Depression – Problemaufriss und Status Quo W. Gaebel Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Rheinische Kliniken Düsseldorf Bergische Landstr. 2 40629 Düsseldorf DIE MELANCHOLIE Stich von A. Dürer (1471-1528) MELANCHOLIE UND AUSDRUCK Akut Im Genesungsstadium Burrows & Schumacher, Doktor Diamonds Bildnisse von Geisteskranken (1979) Epidemiologie, subjektive Belastung und Kosten Geschlechtspräferenz: :{ 1:2 SUIZIDRATEN INFOLGE DEPRESSIVER STÖRUNGEN Zwei Drittel der depressiven Patienten weisen Suizidgedanken auf 10% - 15% der depressiven Patienten begehen Suizid Kaplan & Sadock (1991) VERLORENE LEBENSJAHRE durch frühzeitigen Tod oder eingeschränkte Lebensqualität (DALYs) 1990 Disease or injury Lower respiratory infections 2020 (Baseline scenario) Disease or injury 1 2 Ischaemic heart disease Diarrhoeal diseases 1 2 Conditions arising during the period 3 3 Road traffic accidents Unipolar major depression 4 4 Cerebrovascular disease Ischaemic heart disease 5 Chronic obstructive pulmonary disease Cerebrovascular disease 6 5 6 Tuberculosis 7 Tuberculosis Measles 7 8 War Road traffic accidents 9 8 9 Congenital anomalies 10 10 HIV Malaria 11 11 Conditions arising during the perinatal period Chronic obstructive pulmonary disease 12 Falls 13 14 Iron-deficiency anaemia Protein-energy malnutrition 15 16 17 19 28 33 Unipolar major depression Lower respiratory infections Diarrhoeal diseases 12 Violence 13 Congenital anomalies 14 Self-inflicted injuries 15 Trachea, bronchus and lung cancers 19 24 25 37 39 WHO (1996) STATIONÄRE BEHANDLUNG DEPRESSIVER STÖRUNGEN Rheinische Kliniken Düsseldorf 1600 1400 Anzahl 1200 1000 800 600 400 200 0 2000 2001 2002 2003 2004 Jahr F31.3, F31.4, F31.5, F32, F33, F34 JÄHRLICHE KOSTEN DER DEPRESSION USA: 43.7 Mrd US $ 23.8 Mrd. US$ infolge reduzierter Produktivität (55%) 7.5 Mrd. US$ durch depressionsbezogenen Suizid (17%) 12.4 Mrd. US$ durch direkte Behandlung (28%) Greenberg et al. (1993) Deutschland: Direkte Kosten >1,6 Mrd EUR (Friemel et al. 2005) Symptome, Typen und Verlauf depressiver Störungen SYMPTOME DER DEPRESSION NACH ICD-10 Hauptsymptome • Gedrückte Stimmung • Interessenverlust, Freudlosigkeit • Verminderung des Antriebs Andere häufige Symptome • Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit • Vermindertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle • Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven • Suizidgedanken/-handlungen • Schlafstörungen, verminderter Appetit Somatisches Syndrom • Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit • Frühmorgendliches Erwachen, Morgentief • Deutlicher Appetitverlust, Gewichtsverlust • Libidoverlust Dauer: mindestens zwei Wochen GEKLAGTE KÖRPERLICHE BESCHWERDEN NB: Erhöhtes kardiovaskuläres Morbiditäts-/Mortalitätsrisiko bei Depression! TYPEN DEPRESSIVER STÖRUNGEN Beispiele Psychotische Depression Somatisierte (larvierte) Depression Atypische Depression Saisonale Depression Postpartale Depression Bipolare Depression Reaktive depressive Störung DIFFERENZIALDIAGNOSTIK Hatzinger & HolsboerTrachsler, In: Gaebel, Müller-Spahn (Hrsg.) 2002 VERLAUF DEPRESSIVER STÖRUNGEN Genesung Wiedererkrankung Rückfall x Rückfall x Normalzustand Symptome Syndrom ng icklu Entw törung der S Schwere der Symptomatik Remission Zeit Adaptiert nach Kupfer (1991) Ursachen und Behandlungsoptionen ENTSTEHUNG UND VERLAUF DEPRESSIVER STÖRUNGEN Gesteigerte Gesteigerte Vulnerabilität Vulnerabilität durch