Das ’Alte Reichsarchiv’ in Stockholm Daniel Höffker Aller archivalischen Tätigkeit ist zu eigen, sich um notwendigen Platz für Zugänge zu sorgen. Auch das Archiv der zentralen schwedischen Verwaltung, das Reichsarchiv, machte und macht hier keine Ausnahme. Seit der Begründung des Reichsarchives war die Lokalfrage ständig aktuell und die Provisorien und hastig umgewidmeten Depots wechselten einander mitunter recht schnell ab. Nach nur zweieinhalb Jahrhunderten bekam die schwedische Archivverwaltung dann 1891 den ersten reinen Zweckbau für ein Archiv, nämlich das Gebäude, das wir heute als Gamla Riksarkivet (das Alte Reichsarchiv) bezeichnen. Als Gründungsjahr des Reichsarchivs wird die Kanzleiordnung von 1618 angesehen, in der Reichskanzler Oxenstierna einige Beamte der königlichen Kanzlei zur Einsammlung und Pflege der Kanzleiakten abstellte. Diese Tätigkeiten wurden natürlich auch vorher schon ausgeführt, aber seit 1618 kann man eine ungebrochene Linie von Peder Månsson Utter zu Björn Jordell, dem jetzigen Reichsarchivar, ziehen. Dabei blieb das Reichsarchiv bis 1878, als es eine eigenständige Behörde wurde, ein Teil der königlichen Kanzlei beziehungsweise des Ministeriums für Bildung. Mit der Eigenständigkeit wurde der Verantwortungsbereich des Archivs auf die gesamte staatliche Verwaltung ausgedehnt. 1 Das Reichsarchiv war also bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wenig mehr als ein Wurmfortsatz der königlichen Kanzlei und organisatorisch wie räumlich stiefmütterlich ausgestattet. Die bauliche Geschichte des Reichsarchives kann lang oder kurz erzählt werden, die Klagen, Argumente und Probleme sind jedoch repetitiv. Von Beginn an disponierte das Reichsarchiv vor allem Räumlichkeiten im königlichen Schloss, auch wenn dies nicht ganz ungefährlich war, wie der Schlossbrand von 1697 zeigte, dessen konservatorische Folgen noch heute repariert werden. Grosse Hoffnungen setzte man auf Ridderstolpeska huset in der Nähe des Schlosses, das 1846 bezogen wurde. Jedoch zeigte sich das Fundament des direkt an der Ostsee gelegenen Gebäudes dem Gewicht der Akten nicht gewachsen und es entstanden schon bald Risse in Fundament und Fassade. Zudem war das Haus schwierig bis unmöglich zu heizen und von Anfang an zu klein. Die Anpassung des Gebäudes beschränkte sich zunächst auf die Installation eiserner Fensterläden. 2 Daher stand der nächste Umzug bereits im Jahre 1865 an, als man auf die andere Seite der Altstadt in Stenbockska huset zog. Hier gab es anfangs genug Platz, um endlich auch die Gewölbe im Schloss zu räumen, über die das Reichsarchiv seit dem 17. Jahrhundert verfügt hatte. Ausserdem hatte Stenbockska huset einen grösseren unbebauten Hof zum Riddarholmskanal hin, der bereits für einen 1 Norberg, Erik: Mellan tiden och evigheten. Riksarkivet 1846-1991, Stockholm 2007 (Skrifter utgivna av Riksarkivet 28), S. 76. 2 Norberg, S. 26. 2 möglichen Ausbau in Erwägung gezogen wurde. Allerdings war es noch nicht abzusehen, wo die lebensnotwendige Schienenverbindung zwischen der nördlichen und südlichen Stammbahn genau verlaufen würde. 