Update: Die deutsche chemische Industrie 2030

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Die deutsche
chemische
Industrie 2030
VCI-Prognos-Studie – Update 2015/2016
Erstellt durch den Verband der Chemischen Industrie e. V. unter Mitarbeit der Prognos AG.
Federführung durch den Ausschuss für Wirtschafts- und Marktanalysen.
Mitglieder des Ausschusses für Wirtschafts- und Marktanalysen: Dr. Peter Westerheide (BASF SE, Projektleitung),
­Birgitta Schlief (BASF Personal Care and Nutrition GmbH), Dr. Reinhold Maeck (Boehringer Ingelheim GmbH), ­
Dr. Thomas Sunderbrink (BP Refining & Petrochemicals GmbH), Bernhard Forschler (Celanese Europe B. V.),
Robert Kolb (Clariant Produkte (Deutschland) GmbH), Christoph Ragginger (Covestro Deutschland AG),
Sabine Klages-Büchner (DuPont Deutschland Holding GmbH & Co. KG), Natasa Nikolic (Evonik Industries AG),
Dr. Thomas Roick (Lanxess Deutschland GmbH, Ausschussvorsitzender)
2
Inhalt
INHALT
Executive Summary
4
Einleitung6
Weltwirtschaftliches Umfeld
9
Die globalen Megatrends
9
Wachsende und alternde Weltbevölkerung
9
Globalisierung verliert an Tempo
10
Schnellere Verbreitung von Technologien und Wissen
11
Kein Engpass bei Energie und Rohstoffen bis 2030
12
Umwelt- und Klimaschutz gewinnen weltweit an Bedeutung
14
Staatsverschuldung hemmt Wachstum
15
Weltwirtschaftliche Dynamik lässt allmählich nach
16
Industrialisierung der Schwellenländer hält an
18
Chemische Industrie global
20
Schiefergas führt zur Renaissance der US-Chemie
21
EU-Chemie wächst dank innovativer Spezialchemie und Pharmazeutika
22
Entwicklung in Deutschland bis 2030
24
Binnenwirtschaft gewinnt an Bedeutung
24
Industrie bleibt zentrale Stütze der deutschen Wirtschaft
25
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
27
Chemieindustrie bleibt ein attraktiver Arbeitgeber
31
Deutsche Chemie wird immer effizienter
32
Diversifizierung der Rohstoffbasis wird vorangetrieben
34
Forschungsetats werden erhöht
35
Investitionszurückhaltung hält an
37
Fazit39
Projektansatz und Methodik
41
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
43
3
Executive Summary
Executive Summary
Die Weltwirtschaft steht vor neuen Herausforderungen. Der
Wachstumsmotor China ist ins Stottern geraten. Große Volks­
wirtschaften wie Brasilien und Russland befinden sich in einer
Rezession. Nicht zuletzt sieht sich die Europäische Union mit
der Bewältigung der Flüchtlingskrise und der Unsicherheit
über den Verbleib von Großbritannien in der EU konfrontiert.
Die Schuldenkrise in Griechenland ist ebenfalls noch nicht
ausgestanden.
Zu diesen aktuellen Entwicklungen kommen langfristige
Megatrends hinzu, die die Weltwirtschaft beeinflussen. Die
Weltbevölkerung wächst. 2030 werden nach Schätzungen der
UN 8,5 Milliarden Menschen auf der Welt leben (2013: 7,2 Milli­
arden). Dadurch steigt global die Nachfrage nach Nahrung,
Gütern und Dienstleistungen, aber auch das Angebot an Ar­
beitskräften. Das Bevölkerungswachstum entfällt zu 90 Pro­zent
auf Afrika und Asien, während es in den Industrieländern sta­
gniert und die Gesellschaften rasch altern. Das g­lobale Be­
völkerungswachstum wirkt sich positiv auf das Wachstum der
Weltwirtschaft aus, stellt aber auch einige Regionen vor große
Herausforderungen.
Ein weiterer Trend und Wachstumstreiber ist die schnellere
Verbreitung von Technologie und Wissen. Durch Technologie­
transfer können viele Länder rasch von innovativen ­Technologien
profitieren. Künftig wird es keinem Land gelingen, einen
technologischen Vorsprung lange Zeit für sich allein bean­
spruchen zu können. Dadurch nimmt der Innovationsdruck
zu. Zudem werden Digitalisierung und Vernetzung die Wirt­
schaft in den kommenden Jahren grundlegend verändern.
Wie zuvor schon Dampfmaschine, Elektrizität und Computer
wird nun durch die Digitalisierung eine neue Phase der in­
dustriellen Revolution ausgelöst (Industrie 4.0). Sie erfasst
ganze Wertschöpfungsketten und wird nicht vor den Che­
mieunternehmen haltmachen. Das ermöglicht branchenüber­
greifende Innovationen, die das Potenzial haben, bewährte
und erprobte Geschäftsmodelle zu erweitern, aber auch zu
ersetzen. Die Grenzen zwischen Industrie und Dienstleis­
tungssektor werden dadurch allmählich verschwimmen –
bereits heute ist dies zu beobachten.
Anders als von vielen Experten erwartet, wird es im Pro­
gnosezeitraum keinen Engpass bei Energie und Rohstoffen
geben. Neue Fördertechnologien (Fracking) und der Wett­
bewerb unter den ölfördernden Staaten haben bereits seit
2014 zu einem Überangebot an Öl und Gas geführt, das einen
rapiden Verfall der weltweiten Preise für fossile Energieträ­
ger nach sich zog. Mittelfristig wird der Ölpreis zwar wieder
steigen. Im Prognosezeitraum bleibt Rohöl dennoch deutlich
günstiger als noch in der Vorgängerstudie angenommen.
Die Wettbewerbsfähigkeit der Chemie und das Wachstum
Europas werden dadurch insgesamt gestärkt.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen hat der
VCI seine Studie „Die deutsche chemische Industrie 2030“
aktualisiert. Ziel ist es, die Zukunft der Branche in einer Welt
des Umbruchs mit einem realistischen Szenario zu beschrei­
ben. Die Leitfragen der aktualisierten Zukunftsstudie waren:
Wie wird der weltweite Chemiemarkt im Jahr 2030 aussehen?
Und wie stellt sich die chemisch-pharmazeutische Industrie in
Deutschland darauf ein?
4
Dynamisches Wachstum der globalen
­Chemienachfrage
Die Weltwirtschaft wird in den kommenden Jahren ihre der­
zeitige Schwächephase überwinden. Nach den aktuellen Pro­
jektionen wächst die Weltwirtschaft bis 2030 durchschnittlich
um 2,5 Prozent pro Jahr. Das ist in etwa die gleiche Dynamik
wie im Zeitraum von 2000 bis 2013 – auch wenn dieser Ver­
gleich wegen der Finanzkrise relativiert werden muss.
Allerdings haben sich die Aussichten gegenüber der Vor­
gängerstudie leicht eingetrübt. Die Weltwirtschaft wird weniger
stark zulegen als noch in der ersten Studienfassung prognos­
tiziert (+ 3,0 Prozent). Vor allem das langfristige Wachstumspo­
tenzial für China und viele Schwellenländer hat sich nach den
neuen Berechnungen abgeschwächt. Auch für die USA geht
die aktualisierte Studie nun von niedrigeren BIP-Zuwächsen
aus. In den betroffenen Ländern haben sich auch die Wachs­
tumschancen für die Industrie und damit der Bedarf an Ma­
schinen und Chemikalien abgeschwächt.
Deutschland kann bis 2030 von der weltwirtschaftlichen
Dynamik profitieren. Die gesamte Wirtschaftsleistung (BIP)
steigt bis 2030 um 1,3 Prozent pro Jahr. Den mit Abstand
größten Wachstumsbeitrag liefert zukünftig der private
Konsum. Er löst den Außenhandel als Wachstumsmotor der
deutschen Volkswirtschaft ab. Auch die Investitionsschwäche
wird allmählich überwunden. Die Industrieproduktion kann
mit 1,4 Prozent pro Jahr etwas stärker zulegen als das BIP.
Die wesentlichen Wachstumstreiber sind in den einzelnen
Regionen unterschiedlich: Während in den Schwellenländern
das Bevölkerungswachstum, der Wohlstand und damit auch
die Nachfrage nach Alltagsprodukten zunehmen, gewinnen in
den Industrieländern Themen wie Energieeffizienz, Umwelt­
schutz und regenerative Energien als Treiber an Bedeutung.
Die veränderte Nachfragestruktur führt zu einem kräftigen
Wachstum der Industrieproduktion und infolgedessen auch
zu einer steigenden Nachfrage nach Chemikalien.
Die gute Nachricht der Studie lautet daher: Die Chemie
ist ein dynamischer Wachstumsmarkt. Im Prognosezeitraum
steigt die globale Chemienachfrage um 3,4 Prozent und
damit schneller als die Industrieproduktion (3,2 Prozent) oder
die Gesamtwirtschaft (2,5 Prozent).
Zukunftschancen für die deutsche Chemie
Der weltweite Chemiemarkt ist bis 2030 ein ­d ynamischer
Wachstumsmarkt. Er bietet Chancen für die deutsche chemischpharmazeutische Industrie, an die Erfolge der ­Vergangenheit anschließen zu können – sofern die energiepolitischen
Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa die Wett­
bewerbsfähigkeit der Branche nicht weiter schwächen.
Der Wettbewerb nimmt an Intensität zu. Deshalb muss die
Branche ihre Produktion in Zukunft noch stärker als bisher auf
forschungsintensive Spezialchemikalien und Pharmazeutika
ausrichten, um ihren Wettbewerbsvorteil zu halten und aus­
zubauen. Sie wird den technologischen Fortschritt voran­
treiben und auch die Chancen der Digitalisierung nutzen. Die
deutsche Chemie kann mit hochwertigen Lösungen für an­
spruchsvolle Kunden im Inland und allen Auslandsmärkten
punkten. Sie wird dadurch auch künftig weiter wachsen – in
Executive Summary
einem Verbund von Pharma, Basis- und Spezialchemie. Nach
den neuen Berechnungen wächst die deutsche Chemiepro­
duktion im Prognosezeitraum um 1,5 Prozent pro Jahr.
Im Vergleich zur Vorgängerstudie fällt das Wachstum damit
leicht niedriger aus. Grund hierfür ist vor allem die schwächere
Dynamik auf wichtigen Auslandsmärkten. In der Basischemie
hat sich darüber hinaus das Wettbewerbsumfeld stark verändert.
Die im internationalen Vergleich hohen Rohstoff- und Energie­
kosten führen dazu, dass die deutsche Basischemie die Welt­
märkte nicht vom Standort Deutschland aus beliefern kann.
Der Produktionsverbund, eine der zentralen Stärken der deut­
schen Chemie, bleibt aber erhalten. Der deutsche und euro­
päische Chemiemarkt wird auch zukünftig mit Basischemikalien
aus deutscher Produktion beliefert.
Rohstoffbasis verändert sich
Fossile Rohstoffe – darunter vor allem das Erdölderivat
Naphtha – werden bis 2030 der wichtigste Ausgangsstoff für
die Branche bleiben. Ihr Anteil an der Rohstoffbasis schwächt
sich aber leicht ab. Demgegenüber steigt der Anteil nach­
wachsender Rohstoffe von derzeit 13 auf 18,5 Prozent (2030).
Um nachwachsende Rohstoffe stärker als heute in die
Produktion zu integrieren, sind erhebliche Forschungsan­
strengungen nötig. Im Zusammenspiel mit anderen Industrien
müssen hierzu neue Wertschöpfungsketten aufgebaut ­werden.
Diese Entwicklung ist aufwändig und geht nicht so schnell voran
wie von vielen erhofft. Gerade in der Basischemie erscheint
zum jetzigen Zeitpunkt eine signifikante Substitution der
­fossilen Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe bis zum
Jahr 2030 wenig wahrscheinlich. Die Verfügbarkeit und der
Preis von nachwachsenden Rohstoffen bleiben wegen der
Nutzungskonkurrenz (Ernährung vs. Rohstoff) auch zukünftig
die limitierenden Faktoren.
Forschungsausgaben steigen
Forschung und Entwicklung sind nicht nur für die Ver­
änderung der Rohstoffbasis nötig. Besonders der globale
Wettbewerb erfordert in Zukunft ein insgesamt höheres
­Innovations­tempo. Hinzu kommt der steigende Bedarf
an forschungs­intensiven Spezialchemikalien. Daher wird
die Branche ihre Forschungsausgaben von 10 Milliarden
Intrinsische Stärken und gute Industriepolitik gefragt
Die Aktualisierung der 2030-Studie zeigt: Deutschland bleibt
auch in Zukunft einer der bedeutendsten Chemiestandorte der
Welt. Diese Perspektive muss aber strategisch erarbeitet werden. Die Komponenten einer erfolgversprechenden Strategie
für die Branche lauten: Chancen der Globalisierung nutzen, auf
Spezialchemikalien und Pharma fokussieren, Innovationsoffensive starten, Ressourceneffizienz erhöhen, Rohstoffbasis diversifizieren und Produktivität steigern.
Die zweite Voraussetzung dafür, dass sich die deutsche
Chemie auf den globalen Märkten mit ihren Produkten durchsetzen kann, sind die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Zwar sind in Brüssel und Berlin mit der Initiative „Better
Regulation“ oder dem Bündnis „Zukunft der Industrie“ durchaus positive Ansätze erkennbar. Aber darüber hinaus hat sich
das politische Umfeld für industrielle Produktion kaum verbessert. Insbesondere die Energie- und Klimapolitik bleibt die
Euro (2013) auf 16,5 Milliarden Euro im Jahr 2030 erhöhen.
Der Anstieg fällt niedriger aus, als in der Vorgängerstudie
erwartet worden war. Das liegt an dem insgesamt langsameren
Wachstum der Chemieproduktion in Deutschland und an dem
steigenden Wettbewerbsdruck auf den Forschungs­s tandort.
Andere Regionen und auch die Schwellenländer investieren
stark in ihre Chemieforschung. In einigen Kundenbranchen
verlagern sich die Produktions- und Forschungs­zentren
immer stärker nach Asien. Die deutsche Chemieforschung
folgt in Teilen dieser Entwicklung.
Investitionszurückhaltung in der Chemie
Das langfristige Trendwachstum der Investitionen der
deutschen Chemie ist niedrig. Seit 1991 stiegen die Investitionen
in Anlagen und Gebäude der Branche um durchschnittlich
nur 0,2 Prozent pro Jahr – real gingen die Investitionen sogar
um jährlich 1,6 Prozent zurück. Die Gründe sind vielschichtig:
In den letzten Jahren hat die chemisch-pharmazeutische
­Industrie zum einen erhebliche Effizienzgewinne verzeichnet,
was Produktionswachstum mit weniger Investitionen ermög­
lichte. Zum anderen vollzog sich die zunehmende Spezialisierung
von der kapitalintensiven Basischemie zu anderen Sparten, die
weniger Sachanlageinvestitionen benötigen.
Hauptursache der Investitionszurückhaltung waren aber
die im internationalen Vergleich hohen Energie- und Roh­
stoffpreise. Diese sind gerade in der ­energieintensiven
Chemie­industrie ein wichtiger Standortfaktor. Die Investitions­
entscheidungen der Unternehmen fielen daher oftmals
zugunsten ausländischer Standorte aus. So stiegen die Investi­
tionen im Ausland seit vielen Jahren deutlich dynamischer als
die Investitionen im Inland. Seit 2012 investiert die deutsche
Chemie sogar überwiegend im Ausland.
Grundlegende Änderungen der Energie- und K
­ limapolitik
zeichnen sich weder in Berlin noch in Brüssel ab. Insofern
werden die Unternehmen in Deutschland auch zukünftig
höhere Energie- und Rohstoffkosten schultern müssen als
viele Wettbewerber. Häufig wechselnde energiepolitische
Vorgaben und unzählige staatliche Eingriffe in den Energie­
markt erzeugen eine anhaltend hohe Planungsunsicherheit in
den Unternehmen – und damit Zurückhaltung bei Investitio­
nen. Diese wird sich im Prognosezeitraum fortsetzen.
Achillesferse der deutschen Industrie. Denn Energiekosten
sind ein wichtiger Faktor im globalen Standortwettbewerb. Die
Nachteile des Standorts Deutschland bei den Energie- und
Rohstoffkosten im Prognosezeitraum dämpfen die Entwicklungsmöglichkeiten für die deutsche Chemieindustrie. Eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ist eine Zukunftsfrage für den Industriestandort. Daher plädiert der VCI für eine
grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in
der nächsten Legislaturperiode, die Ausbau und Preise wirtschaftlich und kosteneffizient gestaltet.
Handlungsbedarf für die Politik besteht auch beim Thema
Innovationsfähigkeit. Die VCI-Studie „Innovationen den Weg
ebnen“ hat gezeigt, dass es eine Reihe von externen Hemmnissen gibt, die den Weg innovativer Produkte vom Labor zum
Markt unnötig erschweren. Hier messbare Fortschritte zu erreichen zahlt sich für Unternehmen und Kunden aus.
5
Einleitung
Einleitung
Die chemische Industrie1 ist eine Schlüsselindustrie. Sie steht
mit einem Großteil ihrer Produkte am Anfang vieler Wert­
schöpfungsketten. Die Branche entwickelt Materialien für winzige
Chips, die Smartphones oder Computer zu Höchstleistungen
antreiben. Sie erzeugt Baustoffe für Häuser und Gebäude und
entwickelt Medikamente. Das Bild moderner Fernseher wäre
ohne die von der chemischen Industrie hergestellten Flüssig­
kristalle längst nicht so scharf. Dank der Chemie bringen
Windräder und Solaranlagen sauberen Strom, werden Autos
und Flugzeuge immer leichter und Sportgeräte wie Skier oder
Fahrräder leistungsfähiger und sicherer. Daher gilt: Den Wetter­
bericht über das Smartphone checken, eine Kopfschmerztab­
lette nehmen, in den Urlaub fliegen oder daheim die Bundesliga
in HD-Auflösung schauen? Ohne Chemie? Unmöglich!
Über 80 Prozent der Erzeugnisse der deutschen Chemie
gehen an industrielle Kunden. Die Branche ist damit Ausgangs­
punkt und Innovationsmotor für viele Wertschöpfungsketten
im In- und Ausland. Chemieunternehmen arbeiten mit Ma­
schinenbau, Elektroindustrie, Bauwirtschaft und Fahrzeugbau
eng zusammen. Diese Partnerschaft führt zu hoher Leistungs­
fähigkeit und Produktqualität. Die Stärke des Industrienetz­
werkes macht Deutschland zu einer führenden Exportnation.
In diesem System spielt die Chemie als Lieferant hochwertiger
Lösungen eine zentrale Rolle für alle genannten Branchen.
Kaum eine andere Industrie bietet ein so großes Produkt­
spektrum. In Deutschland entfällt rund ein Drittel der P
­ roduktion
auf Basischemikalien. Hierzu zählen Düngemittel, Industrie­
gase und andere anorganische Grundstoffe ebenso wie Primär­
chemikalien (z.B. Ethylen, Propylen oder Benzol), organische
Zwischenprodukte und Standardpolymere. Spezialchemikalien
stellen mit knapp 40 Prozent den größten Anteil an der deut­
schen Chemieproduktion. Zur Spezialchemie gehören Farben
und Lacke, Pflanzenschutzmittel, Spezialkunststoffe, Additive
wie beispielsweise Flammschutzmittel, UV-Schutzlacke und
Lebensmittelzusatzstoffe, Klebstoffe, Seifen, Wasch- und Rei­
nigungsmittel sowie Kosmetika. Über ein Viertel der Chemie­
produktion entfällt auf Pharmazeutika für Mensch und Tier.
Eine enge Verknüpfung zwischen Pharma, Spezial- und Basi­schemie gibt es nicht nur auf der gemeinsamen Grundlage
von Molekülen für Wirk- und Werkstoffe. Sie besteht auch aus
­intensiven Geschäftsbeziehungen der Unternehmen. Ohne
die Produkte der Basischemie würden Pharma und Spezialche­
mie in Deutschland schwieriger an Rohstoffe gelangen. An­
dererseits ist die Basischemie auf die anderen Sparten als
verlässliche Kunden angewiesen. Die breite Aufstellung der
deutschen Chemie, die Chemieparks, in denen Verbund- und
Synergieeffekte über Unternehmensgrenzen hinweg intensiv
genutzt werden, und nicht zuletzt enge Lieferbeziehungen mit
nahezu allen Industriebranchen gehören zu den herausragen­
den Stärken des Chemiestandorts Deutschland.
Das Konzept der Chemieparks – eine deutsche Erfindung
– steigert zudem die Effizienz der Produktion. Der Standort­
betreiber kümmert sich um zentrale Umweltschutzeinrichtungen
und die komplette Infrastruktur für die ansässigen Unternehmen.
Sein Service ermöglicht einen Verbund der Produktionsanlagen
mit hoher Effizienz für Energie, Roh- und Reststoffe.
6
Als Grundstoffindustrie ist die Chemie energie- und roh­
stoffintensiv. Viele chemische Reaktionen erfordern hohe
Temperaturen. Zudem benötigt die Branche viel Strom –
nicht nur für elektrolytische Verfahren wie die Chlorproduk­
tion, sondern auch für den Betrieb der Produktionsanlagen. Ein
­Fünftel des Energiebedarfs des verarbeitenden Gewerbes ent­
fällt auf die Chemiebranche. Die chemische Industrie setzt
Energie­träger auch als Rohstoff ein. Die Chemie baut größ­
tenteils auf Kohlenstoffverbindungen auf. Wichtigste Roh­
stoffquelle ist in Deutschland das Erdölderivat Rohbenzin
(Naphtha). Darüber hinaus kommen Erdgas und nachwach­
sende Rohstoffe aus Biomasse zum Einsatz.
Genauso vielfältig wie die Produkte sind die Unternehmen.
In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren die Weltkonzerne.
Von den mehr als 2.000 Chemiebetrieben in Deutschland ist
aber die überwiegende Mehrheit mittelständisch geprägt.
Über 90 Prozent der Chemieunternehmen haben weniger als
500 Beschäftigte. Insgesamt stellen die rund 1.850 kleinen
und mittleren Unternehmen weit über ein Drittel der Arbeits­
plätze in der Branche. Und sie sind erfolgreich mit ihrer Ge­
schäftsstrategie: Der Mittelstand trägt fast ein Drittel zum
Gesamtumsatz der Branche bei. Einen derart leistungsstarken
Mittelstand in der Chemie gibt es sonst nirgendwo auf der
Welt. Mit ihren spezifischen Lösungen für die Kunden – vor
allem Fein- und Spezialchemikalien – sind unsere mittelstän­
dischen Unternehmen den Wettbewerbern häufig einen Schritt
voraus. Dadurch zählen sie nicht selten zu den globalen
Marktführern auf ihrem Arbeitsgebiet.
Gemeinsam tragen Großunternehmen und Mittelstand
mit ihrem Umsatz und ihren Investitionen maßgeblich zum
Wohlstand Deutschlands bei. Die Branche erwirtschaftet als
drittgrößte Industrie in Deutschland rund 11 Prozent des
deutschen Industrieumsatzes. Die Chemie ist kapitalintensiv.
Nahezu 12 Prozent aller Investitionen der Industrie werden in
der Chemie getätigt. Darüber hinaus ist die Chemieindustrie ein
wichtiger Arbeitgeber. In der Chemie arbeiten rund 463.000
Personen.2
Die herausragende Stellung der deutschen Industrie in
der Welt ist nicht zuletzt auf Deutschlands Stärke als For­
schungsstandort zurückzuführen. Durch kontinuierliche ­Produktund Prozessinnovationen konnte sich die deutsche ­Chemie
seit mehr als 100 Jahren im internationalen Wettbewerb
­behaupten. Innovationen bleiben auch in Zukunft ein not­
wendiger Differenzierungsfaktor auf dem Weltmarkt. Als Zu­
lieferer für andere Branchen ist die chemische Industrie mit
ihren Patenten, neuen Produkten, Verfahren und dem Anwen­
Unter dem Begriff „chemische Industrie“ wird in der vorliegenden Studie immer die gesamte chemisch-pharmazeutische Industrie verstanden. Alle Kennzahlen beziehen sich, falls
nicht anders angegeben, auf die Gesamtchemie.
2
In diesem Bericht werden, falls nicht anders angegeben,
Kennzahlen des Prognos-Modells verwendet. Die Daten
stammen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung
(VGR). Die Wertangaben sind real (in Preisen und Wechselkursen von 2010). Dadurch kann es zu Abweichungen einzelner Kennzahlen von der VCI-Berichterstattung kommen.
1
Einleitung
dungs-Know-how ein Innovationsmotor mit hohem Multipli­
katoreffekt. Die Chemie (ohne Pharma) steuert jedes fünfte
­Patent mit branchenübergreifender Bedeutung in Deutschland
bei. Sie entwickelt und verbessert beständig Materialien und
innovative Vor- und Endprodukte.
Mit der wachsenden Weltbevölkerung steigt auch der
Bedarf an Produkten für klimaschonende Energieerzeugung,
mehr Nahrung, sauberes Wasser, Medikamente, Kommunika­
tionsmittel und umweltgerechte Mobilität. Darauf richten
die deutschen Chemieunternehmen ihre Geschäftsstrategie
und Forschungsprojekte schon seit geraumer Zeit aus. Die che­
misch-pharmazeutische Industrie in Deutschland ist mit ihren
Kompetenzen ein zentraler Innovationstreiber, solche globalen
Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung zu be­
wältigen. Gleichzeitig trägt unsere Initiative Chemie3 dazu bei,
Nachhaltigkeit als gelebtes Leitbild in der gesamten Branche
zu verankern. Wirtschaftlicher Erfolg, ökologische Verantwor­
tung und soziale Gerechtigkeit sind die Säulen, auf denen
dieses Selbstverständnis ruht.
Deutschland ist – gemessen am Umsatz – nach China, den
USA und Japan die viertgrößte (2013) Chemienation der Welt.
Chemische Erzeugnisse „Made in Germany“ sind weltweit
gefragt. Die deutsche Chemieindustrie ist seit vielen Jahren
Exportweltmeister. Die Branche erschließt die globalen
Märkte nicht nur über Exporte, sondern auch über Produk­
tionsstätten in den meisten Ländern der Welt.3
Der globale Wettbewerb hat auch in der Chemie enorm
Fahrt aufgenommen. In Asien forcieren China, Indien und
Korea massiv den Ausbau von Forschung und Wissenschaft.
Bereits heute kommen 40 Prozent aller chemischen Erfindun­
gen aus Asien. In den rohstoffreichen Ländern entstehen Jahr
für Jahr neue Produktionsanlagen vor allem in der Basische­
mie. Dadurch ergibt sich neue Konkurrenz für die traditionsreiche
deutsche Chemie.
Deutschland ist heute ein attraktiver und wettbewerbsfä­
higer Chemiestandort. Die Studie „Die Wettbewerbsfähigkeit
des Chemiestandorts Deutschland im internationalen Ver­
gleich“4 des Wirtschaftsforschungsinstituts Oxford ­Economics
zeigt aber, dass der Chemiestandort Deutschland seit 2008
an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Das ist beunruhigend,
weil dadurch das Wachstum gedämpft wird und Investitions­
entscheidungen zunehmend zugunsten ausländischer Stand­
orte getroffen werden. Und es stellt sich zunehmend die
Frage, ob die deutsche Chemie bis 2030 in der Erfolgsspur
bleibt.
Ebenfalls beunruhigend ist, dass das Wachstum der deut­
schen Chemie in den zurückliegenden Jahren gering war.
Nach der Weltwirtschaftskrise des Jahres 2008/2009 hat sich
die deutsche Chemie zwar rasch wieder erholt. Aber seit 2011
konnte die Produktion kaum noch ausgeweitet werden. Kann
diese Wachstumsschwäche in den kommenden Jahren über­
wunden werden? Und wenn ja, wie? Auch mit diesen Fragen
beschäftigt sich die vorliegende Studie. Sie zeigt das langfris­
tige Wachstumspotenzial der Branche in Deutschland auf.
Der vorliegende Bericht ist eine Aktualisierung der VCIPrognos-Studie „Die deutsche chemische Industrie 2030“5. Er
berücksichtigt die aktuellen Entwicklungen nach 2011 wie bei­
spielsweise die Wachstumsabschwächung der Schwellenlän­
der oder den Preisverfall beim Rohöl. Die Studie bietet eine
umfassende und konsistente Langfristprognose für die Welt­
wirtschaft, die Entwicklungen in Deutschland und Europa,
den Strukturwandel in der Industrie bis hin zu den Entwicklun­
gen in einzelnen Chemiesparten. Die Prognose zukünftiger
Entwicklungen bietet die Möglichkeit, Stärken und Schwä­­
chen der deutschen Chemie aufzudecken und Chancen und
Risiken für die Branche zu identifizieren, die sich aus grundle­
genden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen
Entwicklungen ableiten. Neben den Ergebnissen ist uns das
vertiefte Verständnis über Wirkungszusammenhänge wichtig.
Die Erstellung eines Zukunftsszenarios ist immer eine
„Wenn-dann“-Analyse. In der vorliegenden Studie wurde
zunächst nur das Basisszenario aktualisiert. Hierin ist die Kon­
stellation von Faktoren für das Chemiegeschäft unterstellt,
die VCI und Mitgliedsunternehmen für die wahrscheinlichste
halten. Je nachdem, welche Annahmen man für die Ent­
wicklung der wichtigen Treiber des Chemiegeschäfts trifft,
ergeben sich abweichende Szenarien.
Bereits das Basisszenario zeigt einen großen Handlungs­
bedarf für die Akteure auf. Denn Unternehmen, Gesellschaft
und die Politik gestalten die Zukunft der Chemieindustrie in
Deutschland. Die Studie soll hierfür einen Orientierungsrah­
men geben. Unternehmerische Entscheidungen, beispiels­
weise über Forschungsschwerpunkte oder Investitionen,
werden auf Grundlage von Erwartungen über die Zukunft ge­
troffen. Eine fundierte Langfristprognose bildet daher den
notwendigen Rahmen für die Optimierung der strategischen
Ausrichtung der Unternehmen. Gleichwohl geht der Anspruch
der Studie über die Branche hinaus: Wir wollen auf Basis der
Ergebnisse auch Politik und Gesellschaft zu einem Dialog
über die Zukunft Deutschlands einladen. Die heute getroffe­
nen politischen Entscheidungen werden sich auf die gesamte
Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen In­
dustrie auswirken. Vor diesem Hintergrund leistet der VCI mit
der aktuellen Studie einen Beitrag, der durch fundierte Argu­
mente und Zahlen zum Dialog über die Zukunft Deutschlands
anregt.
Die Kennzahlen in dieser Studie beziehen sich – falls nicht
anders angegeben – auf die in Deutschland produzierenden
Chemieunternehmen. Die ausländischen Töchter deutscher
Chemieunternehmen sind nicht eingerechnet. Aussagen zur
Wettbewerbsfähigkeit beziehen sich immer auf den Chemie­
standort Deutschland und nicht auf die Unternehmen.
