Kloster Greccio Weihnachten 2014 3. Adventssonntag "Gaudete" Das Jahr 2014 war ein Jahr des Gedenkens. Wir wurden in diesem Jahr besonders mit unserer jüngeren Vergangenheit konfrontiert: Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren fanden die schlimmsten Bombenangriffe auf Duisburg statt, vor 25 Jahren fiel die Mauer. Hinzu kam die Erinnerung an große Persönlichkeiten der Welt- und Kirchengeschichte. Am Anfang des Jahres wurde Karl des Großen gedacht, der vor 1200 Jahren am 28. Januar 814 gestorben ist. In Aachen wurde an den Vater des christlichen Abendlandes mit Ausstellungen und Gottesdiensten erinnert. Doch fand, der 2000. Todestag des ersten römischen Kaisers Augustus jedenfalls hier in Deutschland weniger Beachtung. Augustus starb am 19. August 14 n. Chr. In Rom allerdings war das selbstverständlich ein wenig anders. Dieser Kaiser, der wie kaum eine andere Persönlichkeit Weltgeschichte geschrieben hat, wird sogar in der Heiligen Schrift erwähnt. Der Evangelist Lukas beginnt mit ihm die Geburtsgeschichte Jesu: "In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen" (Lk 2,1). Das ist nicht nur eine historische Einordnung der Weihnachtsgeschichte. Vielmehr steht der Befehl des Kaisers Augustus mit der Geburtsgeschichte Jesu in einer engen Beziehung. Die Christliche Überlieferung sah darin ein besonderes Zeichen. Jesus wird hineingeboren in die Zeit der Pax Augusta oder Pax Romana, eine unter Kaiser Augustus lang währende Friedenszeit ab dem Jahr 27 v. Chr. Der römische Senat hatte im Jahr 13 v. Chr. einen Altar des Friedens, die Ara Pacis, errichten lassen, der 9 v. Chr. vollendet wurde. Ara Pacis, Rom Dieser Altar sollte das Friedenswerk von Kaiser Augustus ehren, der nach mehr als 100 Jahren Bürgerkriege der Stadt Rom inneren Frieden gebracht hatte. Dieser Altar ist auch heute noch unter einem modernen Glasbau zu bewundern. Der Altar will das Leben in Frieden und Wohlstand darstellen, die durch die Pax Romana des Augustus heraufgeführt worden ist. Mich hat besonders die Darstellung der Tellus, der Göttin Mutter Erde beeindruckt. Auf den ersten, durch die christliche Ikonographie geschulten Blick mag man bei der mütterlichen Figur an eine Darstellung der Mutter Gottes mit den zwei Knaben Jesus und Johannes dem Täufer denken, wie wir sie aus der Renaissance kennen (z.B. Raffael). Doch bei genauerem Hinsehen erkennt man eine Fruchtbarkeitsgöttin, begleitet von Frauen, die Windgottheiten darstellen. An den Vögeln, Meerestieren und Erdfrüchten und eben den zwei Kindern soll wohl, so eine Deutung, das Wohlergehen Italiens unter der Herrschaft des Augustus mythologisch sichtbar werden. Dass uns christliche Darstellungen einfallen, macht deutlich, dass bei aller Unterschiedlichkeit, sich die christliche Bildsprache auch an die antike heidnische Bilder anlehnte. Ara Pacis, Tellus (Mutter Erde) Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, die auch ältere Überlieferungen sammelte und zitierte, nimmt ausdrücklich bei der Erzählung der Geburt Jesu Bezug auf den Friedenskaiser Augustus und erzählt: "Papst Innocentius der Dritte schreibt: Da die römischen Senatoren ansahen die Gewalt Octaviani des Kaisers, wie er alle diese Welt unter der Römer Herrschaft hatte gebracht, da gefiel er ihnen also wohl, dass sie ihn ehren wollten als einen Gott. Nun erkannte der weise Kaiser, dass er ein sterbliche Mensch war, und wollte den Namen eines sterblichen Gottes nicht an sich nehmen; aber da sie nicht aufhörten, ihn mit Ungestüm zu drängen, rief er Sibylla die Weissagin (Wahrsagerin d.Verf.) herbei, und begehrte durch ihre Kunst zu wissen, ob je ein Mensch auf Erden würde geboren werden, der größer sei als er. Nun geschah es, dass der Kaiser auf den Tag der Geburt unseres Herrn seinen Rat gesammelt hatte ob dieser Sache, und war die Sibylle allein in der Kammer des Kaisers bei ihrem Orakel.; da erschien um Mittentag ein güldener Kreis um die Sonne, und mitten in dem Kreis die allerschönste Jungfrau, die stand über einem Altar und hielt ein Kind auf ihrem Schoß. Das wies die Sibylle dem Kaiser. Und da der Kaiser über das Gesicht