikum/
Beobachtung
(X)
X
Sonstige
Informationen
zum Kunden
(Kaufverhalten,
Produktnut­
zung et cetera)
erfahren
(X)
(X)
X
Informationen
für die Perspek­
tiven erfahren
(X)
X
X
USP-Idee auf
Relevanz prüfen
Fragebogen
(persönlich oder
schriftlich)
X
Treiber, Rah­
menbedingun­
gen, Tätigkeiten,
Aufgaben,
Probleme,
Erfolgsfaktoren,
Komplexität
erfahren
(X)
X
Werte erfahren
X
Telefonisch
Einzelgespräch
Marktsegmen­
tierung
X
X
(X)
X
X
Zufriedenheit
und Nutzung von
bestehenden
Produkten
erfahren (zur
Produktoptimie­
rung)
Tabelle 8: Vergleich der sechs wichtigsten Methoden zur Informationsbeschaffung
X
Grund für Rück­
sendung bzw.
Kündigung
erfahren
Tabelle 10: Optimaler Gesprächsablauf
Voll umgesetzt
Teilweise
umgesetzt
Nicht umgesetzt
Es werden nur wenig Fragen gestellt
Der Gesprächspartner bestimmt die
nächste Frage des Interviewers
Den Gesprächspartner in Erlebnisse
zurückversetzen
Es wird gut zugehört
Der Gesprächspartner wird in den
Mittelpunkt gestellt
Die Fragen sind verständlich
Bei Unverständnis wird nachgefragt
Nach den Fragen ist auf die
­ ntworten des Gesprächspartners
A
zu warten und keine Äußerungen
­nachzuschieben
Heikle Themen sind zu neutralisieren
Den Gesprächspartner ausreden
lassen
Der Gesprächspartner wird mit
Namen angeredet
Es werden überwiegend offene
­Fragen gestellt
Es werden die Ausführungen des
Gesprächspartners zwischendurch
zusammengefasst
Echotechnik wird eingesetzt
Es werden Gesprächsbrücken
­eingesetzt
Pausen werden ausgehalten
Worte persönlicher Anerkennung
fließen mit ein
Blickkontakt wird gehalten
Anhang  377
Positive Gestik und Mimik
Distanzzone wird eingehalten
Eigenes Wissen wird zurückgehalten
Es wird sich dem Gesprächspartner
angepasst
Wahrnehmung, Interpretation und
Bewertung werden getrennt
Der Gesprächspartner bleibt beim
vorgesehenen Thema
Eine Gesprächstiefe wird erreicht
Es wird positiv formuliert
Es wird dem Gesprächspartner
immer Recht gegeben
Negative Begriffe und Minusformulierungen werden vermieden
Das eigene Wissen wird für sich
behalten
Die Ausführungen des Gesprächspartners werden nicht bewertet
Bei nicht eindeutigen Ausführungen
wird nachgefragt
Fließende Themenwechsel wurden
erreicht
Über Dritte wird nur positiv
­gesprochen
Informationen vorheriger Gespräche
behält der Interviewer für sich
378  Praxishandbuch Produktentwicklung
Checkliste 2: Vorbereitung Gruppendiskussion
Was?
Wer ist
zuständig?
Bis wann zu
erledigen?
Erledigt
Vorbereitung
Marktsegment der Teilnehmer
wählen
Potenzielle Teilnehmer auflisten
Moderator und Assistent bestimmen
Termin festlegen
Raum buchen
Raumausstattung bestellen
Themen und Ablauf festlegen
Moderationskarten erstellen
Teilnehmer einladen
Bestätigungsbrief versenden
Erinnerungsbrief versenden
Erinnerungsanruf tätigen
Aufgabenverteilung zwischen
Moderator und Assistent festlegen
Benötigte Utensilien zusammentragen
Teilnehmerliste und Namensschilder
erstellen
Vorbereitung vor Ort
Ausrüstung (Flipchart, Pinnwände,
Inhalte des Moderatorenkoffers,
Leinwand, Aufzeichnungsgeräte)
testen
Raum gestalten (Tische, Stühle,
Hilfsmittel)
Bandgerät und Kamera vorab testen
und vor Eintreffen der ersten Teilnehmer einschalten
Anhang  379
Nach der Veranstaltung
Kurzauswertung direkt nach der
Gruppendiskussion
Dankesbrief und Fragebogen an die
Teilnehmer versenden
Telefonisch bei Teilnehmern bezüglich des Fragebogens nachfragen
Transkript erstellen lassen
Auswertung des Transkripts und der
Originalaufzeichnungen
380  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 16: Feedbackfragen
Frage 1: Wie war Ihr Eindruck von der Veranstaltung?
Frage 2: Was hat Ihnen gefallen?
Frage 3: Was hat Ihnen nicht gefallen?
Frage 4: Wie interessant war das Thema für Sie?
Frage 5: Wie empfanden Sie die Moderation?