4
„Die Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestandorts Deutschland im internationalen Vergleich“, VCI 2014, abrufbar unter
https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/bericht-zurvci-oxford-economics-studie-wettbewerbsfaehigkeit-chemie­
standort-deutschland.pdf, „Evolution of competitiveness in
the German chemical industry: historical trends and future
prospects“, Oxford Economics 2014, abrufbar unter https://
www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/vci-oxford-economicsreport-evolution-of-competitiveness-in-german-chemicalindustry.pdf
5
„Die deutsche chemische Industrie 2030“, VCI 2013, abrufbar
unter https://www.vci.de/vci/downloads-vci/publikation/langfassung-prognos-studie-30-01-2013.pdf
3
7
8
Weltwirtschaftliches Umfeld
Weltwirtschaftliches Umfeld
Wie sich die chemische Industrie in Deutschland bis zum
Jahr 2030 entwickelt, wird maßgeblich von den weltwirt­
schaftlichen Entwicklungen und den wirtschaftspolitischen
Rahmenbedingungen mitbestimmt. Treiber für die Entwick­
lung sind Megatrends, die nicht zwangsläufig ökonomischer
Natur sein müssen. Ohne ein Wissen und eine Einschätzung
darüber, in welche Richtung sich die zentralen Treiber entwi­
ckeln werden, ist ein Ausblick auf die zukünftigen Entwick­
lungen nicht möglich. Im Folgenden werden daher zunächst
die globalen Megatrends aufgezeigt, bevor die daraus resul­
tierende Entwicklung der Weltwirtschaft und der deutschen
Wirtschaft dargestellt wird.
Die globalen Megatrends
Häufig werden Prognosen durch unwahrscheinliche, aber
in ihrer Wirkung extreme Ereignisse wie Naturkatastrophen,
kriegerische Auseinandersetzungen oder technologische
Sprünge überholt. Dennoch erlauben langfristige Entwick­
lungstendenzen wichtiger ökonomischer Rahmendaten empi­
risch gestützte Aussagen über die Zukunft. Für die Prognose
wurden auf Grundlage aktueller Trends, sich abzeichnender
Entwicklungen, vorhandener Studien und Expertenwissen An­­
nahmen zu der Entwicklung der zentralen Treiber – Demogra­
fie, Globalisierung, Technologie und Humankapital, Energie
und Ressourcen, Umwelt und Klima sowie Staatsfinanzen und
Konsolidierung – getroffen. Im Ergebnis zeigen sich sechs
Megatrends, die die Entwicklung der Weltwirtschaft in den
kommenden Jahren maßgeblich beeinflussen werden.
WACHSENDE UND ALTERNDE WELTBEVÖLKERUNG
Das globale Bevölkerungswachstum bleibt in den kom­
menden Jahren ein zentraler Wachstumstreiber für die Welt­
wirtschaft. Bis zum Jahr 2030 steigt nach Schätzungen der
Vereinten Nationen (UN) die Weltbevölkerung von 7,2 Milli­
arden in 2013 auf 8,5 Milliarden Menschen. Dies entspricht
einem jährlichen Wachstum von 1 Prozent. Entsprechend
­d ynamisch wird die weltweite Nachfrage nach Nahrung,
Gütern und Dienstleistungen zulegen. Gleichzeitig wächst
auch das globale Arbeitskräfteangebot. Allerdings fällt dieser
Zuwachs aufgrund der gleichzeitigen Alterung der Welt­
bevölkerung weniger stark aus.
Dynamik und Divergenz prägen die weltweiten demogra­
fischen Entwicklungen im 21. Jahrhundert: Das globale Bevöl­
kerungswachstum bis 2030 beruht beinahe zu 90 Prozent auf
der Bevölkerungsentwicklung der Schwellenländer in Afrika
und Asien. Besonders dynamisch wächst die Bevölkerung in
Indien. Bis 2030 wird die indische Bevölkerung um jährlich
1 Prozent zulegen und damit auf gut 1,5 Milliarden Menschen
anwachsen. Demgegenüber schwächt sich das Bevölkerungs­
wachstum in China infolge der Ein-Kind-Politik deutlich ab.
Über den gesamten Prognosezeitraum wächst die chinesische
Bevölkerung nur noch um 0,3 Prozent pro Jahr. Infolge dieser
gegen­läufigen Entwicklungen löst Indien China im kommen­
ABB. 1: WELTBEVÖLKERUNG WÄCHST – LEBENSERWARTUNG STEIGT
Bevölkerung im Jahr 2030, in Millionen
schnell
53,0
Bevölkerung altert
37,5
19,8
43,7
222,7
121,0
10,1
40,2
1.453,3
9,7
358,8
70,7
79,3
86,8
133,8
144,0
70,7
langsam
65,1
46,9
1.476,3
58,1
-1,0
Bevölkerung schrumpft
-0,5
0,0
0,5
Bevölkerungsveränderung 2013–2030 in Prozent pro Jahr
1,0
1,5
Bevölkerung wächst
In allen Ländern steigt die Lebenserwartung und damit der Anteil der Personen über 64 Jahre. Die Weltbevölkerung wächst vor allem in
den Schwellenländern. In Griechenland, Japan, Russland, Polen, Portugal, Spanien und Deutschland schrumpft die Bevölkerung.
Quelle: Vereinte Nationen 2015
9
Weltwirtschaftliches Umfeld
den Jahrzehnt als bevölkerungsreichstes Land der Erde ab.
Russland bildet unter den Schwellenländern eine Ausnahme.
Die russische Bevölkerung schrumpft, so dass 2030 deutlich
weniger Menschen in Russland leben werden als noch im Jahr
2013.
In den Industrieländern 6 stagniert die Bevölkerungs­
entwicklung nahezu (+ 0,2 Prozent p.a.). Insgesamt wird der
Anteil der Menschen, die in Industrieländern leben, von heute
17 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2030 zurückgehen. Inner­
halb der Gruppe der Industrieländer zeigen sich große Un­
terschiede in der Bevölkerungsentwicklung. Vor allem die
Vereinigten Staaten, aber auch Australien, die Schweiz oder
Norwegen zeichnen sich durch einen deutlichen Bevölke­
rungszuwachs aus. Insbesondere aufgrund der hohen Zu­
wanderungszahlen wächst die Bevölkerung der USA bis 2030
um jährlich 0,7 Prozent. Die Bevölkerung der Europä­ischen
Union wird hingegen nur um 0,1 Prozent pro Jahr wachsen
können. In Japan schrumpft die Einwohnerzahl sogar über
den gesamten Prognosezeitraum. 2030 werden dort
6,3 Millionen Menschen weniger leben als heute.
Im Zuge einer zunehmenden Lebenserwartung wird
die Weltbevölkerung insgesamt altern. Heute leben rund
840 Millionen Menschen auf der Erde, die älter als 60 Jahre
sind. Dies entspricht einem Anteil von knapp 12 Prozent an
der gesamten Weltbevölkerung. Bis 2030 wird dieser Anteil
auf 16,5 Prozent ansteigen. Damit werden dann 1,4 Milliar­
den Menschen älter als 60 Jahre sein. Nicht nur beim Be­
völkerungswachstum, sondern auch bei der Alterung der
Bevölkerung zeigen sich große regionale Unterschiede: Vor
allem in den Industrieländern, aber auch in China wird die
­Bevölkerung schnell altern, während in den anderen Entwick­
lungs- und Schwellenländern der Anteil älterer Menschen
deutlich langsamer steigt.
Unter dem Strich lässt sich festhalten, dass die Bevölke­
rung in Ländern mit hohem Wohlstandsniveau schneller altert
und kaum noch wächst, während in den Entwicklungs- und
Schwellenländern die Bevölkerung kaum altert und rasant
wächst. Die Industrieländer stehen daher vor der Heraus­
forderung, dass das Arbeitskräftepotenzial sinkt und ein
Fachkräftemangel droht. Gleichzeitig müssen die sozialen
Sicherungssysteme (Alterssicherung, Gesundheitssystem,
Pflege) stark zunehmende Lasten bewältigen. In den Ent­
wicklungs- und Schwellenländern hingegen wird es immer
schwieriger, die Versorgung der Menschen mit Gütern und
Dienstleistungen sicherzustellen. Noch schwieriger ist es, für
die wachsende Bevölkerung ausreichend Jobs zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund wird das Nord-Süd-Gefälle bei den
Pro-Kopf-Einkommen weitgehend bestehen bleiben.
Das Wohlstandsgefälle, kriegerische Auseinandersetzun­
gen und die unterschiedliche Bevölkerungsdynamik werden
in den kommenden Jahren weiterhin Migrationsbewegungen
auslösen, deren Richtung und Stärke sich nur schwer prognos­
tizieren lässt. Deutschland konnte in den letzten Jahren seine
Attraktivität als Zuwanderungsland steigern, wenngleich ein
Teil der hohen Zuwanderung in den vergangenen Jahren auch
der sich nun langsam stabilisierenden Wirtschaftskrise im
Euroraum geschuldet war. Auch in den Jahren bis 2030 kann
der durch die niedrigen Geburtenraten verursachte Bevölke­
rungsrückgang durch Migration abgeschwächt werden. Damit
haben sich die Perspektiven gegenüber der Ausgangsstudie
10
deutlich verändert. Die jüngsten bedeutsamen Flüchtlings­
ströme sind allerdings in den Bevölkerungsprognosen noch
nicht enthalten. Die Auswirkungen der Flüchtlingskrise auf die
Entwicklung in Deutschland konnten daher im Rahmen dieser
Studie noch nicht quantifiziert werden. Aus heutiger Sicht ist
es aber wenig wahrscheinlich, dass sich im Hinblick auf das
Arbeitskräftepotenzial die grundsätzlichen heute erkennbaren
Entwicklungstendenzen ändern.
Insgesamt wirkt sich die steigende Weltbevölkerung positiv
auf das Wachstum der Weltwirtschaft aus. In den Schwel­len­
ländern werden mehr Menschen leben und k­ onsumieren,
gleichzeitig aber auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen. Die Industrieländer profitieren ihrerseits von dieser
Entwicklung, da sie zunehmend mehr in diese Re­gionen
­exportieren und von dort günstigere Vorleistungen importieren
können. Gleichzeitig kann die Einwanderung aus den Schwel­
lenländern dem drohenden Fachkräftemangel entgegenwirken.
GLOBALISIERUNG VERLIERT AN TEMPO
Die Globalisierung war in den beiden zurückliegenden
Jahrzehnten einer der stärksten Treiber für eine prosperie­
rende Weltwirtschaft. Die internationale Arbeitsteilung nahm
seit Mitte der 90er Jahre rasant zu. Der globale Handel wuchs
von 2000 bis 2013 mit durchschnittlich rund 4,5 Prozent pro
Jahr deutlich dynamischer als die Weltwirtschaft (2,5 Prozent
p.a.). Diese Entwicklung war durch fünf Sonderfaktoren be­
günstigt:
die
AA
Integration Chinas in die Weltwirtschaft,
Transformation des ehemaligen Ostblocks,
den durch den Industrialisierungsprozess der Schwellenlän­
AA
der hervorgerufenen Ressourcenhunger,
den durch Rohstoffexporte ausgelösten Reichtum der Roh­
AA
stoffländer,
den Abbau von Handelsschranken und Kapitalverkehrskon­
AA
trollen.
die
AA
Nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 hat sich der
Welthandel von den Rückschlägen zwar wieder rasch erholt.
Seither wuchs er aber nur noch geringfügig schneller als die
Weltwirtschaft. Das zeigt sich auch im Chemiegeschäft, denn
das Verhältnis aus Weltchemiehandel und Weltchemieumsatz
stagniert seit einigen Jahren. Die lokale Produktion gewinnt
mit der Industrialisierung der Schwellenländer an Bedeutung,
weil sich internationale Lohnpreisdifferenzen weiter angegli­
chen haben. Zudem sinken die Transportkosten kaum noch
und für innovative Produkte wird die Nähe zum Kunden zu­
nehmend wichtiger.
Die Handelspolitik spielt auch zukünftig eine wichtige Rolle.
Allerdings wird der Abbau von Handelshemmnissen und
Kapitalverkehrskontrollen im Vergleich zu den vorangegan­
genen Jahrzehnten insgesamt deutlich an Dynamik verlieren.
Unter Industrieländern werden in der Studie im Wesentlichen
die „advanced economies“ im Sinne der Definition des International Monetary Fund (https://www.imf.org/external/pubs/ft/
weo/2015/02/weodata/groups.htm) verstanden. China zählt
hingegen in der Studie zu den Schwellenländern. Weitere
Länder in dieser Gruppe sind: Argentinien, Brasilien, Chile,
Indien, Mexiko, Russland, Südafrika und die Türkei.
6
Weltwirtschaftliches Umfeld
Die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden multilateralen Han­
delsliberalisierung und einer substanziellen Weiterentwick­
lung der Welthandelsordnung ist gesunken. Gründe hierfür
liegen in einer zunehmend multipolaren Weltwirtschaft ei­
nerseits und der Erweiterung des handelspolitischen Spiel­
feldes um nichtökonomische Dimensionen andererseits.
Vor diesem Hintergrund wurde bis 2030 nur eine graduelle
Weiterentwicklung des internationalen Handelsregimes un­
terstellt. Diese wird von vier Phänomenen begleitet, die in un­
terschiedlicher Richtung auf den Welthandel wirken:
Regionale
AA
Integrationsbemühungen werden – zum Teil er­
folgreich – zunehmen. Während im asiatisch-pazifischen
Raum durch neue Abkommen pragmatisch die Integration
vertieft werden wird, droht die EU hier ins Hintertreffen zu
geraten, weil die Vorteile einer stärkeren wirtschaftlichen
­Integration im gesellschaftspolitischen Diskurs nicht hinrei­
chend priorisiert werden.
Die Abschwächung des Wachstums in den Industrie- und
AA
einigen Schwellenländern, die Schwäche der multilateralen
Institutionen sowie die stärkere Gewichtung ökologischer
gegenüber ökonomischen Zielen werden sich in protekti­
onistischen Tendenzen manifestieren. Auch wenn es keine
Protektionismus-Spirale wie in den 1930er Jahren geben
dürfte, wird sich dies bremsend auf den Freihandel auswir­
ken.
Der technologische Wandel insbesondere durch die Digi­
AA
talisierung wird dazu führen, dass verstärkt Wissen sowie
Daten und Designs an Stelle von Fertigwaren gehandelt
und zudem Investitionen an Gewicht gewinnen werden. Die
daraus resultierende Verlangsamung der Handelsdynamik
wird dabei mehr Komponenten- und Konsumgüterhersteller
und weniger Materialtechnologien wie die Chemie betref­
fen. Hier könnte der Handel durch die Digitalisierung sogar
zunehmen – so wäre z.B. eine additive Fertigung auf hoch­­
wertige Materialien angewiesen. Aber die genauen Effekte
sind noch mit hoher Unsicherheit behaftet.
ABB. 2: GLOBALISIERUNG VERLIERT AN SCHWUNG
Anteil des weltweiten Handels (Exporte und Importe) am
globalen BIP in Prozent, CAGR 2000–2013 und 2013–2030
70
65
+0,8%
60
55
+2,0%
50
45
0
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
Die Globalisierung wird sich fortsetzen. Auch in Zukunft wächst
der Handel stärker als die globale Wirtschaftsleistung. Aber die
Bedeutung des Welthandels als Wachstumstreiber der Welt­
wirtschaft wird abnehmen.
Die
AA
Weltordnung befindet sich im Umbruch. Es besteht
die große Gefahr, dass sich Staaten oder gar Regionen zu­
nehmend in Kriege und Bürgerkriege verwickeln oder sich
„failed states“ politisch wie auch wirtschaftlich isolieren und
weitgehend abseits vom internationalen Handelssystem
stehen. Dies hätte zur Folge, dass die Bedeutung dieser
Länder oder Regionen am Welthandel – als Kunden und
­Lieferanten – sinkt. Diese Gefahr ist insbesondere im Nahen
Osten und in Teilen Afrikas am größten.
Im Vergleich zur multilateralen Handelsliberalisierung
AA
spielen zwischenstaatliche Handelsabkommen auch zukünf­
tig die größere Rolle (TTIP, CETA, TPP, diverse asiatische
Freihandelsabkommen etc.). Derzeit lässt sich das Ergebnis
der Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsab­
kommen noch nicht vorhersehen. Der Widerstand gegen
einzelne Teilbereiche des Verhandlungspaketes ist groß.
Im Rahmen der Studie haben wir unterstellt, dass die Ver­
handlungen erfolgreich abgeschlossen werden. Dadurch
werden die Handelsbeziehungen zwischen den USA und
der EU belebt und das Wirtschaftswachstum gestärkt. Aller­
dings wird es voraussichtlich im Bereich der regulatorischen
Kooperation und des Abbaus nichttarifärer Handelshemm­
nisse nur kleine Fortschritte geben, so dass ökonomische
Potenziale ungenutzt bleiben.
In der Summe erwarten wir, dass der globale Handel mit
Waren und Dienstleistungen weiterhin schneller wachsen wird
als die weltweite Wirtschaftsleistung. Im Zeitraum 2013 bis
2030 wachsen die weltweiten Exporte um durchschnittlich
3,6 Prozent pro Jahr. Der Prozess der Globalisierung setzt sich
damit fort. Das relative Expansionstempo (Welthandel/WeltBIP) wird jedoch nicht mehr an Größenordnungen anknüpfen,
wie sie in den Jahren vor der Finanzkrise üblich waren. Die
­Bedeutung des Welthandels als Wachstumstreiber der Welt­
wirtschaft nimmt ab.
SCHNELLERE VERBREITUNG VON TECHNOLOGIEN UND WISSEN
Der technologische Fortschritt und die Zunahme des
Wissens bleiben wichtige Treiber für die weltwirtschaftliche
Entwicklung. Technologische Innovationen diffundieren im
Zuge einer zunehmenden weltweiten Arbeitsteilung und der
Digitalisierung immer schneller um den gesamten Erdball.
Keinem Land wird es gelingen, über eine längere Zeitspanne
einen technologischen Vorsprung aufrechtzuerhalten. Innova­
tionen werden so das Wachstum der Weltwirtschaft in vielen
Ländern fördern.
Der technologische Entwicklungsstand steigt im Progno­
sezeitraum stetig. Die Digitalisierung (u.a. auch Industrie 4.0
genannt) ist einer der mächtigsten Treiber hinter dieser Ent­
wicklung. Ihre Bedeutung nimmt in sämtlichen Lebens- und
Wirtschaftsbereichen zu. Auch in der Chemie steht ein umfas­
sender Strukturwandel bevor. Durch die Digitalisierung werden
disruptive Innovationen möglich, die das Potenzial haben,
bewährte und erprobte Geschäftsmodelle zu erweitern oder
aber auch zu ersetzen. Das Wettbewerbsumfeld wird sich
aufgrund beschleunigter Innovationszyklen und neuer Wett­
bewerber verschärfen. Letzteres ist bereits heute zu beobachten.
Gleichzeitig ermöglichen neue Technologien die Opti­
mierung von Prozessen, die Erschließung neuer Geschäfts­
felder und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. In der
11
Weltwirtschaftliches Umfeld
ABB. 3: SCHWELLENLÄNDER WERDEN INNOVATIVER
Anteile der Industrie- und Schwellenländer an den gesamtwirtschaftlichen realen FuE-Ausgaben in Prozent
Schwellenländer
Industrieländer
70,4%
83,0%
93,3%
29,6%
17,0%
6,7%
2000
2013
2030
Der Innovationswettbewerb der Länder wird an Intensität
gewinnen. In Zukunft werden Forschung und Entwicklung nicht
mehr nur eine Domäne der Industrieländer sein. Auch die
Schwellenländer verstärken ihre FuE-Anstrengungen.
schulausbildung sowie über eine betriebliche Ausbildung, die
die Qualifizierung von Fachkräften sichert.
Im Prognosezeitraum erhöht sich hierzulande die Bildungs­
beteiligung und die Durchlässigkeit des Bildungs­systems
nimmt zu. Das bedeutet, der Anteil der ­Hochschulabsolventen
und hochqualifizierten Facharbeiter steigt, die Abbrecher­
quote sinkt und die Mitarbeiter werden für lebenslanges
Lernen sensibilisiert. Zusätzliches Potenzial wird durch die
stärkere Integration von Frauen und älteren Personen in den
Arbeitsmarkt generiert. Eine moderate Zuwanderung von
Fachkräften wird in den kommenden Jahren die Leistungsfä­
higkeit in Deutschland stärken.
Allerdings ist für den Prognosezeitraum auch unterstellt,
dass Deutschland seine staatliche Forschungsförderung nicht
ausdehnen wird. Die Hightech-Strategie konzentriert sich wei­
terhin auf die Projektförderung, die ohne umfangreiche Auf­
stockung fortgeführt wird. Zusätzliche Anreize für erhöhte
FuE-Ausgaben unterbleiben. Eine steuerliche Forschungs­
förderung ist im Prognosezeitraum nicht unterstellt. Unter
diesen Annahmen wird der gesamtwirtschaftliche FuE-Anteil
am BIP auch 2030 noch bei knapp unter 3 Prozent liegen.
KEIN ENGPASS BEI ENERGIE UND ROHSTOFFEN BIS 2030
Chemie ist davon auszugehen, dass insbesondere datenge­
steuerte Produktionsprozesse weiter ausgebaut werden. Die
Digitalisierung wird zwar in der Chemie im Prognosezeitraum
nicht zu technologischen Sprüngen führen. Vielmehr wird sich
durch die stetige Verbreitung in den Unternehmen die Ge­
schwindigkeit technologischer Innovationen erhöhen. Die
Folgen sind eine Zunahme der Arbeitsproduktivität und der
Ressourceneffizienz sowie Güter und Dienstleistungen mit
­zunehmendem Kundennutzen. Die Beziehung der Chemiein­
dustrie zu ihren Abnehmern wird deutlich enger. Die Grenzen
zwischen Produkt und Dienstleistung verschwimmen zuneh­
mend. Im Bereich der Agrochemie sind derartige hybride
Angebote bereits Wirklichkeit.
Die Industrieländer, allen voran die USA und die Länder
der Europäischen Union, bleiben die Innovationsmotoren der
Weltwirtschaft. Doch einige Schwellenländer, hier vor allem
China, holen kräftig auf. Im Jahr 2000 kamen 93 Prozent der
FuE-Aufwendungen aus den Industrieländern. 2013 waren
es bereits 10 Prozentpunkte weniger. Am Ende des Progno­
sezeitraums werden schätzungsweise nur noch 70 Prozent
der FuE-Aufwendungen von den Industrieländern erbracht
werden. Über ein Fünftel der weltweiten Aufwendungen wird
dann allein aus China kommen. China liegt damit vor der EU.
Während die USA kaum Anteile an den weltweiten FuE-Aus­
gaben verlieren, geht der Anteil der EU – trotz Aufstockung
der FuE-Budgets – deutlich zurück.
Deutschland ist insgesamt ein guter Innovationsstand­
ort. Im internationalen Standortvergleich belegt Deutsch­
land Platz 5.7 In Zukunft wird das Bildungssystem angesichts
der demografischen Entwicklung und der Zuwanderung als
Standortfaktor immer wichtiger. Deutschland konnte sein
Bildungssystem in den vergangenen Jahren verbessern.
Hier besteht aber weiterhin Handlungsbedarf. Deutschland
verfügt auch zukünftig über eine gute Hoch- und Fachhoch­
7
12
„acatech-BDI Innovationsindikator“ 2015.
Mit dem Wirtschaftsboom in den Schwellenländern stieg
seit 2000 der Verbrauch von Rohstoffen und Energieträgern
stetig. Die Lieferanten reagierten nicht im gleichen Umfang
mit Produktionserhöhungen. Bis 2008 trieb das den Rohöl­
preis immer höher. Erst im Verlauf der Wirtschaftskrise wurde
dieser Aufwärtstrend gestoppt. In der Krise übertraf das
Angebot die Nachfrage nach Rohstoffen. Allerdings ließ die
baldige Erholung der Konjunktur die Nachfrage und damit
den Preis schnell wieder steigen. Während sich die meisten
Rohstoffpreise in den Jahren 2011 bis 2013 nahezu konstant
entwickelten, brach der Ölpreis Rekorde. Befeuert wurde dies
durch die politischen Unruhen im Nahen Osten und Spannun­
gen um das iranische Atomprogramm.
ABB. 4: DER ÖLPREIS WIRD NUR MODERAT STEIGEN
Ölpreis im Jahresdurchschnitt, in US-Dollar je Barrel (real)
140
120
100
80
60
40
20
0
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
Gründe für den nur moderaten Ölpreisanstieg: Ausweitung
des Angebotes (Schieferöl in den USA und Kanada, Wiederaufnahme der iranischen Ölexporte) sowie Steigerung der
Energieeffizienz.
Quellen: Feri, IEA, VCI
Weltwirtschaftliches Umfeld
Eine zentrale Annahme der Vorgängerstudie war, dass
Energie und Rohstoffe zunehmend knapper und damit teurer
werden. Damals lautete die Langfristprognose der Interna­
tionalen Energieagentur (IEA): Der Ölpreis wird bis 2030 auf
real 135 US-Dollar pro Barrel steigen. Nominal bedeutete das
einen Anstieg auf 240 US-Dollar pro Barrel. Diese Annahme
kann vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen an
den internationalen Rohstoffbörsen nicht aufrechterhalten
werden.
Die Hauptursachen des aktuellen Preisverfalls bei Energie
und anderen Rohstoffen liegen auf der Angebotsseite. Hohe
Rohstoffpreise hatten in Verbindung mit der Erwartung
knapper werdender Ressourcen einen Investitionsboom im
Bergbau und in der Öl- und Gasindustrie ausgelöst. Zudem
ermöglichte der technologische Fortschritt die Erschließung
neuer und bisher nicht wirtschaftlich nutzbarer Lagerstätten.
Mit Hilfe von Fracking ist mittlerweile nicht nur in den USA
die wirtschaftliche Exploration von Schiefergas und Schieferöl
möglich. Neue Technologien führen nicht nur zu einer Aus­
weitung des Angebots, sondern auch zu einer Zunahme der
verfügbaren Reserven. Vor diesem Hintergrund geht die vor­
liegende Studie nun davon aus, dass Energie und Rohstoffe
trotz steigender Nachfrage und geopolitischer Unsicherhei­
ten im Prognosezeitraum ausreichend verfügbar und relativ
günstig sein werden.
Und dennoch: Der seit Mitte des Jahres 2014 zu beobach­
tende Rohölpreisverfall ist deutlich überzeichnet. Weder
die Ölindustrie noch die OPEC-Länder oder Brasilien und
Russland können auf Dauer mit Ölpreisen zwischen 30 und
50 US-Dollar je Barrel auskommen. Die Entscheidung der OPEC,
ihr Produktionsziel in den Jahren 2014 und 2015 beizubehalten,
hat bei den anderen ölfördernden Ländern bereits zu einem
Investitionsrückgang bei der Erschließung neuer Öl- und Gas­
quellen geführt. Hinzu kommt, dass innerhalb der OPEC
die Fördermengen nur im Iran und im Irak gesteigert werden
können. Doch beide Länder haben wegen der instabilen Lage
Schwierigkeiten, die notwenigen Investitionen zu mobi­lisieren.
ABB. 5: SEIT 2010 PREISUNTERSCHIEDE BEI ERDGAS
Preisvergleich Erdgas USA - Europa - Japan, Referenzpreise
der Handelspunkte in Euro/MWh
60
Japan (LNG)
Europa
USA
50
40
30
20
10
0
2000
2005
2010
Der Schiefergasboom sorgte in den USA für niedrige Gaspreise. Japan und Europa müssen hingegen Erdgas teuer
importieren.
Quellen: Worldbank, VCI
2015
Mittelfristig wird der Ölpreis voraussichtlich wieder steigen.
Für den Prognosezeitraum wird basierend auf dem „IEA new
policies scenario“ (Stand Sommer 2015) ein Ölpreisanstieg auf
109 US-Dollar (real) je Barrel bis 2030 unterstellt. Inflationiert
mit der Preisentwicklung des Bruttoinlandspro­dukts der USA
ergibt sich für 2030 ein nominaler Preis von 145 US-Dollar je
Barrel.
Auch die Nachfrageseite spricht für moderat steigende
Ölpreise. Zwar dürfte der weltweite Energie- und Rohstoff­
bedarf in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Der
Zuwachs wird aber deutlich langsamer ausfallen als im zu­
rückliegenden Jahrzehnt. Der Grund: Die Dynamik der Welt­
wirtschaft schwächt sich zukünftig ab und nicht nur in Europa
werden sich vermehrt energie- und rohstoffeffizientere Pro­
duktionsweisen durchsetzen. Zudem wird China, das Land
mit dem größten Ressourcenverbrauch, nach der Phase der
rasanten Industrialisierung zukünftig verstärkt im Dienstleis­
tungssektor wachsen und seine Produktion ressourcenscho­
nender ausrichten.
Die Rohstoffpreise bleiben aber wegen der Investitions­
zyklen im Öl- und Gasgeschäft extrem volatil. Die Ökonomen
sprechen von Schweinezyklen: In Zeiten niedriger Preise wird
kaum investiert. Ölfelder versiegen und das Angebot sinkt.
Das lässt die Preise steigen. Die steigenden Preise wiederum
führen zu einer Ausweitung der Investitionen, bis die Preise
wegen eines Überangebots wieder sinken. Dann beginnt das
Spiel von neuem. Diese Volatilität der Rohstoffpreise wird
durch die Finanzmärkte verstärkt. Die daraus resultierende
Planungsunsicherheit ist für Industrieunternehmen ein großes
Risiko.
Im Unterschied zum Ölmarkt werden Gaspreise bis heute
stark von regionalen Einflüssen geprägt. Das ist eine Folge
der hohen Investitionskosten für große Pipelines und LiquifiedNatural-Gas-(LNG-)Versorgungsketten, die den Gastransport
über größere Entfernungen aufwendig und betriebswirtschaft­
lich riskant machen.
Das zusätzliche Angebot von Schiefergas sorgt in den
USA vermutlich noch bis in die 2030er Jahre für im inter­
nationalen Vergleich niedrige Gaspreise und zunehmende
LNG-Exporte. Japan und Südkorea, die weltgrößten LNG-­
Importeure, besitzen dagegen einen geografischen Nachteil
und sind mangels eigener Rohstoffe auf verlässliche Gas­
lieferungen zu international relativ hohen Preisen angewiesen.
Die europäischen Gaspreise liegen zwischen den hohen Im­
portpreisen Japans und den niedrigen Gaspreisen in den
USA. Europa profitiert vom Wettbewerb zwischen russischem
und norwegischem Pipelinegas und einem zunehmenden
LNG-Angebot. Heute ist in Deutschland das Gas rund dreimal
teurer als in den Vereinigten Staaten.
Generell ist von einer weiterhin günstigen Versorgungs­
lage im globalen Gasmarkt auszugehen. Künftig werden stei­
gende LNG-Exporte aus Australien und den USA für einen
Preisdeckel sorgen. Ein steiler Preisanstieg in Europa ist damit
aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Auch auf lange Sicht
werden Europa und Asien allerdings nicht das niedrige Preis­
niveau der USA erreichen.