sich sehr verwunderte, hörte er eine Stimme, die sprach: 'Dies ist ein Altar des Himmels'. Und Sibylla sprach zu ihm 'Dies Kind, Kaiser, ist größer denn du, darum sollst du es anbeten'. Die Kammer ward danach geweiht in unsrer lieben Frau Ehre, und heißet noch jetzt Sancta Maria Ara Coeli. Der Kaiser aber erkannte, dass das Kind größer sei als er, und opferte ihm Weihrauch; und wollte hinfort nicht mehr Gott geheißen werden."1 Die Kirche Santa Maria in Aracoeli gehört zu den beliebtesten Kirchen der Römer. In ihr wird eine Figur des Jesuskindes verehrt. Das Original, das aus dem Olivenholz der Ölbäume des Garten Gethsemane in Jerusalem geschnitzt war, ist gestohlen worden, aber eine originalgetreue Kopie des Santo Bambino wird nicht minder verehrt. Santo Bambino In der Kirche befindet sich ein kleiner Rundtempel. Unter der Kuppel steht eine antike Badewanne aus Porphyr, das Grabmal der hl. Helena, der Mutter von Kaiser Konstantin. Wenn man in die Vertiefung unter dem Grabmal schaut, entdeckt man einen Altar, der der erwähnte Altar des Kaisers Augustus sein soll. Ein dort angebrachte Inschrift lautet übersetzt: "Wisse, dass Cäsar Augustus damals diesen Himmelsaltar (ara celi) errichtete, als ihm das heilige Kind erschien." Unter der Inschrift die Darstellung des Geschehens: Kaiser Augustus schaut die Jungfrau Maria mit dem Kind. 1 Die Legenda Aurea des Jacobus de Voragine Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz 16. Aufl. Gütersloh 2014, 40 Grab der Kaiserin Helena Ara coeli: Kaiser Augustus sieht die Gottesmutter mit dem Kind und betet sie an Wenn auch der Altar erst aus dem 12. Jahrhundert stammt, und die Traditionsgeschichte der Kirche Santa Maria in Araceli komplizierter ist, als hier dargestellt werden kann, so ist doch bemerkenswert, wie christliche Überlieferung Kaiser Augustus gleichsam für sich in Anspruch nimmt. Gleichzeitig wird aber deutlich macht, dass auch der Friedenskaiser seine Knie beugt vor dem Kind aus Betlehem. Man las also die Geburtsgeschichte Jesu nach Lukas so, dass dieser mächtige Kaiser, der die Steuerzählung befahl, wonach sich auch Joseph und Maria und damit auch der ungeborene Jesus zu richten hatten, doch nur zweitrangig ist gegenüber dem Kind in der Krippe. Wollte aber der Evangelist mit der Erwähnung des Kaiser Augustus die Geburt Jesu mit der Pax Augusta, der Friedenszeit des Kaiser Augustus in Beziehung setzen, besonders auch im Blick auf die Friedenankündigung der Engel? Es mag spekulativ klingen, ich bin aber überzeugt, dass Lukas möglicherweise gerade das Gegenteil andeuten wollte. Er sieht im Kind in der Krippe den Gegenpart, das Gegenmodell zum römischen Imperator Caesar Augustus. Der Princeps Augustus, wie sein offizieller Titel lautet, war alles andere als ein friedfertiger Mensch. Ohne seine Biographie darstellen zu wollen, darf man doch sagen: Octavian(* 23.9. 63 v. Chr), der Großneffe und Adoptivsohn von Gaius Julius Caesar, hatte sich nach der Ermordung Caesars mit großer Brutalität an die Macht geputscht, seine Verbündeten und späteren Gegner mit Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit aus dem Weg geräumt und ist als Sieger aus den über 100 Jahre dauernden Bürgerkriegen hervorgegangen. Es ist ihm zwar gelungen, in Rom den sozialen Frieden herzustellen und Ruhe und Ordnung nach all den Wirren der Bürgerkriege wieder herzustellen. Nach außen schien die alte Republik wieder aufzuleben. Doch war das nur der Schein. Augustus herrschte mit unumschränkter Macht. Seine Titel lauten: Imperator Caesar Divi filius Augustus, Pontifex Maximus, Consul XIII, Imperator XXI, Tribuniciae potestatis XXXVII, Pater patriae - zu deutsch etwa: „Imperator Caesar, Sohn des Vergöttlichten, der Erhabene, Höchster Oberpriester, 13 Mal Konsul, 21 Mal Imperator, 37 Mal Inhaber der tribunizischen Gewalt, Vater des Vaterlandes. Nach seiner Konsekration im Jahr 14 n. Chr. wurde sein offizieller Name als Divus Augustus Divi filius weitergeführt. Er war nicht nur der politische Alleinherrscher und militärische Oberbefehlshaber, er war auch der oberste Priester, der Pontifex Maximus, ein Titel, den