Frage 6: W
ie bewerten Sie die Organisation mit den Räumlichkeiten und der
Bewirtung?
Frage 7: Was können wir in späteren Diskussionsrunden verbessern?
Frage 8: Hätten Sie Interesse, noch einmal an einer Gruppendiskussion teilzunehmen?
Stellen Sie anschließend einige Fragen zum Geschenk, sofern es ein Produkt
aus dem eigenen Haus war.
Anhang  381
Formblatt 17: Kurzauswertung
• Inhalt kurz zusammengefasst
• Organisatorisch
 Was lief gut?
 Was ist beim nächsten Gespräch zu optimieren?
• Methodisch




Der Gesprächspartner war offen
Der Gesprächspartner hat die Fragen verstanden
Es mussten seitens des Interviewers nur wenige Fragen gestellt werden
Zu welchem Zeitpunkt war der Gesprächsfluss gut und wodurch wurde dieses gefördert?
 Zu welchem Zeitpunkt stockte der Gesprächsfluss? Was hat dazu geführt?
 Wo hat der Interviewer durch seine Äußerungen (verbal und nonverbal) zu
sehr das Gespräch beeinflusst?
382  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 18: Auswertung Lebenswelt und Tätigkeiten
bis Komplexität
Aussagen
Gesprächspartner 1
Aussagen
Gesprächspartner 2
…
Zusammen­fassung
USPAnsatz
Lebenswelt
Tätigkeiten
Aufgaben
Probleme
Erfolgsfaktoren
Komplexität
Anhang  383
Formblatt 19: Perspektiven
Aussagen
Gesprächspartner 1
Aussagen
Gesprächspartner 2
…
Funktion
Struktur
Ansprache
Produktart
Emotion
Design
384  Praxishandbuch Produktentwicklung
Zusammen­fassung
Produkt­
ansätze
Formblatt 20: Patenschaft
Unternehmen
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Name
Anschrift
Telefonnummer
Fax-Nummer
E-Mail-Adresse
Homepage
Eigentümer
Betreibermotiv/Unternehmensziel
Branche
Produkte
Image
Stärken
Schwächen
Marktanteil
Werbestrategie/Werbewege
Vertriebswege
Preisstrategie




•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Preis
Rabatte/Sonderpreise
Händlerkonditionen
Zahlungsbedingungen
Bilanz
Umsatz
Wareneinsatz absolut und in Prozent
Geschäftsergebnis
Anzahl der Mitarbeiter
Mitarbeiter in den Schlüsselpositionen
Wege der Produktentwicklung
Lieferanten (inklusive deren Konditionen)
Zwischenhändler
Mögliche Bestellwege (persönlich, telefonisch, Internet et cetera)
Bestelltes Produkt 1
• Zur Bestellung
 Welche Kundendaten werden eingefordert?
 Gewählter Bestellweg
• Zum Produkt (Beschreibung)
 USP
 Funktionen
Anhang  385






Struktur
Ansprache
Produktart
Emotion
Design
Preis
• Zur Lieferung





Lieferzeit
Anschreiben bei der Lieferung: ja/nein?
Rechnungsform
Worüber geliefert (Post, UPS et cetera)?
Kostenlose Beigaben (lag der Lieferung etwas bei?)
• Servicetest
 War die Beratung fachkundig?
 Reklamationsverhalten (etwas reklamieren und prüfen, wie reagiert wird)
 Frage nach Rabatten (wie wird seitens des Anbieters darauf reagiert?)
Bestelltes Produkt 2
• …
386  Praxishandbuch Produktentwicklung
Formblatt 21: Produktkonzept
1.Die Produktidee
2.Der Produktlebenszyklus
3.Der Hauptkunde
3.1 Zur Person
• Größe der Kundengruppe
• Adressenpotenzial/Zugang zu den Adressen
• Erreichbarkeit mit Werbung, Produktpräsentation und Lieferung
• Fluktuation innerhalb der Gruppe
• Personenbeschreibung
o Alter
o Geschlecht
o Sprache
o Nationalität
o … (andere Parameter, die für die jeweilige Produktidee von Bedeutung sind)
• Berufliches Umfeld
o Betrieb/Arbeitgeber
– Branche/Wirtschaftszweig
– Beschäftigungszahl
– Umsatzgröße
– Ort
– Rechtsform
o Beschäftigung
– Art der Beschäftigung: angestellt, selbständig
– Abteilung
– Funktion
– Position im Organigramm
– Status
– Kaufkraft/Entscheidungsrahmen
– Erlernter Beruf/Ausbildung, Wissensstand, Qualifikation
– Fähigkeiten/Kenntnisse
– Befugnisse/Entscheidungsraum
o Ausstattung
– Einrichtung
–Hard- und Software
• Privates Umfeld
o Familienstand
o Unterbringung/wohnhaft
–
–
–
–
rt: Großstadt, Kleinstadt, ländlicher Raum
O
Art: Haus, Wohnung
Wohnfläche
Besitzverhältnis: eigen, gemietet, gepachtet
Anhang  387
– Ausstattung/Einrichtung
o Einkommen
o Verfügbares Guthaben
o Art der Investition
o Besitz
o Kaufkraft, finanzielle Möglichkeiten
o Wissensstand/Fertigkeiten
o Status, Zugehörigkeit zu Gruppen
o Statussymbole
o Aufenthaltsorte
o Technische Ausstattung
o Mitgliedschaften
• Rolle des Hauptkunden im Entscheidungsprozess. Wer ist
o Zahler
o Entscheider
o Nutzer
o Empfehler
o Zwischenhändler
3.2 Die Lebenswelt des Hauptkunden
• Werte, Grundmotive, Faszination, Leidenschaft, Denkmuster, Grundhaltungen (innovativ, konservativ), was sie achten/bewundern
• Innovationsfreudigkeit/Veränderungsfreudigkeit/Traditionsbewusstsein
• Wie sehen sich die Kunden selbst? Wie wollen sie gesehen werden? Wie ist
das sich selbst gegebene Image?
