Aller archivalischen Tätigkeit ist zu eigen, sich um notwendigen

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Das ’Alte Reichsarchiv’ in Stockholm
Daniel Höffker
Aller archivalischen Tätigkeit ist zu eigen, sich um notwendigen Platz für Zugänge zu
sorgen. Auch das Archiv der zentralen schwedischen Verwaltung, das Reichsarchiv,
machte und macht hier keine Ausnahme. Seit der Begründung des Reichsarchives war
die Lokalfrage ständig aktuell und die Provisorien und hastig umgewidmeten Depots
wechselten einander mitunter recht schnell ab. Nach nur zweieinhalb Jahrhunderten
bekam die schwedische Archivverwaltung dann 1891 den ersten reinen Zweckbau für ein
Archiv, nämlich das Gebäude, das wir heute als Gamla Riksarkivet (das Alte Reichsarchiv)
bezeichnen.
Als Gründungsjahr des Reichsarchivs wird die Kanzleiordnung von 1618 angesehen,
in der Reichskanzler Oxenstierna einige Beamte der königlichen Kanzlei zur Einsammlung
und Pflege der Kanzleiakten abstellte. Diese Tätigkeiten wurden natürlich auch vorher
schon ausgeführt, aber seit 1618 kann man eine ungebrochene Linie von Peder Månsson
Utter zu Björn Jordell, dem jetzigen Reichsarchivar, ziehen. Dabei blieb das Reichsarchiv
bis 1878, als es eine eigenständige Behörde wurde, ein Teil der königlichen Kanzlei
beziehungsweise des Ministeriums für Bildung. Mit der Eigenständigkeit wurde der
Verantwortungsbereich des Archivs auf die gesamte staatliche Verwaltung ausgedehnt. 1
Das Reichsarchiv war also bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wenig mehr als ein
Wurmfortsatz der königlichen Kanzlei und organisatorisch wie räumlich stiefmütterlich
ausgestattet. Die bauliche Geschichte des Reichsarchives kann lang oder kurz erzählt
werden, die Klagen, Argumente und Probleme sind jedoch repetitiv. Von Beginn an
disponierte das Reichsarchiv vor allem Räumlichkeiten im königlichen Schloss, auch wenn
dies nicht ganz ungefährlich war, wie der Schlossbrand von 1697 zeigte, dessen
konservatorische Folgen noch heute repariert werden. Grosse Hoffnungen setzte man auf
Ridderstolpeska huset in der Nähe des Schlosses, das 1846 bezogen wurde. Jedoch
zeigte sich das Fundament des direkt an der Ostsee gelegenen Gebäudes dem Gewicht
der Akten nicht gewachsen und es entstanden schon bald Risse in Fundament und
Fassade. Zudem war das Haus schwierig bis unmöglich zu heizen und von Anfang an zu
klein. Die Anpassung des Gebäudes beschränkte sich zunächst auf die Installation
eiserner Fensterläden. 2 Daher stand der nächste Umzug bereits im Jahre 1865 an, als
man auf die andere Seite der Altstadt in Stenbockska huset zog. Hier gab es anfangs
genug Platz, um endlich auch die Gewölbe im Schloss zu räumen, über die das
Reichsarchiv seit dem 17. Jahrhundert verfügt hatte. Ausserdem hatte Stenbockska
huset einen grösseren unbebauten Hof zum Riddarholmskanal hin, der bereits für einen
1
Norberg, Erik: Mellan tiden och evigheten. Riksarkivet 1846-1991, Stockholm 2007 (Skrifter utgivna av
Riksarkivet 28), S. 76.
2
Norberg, S. 26.
2
möglichen Ausbau in Erwägung gezogen wurde. Allerdings war es noch nicht abzusehen,
wo die lebensnotwendige Schienenverbindung zwischen der nördlichen und südlichen
Stammbahn genau verlaufen würde. 3 Dass diese Lücke im schwedischen Eisenbahnnetz
jedoch irgendwo auf Riddarholmen geschlossen werden müsste, war aber bereits klar.