Der Strompreis ist ebenfalls regional unterschiedlich. Für
Endkunden setzt er sich aus verschiedenen Komponenten
zusammen. Neben den Kosten für die Stromerzeugung und
-bereitstellung sind auch Abgaben, Umlagen sowie Steuern
13
Weltwirtschaftliches Umfeld
große Kostenblöcke. In Deutschland haben die Ener­giewende
und der Ausbau der Leitungsnetze die ­Strompreise extrem ver­
teuert. Die deutsche Industrie muss rund 50 Prozent mehr
für den Strom bezahlen als Unternehmen in den USA. Auch
im europäischen Vergleich belegt der Industriestrompreis
in Deutschland einen Spitzenwert. Unternehmen der energie­
intensiven Industrien erhalten daher Ermäßigungen oder
Kompensationen für Belastungen, die sie durch Umlagen im
Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und Re­g elungen
zu Kraft-Wärme-Kopplung, Stromsteuern und Netzentgelten
in besonderem Maße zu tragen haben. Eine ­Reduzierung der
Ausnahmeregelungen in Deutschland würde energieintensive
Unternehmen aufgrund des starken Ausbaus der erneuerba­
ren Energien und der damit verbunde­nen höheren Gesamt­
kosten, die umgelegt werden, deutlich mehr belasten als in
den Vergleichsländern. Bis 2030 werden die Divergenzen bei
den Strompreisen erhalten bleiben. Gleichzeitig wird in der
Studie unterstellt, dass energieintensive Industrien weiterhin
von Ausnahmeregelungen profitieren können.
UMWELT- UND KLIMASCHUTZ GEWINNEN WELTWEIT AN
BEDEUTUNG
Das Wachstum der Weltwirtschaft in der z­ urückliegenden
Dekade ging mit zunehmendem Ressourcenverbrauch und
steigender Umweltverschmutzung einher. Insbesondere die
Emissionen von Treibhausgasen wuchsen in den zurücklie­
genden Jahren rasant. Sie sind hauptverantwortlich für die
globale Erwärmung. Der damit einhergehende Klimawan­
del ist bereits heute in Form von häufigen Naturkatastrophen,
dem Anstieg des Meeresspiegels und extremen Wetterereig­
nissen spürbar. Der größte Wachstumsbeitrag zur Umwelt­
verschmutzung kam aus den Schwellenländern. Vor allem die
rasante Industrialisierung Chinas hat die Treibhausgasemissi­
onen in die Höhe schnellen lassen. Demgegenüber hat sich
durch den technologischen Fortschritt und durch eine ambi­
tionierte Klimapolitik in den Industrieländern das Wirtschafts­
wachstum weitgehend von den CO2-Emissionen entkoppelt.
ABB. 6: EUROPA BLEIBT VORREITER BEIM KLIMASCHUTZ
Entwicklung der energiebedingten CO2-Emissionen nach
Regionen, in Gigatonnen
40
35
19,4
30
16,9
25
Rest der
Welt
China
USA
EU 28
20 11,2
15
11,4
9,8
3,5
10
6,4
6,0
4,4
3,7
5
0
2000
2005
2010
4,9
2,7
2015
2020
2025
2030
Bis 2030 wird China seine CO2-Emissionen weiter steigern. Das
nachlassende Wachstum und das steigende Umweltbewusstsein werden den Anstieg zukünftig aber verlangsamen.
Quellen: BP Statistical Review of World Energy; OECD; VCI
14
Im Prognosezeitraum wird der politische und gesell­
schaftliche Stellenwert des Umwelt- und Klimaschutzes weiter
steigen – auch über Europas Grenzen hinaus. Bei der UNKlimakonferenz in Paris haben am 12. Dezember 2015 alle
195 Vertragsstaaten einem neuen globalen Abkommen zu­
gestimmt. Das Pariser Abkommen und die begleitenden Ent­
scheidungen bilden ein anspruchsvolles Klimaregime für die
Zeit ab 2020 mit universeller Geltung und völkerrechtlichen
Pflichten. Erstmals vereinbarten Industrie- und Schwellenlän­
der, dass alle gemeinsam gegen den Klimawandel vorgehen.
Die Industriestaaten werden zwar auch zukünftig die Haupt­
verantwortung tragen. Doch nun wurden auch den Entwick­
lungs- und Schwellenländern Pflichten auferlegt. Damit trägt
das Abkommen der Tatsache Rechnung, dass vor allem die
sehr dynamische wirtschaftliche Entwicklung vieler Schwellen­
länder den Anstieg von CO2-Emissionen beschleunigt hat.
Bereits heute ist China für knapp 27 Prozent der globalen
­CO2-Emissionen verantwortlich und damit der weltweit
größte Emittent.
Obwohl sich global im Bewusstsein die Notwendigkeit
von Umwelt- und Klimaschutz durchzusetzen beginnt, bleibt
die Asymmetrie bei der Umsetzung bestehen. Außerhalb
Europas entscheiden sich die Nationen meist nur dann für
Umwelt- und Klimaschutz, wenn er wirtschaftlich vertretbar
ist. Das Klimaschutzabkommen sieht daher vor, dass ­Schwellenund Entwicklungsländer von den Industrieländern durch
Technologietransfer und finanzielle Hilfen unterstützt werden.
Die Industrieländer sollen hierzu ab 2020 jährlich 100 Milliar­
den US-Dollar bereitstellen.
Die EU sieht sich weiterhin als Vorreiter beim ­Klimaschutz
und hat sich daher weltweit die ehrgeizigsten Klimaschutz­
ziele gesetzt. Wichtige Klimaschutzinstrumente sind in Europa
der Emissionshandel, die Energiesteuern und die Förde­
rung erneuerbarer Energien. Diesen Instrumenten ist eines
gemeinsam: Sie verteuern den Energieverbrauch. So sollen
Anreize zu mehr Energieeffizienz gesetzt werden. Das hat
bremsende Effekte auf die europäische Chemie. Hohe und
steigende Energiepreise führen in der energieintensiven In­
dustrie zu einer Investitionszurückhaltung und begünstigen
den Aufbau von Produktionskapazitäten in Weltregionen mit
niedrigeren Energiekosten. Um die Abwanderung industriel­
ler Produktion aus Europa zu verhindern, gibt es Ausnahmen
für besonders energieintensive Produktionsanlagen. Für den
Prognosezeitraum wird unterstellt, dass die EU und Deutsch­
land an dieser Politik prinzipiell festhalten. Gegenwärtig wird
eine Novellierung der Emissionshandelsrichtlinie für den
Zeitraum ab 2021 bis 2030 verhandelt. Im Basisszenario ist
unterstellt, dass die angestrebte Reform des europäischen
Emissionshandels nicht zu signifikanten Kostensteigerungen
für Unternehmen führen wird. Für Deutschland wurde darüber
hinaus ein Beibehalten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes,
der Ausnahmeregelungen und des Atomausstiegs unterstellt.
Das zunehmende Bewusstsein der Bürger für Klimaschutz
und eine nachhaltige Produktionsweise steigert die Nach­
frage nach umwelt- und klimafreundlicheren Gütern und be­
schleunigt so in einigen Wirtschaftszweigen das Wachstum.
Beispielsweise profitiert der Maschinenbau von der hohen
Nachfrage nach Windkraftanlagen und die Automobilindus­
trie sieht Marktchancen bei der Elektromobilität. Auch die
chemische Industrie kann als Impulsgeber für den Klima-
Weltwirtschaftliches Umfeld
und Umweltschutz von dieser Entwicklung profitieren. In
vielen Anwendungen und Kundenbranchen ist auf ­Grundlage
bestehender Trends auch zukünftig von einer steigenden
Chemieintensität auszugehen (z.B. Gebäudedämmung,
Leichtbaukonzepte, Elektroantriebe in der Automobilindustrie).
STAATSVERSCHULDUNG HEMMT WACHSTUM
Das Wachstum der vergangenen Jahrzehnte wurde nicht
unerheblich durch die Aufnahme privater und staatlicher
Schulden finanziert. Angesichts der hohen Verschuldung,
vor allem der öffentlichen Haushalte in vielen Industrielän­
dern, wird sich dieser Kurs nicht fortsetzen lassen. Die hoch
verschuldeten EU-Länder werden den eingeschlagenen Kurs
der Haushaltskonsolidierung prinzipiell beibehalten. Aktuell
gibt es zwar wegen der Flüchtlingskrise, der Schuldenkrise
(Griechenland), der Diskussion über den Status Großbritan­
niens und des Aufstiegs rechts- und linkspopulistischer EUkritischer Parteien Zweifel am Fortbestand der Europäischen
Union. Unsere Projektionen gehen jedoch von der Annahme
aus, dass EU und Eurozone in ihrer jetzigen Form bis 2030
bestehen bleiben, es aber keine weitere substanzielle Ver­
tiefung und Erweiterung gibt.
Griechenland wird die Auflagen der Kreditgeber
umsetzen und in der Eurozone verbleiben. Allerdings wird
hierzu im Prognosezeitraum ein Schuldenschnitt erforderlich
sein. Deutschland konsolidiert wegen der Schuldenbremse
deutlich schneller als viele europäische Nachbarländer. Die
Geldpolitik der Zentralbank trägt durch ein niedriges Zins­
niveau erheblich zur Haushaltskonsolidierung bei, denn dies
senkt die Zinslast der Schuldner erheblich. Gleichzeitig sorgt
die EZB durch den vermehrten Kauf von Staatsanleihen und
extrem niedrige Leitzinsen dafür, dass sich die EU-Länder
immer wieder neu verschulden können. Modellseitig führen
hohe Schuldenstandsquoten zwar zu Risikoaufschlägen auf
Staatsanleihen, aber diese bleiben auch für hoch verschul­
dete Euroländer wegen der EZB-Programme und des Ret­
tungsschirms (ESM) insgesamt niedrig. Dies mindert aber
ABB. 7: KONSOLIDIERUNGSDRUCK HÄLT AN
Schuldenstandsquoten ausgewählter Länder in Prozent des
Bruttoinlandsprodukts
289
2000
2013
2030
244
144
128
59
92
87 80
77
105
80
85
58
56
53
39
Deutschland
Großbritannien
Frankreich
105 98
Italien
USA
Japan
Der Konsolidierungsdruck besteht fort. Die meisten Länder
werden versuchen, den eingeschlagenen Kurs der Haushaltskonsolidierung fortzusetzen und ihre Staatsverschuldung
zurückzufahren. Dies wird zunächst das Wachstum bremsen.
den Zwang zu fiskalischer Konsolidierung und den Reformeifer.
Infolgedessen bleibt das Konsolidierungstempo insgesamt
niedrig, so dass viele EU-Länder auch 2030 noch Staatsschul­
denstände oberhalb der im Maastricht-Vertrag vorgesehenen
Obergrenze von 60 Prozent des BIP aufweisen werden.
Auch die USA werden ihre Schuldenstandquote reduzie­
ren, wenngleich mit weniger drastischen Einsparungen als in
den europäischen Krisenländern. Ausgabenseitig hat auch
die US-Regierung bereits mit der Konsolidierung der Staatsfi­
nanzen begonnen. Und eine weitere Verschärfung des Konso­
lidierungskurses ist wahrscheinlich. Japan ragt durch riesige
Staatsschulden aus dem Ländervergleich heraus. Da die Gläu­
biger aber vor allem Inländer sind und die Forderungen in
Yen bestehen, ist der Konsolidierungsdruck entsprechend
gering. Zudem zahlt der Staat wegen der Nullzinspolitik der
japanischen Notenbank kaum Zinsen. Die japanische Regie­
rung versucht daher, zunächst durch expansive Fiskalpoli­
tik die Wirtschaft anzukurbeln. Die Konsolidierung wird in
die Zukunft verschoben. Die Studie geht davon aus, dass es
Japan erst nach 2030 gelingen wird, die Schuldenstands­
quote zurückzuführen.
Während die Industrienationen hoch verschuldet sind,
stehen die meisten Schwellenländer vergleichsweise gut da.
Die Staatsverschuldung beträgt dort im Schnitt nur 40 Prozent
des BIP. Und der Verschuldungsgrad vieler Schwellenländer
ist seit der Finanzkrise stabil geblieben. Allerdings täuscht
dieser Befund. Zum einen gibt es in vielen Ländern das
Phänomen versteckter Staatsschulden. Versteckte Schulden
entstehen beispielsweise dann, wenn die Verschuldung von
Staatsunternehmen nicht im Staatssektor ausgewiesen wird.
Zum anderen ist in vielen Schwellenländern der Privatsektor
hoch verschuldet. Sofern sich die Länder in anderen Währun­
gen – vor allem dem US-Dollar – verschuldet haben und die
eigenen Währungen zuletzt kräftig abwerteten, werden die
aus den Schulden resultierenden Zinszahlungen insbesondere
in Verbindung mit der Zinswende der US-Notenbank zuneh­
mend zum Problem.
Die Rezession in Brasilien und Russland sowie die Wachs­
tumsabschwächung in China zeigen, dass das Wachstums­
modell der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr trägt.
Rohstoffreiche Schwellenländer haben in der Vergangen­
heit zwar große Devisenreserven angesammelt, doch diese
schrumpfen angesichts der niedrigen Ölpreise und schwäche­
rer Rohstoffnachfrage rasant. Eine Folge davon ist, dass der
Investitionsboom der vergangenen Jahre in vielen Schwellen­
ländern jäh beendet wurde. Auch die Schwellenländer sind
gezwungen zu konsolidieren, weil der hohe Schuldendienst in
Verbindung mit wegbrechenden Deviseneinnahmen aus dem
Rohstoffgeschäft das Wachstum dämpft. Es ist allerdings zu
erwarten, dass in den betroffenen Ländern die Konsolidie­
rungspläne zeitlich gestreckt werden, um die politische Stabi­
lität aufrechtzuerhalten.
Insgesamt hemmt der Konsolidierungszwang bis 2030 das
weltwirtschaftliche Wachstum und schränkt die finanz- und
wirtschaftspolitischen Spielräume deutlich ein. Langfristig
führt die Haushaltskonsolidierung allerdings auf einen nach­
haltigeren Wachstumspfad.
15
Weltwirtschaftliches Umfeld
Weltwirtschaftliche Dynamik lässt
allmählich nach
Die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft wird auch
immer an ihrer bisherigen gemessen. Hierfür sind weniger
die von der Finanzkrise beeinflussten Jahre maßgeblich als
vielmehr die Dekade zuvor. Diese war geprägt von dem
Eintritt des ehemaligen Ostblocks und Chinas in den Welt­
markt sowie einem massiven Anstieg der Vermögenspreise
in wichtigen Industrieländern. Diese Einflüsse waren singulä­
rer Art oder wirkten nicht dauerhaft. Im Ergebnis trugen sie,
ungeachtet anderer länderspezifischer Besonderheiten, ent­
scheidend zu dem vergleichsweise großen Wachstum in den
meisten Ländern in der Dekade vor der Finanz- und Wirt­
schaftskrise bei.
Die Finanzkrise 2008/2009 selbst zog dann allerdings er­
hebliche Einbrüche im Weltwirtschaftsgefüge nach sich, von
denen sich die meisten Länder dank massiver finanz- und
geldpolitischer Stützungsmaßnahmen überraschend schnell
erholten. Anschließend begann jedoch eine weltwirtschaft­
liche Schwächephase. An deren Beginn stand die Eurokrise,
die in Europa eine erneute Rezession auslöste, von der sich
viele Länder nur langsam erholen. Zudem sieht sich die Euro­
päische Union mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise und
der Unsicherheit über den Verbleib von Großbritannien in der
EU konfrontiert. Die Schuldenkrise in Griechenland ist eben­
falls noch nicht ausgestanden. Auch der Wachstumsmotor
China geriet ins Stottern. Und Schwellenländer wie Brasilien
und Russland rutschten in eine tiefe Rezession.
Diese Schwächephase der Weltwirtschaft kann im Pro­
gnosezeitraum überwunden werden. Das Bruttoinlandspro­
dukt der Welt wächst von 2013 bis 2030 im Durchschnitt um
2,5 Prozent pro Jahr und knüpft damit scheinbar nahtlos an
die Dynamik vor 2013 an. Von der Jahrtausendwende bis zum
Jahr 2013 wuchs die Weltwirtschaft ebenfalls mit 2,5 Prozent
pro Jahr. Allerdings war die globale Dynamik zwischen 2000
und 2013 wegen der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 unge­
wöhnlich niedrig. Bis 2008 lag das globale Wachstum noch
ABB. 8: SCHWELLENLÄNDER GEWINNEN AN GEWICHT
Globales BIP-Wachstum, CAGR 2000–2013 und 2013–2030,
Anteile in Prozent
bei rund 3 Prozent pro Jahr. Zudem haben sich die Aussichten gegenüber der Vorgängerstudie eingetrübt. Die
Weltwirtschaft wird im Prognosezeitraum weniger stark
zulegen als noch in der ersten Studienfassung angenommen
(+ 3,0 Prozent).
Vor allem für die Schwellenländer hat sich das langfristige Wachstumspotenzial nach den neuen Berechnungen
abgeschwächt. Sie wachsen im Prognosezeitraum zwar um
durchschnittlich 4,5 Prozent pro Jahr. In den Jahren 2000
bis 2013 lag die Dynamik aber noch bei 6,3 Prozent. Dies ist
eine Wachstumsabschwächung um fast 2 Prozentpunkte.
In den I­ndustrieländern insgesamt wird sich das Wachstum
hingegen von 1,5 Prozent (2000–2013) auf 1,7 Prozent (2013
bis 2030) leicht beschleunigen. Da in den Industrieländern die
krisenbeding­ten Einbrüche besonders stark waren und die
Erholung deut­lich langsamer verlief als im Rest der Welt, ist
diese Beschleunigung aber weniger erfreulich, als es auf den
ersten Blick scheint. Das zukünftige Wachstum der Industrie­
länder hat sich sowohl im Vergleich zum Zeitraum vor 2008
(+ 2,5 Prozent) als auch im Vergleich zur Vorgängerstudie
(+ 2,2 Prozent) abgeschwächt.
Unter dem Strich wird sich die Wachstumsdynamik der
Industrie- und Schwellenländer im Prognosezeitraum durch
die zunehmende Konvergenz des Wohlstandsniveaus beider
Gruppen sowie durch das Auslaufen des Investitionsbooms
in China annähern. Dennoch bleibt ein Wachstumsgefälle, so
dass die Industrieländer weiter an Bedeutung verlieren.
EUROPÄISCHE UNION
Die europäische Wirtschaft hat die durch die Eurokrise
ausgelöste Rezession überwunden. In einigen Ländern wirken
sich die Strukturreformen bereits positiv auf das Wachstum
aus. Der Rettungsschirm greift und auch bei der Koordinie­
rung der europäischen Fiskal- und Wirtschaftspolitik ist man
ein gutes Stück vorangekommen. Rückenwind für die EUWirtschaft kam zuletzt vom schwachen Euro und vom nied­
rigen Ölpreis. Allerdings blieb die Erholung bisher kraftlos.
ABB. 9: REFORMEN ZAHLEN SICH AUS
BIP-Entwicklung in den europäischen Krisenländern,
Index 2007 = 100
130
Industrieländer
Schwellenländer
Portugal
Spanien
Griechenland
Italien
Irland
120
+2,5%
+2,5%
110
62,6%
100
90
72,7%
80
82,8%
37,4%
17,2%
2000
60
2013
2030
Während die Schwellenländer, insbesondere China, Weltmarktanteile hinzugewinnen, schrumpft der Anteil der Industrieländer am globalen Bruttoinlandsprodukt. Den USA gelingt es
allerdings, ihre Spitzenposition zu verteidigen.
16
70
27,3%
2007
2010
2013
2016
2019
2022
2025
2028 2030
Die Konsolidierungsbemühungen und die Strukturreformen
hemmen zwar kurzfristig das Wachstum, zahlen sich aber
mittelfristig aus. Nur Griechenland steckt in einer tiefen Krise,
die bis Mitte der 2020er Jahre anhält.
Weltwirtschaftliches Umfeld
Daran wird sich in den kommenden Jahren wohl auch nichts
ändern. Das Wachstumstempo der Europäischen Union
bleibt im Prognosezeitraum mit 1,6 Prozent pro Jahr hinter
dem Wachstum der Vereinigten Staaten (2,1 Prozent pro Jahr)
zurück. Damit liegt das Wachstum zwar 0,4 Prozentpunkte
über dem Wachstum der vergangenen Dekade (2000 bis
2013). Wegen der Finanz- und Eurokrise hinkt dieser Vergleich
jedoch. Vor 2008 war das Wachstum der EU mit rund 2 Pro­zent pro Jahr erheblich höher als im Prognosezeitraum.
Neben dem geringen Bevölkerungswachstum und der spür­
baren Alterung wirkt sich zukünftig vor allem die fiskalische
Konsolidierung negativ auf das Wachstum aus. Politisch mo­
tivierte Diskussionen um den Fortbestand der EU, wie aktuell
der drohende Austritt Großbritanniens aus der EU, bremsen
das Wachstum zusätzlich. In der Studie gehen wir aber insge­
samt von einem Fortbestand der Europäischen Union in der
jetzigen Form aus.
Zwischen den einzelnen Mitgliedsländern wird es im Pro­
gnosezeitraum weiterhin deutliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung geben. Die EU 15, die derzeit ge­messen am Bruttoinlandsprodukt für über 92 Prozent der
Europäischen Union steht, wird im Prognosezeitraum im
Durchschnitt um jährlich 1,5 Prozent wachsen. Am stärksten
wachsen Belgien und Schweden. Für Spanien und Portugal
haben sich die Perspektiven deutlich aufgehellt. Die Struk­
tur­reformen der vergangenen Jahre zahlen sich aus. Eine
Ausnahme bildet Griechenland. Hier wird das Vorkrisenniveau
beim Bruttoinlandsprodukt im Prognosezeitraum noch nicht
wieder erreicht.
In den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern wird
sich mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 2,3 Prozent pro Jahr der Angleichungsprozess fortsetzen – allerdings
deutlich verlangsamt gegenüber der vorangegangenen
Dekade. Im den Jahren 2000 bis 2013 betrug das durch­
schnittliche BIP-Wachstum in der Region noch 3,2 Prozent
pro Jahr. Wachstumsspitzenreiter im Prognosezeitraum sind
die Slowakei und Polen. Der Anteil der Beitrittsländer an der EU
erhöht sich von derzeit 7,6 Prozent auf 8,6 Prozent im Jahr 2030.
VEREINIGTE STAATEN
Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts wird nach
den neuen Berechnungen langfristig etwa 2,1 Prozent pro
Jahr betragen. Die Vorgängerstudie war noch von einem
Wachstum der US-Wirtschaft von 2,8 Prozent ausgegan­
gen. Die jüngsten Turbulenzen bei den Rohölpreisen haben
gezeigt, wie anfällig das auf dem Schiefergasboom beru­
hende Wirtschaftsmodell der US-Ökonomie ist. Trotz der
Wachstumsabschwächung wächst die US-Wirtschaft zu­
künftig dynamischer als die EU und die Vereinigten Staaten
bleiben bis 2030 die größte Volkswirtschaft der Welt. Dabei
profitieren sie von einer positiven Bevölkerungsentwicklung,
günstigen Energie- und Rohstoffpreisen und ihrer in vielen
Bereichen vorhandenen Technologieführerschaft, beispiels­
weise im so wichtigen Zukunftsmarkt der Informationstechnik.
Außerdem verfügen die USA über einen insgesamt großen
Wirtschaftsraum, den sie über Handelsabkommen wie TPP
(Transpazifische Partnerschaft) oder TTIP (Transatlantisches
Freihandelsabkommen) noch vergrößern wollen. Daneben
verfolgen die USA auch strategische Interessen. Gerade für
den Pazifikraum gilt, dass die Boomregion der Welt nicht
allein China überlassen wird.
Der US-Dollar bleibt langfristig die Weltleitwährung,
er verstärkt sogar seine Position noch. Der Euro wird in
einem Wirtschaftsraum emittiert, dessen Wachstumstempo
kurz- wie langfristig spürbar unter dem der Vereinigten Staaten
liegen wird. Zudem haben die Staatsschuldenkrise in Griechen­land und die dadurch hervorgetretenen Konstruktionsprobleme der Eurozone das Vertrauen in den Euro eingeschränkt.
Der chinesische Renminbi wird zwar im asiatischen Raum eine
größere Bedeutung erlangen und sich nach Einbeziehung
der Währung in den Korb der Sonderziehungsrechte des IWF
auch auf globaler Ebene stärker etablieren. Er wird aber nicht
den US-Dollar in seiner Rolle als Weltleitwährung ablösen
können. Für die internationalen Kapitalströme bleiben die
Vereinigten Staaten das deutlich attraktivere Ziel.
BRASILIEN
Brasilien erreicht im Prognosezeitraum ein Wachstum von
3 Prozent pro Jahr. Dabei geht die Prognose davon aus, dass
die aktuellen Probleme mittelfristig gelöst werden. Die jet­
zige Regierung hat zwar durch Sozialprogramme Brasilien
gerechter gemacht. Jedoch wurde auch Brasiliens Abhängig­
keit von Rohstoffexporten vertieft und nichts für die internati­
onale Wettbewerbsfähigkeit getan, das heißt, Bildung, Sicher­
heit und Infrastruktur wurden vernachlässigt. Ebenso wurde
die Reform des politischen Systems versäumt, das privatwirt­
schaftliche Wahlkampffinanzierung zulässt – Hauptgrund für
die zurzeit zu beobachtende ausufernde Korruption.
Die Voraussetzungen für ein dynamisches Wachstum sind
aber nach wie vor gut. Brasiliens wachsende Bevölkerung und
eine größer werdende Mittelschicht fördern den Ausbau von
konsumnahen Industrieprodukten und Dienstleistungen. Ein
steigendes Wohlstandsniveau führt dabei zu einem Ausbau
des privaten Konsums und macht Brasilien zu einem interes­
santen Binnenmarkt.
Ebenso besitzt das Land große Rohstoffvorkommen, die
es nutzen kann, um seine Bedeutung als Rohstoffexporteur
auszubauen. Mittelfristig wird Brasilien seine Attraktivität als
Investitionsstandort wiedererlangen und im Prognosezeit­
raum erhalten.
CHINA UND INDIEN
China steuert mit einem durchschnittlichen Wachstum
von 5,6 Prozent pro Jahr mehr als ein Drittel zum gesamten
Anstieg des Bruttoinlandprodukts der Welt bis 2030 bei.
Auf mittlere und lange Sicht gelingt es China jedoch nicht,
das hohe Wachstumstempo der Vergangenheit aufrechtzu­
erhalten. Vor allem die demografischen Probleme, die ihren
Ursprung in der Ein-Kind-Politik des Landes haben, werden
langfristig das Wirtschaftswachstum dämpfen. Chinas bis­
heriges Wachstumsmodell stößt jedoch nicht allein wegen
der alternden Bevölkerung an seine Grenzen. Daneben wird
sich das stark exportgetriebene chinesische Wachstum auch
infolge von Sättigungstendenzen beim Kapazitätsaufbau,
einer sinkenden Nachfragedynamik aus den Industrieländern,
abnehmenden Lohnkostenvorteilen, wachsenden Umweltpro­
blemen und einer realen Aufwertung des Renminbi abschwä­
chen. Zudem dürfte auch im Reich der Mitte künftig stärker
17
Weltwirtschaftliches Umfeld
ABB. 10: WACHSTUMSMODELL IN CHINA ÄNDERT SICH
Verwendungsstruktur des chinesischen Bruttoinlandsprodukts
in Prozent
30,6%
51,9%
Investitionen
Konsum
(priv. + staatlich)
Außenbeitrag
60,5%
46,4%
1,7%
2000–2013
8,8%
2013–2030
Das chinesische Wachstum wird in Zukunft stärker vom
Konsum getragen. Darüber hinaus wird in China zukünftig
stärker rentabilitätsgetrieben investiert. Dadurch lässt die
Investitionstätigkeit insgesamt nach.
Euro in Indien – die Wohlstandsunterschiede zwischen Indus­
trie- und Schwellenländern nehmen in absoluter Betrachtung
weiter zu.
Die divergierenden Entwicklungen der einzelnen Länder
im Prognosezeitraum verändern die ökonomische Landkarte
nachhaltig. Die meisten Industrieländer – allen voran die Länder
Westeuropas und Japan – verlieren Anteile an die aufstrebenden Schwellenländer. Chinas Anteil am Bruttoinlandsprodukt
aller betrachteten Länder steigt von heute 12,4 Prozent auf
20,4 Prozent im Jahr 2030. Indien kann seinen Anteil am welt­
weiten Bruttoinlandsprodukt von 3,3 auf 5 Prozent steigern.
Dagegen sinkt der Anteil der Europäischen Union von 28 auf
knapp 24 Prozent, auch der deutsche Anteil geht um einen
Prozentpunkt auf knapp 5 Prozent zurück. Das Expansions­
tempo der Vereinigten Staaten reicht nicht aus, um dessen
Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung zu halten – er sinkt
von 26 auf 24,4 Prozent.
Industrialisierung der Schwellenländer hält an
Die Nachfragestrukturen auf den globalen Märkten
werden sich bis 2030 deutlich verändern. In den Schwellen­
ländern wird die Nachfrage überwiegend vom Bevölkerungs­
wachstum und dem zunehmenden Wohlstand getragen. In
den Industrieländern verändert sich die Nachfrage durch
rentabilitätsgetrieben investiert werden. Dadurch lässt die
neue Anforderungen hinsichtlich einer steigenden Energie­
­Investitionstätigkeit insgesamt nach. Dies hemmt zwar in der
effizienz, eines zunehmenden Umweltbewusstseins der Kon­
kurzen bis mittleren Frist das Wachstum. Langfristig tragen
sumenten, des Einsatzes regenerativer Energien, aber auch
rentabilitätsorientierte Investitionen allerdings dazu bei, den
einer alternden Bevölkerung. Die Teilhabe neuer Käufergrup­
Wachstumspfad zu stabilisieren. Darüber hinaus steht ein
pen am globalen Konsum und die veränderte Nachfrage­
Wechsel des Wachstumsparadigmas vom Export zu mehr
struktur erfordern weiteren Kapazitätsaufbau in der Industrie.
Binnennachfrage bevor. Dies hat auch Folgen für die Bedeu­
Die industrielle Wertschöpfung wird bis 2030 über alle 42
tung von konsumorientierten wie industrienahen Dienstleis­
Länder hinweg mit 2,9 Prozent pro Jahr stärker wachsen als
tungen in der Volksrepublik. Der Anteil der Dienstleistungen
das Bruttoinlandsprodukt, also die gesamte Wertschöpfung
am Bruttoinlandsprodukt steigt bis zum Jahr 2030 weiter an.
Dazu gilt es, neben dem zeit- und kostenintensiven Aufbau aller Länder. Diese überdurchschnittliche Wachstumsdyna­
mik der Industrie auf aggregierter Ebene erklärt sich fast aus­
sozialer Sicherungssysteme auch die politische Stabilität
schließlich aus dem bis 2030 stark zunehmenden Gewicht der
aufrechtzuerhalten und den steigenden Ansprüchen einer
Schwellenländer, welche aktuell einen vergleichsweise hohen
wachsenden Mittelschicht bezüglich politischer Partizipa­
Industrieanteil aufweisen. Auf Ebene der einzelnen Länder
tion, allgemeiner Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie
Umwelt­bewusstsein gerecht zu werden. Es ist davon auszuge­ überwiegen diejenigen Fälle mit einem sinkenden Anteil
der Industrie an der gesamten Wertschöpfung des jeweili­
hen, dass China diese Herausforderungen zu einem Großteil
gen Landes. Positive Ausnahmen sind hier vor allem Länder
meistern kann und bis 2030 als Konsumentenmarkt an Be­
mit einer stark schrumpfenden Bevölkerung, in denen die
deutung gewinnen wird. Im Verlauf des Prognosezeitraums
werden die Wachstumsraten des chinesischen Bruttoinlands­ Exporte relativ zur Inlandsnachfrage an Bedeutung gewinnen
produkts angesichts dieser Herausforderungen damit jedoch und damit auch die exportorientierten Industriebranchen.