• Glaubenssätze
• Emotionen/Befindlichkeiten
• Prägungen (Kindheit, Umfeld, Ereignisse)
• Empfindungen/Gefühle
• Politische Einstellung
3.3 Die Rahmenbedingungen/Treiber im Umfeld der Hauptkunden
• Staat/Politik
• Rechtlicher Rahmen
o Was?
o Welche Konsequenzen?
o Kurzfristig oder langfristig?
o Zunehmend oder abnehmend?
• Zur Verfügung stehende Ausstattung
• Konkurrenz
o Was?
o Welche Konsequenzen?
o Kurzfristig oder langfristig?
o Zunehmend oder abnehmend?
• Trends/Moden
388  Praxishandbuch Produktentwicklung
3.4 Tätigkeiten (je nach Produkt im beruflichen oder privaten Rahmen)
• Arbeitsabläufe/Tagesabläufe
• Lebensweisen/Lebensstile/Gewohnheiten
• Arbeitsweisen/Arbeitsstile
• Aufenthaltsorte
• Was wird gerne/nicht gerne gemacht?
• Kontaktpersonen und das Verhältnis zu ihnen
• Was wird gelesen?
• Freizeitverhalten
• Arbeitsmethoden/Arbeitstechniken
• Technikverhalten
• Gewohnheiten
• Was ist eingefahren (kann nicht geändert werden)?
• Wettbewerbsprodukte werden wie genutzt?
• Wie leben Ihre Kunden? Wie sieht der Alltag aus?
• Wie wird sich der Alltag der Kunden verändern?
• Beschaffungsverhalten/Kaufverhalten von Produkten
o Welche Produkte werden üblicherweise erworben und eingesetzt?
o Welche Marken werden verwendet? Welche Marken sind angesagt und aus
welchen Gründen angesagt?
o Motive für den Kauf (»nice to have« vs. »must to have«)
o Wofür wird wie viel Geld ausgegeben?
o Preisgrenzen
o Kaufzeitpunkte
o Kaufmenge, Kaufzyklus
• Kaufverhalten
o Beschaffungswege/Kaufvorlieben (Versand, Einzelhandel, telefonisch, Internet)
o Zahlungsmoral
o Preissensibilität, Preisgrenzen
• Nutzungsverhalten von Produkten
o Mit welchem Ziel genutzt?
o In welchen Situationen eingesetzt?
o Welche alternativen Lösungen stehen zur Verfügung?
o Welche alternativen Lösungen werden genutzt?
o Wie wird es genutzt?
o Bei welchen Tätigkeiten/Anforderungen werden die Produkte eingesetzt?
o Nutzungsanlass
o Nutzungshäufigkeit
o Nutzungsintensität (nebenbei oder intensiv)
o Nutzungsort
o Bevorzugtes Lösungsverhalten
o Vorgehensweise bei der Nutzung
Anhang  389
3.5 Die Aufgaben (teilweise Überschneidungen zu Tätigkeiten)
• Was muss getan werden?
• Über- und Unterforderungen
• Befugnisse
• Verantwortung
• Haftung
• Gewohnheiten
3.6 Die Probleme/Erfolgsfaktoren
• Herausforderungen/Probleme (in der Reihenfolge der Bedeutung)
• Zwänge/Ängste
• Unzufriedenheit
• Freude/Ärger
• Lust/Unlust
• Überforderungen/Unterforderungen
• Feinde/Freunde
• Leidensdruck
• Woran misst sich der Kunde?
• Woran wird der Kunde von Anderen gemessen/beurteilt?
• Welche Probleme treten auf?
• Wie oft tritt das Problem auf?
• Wie tritt das Problem auf (plötzlich oder planbar)?
