Gequält fürs Kotelett

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Manuskript
Beitrag: Streit um Kastenstände –
Gequält fürs Kotelett?
Sendung vom 10. Mai 2016
von Jörg Göbel und Christian Rohde
Anmoderation:
Legebatterien – Millionen Hühner waren noch bis 2012 in solchen
engen Käfigen eingesperrt. Geht nicht anders, sagten die
Hühnerhalter. Geht doch anders, wenn Politik handelt und
Verbraucher sich dafür interessieren, wo ihr Essen herkommt.
Inzwischen sind die Legebatterien komplett aus Deutschland
verschwunden. Was die Legebatterie für das Huhn, ist der
Kastenstand fürs Schwein. Eine Gitterbox, in der Zuchtsauen fast
die Hälfte eines Jahres so eng eingepfercht sind, dass sie sich
kaum bewegen können. Geht nicht anders, sagen die
Schweinhalter. Ginge doch anders, wenn Kontrollbehörden
durchgreifen und Verbraucher mehr zahlen würden, zeigen Jörg
Göbel und Christian Rohde.
Text:
Niedliche Ferkel, glückliche Sau. Idylle auf dem Bauernhof. Doch
industrielle Landwirtschaft sieht oft anders aus: Sauen über
Wochen gehalten in so genannten Kastenständen. Gitterboxen
aus Stahl. Manchmal kaum breiter als 60 Zentimeter. Solche
Kastenstände sind Standard in der deutschen
Schweinefleischproduktion.
O-Ton Cornelie Jäger, Landesbeauftragte für Tierschutz
Baden-Württemberg:
Dieses Thema Kastenstände oder genau genommen
Einzelhaltung, das ist, meiner Meinung nach, im Moment das
wichtigste Thema in der Schweinehaltung, was diskutiert
werden muss, weil da eben doch erhebliche
Einschränkungen für die Tiere verbunden sind mit dieser
Haltungsform, die, meiner Meinung nach, auch dem Sinn des
Tierschutzgesetzes so nicht mehr entsprechen.
In Deutschland werden jährlich fast 60 Millionen Schweine
geschlachtet. Damit der Nachschub sichergestellt ist, sollen die
Sauen möglichst viele Ferkel werfen. Dafür durchlaufen die Tiere
einen streng getakteten Produktionszyklus - ein halbes Leben
hinter Gitter.
Der Produktionszyklus der Sau beginnt im Kastenstand. Etwa fünf
Tage ist sie paarungsbereit - wird künstlich besamt. Tier an Tier,
Gitter an Gitter stehen die Sauen im Deckzentrum - bis die
Trächtigkeit fest steht, insgesamt etwa fünf Wochen.
Danach folgt der Wartebereich. In Gruppen sollen sich die Tiere
ausruhen, etwa elf Wochen lang. Der wichtigste
Produktionsschritt folgt im Abferkelstall. Hier wirft die Sau ihre
Ferkel, fast immer in einem Ferkelschutzkorb. Wieder in
Einzelhaltung.
Von 21 Wochen verbringt die Sau so rund zehn fixiert hinter
Gitter. Schweinezüchter argumentieren: Nur mit Ferkelschutzkorb
und Kastenstand funktioniere die Produktion.
O-Ton Dorothea Frederking, B‘90/GRÜNE, MdL SachsenAnhalt:
Kastenstände gehören zu den schlimmsten
tierquälerischsten Haltungsbedingungen überhaupt. Die
Sauen werden in diese Metallkäfige über mehrere Wochen
eingesperrt, sie können nur aufstehen und sich hinlegen. Sie
sind eingeschränkt im Sozialverhalten, sie können ihre
arteigenen Bedürfnisse überhaupt nicht ausleben.
Doch Kastenstände sind legal. Detailliert schreiben die
Bundesländer vor, wie groß so eine Gitterbox sein muss:
mindestens 70 cm breit für ausgewachsene Sauen. Doch nicht
einmal daran halten sich einige Großmäster. Auch deswegen vor
Gericht: Adrianus Straathof, lange Zeit einer der größten
Schweinehalter in Deutschland.