3 Dass diese Lücke im schwedischen Eisenbahnnetz jedoch irgendwo auf Riddarholmen geschlossen werden müsste, war aber bereits klar. Auch Stenbockska huset wurde natürlich von der immer umfangreicheren staatlichen Verwaltung rasch gefüllt und Reichsarchivar Bowallius sah sich gezwungen 1881 formell um einen Neubau zu ersuchen, in erster Linie in direktem Anschluss an Stenbockska huset. Das einzige was seiner Ansicht nach gegen diesen Platz spräche, wäre die nahegelegene Druckerei, die eine erhebliche Brandgefahr mit sich führe. Nun schien die Zeit endlich reif für einen Neubau zu sein. Im verhältnismässig friedlichem und prosperierendem 19. Jahrhundert errichteten viele Staaten repräsentative Bauten für kulturelle Einrichtungen wie Museen, Galerien, Bibliotheken und eben Archive. 4 Vor allem die Archive gerieten in dieser Zeit in den Blickpunkt der kulturellen und wissenschaftlichen Eliten. Im Übergang zu einer Historiographie, die auch wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen hatte, gewannen die schriftlichen Zeugnisse menschlichen und staatlichen Handelns immer grössere Bedeutung und mit ihnen auch die Institutionen, denen ihre Bewahrung oblag. Schliesslich wurde also Överintendentämbetet, die Staatliche Bautenverwaltung, am 29. Oktober 1881 durch königlichen Beschluss damit beauftragt, Pläne für ein neues Archivgebäude zu erstellen und verschiedene Baugrundstücke zu diskutieren. 5 Der Architekt und spätere Hofintendent Axel Nyström wurde mit Entwurf und Planung von drei Alternativen beauftragt. Dieser Arbeit lagen die Anforderungen an ein neues Archivgebäude zugrunde, die von Reichsarchivar Odhner zusammengestellt worden waren, namentlich die Vermeidung von Brandrisiken in der unmittelbaren Umgebung, die Eindämmung von Bränden im Archivgebäude und rein umfangsmässig ein Platzbedarf von 65.000 sträckfot (etwa 22.000 Regalmeter) für die nächsten 50 Jahre. In einem Promemoria vom 17. Dezember 1881 stellte der Archivar Otto von Feilitzen folgende weitergehende Forderungen an ein neues Archivgebäude auf: das Grundstück sollte Platz für Ausbauten bieten, das Gebäude sollte nicht mehr als drei leichtzugängliche Etagen haben, hohe Räume sollten mit Galerien versehen werden und die Heizung sollte nicht durch direkte Feuerung sondern durch eine Zentralheizung erfolgen. 6 Man darf davon ausgehen, dass diese Forderungen mit den Beobachtungen des Archivars Bernhard Taube auf einer Studienreise in Europa zusammenhängen, die ihn nach Berlin, Wien, München und Paris führte. So beschreibt Taube am Berliner Beispiel, 3 Norberg, S. 109. Malmström, Krister: Riksarkivet på Riddarholmen. Sveriges första arkivbyggnad, in: Abukhanfusa, Kerstin (Hrsg.): Riksens arkiv: det gamla som det nya, S. 49-68, hier S. 49. 5 Riksarkivet (RA), Överintendentämbetet (ÖIÄ), FIab:78, No. 402, 19. Juni 1885. 6 Riksarkivets ämbetsarkiv, Äldre huvudarkivet, FIIa:3. 4 3 wie man die Feuergefahr durch gemauerte Kellergewölbe, Türen und Fensterläden aus Eisen, Rauchverbot und Verbot von offenen Licht bannen wollte. Geheizt wurden die Räume durch eine Zentralheizung unter der Verwendung von warmen Wasser als Wärmemedium. 7 Besonders beeindruckt zeigte sich Taube vom Archiv in München, dessen Architektur und Grundriss er in höchsten Tönen lobte. Allerdings, so bemängelt er, wäre es im Winter fusskalt. 8 Nyströms Pläne sahen vor, so wenig Holz wie nur möglich zu benutzen und die einzelnen Räume baulich und funktionell voneinander zu trennen. 