• Wo tritt das Problem auf?
• Mit was wird das Problem bis jetzt gelöst?
• Wie wird das Problem bis jetzt gelöst?
• Wozu werden welche Lösungen benötigt?
• Was darf auf keinen Fall passieren?
• Folgen bei keiner Lösung des Problems
3.7 Die Wünsche/Interessen (materiell und emotional)
• Sehnsüchte
• Träume
• Ziele (materiell und immateriell; jeweils Reihenfolge listen)
3.8 Die Komplexität
• Was löst der Kunde allein?
• Was kann der Kunde allein lösen?
• Welche Hilfe holt er hinzu?
3.9 Der typische Kunde
3.10 Veränderungen im Umfeld der Kunden im nächsten Jahr und in den
nächsten drei Jahren für die Hauptkunden
390  Praxishandbuch Produktentwicklung
4. Die Beschreibung des neuen Produktes
4.1 USP, zusätzliche Nutzenargumente und Produkteigenschaften
• USP
• Drei weitere Nutzenargumente
• Funktionen
• Struktur
• Ansprache
• Produktart
• Emotion
• Design
• Preis/Kondition:
•
•
•
o Wie viel erhält der Kunde wofür?
o Einheit der Preisangabe (brutto oder netto)
o Preismodelle
o Kombipreis/Paketpreis
o Konditionen für Mittler, Empfehler et cetera
o Subskriptionspreis/Einstiegspreis
o Preis je Stück, Zeitraummiete, Preis nach Zeitspanne der Nutzung
Garantieleistungen
Formen des Rückgaberechts
Wie kommt der Kauf zustande (telefonisch, schriftlich)?
4.2 Die entscheidende »Killerfrage«
»Und warum soll ich das jetzt kaufen?« bzw. »Aus welchen Gründen soll der
Kunde das Produkt kaufen?«
Nachfolgende vier Fragen ergänzen die Killer-Frage:
•
•
•
•
Welchen herausragenden Nutzen leistet das Produkt?
Was ist der herausragende Vorteil, den andere Produkte nicht leisten?
Was behaupten die Wettbewerber von ihren Produkten?
Wie können wir die Vorteile des eigenen Produkts den Kunden beweisen?
5. Die Werbung
• Produktname, Serienname/Dachmarke
• Slogan, Werbeargumente (Nutzen je Perspektive auflisten. Es ist später zu
entscheiden, welche Argumente verwendet werden)
• Latente/typische Fragen der Kunden auflisten und diese in der Werbung
beantworten
• Wer sind die »trusted advisors«?
• Werbung
o Adressat der Werbung (Nutzer/Entscheider/Zahler/Zwischenhändler: meist
jeweils unterschiedliche Ansprachen notwendig)
Anhang  391
o Werbewege
o Werbeträger
o Werbezyklus
o Werbezeitpunkt
o Werbeansprache (rational oder emotional)
6. Die Logistik / Distribution
•
•
•
•
•
•
Vertriebswege
Einmalig oder laufende Lieferung
Lieferinhalt
Rechnungsstellung/Bezahlung
Bezahlungswege
Platzierung des Produkts. Bei welchem Händler ist das Produkt im Angebot?
7. Die Mitbewerber
Eigen­
schaften
Produk­t­
idee
Mit­
bewerber 1
Mit­
bewerber 2
USP
Hauptnutzen 1 – 3
Funktion
Struktur
Ansprache
Produktart
Emotion
Design
Preis
Vertriebswege
8. Die Kalkulation
9. Der Terminplan
10. Anhang
10.1 Marktsegmentierung
10.2 Marktgespräche
10.3 Patenschaften
392  Praxishandbuch Produktentwicklung
…
Vergleich
Formblatt 22: Prozessmusterwechsel
Ansätze zum Prozessmusterwechsel:
• Eigene Regeln aufstellen:
o Regeln des Preises
o Regeln der Versandform
o Regeln der sechs Perspektiven eines erfolgreichen Produkts
(Funktionen, Struktur, Ansprache, Produktart, Emotion, Design)
• Prozessmusterwechsel frühzeitig angehen
• Das Alte »zerstören«
• Spielregeln und Unterscheidungsmerkmale aus anderen Branchen suchen
und bezüglich der Übernahme prüfen
• Bestehendes mit Bestehendem verbinden
• Neue Märkte für bestehende Produkte suchen
• Bedürfnisse befriedigen, wo der Kunden noch gar nicht wusste, dass er sie
hat
• Lösungen liefern, an die der Kunde im Traum nicht gedacht hatte, dass
diese erfüllt werden können
• Ansätze sind auch bei bestehenden Produkten möglich:
o Eigenschaften ersetzen
o Übertreiben
o Umdrehen
o Kombinieren
o Eliminieren
o Reduzieren
o Neue Verfahren
• Die eigenen und die Branchen-Regeln hierzu kritisch hinterfragen:
o Wer hat die Regeln aufgestellt?
o Sind die Regeln immer gültig?
o Gelten diese Regeln auch in allen anderen Branchen? Welche Regeln gelten
dort?
o Dienen die Regeln wirklich den Kunden?
o Haben Entscheidungen im Unternehmen dazu beigetragen, dass diese
Regeln immer wieder bestätigt wurden und nur deshalb als unumstößlich
gelten?
