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Begleitmaterialien – Manuskript
Hummer aus Helgoland
Er gilt als teure Delikatesse, sorgt fürs ökologische Gleichgewicht – und er
lebte mal in großer Zahl vor Helgoland: der Europäische Hummer.
Wissenschaftler versuchen, ihn dort vor dem Aussterben zu bewahren.
Die Nordseeinsel Helgoland ist nicht nur ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel. Der
sogenannte Helgoländer Felssockel, ein umliegendes Naturschutzgebiet, bietet vielen
Pflanzen und Tieren einen geschützten Lebensraum. Dazu gehört auch die Krebsart, die oft
mehr als 60 Zentimeter lang und bis zu sechs Kilogramm schwer wird und in Restaurants
als Delikatesse gilt: der Europäische Hummer. Der Hartboden vor der felsigen Insel ist ein
idealer Lebensraum für ihn. Einst wurden um Helgoland herum 80.000 Hummer pro
Saison gefangen. In den 1950er und 1960er Jahren ging die Gesamtzahl, der Bestand, aber
stark zurück – um geschätzte 90 bis 95 Prozent. Heute fangen die Fischer dort nur noch
etwa 300 bis 500 Hummer pro Jahr. Noch hat man die wahren Gründe für diesen Rückgang
nicht gefunden, sagt Professor Heinz-Dieter Franke vom Alfred-Wegener-Institut:
„Welche Ursachen dieser schnelle, dramatische Rückgang hat, das können wir nicht mehr
wirklich verlässlich nachvollziehen. Seit dieser Zeit ist der Bestand zwar stabil, aber auf
einem sehr, sehr geringen Niveau, so dass er ständig vom lokalen Aussterben bedroht ist.
Trotz entschiedener Schutzmaßnahmen, die man über Jahrzehnte hin durchgeführt hat,
hat der Bestand sich nie wieder von sich aus erholen können.“
Warum der Bestand in den 1950er und 1960er Jahren so stark zurückging, können die
Wissenschaftler nur vermuten. Sichere, verlässliche, Beweise gibt es nicht. Möglichweise
waren Giftstoffe aus Treibstofflagern oder Munitionsrückständen aus dem Zweiten
Weltkrieg für das Sterben verantwortlich. Das Alfred-Wegener-Institut betreibt auf der Insel
die Biologische Anstalt Helgoland (BAH), eine meeresbiologische Forschungs- und
Serviceeinrichtung. Sie untersucht unter anderem, welche Einflüsse Schad- und Nährstoffe
auf das Ökosystem der Nordsee haben, aber auch die Lebensweise des Europäischen
Hummers und die Möglichkeiten seiner Aufzucht. Ziel ist, in Zusammenarbeit mit den
Fischern vor Ort den Hummerbestand um Helgoland wieder zu vergrößern. Er soll sich
erholen, in Ruhe wieder wachsen können. Noch ist das Ziel nicht erreicht, obwohl man
starke, entschiedene, Schutzmaßnahmen ergriffen hat. Denn eine Tierart braucht eine
sogenannte „Mindestdichte“, um dauerhaft existieren zu können, es muss also eine
bestimmte Zahl vorhanden sein. Sobald diese unterschritten wird, eine gefährliche,
kritische, Zahl erreicht wird, haben die Tiere Probleme, einen Partner zu finden.
Allerdings gibt es laut Heinz-Dieter Franke eine Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen:
„Wenn man große Mengen von Hummer aufziehen könnte, in möglichst kurzer Zeit,
draußen aussetzen, und wenn man sicher ist, dass sie dort auch überleben werden in
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großem Prozentsatz, könnte man also durchaus die Hoffnung haben, den Bestand wieder
über diese kritische Dichte anzuheben in einer einmaligen großen Aktion, so dass dann
die Tiere sich – vielleicht auch wieder aus eigener Kraft – auf hohem Niveau erhalten
können, und langfristig auch wieder erfolgreich in großen Mengen befischt werden
können.“
Damit wieder genug Europäischer Hummer da ist, um – wie es Heinz-Dieter Franke
ausdrückt – in größerem Umfang gefangen und verkauft, befischt, zu werden, muss er in
einem geschützten Raum außerhalb des Meeres aufgezogen werden. Und anschließend
werden die Tiere im Meer freigelassen, ausgesetzt. Das geschieht beispielsweise bei der
BAH. In kleinen, mit Meerwasser gefüllten Einzelbecken, die in einer riesigen
Züchtungshalle stehen, schwimmen Hummer unterschiedlicher Größen. Bislang konnten
schon mehrere Tausend Tiere aufgezogen und ausgesetzt werden. Allerdings ist die Zucht
aufwändig. In den Becken muss – wie Heinz-Dieter Franke erläutert – die natürliche
Umgebung nachgebildet werden:
„Die Hummer sind nachtaktive Tiere, die tagsüber in Felsspalten oder Höhlungen des
Felsbodens sich aufhalten, also dem Licht aus dem Wege gehen. Hier in den Becken haben
wir ‘ne Abdeckung, dass also das Licht nicht in das ganze Becken tagsüber einfallen kann.
