Die Kunst der Verführung - Marketing mit Storytelling Wissen, was in den Köpfen vor sich geht Hören, weshalb Neuromarketing mehr als eine Mode ist Entdecken, welche Aufführungen Kunden sehen wollen „Wer Wesentliches besser erzählt, gewinnt“ Thorsten Ströher, MBA Handout zum Vortrag vom 26.03.09 bei „TTR konkret“ Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, da wir letztlich alle zur Gattung der Verführer zählen, erlaube ich mir diese vertrauliche Anrede. Ich freue mich, Ihnen ein paar meiner Gedanken zu Ihrem Beruf mitgeben zu dürfen. Der Titel des Vortrags „Die Kunst der Kundenverführung“ hat in Ihnen womöglich hohe Erwartungen ausgelöst. Die Vorstellung, es könnte eine Art „Alice im Wunderland“ oder das „Orakel von Delphi“ werden, hat in Ihrem Gehirn Dopamin ausgeschüttet. Damit hätte ich also gleich zu Beginn biochemisch auf Ihr Gehirn Einfluss genommen. Halten wir den Blitzstart fest: innere Vorstellungen, innere Bilder sind die Triebfedern des Verhaltens. Diese Erkenntnis hat Donald O. Hebb zu einem der einflussreichsten Psychologen seiner Zeit gemacht. Die Frage, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht, ist etwas keck formuliert, bringt aber die Arbeit der Neurowissenschaftler auf den Punkt. Durch die neuronalen Netzwerke der 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn kommt die Welt in den Kopf, sind Erinnerungen gespeichert und findet der Charakter eines Menschen seinen Ursprung. Im Gehirn, diesem Blumenkohl ähnlichen Ding, wird entschieden, ob Sie Form, Farbe, Geruch und Material eines Pullovers mögen oder nicht, ob Ihnen Kaffee oder Tee lieber ist, ob Sie den höheren Preis für ein Marken-Produkt bezahlen werden oder nicht. Das von Ihnen wahrgenommene Gefühl, etwas zu wollen, kommt erst, nachdem bestimmte Hirnzentren schon längst entschieden haben, was getan werden soll. Das ist natürlich eine brisante Aussage. Kann es tatsächlich sein, dass das Gehirn Dinge tut, welche unserem Bewusstsein, unserem „Ich“, verborgen bleiben? Die verblüffende Antwort ist „Ja“. Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, Hirnforscher an der Universität Bremen äußerte den Satz: „Das Hirn folgt einer anderen Logik als unser „Ich“. Der Psychologe Dr. Hans-Georg Häusel bringt zum Ausdruck, dass unser bewusst erlebtes „Ich“ lediglich Pressesprecher ist, welcher die Entscheidungen des Hirns verkünden darf, und Neuromarketing-Experte und geschätzter Kollege Dr. Werner T. Fuchs erklärt, dass das Bewusstsein Entscheidungen mit Hilfe der Sprache sozial verträglich verkaufen muss. Unser Handeln wird von neuronalen Mustern unserer Vergangenheit bestimmt, auf die das Bewusstsein keinen direkten Einfluss ausübt. Das Gehirn versieht Informationen vom ersten Tag unserer Geburt an mit emotionalen Markern. Somit haben wir einen unglaublich großen emotionalen Speicher, welcher alle Informationen in gut und böse, nützlich und schädlich, in angenehm und unangenehm kategorisiert. Diese Bewertungen finden in Reaktionsmustern im limbischen System nach bestimmten Kriterien statt. „Kein (Kauf-)Verhalten ohne emotionale Belohnung“ – die Handlung des Kaufens wird erst „freigeschaltet“, wenn bestimmte Neuronen im Gehirn „feuern“. Vor allem das Unbewusste identifiziert in Produkten und Designs einen Mehrwert, welcher sich dem Bewusstsein entzieht. Aus diesem Grunde sind Befragungen zu Präferenzen bei Kunden mit großer Vorsicht durchzuführen. 2 "Marketing ist die Kunst, den Menschen dort abzuholen, wo er tatsächlich ist und ihm das zu geben, was er schon immer wollte, aber nicht wusste.