Die Weltindustrieproduktion8 wächst bis zum Jahr 2030
merklich niedriger ausfallen.
Indiens Wirtschaft wird von 2013 bis 2030 um jährlich
um 3,2 Prozent pro Jahr. Spitzenreiter mit Zuwachsraten
5,2 Prozent zunehmen. Zweitweise liegen die indischen Zu­
von knapp über 4 Prozent pro Jahr sind das Textil- und Be­
wachsraten über denen Chinas. Langfristig macht sich in
kleidungsgewerbe sowie die Elektroindustrie. Die globale
Indien die günstigere Bevölkerungsentwicklung und damit
Dynamik dieser Branchen ergibt sich vor allem aus dem
das größere Arbeitsangebot bemerkbar. Die allmähliche Ver­ hohen und weiter wachsenden Gewicht Chinas. Der Maschi­
ringerung der Bürokratie, die Verbesserung der Infrastruktur
nenbau und die Chemieindustrie folgen mit ebenfalls über­
sowie der Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen
durchschnittlichen Zuwachsraten auf den Plätzen drei und
liefern positive Impulse für das indische Wachstum.
vier. Das Wachstum der globalen Chemieproduktion ist
Obwohl in China und Indien das Wachstumstempo der
neben der hohen Dynamik der Schwellenländer auf eine stei­
Wirtschaft im gesamten Prognosezeitraum mehr als doppelt
gende Chemieintensität bei den Abnehmerbranchen zurück­
so hoch wie das der Vereinigten Staaten ist, beträgt das Prozuführen.
Kopf-Einkommen 2030 immer noch nur 21 Prozent (China)
8
bzw. 5 Prozent (Indien) in Relation zum US-Niveau. Der
Die Wachstumsraten der Produktion liegen u. a. aufgrund
absolute Abstand vergrößert sich sogar weiter von heute
einer steigenden Vorleistungsquote über denen der Wert34.000 auf 38.000 Euro in China und von 37.000 auf 46.000
schöpfung/Bruttowertschöpfung (BWS).
18
Weltwirtschaftliches Umfeld
GUMMI- UND KUNSTSTOFFWAREN
ABB. 11: VERLANGSAMUNG IN ALLEN BRANCHEN
Globale Entwicklung der realen Produktion der Branchen,
CAGR 2013–2030, in Prozent
Industrie insg.
6,2
3,2
Textil- und Bekleidungsgewerbe
Elektronikindustrie
Baugewerbe
7,1
3,6
3,9
3,4
Chemie/Pharma
Fahrzeugbau
8,0
4,2
Maschinenbau
Gummi- und
Kunststoffwaren
8,5
4,3
5,5
3,1
5,6
3,0
2,6
3,9
2000–2013
2013–2030
Die Industrialisierung schreitet voran. Global wächst die Industrie
weiterhin schneller als die Gesamtwirtschaft. Die Wachstumsdynamik lässt aber im Zuge der gesamtwirtschaftlichen Ver­langsamung deutlich nach.
Die internationale Arbeitsteilung wird weiter zunehmen.
Wertschöpfungsketten werden internationaler. Insbeson­
dere in Asien nimmt die Verflechtung zwischen den Volks­
wirtschaften weiter zu. In diesen Ländern wächst die Industrie
besonders dynamisch. Viele Nationen haben durch die Wirt­
schaftskrise erkannt, dass ein industrieller Kern essenziel­
ler Bestandteil einer Volkswirtschaft ist. In Nordamerika und
Europa gelingt es vor diesem Hintergrund besser als in den
vorangegangenen Dekaden, industrielle Aktivitäten zu halten
und die Industrie zu revitalisieren. Die Industrieländer werden
sich zunehmend auf hochwertige Produkte konzentrieren und
die weitere Verschiebung der Wertschöpfung Richtung Asien
und Lateinamerika damit verlangsamen. Unter dem Strich hält
die Verschiebung der industriellen Wachstumszentren in die
Schwellenländer bis 2030 an, jedoch mit deutlich geringerem
Tempo als noch in der vergangenen Dekade.
TEXTIL- UND BEKLEIDUNGSGEWERBE
In der kundennahen Industrie des Textil- und Bekleidungs­
gewerbes wird sich das Wachstum in den kommenden Jahren
gegenüber der vergangenen Dekade leicht abschwächen,
dennoch bleibt das Wachstum immer noch hoch. Die Pro­
duktion von Textilien wächst mit 4,3 Prozent pro Jahr. Die
Textilproduktion wird weltweit überwiegend durch die starke
Endkundennachfrage aus den Schwellenländern getrieben.
In den Industrieländern geht hingegen der Trend zu umwelt­
freundlicheren Textilprodukten.
Die globale Produktionsdynamik ergibt sich vor allem aus
der Entwicklung in den Schwellen- und Entwicklungsländern.
Deren Anteil an der weltweiten Textilproduktion steigt von
derzeit knapp 72 Prozent auf 84 Prozent im Jahr 2030. Der chi­
nesische Anteil wird 2030 noch bei 66 Prozent liegen, obwohl
sich die Textilproduktion allmählich in andere asiatische
Länder mit niedrigeren Personalkosten verschiebt. In Indien
und der Türkei wächst die Textilindustrie dynamisch. China
hingegen ist bestrebt, den großen Binnenmarkt vor allem aus
heimischer Produktion zu beliefern.
Auch die Produktion von Gummi- und Kunststoffwaren
verläuft im Prognosezeitraum mit etwas geringerer Dynamik
als noch in der vergangenen Dekade. Die Branche wächst
aber im Vergleich mit anderen Branchen immer noch dyna­
misch, wenngleich das Wachstum leicht unter dem Durch­
schnitt der Industrie liegt. Die Produktion der Gummi- und
Kunststoffwaren wird bis 2030 um 3,1 Prozent pro Jahr aus­
gedehnt. Die Herstellung von Gummi- und Kunststoffwa­
ren ist stark an die industrielle Gesamtproduktion und damit
an ihre Abnehmerindustrien gekoppelt. Die Schwellenländer
werden im Jahr 2030 mit einem Anteil an der Weltproduktion
von knapp 53 Prozent eine signifikante Rolle spielen. Treiber
für die weltweite Produktionsentwicklung ist u.a. der weiter­
hin hohe Nachholbedarf der Schwellenländer im Konsum. Die
Verwendung von Gummi- und Kunststoffwaren pro Einwohner
liegt in den Schwellenländern noch deutlich unter der Ver­
wendungsquote Europas oder der USA. Selbst in China mit
seinem starken Wachstum bleibt die Verwendungsdichte auf
einem geringeren Niveau als in Europa. In den Industrielän­
dern setzt sich der Innovations- und Substitutionstrend fort.
Ebenso steigt insbesondere in Europa die Nachfrage aus der
Bauindustrie aufgrund energetischer Anforderungen.
MASCHINENBAU
Der Maschinenbau wird bis 2030 weltweit jährlich um
3,6 Prozent pro Jahr zulegen können. Damit liegt die wirt­
schaftliche Dynamik leicht über dem Durchschnitt des verar­
beitenden Gewerbes. Ein Vergleich mit dem Zeitraum 2000
bis 2013 zeigt, dass allerdings auch im Maschinen­b au die
konjunkturelle Dynamik insgesamt etwas nachlässt.
Getrieben werden die Produktionssteigerungen im Ma­schinenbau primär von einer Ausweitung und Erneuerung
der Kapazitäten der Industrieproduktion, auch im Rahmen
der weiter fortschreitenden Automatisierung der Produk­
tion. Zudem lässt auch die zunehmende Urbanisierung
und der damit einhergehende Ausbau der Infrastruktur
(u. a. Wasser- und Abwassersysteme, Pumptechnik und das
Straßen- und Schienennetz) die Produktion im Maschinenbau
weiter wachsen. In den Industrieländern wird die Nachfrage
nach Maschinenbauerzeugnissen unter anderem durch den
Ausbau der regenerativen Energieerzeugung getrieben.
In der Länderbetrachtung zeigt sich auch im Maschinen­
bau eine ausgeprägte Dynamik der asiatischen Produktion.
In Indien und China wächst der Industriezweig dynamisch.
In China wird zukünftig ein Großteil des Inlandsbedarfs an
Maschinen aus nationaler Produktion beliefert. Der chinesi­
sche Maschinenbau wächst im Prognosezeitraum im Durch­
schnitt um 5,4 Prozent pro Jahr. Damit fällt das Wachstum im
Land der Mitte zwar deutlich schwächer aus als in der Vorde­
kade, es liegt aber signifikant über dem globalen Wachstum.
Der indische Maschinenbau spielt im globalen Vergleich
nicht die Rolle Chinas, kann jedoch ebenfalls ein d
­ ynamisches
Wachstum von 5,4 Prozent pro Jahr bis zum Jahr 2030
­verbuchen. Dann liegt der Anteil Indiens an der globalen
Maschinenproduktion bei rund 3 Prozent. China kommt
hingegen auf 46 Prozent. Zusammen mit den übrigen Schwel­
lenländern liegt der Anteil bei rund 57 Prozent. In der Euro­
päischen Union wächst der Maschinenbau mit 2,2 Prozent pro
Jahr schneller als im Zeitraum 2000 bis 2013. Diese Entwick­
19
Weltwirtschaftliches Umfeld
lung ist allerdings auch durch die Weltwirtschaftskrise in den
Jahren 2008/2009 verzerrt, die den Maschinenbau besonders
stark getroffen hat.
FAHRZEUGBAU
Im weltweiten Fahrzeugbau liegt die wirtschaftliche
Dynamik im Prognosezeitraum mit 3 Prozent pro Jahr leicht
unter dem Industriedurchschnitt. Das Wachstum fällt damit
deutlich auch langsamer aus als im Zeitraum 2000 bis 2013,
in dem die jährlichen Produktionssteigerungen noch bei
5,6 Prozent lagen.
Die Automobilindustrie steht in den nächsten Jahrzehn­
ten vor einem gewaltigen Wandel. Es entstehen neue Märkte.
China, Indien und Brasilien sind und werden die Märkte der
Zukunft sein. Nicht nur im Konsum, sondern auch in der Pro­
duktion. Und auch Südostasien bietet ein großes Potenzial.
Die Verkehrsdichte in diesen Ländern ist deutlich geringer
als in den industrialisierten Staaten. Zudem steigt das
Einkommen stärker und damit wächst auch die potenzielle
Zielgruppe. Im Regionalvergleich zeigt sich, dass die Fahr­
zeugproduktion insbesondere in den Schwellenländern dy­
namisch wächst. Der Fahrzeugbau profitiert dort von der
wachsenden Mittelschicht, die zunehmend Autos kauft. In
der Folge können diese Länder Weltmarktanteile hinzugewinnen.
Dennoch werden auch im Jahr 2030 über 60 Prozent
der Weltfahrzeugproduktion in den Industrieländern statt­
finden. Hier steigt die Nachfrage nach Fahrzeugen ebenfalls
weiter. Aber die Käufergruppen verändern sich. In der wach­
senden Mittelschicht führt beispielsweise der Wunsch nach
Karriere zu einem immer späteren Zeitpunkt der Familienpla­
nung. Dadurch verschiebt sich auch die Anschaffung eines
famili­entauglichen Autos immer weiter nach hinten. Vor allem
in den Großstädten geht der Trend weg vom Führerschein.
Eine ­Lösungsmöglichkeit ist das Carsharing, also das Teilen
eines Autos. Dadurch entstehen neue Geschäftsfelder wie
­alternative Mobilitätsangebote, vernetzte Fahrzeuge oder in
ABB. 12: CHINAS CHEMIE GEWINNT WEITER ANTEILE
Globale Chemie- und Pharmaproduktion in Mrd. Euro, Anteile
in Prozent, CAGR 2013–2030
6.480
+3,4%
44,8%
3.667
33,4%
21,0%
5,2%
5,5%
15,9%
19,2%
2013
China
USA
Deutschland
Japan
Rest Industrieländer
Rest Schwellenländer
17,5%
3,2%
3,8%
12,1%
18,6%
2030
China kann als Folge seiner stark steigenden Nachfrage
nach chemischen Erzeugnissen weitere Anteile an der
globalen Produktion hinzugewinnen. Der Zugewinn geht
dabei überwiegend zu Lasten der Industrieländer.
20
der Zukunft auch das fahrerlose Fahren. Strengere Umweltge­
setze und höhere Sicherheitsanforderungen treiben nicht nur
die Kosten nach oben. Gefragt sind Innovationen bei alterna­
tiven Antriebstechnologien und PKWs mit geringerem Ver­
brauch.
ELEKTROTECHNIK
Dynamisch wächst trotz einer Verlangsamung gegen­
über dem historischen Wachstum die Elektrotechnik mit einer
durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 4,2 Prozent
pro Jahr. Sie kann damit ihren Anteil an der globalen Indus­
trieproduktion weiter ausbauen.
Ein wachsender Wohlstand in den Schwellenländern
erhöht die Nachfrage nach Konsumelektronik. Zudem schrei­
tet die Verbreitung von Mobilfunk und Internet infolge zuneh­
mender globaler Vernetzung und Nutzung digitaler Medien,
wie beispielsweise Social Media, mobiles Internet, CloudComputing, weiter voran. Auch in Autos der Klein- und Mit­
telklasse werden zunehmend Assistenzsysteme verbaut. Die
Vernetzung im Automobil nimmt stark zu (Connected Cars,
Connected Driving). All dies erhöht die Nachfrage nach Pro­
dukten aus der Elektrotechnik.
Stärker noch als in anderen Bereichen führen Perfor­
manceverbesserungen in der Elektrotechnik zu fortlaufen­
den Innovationen, beispielsweise für Displays und Halbleiter,
und zur Ablösung etablierter Technologien. Ein Beispiel aus
der jüngeren Vergangenheit ist der Ersatz der klassischen
Fernsehröhre durch LCD-Fernseher, die schon wenige Jahre
später durch LED-Fernseher abgelöst wurden. Jetzt steht die
OLED-Technologie in den Startlöchern, ist aber aktuell vor­
zugsweise in kleineren Bildschirmen zu finden. Auch zukünftig
muss mit ähnlichen – teils disruptiven – Innovationen gerech­
net werden.
Besonders dynamisch wächst die Elektrotechnik in den
asiatischen Ländern China, Indien, Südkorea. Der Anteil
dieser drei Länder an der Weltproduktion liegt im Jahr 2030
bei 54 Prozent. Trotz eines Wachstumsrückgangs im Vergleich
zur vergangenen Dekade sind auch die Vereinigten Staaten
weiterhin ein wichtiger Standort für die Elektroindustrie. Die
US-amerikanische Elektrotechnik wächst im Prognosezeit­
raum immer noch im Durchschnitt um 3,1 Prozent pro Jahr.
Ihr Anteil an der weltweiten Produktion sinkt zwar von derzeit
18 auf 15 Prozent, damit bleiben die Vereinigten Staaten aber
immer noch nach China der zweitwichtigste Produzent von
Elektronikprodukten.
Chemische Industrie global
Die weltweite Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen
steigt im Prognosezeitraum weiter an. Gegenüber der Vor­
gängerstudie fällt die Dynamik des Nachfragewachstums al­
lerdings geringer aus. Ursächlich dafür ist das jetzt geringer
ausfallende Wachstum der Weltwirtschaft und damit der Kun­
denindustrien.
Die Trends, die die Chemienachfrage treiben, gelten
jedoch weiterhin: Zum einen steigt die Nachfrage aus den
Schwellenländern – vor allem aus Asien. Dort spielen die
wachsende Bevölkerung und der zunehmende Wohlstand der
Mittelschicht eine treibende Rolle. Zum anderen wächst die
Chemienachfrage auch in den Industrieländern. Dort findet
weniger ein Volumenwachstum statt als vielmehr eine Nach­
Weltwirtschaftliches Umfeld
frageverschiebung zugunsten hochwertiger und hochpreisi­
ger innovativer Chemikalien. Darüber hinaus kann die Chemie
davon profitieren, dass die Chemieintensität in den Endpro­
dukten über die Zeit bei vielen Kundenbranchen zunehmen
wird. Im Fahrzeugbau werden beispielsweise durch Elektro­
mobilität und Leichtbau künftig mehr Spezialchemikalien
benötigt. Im Baugewerbe gewinnen chemische Produkte
durch zunehmende Gebäudeisolationen an Bedeutung,
während der vermehrte Einsatz von Solarzellen die Chemie­
intensität in der Elektrotechnik hochtreibt. Auch für eine um­
weltfreundliche Stromerzeugung wird Chemie benötigt. Kein
Hochleistungs-Windrad könnte ohne Chemieinnovationen
funktionieren. Und letztlich benötigt eine wachsende und
alternde Weltbevölkerung innovative Medikamente. Dadurch
ergeben sich für die Pharmaunternehmen Wachstumschan­
cen. Insgesamt gelingt es der chemischen Industrie damit,
ihre Position als wichtiger Vorleistungslieferant zu behaupten
und teilweise sogar auszubauen.
Dank der guten Nachfrageentwicklung steigt die welt­
weite Chemieproduktion in den Jahren 2013 bis 2030 mit
durchschnittlich 3,4 Prozent pro Jahr und damit immer noch
dynamischer als die Industrieproduktion insgesamt. Neue
Produktionskapazitäten werden auch zukünftig in Regionen
mit starkem Nachfragewachstum – insbesondere in weiten
Teilen Asiens – aufgebaut. Die Produktion folgt damit zu
einem großen Teil der Nachfrage. Sie orientiert sich jedoch
auch an der Verfügbarkeit der Rohstoffe. Daher findet in den
kommenden Jahren ein starker Kapazitätsaufbau in rohstoff­
reichen Ländern statt – beispielsweise im Nahen Osten, den
rohstoffreichen Staaten Lateinamerikas und in den USA. In
den USA führte der Shale-Gas-Boom zu einem kräftigen Ka­
pazitätsaufbau, der sich in den kommenden Jahren, wenn­
gleich etwas abgeschwächt, fortsetzt. Insgesamt wird die
Chemieproduktion in den Schwellenländern mit einer durch­
schnittlichen Rate von 4,8 Prozent pro Jahr deutlich schneller
wachsen als in den Industrieländern (1,9 Prozent pro Jahr).
In der Länderstruktur zeigt sich im Prognosezeitraum eine
deutliche Verschiebung: China kann als Folge seiner massiv
steigenden Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen und
des damit einhergehenden Ausbaus der eigenen Produkti­
onskapazitäten weitere Anteile an der globalen Produktion
hinzugewinnen. Die chinesische Chemieproduktion wächst
bis 2030 durchschnittlich um 5,2 Prozent pro Jahr. Bereits
heute ist China der größte Chemieproduzent der Welt. Zum
Ende des Prognosezeitraums dominiert China das globale
Chemiegeschäft mit einem Anteil von knapp 45 Prozent
jedoch noch deutlicher. Die anderen Schwellenländer können
aufgrund der Dominanz Chinas trotz des historisch hohen Ka­
pazitätsausbaus nur geringe Anteilsgewinne verbuchen.
Der Bedeutungszuwachs Chinas geht im Wesentlichen zu
Lasten der Industrieländer. Trotz eines Anteilsverlusts bleiben
die Vereinigten Staaten und Deutschland auch 2030 bedeu­
tende Chemieproduzenten. Die Vereinigten Staaten profi­
tieren dabei künftig verstärkt von der Shale-Gas-Produktion
und einem dynamischen Wachstum der heimischen Kunden.
Ihre Chemieproduktion wächst mit 2,3 Prozent pro Jahr und
damit dynamischer als der Durchschnitt der Industrieländer.
Der Anteilsverlust beläuft sich bis 2030 auf etwas mehr als
3 Prozentpunkte, so dass die Vereinigten Staaten mit einem
Anteil an der globalen Chemieproduktion von 17,5 Prozent
im Jahr 2030 immer noch der zweitwichtigste Chemieprodu­
zent der Welt bleiben. Japans Chemieindustrie kann im Pro­
gnosezeitraum kaum noch zulegen. Entsprechend verliert das
Land deutlich Weltmarktanteile. Im Jahr 2030 ist die japani­
sche Chemieindustrie nur noch der fünftgrößte Produzent
von Chemikalien und Pharmazeutika. Indiens Chemieindustrie
baut hingegen mit einem Wachstum von 5,4 Prozent kräftig
Weltmarktanteile aus und schiebt sich im Jahr 2030 auf Platz
drei vor. Deutschland kann seinen vierten Platz halten.
Die Globalisierung der chemischen Industrie wird sich in
den kommenden Jahren fortsetzen. Der Außenhandel mit
chemischen Produkten wird auch in Zukunft einen hohen Stel­
lenwert haben. Trotz des Kapazitätsaufbaus werden viele
Schwellenländer ihre stark wachsende Chemienachfrage
nicht aus heimischer Produktion decken können. Hier bieten
sich Wachstumschancen für die Industrieländer, die dadurch
das niedrige Nachfragewachstum im Inland kompensieren
können. Insgesamt bleiben die Industrieländer daher ein be­
deutender Produktionsstandort für die Chemie.
SCHIEFERGAS FÜHRT ZUR RENAISSANCE DER US-CHEMIE
Das reale Produktionsvolumen der US-Chemie steigt von
768 Milliarden Euro in 2013 bis zum Jahr 2030 um 48 Prozent
auf 1,1 Billionen Euro. Mit durchschnittlich 2,3 Prozent pro Jahr
wächst die Chemieproduktion damit dynamischer als die In­
dustrieproduktion (+ 2 Prozent) oder die Gesamtwirtschaft
(+ 2,1 Prozent). Damit wird sich das Wachstum in der US-Che­
mie gegenüber dem Zeitraum 2000 bis 2013 beschleunigen.
Durch Shale-Gas wurde ein Investitionsboom ausgelöst, der
zwar in der jüngsten Vergangenheit zunächst alte Anlagen
substituierte, in Zukunft aber neue, deutlich effizientere und
größere Anlagen hervorbringen wird. Anfang der 2020er Jahre
wird dieser Aufbau weitgehend abgeschlossen sein und die Zu­
wachsraten bei den Investitionen werden sich normalisieren.
Die Verfügbarkeit von günstiger Energie verbessert die Wett­
bewerbsfähigkeit der Chemieindustrie deutlich – gerade in
den energieintensiven Grundstoffsparten. Die Produktion in
ABB. 13: AUSBAU DER US-BASISCHEMIE
US-Chemieproduktion in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR
2013–2030
+2,3%
1.134
18,6%
768
17,3%
Basischemie
Spezialchemie
Pharma
36,2%
36,1%
45,3%
46,6%
2013
2030
Im Zuge des Shale-Gas-Booms baut die US-Chemie die
Produktion von chemischen Grundstoffen aus. Günstige
Energie verbessert die Wettbewerbsfähigkeit deutlich –
­gerade in den energieintensiven Grundstoffsparten.
21
Weltwirtschaftliches Umfeld
ABB. 14: US-CHEMIE WIRD WETTBEWERBSFÄHIGER
Außenhandel der US-Chemie- und -Pharmaindustrie in Mrd.
Euro, CAGR 2013–2030
+2,5%
195
+2,0%
2013
2030
gnosezeitraum wird die Beschäftigung zwar um 0,3 Prozent
pro Jahr sinken, aber damit haben im Jahr 2030 immer noch
über 1,1 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz in der USChemie.
EU-CHEMIE WÄCHST DANK INNOVATIVER SPEZIALCHEMIE UND
PHARMAZEUTIKA
In der Europäischen Union steigt – wie in den übrigen
I­ndustrieländern auch – insbesondere die Nachfrage nach
­höherwertigen Chemikalien. Neben einem Wachstumseffekt
127
124
durch höherwertige Chemikalien erhöht sich die Chemie­
intensität in einigen Kundenbranchen, so dass in diesen
Bereichen auch mengenmäßig mehr nachgefragt wird. Ins­
gesamt steigt die europäische Binnennachfrage jedoch
21
weniger stark als die globale Chemienachfrage.
3
Viele der europäischen Volkswirtschaften sind gut in den
Exporte
Importe
AH-Saldo
internationalen Handel integriert und profitieren daher auch
vom Nachfragewachstum in den Schwellenländern und den
Die US-Chemie produziert nicht nur für den lokalen Markt.
USA. Die Chemieexporte in die Länder außerhalb der Euro­
Insbesondere Basischemikalien sind weltweit gefragt.
päischen Union (Extra-EU) werden im Prognosezeitraum um
Die Exporte von Basisprodukten steigen im Prognosezeit­
mehr als ein Drittel auf real 321 Milliarden Euro im Jahr 2030
raum dynamischer als die übrigen Chemieexporte.
steigen. Dies entspricht einer Wachstumsrate von 1,9 Prozent
pro Jahr.
Im weltweiten Vergleich kann sich die Chemieindustrie in
der Basischemie kann im Prognosezeitraum sogar um
der Europäische Union mit einem jährlichen Wachstum von
2,7 Prozent pro Jahr ausgeweitet werden.
1,7 Prozent behaupten. Zwar verliert sie in den kommenden
Von den günstigen Strompreisen profitiert auch die
Jahren mit einem Rückgang von rund 5 Prozentpunkten weiter
übrige Industrie. Im Prognosezeitraum kann das verarbei­
Weltmarktanteile. Im Jahr 2030 liegt ihr Anteil dann bei knapp
tende Gewerbe mit einer durchschnittlichen Wachstums­
17 Prozent. Der Rückgang fällt aber nicht so stark aus wie in
rate von 2 Prozent pro Jahr zulegen. Besonders dynamisch
den Jahren 2000 bis 2013, in denen die Europäische Union
wachsen wichtige Abnehmerbranchen der chemischen In­
noch 7,2 Prozentpunkte verloren hatte.
dustrie wie der Fahrzeugbau, die Elektrotechnik oder der
Wettbewerbsvorteile hat die EU-Chemie durch die länder­
Maschinenbau. Hierdurch steigt die Inlandsnachfrage nach
übergreifende Verbundstruktur. Effiziente Verbundstand­orte
Chemikalien kräftig.
oder regionale Produktionsverbünde in Clustern oder Chemie­
Die US-Chemie produziert aber nicht nur für den lokalen
parks helfen, einen Teil des Wettbewerbsnachteils, der durch
Markt. Durch die hohe Wettbewerbsfähigkeit steigen die
die höheren Energie- und Rohstoffkosten entsteht, zu kom­
Exporte von derzeit real 127 Milliarden Euro auf 195 Milliar­
pensieren. Der Chemieverbund bleibt auch im Prognosezeit­
den Euro im Jahr 2030. Dies entspricht einer Wachstumsrate
raum insgesamt erhalten. Die bestehenden Anlagen haben
von 2,5 Prozent pro Jahr. Dabei sind insbesondere Basische­
sich mittlerweile weitgehend amortisiert. Die Branche inves­
mikalien weltweit gefragt. Die Exporte von Basisprodukten
tiert zwar kontinuierlich in den Erhalt und moderaten Ausbau
steigen im Prognosezeitraum mit 3,1 Prozent pro Jahr dyna­
bestehender Anlagen (Debottlenecking). Neue, große und
mischer als die übrigen Chemieexporte. Dabei gehen diese
effizientere World-Scale-Anlagen werden in dem fortbeste­
Produkte hauptsächlich nach Lateinamerika und nach Asien.
henden energiepolitischen Umfeld allerdings nicht gebaut.
Durch die robuste Inlandsnachfrage steigen auch die
Dies ist im weltweiten Wettbewerb ein Nachteil.
Importe. Dabei importieren die Vereinigten Staaten haupt­
In der Spartenbetrachtung zeigt sich, dass insbeson­
sächlich Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das Import­
dere die Basischemie stark an Wettbewerbsfähigkeit einbüßt.
volumen chemischer Erzeugnisse steigt mit durchschnittlich
Diese Sparte kann im Prognosezeitraum nur um 0,5 Prozent
2 Prozent pro Jahr von heute real 124 Milliarden Euro auf
174 Milliarden Euro im Jahr 2030. Da die Exporte dynamischer pro Jahr wachsen. Hohe Rohstoff- und Energiekosten in Kom­
bination mit starken Wettbewerbern in den USA und im
wachsen als die Importe, gelingt es den Vereinigten Staaten
bis zum Jahr 2030, den Außenhandelsüberschuss mit Chemi­ Nahen Osten führen mittelfristig dazu, dass das Wachstums­
kalien von derzeit 3 Milliarden Euro auf 21 Milliarden Euro aus­ potenzial gering ist. Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Sparte
zuweiten. Die größten Zuwächse finden dabei im Bereich der steht auch in Zukunft – bedingt u.a. durch eine sehr ambiti­
onierte Klimapolitik – konstant unter Druck. Für die europä­
Basischemie statt, aber auch die Spezialchemie kann ihren
ische Basischemie bedeutet dies, dass die Exportdynamik
Überschuss ausweiten. Im Gegensatz dazu vergrößert sich
gering ist und der Importdruck steigt. Bis zum Jahr 2030
das Defizit bei Pharmazeutika.
können die Basischemieexporte der EU in Länder außerhalb
Im Jahr 2013 beschäftigte die chemische Industrie in
der Union nur um 0,3 Prozent pro Jahr zulegen. In einigen
den Vereinigten Staaten über 1,2 Millionen Menschen.
Teilbereichen der Basischemie sind die Exportvolumina sogar
Dies entspricht einem Anteil von 0,8 Prozent der gesamt­
rückläufig (Petrochemikalien und Standardpolymere). Demge­
wirtschaftlichen Beschäftigung und 8,3 Prozent der in der
genüber steigen die Basischemieimporte von außerhalb der
amerikanischen Industrie beschäftigten Personen. Im Pro­
174
22
Weltwirtschaftliches Umfeld
EU mit 1 Prozent pro Jahr deutlich an. Zunehmend drängen
Basischemikalien aus dem Nahen Osten und teils auch aus
nordamerikanischer Produktion auf den europä­ischen Markt.
Der Außenhandelssaldo bleibt im Prognosezeitraum zwar
positiv, schmilzt aber deutlich ab. Die europäische Basische­
mie produziert überwiegend für die heimische Produktion.
Positiver entwickeln sich hingegen die Spezialchemi­
kalien. Hier geht die Prognose von einem dynamischen
Wachstum bis 2030 von 1,9 Prozent pro Jahr aus. Forschungs­
intensivere und höherwertige Spezialchemikalien gewinnen
künftig an Bedeutung. Dabei handelt es sich in der Regel um
kleinvolumige und innovative Chemikalien und Zubereitun­
gen, die in enger Abstimmung mit den Kundenindustrien ent­
wickelt werden. Innovationen, eine Stärke der europäischen
Chemie, sind der Treiber dieser Sparte. Eine hohe Außenhan­
delsdynamik sowie ein deutlich geringerer Importdruck als in
der Basischemie ermöglichen steigende Außenhandelsüber­
schüsse und damit eine dynamische Entwicklung der Produk­
tion. Der Außenhandelsüberschuss mit Ländern außerhalb
der EU steigt von derzeit 29 Milliarden Euro auf real 40 Milliar­
den Euro im Jahr 2030.