• Die Fragen für Prozessmusterwechsel:
o Was ist das Problem der Kunden?
o Wie wird das Problem in der eigenen Branche zum jetzigen Zeitpunkt gelöst?
o In welcher Branche haben die Kunden ein vergleichbares Problem?
o Wie hat die Branche das Problem der Kunden gelöst? Aus welchen Gründen
funktioniert es hier?
o Wie können Sie diese Problemlösung auf Ihr Angebot übertragen?
Anhang  393
Formblatt 23: Best Practice, Prozessmusterwechsel
und Reduktion der Komplexität entlang der gesamten
Wertschöpfungskette
• Werbung
• Beratung
• Angebotspräsentation
o Einzelhandel, Internet, Messen/Veranstaltungen, privat
o Wie ist der Weg zum Geschäft?
o Wie werden das Unternehmen und die Produkte präsentiert?
o Passt die Präsentation zum Produkt?
o Öffnungszeiten
o Ort
• Bestellwege
o Brief, telefonisch, persönlich, Fax, Mail, Homepage
• Auswahl
• Kauf/Bestellung
o Wie sieht das Angebot aus?
o Wodurch fühlt sich der Kunde nach der Bestellung besser?
•
•
•
•
•
Auftragsbestätigung
Probenutzung/Produkttext
Rückgaberecht
Rechnung
Bezahlung
o Zahlungsbedingungen: Einmalzahlung, Ratenzahlung, Leasing/Miete
o Zeitpunkt der Bezahlung: Vorkasse, bei Lieferung, X Tage nach Lieferung
o Bezahlungswege: Kreditkarte, Abbuchung, Überweisung, per Nachname,
Rechnung, Internet (z.B. Paypal)
• Wartezeit
o Schnelligkeit der Lieferung
o Gegebenenfalls künstliche Wartezeiten
• Produkt
o Funktion
o Struktur
o Ansprache
o Produktart
o Emotion
o Design
• Zusatzleistungen
• Preis
o Preisvarianten
o Preismodelle
• Lieferung/Übergabe
o Lieferart
394  Praxishandbuch Produktentwicklung
o Lieferzeitpunkt
o Neue Vertriebswege
o Erklärung des Produktes bei Lieferung
•
•
•
•
Installation/Endmontage
Mahnwesen
Garantie
Service
o Wie ist die Erreichbarkeit des Kundenservice?
o Werden bei jedem Kontakt den Kunden Fragen zur Nutzung und weiteren
Bedürfnissen gestellt?
o Wo sind die Kontaktmöglichkeiten veröffentlicht?
o Was beinhaltet der Service
o Kosten für Telefonservice
o Kundenkarte
o Schulungen der Kunden
• Wartung/Reparatur/Schadensfall
o Ist zum Beispiel auch eine fehlerhafte Bedienung durch den Kunden versichert?
o Verhalten bei Beschwerden (Kulanz)
o Reaktionszeit
o Dauer bis Reparatur erfolgt
o Austauschgerät innerhalb von X Stunden/Minuten
• Update
o Sind Aktualisierungen des Produktes inbegriffen?
• Entsorgung
o Wird das Produkt zur Entsorgung abgeholt?
o Kostenfreie Entsorgung durch den Hersteller?
Anhang  395
Formblatt 24: Umsetzung bei den eigenen Produkten
Machen Sie aus Ihren nutzwertigen Produkten ein Erlebnis und eine Traumerfüllung, indem Sie
1. die emotionalen Treiber bei Ihren Kunden herausfinden;
2. eine Liste erstellen, welche Emotionen ausgelöst werden sollen, welche
Träume geweckt und erfüllt werden;
3. ein Team zusammenstellen, das für die Einbettung von Emotionen und
Träume zuständig ist;
4. das Produkt mit Emotionen aufladen, die die Kunden ins Herz treffen und
träumen lassen;
5. überlegen, ob das Produkt limitiert ist oder eine Wartezeit für den Kunden
angesetzt wird;
6. mit den Produkten Bilder und Filme in den Vorstellungen Ihrer Kunden
erzeugen;
7. noch etwas Elfenstaub auf das Produkt verstreuen;
8. neben dem USP auch den ESP festlegen;
9. die Werbung auf den Traum und die Emotionen der Kunden ausrichten;
10. die Marke um den Traum gestalten, nicht um das Produkt;
11. nicht ruhen, bevor nicht mindestens die Hauptprodukte auf der obersten
Stufe der Wertschöpfungspyramide stehen.