“ Die These ist, dass sich Produkte so gestalten lassen, dass sie einen bestimmten limbischen Grundtyp ansprechen. Das Produkt wird deshalb von dieser Zielgruppe verstärkt gekauft. Im Neuromarketing wird das Wissen der Hirnforschung und Psychologie in Metaphern des Alltags übersetzt. Dabei schauen wir durch „neurologische Brillen“ auf Marketing und Werbung, um die Muster hinter den Erfolgsmustern zu entdecken und aufzudecken. Eine dieser Metaphern tritt bereits in der Frage des Vortragsthemas auf, welche „Aufführungen Kunden sehen wollen“: Das Gehirn speichert Informationen in Form von Geschichten. „Dinge, die von ihrer Geschichte losgelöst sind, haben keine Bedeutung. Sie sind bloß Gegenstände.“ (Cormac McCarthy) Man nehme etwas Wasser, füge Zucker hinzu, etwas Kohlensäure und gieße es in eine Dose. Die Kosten betragen weniger als ein Viertel Dollar. Man schreibe Coca Cola auf die Dose, und schon ist der Kaufwunsch so groß, dass man einen Dollar bezahlt. Die Geschichte hat eine Bedeutung für die Kunden. Es fühlt sich gut an, diese Marke zu trinken. Dieser gesteigerte Wert entsteht sehr wahrscheinlich durch die Aktivierung des sog. VMPFC (Ventromedialer Präfrontaler Kortex) im Gehirn. Wer Wesentliches besser erzählt, gewinnt. Was wesentlich für Kunden ist und was es bedeutet, besser zu erzählen, soll mit folgendem Handout beleuchtet werden. Ich wünsche Ihnen viel Freude auf dieser Entdeckungsreise mitten im Alltag. 3 Was in unseren Köpfen vorgeht „Ich fühle, also bin ich“ Produkte und Marken gewinnen Bedeutung durch die Geschichten, die sie erzählen. Das sog. „Storytelling“ ist kein medizinischer Fachbegriff, sondern eine Metapher für eine wichtige Erkenntnis der Hirnforschung: Es gehört zu den Geniestreichen der Evolution, dass das Gehirn Informationen in Form von Geschichten verarbeitet, speichert und weitergibt. Sie können diesen Ausführungen nur folgen, weil Ihr Gehirn nicht rechnen muss, sondern auf Geschichten zurückgreifen kann, in denen die notwendigen Elemente vorkommen, um aus abstrakten Sprachzeichen eine neue Geschichte zu konstruieren. Das Gehirn ist zwar ein Datenverarbeitungssystem, aber kein Computer. Obwohl ein mit Rechnern voll gestopfter Roboter elementare Operationen Millionen Mal schneller ausführt als unser Gehirn, schafft er es nicht, einen so einfachen Satz wie „Das hast du aber gut gemacht“ als ironische Aussage zu entschlüsseln. Wir hingegen verstehen diesen Satz sofort, weil unser Gehirn ganz anders arbeitet. Weil wir in der Lage sind, Objekte, Situationen, Geschichten, Emotionen gleichzeitig zu verarbeiten. Das Gehirn verknüpft und codiert also Informationen in neuronalen Netzwerken – parallele anstatt serielle Informationsverarbeitung. Ihre Sicht auf die Welt wird durch neuronale Netzwerke repräsentiert. Darüber hinaus hat uns die Hirnforschung Erkenntnisse gebracht, die das bisher vorherrschende Menschenbild, und damit auch das Kundenbild, in seinen Grundpfeilern erschüttert hat: Der Mensch ist nicht rational. Seine Entscheidungen sind viel mehr, als er jemals annehmen konnte, emotional gesteuert. Die Definition des Begriffes „Rationalität“ muss neu verfasst werden. Rationalität ist eine bestimmte Form der Emotionalität. Emotionen bestimmen unser sachliches Verhalten. Viele Entscheider betrachten sich als „rationale“ Entscheider. Hinter der Rationalität steckt jedoch der Wunsch, die Prozesse kontrollierbar und berechenbarer zu machen. Wenn Sie so wollen – es steckt ein Gefühl der Angst dahinter, zu versagen, Fehler zu machen. Das sind die treibenden Gefühle der Menschen, welche sich ein „rationales“ Umfeld, einen rationalen „Panzer“ aufbauen. 