Diese Fotos stammen aus der Schweinehaltung in Kleindemsin.
Sie zeigen viel zu enge Kastenstände. Für die
Landtagsabgeordnete Dorothea Frederking steht fest: Straathof
ist keine Ausnahme.
O-Ton Dorothea Frederking, B‘90/GRÜNE, MdL SachsenAnhalt:
Straathof ist beispielgebend für eine industrielle Tierhaltung,
die auf maximale Rationalisierung setzt, ist beispielgebend
für eine Tierhaltung, die Tiere als Ware sieht, die die
Bedürfnisse der Tiere nicht in den Vordergrund setzt. Und
dann kommt es zum massenhaften Tierleid.
Straathof hat vom Landkreis Jerichower Land in den vergangenen
Jahren Bußgelder in Höhe von mehr als 800.000 Euro kassiert auch wegen zu enger Kastenstände. Das Oberverwaltungsgericht
Magdeburg hat klargestellt: Die Züchter müssen den Sauen
ausreichend Platz geben.
O-Ton Kristina Kubon, Sprecherin Oberverwaltungsgericht
Magdeburg:
Das Oberverwaltungsgericht hat im Wesentlichen geurteilt,
dass es bei einer Gestaltung der Kastenstände, so dass sie
tierschutzgerecht sind, dass also das Schwein in Seitenlage
seine Beine ausstrecken kann, nicht so sehr auf die
Kastenstandsbreite ankommt, als vielmehr darauf, dass
grundsätzlich gewährleistet ist, dass ein Schwein, das dort in
Seitenlage liegt, seine Gliedmaßen ausstrecken kann.
Straathof wehrt sich, hat Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Hat das Urteil Bestand, ist es bahnbrechend:
mehr Platz für die Schweine. Doch die Schweinezüchter müssten
Millionen investieren in neue Ställe - nicht nur in Sachsen-Anhalt
sondern auch in anderen Bundesländern.
Die Bolart GmbH in Tornitz, Brandenburg. Etwa 70.000 Schweine
werden unter diesen Dächern gehalten. Bilder von Tierschützern
zeigten auch hier schon Ende 2014: Schweine können sich in den
Gitterboxen kaum bewegen, manch Kastenstand nur 55 cm breit.
O-Ton Cornelie Jäger, Landesbeauftragte für Tierschutz
Baden-Württemberg:
Das was wir hier sehen, das ist genau das, was vom Recht so
nicht vorgesehen ist, dass also Tiere nebeneinander liegen,
die offensichtlich ihre Gliedmaßen so nicht ausstrecken
können. Außerdem handelt es sich ganz offenkundig um
Tiere, die dauerhaft fixiert sind. Das sieht man einfach am
Kotabsatz. Also, das ist sicherlich das, was der
Tierschutznutztierhaltungsverordnung nicht entspricht.
Der Betreiber und die kontrollierende Behörde sehen das anders:
Die schmalen Kastenstände seien nach wie vor legal und ein
Umbau brauche seine Zeit.
O-Ton Grit Klug Baudezernentin Landkreis OberspreewaldLausitz, Mai 2015:
Wir haben Ermessensspielraum bei den Entscheidungen und
haben uns entsprechend konzeptionell gemeinsam mit dem
Betrieb verständigt, wie mit den Kastenabständen zum
Beispiel umgegangen wird.
O-Ton Frontal 21:
Warum sind die noch nicht auf dem neuesten Stand der
Technik?
O-Ton Grit Klug Baudezernentin Landkreis OberspreewaldLausitz, Mai 2015:
Weil es unverhältnismäßig wäre, sofort mit dem Stichtag der
Einführung der Verordnung 100 Prozent alle Kastenstände in
dem Falle umzustellen.
O-Ton Frontal 21:
Also, wirtschaftliche Gründe?
O-Ton Grit Klug Baudezernentin Landkreis OberspreewaldLausitz, Mai 2015:
Wirtschaftliche Gründe.