Ebenfalls dynamisch wächst das Pharmageschäft – eine
weitere Stärke der europäischen Chemie. Eine weltweit wachsende und alternde Bevölkerung führt zu einer steigenden
Nachfrage nach pharmazeutischen Produkten. Auch der zunehmende Wohlstand und die wachsende Mittelschicht in
den Schwellenländern führen zu steigenden Ausgaben für
Medikamente und Life-Science-Produkte. Europäische Pharmazeutika sind weltweit gefragt. Die Extra-EU-Exporte können
im Prognosezeitraum dynamisch zulegen (+ 2,4 Prozent pro
Jahr). Die Importe – hauptsächlich von Vorprodukten – legen
nur um 2 Prozent zu. In der Folge steigt auch der Außenhan­
delsüberschuss bis 2030 um mehr als 60 Prozent.
Der Ländervergleich zeigt ein dynamisches Wachstum in
den osteuropäischen Staaten der EU. Hier liegen die Wachs­
tumsraten in vielen Ländern über dem EU-Durchschnitt. Über
die Jahre haben sich hier teils ernstzunehmende Wettbewer­
ABB. 15: AH-SALDO DER EU-CHEMIE WÄCHST WEITER
Außenhandel der EU-Chemie- und -Pharmaindustrie in Mrd.
Euro, CAGR 2013–2030
+1,9%
ber der „klassischen“ Chemienationen entwickelt. Dennoch
schwächt sich das Wachstum gegenüber der Vordekade
ab. Nach erfolgreicher Transformation der osteuropäischen
Länder kommt der dynamische Kapazitätsaufbau allmählich
zum Erliegen.
Trotz der Wachstumsunterschiede zwischen den euro­
pä­ischen Ländern zeigt sich die Länderstruktur bis 2030 ver­
gleichsweise konstant. In den Top 5 ändert sich gegenüber
dem heutigen Stand nichts. Deutschland wird auch im Jahr
2030 mit einem Anteil von knapp 23 Prozent die europäische
Chemieproduktion anführen. Mit Abstand folgen Frankreich,
Italien, Irland und Großbritannien. Belgien kann zwei ­Rangplätze
hinzugewinnen und landet auf Platz sechs. Spanien und die
Niederlande verlieren jeweils einen Platz und erreichen die
Plätze sieben bzw. acht.
Die EU-Chemie ist und bleibt ein wichtiger Arbeitgeber.
In der europäischen Chemieindustrie arbeiteten im Jahr 2013
rund 1,7 Millionen Menschen. Dies entsprach einem Anteil
von 5,5 Prozent der in der Industrie tätigen Personen bzw.
0,8 Prozent der gesamtwirtschaftlich Beschäftigten. Die
mit Abstand meisten Beschäftigten hatte die deutsche
Chemie. Ihr Anteil an der EU-weiten Beschäftigung der
Branche lag 2013 bei 27,2 Prozent. Es folgt Großbritannien
mit einem Anteil von 12 Prozent und Italien mit 10,4 Prozent.
In der E
­ uro­päischen Union wird im Zuge von Produktivitäts­
steigerungen die Beschäftigung im Prognosezeitraum um
0,6 Prozent pro Jahr sinken, so dass im Jahr 2030 etwas mehr
als 1,5 Millionen in der europäischen Chemieindustrie
arbeiten werden.
ABB. 16: TOP 5 DER EU-CHEMIE UNVERÄNDERT
Chemie- und Pharmaproduktion in der Europäischen Union in
Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030
2013
2030
321
+1,7%
1.092
22,5%
815
234
+1,7%
23,3%
10,3%
185
14,1%
139
136
96
11,0%
9,3%
8,8%
33,5%
Extra-EU-Exporte
Extra-EU-Importe
13,8%
AH-Saldo
Die europäischen Chemiestandorte sind gut in den internationalen Handel integriert und profitieren daher auch vom
globalen Nachfragewachstum. In der Basischemie nimmt der
Importdruck hingegen deutlich zu.
2013
9,9%
Deutschland
Frankreich
Italien
Irland
Großbritannien
Restliche EU 28
8,6%
34,9%
2030
Deutschland wird auch im Jahr 2030 noch der wichtigste
Chemieproduzent in der Europäischen Union sein. Da andere
Länder aber dynamischer wachsen, verliert Deutschland leicht
an Anteilen.
23
Entwicklung in Deutschland bis 2030
Entwicklung in Deutschland bis 2030
Dekade. Demgegenüber gewinnt die Binnenwirtschaft an
­Bedeutung. Das zukünftige Wachstum beruht vor allem auf
einer Steigerung des privaten Konsums sowie einer leichten
Ausweitung der Investitionstätigkeit.
Der Außenhandelsüberschuss nimmt zwar noch weiter zu,
aber die Zeiten mit zweistelligen Wachstumsraten sind vorbei.
Bei den Exporten wirkt sich vor allem die nachlassende
Wachstumsdynamik in den Schwellenländern negativ aus.
Weder das moderate Wachstum in Europa noch die Nach­
frageentwicklung in den USA können dies kompensieren. Die
Importe steigen mit der gleichen Dynamik wie die Exporte, so
dass vom Außenbeitrag nur geringe Wachstumsbeiträge zu
erwarten sind.
Der Beitrag des Staatskonsums zum Wachstum des Brut­
toinlandsprodukts ist zukünftig ebenfalls niedrig. Hierbei
wurden strukturelle Änderungen im Staatshaushalt unter­
stellt. Wegen der guten Lage am Arbeitsmarkt können kon­
sumtive Ausgaben des Staates teilweise zur Finanzierung der
Binnenwirtschaft gewinnt an Bedeutung
maroden Infrastruktur genutzt werden. Wegen der Haushalts­
Nach den neuen Projektionen wird die deutsche Wirt­
konsolidierung und der Schuldenbremse sinkt die Schulden­
schaft bis 2030 um durchschnittlich 1,3 Prozent pro Jahr
standsquote Deutschlands von heute rund 75 Prozent auf
wachsen. Im Vergleich zu den vorangegangenen 13 Jahren
55 Prozent im Jahr 2030. Der fiskalpolitische Spielraum bleibt
wird sich das Wachstum sogar um 0,2 Prozentpunkte be­
daher weiterhin begrenzt.
schleunigen. Dennoch bleibt die Dynamik im Vergleich zu
Die Investitionen gewinnen für das Wachstum an Bedeu­
den Entwicklungen vor der Weltwirtschaftskrise und im Ver­
tung. Allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Von 2000 bis 2013
gleich zu der Wachstumsdynamik anderer europäischer
sind die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland kaum ge­
­Volkswirtschaften niedrig. Deutschland ist zukünftig weit
wachsen. In dieser Zeit hat sich ein erheblicher Investitions­
davon entfernt, Wachstumslokomotive in Europa zu sein.
stau insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur ergeben, der
Ein Blick auf die Nachfragekomponenten des Brutto­
sich zukünftig allmählich auflöst. Dennoch setzt sich die Invesinlandsprodukts zeigt, dass sich das Wachstumsmodell der
titionsschwäche fort. Die Investitionen steigen bis 2030 nur
deutschen Volkswirtschaft grundlegend ändert: Während
Deutschland vor 2013 fast die Hälfte seines Wachstums seinen leicht dynamischer als in der vergangenen Dekade. Und der
Anteil der Investitionen am BIP sinkt von heute knapp 20 ProExporterfolgen verdankte, wächst der Außenbeitrag im Pro­
­zent auf rund 18 Prozent (2030).
gnosezeitraum deutlich langsamer. Auch der ­Staatskonsum
Die weiterhin unzureichenden Rahmenbedingungen und
trägt weniger zum Wachstum bei als in der vergangenen
die globalen Wachstumsperspektiven bremsen die private In­
vestitionstätigkeit. Einige private Investitionen nehmen aber
dennoch zu – beispielsweise im Wohnungsbau. Bis 2030
ABB. 17: WENIGER IMPULSE AUS DEM AUSLAND
fehlen deutschlandweit neue Wohnungen. Ausnahmen sind
BIP-Wachstum in Deutschland in Prozent pro Jahr,
Wachstumsbeiträge der Komponenten in Prozent
ländliche Umgebungen. Der Grund: Die Nachfrage nach Sin­
1,3
glewohnungen und der Zuzug in die Großstädte halten weiter
Staatlicher Konsum
12,5%
an. Die staatlichen Investitionen bleiben schwach. Die Initia­
Privater Konsum
tiven für mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur der
1,0
Investitionen
Bundesregierung wirken nur kurzfristig. Die sinkende Bevöl­
Außenbeitrag
18,7%
kerungszahl dämpft gegen Ende des Prognosezeitraums die
58,2%
staatlichen Infrastrukturinvestitionen wieder. Dennoch über­
33,1%
trifft der Wert der Investitionen im Durchschnitt den Wert der
Abschreibungen. Insgesamt wächst damit der Kapitalstock in
3,9%
Deutschland.
14,0%
Wachstumstreiber Nr. 1 wird zukünftig der private Konsum
44,4%
sein.
Auf ihn entfallen zukünftig fast 60 Prozent des deutschen
15,3%
Wirtschaftswachstums. Die günstige Entwicklung des privaten
2000–2013
2013–2030
Konsums stützt sich auf niedrige Zinsen, das Entsparen der
­alternden Bevölkerung, tendenziell steigende Reallöhne und
eine Stärkung der Kaufkraft durch niedrige Ölpreise. Die Kon­
In Deutschland wird die Binnenwirtschaft an Bedeutung
gewinnen. Der private Konsum wird zur wichtigsten Säule für
sumquote wird dadurch insgesamt steigen. Die Generation
das gesamtwirtschaftliche Wachstum. Auch die Investitionen
der Babyboomer wird verstärkt ihre Geldanlagen auflösen.
gewinnen trotz schwacher Dynamik an Bedeutung hinzu.
Für die meisten zukünftigen Rentner wird es eine Notwen­
Die langfristige Entwicklung Deutschlands wird wesentlich
durch den demografischen Wandel, das weltwirtschaftliche
Umfeld, die Rohstoff- und Energiekosten sowie durch die in­
ternationale Wettbewerbsfähigkeit bestimmt. Da die Euro­
päische Union der wichtigste Handelspartner bleibt, ist das
Fortkommen der deutschen Wirtschaft eng mit der Entwick­
lung der Nachbarländer und der Europäischen Union ver­
knüpft. Die Unsicherheit bezüglich der Zukunft von EU und
Gemeinschaftswährung ist wegen der Schuldenkrise in
­Griechenland und des Referendums in Großbritannien über
einen Verbleib in der EU groß. Zudem gefährdet die Flücht­­
lingskrise wegen der Grenzkontrollen das reibungslose
Funktionieren des Binnenmarktes. Die im Folgenden be­
schriebenen Entwicklungen in Deutschland setzen einen
Erhalt der Europäischen Union, den Fortbestand des Euro
und einen funk­tionierenden Binnenmarkt voraus.
24
Entwicklung in Deutschland bis 2030
digkeit sein, ans Ersparte zu gehen. Denn angesichts der
Alterung der Gesellschaft wird die schrumpfende Leistungs­
fähigkeit der gesetzlichen Rente immer stärker durch private
Vorsorge ausgeglichen werden müssen. Hinzu kommt, dass
ältere Menschen mehr Geld für die Freizeitaktivitäten oder für
die Pflege ausgeben. Der private Konsum profitiert aber auch
noch von einer weiteren Folge der demografischen Entwick­
lung: Das Arbeitskräfteangebot in Deutschland sinkt und lässt
so die Reallöhne tendenziell steigen. Die Arbeitslosenquote
erreicht 2030 einen Wert von unter 4 Prozent. Die Entgelt­
erhöhungen lagen in den vergangenen Jahren über der Infla­
tion. Dieser Trend wird sich im Prognosezeitraum fortsetzen.
Der demografische Wandel wirkt sich aber auch brem­send auf die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft aus.
Denn der deutschen Wirtschaft droht eine Arbeitskräftelücke.
Ein erheblicher Teil der heutigen Arbeitnehmer wird bis 2030
in den Ruhestand gehen und die Zahl der neu in den Arbeits­
markt eintretenden Arbeitnehmer fällt deutlich geringer aus.
Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter sinkt von
53,1 Millionen auf 49,3 Millionen. Dies ist ein Rückgang von
0,4 Prozent pro Jahr. Dem dadurch entstehenden Arbeits­
kräftemangel wird annahmegemäß durch entsprechende
Maßnahmen wie beispielsweise die Erhöhung der Erwerbs­
beteiligung von Frauen, eine Stärkung des Bildungsangebo­
tes und vor allem eine arbeitsmarktbezogene substanzielle
Netto-Zuwanderung entgegengewirkt. Die aktuelle Flücht­
lingskrise ist in die Prognosen noch nicht eingerechnet, da
derzeit völlig unklar ist, in welchem Umfang die Migranten in
den Arbeitsmarkt ­integriert werden können. Auch ist nicht
absehbar, inwieweit die zunehmende Digitalisierung sich auf
die Quantität der nachgefragten menschlichen Arbeitszeit
auswirken wird.
Unter diesen Annahmen sinkt die Zahl der Erwerbstätigen
bis 2030 nur um 0,2 Prozent pro Jahr. Das entspricht einem
Rückgang von 1,2 Millionen Personen. Das gesamtwirtschaft­
liche Arbeitsvolumen geht nur leicht zurück, da insbesondere
für die aktuellen Teilzeitstellen steigende Arbeitszeiten un­
terstellt sind. Es ist und bleibt aber eine zentrale Aufgabe der
Politik, die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen etwa
für die Kinderbetreuung bereitzustellen und in dieser Hinsicht
kontraproduktiven Steueranreizen entgegenzuwirken. Die ge­
samtwirtschaftlich niedrigere Erwerbstätigenzahl wird in der
Industrie dazu führen, dass der Personalbedarf nicht mehr
überall gedeckt werden kann. Aber auch im Dienstleistungs­
bereich wird es Personalengpässe geben, z. B. bei der Erzie­
hung oder in Pflegeberufen. Polizei und Bundeswehr können
schon heute nicht alle offenen Stellen besetzen.
Zudem werden sich die Anforderungen an die Arbeits­
kräfte verändern. Die Arbeitswelt wandelt sich dabei nicht
nur für neu einzustellende Arbeitskräfte, sondern vor allem
auch für die bereits heute im Berufsleben stehenden Mitar­
beiter. Insbesondere durch die Digitalisierung und Vernet­
zung der Wirtschaft, durch neue Geschäftsmodelle und durch
den technologischen Fortschritt werden neue Jobs mit verän­
dertem Anforderungsprofil geschaffen, während gleichzeitig
an anderer Stelle herkömmliche Arbeitsplätze verloren gehen.
Der Wandel erfordert daher von Unternehmen und Mitarbei­
tern hohe Flexibilität und Veränderungsbereitschaft. Ohne
die notwendigen Veränderungen am Arbeitsmarkt und bei
der Ausbildung droht ein qualifikatorischer „Mismatch“, der
den Arbeitskräftemangel verstärkt. Auch die Bedeutung von
Umschulungen steigt.
Die Alterung der Gesellschaft führt aber nicht nur zu
einer Arbeitskräftelücke, sondern lässt auch die Lohnzusatz­
kosten real steigen. Denn im Jahr 2030 kommen auf einen
Rentner zwei Erwerbstätige. Heute sind es dagegen noch 2,5
Arbeitskräfte. Zudem ist durch die Alterung der Bevölkerung
von steigenden Ausgaben der Kranken- und Pflegeversiche­
rungen auszugehen. In diesem Umfeld haben insbesondere
die Sozialpartner eine hohe Verantwortung für die Beschäf­
tigungsentwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit. In den
Prognosen wurde unterstellt, dass die Lohnstückkosten der
deutschen Industrie weitgehend stabil bleiben. Das bedeutet,
dass die Löhne nicht stärker steigen als die Produktivität.
Industrie bleibt zentrale Stütze der deutschen Wirtschaft
Dass Deutschland vergleichsweise positive langfristige
Wachstumsperspektiven hat, ist vor allem auf den starken in­
dustriellen Kern zurückzuführen. Hierzulande liegt der Indus­
trieanteil am BIP mit mehr als 23 Prozent fast doppelt so hoch
wie in den USA, in Frankreich oder Großbritannien. Zudem sind
in Deutschland nahezu alle Branchen mit Unternehmen ver­
treten, die zur internationalen Spitze gehören. Industriepro­
dukte „Made in Germany“ genießen wegen hoher Qualität
weltweit Anerkennung. Deutschland ist ein beliebter Standort
für die Industrieproduktion, der auch ausländische Unterneh­
men anlockt.
Die deutsche Industrie hat sich in vielen Wachstumsbe­
reichen wie Energie- und Ressourceneffizienz, Mobilität und
Logistik, Klimaschutz und Umwelt sowie Gesundheit sehr
stark positioniert. Entscheidend für den Erfolg der deutschen
Industrie sind neben der Offenheit der Volkswirtschaft ihre
hohe Innovations- und Forschungstätigkeit sowie die starke
industrielle Vernetzung. Damit konnten die deutschen Indus­
trieunternehmen bisher in einem zunehmend wettbewerbsin­
tensiven Umfeld erfolgreich bestehen.
ABB. 18: DEUTSCHLAND – ZUKUNFT DURCH INDUSTRIE
Anteile der Industrie an der Bruttowertschöpfung wichtiger
Länder in Prozent
24
Deutschland
Japan
Italien
USA
Frankreich
Großbritannien
22
20
18
16
14
12
10
0
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
Deutschlands Stärke ist seine industrielle Basis. Die Industrie
kann ihren hohen Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung halten. Damit geht Deutschland auch in Zukunft einen
anderen Weg als viele Industrieländer.
25
Entwicklung in Deutschland bis 2030
Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung blieb in den vergan­g­enen Jahren nahezu stabil bei rund 23 Prozent. Dies ist deutlich mehr als in anderen Industrieländern wie beispielsweise
Frankreich, Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. In
diesen Ländern liegt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes
an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung zwischen
10 und 12 Prozent und damit bereits heute deutlich niedriger
als in Deutschland.
Auch im Prognosezeitraum bleibt in Deutschland der
Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung bis 2030
mit fast 23 Prozent konstant. Damit bleibt auch die Bedeu­
tung der Industrie für das Wirtschaftswachstum in Deutsch­
land hoch. Bedeutend größere Anteilsverluste verzeichnen
die Industriebranchen beispielsweise in Frankreich, den USA
und Großbritannien, wenngleich die Verluste dort nicht mehr
so hoch ausfallen wie in der Vergangenheit.
Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an den Erwerbs­
tätigen in der Gesamtwirtschaft nahm dagegen in der V
­ er­gangenheit ab. Heute liegt er bei rund 18 Prozent. Im Prognosezeitraum setzt sich dieser Trend moderat fort. Der Anteil
an den Gesamterwerbstätigen in Deutschland sinkt auf etwas
unter 16 Prozent. Die Kapitalintensität der Produktion wird
zunehmen und rechnerisch für Produktivitätsfortschritte sorgen.
Eine dominante Rolle spielt das verarbeitende Gewerbe
im Außenhandel. Zwar nahm der Anteil der Dienstleistungen
am gesamten Handelsvolumen in den vergangenen Jahren
spürbar zu. Gleichwohl dominiert nach wie vor der Güter­
handel. Bei den Exporten liegt der Anteil des verarbeitenden
Gewerbes bei fast 80 Prozent, bei den Importen bei nahezu
70 Prozent.
Bedingt durch den Rückgang des ­Arbeitskräftepotenzials
und des zunehmenden Wettbewerbs werden Unternehmen
vermehrt in produktivitätssteigernde Prozesse und ­Technologien
sowie in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investie­
ren. Dies zeigt sich in der prognostizierten verstärkten Nach­
frage nach hochqualifizierten Arbeitskräften der Branchen
ABB. 19: LEITBRANCHEN SIND TEMPOMACHER
Industrieproduktion in Deutschland, CAGR 2013–2030, Anteile
in Prozent
+1,4%
Leitbranchen
Restliche Industrie
66,9%
62,5%
37,5%
33,1%
2013
2030
Wachstumstreiber der deutschen Industrie sind ihre Leitbranchen – der Fahrzeugbau, die Elektroindustrie, der Maschinenbau, die Chemie- und Pharmaindustrie und die Kunststoffverarbeiter. Die Bedeutung dieser Branchen wird sich erhöhen.
26
und dem hohen Anteil des verarbeitenden Gewerbes an den
Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE).
Die langfristigen demografischen, klimatischen und tech­
nologischen Trends führen zu einer dynamischen Entwicklung
innerhalb der Bereiche Energie- und Ressourceneffizienz, Mo­
bilität und Logistik, Klimaschutz und Umwelt. In Deutschland
können davon besonders der Maschinenbau, der Kraftwagen­
bau, die Elektroindustrie, die chemisch-pharmazeutische In­
dustrie und die Kunststoffverarbeiter profitieren.
Diese Leitbranchen sind die Treiber der Industrieproduk­
tion in Deutschland. Es zeichnet sie eine hohe i­nternationale
Wettbewerbsfähigkeit aus. Sie können einen Anstieg ihrer
Produktion um 1,9 Prozent pro Jahr bis 2030 verbuchen,
während die Industrie insgesamt um 1,4 Prozent wächst. Ins­
gesamt bleibt das Wachstum der Industrie damit etwas
höher als das Wachstum der Gesamtwirtschaft.
Am dynamischsten entwickelt sich die Elektroindustrie,
gefolgt vom Fahrzeug- und Maschinenbau. Die Elektroindus­
trie profitiert von einer rapide wachsenden Nachfrage nach
hochwertigen elektronischen Produkten insbesondere aus
China sowie von zunehmend neuen Anwendungsmöglich­
keiten von computergesteuerter Technik, unter anderem im
Zuge der Digitalisierung. Der Fahrzeugbau wird neben seiner
Innovationskraft auch durch die Produktion von Fahrzeugen
für den Schienenverkehr gestützt. Hier steigt die globale
Nachfrage durch eine zunehmende Bedeutung umweltver­
träglicher Transportmöglichkeiten und aufgrund einer dyna­
mischen Entwicklung des grenzüberschreitenden Handels.
Für die innovationsstarke Pharmabranche verbessert sich
aufgrund der zunehmenden Alterung der deutschen und der
globalen Bevölkerung die Absatzposition. Wettbewerbsdruck
kommt dabei allerdings unter anderem von Generika-Herstel­
lern sowie aus Ländern mit geringeren Produktionskosten.
Die chemische Industrie und der Maschinenbau können sich
aufgrund ihrer Innovationskraft sowie des hohen Produktspe­
zialisierungsgrades auch in Zukunft in einem zunehmend
wettbewerbsintensiven Umfeld behaupten.
Insbesondere die Elektroindustrie und der Fahrzeugbau
steigern bis 2030 ihren Anteil an der Wertschöpfung im ver­
arbeitenden Gewerbe. Im Kraftwagenbau setzt sich damit
eine Entwicklung fort, die bereits vor 2013 zu beobachten war.
Der Wertschöpfungsanteil im Maschinenbau nimmt bis 2030
ebenfalls zu. Die Anteile in der Chemieindustrie und bei den
Kunststoffverarbeitern bleiben dagegen konstant. Insgesamt
ist der Fahrzeugbau auch in Zukunft die wichtigste Branche
der deutschen Industrie, gemessen am Beitrag zur Brutto­
wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe, gefolgt vom
­Maschinenbau und der Elektroindustrie. Die Chemie folgt
auf Rang vier.
Die Zunahme der Wertschöpfung wird trotz eines Rück­
gangs der Erwerbstätigen generiert. So ist die Zahl der Er­
werbstätigen in allen Branchen im Jahr 2030 geringer als
2013. Damit setzt sich ein Trend der Vergangenheit fort.
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Das reale Produktionsvolumen der deutschen Chemie steigt
von 190 Milliarden Euro im Jahr 2013 bis zum Jahr 2030 um
30 Prozent auf 246 Milliarden Euro. Mit durchschnittlich 1,5 Prozent pro Jahr wächst die Chemieproduktion damit etwas
­dynamischer als die Industrie oder die Gesamtwirtschaft.
Das Wachstum wird sich aber im Vergleich zur historischen
Entwicklung leicht abschwächen. Von 2000 bis 2013 stieg die
deutsche Chemieproduktion noch um 1,8 Prozent pro Jahr.
Auch mit dem globalen Chemiewachstum kann die deutsche
Chemie im Prognosezeitraum nicht Schritt halten, denn weltweit wird die Chemieproduktion bis 2030 um 3,4 Prozent pro
Jahr zulegen. Trotz eines Anteilsverlusts von 1,4 Prozentpunk­
ten bleibt Deutschland der viertgrößte Chemieproduzent der
Welt.
Die deutsche Chemie ist mit ihrer starken Pharmasparte,
der innovativen Spezialchemie und den hocheffizienten Pro­
duktionsanlagen der Grundstoffchemie international wett­
bewerbsfähig. Zu den Stärken zählen vor allem die hohe
Innovationskraft, die Verbundproduktion, die Chemieparks
und das starke deutsche Industrienetzwerk. Aktuell ist die
Bundesrepublik Exportweltmeister im Chemikalienhandel
und eines der wenigen Länder mit einem Außenhandelsüberschuss im Chemiesektor. Dieser betrug im Jahr 2013
real 51 Milliarden Euro. Damit trug die Branche in erheblichem
Umfang zum gesamten deutschen Außenhandelsüberschuss
bei. Die Chemie ist eine der Kernbranchen der deutschen In­
dustrie und sichert im Verbund mit anderen industriellen
Leitbranchen Wachstum und Wohlstand der deutschen Volks­
wirtschaft.
Deutschland wird auch zukünftig vom hohen Wachstum
der globalen Chemiemärkte profitieren. Die Chemieexporte
Deutschlands steigen bis zum Jahr 2030 um 1,7 Prozent pro
Jahr. Das Exportwachstum fällt aber wegen der globalen
Wachstumsabschwächung schwächer aus als in der Vorgän­
gerstudie. Im Inland wächst die Nachfrage nach chemischen
Erzeugnissen mit 1,5 Prozent pro Jahr etwas langsamer als
die Ausfuhren. Dies hat zur Folge, dass die Exportabhängig­
keit im Prognosezeitraum steigt. Wurden im Jahr 2013 noch
82 Prozent der Gesamtproduktion exportiert, so sind es zum
Ende des Prognosezeitraums bereits 84 Prozent. Neben der
Exportquote steigt auch das absolute Exportvolumen um
51 Milliarden Euro auf knapp 207 Milliarden Euro im Jahr 2030.
Die Zahlen belegen aber auch, dass der Chemiestand­
ort Deutschland Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit hat.
Bereits in der Vergangenheit waren die deutschen Chemie­
ausfuhren weniger stark gestiegen als die Exporte anderer
Länder. Die Folge war ein Anteilsverlust Deutschlands an den
Weltchemieexporten, der vor allem auf eine sinkende At­
traktivität Deutschlands für die Chemieproduktion zurück­
zuführen war. Hierfür waren vor allem die im internationalen
Vergleich hohen Rohstoff- und Energiekosten verantwort­
lich. In Zukunft wird sich hieran voraussichtlich nichts Grund­
legendes ändern. Daher wächst der deutsche Chemieexport
auch zukünftig langsamer als die Weltchemieexporte, so dass
Deutschland trotz der Exporterfolge bis 2030 weiter ChemieWelthandelsanteile verlieren wird. Es besteht also weiterhin
industriepolitischer Handlungsbedarf.
Das zeigt auch ein Blick auf die Chemieimporte. Vor allem
in den Schwellenländern sind neue Wettbewerber hinzuge­
kommen und die wieder erstarkte US-Chemie macht sich
bereit, verstärkt auf den europäischen Markt zu drängen.
Der Importdruck auf Deutschland nimmt daher bis 2030 zu.
So steigt das Importvolumen chemischer Erzeugnisse im
Prognosezeitraum von 105 Milliarden Euro auf etwas mehr
als 138 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Zuwachs von
1,7 Prozent pro Jahr. Import- und Exportdynamik halten sich
damit die Waage. Der Anteil der Importe an der Inlandsver­
sorgung steigt. Die Importquote erhöht sich von 75 Prozent
im Jahr 2013 auf 78 Prozent in 2030.
Trotz steigender Konkurrenz kann sich die deutsche
Chemie auch in Zukunft auf den globalen Chemiemärkten
behaupten. Die Handelsbilanz Deutschlands mit chemischen
Produkten bleibt im Prognosezeitraum positiv. Der Außen­
handelsüberschuss kann sogar noch leicht ausgebaut werden.
Er steigt bis 2030 um 34 Prozent auf gut 68 Milliarden Euro.
Dies ist aber vor allem dem Pharmageschäft zu verdanken,
während bei Basischemikalien der Außenhandelssaldo bis
2030 ins Minus rutscht.
Zu den wichtigsten Abnehmern deutscher Chemiepro­
dukte im Ausland gehören heute vor allem europäische
Länder und die USA. Bis 2030 steigen die deutschen Exporte
nach China kräftig, so dass die Volksrepublik zukünftig hinter
der EU und den USA drittwichtigster Abnehmer für deutsche
Chemieprodukte sein wird. Zwar wird China zukünftig einen
immer größeren Teil seines Chemiebedarfs aus heimischer
Produktion decken. Die im internationalen Vergleich hohen
Wachstumsraten der chinesischen Wirtschaft eröffnen deut­
schen Chemieexporteuren dennoch Wachstumschancen – vor
allem für Pharmazeutika und Spezialchemikalien. Allerdings
bleibt die Exportstruktur auch in Zukunft stark auf Europa
fokussiert. Im Jahr 2030 gehen knapp 57 Prozent der deutschen
ABB. 20: CHEMIE WÄCHST ÜBERDURCHSCHNITTLICH
Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von BIP, Industrieund Chemieproduktion in Prozent
1,7
1,8
1,4
1,3
1,0
2000–2013
1,5
BIP
Industrie
Chemie/Pharma
2013–2030
Das Wachstum in der deutschen Chemieindustrie wird bis 2030
zwar schwächer ausfallen als in der Vergangenheit. Aber die
Wachstumsraten werden immer noch über dem Industriedurch­
schnitt und über dem BIP-Wachstum liegen.
27
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Chemieausfuhren in die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union.
Der Bedeutungszuwachs des Außenhandels ist nicht die
einzige Veränderung in der Verwendungsstruktur der deut­
schen Chemieproduktion. Auch bei der Struktur der Inlands­
verwendung findet ein Wandel statt. Während der Anteil der
Investitionen an der inländischen Verwendung nahezu unver­
ändert bleibt, nimmt die Bedeutung des privaten Konsums
im Zuge der demografischen Entwicklung zu. 2013 kam ein
Fünftel der Inlandsnachfrage nach chemischen Erzeugnissen
von privaten Haushalten. Bis 2030 steigt dieser Anteil auf ein
Viertel. Rund 70 Prozent davon entfallen auf Pharmazeutika.
Auch die Bedeutung des staatlichen Konsums wird zulegen.
Der Anteil steigt wegen der wachsenden Nachfrage nach
Pharmazeutika im Gesundheitswesen um einen Prozentpunkt
auf 10 Prozent.