4 Das korrigierte Menschenbild der Hirnforschung in kurzen Sätzen: 80% der Kaufentscheidungen sind emotional, die restlichen 20% sind es auf andere Weise auch. Das limbische System des Gehirns, das unsere Gefühle regiert, ist viel machtvoller als der Neocortex, der unseren Intellekt kontrolliert. Die Verkehrsregeln, mit der die Evolution unsere Gehirne ausgestattet hat, sind klar und deutlich: Emotionen haben Vorfahrt. Die Logik muss warten. Was uns emotional nicht erreicht, lässt uns kalt. Der Mensch ist kein rationales Wesen, das auch Gefühle hat. Der Mensch ist ein emotionales Wesen, das auch Vernunft hat. Bei rationalen Entscheidungen werden etliche Hirnareale aktiv, die emotionale Prozesse steuern. Der Homo oeconomicus ist pure Fiktion. Er sollte frühstmöglich durch ein neues Bild abgelöst werden: Homo neurobiologicus. Sein Verhalten ist kognitiv, emotional und sozial bestimmt. 95% unseres Denkens geschehen unbewusst. Nur 5% unserer Gedanken sind unserem „erlebten Ich“ bewusst. Das Gehirn ist die meiste Zeit mit sich selbst beschäftigt, ohne dass wir davon etwas merken. Wir nehmen nicht einmal 0,0001% der Reize bewusst wahr, die auf uns in einem Augenblick einströmen. Zur Verdeutlichung: Während Sie in einer Sekunde eine Telefonnummer bewusst wahrnehmen können, strömt in dieser Sekunde eine Informationsmenge ins Gehirn, welche ca. 45 Seiten DIN A4 mit Text (geschrieben in MS-Word, Schriftgröße 12) füllen würden. Das Bewusstsein steuert nur 5% unseres Verhaltens. Daher kommt der unbewussten Informationsverarbeitung eine Mega-Bedeutung für Marketing und Werbung zu. Das belegt eine Studie, in der amerikanische Konsumenten in einer Weinhandlung dreimal so viel französischen Wein gekauft haben, wenn im Hintergrund französische Musik lief und dreimal so viel deutschen Wein, wenn sie mit deutscher Musik beschallt wurden. Fazit y y Was keine Emotionen weckt, ist bedeutungslos. Jede Funktionalität muss emotional inszeniert werden. Die Aussage: „Kenne Dein Medium und mache es poetisch“ erhält wissenschaftliche Rückendeckung und noch mehr Bedeutung für Design und Gestaltung. Sich an das Unbewusste zu wenden, ist viel wirkungsvoller, als das Bewusstsein überzeugen zu wollen. Bewusstsein ist lediglich das Ergebnis des Aussortierens von Informationen. Der viel größere Rest wirkt aber trotzdem und entscheidend im Verborgenen! Bedeutungsvolle Kommunikation nutzt die Sprache des Unbewussten. 5 Über Geschichten und Gefühle – Quelle für die neurologische Musteranfertigung „In jeder Entscheidung, die wir treffen, spiegeln sich unsere Vorlieben und unser Verständnis der Welt wider.“ (Michael Moskowitz) Die einzige Sache, die wir verkaufen (und kaufen), sind Geschichten und Vorstellungsbilder. Produkte, die wir unbedingt haben wollen, können uns in Geschichten verwickeln. Sie lassen in unseren Köpfen Heldengeschichten, Liebesgeschichten, Dramen, Komödien etc. entstehen. Der Käufer einer Harley Davidson kauft sich eine Lebenseinstellung, und der Käufer eines Porsche 911 Turbo stärkt seine Identität durch das Gefühl der Unbesiegbarkeit. Marketing ist die Kunst des Geschichtenerzählens („Storytelling“) y y y y y Es gilt dank den Erkenntnissen der Neurowissenschaftler als erwiesen, dass unser Gehirn alle eingehenden Informationen als Geschichten wahrnimmt und speichert. Geschichten sind immer mit Emotionen verbunden, und Emotionen haben bei allen Entscheidungen ein Vetorecht. Nur Geschichten sind Informationspakete, die offen genug sind, um Menschen mit unterschiedlichsten Biografien zu erreichen. Die Methode des Storytelling hat sich als so wirkungsvoll erwiesen, dass sie inzwischen sogar an der Harvard Business School als das Marketinginstrument schlechthin gelehrt wird. Und der wichtigste Grund ist die eigene Erfahrung, dass wir ohne Geschichten nicht