Auch Stenbockska huset wurde natürlich von der immer umfangreicheren
staatlichen Verwaltung rasch gefüllt und Reichsarchivar Bowallius sah sich gezwungen
1881 formell um einen Neubau zu ersuchen, in erster Linie in direktem Anschluss an
Stenbockska huset. Das einzige was seiner Ansicht nach gegen diesen Platz spräche,
wäre die nahegelegene Druckerei, die eine erhebliche Brandgefahr mit sich führe.
Nun schien die Zeit endlich reif für einen Neubau zu sein. Im verhältnismässig
friedlichem und prosperierendem 19. Jahrhundert errichteten viele Staaten
repräsentative Bauten für kulturelle Einrichtungen wie Museen, Galerien, Bibliotheken
und eben Archive. 4 Vor allem die Archive gerieten in dieser Zeit in den Blickpunkt der
kulturellen und wissenschaftlichen Eliten. Im Übergang zu einer Historiographie, die auch
wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen hatte, gewannen die schriftlichen Zeugnisse
menschlichen und staatlichen Handelns immer grössere Bedeutung und mit ihnen auch
die Institutionen, denen ihre Bewahrung oblag.
Schliesslich wurde also Överintendentämbetet, die Staatliche Bautenverwaltung,
am 29. Oktober 1881 durch königlichen Beschluss damit beauftragt, Pläne für ein neues
Archivgebäude zu erstellen und verschiedene Baugrundstücke zu diskutieren. 5 Der
Architekt und spätere Hofintendent Axel Nyström wurde mit Entwurf und Planung von
drei Alternativen beauftragt. Dieser Arbeit lagen die Anforderungen an ein neues
Archivgebäude zugrunde, die von Reichsarchivar Odhner zusammengestellt worden
waren, namentlich die Vermeidung von Brandrisiken in der unmittelbaren Umgebung, die
Eindämmung von Bränden im Archivgebäude und rein umfangsmässig ein Platzbedarf
von 65.000 sträckfot (etwa 22.000 Regalmeter) für die nächsten 50 Jahre.
In einem Promemoria vom 17. Dezember 1881 stellte der Archivar Otto von
Feilitzen folgende weitergehende Forderungen an ein neues Archivgebäude auf: das
Grundstück sollte Platz für Ausbauten bieten, das Gebäude sollte nicht mehr als drei
leichtzugängliche Etagen haben, hohe Räume sollten mit Galerien versehen werden und
die Heizung sollte nicht durch direkte Feuerung sondern durch eine Zentralheizung
erfolgen. 6
Man darf davon ausgehen, dass diese Forderungen mit den Beobachtungen des
Archivars Bernhard Taube auf einer Studienreise in Europa zusammenhängen, die ihn
nach Berlin, Wien, München und Paris führte. So beschreibt Taube am Berliner Beispiel,
3
Norberg, S. 109.
Malmström, Krister: Riksarkivet på Riddarholmen. Sveriges första arkivbyggnad, in: Abukhanfusa, Kerstin
(Hrsg.): Riksens arkiv: det gamla som det nya, S. 49-68, hier S. 49.
5
Riksarkivet (RA), Överintendentämbetet (ÖIÄ), FIab:78, No. 402, 19. Juni 1885.
6
Riksarkivets ämbetsarkiv, Äldre huvudarkivet, FIIa:3.
4
3
wie man die Feuergefahr durch gemauerte Kellergewölbe, Türen und Fensterläden aus
Eisen, Rauchverbot und Verbot von offenen Licht bannen wollte. Geheizt wurden die
Räume durch eine Zentralheizung unter der Verwendung von warmen Wasser als
Wärmemedium. 7 Besonders beeindruckt zeigte sich Taube vom Archiv in München,
dessen Architektur und Grundriss er in höchsten Tönen lobte. Allerdings, so bemängelt
er, wäre es im Winter fusskalt. 8
Nyströms Pläne sahen vor, so wenig Holz wie nur möglich zu benutzen und die
einzelnen Räume baulich und funktionell voneinander zu trennen. 9 Die Vermeidung von
Holz als Baumaterial führte vor allem dazu, dass grosse Teils des Gebäudes in Eisen
auszuführen waren: so zum Beispiel Dachstuhl, Decken und Zwischendecken, Treppen
und Stützpfeiler.