9 Die Vermeidung von Holz als Baumaterial führte vor allem dazu, dass grosse Teils des Gebäudes in Eisen auszuführen waren: so zum Beispiel Dachstuhl, Decken und Zwischendecken, Treppen und Stützpfeiler. Hinsichtlich der Lage gab es aber bereits drei Alternativen: ein Neu- oder Anbau an Stenbockska huset auf Riddarholmen, ein Neubau in Humlegården gegenüber der königlichen Bibliothek und schliesslich ein Neubau am Nybroviken, ungefähr dort wo sich heute das Königliche Dramatische Theater befindet. Für die Berechnung der Kosten griff Nyström auf die Erfahrungen zurück die man einige Jahre zuvor beim Bau der königlichen Bibliothek gemacht hatte. Die drei geplanten Alternativen hatten alle monumentalen Charakter, wobei sie sich natürlich einer ähnlichen Formsprache bedienten. Sie zeigen auch, wie sich Architekt und wohl auch der Reichsarchivar ein neues Archiv vorstellten. Sie zeigen daher auch, welche Kompromisse beim späteren Bau des Alten Reichsarchivs eingegangen wurden. Zunächst favorisierten sowohl die Bautenverwaltung als auch die Regierung einen Neubau im Humlegården gegenüber der königlichen Bibliothek. Das Risiko von Feuer war tatsächlich unbefindlich und das Reichsarchiv hätte ein sehr stimmiges Ensemble zusammen mit Kungliga biblioteket abgegeben. Jedoch widersetzten sich einige Ministerien und Kollegien einer zu weit vom Regierungszentrum in Gamla stan entfernten Platzierung des Reichsarchivs. Dies führte zusammen mit den im direkten Vergleich geringeren Kosten dazu, dass man sich für einen Neubau auf Riddarholmen entschied. Eine wichtige Voraussetzung hierfür konnte 1884 geschaffen werden, als die Bautenverwaltung einen Vergleich mit der Druckerei erwirken konnte, der zum einen die Einrichtung einer recht breiten Strasse zwischen den Gebäuden ermöglichte und zum anderen jegliche Druckereitätigkeit innerhalb eines Abstandes von 40 fot (etwa 12 Meter) von dieser Strasse verbot. 10 Der erste Vorschlag Nyströms sah eine Orientierung des Reichsarchivs zum Birger Jarls torg und ein Gebäude mit drei Flügeln vor. Hierzu hätten aber zwei Adelpaläste aus 7 Taube, Bernhard, in: Meddelanden från Svenska Riksarkivet 1880, S. 21-22. Taube, S. 49. 9 RA, ÖIÄ, FIab:78, No. 599, 8. August 1882 10 Norberg, S. 112. 8 4 dem 17. Jahrhundert abgerissen werden müssen, darunter Stenbockska huset. 11 Schliesslich wurde eine erheblich kleinere Alternative realisiert und die Front des Reichsarchivs zum Riddarholmskanal gewendet. Stenbockska huset sollte erhalten bleiben und durch zwei Übergänge an das neue Gebäude angebunden werden. Die Einwände des Reichsarchivars gegen einen Neubau auf Riddarholmen in direktem Anschluss an die bisherigen Räumlichkeiten des Reichsarchivs wurden von Nyström schriftlich entkräftet. Durch höhere Regale könne man das erforderliche Lagervolumen auch auf dem begrenzten Grundstück am Riddarholmskanal erreichen. Allerdings müssten dann auch die Fenster vergrössert werden und bis in das oberste Stockwerk reichen. Dies führe weiterhin dazu, dass der Neubau zu den höchsten Häusern der Stadt gehören würde, was aber keine Probleme verursachen sollte, da es bereits einige ähnlich hohe Gebäude gebe. Ausserdem sollte ein öffentliches Gebäude, das hehren Zwecken dient, auch baulich einen monumentalen Charakter haben. 