leben können und wollen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Finden und Erzählen Ihrer eigenen Geschichten. Thorsten Ströher, www.customer-portraiting.de 6 Unser neurologisches Atelier für Marketing- und Werbekonzepte Die 12 neurologischen Brillen nach Dr. Werner Fuchs Der CP-Kundennavigator nach Thorsten Ströher Storytelling als Methode 7 Literatur zum Thema Selbstverständlich empfehle ich Ihnen wärmstens das Buch meines Kollegen Dr. Werner T. Fuchs an erster Stelle: Fuchs, Werner T.: Tausend und eine Macht. Marketing und moderne Hirnforschung. Zürich 2005 Dr. Werner T. Fuchs hat in meinen Augen ein Buch, nein, DAS Buch geschrieben, welches in wunderschöner Weise Wissenschaft und Poesie verknüpft. Sein Buch ist eine große Geschichte mit vielen kleinen Geschichten über die Kunst der (Kunden-)Verführung. Unser Gehirn liebt Geschichten, will interpretieren können, hinter die Kulissen schauen und selbst Teil guter Geschichten sein. Genau daher verspürte ich wohl immer wieder das Gefühl, mit dem Buch zu arbeiten. Das Buch beschreibt neurologische Ordnungsstrukturen für Werber und andere Berufsverführer. Aber eben auf eine respektvolle Weise gegenüber dem Menschen hinter der Kundennummer. Auf der Basis der modernen Hirnforschung werden Zusammenhänge beleuchtet, die mit vielen Aha-Erlebnissen belohnen. Das Buch ist ein Wegbereiter für mehr Gespür, wo überall im realistischen Leben schöne, starke und auch schwierige Gefühle Bewertungen, Entscheidungen und Verhalten unbewusst steuern. Persönlich hat das Buch auch eine Sinnlücke in mir geschlossen. Als Marketinggeprägter durch deutsche Hochschulen und Orchesterdirigent und Musiker hatte ich schon lange die Vermutung, dass irgendetwas an den bisherigen klassischen Marketingansätzen Spannung in mir verursacht. Im Rückblick leuchtet doch völlig ein, warum Gustav Holsts Orchestersuite The Planets" oder die Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg Konzertbesucher und Musiker bewegt, aber viele Marketing- und Werbekonzepte Hirnlangweiler und Zeitverschwendung sind. Aamodt , Sandra; Wang, Samuel: Welcome to Your Brain. Ein respektloser Führer durch die Welt unseres Gehirns. München 2008. André, Christophe, Lelord, François: Die Macht der Emotionen und wie sie unseren Alltag bestimmen. Leipzig 2002. Ankowitsch, Christian: Generation Emotion. Die Zukunft der Gefühle und wie sie uns steuern. Berlin 2002. Anlanger, Roman, Engel, Wolfgang A.: Trojanisches Marketing. Mit unkonventioneller Werbung zum Markterfolg. Planegg/München 2008. Baron-Cohen, Simon: Vom ersten Tag an anders. Das weibliche und das männliche Gehirn. Düsseldorf 2004. Burnham, Terry, Phelan Jay. Unsere Gene. Eine Gebrauchsanweisung für ein besseres Leben. Berlin 2002. Gladwell, Malcolm: Blink! Die Macht des Moments. Frankfurt am Main 2005. Gladwell, Malcolm: Der Tipping Point: Wie kleine Dinge Großes bewirken können. München 2007. 8 Häusel, Hans-Georg: Brain View. Planegg/München 2008. Hüther, Gerald: Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern. Göttingen 2004. O’Shea, Michael: Das Gehirn. Eine Einführung. Stuttgart 2008. Pink, Daniel H.: A Whole New Mind. Why Right-Brainers Will Rule The Future. New York 2006. Roth, Gerhard: Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Frankfurt am Main 2001. Scheier, Held: Wie Werbung wirkt. Planegg/München 2006. Ströher, Thorsten: Wissen, wie Formen tiefenpsychologisch auf Kundentypen wirken. Grundformen und Symbole im Marketing, eBook im Webshop unter www.customer-portraiting-shop.de Ströher, Thorsten: Wissen, wie Farbenwirkung und Kundentypen zusammenhängen, eBook im Webshop unter www.customer-portraiting-shop.de 9