Hinsichtlich der Lage gab es aber bereits drei Alternativen: ein Neu- oder Anbau an
Stenbockska huset auf Riddarholmen, ein Neubau in Humlegården gegenüber der
königlichen Bibliothek und schliesslich ein Neubau am Nybroviken, ungefähr dort wo sich
heute das Königliche Dramatische Theater befindet. Für die Berechnung der Kosten griff
Nyström auf die Erfahrungen zurück die man einige Jahre zuvor beim Bau der königlichen
Bibliothek gemacht hatte.
Die drei geplanten Alternativen hatten alle monumentalen Charakter, wobei sie sich
natürlich einer ähnlichen Formsprache bedienten. Sie zeigen auch, wie sich Architekt und
wohl auch der Reichsarchivar ein neues Archiv vorstellten. Sie zeigen daher auch, welche
Kompromisse beim späteren Bau des Alten Reichsarchivs eingegangen wurden.
Zunächst favorisierten sowohl die Bautenverwaltung als auch die Regierung einen
Neubau im Humlegården gegenüber der königlichen Bibliothek. Das Risiko von Feuer war
tatsächlich unbefindlich und das Reichsarchiv hätte ein sehr stimmiges Ensemble
zusammen mit Kungliga biblioteket abgegeben. Jedoch widersetzten sich einige
Ministerien und Kollegien einer zu weit vom Regierungszentrum in Gamla stan entfernten
Platzierung des Reichsarchivs.
Dies führte zusammen mit den im direkten Vergleich geringeren Kosten dazu, dass
man sich für einen Neubau auf Riddarholmen entschied. Eine wichtige Voraussetzung
hierfür konnte 1884 geschaffen werden, als die Bautenverwaltung einen Vergleich mit der
Druckerei erwirken konnte, der zum einen die Einrichtung einer recht breiten Strasse
zwischen den Gebäuden ermöglichte und zum anderen jegliche Druckereitätigkeit
innerhalb eines Abstandes von 40 fot (etwa 12 Meter) von dieser Strasse verbot. 10
Der erste Vorschlag Nyströms sah eine Orientierung des Reichsarchivs zum Birger
Jarls torg und ein Gebäude mit drei Flügeln vor. Hierzu hätten aber zwei Adelpaläste aus
7
Taube, Bernhard, in: Meddelanden från Svenska Riksarkivet 1880, S. 21-22.
Taube, S. 49.
9
RA, ÖIÄ, FIab:78, No. 599, 8. August 1882
10
Norberg, S. 112.
8
4
dem 17. Jahrhundert abgerissen werden müssen, darunter Stenbockska huset. 11
Schliesslich wurde eine erheblich kleinere Alternative realisiert und die Front des
Reichsarchivs zum Riddarholmskanal gewendet. Stenbockska huset sollte erhalten
bleiben und durch zwei Übergänge an das neue Gebäude angebunden werden.
Die Einwände des Reichsarchivars gegen einen Neubau auf Riddarholmen in
direktem Anschluss an die bisherigen Räumlichkeiten des Reichsarchivs wurden von
Nyström schriftlich entkräftet. Durch höhere Regale könne man das erforderliche
Lagervolumen auch auf dem begrenzten Grundstück am Riddarholmskanal erreichen.