Und den Tieren werden hier in Form von Steinröhren oder Plastikröhren sozusagen als
Ersatz für ihren Unterschlupf geboten.“
Hummer leben in Höhlen oder Felsspalten, die sie nachts zur Nahrungssuche verlassen. Sie
sind nachtaktiv. Daher enthalten die Zuchtbecken Stein- oder Plastikröhren, in denen die
Tiere sich verstecken können. Es ist ihr Unterschlupf. Außerdem benötigen die Tiere
Einzelbecken, da sie tierische Kannibalen sind und sich sonst gegenseitig töten und
auffressen würden. Und das hat – wie Heinz-Dieter Franke erläutert – Folgen für eine
kommerzielle Aufzucht in großem Ausmaß:
„Deswegen gibt es auch nirgendwo auf der Welt ‘ne kommerzielle Aquakultur für
Hummer, denn das Geld, was man hier in die Produktion stecken müsste, das würde
man also auch bei guten Verkaufserträgen nie wieder herausbekommen. Das ist das
Beste, was wir tun können. Das Einzige, was wir tun können, ist halt die natürlichen
Hummerbestände so pfleglich zu behandeln, dass man sie langfristig nachhaltig
befischen kann.“
Damit sich der Bestand in der Nordsee wieder erholen kann, muss man die Hummer
pfleglich behandeln, also rücksichtsvoll mit ihnen umgehen. So dürfen beispielsweise
nicht mehr Tiere gefischt werden als groß werden. Denn anders als bei anderen Meeresund Schaltentieren können Hummer wegen ihres kannibalistischen Verhaltens nicht in
großem Umfang in Aquakulturen gezüchtet werden. Das sind abgegrenzte Bereiche in
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Seen, Flüssen oder dem Meer, in denen im Wasser lebende Tiere und Pflanzen kommerziell
gezüchtet werden. Und die Produktion würde teuer, es müsste viel Geld in sie gesteckt
werden, um eine entsprechende Umgebung zu schaffen. Das Geld würde man allerdings –
wie Heinz-Dieter Franke sagt – nie wieder herausbekommen. Man würde keinen Gewinn
machen. Denn diese Aquakultur-Hummer wären dann so teuer, dass sie niemand kaufen
würde. Seit ein paar Jahren bietet sich eine andere Möglichkeit der Züchtung: sogenannte
Offshore-Windparks, Windkraftanlagen im Meer, genauer in der Deutschen Bucht. Die
Windkraftanlagen sind am Meeresboden von Steinfeldern umgeben, die den Hummern
Schutz bieten können. Die Forscher setzen Jungtiere dort aus und verfolgen über längere
Zeit, ob sie noch da sind. Denn anders als der Amerikanische Hummer wandert der
Europäische Hummer nicht an andere Orte. Heinz-Dieter Franke und seinen Kollegen geht
es aber in erster Linie nicht um den kommerziellen Nutzen der Tiere:
„Der Hummer ist auf dem Helgoländer Felssockel eben auch ein wichtiges Glied in der
Lebensgemeinschaft. Er ist wohl der wichtigste obere Regulator in dem System. Das
basiert auf seinem sehr breiten Nahrungsspektrum. Der Hartboden um Helgoland ist eine
Oase der marinen Artenvielfalt in der südöstlichen Nordsee. Dauerhafte niedrige oder
sogar der lokale Ausfall der Hummerbestände würde zu einer wesentlichen
Artenverarmung führen. Insofern ist unser primäres Interesse – natürlich auch aus
ökologischen Gründen –, den Hummer wieder auf möglichst hohem Bestand hier zu
etablieren.“
Weil der Hummer ein breites Nahrungsspektrum hat, sich also von unterschiedlichen
Meerestieren und -pflanzen ernährt, sorgt er dafür, dass das ökologische Gleichgewicht auf
dem Helgoländer Felssockel bewahrt wird. Er ist ein Regulator. Eigentlich ist die Gegend
um Helgoland viel artenreicher als andere Gebiete in der Nordsee. Es ist eine Oase der
marinen Artenvielfalt. Das ökologische Gleichgewicht ist aber gestört, seit es kaum mehr
Hummer gibt, sie ausfallen. Unter anderem aus diesem Grund sind die Forscher vorrangig
daran interessiert, wieder einen hohen Bestand zu erlangen, ihn zu etablieren. Es ist ihr
primäres Interesse. Denn ohne „die sehr großen, im Meer lebenden Krebse mit großen
Scheren“ würden sich bestimmte Tier- und Pflanzenarten unkontrolliert vermehren und
andere verdrängen. Es würde eine Artenverarmung stattfinden, viele andere Meerestierund Pflanzenarten vor Helgoland würden verschwinden.
Autorinnen: Irene Quaile, Beatrice Warken
Redaktion: Ingo Pickel
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Arbeitsauftrag
Stellt euch vor, in eurer Lerngruppe findet eine Talkrunde mit vier Teilnehmerinnen und
Teilnehmern zum Thema „Darf man Hummer essen oder ist das Tierquälerei?“ statt.
Bereitet euch in eurer gesamten Lerngruppe durch Recherchen vor. Benennt dann eine
Moderatorin und einen Moderator, die den vier Teilnehmerinnen und Teilnehmern Fragen
stellen und die Diskussion steuern. Wiederholt die Talkrunde mit anderen Personen.
Bewertet zum Schluss, welche euch am besten gefallen hat.
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