12 Zudem sollte das Reichsarchiv in einer nächsten Bauphase nach Süden erweitert werden, so dass sich die Fassade deutlich in Längsrichtung gestreckt hätte. 13 Die Bedenken des Reichsarchivars, die Feuerwehr könne Brände in dieser Höhe nicht bekämpfen, konnten Nyström und der Stadtbrandmeister durch einen Versuch mit einem Spritzenwagen entkräften, bei dem die Wurfhöhe des Wasser die Höhe des Reichsarchivs deutlich übertraf. 14 Am 13. Juli 1887 konnte die Fertigstellung des Fundamentes gefeiert werden, wobei eine Blechkiste mit den gerade gültigen schwedischen Münzen und Angaben über Architekt, Bauunternehmer und Reichsarchivar eingemauert wurde. 15 Zur Enttäuschung des Archivars Theodor Westrin war nur ein Journalist anwesend, dazu noch von den amtsblattartigen Post- och Inrikes Tidningar. 16 Trotz eines des sehr kalten Frühjahrs 1888 mit Minusgraden weit in den April hinein, konnte die äusseren Mauern, das Dach und viele der tragenden inneren Konstruktionen vertragsgemäss bis zum Jahresende fertiggestellt werden. 17 1889 wurden die restlichen Arbeiten an Dach, Fassade und Mauerwerk ausgeführt und mit der Planung der Heizung, der Malerarbeiten und der Inneneinrichtung begonnen. 18 Der Aufzug führte zu grösseren Problemen und unterlag ständigen Modifikationen noch bis kurz vor Abschluss der Bauarbeiten. So wurde Ende des Jahres 1889 überlegt, die Aufzüge mit Wasserdruck zu betreiben, was jedoch von der zuständigen 11 Kristiansen, Sven: I Riksens Archivum, in: Kulturvärden 1996:1, S. 18-21, hier S. 20. RA, ÖIÄ, Fiab:78, No. 118, 16. Januar 1886 13 Odhner, C. T.: Den nya Riksarkivbyggnaden, in: Meddelanden från Svenska Riksarkivet 1891, S. 457-483, hier S. 471. 14 RA, ÖIÄ, Fiab:78, No. 118, 16. Januar 1886 15 RA, ÖIÄ FIab:78, No. 68, 10. Januar 1888. 16 Riksarkivets ämbetsarkiv, Äldre huvudarkivet, FIIa:3. 17 RA, ÖIÄ, FIab:78, No. 156, 29. Januar 1889. 18 RA, ÖIÄ, FIab:79, No. 174, 25. Februar 1890. 12 5 Stadtverwaltung abgelehnt wurde, da die entnommene Wassermenge, zu allzu starken Fluktuationen in der Wasserversorgung Riddarholmens geführt hätte. 19 Die Abschlussbesichtigung erfolgte am 22. Dezember 1890 und tags darauf konnte das Reichsarchiv das neue Gebäude formell in Besitz nehmen. Bedenkt man jedoch die Lichtverhältnisse des Stockholmer Dezembers dürfte dies nur ein kurzer und schummriger Arbeitstag gewesen sein. Auch nach der Übergabe wurden noch einzelne Bauelemente besichtigt. Am 21. Februar 1891 wurden zum Beispiel die Zementarbeiten abgenommen und genehmigt. 20 Erst im April 1891 konnte der reguläre Betrieb in Lesesälen und Magazinen aufgenommen werden. Der Bauleiter Jacobsson reichte am 6. Mai 1891 die Endabrechnung ein. Der grösste Posten in Höhe von 250.000 Kronen ging an die Firma A. G. Jansson für Fundament, Mauerwerk, Dachstuhl etc., gefolgt von der Firma Atlas, die sämtliche Schmiede- und andere Metallarbeiten für 158.000 Kronen durchführt hatte. Unter den weiteren aufgeführten Posten tauchen 31.000 Kronen für Regale und Bücheraufzüge sowie 263 Kronen für Kleiderbügel auf. 21 Es zeigte sich, dass Bauleiter und Architekt gut gewirtschaftet hatten und dass vom genehmigten Etat noch 100 Kronen übriggeblieben waren. Odhner wollte gerne, das diese überzähligen 100 Kronen für die Installation einer Hutablage verwendet würden. 