Allerdings müssten dann auch die Fenster vergrössert werden und bis in das oberste
Stockwerk reichen. Dies führe weiterhin dazu, dass der Neubau zu den höchsten Häusern
der Stadt gehören würde, was aber keine Probleme verursachen sollte, da es bereits
einige ähnlich hohe Gebäude gebe. Ausserdem sollte ein öffentliches Gebäude, das
hehren Zwecken dient, auch baulich einen monumentalen Charakter haben. 12 Zudem
sollte das Reichsarchiv in einer nächsten Bauphase nach Süden erweitert werden, so dass
sich die Fassade deutlich in Längsrichtung gestreckt hätte. 13
Die Bedenken des Reichsarchivars, die Feuerwehr könne Brände in dieser Höhe
nicht bekämpfen, konnten Nyström und der Stadtbrandmeister durch einen Versuch mit
einem Spritzenwagen entkräften, bei dem die Wurfhöhe des Wasser die Höhe des
Reichsarchivs deutlich übertraf. 14
Am 13. Juli 1887 konnte die Fertigstellung des Fundamentes gefeiert werden, wobei
eine Blechkiste mit den gerade gültigen schwedischen Münzen und Angaben über
Architekt, Bauunternehmer und Reichsarchivar eingemauert wurde. 15 Zur Enttäuschung
des Archivars Theodor Westrin war nur ein Journalist anwesend, dazu noch von den
amtsblattartigen Post- och Inrikes Tidningar. 16 Trotz eines des sehr kalten Frühjahrs
1888 mit Minusgraden weit in den April hinein, konnte die äusseren Mauern, das Dach
und viele der tragenden inneren Konstruktionen vertragsgemäss bis zum Jahresende
fertiggestellt werden. 17 1889 wurden die restlichen Arbeiten an Dach, Fassade und
Mauerwerk ausgeführt und mit der Planung der Heizung, der Malerarbeiten und der
Inneneinrichtung begonnen. 18
Der Aufzug führte zu grösseren Problemen und unterlag ständigen Modifikationen
noch bis kurz vor Abschluss der Bauarbeiten. So wurde Ende des Jahres 1889 überlegt,
die Aufzüge mit Wasserdruck zu betreiben, was jedoch von der zuständigen
11
Kristiansen, Sven: I Riksens Archivum, in: Kulturvärden 1996:1, S. 18-21, hier S. 20.
RA, ÖIÄ, Fiab:78, No. 118, 16. Januar 1886
13
Odhner, C. T.: Den nya Riksarkivbyggnaden, in: Meddelanden från Svenska Riksarkivet 1891, S. 457-483,
hier S. 471.
14
RA, ÖIÄ, Fiab:78, No. 118, 16. Januar 1886
15
RA, ÖIÄ FIab:78, No. 68, 10. Januar 1888.
16
Riksarkivets ämbetsarkiv, Äldre huvudarkivet, FIIa:3.
17
RA, ÖIÄ, FIab:78, No. 156, 29. Januar 1889.
18
RA, ÖIÄ, FIab:79, No. 174, 25. Februar 1890.
12
5
Stadtverwaltung abgelehnt wurde, da die entnommene Wassermenge, zu allzu starken
Fluktuationen in der Wasserversorgung Riddarholmens geführt hätte. 19
Die Abschlussbesichtigung erfolgte am 22. Dezember 1890 und tags darauf konnte
das Reichsarchiv das neue Gebäude formell in Besitz nehmen. Bedenkt man jedoch die
Lichtverhältnisse des Stockholmer Dezembers dürfte dies nur ein kurzer und
schummriger Arbeitstag gewesen sein. Auch nach der Übergabe wurden noch einzelne
Bauelemente besichtigt. Am 21. Februar 1891 wurden zum Beispiel die Zementarbeiten
abgenommen und genehmigt. 20 Erst im April 1891 konnte der reguläre Betrieb in
Lesesälen und Magazinen aufgenommen werden.