396  Praxishandbuch Produktentwicklung
Geistreiches und Zitiertes zu den Kapiteln
des Buches
Zu Kapitel 2: Das ist tuwun®
»Der Kunde kommt nicht zu Ihnen, wenn Sie nicht vorher zu ihm gehen.«
Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde
»Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ist es möglich, durch die Kontrolle von Wissen märchenhaft reich zu werden.«
Bill Gates
»Das Geheimnis des Erfolgs ist, den Standpunkt des anderen zu verstehen.«
Henry Ford
»Das Zuhören ist der unerlässliche erste Schritt, um Zugang zum Kunden zu
finden. Voraussetzung für den geschäftlichen Erfolg ist die Entdeckung der
Bedürfnisse und der individuellen Situation jedes einzelnen Kunden. Es gibt verblüffende Parallelen zwischen einer Kundenbeziehung und einer romantischen
Beziehung: In beiden Fällen geht es darum, die Wünsche einer anderen Person
zu verstehen.«
Joseph A. Michelli in Das Starbucks-Geheimnis
»Das Zuhören ist nur ein Teil der Bemühung, Zugang zum Kunden zu finden.
Ein Unternehmen muss auch die einzigartigen Bedürfnisse jedes einzelnen Kunden verstehen, um anschließend einen Weg zur Erfüllung dieser Bedürfnisse zu
finden.«
Joseph A. Michelli in Das Starbucks-Geheimnis
»Wissen ist Macht.«
Francis Bacon
»Echter Dialog bringt oft mehr als Marktforschung.«
Hannes Kunz in Beziehungsmanagement
»Um zu überleben und Erfolg zu haben, müssen Sie sich mit der tödlichsten
aller Waffen ausstatten: Wissen.«
Jonas Ridderstråle und Kjell A. Nordström in Funky Business forever
»Wissen über die Kunden ist die Währung, die alle anderen sticht.«
Christopher Vollmer und Geoffrey Precourt in Always On
Anhang  397
»Sie wollen interessant sein? Seien Sie interessiert.«
Paul Arden in Egal, was Du denkst, denk das Gegenteil
»You can make more friends in two month by becoming interested in other
people than you can in two years by trying to get other people interested in
you.«
Dale Carnegie
»›Das war ein gutes Gespräch‹, sagt immer der, der am meisten geredet hat.«
Peter Hohl
»Du musst nicht alles wissen, aber du musst wissen, wer es weiß.«
Henry Ford
»Ein Weiser gibt nicht die richtigen Antworten, sondern er stellt die richtigen
Fragen.«
Claude Levi-Strauss
»Wenn ich am Ende des Tages nicht mehr weiß als beim Aufstehen, dann frage
ich mich: Was habe ich heute versäumt? Werde ich faul? Ich bin ein disziplinierter Mensch, daher bringt mich schon allein der Gedanke in Rage.«
Donald Trump in Trump. Wie man reich wird
»Wer nicht ständig im Gespräch mit dem Kunden ist, hat am Markt bald nichts
mehr zu sagen.«
Horst Skoludek
»Es geht längst nicht mehr darum, den Kunden zuzuhören. Es geht darum, die
Kunden auf den Fahrersitz zu setzen … und ihnen die Autoschlüssel zu geben.«
Tom Peters in Der Innovationskreis
»Soft-buying statt Hard-selling.«
unbekannt
»Vergessen Sie nie, dass die Einbeziehung Ihrer Kunden als ›Mit-Entwicklerinnen, Mit-Begründerinnen‹ das Klügste ist, was Sie tun können.«
Faith Popcorn in EVAlution
»Unsere besten Gedanken liefern uns die anderen.«
Ralpf W. Emerson
398  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Der Analyst/Problemlöser, der fest entschlossen ist, ständig direkten Kontakt
zu den Leuten der vordersten Linie zu halten, ist der Konkurrenz stets zehn
volle Schritte voraus.«
Tom Peters in Top 50 – Selbstmanagement
»Wie man seine Kunden verstehen lernt. 1. Geheimnis: Listen to the customers.