durchTraumata Traumata ininder derKindheit Kindheit Genetische Genetische Disposition Disposition (EZ (EZ50 50--80% 80% Konkordanz) Konkordanz) Jahre • Neurobiologische Faktoren Psychische Psychische oder oderphysische physische Stressoren Stressoren • Psychosoziale Faktoren Depressivität Depressivität • Entwicklungsbedingte Faktoren Psychotherapie Psychotherapie ++ Soziotherapeie Soziotherapeie Monate Somatische SomatischeFaktoren Faktoren z.B. z.B.Infekte, Infekte,Reserpin Reserpin Neurobiologische Störung z.B. Transmitter-Imbalance Psychische PsychischeFaktoren Faktoren z.B. z.B.Überforderungen, Überforderungen, Verlusterlebnisse Verlusterlebnisse Antidepressiva Psychotherapie Psychotherapie ++ Soziotherapeie Soziotherapeie Depression Depression (d.h. (d.h.psychisches psychisches Leiden, Leiden,soziale soziale Beeinträchtigung) Beeinträchtigung) RISIKOFAKTOREN DEPRESSIVER STÖRUNGEN Scheidung oder Trennung Tod des Ehepartners Andere schwerwiegende belastende Ereignisse Depression in der Eigen- oder Familienanamnese Substanzmissbrauch Körperliche Erkrankungen Mangel an sozialer Unterstützung EVIDENZBASIERTE BEHANDLUNGSOPTIONEN Somatische Therapieverfahren • Pharmakotherapie (Antidepressiva, Moodstabilizer etc.) • Schlafentzug • Lichttherapie • Transkranielle Magnetstimulation • Elektrokrampftherapie Spezielle Psychotherapieverfahren • Kognitive Verhaltenstherapie • Interpersonelle Psychotherapie • Psychodynamische Therapie ¿ Multimodale Therapie ¿ Akut- vs Langzeittherapie Versorgung und Versorgungsprobleme depressiver Störungen LEISTUNGSERBRINGER BEI DEPRESSIVEN STÖRUNGEN • Hausärzte • Nervenärzte • Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie; Psychosomatische Medizin; Neurologie • Ärztliche Psychotherapeuten • Beratungsstellen • Kriseninterventionszentren • Andere psychosoziale Einrichtungen • Psychol. Psychotherapeuten • Stationäre Einrichtungen (psychiatrisch-psychotherapeutische, psychosomatisch-psychotherapeutische Kliniken) • Spezialisierte Depressionsstationen • Tageskliniken • Ambulanzen PROBLEMBEREICHE DER VERSORGUNG Struktur Schnittstellen und Kooperation Case Management Diagnostik Erkennensrate Differentialdiagnostik Therapie Leitlinienorientierte Pharmakotherapie Einsatz psychotherapeutischer Verfahren Management von Suizidalität Compliance Outcome Remissionsraten Rückfallprophylaxe Soziale Integration Stigmatisierung VERSORGUNGSNETZ DEPRESSION Modell zur Integrierten Versorgung Behandlungspfade Depression und Stigma STIGMA BEI DEPRESSIVEN ERKRANKUNGEN Wissensstand und Einstellungen der Allgemeinbevölkerung zu depressiven Erkrankungen haben einen Einfluss auf das Hilfesuchverhalten. • Stigma der „Schwäche“, „Faulheit“, „Disziplinlosigkeit“ • Negative Beeinflussung des Selbstwertgefühls durch Selbststigmatisierung • Angst vor Stigmatisierung im sozialen Umfeld durch Arztbesuch, Klinikaufenthalt Althaus et al. 2002; Halter 2004 NEGATIVE EINSTELLUNGEN GEGENÜBER PSYCHISCH ERKRANKTEN Depressiv Erkrankte … Großbritannien n = 1.737 Zustimmung (%) Gefahr für andere 22,9 Unberechenbar 56,4 Schwierig, mit ihnen zu reden 62,1 Anders als Andere 42,6 Selbst schuld 12,8 Müssten sich zusammenreißen 18,6 Nicht behandelbar 16,0 Werden nie gesund 23,2 Crisp et al. 2000 SOZIALE DISTANZ GEGENÜBER DEPRESSIV ERKRANKTEN Soziale Distanz der deutschen Bevölkerung 1990 und 2001 1990 (n=501*) % 2001 (n=1983*) % Zusammen arbeiten 16,5 15,9 Nachbar 18,0 17,7 Zimmer vermieten 