Der Bauleiter Jacobsson reichte am 6. Mai 1891 die Endabrechnung ein. Der grösste
Posten in Höhe von 250.000 Kronen ging an die Firma A. G. Jansson für Fundament,
Mauerwerk, Dachstuhl etc., gefolgt von der Firma Atlas, die sämtliche Schmiede- und
andere Metallarbeiten für 158.000 Kronen durchführt hatte. Unter den weiteren
aufgeführten Posten tauchen 31.000 Kronen für Regale und Bücheraufzüge sowie 263
Kronen für Kleiderbügel auf. 21 Es zeigte sich, dass Bauleiter und Architekt gut
gewirtschaftet hatten und dass vom genehmigten Etat noch 100 Kronen übriggeblieben
waren. Odhner wollte gerne, das diese überzähligen 100 Kronen für die Installation einer
Hutablage verwendet würden. 22
Jedoch gab es Probleme mit der Heizungsanlage. Schliesslich sah sich der
Reichsarchivar gezwungen, die Fertigstellung der Heizung anzumahnen, um den Neubau
zu trocknen und damit erst tauglich für die Aufbewahrung von Archivgut zu machen. 23
Auch die mit dem Einbau der Regale beauftragten Schreiner beklagten sich über die zu
feuchte Umgebung, die das Bauholz aufquellen liesse. 24 Auf Ersuchen des Reichsarchivars
beschloss die Bautenverwaltung am 28. April 1891 die Fenster putzen zu lassen und dies
einmalig aus dem Etat für den laufenden Unterhalt staatlicher Gebäude zu bestreiten. 25
Seitdem hat sich hierfür kein Geld mehr auftreiben lassen.
Eine architekturhistorische Einordnung des alten Reichsarchivs ist nicht ganz
einfach. Allgemein wird der Bau als eines wichtigsten erhaltenen Zeugnisse der
Institutionsarchitektur im Schweden des ausgehenden 19. Jahrhunderts angesehen.
Üblicherweise wird er Baustil als romanisch bezeichnet, wobei stets Parallelen zu der
mittelalterlichen Romanik oder der Architektur der mediterranen Renaissance gezogen
werden. So nennt zum Beispiel Odhner als wichtigsten Ausdruck dieses Baustils die
vorstehende Mittelpartie, die mit einem gewölbten und mit Säulen flankiertem Portal
19
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RA,
RA,
RA,
RA,
RA,
RA,
RA,
ÖIÄ,
ÖIÄ,
ÖIÄ,
ÖIÄ,
ÖIÄ,
ÖIÄ,
ÖIÄ,
FIab:79,
FIab:79,
FIab:80,
FIab:79,
FIab:79,
FIab:79,
FIab:80,
No. 61, 23. Dezember 1889.
No.182, 21. Februar 1891
6. Mai 1891
No. 187, 26. Februar 1891.
No. 302, 1. Mai 1890.
No. 302, 1. Mai 1890
27. April 1891
6
sowie einer mit Zinnen bewehrten Dachtraufe versehen ist. 26 Malmström sieht das alte
Reichsarchiv hingegen als einen typischen Entwurf des Rundbogenstils. 27 Zweifelsohne
bezieht jedoch der Rundbogenstil seine Inspiration aus der Romanik.
Versuchen wir uns also nun an einer Beschreibung des Baus, der zumindest in
Schweden als hochmodern angesehen wurde. Das Alte Reichsarchiv hat 3 Hauptetagen,
die wiederum vor allem in den Magazinen Zwischenetagen enthalten. Neben den eher
technischen Räumlichkeiten im Keller, wie der Heizungsanlage, besteht das Erdgeschoss
aus Magazinen, die durch eiserne Zwischendecken zwei Etagen umfassen. Im ersten
Stock befinden sich die öffentlichen Räume, die Dienstzimmer und natürlich Magazine.
Während in letzteren wiederum zwei Etagen durch Zwischendecken eingerichtet wurden,
weisen die restlichen Räume Galerien entlang der hohen Wände auf. Der zweite Stock ist
eine reine Magazinsetage und in drei Zwischenetagen eingeteilt. Auch der Dachboden
wurde in gewissem Umfange als Magazin genutzt. So kann man eigentlich von einem
achtstöckigen Gebäude sprechen.
Ein wichtiges architektonisches Element ist die prachtvolle Treppe, die sich dem
Besucher hinter dem eher unscheinbaren Haupteingang öffnet. Wie alle öffentlich
zugänglichen Räume ist sie reich verziert, unterstreicht den monumentalen Charakter des
Gebäudes und ordnet es der staatlichen Sphäre zu.