2. Geheimnis: Listen to the customers. 3. Geheimnis: Listen to the customers.«
Feargal Quinn
Zu Kapitel 3: Grenzen von tuwun®
»Der Blick in den Rückspiegel ist kein Navigationssystem.«
Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde
»Am meisten Geld verdienen wir mit Geschäftsideen, die der Kunde braucht,
aber von denen er noch nicht weiß, dass es sie gibt.«
Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde
»Unsere Aufgabe ist es, dem Kunden innerhalb des Zeit- und Kostenrahmens nicht das zu geben, was er will, sondern etwas, wovon er niemals auch
nur geträumt hätte, es überhaupt zu wollen. Und wenn er es dann bekommt,
erkennt er es als das, was er eigentlich schon immer wollte.«
Sir Denys Lasdun
»If I had asked customer what they wanted they have told me they want faster
horses.«
Henry Ford
Zu Kapitel 4: Dann ist tuwun® einzusetzen
»Auf den Datenautobahnen der Wissensgesellschaft gibt es keine Parkplätze
mehr. Nur noch Schrottplätze für die Gewissheiten von gestern.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich
»Ein Marktführer muss lernen, die Innovation zur Routine zu machen.«
Philip Kotler
»Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er
nimmt jedes Mal Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die
alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.«
George Bernard Shaw
Anhang  399
Zu Kapitel 5: Methoden der Informationsbeschaffung
»Lieber den Kunden kennen, als die Studien über die Kunden.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich
»Beurteile die Menschen nicht nach dem, was sie reden, sondern nach dem, was
sie tun. Aber wähle für deine Beobachtung solche Augenblicke, in welchen sie
von dir unbemerkt zu sein glauben.«
Freiherr von Knigge
»Die beste Weise, Fische zu beobachten, besteht darin, selbst zum Fisch zu
werden.«
Jacques-Yves Cousteau
»Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann sind es Urteile von der Tribüne aus,
man muss schon selbst in den Ring steigen.«
Luca di Montezemolo
»Die besten Ideen kommen mir, wenn ich mir vorstelle, ich bin mein eigener
Kunde.«
Charles Lazarus
Zu Kapitel 9: Die sieben Bestandteile eines erfolgreichen Produkts
»… dass die meisten Leser nicht durch den angebotenen Inhalt, sondern durch
den Titel eines Buches zum Kauf veranlasst werden. Und seien Sie ehrlich:
Hätten Sie dieses Buch gekauft, wenn es statt ›Denke nach und werden reich‹
›Lebensansichten eines alten Virginiers‹ geheißen hätte?«
Napoleon Hill in Denke nach und werde reich
»Me too = me dead.«
Tom Peters
»Perfektion ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann.«
Antoine de Saint-Exupéry
»If you can’t write your idea on the back of my calling card, you don’t have a
clear idea.«
David Belasco
400  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Der beste Weg, sich einen Platz im Verbraucherbewusstsein, das etwas gegen
komplizierte Dinge und gegen Chaos hat, zu sichern, besteht darin, die Botschaft extrem zu vereinfachen.«
Jack Trout in Differenzieren oder verlieren
»Wenn es nichts Besonderes und Außergewöhnliches gibt an deiner Arbeitsleistung, wird es künftig sehr schwer sein, beachtet zu werden und daher auch sehr
schwer werden, für etwas bezahlt zu werden.«
Karl Pilsl in Die 10 Haupttrends
der aus den USA kommenden Wirtschaftsrevolution
»Bei Immobilien geht es um die Lage, die Lage und noch einmal die Lage. Im
Verkauf geht es um Differenzierung, um Differenzierung und noch einmal um
Differenzierung.«
Robert Goizuete
Zu Kapitel 10: Die Fragetechnik
»Jedes überflüssige Wort wirkt seinem Zweck gerade entgegen.«
Schopenhauer
»Der kluge Fragetechniker bestimmt die Bilder, die das Denken des Kunden
jetzt steuern.«
Vera F. Birkenbihl in Fragetechnik schnell trainiert
»Es ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit: Reden ist billig, weil das Angebot sehr
viel größer ist als die Nachfrage. Je weniger Sie sagen, desto besser werden sich
Ihre Zuhörer daran erinnern.«
Robert Mayer in Der Verhandlungskünstler
»Wer sich des Fragens schämt, der schämt sich des Lernens.«
Christoph Lehmann
»Die häufigsten Fehler im Management entstehen dadurch, dass man sich zu
sehr damit beschäftigt, die richtigen Antworten zu finden, statt nach den richtigen Fragen zu suchen.«
Peter F. Drucker
»Wer neue Antworten will, muss neue Fragen stellen.«
Sir Peter Ustinov
Anhang  401
Zu Kapitel 12: Die Marktsegmentierung
»Das Kerngeschäft jedes erfolgreichen Unternehmens ist der Mensch.«