22 Jedoch gab es Probleme mit der Heizungsanlage. Schliesslich sah sich der Reichsarchivar gezwungen, die Fertigstellung der Heizung anzumahnen, um den Neubau zu trocknen und damit erst tauglich für die Aufbewahrung von Archivgut zu machen. 23 Auch die mit dem Einbau der Regale beauftragten Schreiner beklagten sich über die zu feuchte Umgebung, die das Bauholz aufquellen liesse. 24 Auf Ersuchen des Reichsarchivars beschloss die Bautenverwaltung am 28. April 1891 die Fenster putzen zu lassen und dies einmalig aus dem Etat für den laufenden Unterhalt staatlicher Gebäude zu bestreiten. 25 Seitdem hat sich hierfür kein Geld mehr auftreiben lassen. Eine architekturhistorische Einordnung des alten Reichsarchivs ist nicht ganz einfach. Allgemein wird der Bau als eines wichtigsten erhaltenen Zeugnisse der Institutionsarchitektur im Schweden des ausgehenden 19. Jahrhunderts angesehen. Üblicherweise wird er Baustil als romanisch bezeichnet, wobei stets Parallelen zu der mittelalterlichen Romanik oder der Architektur der mediterranen Renaissance gezogen werden. So nennt zum Beispiel Odhner als wichtigsten Ausdruck dieses Baustils die vorstehende Mittelpartie, die mit einem gewölbten und mit Säulen flankiertem Portal 19 20 21 22 23 24 25 RA, RA, RA, RA, RA, RA, RA, ÖIÄ, ÖIÄ, ÖIÄ, ÖIÄ, ÖIÄ, ÖIÄ, ÖIÄ, FIab:79, FIab:79, FIab:80, FIab:79, FIab:79, FIab:79, FIab:80, No. 61, 23. Dezember 1889. No.182, 21. Februar 1891 6. Mai 1891 No. 187, 26. Februar 1891. No. 302, 1. Mai 1890. No. 302, 1. Mai 1890 27. April 1891 6 sowie einer mit Zinnen bewehrten Dachtraufe versehen ist. 26 Malmström sieht das alte Reichsarchiv hingegen als einen typischen Entwurf des Rundbogenstils. 27 Zweifelsohne bezieht jedoch der Rundbogenstil seine Inspiration aus der Romanik. Versuchen wir uns also nun an einer Beschreibung des Baus, der zumindest in Schweden als hochmodern angesehen wurde. Das Alte Reichsarchiv hat 3 Hauptetagen, die wiederum vor allem in den Magazinen Zwischenetagen enthalten. Neben den eher technischen Räumlichkeiten im Keller, wie der Heizungsanlage, besteht das Erdgeschoss aus Magazinen, die durch eiserne Zwischendecken zwei Etagen umfassen. Im ersten Stock befinden sich die öffentlichen Räume, die Dienstzimmer und natürlich Magazine. Während in letzteren wiederum zwei Etagen durch Zwischendecken eingerichtet wurden, weisen die restlichen Räume Galerien entlang der hohen Wände auf. Der zweite Stock ist eine reine Magazinsetage und in drei Zwischenetagen eingeteilt. Auch der Dachboden wurde in gewissem Umfange als Magazin genutzt. So kann man eigentlich von einem achtstöckigen Gebäude sprechen. Ein wichtiges architektonisches Element ist die prachtvolle Treppe, die sich dem Besucher hinter dem eher unscheinbaren Haupteingang öffnet. Wie alle öffentlich zugänglichen Räume ist sie reich verziert, unterstreicht den monumentalen Charakter des Gebäudes und ordnet es der staatlichen Sphäre zu. Das Fundament ruht überall direkt auf dem Urgestein, das in Stockholm ja eigentlich sehr nahe der Oberfläche liegt. Doch hatte das Reichsarchiv mit Riddarstolpeska huset schlechte Erfahrungen mit unzureichenden Fundamenten gemacht, wo schon nach kurzer Zeit Setzungsrisse im Mauerwerk auftraten. 