Das Fundament ruht überall direkt auf dem Urgestein, das in Stockholm ja
eigentlich sehr nahe der Oberfläche liegt. Doch hatte das Reichsarchiv mit
Riddarstolpeska huset schlechte Erfahrungen mit unzureichenden Fundamenten gemacht,
wo schon nach kurzer Zeit Setzungsrisse im Mauerwerk auftraten. 28
Das Gebäude ruht auf einen Grund aus kaltgemauerten Feldsteinen, die nicht durch
Mörtel verbunden sind. So kann das Oberflächenwasser auf dem leicht abschüssigen
Grundstück frei ablaufen ohne die Grundmauern zu beschädigen. 29 Hierauf ruht ein
Sockel aus behauenem Granit. Die Mauern wurden mit Ziegelsteinen hochgezogen,
jedoch verwandte man den teureren roten Ziegel nur für die Vorderseite. Die
Fensterumrahmungen und andere Details der Fassaden wurden aus Zement gegossen.
Dem heutigen Besucher präsentiert sich das Reichsarchiv leider nicht besonders
idyllisch, da sich mittlerweile eine sechsspurige Autobahn und mehrere Gleise vor das
Gebäude geschoben haben.
Bei der statischen Dimensionierung und Ausformung wurde vor allem Augenmerk
auf Tragfähigkeit und Brandschutz gelegt. So bestehen die Decken aus gemauerten
Ziegelgewölben in der untersten Etage und in den oberen Etagen aus Betonböden, die
26
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Odhner, S. 471.
Malmström, S. 66.
RA, ÖIÄ, FIab:77.
RA, ÖIÄ, FIab:78.
7
auf Tragebalken aus gewalztem Eisen ruhen, die in die Aussenwände eingemauert
wurden. Die Tragebalken wiederum werden von gusseisernen Säulen getragen. Das Dach
wurde mit Blech gedeckt. 30
Die Treppen wurden ebenfalls aus Zement und Eisen gebaut. Neben drei von Hand
betriebenen Bücheraufzügen wurde im Reichsarchiv einer der allerersten elektrischen
Fahrstühle in Schweden installiert, der aber immer wieder Probleme bereitete und in
Regel nur selten benutzt wurde. Der Antrieb des Aufzuges wurde im Keller in einem
eigens ummauerten Raum installiert, um die Brandgefahr durch den Elektromotor zu
verringern. Der Aufzugsschacht ist von allen Seiten ummauert und die Türen auf jedem
Stockwerk bestehen aus Eisen.
Die Räume wurden in Dienstzimmer und Depots unterteilt. Sämtliche Dienstzimmer
befinden sich im ersten Stock, da man das Erdgeschoss für die wertvollsten Archivalien
reserviert hatte, von wo aus sie bei einem Brand am schnellsten evakuiert werden
konnten. Im Gegensatz zu den Magazinen wurden die Dienstzimmer auch in höherem
Masse mit Holzelementen wie Dielenböden und Türzargen ausgestattet. Die Türblätter
waren mit Kanten aus gewalztem Eisen und Schwellen aus Sandstein versehen, um
Ihnen grössere Widerstandskraft bei Bränden zu geben. 31 Bis auf die Regale wurde in den
Magazinen nur Eisen und Stein als Baumaterial verwendet. Da die Etagen durchgehend
eine sehr grosse Höhe aufwiesen, wurden die Dienstzimmer mit eisernen Galerien
entlang der Wände ausgestattet, während die Magazine bis zu drei Zwischengeschosse
mit Fussböden aus Stahlblech aufwiesen. Odhner bezeichnete diese sehr effektive
Raumnutzung als das belgische System, das sich dadurch auszeichne, ohne Leitern
auszukommen. 32
In den ersten Jahren wurde nur das Tageslicht zur Beleuchtung der Räume benutzt,
was auch dazu führte, das das Archiv nur im Sommer auch am Nachmittag geöffnet war.