inzwischen der Papst inne hat. Nach seinem Tod wird Augustus göttlicher Ehren zuteil. Kaiser Augustus als Imperator Kaiser Augustus als Pontifex Maximus Allerdings ging das Wohlergehen der Stadt Rom und Italiens auf Kosten der römischen Provinzen. Sie wurden geradezu ausgepresst. Augustus verfügte über eine hervorragende Berufsarmee. Das römische Heer war straff organisiert, äußerst effektiv, in der Schlacht geradezu unbesiegbar dank ihrer disziplinierten Kampfstrategie. Durch den Ausbau der Straßen konnten sie schnell eingreifen, wenn Aufstände drohten. Es galt ganz besonders das römische Prinzip: Si vis pacem, para bellum - willst du den Frieden, bereite den Krieg. Unter Kaiser Augustus machten die Römer den größten Zugewinn an eroberten Territorien. Kaiser Augustus ging es also nicht nur um eine defensive Politik, die Grenzen sichern wollte, wie es, Augustus glorifizierend, oft im 19. Jahrhundert dargestellt wurde. Er war ein Eroberungspolitiker, wie wir sie in allen Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag kennen. Diese Tendenz zur Eroberung mit der Begründung, für die eigene Sicherheit zu sorgen, haben nicht nur Diktaturen, sondern auch demokratisch legitimierte Regierungen inne ebenfalls bis auf den heutigen Tag. Lukas erwähnt nicht das Friedenshandeln des Kaiser Augustus. Er berichtet von einer vom Kaiser befohlenen Eintragung in Steuerlisten. Das bedeutet nichts anderes, dass Augustus genau feststellen wollte, wer und wie viele steuerpflichtig sind. Das ist nicht vergleichbar, mit den Steuerbescheiden unserer Finanzämter. Man mag über die Berechtigung einzelner Steuern sicherlich geteilter Meinung sein. Es ging nicht um gerechte Besteuerung, sondern schlicht und einfach um die Ausbeutung eroberter Provinzen. In Herodes dem Großen (um 73 - 4 v. Chr) hatte Augustus in Judäa einen mehr als willfährigen Verbündeten, der alles für Augustus tat, um seine eigene Stellung nicht zu gefährden und deshalb bei den Juden zutiefst verhasst war. Für Judäa war diese Zeit nicht wie für Rom eine goldene Zeit. Die Friedensbotschaft Gottes bei der Geburt seines Sohnes proklamieren nicht Menschen, können nicht Menschen sich an die Fahne heften. Es ist eine himmlische Botschaft, die Botschaft der Engel: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade" Lk 2, 14). Das Kind in der Krippe, vor den Toren der Stadt geboren, von Hirten angebetet ist als Retter der Welt der Gegenentwurf Gottes zu einem gewaltsamen Herrscher wie Kaiser Augustus. Er bringt den Frieden, den die Welt nicht geben kann (vgl. Joh 14, 27). Sein Reich ist nicht von dieser Welt (vgl. Joh 18, 36). Er sagt: "Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele" (Mt 20, 25-28). Deshalb habe ich als Titelbild die Krippendarstellung der Höhle von Greccio gewählt, wo der hl. Franziskus 1223 zum ersten Mal eine Krippe gebaut und mit den Dorfbewohnern die Heilige Nacht gefeiert hat. In meinem Urlaub in diesem Jahr habe ich das kleine Kloster in den Sabiner Bergen besucht und selten einen so friedvollen, vom Geist des hl. Franziskus, besser vom Geist des Evangeliums erfüllten Ort gefunden. Am Ende eines Jahres voller Erinnerungen an Tage des Schreckens des Terrors, der Kriege, der Verfolgungen in Vergangenheit und Gegenwart birgt diese Begegnung für mich das Spüren der tief verankerten Hoffnung im Kind von Betlehem. Die naive Darstellung der stillenden Gottesmutter und der ein wenig abseits sitzende Josef, auf den der Schatten des auf dem Altar stehenden Kreuzes fällt, der in eine Dalmatik, ein Diakonengewand gekleidete vor dem Jesuskind kniende Franziskus lassen alles Laute und Widerstrebende in einem verstummen und erahnen, dass hier nicht der durch Kriege erzwungene, vermeintliche Friede dieser Welt, sondern der in Betlehem von den Engeln verheißene Friede ausstrahlt, den der hl. Franziskus jedem zugerufen hat der ihm begegnete. Schreibt er doch in seinem Testament: "Der Herr hat mir geoffenbart, dass wir als Gruß sagen sollten: 'Der Herr gebe dir Frieden!'" Das wünsche ich Ihnen zu Weihnachten und für das kommende Jahr Ihr Pfarrer Bernhard Lücking Fotos: B. Lücking