28 Das Gebäude ruht auf einen Grund aus kaltgemauerten Feldsteinen, die nicht durch Mörtel verbunden sind. So kann das Oberflächenwasser auf dem leicht abschüssigen Grundstück frei ablaufen ohne die Grundmauern zu beschädigen. 29 Hierauf ruht ein Sockel aus behauenem Granit. Die Mauern wurden mit Ziegelsteinen hochgezogen, jedoch verwandte man den teureren roten Ziegel nur für die Vorderseite. Die Fensterumrahmungen und andere Details der Fassaden wurden aus Zement gegossen. Dem heutigen Besucher präsentiert sich das Reichsarchiv leider nicht besonders idyllisch, da sich mittlerweile eine sechsspurige Autobahn und mehrere Gleise vor das Gebäude geschoben haben. Bei der statischen Dimensionierung und Ausformung wurde vor allem Augenmerk auf Tragfähigkeit und Brandschutz gelegt. So bestehen die Decken aus gemauerten Ziegelgewölben in der untersten Etage und in den oberen Etagen aus Betonböden, die 26 27 28 29 Odhner, S. 471. Malmström, S. 66. RA, ÖIÄ, FIab:77. RA, ÖIÄ, FIab:78. 7 auf Tragebalken aus gewalztem Eisen ruhen, die in die Aussenwände eingemauert wurden. Die Tragebalken wiederum werden von gusseisernen Säulen getragen. Das Dach wurde mit Blech gedeckt. 30 Die Treppen wurden ebenfalls aus Zement und Eisen gebaut. Neben drei von Hand betriebenen Bücheraufzügen wurde im Reichsarchiv einer der allerersten elektrischen Fahrstühle in Schweden installiert, der aber immer wieder Probleme bereitete und in Regel nur selten benutzt wurde. Der Antrieb des Aufzuges wurde im Keller in einem eigens ummauerten Raum installiert, um die Brandgefahr durch den Elektromotor zu verringern. Der Aufzugsschacht ist von allen Seiten ummauert und die Türen auf jedem Stockwerk bestehen aus Eisen. Die Räume wurden in Dienstzimmer und Depots unterteilt. Sämtliche Dienstzimmer befinden sich im ersten Stock, da man das Erdgeschoss für die wertvollsten Archivalien reserviert hatte, von wo aus sie bei einem Brand am schnellsten evakuiert werden konnten. Im Gegensatz zu den Magazinen wurden die Dienstzimmer auch in höherem Masse mit Holzelementen wie Dielenböden und Türzargen ausgestattet. Die Türblätter waren mit Kanten aus gewalztem Eisen und Schwellen aus Sandstein versehen, um Ihnen grössere Widerstandskraft bei Bränden zu geben. 31 Bis auf die Regale wurde in den Magazinen nur Eisen und Stein als Baumaterial verwendet. Da die Etagen durchgehend eine sehr grosse Höhe aufwiesen, wurden die Dienstzimmer mit eisernen Galerien entlang der Wände ausgestattet, während die Magazine bis zu drei Zwischengeschosse mit Fussböden aus Stahlblech aufwiesen. Odhner bezeichnete diese sehr effektive Raumnutzung als das belgische System, das sich dadurch auszeichne, ohne Leitern auszukommen. 32 In den ersten Jahren wurde nur das Tageslicht zur Beleuchtung der Räume benutzt, was auch dazu führte, das das Archiv nur im Sommer auch am Nachmittag geöffnet war. Zur Beleuchtung wurden sehr grosszügige Fenster eingebaut, die sich in den Magazinen über mehrere Zwischengeschosse erstrecken. Die Fenster sind fest in eisernen Rahmen verschraubt und es gibt nur eine wenige Lüftungsluken, die zudem mit einem dichten Drahtgeflecht versehen sind, um die Magazine vor Funken vorbeifahrender Dampflokomotiven zu schützen. 