Durch die starke Verflechtung innerhalb der deutschen
Industrie und durch eine steigende Chemieintensität in vielen
Kundenbranchen wird die Nachfrage der Industrie nach che­
mischen Produkten zwar insgesamt zulegen und die inländi­
sche Nachfrage bleibt mit deutlichem Abstand die wichtigste
Verwendung der deutschen Chemieproduktion. Allerdings
wird der Anteil von derzeit 53 Prozent auf 50 Prozent sinken.
Dieser leichte Bedeutungsverlust ist auf das schwache
Wachstum einiger chemieintensiver Branchen wie beispiels­
weise der Metallerzeugung und -bearbeitung, aber auch der
Papierherstellung zurückzuführen. Hinzu kommt, dass auch
bei den Verkäufen an industrielle Kunden die ausländische
Konkurrenz zunimmt.
Die Verflechtung innerhalb der chemischen Industrie
nimmt durch den zunehmenden Importdruck bei Basische­
mikalien ebenfalls leicht ab. Dennoch wird die Inlandsnach­
frage der Branche auch zukünftig primär aus der chemischen
Industrie selbst stammen. Die Integration der Chemiesparten
untereinander ist dabei als eine deutsche Besonderheit und
als zentraler Wettbewerbsvorteil zu begreifen. Deutschland
bleibt bis 2030 eines der wenigen Länder, die sowohl eine
ABB. 21: FOKUS AUF SPEZIALCHEMIE UND PHARMA
Reale Produktionswerte der deutschen Chemieindustrie in
Mrd. Euro, Anteile der Sparten in Prozent, CAGR 2013–2030
+1,5%
190
starke Basischemie als auch eine große Spezialchemie haben.
Dies ermöglicht eine enge Abstimmung und Zusammenar­
beit der Chemiesparten untereinander. Begünstigt wird diese
Entwicklung durch Chemieparks und Verbundstandorte, in
denen unterschiedliche Unternehmen bzw. Betriebe koope­
rieren und Verbundeffekte nutzen können.
Neben der Chemie selbst fragen auch die Kunststoffver­
arbeitung sowie der Fahrzeugbau chemische Erzeugnisse in
großem Umfang nach. Mit steigendem Elektronikanteil und
dem vermehrten Einsatz von Polymeren im Fahrzeugbau
gewinnen chemische Erzeugnisse hier an Bedeutung. Höhere
Chemieintensitäten zeigen sich allerdings nicht nur im Fahr­
zeugbau, sondern unter anderem auch im Baugewerbe und
in der Elektrotechnik. So spielt die chemische Industrie im
Baugewerbe durch zunehmende Gebäudeisolierung eine
immer wichtigere Rolle, während der vermehrte Einsatz von
Brennstoff- und Solarzellen die Chemieintensität in der Elek­
trotechnik hochtreibt. Darüber hinaus lassen neue Anwen­
dungsgebiete im Bereich des Klima- und Umweltschutzes
neue Nachfrage entstehen. Die Erhöhung des Anteils erneu­
erbarer Energien an der Stromversorgung in Deutschland ist
nur durch den Einsatz hochwertiger chemischer Produkte bei
der Herstellung von Windkraftanlagen und Photovoltaikmo­
dulen möglich.
Die deutsche chemische Industrie produziert chemische Erzeugnisse auf ganz unterschiedlichen Stufen der
Wertschöpfungskette. Sowohl Basischemikalien als auch
Spezial­chemikalien und Pharmazeutika werden in ­Deutschland
her­­ge­stellt. Knapp 34 Prozent der chemischen Gesamt­pro­
duktion entfallen auf Basischemikalien. Die Spe­zial­chemikalien
weisen mit 39 Prozent einen etwas höheren Anteil auf. Phar­
mazeutika haben mit 27 Prozent den geringsten Anteil.
Die Wachstumspotenziale für die einzelnen Chemiespar­
ten sind unterschiedlich. Die größte Dynamik weist zukünftig
das Pharmageschäft auf. Aber auch den Herstellern von in­
novativen Spezialchemikalien bieten sich im In- und Ausland
gute Wachstumschancen. Demgegenüber hat die Basis­
ABB. 22: PHARMAZEUTIKA SIND WELTWEIT GEFRAGT
Handel mit pharmazeutischen Erzeugnissen aus Deutschland in
Mrd. Euro, CAGR 2013–2030
246
31,5%
+2,3%
Pharma
Spezialchemie
Basischemie
2013
2030
88
26,9%
+1,8%
60
53
40,9%
39,3%
39
35
21
33,8%
27,6%
2013
2030
In der Chemieindustrie wird es zu Verschiebungen in der
Produktionsstruktur kommen. Die Basischemie wird an
Bedeutung verlieren. Die Anteile von Spezialchemikalien und
Pharmazeutika am Produktionswert werden zunehmen.
28
Exporte
Importe
AH-Saldo
Der Markt für Pharmazeutika wächst weltweit dynamisch.
Durch ihre Innovationsstärke kann die deutsche Pharmaindus­
trie davon profitieren. Ihre Produkte sind weltweit gefragt. Der
Außenhandelssaldo steigt.
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
chemie trotz hocheffizienter Anlagen ein Problem mit den
Energie- und Rohstoffkosten, die den Importdruck steigen
lassen. Sie kann daher im Prognosezeitraum ihre Produktion
nur noch leicht ausweiten. Vor diesem Hintergrund nimmt die
Bedeutung von Spezialchemikalien und Pharmazeutika an
der deutschen Chemieproduktion im Prognosezeitraum zu.
Die Basischemie verliert dagegen Anteile. Die deutsche che­
mische Industrie wird trotz dieser Spezialisierung auch 2030
noch diversifiziert und auf sämtlichen Fertigungsstufen ver­
treten sein.
PHARMA
Das größte Wachstumspotenzial der Branche wird im
Pharmabereich liegen. Die stark alternde Bevölkerung in den
Industrieländern und die wachsende und ebenfalls alternde
Bevölkerung in den Schwellenländern werden die weltweite
Nachfrage nach pharmazeutischen Erzeugnissen zur Bekämp­
fung etwa von Alzheimer und Arthritis kräftig steigen lassen.
Der veränderte Lebensstil und die zunehmende Urbanisie­
rung der Schwellenländer begünstigen zudem die Verbrei­
tung von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck
und Adipositas. Krebs und Herzerkrankungen werden auch
in den Schwellenländern die signifikanten Todesursachen
werden. Hinzu kommt insbesondere in den Industrienationen
ein steigendes Gesundheitsbewusstsein breiterer Bevölke­
rungsschichten. Das lässt beispielsweise die Nachfrage nach
Nahrungsergänzungsmitteln und Pflegemitteln steigen.
Der zunehmende Wohlstand und die wachsende Mittel­
schicht in den Schwellenländern führen weltweit zu steigen­
den Ausgaben im Gesundheitswesen. Die Regierungen sehen
sich mit steigenden Kosten konfrontiert. Die Bemühungen
von staatlicher Seite, im Gesundheitswesen Kosten zu sparen,
werden daher weiter zunehmen. Das setzt die Hersteller von
pharmazeutischen Produkten unter Druck. Auf der anderen
Seite werden Regierungen, Krankenkassen und andere Kos­
tenträger die Verbraucher verstärkt zu mehr Prävention
ABB. 23: SPEZIALCHEMIE WÄCHST DYNAMISCH
Reale Produktionswerte von Spezialchemikalien in Deutschland
in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030
+1,8%
100,5
30,7%
74,5
Extra-EU-Exporte
EU-Exporte
Inlandsnachfrage
30,0%
47,7%
47,5%
22,5%
21,6%
2013
2030
Die Produktion von Spezialchemikalien wird bis zum Jahr 2030
überdurchschnittlich wachsen. Dabei bleibt die Nachfrage aus
dem Inland und aus Europa für die Branche von hoher
Bedeutung. Noch dynamischer wachsen die Extra-EU-Exporte.
anhalten. Dort entstehen neue Geschäftsfelder für die LifeScience-Branche.
Die deutsche Pharmaindustrie kann aufgrund ihrer
starken Innovationsorientierung und ihrer hohen Wettbe­
werbsfähigkeit von dieser Entwicklung profitieren. Pharma­
zeutika erzielten im Jahr 2013 ein Produktionsvolumen von
51 Milliarden Euro. Im Prognosezeitraum wird die deutsche
Pharmaproduktion mit durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr
dynamischer wachsen als die Branche insgesamt. Bis zum
Ende des Prognosezeitraums steigt das Produktionsvolumen
auf nahezu 78 Milliarden Euro. Damit ist 2030 die Bedeutung
der Pharmazeutika größer als jene der Basischemie.
Deutsche Pharmaprodukte sind dabei weltweit gefragt.
Die Exporte steigen mit einem jährlichen Wachstum von
2,3 Prozent kräftig. Die Inlandsnachfrage steigt auch dyna­
misch um 2 Prozent pro Jahr. Die Importe nehmen dagegen
etwas schwächer zu. Damit verringert sich in der Pharmain­
dustrie der Importdruck und der Außenhandelssaldo steigt
deutlich.
SPEZIALCHEMIE
Forschungsintensive und höherwertige Spezialchemika­
lien gewinnen zukünftig Produktionsanteile hinzu. Zur Spe­
zialchemie zählen Spezialkunststoffe (z.B. Polycarbonat oder
Chemiefasern), Konsumchemikalien (Wasch-, Reinigungs- und
Körperpflegemittel), Farben und Lacke sowie Pflanzenschutz­
mittel. Das größte Teilsegment bildet aber die Gruppe der
„anderen Spezialitäten“. Dabei handelt es sich um kleinvolu­
mige, innovative Chemikalien und Zubereitungen, die speziell
für industrielle Kunden entwickelt werden. Innovationen sind
daher der wesentliche Treiber in der Spezialchemie. Der Wis­
sensvorsprung der deutschen chemischen Industrie sichert
die Wettbewerbsposition bei den Spezialchemikalien. Eine
hohe Außenhandelsdynamik sowie geringerer Importdruck
als bei den Basischemikalien ermöglichen hohe Außenhan­
delsüberschüsse und eine dynamische Entwicklung der Pro­
duktionsvolumina.
Neben den Großunternehmen, die Spezialchemikalien
überwiegend im Produktionsverbund mit Basischemikalien
herstellen, findet man in der Spezialchemie viele mittelstän­
dische Unternehmen. Sie können besonders flexibel auf sich
verändernde Kundenwünsche reagieren. Im Chemiemittel­
stand gibt es viele „hidden champions“, die in ihrem spezifi­
schen Marktsegment Weltmarktführer sind. Der Mittelstand
ist auf eine Versorgung mit qualitativ hochwertigen Grund­
chemikalien angewiesen und er bezieht seine Vorprodukte
bevorzugt von deutschen und europäischen Lieferanten.
Die deutsche Spezialchemie erzielte im Jahr 2013 ein
Produktionsvolumen von 74,5 Milliarden Euro. Im Prognose­
zeitraum wird sie mit durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr
­d ynamischer wachsen als die Chemie insgesamt. Bis zum
Ende des Prognosezeitraums steigt das Produktionsvolumen
auf 100 Milliarden Euro.
Im Prognosezeitraum werden die deutschen Exporte von
Spezialchemikalien um durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr
zunehmen, denn Spezialchemikalien „Made in Germany“ sind
weltweit gefragt. Viele Spezialchemikalien wurden auf die Be­
dürfnisse der deutschen Industrie optimiert. Die industriel­
len Kunden profitierten von hochwertigen und innovativen
Chemikalien, mit denen sie ihrerseits qualitativ hochwertige
29
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Energie- und Rohstoffkosten. Gas und Industriestrom sind in
Nordamerika und im Nahen Osten erheblich günstiger als in
ABB. 24: HOHER IMPORTDRUCK IN DER BASISCHEMIE
Europa. Dieser Produktionskostenvorteil hat in den rohstoff­
Handel mit Basischemikalien aus Deutschland in Mrd. Euro,
CAGR 2013–2030
reichen Ländern nicht nur in der Öl- und Gaswirtschaft einen
Investitionsboom ausgelöst, sondern auch zu einem kräfti­
+0,3%
+1,6%
gen Ausbau der Produktionskapazitäten für energieintensive
2013
40,6
Basis­chemikalien geführt. Die dortige Produktion übersteigt
40,3
2030
38,3
die Inlandsnachfrage und drängt auf die Weltmärkte. Für die
31,0
deutsche Basischemie bedeutet das eine geringere Export­
dynamik, zunehmenden Importdruck und insgesamt niedrige­
res Wachstum.
Eine ambitionierte Energie- und Klimapolitik, die
versucht, durch die Verteuerung von Energie die Industrie
7,3
zu Effizienzsteigerungen zu zwingen, verschärft das Problem
für die deutsche und europäische Basischemie. Um diesen
-0,3
Nachteil auszugleichen, sehen viele energiepolitische InstruImporte
Exporte
AH-Saldo
mente Ausnahmen für die im internationalen Wettbewerb
stehende energieintensive Industrie vor. Dadurch ist es in der
Die Basischemie in Deutschland gerät zunehmend unter Druck.
Vergang­enheit gelungen, eine Schrumpfung der Basischemie
Die Importe nehmen zu, während die Exporte stagnieren.
in Deutschland zu verhindern. Für die Prognose haben wir un­
Der Außenhandelssaldo kehrt sich ins Negative. Die deutsche
terstellt, dass diese Industriepolitik auch in Zukunft Bestand
Basischemie produziert überwiegend für den lokalen Markt.
haben wird. Daher kommt es auch bis 2030 nicht zu einer Ab­
wanderung der Basischemie.
Im Jahr 2013 hatten die Basischemikalien insgesamt ein
Produkte herstellten. Dieser Innovationsverbund führt dazu,
Produktionsvolumen von 64 Milliarden Euro. Gegen Ende des
dass viele industrielle Kunden deutscher Spezialchemieher­
Prognosezeitraums wird sich das Produktionsvolumen um
steller ihren Lieferanten auch dann die Treue halten, wenn
6 Prozent auf 68 Milliarden Euro erhöht haben. Dies entspricht
sie selbst im Ausland produzieren. Die deutsche Spezialche­
einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 0,3 Prozent.
mie kann daher von der Globalisierung deutscher Industrie­
Damit wächst die Basischemie nicht nur deutlich langsamer
unternehmen profitieren. Allerdings setzt dies voraus, dass
die Kunden ihre Produkte auch zukünftig in Deutschland und als die deutsche Chemie insgesamt, sondern auch deutlich
verhaltener als die globale Basischemie.
­gemeinsam mit den Chemielieferanten entwickeln werden.
Im internationalen Vergleich sind hohe Rohstoff- und
Auch die Inlandsnachfrage entwickelt sich mit einem
Energiekosten dafür verantwortlich, dass die deutsche Ba­
durchschnittlichen Wachstum von 1,6 Prozent pro Jahr dy­
sischemie kaum von der weltwirtschaftlichen Dynamik pro­
namisch. Im Inland profitieren deutsche Produzenten vom
engen Industrieverbund in Deutschland, der die Nähe zu den fitieren kann. Wegen der zunehmenden Konkurrenz aus
rohstoffreichen Ländern wächst das Exportgeschäft kaum.
Kunden und damit auch den Absatz sicherstellt. Die Importe
steigen mit 1,6 Prozent pro Jahr genauso wie die Inlandsnach­ Bis zum Jahr 2030 steigen die deutschen Basischemieexporte
lediglich um 0,3 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig nimmt der Im­
frage. Der Importdruck auf die Spezialchemie bleibt damit
relativ gering. Der Außenhandelsüberschuss wächst um über portdruck zu. Die deutschen Basischemieimporte steigen bis
2030 um jährlich 1,6 Prozent auf fast 41 Milliarden Euro. Die
45 Prozent auf 33 Milliarden Euro.
Folgen dieser gegenläufigen Entwicklung lassen sich in der
Außenhandelsbilanz ablesen. Aus dem deutschen Außenhan­
BASISCHEMIE
Die deutsche Basischemie ist bei weitem keine homogene delsüberschuss mit Basischemikalien in Höhe von 7 Milliarden
Gruppe. Sie beinhaltet die anorganischen Grundstoffe, Petro­ Euro wird bis 2030 ein Defizit von 300 Millionen Euro.
chemikalien, organische Zwischenprodukte, Standardpoly­
Der künftige Bedarf an Basischemikalien in Deutschland
mere und Düngemittel. Organische Zwischenprodukte sind
folgt dem erwarteten Wachstum der hier ansässigen Abnehdas mit Abstand bedeutendste Segment innerhalb der
merbranchen. Und das ist im internationalen Vergleich gering.
deutschen Basischemie. Auf diese Sparte entfallen rund
Die inländische Nachfrage nach Basischemikalien wird bis
45 Prozent der Basischemieproduktion. Basischemikalien
2030 nur um 1,1 Prozent pro Jahr zulegen. In den europä­
werden in einem engen Produktionsverbund, der sich oftmals ischen Nachbarländern ist die Dynamik kaum höher. Die
über mehrere Unternehmen erstreckt, hergestellt. Daher pro­ deutsche Basischemie wird hauptsächlich für den deutschen
fitiert die Basischemie besonders von den Chemieparks und
und europäischen Chemieverbund produzieren.
der Einbindung in Verbundunternehmen sowie von der räum­
Die Basischemie in Deutschland spielt für weiterver­
lichen Nähe zu anderen Chemieunternehmen bzw. Chemiearbeitende Chemie- und Industriezweige aber eine große
betrieben. Die aus der Verbundproduktion resultierende
Rolle. Sie versorgt eine große Bandbreite an Branchen mit
hohe Ressourceneffizienz ist die zentrale Stärke der deut­
den für ihre Produktion notwendigen Grundstoffen – und
schen Basischemie.
zwar in räumlicher Nähe zur Weiterverarbeitung. Eine Sub­
Im Gegensatz zur Spezialchemie ist in der Basischemie
stitution der Basischemieproduktion in Deutschland oder
das Wachstumspotenzial in Deutschland bis 2030 aber gering. Europa durch außereuropäische Importe ist zum heutigen
Das liegt vor allem an den im internationalen Vergleich hohen Zeitpunkt nur schwer vorstellbar. Denn die entscheidenden
30
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Wertschöpfungsschritte in der Basischemie erfolgen in inte­
grierter Produktion. Dies hängt auch damit zusammen, dass
viele Produkte der Basischemie (Ammoniak, Olefine) gasför­
mig sind und sich damit schwer oder nur teuer transportie­
ren lassen. Einzelne Produktionsstufen und Prozesse lassen
sich nicht aus dem Produktionsverbund herauslösen, ohne
der gesamten Chemie zu schaden. Das lässt sich am Beispiel
­Polyvinylchlorid (PVC) verdeutlichen.
PVC ist ein Standardpolymer, das u.a. durch seine Ver­
wendung in Fußbodenbelägen oder Fensterprofilen bekannt
ist. Für die Produktion benötigt man Ethylen und Chlor.
Ethylen ist eine Petrochemikalie, die im Steamcracker herge­
stellt wird. Chlor ist ein anorganischer Grundstoff, der elek­­­t­rolytisch aus Kochsalz hergestellt wird. Beide Komponenten
sind hochreaktiv und gasförmig. Sie lassen sich daher nur
schlecht über große Strecken transportieren. Aus Chlor und
Ethylen entsteht zunächst Vinylchlorid, ein organisches Zwi­
schenprodukt, welches anschließend polymerisiert wird.
Um PVC zu verwenden, werden weitere ­Spezialchemikalien
benötigt, z.B. Stabilisatoren oder Farbpigmente. Wenn nun
der Strompreis so hoch ist, dass sich die Chlorproduktion
nicht mehr lohnt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch
kein PVC mehr hergestellt werden. Das beeinträchtigt auch
die Geschäfte der Hersteller von Stabilisatoren oder Farb­
pigmenten. Wahrscheinlich würden sogar PVC-Bodenbe­
läge nicht mehr im Inland hergestellt, sondern importiert. Die
Wertschöpfungskette erstreckt sich damit bis in die Kunden­
branchen hinein.
Im Gegensatz dazu sind sowohl der Rohstoff Öl (Naphtha)
als auch viele Endprodukte der chemischen Industrie (Flüs­
sigkeiten bzw. Polymergranulate) leicht und kostengünstig zu
transportieren. Da in Zukunft eher mit steigenden Transport­
kosten zu rechnen ist, dürften sich die Clusterungstendenzen
sowohl im Markt als auch am Bohrloch verstärken.
Es ist darüber hinaus eine Besonderheit der Chemiepro­
duktion, dass Produkte der Spezialchemie nicht „neben“ den
in großen Mengen hergestellten Basischemikalien produziert
werden, sondern bei der Herstellung untrennbar mit ihnen
verbunden sind, da sie aus ihnen hervorgehen. Es gibt also
keinen Gegensatz zwischen innovativen Spezialitäten einer­
seits und seit Jahrzehnten weitgehend unveränderten Stan­
dardprodukten andererseits – vielmehr erhöht der Trend in
Richtung höherwertiger Produkte/Stoffe auch den Bedarf an
Basischemikalien und ermöglicht überdies eine ausreichende
Auslastung der Produktionsanlagen.
Chemieindustrie bleibt ein attraktiver
Arbeitgeber
Mit 463.400 Arbeitnehmern in 2013 ist die chemische
I­ndustrie einer der größten und attraktivsten Arbeitgeber in
Deutschland. Die Branche stellt gut bezahlte und zukunfts­
sichere Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen zur Ver­
fügung.
Im Vergleich zu anderen Industriebranchen zahlt die Che­
mieindustrie überdurchschnittlich hohe Entgelte. Das Ent­
geltniveau der Branche liegt knapp 25 Prozent über dem
Industriedurchschnitt. Besonders Fachkräfte aus dem natur­
wissenschaftlich-technischen Bereich sind das Kapital der
Branche. Die Fachkräftesicherung hat für die Chemie tradi­
tionell einen hohen Stellenwert. Daher wird systematisch in
die Aus- und Weiterbildung des Nachwuchses investiert. So
sichert und erhöht die Chemie fortwährend die Qualifikati­
onsstandards ihrer Arbeitsplätze. Dies beinhaltet auch die ­
finanzielle Unterstützung der naturwissenschaftlichen Bildung,
die bereits seit den 1950er Jahren vom Fonds der Chemi­
schen Industrie an Schulen und Hochschulen gefördert wird.
Zudem bilden die Unternehmen ihre zukünftigen Fach­
kräfte selbst aus. Insgesamt werden rund 20.000 junge
Menschen in der Chemie- und Pharmaindustrie ausgebildet.
Bei einer dreijährigen Ausbildungsdauer sind dies rund 6.500
neue Auszubildende pro Jahr. Die im 2014 neu gefassten
­Tarifvertrag „Zukunft durch Ausbildung und Berufseinstieg“
zwischen dem BAVC9 und der IG BCE10 vereinbarte hohe
Anzahl der Ausbildungsstellen wurde in den vergangenen
Jahren regelmäßig überschritten. Nach erfolgreichem Ausbil­
dungsabschluss werden über 90 Prozent der Ausgebildeten
übernommen. Damit bietet die Branche auch nach der dualen
Ausbildung ihren Absolventen und Absolventinnen sehr gute
Beschäftigungsperspektiven.
Insgesamt sind in den vergangenen 25 Jahren die Belegschaftszahlen jedoch auch in der chemischen Industrie
rückläufig gewesen. Anfang der 1990er Jahre erfolgte ein
­Arbeitsplatzabbau zum einen aufgrund von Werksschlie­
ßungen in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. Ein
anderer Grund waren Auslagerungen von beschäftigungsin­
tensiven Bereichen aus den Kernunternehmen (Outsourcing
von Kantinen, Entsorgung, Reinigung, Logistik, IT-Dienst­
leistungen etc.), die damit statistisch nun anderen Branchen
zugerechnet werden. Der rückläufige Trend bei der Beschäf­
tigung konnte im Anschluss seit 2000 tendenziell gestoppt
werden. Im Jahr 2009 war noch einmal krisenbedingt ein Be­
schäftigungsrückgang zu verzeichnen, der in der Chemie aber
schwächer ausfiel als im Industriedurchschnitt. Durch den Be­
schäftigungsaufbau in den folgenden Jahren konnte dieser
Rückgang vollständig ausgeglichen werden. Der Beschäfti­
gungsstand ist heute höher als vor der Krise. Seit 2009 hat die
Branche trotz wirtschaftlicher Flaute über 30.000 neue Stellen
geschaffen, um u. a. einem drohenden Fachkräftemangel vor­
zubeugen.
Dieser Beschäftigungsaufbau wird sich im Prognosezeit­
raum nicht fortsetzen. Durch den technologischen Fortschritt
und effizientere Strukturen, die vereinzelte Auslagerung von
weiteren Unternehmensteilen, aber auch das Fortschreiten
der digitalen Vernetzung wird die Zahl der Arbeitskräfte in
der Branche bis 2030 um durchschnittlich 0,8 Prozent jährlich
moderat zurückgehen. Mit knapp 401.000 Beschäftigten
gehört die Chemieindustrie aber immer noch zu den wichti­
gen Arbeitgebern in Deutschland.
Differenziert nach Basis- und Spezialchemikalien sowie
Pharmazeutika zeigt sich, dass der Beschäftigungsabbau nicht
gleichmäßig auf die drei Bereiche verteilt ist. Der größte Teil
des Arbeitsplatzrückgangs entfällt auf die Basischemie. Dies
kann in erster Linie dem schwachen Wachstum zugeschrieben
werden. Wettbewerbsnachteile bei den Energie- und Roh­
stoffkosten dämpfen das Wachstumspotenzial der Basische­
mie. Die Produktion kann daher bis 2030 kaum ausgeweitet
werden. Durch Stilllegungen einzelner Produktionsanlagen,
9
Bundesarbeitgeberverband Chemie e. V. (BAVC).
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).
10
31
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
das „Up-Scaling“ von Bestandsanlagen sowie technologi­
schen Fortschritt steigt zudem die Produktivität in dieser
Sparte. Auch in der Spezialchemie und in der Pharmaindus­
trie steigt die Produktivität bis 2030. Hier machen sich u. a.
auch die Digitalisierung und Vernetzung bemerkbar. Zudem
setzt sich die Auslagerung betrieblicher Prozesse in Dienst­
leistungsunternehmen fort. Da diese beiden Sparten aber im
Prognosezeitraum ein kräftiges Produktionsplus verzeichnen
können, sinken die Belegschaftszahlen hier kaum.
Künftig werden auf eine offene Stelle in der Chemie
weniger qualifizierte Bewerber kommen. Davon sind weniger
die großen Chemieunternehmen in der Nähe der Ballungs­
zentren betroffen als vielmehr der Mittelstand in der Fläche.
Fachkräfteengpässe drohen zudem weniger bei den Hoch­
schulabsolventen. Zwar steigt wegen der zunehmenden
Spezialisierung der Branche und der damit verbundenen
Erhöhung der Forschungsintensität der Bedarf an Akademi­
kern in der Chemie. Da die Studienanfängerzahlen gerade in
den naturwissenschaftlichen Fächern aber vielversprechend
sind, wird es in der Chemie voraussichtlich nicht zu einem um­
fangreichen Mangel an Chemikern und anderen Naturwis­
senschaftlern kommen. Anders sieht es allerdings bei den
Ingenieuren aus. Dort ist ein Engpass wahrscheinlich.
Die deutsche Chemie benötigt zukünftig vermehrt nicht­
akademische Nachwuchsfachkräfte. Hierzu zählen insbeson­
dere Produktionsberufe (z. B. Chemikant) sowie Berufe im
gewerblich-technischen Bereich (z. B. Industrie- und Anlagen­
mechaniker, Elektroniker, Mechatroniker). Derzeit beginnen
jährlich rund 6.500 junge Menschen ihre betriebliche Ausbil­
dung in der deutschen Chemie. Dabei benötigt die Chemie
gut ausgebildete Auszubildende. Allerdings stellen die Un­
ternehmen heute fest, dass bei vielen Bewerbern die Qualifi­
kation nicht ausreicht. Den Prognosen haben wir unterstellt,
dass das deutsche Schulsystem die Bewerber zukünftig aus­
reichend qualifiziert. Dies gilt insbesondere für die sogenann­
ten MINT-Fächer, die für die Industrie besonders wichtig sind.
ABB. 25: ENERGIEEFFIZIENZ STEIGT WEITER
Energieverbrauch der chemischen Industrie nach Sparten,
Anteile in Prozent
Deutsche Chemie wird immer effizienter
Die Chemie ist energieintensiv. Viele chemische Prozesse
benötigen hohe Temperaturen. Beispielsweise findet das so­
genannte „Steamcracken“, ein Prozess am Anfang vieler che­
mischer Wertschöpfungsketten, bei Temperaturen von bis zu
800 Grad Celsius statt. In diesen Anlagen werden aus Roh­
benzin wichtige Primärchemikalien wie Ethylen, Propylen
oder Benzol hergestellt. Chemische Prozesse benötigen auch
Strom. Elektrolytische Verfahren wie beispielsweise die ChlorAlkali-Elektrolyse, bei der Kochsalz mit Hilfe von Strom zu
Chlor und Natronlauge umgewandelt wird, erfordern große
Strommengen. Die Energie ist hier integraler Bestandteil der
Produktion und der Bedarf chemisch-physikalisch determi­
niert. Oftmals sind die Produkte dieser chemischen Verfah­
ren energiereicher als die eingesetzten Ausgangsstoffe. Viele
Chemikalien speichern einen erheblichen Teil der ihnen bei
der Synthese zugeführten Energie.
Die Chemie braucht darüber hinaus Energie als Betriebs­
mittel für die Beleuchtung, den Betrieb von elektrischen
Anlagen und Sicherheitssystemen, zum Kühlen, zum Heizen
etc. In der Basischemie sind diese Energiekosten anteilsmäßig
deutlich geringer als die Kosten für Energie, die direkt in che­
mischen Prozessen verwendet werden. Anders in der Spezial­
chemie und in der Pharmaindustrie. Hier fallen hauptsächlich
Energiekosten für den Betrieb der Produktionsanlagen an. Bei
den chemischen Verfahren selbst ist die benötigte Energie
vergleichsweise fix.
Der Verbrauch von Energie ist mit hohen Kosten verbun­
den. In den 10 Jahren vor 2013 stieg der Anteil der Energie­
kosten an der Bruttowertschöpfung von rund 11 Prozent auf
nahezu 15 Prozent. Geschuldet ist dies den steigenden Ener­
giepreisen. Diese belegen im internationalen Vergleich eine
Spitzenposition. Industriestrom ist in Deutschland rund
50 Prozent und Gas rund 200 Prozent teurer als in den Ver­
einigten Staaten. Die deutsche Chemie kann derart große
Nachteile bei den Energiekosten durch effizientere Produk­
tionsverfahren nur zum Teil ausgleichen. Daher liegen die
ABB. 26: KEINE EFFIZIENZSPRÜNGE
Energieverbrauch der deutschen Chemieindustrie seit 1990,
Index 1990 = 100, CAGR 2013–2030
-0,1%
67,5%
66,9%
Basischemie
Spezialchemie
Pharma
200
Produktionswert (real)
Absoluter Energieverbrauch
Spezifischer Energieverbrauch
+1,5%
160
120
– 0,1%
80
–1,5%
28,7%
28,8%
3,8%
4,2%
2013
2030
Effizienzgewinne lassen sich vor allem in der Spezialchemie
realisieren. Trotz Produktionswachstum steigt der Energieverbrauch in dieser Sparte nicht. In der Basischemie lassen sich
hingegen kaum Effizienzpotenziale heben.