35,4 38,4 Freunden vorstellen 38,8 39,4 Für Arbeit empfehlen 41,6 41,5 Einheirat in Familie 53,3 48,4 Kinderbetreuung 56,7 66,6 * wahrscheinlich/ganz bestimmt Angermeyer & Matschinger 2004 STIGMA UND DIE KONSEQUENZEN Konsequenzen für das Alltagsleben • Verlust von Selbstwertgefühl, Selbststigmatisierung • Geheimhaltung, Rückzug, Verringerung sozialer Kontakte • Erschwerter Zugang zu Arbeits- und Wohnmöglichkeiten • Verminderte Lebensqualität Konsequenzen für den Verlauf der Erkrankung • Negative Beeinflussung des Hilfesuchverhaltens • Erhöhter Bedarf an Rehamaßnahmen auf Grund eingeschränkter Ressourcen und Möglichkeiten Crisp AH (ed) Every family in the land. Online book (2000) Althaus D, Hegerl U (2003) MMW- Fortschr Med 145: 42-44 Wirkfaktoren und Effekte von Antistigmaprogrammen ANSÄTZE ZUR STIGMAREDUKTION Aufklärung • Verbesserung von Wissen, Einstellungen und Verhalten Protest Kontakt • Gegen unkorrekte und diffamierende Darstellungen psychisch Erkrankter in der Öffentlichkeit • Häufiger Kontakt mit Betroffenen ist mit geringerem Stigma assoziiert Corrigan PW, Penn DL, Am Psychol 1999 Penn DL, Shannon MC, Journal of World Psychiatry 2002 Gaebel W, Möller HJ, Rössler W (Hrsg.) Kohlhammer 2004 INTERNATIONALE PROGRAMME GEGEN STIGMA UND DISKRIMINIERUNG WHO: mhGAP mental health Global Action Programme Stop Exclusion - Dare to Care (2001) WPA Weltweites Programm gegen Stigma und Diskriminierung - Open the Doors (seit 1998) Royal College of Psychiatrists: Changing Minds Every Family in the Land (1998-2002) Nationales Antistigmaprogramm Deutschland: BMGS, DGPPN, Open the doors (seit 2004) Defeat Depression Campaign: Allgemeinbevölkerung, Ärzte für Allgemeinmedizin (Royal College of Psychiatrists Royal College of General Practitioners, 1992-1996) NAMI: Helpline, Internet Information (seit 1998) ANTISTIGMAPROGRAMME UND SOZIALE DISTANZ Bevölkerungsbefragung 2001 (N=7.246) und 2004 (N=4.624) Soziale Distanz (MW) 11,88 12 11,86 11,76 11,60 11,44 11,34 11,55 11,36 11,39 11,62 11,61 11,29 11,43 11,27 2001 2004 11 10 Düsseldorf* München* Köln Bonn Essen Berlin } } } Antistigma Awareness Kontrolle Total* Varianzanalyse: Meßwh. p <= 0.001; Stadt n.s.; Interaktion Meßwh. X Stadt p = 0.001; Einzelvergleiche: t-Test f. abh. St.-Pr. mit Bonferoni-Korrektur (* p <= 0.008) Gaebel et al. (2005) BEKANNTHEIT VON ANTISTIGMAPROGRAMMEN UND SOZIALE DISTANZ Abnahme der sozialen Distanz (MW) 1,4 1,2 1,0 0,8 0,70 0,6 0,4 0,2 0,15 0,0 bekannt unbekannt Soziale Distanz sinkt stärker bei Personen, die mindestens eine Antistigmainitiative (Open the doors, ASAM, BASTA) kennen; t-Test f. unabh. Stichproben: p = 0.004 Gaebel et al. (2005) ZUSAMMENFASSUNG Depression ist kein Anzeichen von Willensschwäche, sondern eine ernst zu nehmende Krankheit, die vielfältige Ursachen hat und gut behandelbar ist. • Hohe Morbidität und Mortalität, weltweite Verbreitung • Vielfältige Möglichkeiten wirksamer Behandlung • Vielfach unerkannt, unzureichende Behandlung • Stigma als Belastung und Behinderung der Hilfesuche • Effektivität von Aufklärungsprogrammen für spezielle Zielgruppen und die allgemeine Bevölkerung DÜSSELDORFER BÜNDNIS GEGEN DEPRESSION AUFTAKT DES DÜSSELDORFER BÜNDNIS GEGEN DEPRESSION Hauptziele • Aufklärung der Öffentlichkeit und bestimmter Zielgruppen • Früherkennung und optimierte Behandlung • Vernetzung Zielgruppen • Allgemeine Bevölkerung • Haus- und Fachärzte • Pflegefachkräfte • Eltern, Lehrer, Seelsorger…