Manuskript Beitrag: Arme Schweine – Deutschland missachtet Tierschutz Sendung vom 12. Februar 2013 von Christian Rohde und Sandra Theiß Anmoderation: Wer gerne Schnitzel isst, der sollte wissen: Schweine-Leben ist hart in deutschen Ställen. Stressige Enge, Betonspaltenböden, Kastration ohne Betäubung. Doch immer mehr Verbraucher - und auch Bauern - wollen etwas ändern am Leiden der Tiere. Gerade im Schweineland Niedersachsen zeigt sich das. Aber: Viele landwirtschaftliche Betriebe haben neue EU-Tierschutzregeln einfach nicht umgesetzt, obwohl sie Jahre Zeit dafür hatten. Christian Rohde und Sandra Theiß über Reformer und Verhinderer. Text: Rund 55 Kilo Schweinefleisch vertilgt jeder Deutsche – pro Jahr. Und jedes Kotelett war einmal ein Ferkel. Das Tier soll gut gelebt haben, bevor es auf dem Teller landet. Immer mehr Verbraucher verlangen das. Vielen wird Tierschutz immer wichtiger, aber kaum einer weiß, wie massenhafte Fleischproduktion aussieht. Sie findet im Verborgenen statt. Gladau, Sachsen-Anhalt. Wir treffen Adriaan Straathof, einen der größten Ferkelproduzenten Europas. Erstmals lässt der Niederländer ein deutsches Fernsehteam in seine Ställe. 13.000 Sauen produzieren allein in dieser Anlage Nachwuchs. Jede Sau hier ist fixiert in einem sogenannten Ferkelschutzkorb. Quälerei sagen Tierschützer. Notwendig damit der Nachwuchs nicht totgetreten wird, erklärt Straathof. Ganz legaler Alttag in der Ferkelproduktion. O-Ton Frontal21: Wie geht das, Achtung vor Tieren – bei 20.000 Schweinen in einer Anlage? O-Ton Adriaan Straathof, Ferkelproduzent: Für uns ist es eigentlich egal, ob dass wir ein Schwein haben, oder 20.000, oder vielleicht 100.000. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, dass unsere Mitarbeiter ganz systematisch das alles schaffen, dass unsere Stallanlagen in Ordnung sind, dass die Klimaanlagen in Ordnung sind, und damit wir sicher sind, dass es unseren Tiere gut geht. Und ich denke, dass wir – oder ich kann sagen: Unseren Tieren geht’s gut! Wirklich? Verletzt, verendet, zerquetscht. Auch diese Bilder stammen aus Straathofs Anlagen. Tierschützer haben sie heimlich aufgenommen. Auch sie zeigen, was in der Massenproduktion normal ist: angefressene Ohren, weil es den vielen Schweinen an Beschäftigung fehlt. Wühlen? Im Plastikboden unmöglich. Tiere im eigenen Kot, weil Stroh zu viel Arbeit macht. Dazu immer wieder tote Ferkel. Verluste seien normal, sagt Straathof. O-Ton Adriaan Straathof, Ferkelproduzent: Würden einzelne Tier tot geboren, würden einzelne Tiere erdrückt, dass gehört zu der normalen Tierhaltung. Und durch unser Haltungssystem haben wir, ich sag mal, ungefähr elf Prozent Verluste von alles, was bei uns geboren wird. Und deutschlandweit liegt das ungefähr bei 15, 16 Prozent. Für Deutschland bedeutet das: Millionen tote Ferkel im Jahr. Einkalkulierte Verluste in der Massenproduktion. All das - nicht etwa illegal, sondern im Rahmen deutscher Tierschutzgesetze. Und profitabel ist es auch noch. Adriaan Straathof will weiter wachsen, Noch größere Ställe bauen, mit noch mehr Tieren. Jahrelang wurden solche Agrarfabriken gefördert. Doch solch eine Agrarpolitik haben immer mehr Menschen satt. Ende Januar in Berlin, Demonstration gegen Massentierhaltung. Tierschutz wird Wahlkampfthema: O-Ton Renate Künast, B´90/Grüne, MdB, Vorsitzende Bundesfraktion, am 17.1.2013: Wahr ist, die Union, CDU und CSU, ist immer noch Erfüllungsgehilfe der Agrarindustrie, der Großmastanlagen, der Megaschlachthöfe. O-Ton Ilse Aigner, CSU, Bundeslandwirtschaftsministerin, am 17.1.2013: Sie von den Grünen romantisieren die Vergangenheit, als wäre früher alles besser gewesen. Tatsache ist: Diese christlich-liberale Koalition hat mehr für den Tierschutz getan als jede andere Bundesregierung. Dabei wird gegen den Tierschutz in Deutschland massiv verstoßen. Aktuelle Bilder aus Ställen in Niedersachsen. Sauen eingepfercht in sogenannten Kastenständen. Kaum zwei Quadratmeter Platz für jedes Tier, so verbringen sie fast ihr ganzes Leben für die Fleischproduktion. Der Tierschützer Erasmus Müller war dabei, als diese Aufnahmen heimlich gedreht wurden. O-Ton Erasmus Müller, Tierschutzorganisation