32
40
0
1990
1995
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
Grundlegende Änderungen der Energie- und Klimapolitik zeichnen
sich nicht ab. Die daraus resultierende schwache Investitionsdynamik hemmt die Realisierung von Effizienzsprüngen.
Quellen: Statistisches Bundesamt; VCI
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Energiestückkosten der deutschen Chemie- und Pharma­in­
dustrie rund 30 Prozent über denen der US-Konkurrenz. Die
Auswirkungen lassen sich in der Investitionsstatistik ablesen.
Während die Branche in den USA derzeit einen Investitions­
boom erlebt, stagnieren hierzulande seit mehr als 20 Jahren
die Investitionen in Chemieanlagen. Stattdessen investieren
deutsche Chemieunternehmen lieber im Ausland.
Die hohe Energieeffizienz der deutschen Chemie hat
viele Gründe. Ein wichtiger Baustein ist das Verbundsystem.
Das Konzept der Chemieparks bzw. der Verbundunterneh­
men – eine deutsche Erfindung – steigert die Effizienz der
Produktion. Der Standortbetreiber kümmert sich um zentrale
Umweltschutzeinrichtungen und die komplette Infrastruk­
tur für die ansässigen Unternehmen bzw. Betriebe. Dies er­
möglicht einen Verbund der Produktionsanlagen mit hoher
Effizienz für Energie, Roh- und Reststoffe. Zur Ressourcenef­
fizienz und zur Klimaschonung trägt zudem die Stromeigen­
erzeugung durch Kraft-Wärme-Kopplung bei. So wird auch
eine optimale Versorgung der Industriestandorte nach ihren
Wärme- und Strombedürfnissen sichergestellt.
Trotz hoher Effizienz sind und bleiben hohe Energiekos­
ten eine Bedrohung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Chemie. Davon ist nicht nur die energieintensive Basischemie
betroffen. Weit über 50 Prozent der produzierten Güter liefert
die Chemie im Inland an Unternehmen ihrer eigenen Branche.
So wirken sich Energiepreise über die Wertschöpfungskette
hindurch auch auf Unternehmen in der Spezialchemie oder
der pharmazeutischen Industrie aus. Neben den Energie­
kosten für den Betrieb ihrer Produktionsanlagen verteuern
hohe Strom- und Gaspreise die eingesetzten Vorprodukte
aus der Basischemie. Zudem verschlechtern hohe Energie­
kosten die Wettbewerbsbedingungen wichtiger heimischer
Kundenindustrien und verringern zusätzlich die Kaufkraft der
Endverbraucher. Die Absatzmöglichkeiten auf dem Heimat­
markt werden dadurch für alle Chemie- und Pharmaunter­
nehmen beschränkt.
Insgesamt benötigt die deutsche Chemieindustrie derzeit jährlich rund 53,5 Terrawattstunden Strom, 80,4 Terra­
wattstunden Gas und 63,4 Terrawattstunden andere Energie­
träger wie Kohle und Mineralölprodukte. Bis 2030 werden Gas
und Strom die wichtigsten Energieträger bleiben. Die regio­
nalen Preisunterschiede werden daher auch zukünftig einen
großen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen
Chemienation haben.
Beim Gas wird die Preisschere etwas zugehen – Deutsch­
land bleibt aber am oberen Rand. Auch der Strom wird
in Deutschland teuer bleiben. Erneuerbare Energien wie
Windkrafterzeugung und die Solarenergie drücken an den
Strombörsen zwar tendenziell die Preise, weil die zusätz­
lich erzeugte Kilowattstunde nichts kostet. Trotzdem wird
der Strompreis steigen. Preisrisiken entstehen vor allem
durch den teuren Ausbau der Stromnetze, der auf die Preise
umgelegt wird, und für das Überführen von Braunkohlekraft­
werken in die Kraftwerksreserve. Die Chemie in Deutschland
wird somit – selbst unter der Annahme, dass die Entlastungs­
regelungen beim EEG, der Stromsteuer und dem Emissi­
onshandel für die energieintensive Industrie in Deutschland
erhalten bleiben – mit Energiepreisen über dem internatio­
nalen Durchschnitt zu rechnen haben.
Die Kosten werden steigen, obwohl der Energieverbrauch
der Chemie bis zum Jahr 2030 nicht mehr wachsen wird.
Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die etwa 1993/1994
begann. Seitdem – abgesehen von leichten Schwankungen
– stagniert der absolute Energieverbrauch der Branche. Vor
allem das schwache Produktionswachstum der Basischemie
führt zukünftig zu dem stagnierenden Energieverbrauch. Die
Energieeffizienz, d.h. das Verhältnis von Produktion zu Ener­
gieverbrauch, verbessert sich in der Basischemie nur leicht.
Große Effizienzverbesserungen sind auch nicht zu erwarten.
Ein Großteil des Energieverbrauchs ist in diesen Chemie­
sparten nicht variabel. Brauchen chemische Verfahren bei­
spielsweise bestimmte Temperaturen, wird auch technischer
Fortschritt dies nicht ändern können. Die dafür notwendige
Energie wird die Basischemie immer benötigen.
In der Spezialchemie ist zukünftig hingegen eine Ver­
besserung der Energieeffizienz mit 1,8 Prozent pro Jahr zu
beobachten. Anders als in der Basischemie brauchen die
chemischen Prozesse dieser Sparte eine weniger große fixe
Menge an Energie. Anteilig ist die Summe der Energiekos­
ten, die durch Heizen, Kühlen etc. anfällt, deutlich größer.
Hier sind noch Effizienzpotenziale zu heben. Das führt dazu,
dass der absolute Energieverbrauch ebenfalls nicht weiter
wächst, und dies, obwohl die Produktion in der Spezialchemie
deutlich dynamischer wächst als in der Basischemie. Trotz der
zunehmenden Fokussierung der Branche auf die Spezialche­
mie im Prognosezeitraum wird 2030 immer noch weniger als
ein Drittel der Energie in der Spezialchemie verbraucht.
Für den Prognosezeitraum ist nicht mit einem Richtungs­
wechsel in der deutschen oder europäischen Energiepolitik
zu rechnen. Die Politik wird weiterhin auf eine Verteuerung
von Energie setzen, um damit Anreize zur Steigerung der
Energieeffizienz zu geben. Durch ehrgeizige Zielvorgaben
wird der Druck auf die Energiekosten sogar noch zunehmen.
Das hat zwei Effekte. Zum einem werden die Chemieun­
ternehmen ihre Anstrengungen weiter intensivieren, ihre
bestehenden Anlagen zu optimieren, denn die Ausnahme­
regelungen betreffen nur einen kleinen Teil der Unternehmen.
Das führt zu einer beständigen, aber nur moderaten Steige­
rung der Energieeffizienz. Auf der anderen Seite führt diese
Energiepolitik zu einer Verschlechterung der Standortbedin­
gungen in Deutschland. Für die Chemie wird Deutschland als
Produktionsstandort weniger attraktiv, so dass Investitionen
verstärkt im Ausland getätigt werden.
Die daraus erwachsende schwache Investitionsdynamik im
Inland – vor allem in der Basischemie – wirkt sich hemmend
auf die Entwicklung der Energieeffizienz aus. Wirkliche Ver­
besserungen der Energieeffizienz sind nur mit Neuanlagen
zu realisieren. Dies zeigt ein Blick zurück: Die letzten sprung­
haften Effizienzsteigerungen sah man in Deutschland in den
Jahren 1990 bis 1993/94. Damals wurden die Chemieanla­
gen in den Gebieten der ehemaligen DDR durch Anlagen
der neusten Technologie ersetzt. Gegenwärtig kann man
Vergleichbares in den USA beobachten. Der SchiefergasBoom und eine Politik der Investitionsanreize führen zum Bau
moderner Anlagen. Die niedrigen Energiekosten in den USA
lassen klimafreundliche, energieeffiziente und wettbewerbs­
fähige Großanlagen entstehen.
33
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
ABB. 27: MEHR NACHWACHSENDE ROHSTOFFE
Ressourcenverbrauch in der organischen Chemie in Mio. Tonnen,
Anteile in Prozent
20,1
19,4
13,0%
18,5%
87,0%
2013
Nachwachsende
Rohstoffe
Fossile Rohstoffe
81,5%
2030
Der Anteil nachwachsender Rohstoffe nimmt bis 2030 zu.
Hierfür sind erhebliche Forschungsanstrengungen nötig. In der
Basischemie wird der Einsatz durch die Verfügbarkeit und den
Preis limitiert.
Diversifizierung der Rohstoffbasis wird vorangetrieben
Als Grundstoffindustrie ist die Chemie auch rohstoffinten­
siv. Unter dem Begriff „Rohstoff“ werden im Rahmen dieser
Studie nur die Stoffe zusammengefasst, die die Chemie von
anderen Wirtschaftszweigen bezieht. Chemikalien, die in
der Chemie weiterverarbeitet werden, zählen nicht dazu.
Da Deutschland kaum über eigene Rohstoffquellen verfügt,
müssen Rohstoffe überwiegend zu Weltmarktpreisen impor­
tiert werden. Die für die Branche wesentlichen Rohstoffe sind
im Prognosezeitraum ausreichend vorhanden. Daher ist auch
in Importländern wie Deutschland die Rohstoffversorgung
gesichert. Allerdings werden die Rohstoffpreise in Zukunft
wieder steigen.
Man unterscheidet in der Chemie drei Rohstoffgruppen:
mineralische, fossile und nachwachsende Rohstoffe. Minerali­
sche Rohstoffe finden hauptsächlich in der Chemiesparte An­
organika Verwendung. Wichtige mineralische Rohstoffe sind
beispielsweise Kaliumsalze und Phosphate, die für die Dün­
gemittelproduktion eingesetzt werden, oder Natriumchlorid
(Kochsalz), aus dem die Branche die wichtigen anorganischen
Grundstoffe Chlor und Natronlauge herstellt.
Fossile Rohstoffe eröffnen nach entsprechender Um­
wandlung in chemische Grundbausteine eine Vielzahl von
Synthesemöglichkeiten. Das Erdölderivat Naphtha ist der
wichtigste fossile Rohstoff der Branche. Kohle, Schweröle
oder Erdgas werden in Deutschland derzeit nur in geringem
Maße eingesetzt. Fossile Rohstoffe werden hauptsächlich in
der Petrochemie benötigt. Die daraus gewonnenen Grund­
bausteine werden anschließend zu organischen Zwischenpro­
dukten oder zu Polymeren weiterverarbeitet.
Nachwachsende Rohstoffe werden aus pflanzlicher
oder tierischer Biomasse gewonnen. Dies sind hauptsäch­
lich Stärke, Cellulose, Zucker, Öle und Fette sowie pharma­
zeutische Wirkstoffe. Nachwachsende Rohstoffe sind in der
chemischen Industrie seit langem etabliert. Sie werden in
34
der Herstellung von Kunststoffen, Fasern, Waschmitteln,
Kosmetika, Farben und Lacken, Druckfarben, Klebstoffen,
Baustoffen, Hydraulikölen und Schmiermitteln bis hin zu Arz­
neimitteln eingesetzt. Damit liegt ihr Einsatzgebiet haupt­
sächlich im Bereich der Spezialchemie.
Rohstoffe sind in der Chemie grundsätzlich austausch­
bar. Die Höhe des Verbrauchs ist hingegen nur minimal be­
einflussbar. Man kann die chemische Produktion nicht von der
Rohstoffbasis entkoppeln. So wird die Diversifizierung der
Rohstoffbasis zum zentralen Element der Rohstoffstrategie
der chemischen Industrie. Dieser Trend wird auch nicht durch
weniger stark steigende Ölpreise gebremst.
Über Effizienzgewinne lassen sich kaum noch Kostenein­
sparungen realisieren. Aus wirtschaftlichen Gründen verarbei­
ten die Unternehmen ihre Rohstoffe längst hocheffizient: Seit
Jahrzehnten haben die Unternehmen ihre Prozesse optimiert
und – wo möglich – in Verbundstrukturen integriert. Abfälle
werden so weit wie möglich vermieden oder verwertet. Hier
lassen sich wenige bis keine Synergieeffekte mehr heben.
Und doch gelingt es der Chemie bis zum Jahr 2030, ihren
Ressourceneinsatz total um fast 0,7 Millionen Tonnen zu
senken. Allerdings ist diese Reduktion nur zu einem kleinen
Teil auf eine rohstoffeffizientere Produktion ­zurückzuführen.
Vielmehr liegt es an der schwächeren Wachstumsdynamik
der Basischemie, die deutlich mehr Rohstoffe benötigt als die
Spezialchemie. In der Spezialchemie fallen heute nur etwa
7,5 Prozent aller Rohstoffe an. Natürlich brauchen auch Unter­
nehmen in dieser Sparte Produktionsinput. Die Spezialchemie
greift für ihre Produktion zum Großteil auf Vorprodukte, also
auf Chemikalien aus der Basischemie, zurück. Diese Chemi­
kalien werden nicht als Rohstoff erfasst. Über die Wertschöp­
fungskette gelangen die Rohstoffe aber natürlich indirekt
auch in die Produkte der Spezialchemie.
Um die Rohstoffbasis zu verbreitern, bieten sich in der
organischen Chemie nachwachsende Rohstoffe an. Diese
werden heute schon dort eingesetzt, wo dies technische und
wirtschaftliche Vorteile bringt. Daher basieren gegenwär­
tig rund 13 Prozent der Rohstoffbasis auf nachwachsenden
Rohstoffen. Die Chemie wird diesen Anteil auf 18,5 Prozent
steigern können. Ein Großteil dieser Rohstoffe wird in der
Spe­zial­chemie verwendet werden.
Zur Erschließung neuer Anwendungsfelder nachwachsen­
der Rohstoffe wird die Chemie erhebliche Anstrengungen in
Forschung und Entwicklung unternehmen müssen. Bei neu­
artigen Anwendungen und Produkten müssen nicht nur neue
Märkte erschlossen, sondern im Zusammenspiel mit verschie­
denen Akteuren ganz neue Wertschöpfungsketten aufgebaut
werden. In der Vergangenheit wurden diese Herausforder­un­
gen häufig unterschätzt, was dazu führte, dass sich die Ent­
wicklung in vielen Bereichen nicht so dynamisch gezeigt hat
wie erhofft.
Allerdings wird die organische Chemie in der Breite weiter
auf fossiler Basis produziert. In der Basischemie erscheint
eine signifikante Substitution der fossilen Rohstoffe durch
nachwachsende Rohstoffe zum jetzigen Zeitpunkt als nicht
wahrscheinlich. Die Verfügbarkeit und der Preis von nach­
wachsenden Rohstoffen werden hier zum limitierenden
Faktor. 2030 werden immer noch 81,5 Prozent der organi­
schen Chemie aus fossilen Rohstoffen produziert.
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Damit bleibt für die Basischemie die Preisrelation zwischen
Erdöl und Erdgas ein zentrales Element beim Thema wett­
bewerbsfähige Rohstoffpreise. Denn während die organi­
sche Chemie in Deutschland ölbasiert ist – momentan bauen
nur 11 Prozent der organischen Chemie auf Erdgas auf –, ist
die Produktion beispielsweise in den USA vor allem gasba­
siert. Der abgeschwächte Preisanstieg des Erdöls wirkt sich in
Zukunft zwar positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der Basis­
chemie in Deutschland aus. Für das Gas in den USA wird aber
ebenfalls mit nur einer moderaten Preissteigerung gerechnet.
Hinzu kommt eine zunehmende Volatilität beider Preise. Die
deutsche Chemie wird ihre fossile Basis weiter diversifizieren,
um die Schwankungen der Preisrelationen besser abfangen
zu können. Da der vermehrte Einsatz von Kohle unter Umwelt­
gesichtspunkten weder von der Öffentlichkeit noch von der
Chemieindustrie gewünscht ist, wird bis zum Jahr 2030 die
Bedeutung von Erdgas zunehmen.
Forschungsetats werden erhöht
Die Chemieindustrie zählt zu den besonders innovations­
starken Branchen der deutschen Wirtschaft. Im Fahrzeug­
bau und in der Elektroindustrie wird zwar mehr in Forschung
und Entwicklung investiert. Aber von keiner anderen Branche
gehen so viele Innovationsimpulse aus wie von der Chemie.
Die Ideen und das Anwendungs-Know-how der Chemieunter­
nehmen sind in den nachgelagerten Wertschöpfungsketten
oftmals der Ausgangspunkt für weitere Innovationen. Damit
sind die Innovationen der Branche oft ein Garant für den
Erfolg der weiterverarbeitenden Industrien.
Die Branche gab 2013 rund 9,5 Milliarden Euro für For­
schung und Entwicklung aus (real in Preisen von 2010). Rund
60 Prozent der Ausgaben werden von den Pharmaproduzen­
ten getätigt. Fast 26 Prozent entfallen auf die Spezialchemie
und 14 Prozent auf die Basischemie. Die Forschungsintensität, also der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausga­
ben am Produktionswert, liegt in der Branche bei knapp
5 Prozent. Besonders forschungsintensiv mit über 11 Prozent
ist die Pharmasparte. In den übrigen Chemiesparten liegt die
Forschungsintensität derzeit bei 2,7 Prozent – wobei die For­
schungsintensität in der Spezialchemie stärker ausgeprägt ist
als in der Basischemie. In der Basischemie konzentrieren sich
die Forschungsbemühungen auf Prozessinnovationen.
Differenziert nach einzelnen Chemiesparten zeigt sich
eine besonders hohe Forschungsintensität bei den Schäd­
lingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmitteln, gefolgt mit
einigem Abstand von den Konsumchemikalien sowie den
anderen Spezialitäten. Während in der Pharmaindustrie bei
den Forschungsintensitäten in den vergangenen 10 Jahren
ein leichter Rückgang zu beobachten war, blieb die Intensität
in der Chemie nahezu konstant.
Im internationalen Vergleich ist Deutschland der viert­
größte Forschungsstandort für Chemie- und Pharmaprodukte
– nach den USA, China und Japan. Bezüglich der Forschungs­
intensität bewegt sich die Branche im internationalen Vergleich
im vorderen Mittelfeld. Die Chemie (ohne Pharma) belegt im
internationalen Vergleich sogar einen Spitzenplatz. Mit ihren
FuE-Ausgaben, ihrer Innovationskraft und den im Länderver­
gleich guten Standortbedingungen für Innovationen hat die
deutsche Chemie- und Pharmaindustrie eine gute Ausgangs­
position für die zukünftigen Herausforderungen.
ABB. 28: FORSCHUNGSETATS WERDEN AUFGESTOCKT
Reale Forschungsausgaben der deutschen Chemieindustrie
(interne und externe Ausgaben) in Mrd. Euro, CAGR 2013–2030
+2,0%
13,2
Basischemie
Spezialchemie
Pharma
10,0%
24,4%
9,5
14,0%
25,5%
65,6%
60,4%
2013
2030
Die Chemieindustrie wird ihre Innovationsorientierung weiter
ausbauen. Die Forschungsetats steigen in der Spezialchemie
und in der Pharmaindustrie aufgrund der guten Wachstums­
perspektiven dieser Sparten kräftig.
Der Wettbewerbsdruck auf den Forschungsstandort
Deutschland wird sich erhöhen. Der internationale Innovati­
onswettlauf verschärft sich. Konkurrenz kommt dabei nicht
nur aus den Industrieländern, sondern auch die Schwellen­
länder investieren massiv in Forschung und Entwicklung. In
einigen Kundenbranchen verlagern sich die Produktions- und
Forschungszentren nach Asien. Die Chemieforschung folgt
bereits in Teilen dieser Entwicklung. In Deutschland behin­
dern darüber hinaus noch Regulierungen wie beispielsweise
aufwändige Zulassungsverfahren und die REACH-Anforde­
rungen den Innovationsprozess in der Chemieindustrie, wie
ABB. 29: FORSCHUNGSINTENSITÄT STEIGT LEICHT
Forschungsintensität der deutschen Chemieindustrie,
Forschungsausgaben in Prozent des Produktionswertes
11,2% 11,2%
2013
2030
5,0%
5,4%
3,2% 3,2%
2,7% 2,7%
2,1% 1,9%
Basischemie
Spezialchemie
Pharma
Gesamt
Chemie ohne
Pharma
Dank der verstärkten FuE-Anstrengungen können die
FuE-Intensitäten in den Sparten konstant gehalten werden.
Aufgrund des höheren Pharmagewichts in 2030 steigt für die
Branche insgesamt die FuE-Intensität.
35
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
eine aktuelle Studie11 belegt. Auch im Steuerrecht wären
mehr Anreize nötig, um Innovationen zu fördern. Insbeson­
dere fehlt Deutschland auch weiterhin eine steuerliche For­
schungsförderung. Und der Kapitalmarkt ist für Start-ups
nur unzureichend ausgebildet. Neben der Politik sind aber
auch die Unternehmen gefragt. Laut oben genannter Studie
werden auch die Unternehmen ihre Innovationsstrategien
anpassen müssen, um interne Hemmnisse abzubauen. Insbe­
sondere sind die Unternehmen aufgefordert, Freiräume für
die Forscher zu schaffen, mehr Mut und Geduld aufzubrin­
gen, Neues auszuprobieren – aber auch in der Vermarktung
schneller, kundenorientierter und flexibler zu werden.
Angesichts der globalen Herausforderung eines stärker
werdenden Wettbewerbs wird die deutsche Chemieindustrie
den eingeschlagenen Weg der Innovationsorientierung beibehalten. Die Forschungsetats der deutschen Chemie werden
bis 2030 um real 3,7 Milliarden Euro aufgestockt werden. Dies
entspricht einem jährlichen Zuwachs von 2 Prozent. Dabei
wird eine stärkere Fokussierung auf Spezialchemikalien und
Pharmazeutika erfolgen – denn hier liegen die Wachstumspo­
tenziale für die Branche. In der Basischemie bleiben die Auf­
wendungen konstant. In nominalen Größen bedeutet dies
einen Anstieg der FuE-Ausgaben der Branche um 3 Prozent
pro Jahr von heute 10,5 Milliarden Euro auf 16,5 Milliarden
Euro in 2030. Zudem werden die Unternehmen ihre Anstren­
gungen erhöhen, die internen Hemmnisse im Bereich For­
schung und Entwicklung abzubauen.
Im Prognosezeitraum werden die Forschungsaufwen­
dungen in der Spezialchemie und bei den Pharmazeutika
zwar steigen. Die Intensitäten in den Sparten bleiben aber
bestenfalls konstant. Innovationshemmnisse im Inland, die
moderaten Wachstumsaussichten in Europa ebenso wie
die Wachstumsprognosen der außereuropäischen Länder
bremsen höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung
am Standort Deutschland. In der Basischemie sind aufgrund
der schwachen Produktionsperformance und der geringe­
ren Innovationsorientierung die Intensitäten sogar rückläufig.
ABB. 30: CHINA UND ANDERE SCHWELLENLÄNDER
WERDEN IMMER INNOVATIVER
Anteile an der globalen Chemie-/Pharmaforschung in Prozent
China
EU
Deutschland
USA
Japan
Restliche Welt
50
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
Der Wettbewerbsdruck auf den Chemie-Forschungsstandort
Deutschland wird sich erhöhen. Die Schwellenländer intensivieren ihre Forschungsanstrengungen. Deutschland kann seine
Position als viertgrößter Forschungsstandort aber halten.
36
ABB. 31: INVESTITIONSZURÜCKHALTUNG HÄLT AN
Reale Investitionen der deutschen Chemie- und
Pharmaindustrie in Mrd. Euro
Investitionen historisch
Investitionen laut Prognose
Trend der historischen Investitionen
Trend der Prognose
8
7,5
7
6,5
6
5,5
5
4,5
4
2000
2005
2010
2015
2020
2025
2030
Der langfristige Trend bei den Investitionen in der Chemie­
industrie ist rückläufig. Bis 2030 werden die Investitionen nicht
ausgeweitet. Es fehlen Wachstumsimpulse und Planungssicherheit durch verlässliche Rahmenbedingungen.
Diese Entwicklung unterstreicht und beschleunigt die Spezia­
lisierung in der deutschen Chemie.
Die Forschungsintensität der gesamten Branche erhöht
sich bis zum Ende des Prognosezeitraums im Jahr 2030 von
5,0 auf 5,4 Prozent. Grund hierfür ist der veränderte Produk­
tionsmix in 2030 mit einem höheren Anteil der Pharmazeu­
tika. Ohne die Pharmasparte bleibt die Intensität konstant bei
2,7 Prozent.
Durch die zusätzlichen Investitionen in FuE kann Deutsch­
land seinen Spitzenplatz unter den führenden Chemiefor­
schungsnationen in Zukunft halten – wenngleich die Anteile
an den weltweiten FuE-Ausgaben weiter zurückgehen. Im
Jahr 2013 wurden 6,7 Prozent der globalen internen FuE-Aus­
gaben der Chemie- und Pharmaindustrie von Deutschland
erbracht. In 2030 sinkt der Anteil auf 6,4 Prozent. Damit bleibt
Deutschland aber weiterhin der viertgrößte Forschungs­
standort für Chemie- und Pharmaprodukte.
Anteilsgewinner sind die Schwellenländer – insbesondere
China setzt seinen eingeschlagenen Weg des FuE-Aufbaus
fort. China hat bereits in den zurückliegenden Jahren Anteile
an der globalen Chemieforschung gewonnen. Noch im Jahr
2000 lag der chinesische Anteil bei 1,6 Prozent. Heute sind
es bereits 10 Prozent. 2030 werden es 15 Prozent sein. Dieser
Anteilszuwachs geht hauptsächlich zu Lasten Japans. Europa
und die USA müssen deutlich geringere Verluste hinnehmen.
Die Vereinigten Staaten bauen ihre Technologieführerschaft
in vielen Bereichen weiter aus. Insbesondere profitieren sie
von der Digitalisierung. Europa verdankt seinen geringen An­
teilsverlust den starken Pharmaausgaben. Betrachtet man nur
die Chemie ohne Pharma, muss Europa stärkere Anteilsver­
luste hinnehmen als die USA.
Die starke Dynamik im globalen Innovationswettbewerb
macht deutlich, wie wichtig gute Rahmenbedingungen für
den Forschungsstandort Deutschland sind. Innovationshemm­
„Innovationen den Weg ebnen“, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Unternehmensberatung Santiago, VCI, 2015.
11
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
ABB. 32: WENIGER INVESTITIONEN DER BASISCHEMIE
Reale Investitionen der deutschen Chemieindustrie in Mrd. Euro,
Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030
6,7
ABB. 33: ENDE DES INVESTITIONSBOOMS DER CHEMIE
Anteile an den weltweiten Investitionen der Chemie- und
Pharmaindustrie in Mrd. Euro, Anteile in Prozent, CAGR 2013–2030
+0,7%
-0,5%
6,2
23%
27%
24%
Pharma
Spezialchemie
Basischemie
+5,1%
9,3%
3,4%
10,9%
4,7%
7,4%
2,8%
10,5%
3,6%
36,2%
28%
7,4%
34,6%
25,7%
53%
45%
17,8%
8,6%
6,3%
37,2%
Deutschland
EU ohne D
USA
Japan
China
Restliche
Welt
39,6%
34,1%
2013
2030
Die realen Investitionen der deutschen Chemieindustrie
werden bis 2030 um jährlich 0,5 Prozent sinken. In der
Basischemie gehen die Investitionen zurück, während sie in
den anderen Sparten leicht zunehmen.
2000
2013
2030
Weltweit ändert sich die Investitionsdynamik. In der vergangenen Dekade konnte in der Chemie ein globaler Investitionsboom beobachtet werden. Ursächlich war insbesondere die
Investitionsdynamik in China. Dies wird sich nicht fortsetzen.
als die Investitionen im Inland und liegen seit 2012 auch über
den Inlandsinvestitionen. Hauptmotive für Auslandsinvesti­
tionen sind die Erschließung der Märkte und die Nähe zu den
Kunden. Allerdings spielen – insbesondere in Nordamerika –
zunehmend auch Kostenmotive eine Rolle.
Im Prognosezeitraum wird sich die schwache Investiti­
onsdynamik der Vergangenheit fortsetzen. Die Investitionen
gehen um 0,5 Prozent pro Jahr zurück. Denn die Ursachen für
die Investitionszurückhaltung bestehen fort. In der Basische­
mie gehen die Investitionen im Prognosezeitraum deutlich
zurück (real um – 1,3 Prozent pro Jahr). Ursache ist zum einen
die geringe Nachfrage, die nur zu einem Produktionswachs­
Investitionszurückhaltung hält an
tum in der Basischemie von real 0,3 Prozent pro Jahr führt.
Die Chemieindustrie ist kapitalintensiv. Mit ihren Investi­
Hinzu kommt eine erhebliche Planungsunsicherheit. Im
tionen erhöht die Branche ihr zukünftiges Produktionspoten­
Zuge der Energiewende werden insbesondere für die Ba­
zial und sichert ihre Wettbewerbsfähigkeit. Das langfristige
sischemie wichtige Ausnahmeregelungen immer wieder in
Trendwachstum der Investitionen der deutschen Chemie im
Frage gestellt. Gerade für die langen Investitionszyklen in
Inland ist allerdings seit längerem niedrig. Seit 1991 stiegen
dieser Sparte ist dies investitionshemmend. So werden ver­
die Investitionen in Anlagen und Gebäude der Branche um
durchschnittlich nur 0,2 Prozent pro Jahr – real gingen die In­ altete Anlagen zwar im Zeitverlauf ersetzt, aber es werden
keine neuen zusätzlichen Kapazitäten aufgebaut. Darüber
vestitionen sogar um jährlich 1,6 Prozent zurück.
hinaus werden einige Anlagen stillgelegt. Auch die Digita­
Hierfür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen führte
lisierung wird in der Chemie aus heutiger Sicht voraussicht­
der technologische Fortschritt dazu, dass eine Ausdehnung
der Produktion mit weniger Produktivkapital möglich ist. Zum lich nicht zu einem Investitionsboom führen. Denn weder die
Nachfragesituation noch die Rahmenbedingungen lassen
anderen zeichnet sich in der Branche auch eine zunehmende
Spezialisierung ab. Die anlagenintensive Basischemie verliert dies zu. Im Rahmen der geplanten Investitionen wird der Di­
gitalisierung des Produktionsprozesses Rechnung getragen
gegenüber der Spezialchemie an Bedeutung. Hauptursa­
werden. Damit erhöht sich insgesamt die Effizienz der Inves­
che hierfür ist das energiepolitische Umfeld in Deutschland.
Dementsprechend sanken die Investitionen der Basischemie, titionen.