Edgar K. Geffroy in Schneller als der Kunde
»Zielgruppen sind Menschen mit gleichen Wünschen, Problemen und Bedürfnissen.«
Kerstin Friedrich in Empfehlungsmarketing
»Geografie und Absatzvolumen waren vielleicht früher einmal nützliche Platzhalter für Kundenpräferenzen und Zahlungsbereitschaft, doch wir mussten
allzu häufig feststellen, dass dieser Zusammenhang schon lange nicht mehr
existiert.«
Hermann Simon in Der gewinnorientierte Manager
»In den letzten Jahren führten 90 Prozent meiner Verkaufsgespräche zu
Abschlüssen. Und keiner der dafür ausschlaggebenden Gründe spielte eine solch
große Rolle wie mein Wissen, dass es keine Unternehmen gibt, sondern nur
Menschen.«
Bob Fifer in Was zählt ist der Gewinn
Zu Kapitel 15: Die Auswahl der Interviewer
»Wir könnten viel gewinnen, wenn wir jeden Morgen Gott bitten würden: Hilf
mir, dass ich den Mund halte, bis ich alles Nötige erfahren habe.«
amerikanischer Versicherungsmakler zum Thema Zuhören
»Jedes Zeichen von Schwäche ist ein Zeichen von Stärke.«
Rolf H. Ruhleder
»Unwissenheit ist besser als Wissen.«
Paul Arden in Egal, was Du denkst, denk das Gegenteil
»Es sind schon mehr Personen über ihre Zunge gefallen als über ihre Füße.«
unbekannt
»Ich bin viel zu bescheiden. Nur außer mir weiß es keiner.«
unbekannt
402  Praxishandbuch Produktentwicklung
Kapitel 17: Die Gesprächsvorbereitung
»Man muss wissen, was man wissen will und was man mit dem Wissen anstellen will.«
Holger Jung und Jean-Remy von Matt in Momentum
Zu Kapitel 18: Der Einstieg in ein persönliches Marktgespräch
»Der erste Eindruck ist entscheidend – und der letzte bleibt.«
unbekannt
»Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.«
unbekannt
»Wie Sie starten, so liegen Sie im Rennen.«
unbekannt
»Des Menschen Wunsch nach Anerkennung ist grenzenlos, sein Wunsch nach
plumpen Schmeicheleien dagegen nicht.«
Gabriele Stöger und Hans Stöger in Es muss ja nicht gleich Liebe sein
Zu Kapitel 19: Der Hauptteil eines persönlichen Marktgesprächs
»Geben Sie ihm eine Maske und der Mensch sagt die Wahrheit.«
Oscar Wilde
»Laut zu sprechen ist eine Gewohnheit. Laut zuzuhören ist eine Kunst.«
Robert Mayer in Der Verhandlungskünstler
»Dinge wahrzunehmen ist der Keim der Intelligenz.«
Lao Tse
»Vom Schweigen schmerzt die Zunge nicht.«
unbekannt
»Der Herrgott gebe Ihnen die Kraft, auch einmal den Mund zu halten.«
Rolf H. Ruhleder
»Gut reden können viele – gut zuhören fast keiner.«
unbekannt
»Statt ›Reden ist Silber, schweigen ist Gold‹ besser ›Reden ist Silber – Zuhören
ist Gold‹.«
unbekannt
Anhang  403
»Klug zu reden ist oft schwer. Klug zu schweigen noch viel mehr.«
Wilhelm Busch
»Der beste Weg, andere an uns zu interessieren, ist der, an ihnen interessiert zu
sein.«
unbekannt
»Sie müssen anderen Menschen etwas mitbringen, was diese dringend brauchen
und selbst nicht in dieser Weise können. Dann sind Sie attraktiv.«
Karl Pilsl in So komme ich zu meinem Traumjob
»Eine Schlussfolgerung bezeichnet den Punkt, an dem man des Denkens müde
wurde.«
unbekannt
Zu Kapitel 23: Die Patenschaften
»Marketing ist heute die Anwendung von Clausewitz auf Marmelade. Kriegsführung mit anderen Mitteln.«
Klaus Kobjoll
»Wer sich ständig mit anderen vergleicht, wird vor allem eines: gleicher.«
Anja Förster und Peter Kreuz in Alles, außer gewöhnlich
»Genius is the ability to assemble in new forms what already exists.«
Donald J. Trump in Think Like a Billionaire
»Es ist egal, woher Sie Dinge nehmen. Wichtig ist, wohin Sie sie tragen.«
Jean-Luc Godards
»Alle Kreativen klauen. Aber Sie klauen nicht vor der eigenen Haustür. Sie
klauen irgendwo anders und gelten so als Pioniere im eigenen Bereich.«
Klaus Kobjoll
»Don’t imitate – innovate.«
unbekannt
»Prügle nicht auf die Konkurrenz ein. Die hat meistens mehr davon als du. Du
bekommst vielleicht Aufmerksamkeit, vielleicht sogar einen Preis, aber vermutlich bringt es dir keinen weiteren Vorteil. Es geht auch viel einfacher.«
Paul Arden in Es kommt nicht darauf an,
wer Du bist, sondern wer Du sein willst
404  Praxishandbuch Produktentwicklung
»Unternehmen müssen mit Ihren Mitbewerbern richtig umgehen, indem sie ihre
Stärken meiden und ihre Schwächen ausnutzen.«
Jack Trout in Trout über Strategie
»Wer klug ist, lernt auch von seinen Feinden.«
Aristoteles
Zu Kapitel 24: Die Schritte zur USP-Definition
»Große Gedanken brauchen nicht nur Flügel, sondern auch ein Fahrgestell zum
Landen.«
Neil Armstrong
Anhang  405
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