ARIWA: Man sieht hier ein Tier, das seit mehreren Wochen oder auch schon seit Monaten so fixiert ist, dass es sich nicht umdrehen kann, dass es nicht einen ganzen Schritt nach vorne oder hinten gehen kann, und es kann halt nichts bewegen. Und das ist die Reaktion der Tiere, die einfach verrückt geworden sind. Sie beißen an diesen Stangen, weil es das einzige ist, was ihnen über Monate überhaupt noch möglich ist zu tun. Und das sind Tiere, die so intelligent und neugierig sind wie Hunde. Schon 2001 hatte die EU erkannt: Tiergerecht sind Kastenstände nicht. Zwölf Jahre gab sie den Bauern Zeit, ihre Ställe umzubauen. Seit dem 1. Januar dürfen Sauen nach der Besamung nur maximal vier Wochen so eingepfercht werden. Die Bilder der Tierschützer aber belegen: Viele deutsche Bauern halten sich nicht daran. Diese Sauen zum Beispiel müssen schon seit 13 Wochen im Kastenstand stehen. Illegal und die Politik schaut zu. O-Ton Erasmus Müller, Tierschutzorganisation ARIWA: Mein Vorwurf an die Politik ist, dass offensichtlich der Wille nicht da ist, dafür zu sorgen, dass wirklich etwas passiert, für die Tiere. Verantwortlich für den Tierschutz in Deutschland ist Ilse Aigner. Wir fragen nach: Warum ist so wenig passiert? Die Ministerin weicht aus. O-Ton Ilse Aigner, CSU, Bundeslandwirtschaftsministerin: Ich bin mir sicher, dass in Deutschland das auch umgesetzt wird. Es wird aber auch entscheidend sein, dass in ganz Europa das umgesetzt wird. Fast ganz Europa aber hat die neuen Tierschutzgesetze zu 100 Prozent umgesetzt. Das zeigt eine interne Tabelle der EU Kommission. Deutschland – abgeschlagen - nur 73 Prozent. Auch das neue Tierschutzgesetz von Ilse Aigner schützt die Wirtschaft besser, als die Tiere. Eigentlich sollten schmerzhafte Eingriffe verboten werden. Doch die Regierungsfraktionen sorgten dafür, dass Ferkel weiter ohne Betäubung kastriert werden dürfen. Auch Zähne-Abkneifen und Schwänze-Kupieren bleibt weiterhin möglich. Einige deutsche Schweinebauern wollen ihren Tieren das nicht mehr antun. Reddingen, Lüneburger Heide. Christoph Becker ist kein Biobauer. Trotzdem gibt er seinen Schweinen 50 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben. Die Tiere haben feste Liegeflächen, müssen also nicht ständig in ihrem eigenen Kot leben. Jeden Tag wirft Becker etwas Stroh ein - zum Spielen. Die Folge: Die Schweine beißen sich weniger. So kann Becker aufs Schwänze-Abschneiden verzichten. Und kastriert sind seine Tiere auch nicht O-Ton Christoph Becker, Schweinemäster: Da hat man früher immer gesagt, dann werden die Tiere aggressiv, etc. Das könnte problematisch sein. Und diese Probleme kann man in den Griff kriegen, auch wieder das gleiche, wenn man den Tieren zum Beispiel mehr Platz gibt. Dann haben die Möglichkeiten auszuweichen, dem anderen aus dem Weg zu gehen und so weiter. Mehr Tierschutz als das Gesetz vorschreibt. Becker glaubt an das Konzept – ein neues Tierschutzlabel. Das haben Landwirte und Deutscher Tierschutzbund gemeinsam entwickelt. O-Ton Christoph Becker, Schweinemäster: Ich glaube, dass wir hier dem Verbraucher entgegen kommen und sagen, hier, dafür musst du nicht extrem viel mehr bezahlen, aber so viel, dass es dem Tier deutlich besser geht. Und wir kommen auch den Landwirten ein Stück entgegen, weil diese Änderungen für die Landwirte machbar sind. Sie sind zwar schwierig, aber sie sind machbar. Jetzt hat auch ein großer Fleischkonzern als Geschäftsmodell entdeckt, was bisher eine Nische war - mehr Tierschutz beim Schweinefleisch. O-Ton Heinz Schweer landwirtschaftlicher Direktor VION: Wenn die vielen Verbraucher das heute so diskutieren, dann müssen sie jetzt auch den Beweis an der Theke erbringen, dort abzustimmen, ob sie für – ich sage mal - die gefühlte Qualität, das gute Gewissen, dass es den Schweinen hervorragend geht, auch mehr zu bezahlen. Jetzt kann jeder selbst entscheiden, was auf seinen Teller kommt. Abmoderation: Seit mehr als zehn Jahren steht im Grundgesetz: Tierschutz ist Staatsziel! Vielleicht nützt das den Schweinen ja doch noch irgendwann mal was. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. 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