33 Die Fenster an der Nordseite zur Druckerei hin wurden mit eisernen Fensterläden ausgestattet. Wenn die Konstruktion der Fenster auch brandtechnisch klug war, so führte sie doch zu erheblichen Problemen bei der Belüftung und bei der Fensterreinigung. Wie bereits angedeutet, sind bis heute die Innenseiten der äusseren und inneren Fenster nie geputzt wurden. 30 31 32 33 Odhner, Odhner, Odhner, Odhner, S. S. S. S. 472. 473. 473-474. 475. 8 Zur Beheizung des Gebäudes wurde eine Niederdruck-Zentralheizung eingebaut, deren Heizkessel sich im gemauerten Kellergewölbe befand. Ein solches System wurde schon in der Planungsphase einem Warmluftsystem vorgezogen, da das letztere zu hohe Temperaturen benötigt hätte, um die grossen Räume zu erwärmen. 34 Der spezifische architektonische Wert des Alten Reichsarchivs besteht vor allem darin, dass es eines der am besten erhaltenen und vollständigsten Institutionsgebäude des 19. Jahrhunderts ist. Die Fassade, die Raumaufteilung, die technischen Installationen und teilweise auch die Einrichtung als solche sind im Prinzip unverändert erhalten. 35 Eine der wenigen Modifikationen ist die eiserne Bücherrutsche, die während des Zweiten Weltkrieges in das Treppenhaus eingebaut wurde, um eine schnelle Evakuierung der Archivalien zu ermöglichen. Während des Kalten Krieges war man stets auf eine Evakuierung des Archives vorbereitet und die Rutsche wurde daher nie abgebaut. Das alte Reichsarchiv hat als erster Archivzweckbau stets einen besonderen Stellenwert für die Archivare des Reichsarchivs gehabt. Obwohl sich das Reichsarchiv schon seit 1968 in neuen Lokalen im Stockholmer Stadtteil Marieberg befindet, liegt das alte Gebäude immer noch vielen am Herzen und jede Neuigkeit hierüber wird eifrig diskutiert. So sind die Krimileser unter Ihnen vielleicht mit der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson vertraut. Die kürzlich abgedrehte Verfilmung spielt teilweise im Forschersaal des alten Reichsarchivs, der als Redaktionsraum der Zeitschrift Millennium fungierte. Wie dargelegt wurde, unternahmen Architekt und Reichsarchivar grosse Anstrengungen, um das alte Reichsarchiv so brandsicher wie möglich zu machen und tatsächlich war das Gebäude als solches unbrennbar. Das Archivgut mithin war es aber nicht. Wäre es zu einem Feuer gekommen, hätte die enorme Brandbelastung der brennenden Akten und Regale dazu geführt, das sich die eisernen Pfeiler und Zwischendecken verformt hätten und das Gebäude oder zumindest das Gebäudeinnere eingestürzt wäre. 36 Genau dies führte ja auch zum Kollaps der Zwillingstürme des World Trade Centers. Nachdem es nach der Einrichtung des modernen Depots des Reichsarchivs in Stockholmer Vorort Arninge im Jahre 1995 komplett geräumt wurde stand das Alte Reichsarchiv komplett leer. Gerade wird es zu einer Nationalbühne für Kinderkultur umgebaut. 2011 soll der Umbau abgeschlossen sein und das alte Reichsarchiv wird wohl lauter und lebendiger werden denn je. Und doch bleibt zu hoffen, dass der genius loci einer “gelehrten Behörde” erhalten bleibt. 34 35 36 RA, ÖIÄ, FIab:78, No. 630, 19 Oktober 1885. Strandell, Monika: Bruka, bevara och förädla, in: Kulturvärden 2006:1, S. 4-11, hier S. 9-10. Kristiansen, S. 20.