Zur Beleuchtung wurden sehr grosszügige Fenster eingebaut, die sich in den Magazinen
über mehrere Zwischengeschosse erstrecken. Die Fenster sind fest in eisernen Rahmen
verschraubt und es gibt nur eine wenige Lüftungsluken, die zudem mit einem dichten
Drahtgeflecht versehen sind, um die Magazine vor Funken vorbeifahrender
Dampflokomotiven zu schützen. 33 Die Fenster an der Nordseite zur Druckerei hin wurden
mit eisernen Fensterläden ausgestattet. Wenn die Konstruktion der Fenster auch
brandtechnisch klug war, so führte sie doch zu erheblichen Problemen bei der Belüftung
und bei der Fensterreinigung. Wie bereits angedeutet, sind bis heute die Innenseiten der
äusseren und inneren Fenster nie geputzt wurden.
30
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32
33
Odhner,
Odhner,
Odhner,
Odhner,
S.
S.
S.
S.
472.
473.
473-474.
475.
8
Zur Beheizung des Gebäudes wurde eine Niederdruck-Zentralheizung eingebaut,
deren Heizkessel sich im gemauerten Kellergewölbe befand. Ein solches System wurde
schon in der Planungsphase einem Warmluftsystem vorgezogen, da das letztere zu hohe
Temperaturen benötigt hätte, um die grossen Räume zu erwärmen. 34
Der spezifische architektonische Wert des Alten Reichsarchivs besteht vor allem
darin, dass es eines der am besten erhaltenen und vollständigsten Institutionsgebäude
des 19. Jahrhunderts ist. Die Fassade, die Raumaufteilung, die technischen Installationen
und teilweise auch die Einrichtung als solche sind im Prinzip unverändert erhalten. 35 Eine
der wenigen Modifikationen ist die eiserne Bücherrutsche, die während des Zweiten
Weltkrieges in das Treppenhaus eingebaut wurde, um eine schnelle Evakuierung der
Archivalien zu ermöglichen. Während des Kalten Krieges war man stets auf eine
Evakuierung des Archives vorbereitet und die Rutsche wurde daher nie abgebaut.
Das alte Reichsarchiv hat als erster Archivzweckbau stets einen besonderen
Stellenwert für die Archivare des Reichsarchivs gehabt. Obwohl sich das Reichsarchiv
schon seit 1968 in neuen Lokalen im Stockholmer Stadtteil Marieberg befindet, liegt das
alte Gebäude immer noch vielen am Herzen und jede Neuigkeit hierüber wird eifrig
diskutiert. So sind die Krimileser unter Ihnen vielleicht mit der Millennium-Trilogie von
Stieg Larsson vertraut. Die kürzlich abgedrehte Verfilmung spielt teilweise im
Forschersaal des alten Reichsarchivs, der als Redaktionsraum der Zeitschrift Millennium
fungierte.
Wie dargelegt wurde, unternahmen Architekt und Reichsarchivar grosse
Anstrengungen, um das alte Reichsarchiv so brandsicher wie möglich zu machen und
tatsächlich war das Gebäude als solches unbrennbar. Das Archivgut mithin war es aber
nicht. Wäre es zu einem Feuer gekommen, hätte die enorme Brandbelastung der
brennenden Akten und Regale dazu geführt, das sich die eisernen Pfeiler und
Zwischendecken verformt hätten und das Gebäude oder zumindest das Gebäudeinnere
eingestürzt wäre. 36 Genau dies führte ja auch zum Kollaps der Zwillingstürme des World
Trade Centers.
Nachdem es nach der Einrichtung des modernen Depots des Reichsarchivs in
Stockholmer Vorort Arninge im Jahre 1995 komplett geräumt wurde stand das Alte
Reichsarchiv komplett leer. Gerade wird es zu einer Nationalbühne für Kinderkultur
umgebaut. 2011 soll der Umbau abgeschlossen sein und das alte Reichsarchiv wird wohl
lauter und lebendiger werden denn je. Und doch bleibt zu hoffen, dass der genius loci
einer “gelehrten Behörde” erhalten bleibt.
34
35
36
RA, ÖIÄ, FIab:78, No. 630, 19 Oktober 1885.
Strandell, Monika: Bruka, bevara och förädla, in: Kulturvärden 2006:1, S. 4-11, hier S. 9-10.
Kristiansen, S. 20.
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