Seit drei Jahren gilt auch in Brandenburg die Mindestbreite von
70 Zentimetern. Bis heute erlauben die Behörden Ausnahmen.
O-Ton Sandra Franz, Sprecherin Animal Rights Watch:
Das zeigt eben im Großen, dass die Umsetzung des
Tierschutzgesetzes eben an den wirtschaftlichen Interessen
der Industrie angelehnt ist und nicht an den Bedürfnissen
der Tiere. Und das ist der Skandal.
Zu schmale Kastenstände - dokumentiert überall in Deutschland:
In Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Alles
gebilligt von Behörden. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Magdeburg könnte diesen Missstand ändern.
O-Ton Cornelie Jäger, Landesbeauftragte für Tierschutz
Baden-Württemberg:
Also, ich gehe davon, dass dieses Urteil große
Auswirkungen auf den Vollzug haben wird und dass man für
viele Tierhaltungen diskutieren muss, wie man
Umbaulösungen finden kann, damit eben diese Ställe, die für
viel kleine Tiere konzipiert waren, jetzt auch für die großen
Tiere noch genutzt werden können, und wie man aus diesem
Dilemma rauskommen kann.
Denn es geht anders - auch in der industriellen
Schweineproduktion.
Boxberg, Landwirtschaftliche Bildungsstätte des Landes BadenWürttemberg. Hier lernen die angehenden Landwirte, wie
moderne Schweinhaltung auch funktionieren kann.
O-Ton Hansjörg Schrade, Leiter Landesanstalt für
Schweinezucht Boxberg:
Die Gruppenhaltung hat den Vorteil, dass das Tierverhalten
hier entsprechend den Anforderungen der Tiere gelebt
werden kann. Es sind Herdentiere, bilden Gruppen und
machen alles gemeinsam. Das können sie hier, indem sie
eben auch durch diesen Freigang von diesen Kastenständen
gemeinsam fressen können, gemeinsam liegen oder
tierindividuell sich bewegen.
Gruppenhaltung bedeutet hier: Die meiste Zeit können sich die
Tiere frei im Stall bewegen. Wenn es zu Rangkämpfen kommt,
ziehen sich unterlegene Sauen in Fress-/Liegeboxen zurück. Nur
zur Besamung werden sie auch dort fixiert – für wenige Tage. Ein
erster Schritt für ein besseres Schweineleben. Schrade will
seinen Auszubildenden beibringen:
O-Ton Hansjörg Schrade, Leiter Landesanstalt für
Schweinezucht Boxberg:
dass eben im Rahmen dieser Gruppenhaltung ganz wichtig
ist, dass wie in jeder Herde eine Rangordnung, eine
Hierarchie unter den einzelnen Gruppenmitgliedern sich
herausbilden muss. Dafür braucht es eine geeignete
Umgebung.
Zum Beispiel mehr Platz, weiche Böden, Rückzugsmöglichkeiten.
All das kostet am Ende Geld. Verbraucher sind billiges
Schweinfleisch gewohnt. Und die Industrie setzt lieber auf
Kastenstände, um preiswert zu produzieren.
O-Ton Sandra Franz, Sprecherin Animal Rights Watch:
Kastenstände erfüllen ja einen bestimmten Zweck für die
Industrie. Und die Industrie hat ein Interesse daran, dass die
Kastenstände so schmal sind, weil nur so sind die Tiere
quasi bewegungslos fixiert. Würden die Kastenstände
verbreitert werden, würden sie diesen Zweck nicht mehr
erfüllen und dann könnten sie auch gleich ganz abgeschafft
werden. Und darauf muss es unserer Ansicht nach auch
hinauslaufen.
Damit es den Schweinen in Deutschlands Tierfabriken besser
geht, braucht es schärfere Gesetze, Behörden, die durchgreifen,
und Verbraucher, die für ein bisschen mehr Schweineglück tiefer
in die Tasche greifen.
Abmoderation:
Er stehe zur Schweinehaltung! - sagte
Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt vor einem Jahr
auf einer Tierschutzkonferenz. Dort wurde dann auch
festgehalten: Langfristig soll auf die Einzelhaltung von Sauen im
Kastenstand verzichtet werden. Langfristig. Also irgendwann.
Vielleicht.
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