Aufgrund des höheren Wachstums werden die Investiti­
während die übrigen Chemiesparten und auch die Pharma­industrie ihre Investitionen zwar durchaus ausdehnen konnten, onen in der Spezialchemie steigen (real um 0,2 Prozent pro
aber tendenziell weniger Sachanlageinvestitionen benötigen. Jahr). Da die Spezialchemie weniger anlagenintensiv ist, wird
das Produktionsplus mit nahezu konstanten Sachanlagein­
Die Hauptursache für die Investitionszurückhaltung war
vestitionen zu erreichen sein. Die Investitionen im Pharma­
aber das geringe Marktwachstum. Der europäische Absatz­
bereich werden mit einem Plus von real 0,5 Prozent pro Jahr
markt ist in den vergangenen Jahren schwächer gewachsen
am stärksten zulegen können. Grund hierfür sind die guten
als andere Absatzmärkte. Investitionsentscheidungen fielen
oftmals zugunsten anderer Standorte aus. So stiegen die Aus­ Wachstumspotenziale. Der Strukturwandel in der Branche
landsinvestitionen in der Vergangenheit deutlich dynamischer wird durch die Investitionsentscheidungen beschleunigt.
nisse gilt es dringend abzubauen. Grundlagen für Innovatio­
nen in der Chemie sind neben Wissenschaft und Forschung
vor allem hochqualifiziertes Personal. Dabei wird sich durch die
Digitalisierung und durch den verstärkten Bedarf im Bereich
der Spezialchemie und der Pharmazeutika nicht nur das Anfor­
derungsprofil an die Mitarbeiter bei Forschung und Entwick­
lung ändern, sondern auch die qualitativen Anforderungen für
die Ausbildung und für die sonstigen akademischen Mitarbei­
ter werden steigen. Das Vorhandensein spezifischer Kenntnisse
wird im Wettbewerbsprozess immer bedeutender.
37
Wachstumschancen für die deutsche Chemie
Während die schwache Investitionsentwicklung in
Deutschland eine Fortsetzung des Trends der Vergangenheit
ist, ist die nun ebenfalls schwache Investitionsdynamik bei
den globalen Investitionen eine Abkehr von der Entwicklung
der vergangenen Jahre.
Denn mit Beginn des neuen Jahrtausends waren die
weltweiten Investitionen in der chemischen Industrie kräftig
gewachsen – insbesondere im Bereich Chemieanlagen. An­
getrieben wurde das Wachstum vor allem durch die hohe
Investitionsdynamik in China. Die dort stattfindende Indus­
trialisierung mit der besonderen Fokussierung auf die Che­
mieindustrie ließ die Investitionen förmlich explodieren. Auch
in anderen Schwellenländern – vor allem im Nahen Osten –
stiegen die Investitionen kräftig.
Dagegen war die Investitionsdynamik in den Industrie­
ländern verhalten. Die Wachstumsaussichten insbesondere
in Europa waren deutlich schlechter als in den Schwellenlän­
dern, so dass Investitionsentscheidungen oft zugunsten der
Schwellenländer getroffen wurden. In vielen Industrieländern
fand ein Wandel von der Basischemie zur Spezialchemie mit
deutlich geringerer Investitionsneigung für Sachanlagen statt.
Die Vereinigten Staaten erlebten sogar Anfang der 2000er
Jahre eine De-Industrialisierung, bei der auch die Chemie­
industrie Anteile an der Wertschöpfung verloren hat.
Während in den USA der Schiefergasboom eine Trend­
wende brachte, setzte sich in den übrigen Industrieländern
die schwache Investitionstätigkeit auch in der jüngsten Ver­
gangenheit fort.
Im Prognosezeitraum nimmt nun die Investitionsdyna­
mik in allen Ländern weltweit ab. Die globalen Investitio­
nen in der Chemie- und Pharmaindustrie nehmen nur noch
38
um 0,7 Prozent pro Jahr zu. Weiterhin besteht ein Unter­
schied zwischen der Dynamik in den Schwellenländern und
in den Industrieländern. Aber der Unterschied zwischen den
Wachstumsraten fällt nur noch gering aus, so steigen die In­
vestitionen beispielsweise in China nur noch um jährlich
knapp 1 Prozent, in den USA um 0,5 Prozent und in der Euro­
päischen Union sinken sie um 0,7 Prozent. Damit spiegelt sich
im Prognosezeitraum die schwache Investitionsdynamik der
deutschen Chemie auch weltweit wider.
In den Schwellenländern macht sich die insgesamt nied­rigere Wachstumsdynamik bemerkbar. Das Nachfragewachs­
tum schwächt sich ab. Teilweise sind erhebliche Überkapa­
zitäten vorhanden. Auch in den Schwellenländern gewinnen
Spezialchemikalien und Pharmazeutika an Bedeutung,
wodurch sich die Investitionsneigung insgesamt verringert.
In den Industrieländern setzt sich der Strukturwandel fort.
Die Basischemie verliert in vielen Ländern an Bedeutung.
Durch die Überkapazitäten in den Schwellenländern steigt
der Importdruck. Das nachlassende Nachfragewachstum aus
den Schwellenländern kann nicht durch Wachstum aus den
­Industrieländern kompensiert werden. Ein zusätzlicher Kapa­
zitätsaufbau ist damit nicht erforderlich. Die Digitalisierung
findet im Zuge der regulären Investitionen statt, führt aber
nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Investitionen. In den
USA läuft der Schiefergaseffekt allmählich aus. Danach nor­
malisiert sich das Investitionsgeschehen. Die starke Verschie­
bung der Investitionsanteile setzt sich daher nicht fort.
Fazit
Fazit
Die deutsche Chemieindustrie hatte sich rasch von den Rück­
schlägen der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 erholt. Zu
Beginn des Jahres 2011 lag die Produktion wieder auf dem
Vorkrisenniveau und die Branche blickte mit Zuversicht in die
Zukunft. Dann kam ein erneuter Rückschlag. Wegen der Eu­
rokrise rutschte Europa in die Rezession. Deutschland selbst
stand zwar noch vergleichsweise gut da, doch die europä­
ische Industrieproduktion war rückläufig. Damit brach auf
dem Heimatmarkt der deutschen Chemie die Chemienach­
frage weg und die Unternehmen drosselten die Produktion.
Im Jahr 2014 war die Schwächephase überwunden, weil sich
nun die europäische Wirtschaft erholte. Aber bereits 2015
geriet die Weltwirtschaft erneut in schwieriges Fahrwasser.
Diesmal kamen die Hiobsbotschaften aus den Schwellenlän­
dern. Brasilien und Russland rutschten in eine tiefe Rezession,
die sich auch auf die Nachbarländer auswirkte. Und in China
schwächte sich das Wirtschaftswachstum erheblich ab. Unter
dem Strich ist die deutsche Chemieproduktion seit 2011 kaum
gewachsen.
Die gute Nachricht dieser Studie lautet: Die deutsche
Chemieindustrie kann bis 2030 an die Erfolge der Vergangen­
heit anknüpfen. Das Chemiegeschäft ist global gesehen ein
dynamischer Wachstumsmarkt, der auch den deutschen Che­
mieunternehmen gute Entwicklungschancen bietet. Im Pro­
gnosezeitraum steigt die globale Chemienachfrage um 3,4
Prozent pro Jahr und damit schneller als die Industrieproduk­
tion (3,2 Prozent) oder das globale BIP (2,5 Prozent).
Das reale Produktionsvolumen der deutschen Chemie
steigt von 190 Milliarden Euro im Jahr 2013 bis 2030 um 30
Prozent auf 246 Milliarden Euro. Mit durchschnittlich 1,5
Prozent pro Jahr wächst die Chemieproduktion damit etwas
dynamischer als die Industrie oder die Gesamtwirtschaft. Mit
dem globalen Chemiewachstum kann die deutsche Chemie
im Prognosezeitraum zwar nicht ganz Schritt halten, doch die
Wachstumsunterschiede zu den wichtigsten Chemienatio­
nen haben sich gegenüber der Vorgängerstudie verringert.
Deutschland verliert daher weniger stark Weltmarktanteile
und bleibt auch in Zukunft einer der bedeutendsten Chemie­
produzenten der Welt.
Zu den Stärken der deutschen Chemie zählen vor allem
der starke Industrieverbund mit der daraus resultierenden
Ressourceneffizienz und die hohe Innovationskraft nicht nur
der eigenen Branche, sondern der deutschen Wirtschaft ins­
gesamt mit ihren starken Leitbranchen. Den Unternehmen
der chemischen Industrie ist aber bewusst, dass ihnen der
Erfolg nicht in den Schoß fallen wird. Im Gegenteil: Der inter­
nationale Wettbewerb wird an Intensität zunehmen. Die Un­
ternehmen setzen dabei auf die bekannten Strategien:
Chancen
AA
der Globalisierung nutzen: Die Wachstumszent­
ren der Chemienachfrage liegen in den Schwellenländern
Asiens. Die Globalisierungsstrategie beinhaltet neben dem
Exportgeschäft auch den Ausbau von Produktionskapazitä­
ten im Ausland.
Fokussierung auf Spezialchemikalien und Pharma: Basis­
AA
chemikalien werden in Zukunft überwiegend für den Eigen­
bedarf in Europa produziert. Demgegenüber kann die
Branche bei Spezialchemikalien und Pharmazeutika im Inund Ausland punkten.
Innovationsoffensive starten: Zukunftschancen bieten sich
AA
der deutschen Chemie vor allem durch Produkt- und Pro­
zessinnovationen, aber auch durch neue Geschäftsmodelle.
Die Branche weitet die Forschungsetats kräftig aus. Die Un­
ternehmen arbeiten daran, interne Innovationshemmnisse
abzubauen und innovative Produkte schneller auf den Markt
zu bringen. Dabei beziehen sie zunehmend auch disruptive
Technologien ein, die bisher oftmals vernachlässigt wurden.
Ressourceneffizienz erhöhen: Als rohstoff- und energiein­
AA
tensive Branche ist die Chemie schon allein aus wirtschaft­
lichen Überlegungen heraus bestrebt, ressourcenschonend
zu produzieren. Darüber hinaus fühlen sich die Unterneh­
men der Nachhaltigkeit verpflichtet, so dass sie kontinuier­
lich ihre Ressourceneffizienz erhöhen. Allerdings müssen
sich die dazu notwendigen Investitionen im internationalen
Wettbewerb rechnen. Investitionen erfordern zudem ver­
lässliche politische Rahmenbedingungen, die gerade in der
Energie- und Klimapolitik derzeit nicht gegeben sind. Be­
sonders die Energiewende, aber auch der Emissionshandel
führen zu Planungsunsicherheit.
Rohstoffbasis diversifizieren: Die Rohstoffbasis wird weiter
AA
optimiert. Die Branche setzt zukünftig mehr Biomasse als
Rohstoff ein. Allerdings kann die Grundstoffchemie im Pro­
gnosezeitraum nicht auf fossile Rohstoffe verzichten. Einer
Ausweitung der nachwachsenden Rohstoffe stehen hier be­
grenzte Anbauflächen und im Vergleich zu fossilen Rohstof­
fen hohe Preise entgegen. Trotz großer Anstrengungen ist
hier der technologische Durchbruch noch nicht gelungen.
Produktivität erhöhen: Die Branche wird den technologi­
AA
schen Fortschritt vorantreiben und auch die Chancen der
Digitalisierung nutzen.
Bei aller Zuversicht darf aber nicht übersehen werden,
dass die in der Studie quantifizierten Entwicklungspfade auf
Annahmen beruhen, bei denen auch deutlich andere Entwick­
lungen eintreten können: Beispielsweise sind die Fortsetzung
der Europäischen Integration und die Stabilität der Wirt­
schafts- und Währungsgemeinschaft keineswegs gesichert.
Und ob die deutsche Industrie die Chancen der Digitalisie­
rung und Vernetzung (Industrie 4.0) erfolgreich meistert, ist
ebenfalls nicht sicher.
Es kann also auch anders kommen. Die aufgezeigten Ent­
wicklungen können sowohl durch exogene Schocks als auch
durch wirtschaftspolitische Weichenstellung beeinflusst
werden. Um dieses zu verdeutlichen, hatte die Vorgänger­
studie mit Hilfe von alternativen Szenarien aufgezeigt, dass
es für die deutsche Gesamtwirtschaft, die Industrie und die
Chemie nur dann eine erfolgreiche Zukunft geben wird, wenn
zum einen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen
in Berlin und Brüssel dies ermöglichen und zum anderen die
Weltwirtschaft insgesamt auf Wachstumskurs bleibt.
Nach den aktuellen Einschätzungen haben beide Vor­
aussetzungen zukünftig noch Gültigkeit. Zwar haben sich die
Wachstumsperspektiven insbesondere für die Schwellenlän­
der, aber auch für viele Industrieländer eingetrübt. Als Kon­
39
Fazit
sequenz hieraus wird das globale Chemiewachstum bis 2030
mit 3,4 Prozent pro Jahr deutlich niedriger ausfallen als in der
alten Basisprognose (+ 4,5 Prozent).
Mit dieser Wachstumsabschwächung kann die deutsche
Chemie insgesamt aber gut leben. Zwar hat sich auch hierzu­
lande das Tempo verlangsamt, aber längst nicht so stark wie
in der Weltwirtschaft insgesamt. Die Folge: Zukünftig verliert
die deutsche Chemie weniger stark Weltmarkt- und Welt­
handelsanteile als noch zu Beginn dieses Jahrtausends. Der
deutsche Anteil an der globalen Chemieproduktion sinkt
nach den neuen Berechnungen bis 2030 auf 3,8 Prozent. Die
Vorgängerstudie war noch von einem Rückgang auf 3 Prozent
ausgegangen.
Das globale Chemiegeschäft war in den zurückliegenden
Jahren durch neue Fördertechnologien im Öl- und Gasge­
schäft und durch das chinesische Wirtschaftswunder gravie­
renden Umwälzungen ausgesetzt. Das verdeutlicht ein Blick
auf das globale Investitionsgeschehen in der Chemieindus­
trie: In den zurückliegenden 13 Jahren gab es in der Che­
miebranche weltweit gesehen einen Investitionsboom. Die
realen Investitionen stiegen um 5,1 Prozent pro Jahr. Neue
Anlagen entstanden in den rohstoffreichen Ländern und in
den aufstrebenden Schwellenländern – allen voran in China.
Der Anteil Chinas an den globalen Chemieinvestitionen stieg
von 6,3 Prozent im Jahr 2000 auf 34,6 Prozent im Jahr 2013.
Bei einer sich insgesamt abschwächenden weltwirtschaftli­
chen Dynamik und angesichts des großen Kapazitätszuwach­
ses in China, den USA oder dem Nahen Osten wird sich nicht
nur das Wachstum der globalen Chemieinvestitionen ver­
langsamen, sondern auch die Wachstumsraten werden sich
stärker angleichen. Damit gibt es im Prognosezeitraum nur
noch geringe Anteilsverschiebungen.
Die zweite Bedingung der Vorgängerstudie für eine er­
folgreiche Zukunft der deutschen Chemieindustrie lautete:
Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Berlin und
Brüssel müssen stimmen. Auch hier ist die neue Prognose zu­
versichtlich. Denn im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde
deutlich, dass eine starke Industrie für Wachstum und Wohl­
stand in Deutschland unverzichtbar ist. In Berlin und Brüssel
wurden aus dieser Erkenntnis erste industriepolitische Kon­
sequenzen gezogen. Positive Ansätze sind erkennbar – bei­
spielsweise durch das Bündnis „Zukunft der Industrie“ oder
die Initiative „Better Regulation“.
Bisher haben sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbe­
dingungen für die industrielle Produktion allerdings kaum
verbessert. Hier ist noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Ins­
besondere die Energie- und Klimapolitik bleibt die Achilles­
ferse der deutschen Industrie. Denn Energiekosten sind ein
wichtiger Faktor im globalen Standortwettbewerb. Häufig
wechselnde energiepolitische Vorgaben und unzählige staat­
liche Eingriffe in den Energiemarkt erzeugen eine anhal­
tend hohe Planungsunsicherheit in den Unternehmen – und
damit Zurückhaltung bei Investitionen. Laufen die Kosten
für die Energiewende aus dem Ruder, wächst in der Chemie
als energieintensiver Branche das Risiko, dass interne Wert­
schöpfungsketten reißen. Damit käme es auch zu gravieren­
den Einschnitten im gesamten Industrienetzwerk. Eine solche
Entwicklung erwarten wir derzeit nicht, denn die Studie geht
davon aus, dass die Energie- und Klimapolitik auch zukünf­
tig Rücksicht auf die im Wettbewerb stehenden energieinten­
40
siven Unternehmen nimmt. Zudem wird die Schere bei den
Energiekosten zwischen Deutschland und der Konkurrenz in
den USA voraussichtlich nicht weiter aufgehen.
Dennoch bleiben die erheblichen Nachteile des Stand­
orts Deutschland bei den Energie- und Rohstoffkosten
im Prognosezeitraum bestehen. Und dies dämpft die Ent­
wicklungsmöglichkeiten für die deutsche Chemieindustrie.
Das hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Oxford Econo­
mics im Auftrag des VCI nachgewiesen (siehe Seite 7). Seit
2008 hat sich die Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestand­
orts Deutschland verschlechtert. Und hierfür waren vor allem
wachsende Nachteile bei den Rohstoff- und Energiekosten
verantwortlich: Die Kombination aus niedrigen Gaspreisen in
den USA oder dem Nahen Osten bei gleichzeitigen Ölpreisen
um 100 US-Dollar je Barrel und einer zunehmend den Indus­
triestrom verteuernden Energiewende führte besonders in
der deutschen Grundstoffchemie zu Einbußen im Exportge­
schäft und zu einem zunehmenden Importdruck.
Zwar hat der jüngste Rohölpreisverfall den Wettbewerbs­
nachteil der deutschen Grundstoffchemie erheblich gemin­
dert. Doch in Zukunft muss wieder mit steigenden Ölpreisen
gerechnet werden. Im Prognosezeitraum bleiben die Energieund Rohstoffkostennachteile der deutschen Chemie im Ver­
gleich zur Konkurrenz in Nordamerika und dem Nahen Osten
weitgehend bestehen. Gegenüber China, dem weltgröß­
ten Chemieproduzenten, hat die deutsche Chemie hingegen
auch zukünftig keinen Wettbewerbsnachteil bei den Energieund Rohstoffkosten.
Um in der Erfolgsspur zu bleiben, besteht für Unter­
nehmen und Politik jedoch weiterhin Handlungsbedarf. Die
Studie „Innovationen den Weg ebnen“ hat gezeigt, dass die
Unternehmen ihre Innovationskraft steigern müssen (siehe
Seite 35). Das heißt zum Beispiel: interne Hemmnisse für Inno­
vationsprozesse ausräumen und die Innovationskultur verbes­
sern. Dabei benötigen die Unternehmen die Unterstützung
der Politik. Denn es gibt eine Reihe von externen Hemmnis­
sen, die den Weg innovativer Produkte vom Labor zum Markt
unnötig erschweren. Die aktuellen Projektionen haben bereits
eine Verbesserung der industriepolitischen und innovations­
politischen Rahmenbedingungen unterstellt. Hier muss die
Politik noch liefern, damit die gezeigten Entwicklungspfade
realisiert werden können.
Dann gilt: Eine nachhaltige Entwicklung der globalen
Wirtschaft ist auf mehr Chemieprodukte angewiesen. Die
deutsche Branche kann mit hochwertigen Lösungen für an­
spruchsvolle Kunden im Inland und auf allen Auslandsmärkten punkten. Sie wird dadurch auch künftig weiter wachsen –
in einem Verbund von Pharma, Basis- und Spezialchemie.
Es lohnt sich also, in die deutschen Chemieunternehmen zu
investieren.
Projektansatz und Methodik
Projektansatz und Methodik
(Internationale Energieagentur) oder auf Einschätzungen von
Experten aus der Chemieindustrie.
VIEW setzt sich aus einzelnen Ländermodellen zusammen,
die wechselseitig über ihre außenwirtschaftlichen Variablen in­
teragieren. Die im Modell enthaltenen Länder lassen sich grob
in zwei Gruppen unterteilen: Die Modelle für die 32 führen­
den Industrieländer (EU 24, Norwegen, Schweiz, Kanada, USA,
Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland) sind struktu­
rell gleich aufgebaut. Sie umfassen ca. 330 makroökonomische
Variablen sowie eine Vielzahl außenwirtschaftlicher Parame­
ter (Importnachfrage anderer Länder, Preis- und Lohnrelati­
onen, Wechselkurse etc.). Die Modelle der Schwellenländer
sind ähnlich strukturiert, weisen aber aufgrund der schlechte­
ren Datenlage einen geringeren Detaillierungsgrad auf. Die
Entwicklung der Wirtschaftsbereiche wird in auf dynamischen
Input-Output-Tabellen basierenden Submodulen der Länder­
modelle bestimmt. In einer erweiterten Version des Modells
zum einen mit Hilfe eines Top-down-Ansatzes (PrognosAA
können auch die Handelsströme zwischen den Ländern nach
Modell „VIEW“), der sich der chemischen Industrie von
27 Gütergruppen differenziert dargestellt werden.
oben nähert und die Makroperspektive repräsentiert. Aus­
Die zugrunde liegende Modellphilosophie entzieht sich
gehend von den globalen Megatrends ermöglicht diese
Herangehensweise eine detaillierte Prognose der Weltwirt­ hinsichtlich der verschiedenen ökonomischen Schulen einer
eindeutigen Kategorisierung. Zusammengefasst stellen sich
schaft von der Gesamtwirtschaft bis hin zu den Entwicklun­
gen in einzelnen Industriebranchen. Dieses Vorgehen wird die entscheidenden funktionalen Zusammenhänge wie folgt
dar: Die Entwicklung des aktuellen Outputs eines Landes
der starken internationalen Verflechtung der chemischen In­
wird durch die Ausgabenentscheidungen der vier Sektoren
dustrie gerecht.
– private Haushalte, Unternehmen, Staat und übrige Welt –
zum anderen mit Hilfe eines Bottom-up-Ansatzes (VCIAA
getrieben und durch die (kurzfristig) gegebenen Produkti­
Prognos-Branchenmodell „Chemie“). Von den einzelnen
onskapazitäten begrenzt. Liegt der tatsächliche Output über
Produktgruppen ausgehend ermöglicht diese Mikro­
dem Niveau, das mit der trendmäßigen Normalauslastung
perspektive, divergierende Entwicklungen innerhalb der
der Produktionskapazitäten zu realisieren ist, beschleunigt
Chemie und Veränderungen der Wettbewerbsfähigkeit
sich das Wachstum des Lohn- und Preisniveaus und erhöht
der Chemiestandorte in der Prognose zu berücksichti­
damit auch das Zinsniveau. Dies führt zu einer Dämpfung
gen. Darüber hinaus liefert das Branchenmodell „Chemie“
der realen Verwendung und einer Rückkehr des tatsächli­
neben der Prognose von Produktion und Handelsströmen
chen Outputs auf sein Trendniveau. Da die kurzfristig gege­
auch Entwicklungen für andere Branchenindikatoren wie
benen Produktionskapazitäten das Resultat vorangegangener
Beschäftigung, Forschungsetats, Investitionen oder Ener­
Ausgaben – genauer Investitionsentscheidungen – darstel­
gieverbrauch.
len, beeinflussen sich der aktuelle Output und der Trendout­
put in der mittleren Frist wechselseitig. So wird beispielsweise
Das Prognos-Makromodell VIEW
eine länger anhaltende Schwächephase in den Modellen auch
Die Prognos AG verfügt mit VIEW über ein globales
das Trendwachstum einer Volkswirtschaft dämpfen: Bedingt
Prognose- und Simulationsmodell, welches detailliert und
konsistent die zukünftige Entwicklung der Weltwirtschaft dar­ durch unterlassene Investitionen ist der Kapitalstock kleiner,
älter und damit auch weniger produktiv, zudem erhöht sich
stellt. Interaktionen und Rückkopplungen zwischen den ein­
mit der steigenden Arbeitslosigkeit auch deren strukturelle
zelnen Ländern werden in dem Modell explizit erfasst und
Komponente. Die Geld- und Fiskalpolitik eines Landes wird
modelliert. Seine analytische Aussagekraft geht daher weit
auf der Basis der Taylor-Regel bzw. einer exogenen Vorgabe
über die isolierter Ländermodelle mit exogen gegebenen
weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen hinaus. In der aktu­ für die Sollgröße der Schuldenstandsquote endogen in den
ellen Version umfasst VIEW die 42 bedeutendsten Länder der Ländermodellen bestimmt.
Das VIEW-Modell wurde gegenüber der in der Vorgän­
Welt und damit über 90 Prozent der globalen Wirtschaftsleis­
gerstudie verwendeten Version von Prognos weiterentwickelt.
tung.
Dabei ergaben sich im Wesentlichen folgende Verbesserun­
Ausgehend von zentralen exogen gesetzten Annahmen
gen:
wie etwa der Demografie, der zukünftigen Entwicklung des
internationalen Ölpreises oder der Konsolidierungsvorgaben AAIntegration eines Proxys für das langfristige Wachstums­
für die staatlichen Haushalte werden mit VIEW Prognosen für
potenzial eines Landes, um die langfristigen Auswirkungen
die Weltwirtschaft und die einzelnen Länder erstellt. Diese
der Finanzkrise 2008/2009 auf das Potenzialwachstum der
Annahmen beruhen entweder auf Prognosen anderer Insti­
Volkswirtschaften zu berücksichtigen;
tutionen wie beispielsweise der Vereinten Nationen, der IEA
Die vorliegende Studie entstand in enger Kooperation des
Wirtschaftsforschungsinstituts Prognos mit dem Verband der
Chemischen Industrie (VCI). Die Studie wurde weitgehend im
Jahr 2015 erstellt. Das Basisjahr für die Prognose ist 2013. Dies
entspricht dem aktuellen Stand der amtlichen Statistik zur Zeit
der Modellberechnungen.
Ziel des Projektes war die Aktualisierung der Langfrist­
prognosen für die deutsche Chemieindustrie bis zum Jahr
2030. Auf der Grundlage der umfassenden und detaillier­
ten Prognose- und Simulationsmodelle der Prognos AG und
der Expertise aus VCI-Mitgliedsunternehmen, Landes- und
Fachverbänden sowie europäischen Chemieverbänden ist
es gelungen, ein detailliertes Zukunftsbild der chemischen
Industrie zu zeichnen. Wie schon bei der Vorgängerstudie
haben wir uns der Prognose auf zwei Wegen genähert:
41
Projektansatz und Methodik
Berücksichtigung
AA
der institutionellen Rahmenbedingungen
mit Hilfe von Regulierungsindizes;
Berücksichtigung der Auswirkungen von FuE-Ausgaben auf
AA
die Exportperformance;
stärkere Differenzierung bei den Staatsfinanzen bzw. bei
AA
der Fiskalpolitik;
Berücksichtigung der Auswirkungen von Veränderungen
AA
der Einkommensverteilung auf die Konsumdynamik.
VCI-Prognos-Branchenmodell „Chemie“
Aufbauend auf den Ergebnissen des Makromodells
wurden im Rahmen des sogenannten Bottom-up-Prozesses
die Entwicklungen der Chemieindustrie in Deutschland, den
USA sowie der Europäischen Union detailliert untersucht.
Für die Analyse wurde die Chemie in 11 Produktgruppen
eingeteilt, die für den vorliegenden Bericht wiederum zu drei
Chemiesegmenten (Basischemie, Spezialchemie und Pharma)
zusammengefasst wurden. Die Analyse erfolgte aber auf
Ebene der Produktgruppen. Für jede Produktgruppe waren
Produktion, Exportstruktur, Importe und die inländische
Nachfrage bekannt. Darüber hinaus wurden weitere Kennzah­
len wie Forschungsintensität, Energieverbrauch oder Rohstoff­
einsatz, falls nicht in der amtlichen Statistik vorhanden, mit
Hilfe von Branchenexperten abgeschätzt.
Das Modell ermöglicht eine Vorhersage der Produktions­
entwicklung einzelner Produktgruppen in Abhängigkeit von
der Wachstumsdynamik der Kundenbranchen im In- und Aus­
land. Die Dynamik der Chemiemärkte floss als Ergebnis des
Makromodells in das Branchenmodell ein. Das Branchenmo­
dell wiederum erlaubt nun zusätzlich die Berücksichtigung
von Veränderungen der Standortqualität für einzelne Pro­
duktgruppen. Beispielsweise wirken sich Energiekostennach­
teile in der energieintensiven Basischemie stärker aus als in
der Spezialchemie. Verschlechterungen der Standortqua­
lität wurden im Modell als zunehmender Importdruck und
geringere Exportdynamik (z. B. „carbon leakage“) model­
liert. Dieser Ansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass sich für
unterschiedliche Produktgruppen das Wettbewerbsumfeld
unterschiedlich entwickeln kann.
Mit Hilfe des Makromodells wurde zunächst die inlän­
dische Nachfrage einzelner Produktgruppen aus dem
Wachstum der wichtigsten Kundenindustrien abgeleitet.
Anschließend wurde für jede Produktgruppe die Exportnach­
frage aus der spezifischen Exportstruktur der Produktgruppe
berechnet. Dabei flossen auch die Veränderungen der Wett­
bewerbsfähigkeit in die Berechnungen ein. Für Deutschland
wurde zusätzlich zwischen der Nachfrage aus der Europäi­
schen Union und dem restlichen Ausland differenziert. Die
Gründe für diese Aufteilung sind:
Unterschiede
AA
Unterschiede
AA
bei den Transportkosten;
in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den
Zielmärkten;
unterschiedliche
AA
Bedeutung der Zielmärkte für die einzel­
nen Produktgruppen.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Ableitung der Pro­
duktion sind die Chemieimporte. Sie wurden für jede Pro­
duktgruppe aus der Entwicklung von Inlandsnachfrage und
dem zukünftigen Importdruck berechnet. So fließt die Wett­
42
bewerbsfähigkeit einzelner Chemiesparten auch auf der Im­
portseite ein.
Durch die Zusammenführung von Inlandsnachfrage, Che­
mieimporten und Auslandsnachfrage (Exporte) konnte so für
jede Produktgruppe das Wachstum der Produktion berech­
net werden.
Die Produktionsentwicklung in den einzelnen Pro­
duktgruppen war die Basis für die Herleitung weiterer In­
dikatoren. Neben der Beschäftigung, dem Energie- und
Rohstoffverbrauch wurden die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung sowie die Sachanlageinvestitionen abgeleitet.
Annahmen über Effizienzsteigerungen (Produktivität, Energieund Rohstoffeffizienz, Verbesserungen in den FuE-Prozessen
etc.) standen im Vordergrund der Berechnungen.
Beide Ansätze – also Top-down- und Bottom-up-Ansatz –
wurden mit Branchenexperten plausibilisiert und in einem
letzten Schritt miteinander verknüpft. Die modellgestützte
gesamtwirtschaftliche Prognose wurde so mit branchenspezi­
fischen und produktgruppenspezifischen Entwicklungen der
Chemieindustrie ergänzt. Im Ergebnis weicht diese Prognose
leicht von der Prognos-Basisprognose – veröffentlicht als
„Prognos Weltreport“ – ab.
TAB. 1: PRODUKTGRUPPEN DER CHEMISCHEN INDUSTRIE
Basischemikalien
Anorganische Grundstoffe und Industriegase
Primärchemikalien
Organische Zwischenprodukte
Standardpolymere
Düngemittel
Spezialchemikalien
Engineering Polymers
Konsumchemikalien
Farben und Lacke
Schädlingsbekämpfungs- und Pflanzenschutzmittel
Andere Spezialitäten
Pharmazeutika (inkl. Tiergesundheit)
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1
Bevölkerung, Bevölkerungswachstum und Alterung in ausgewählten Ländern
9
Abbildung 2
Anteil des weltweiten Handels (Exporte und Importe) am globalen BIP in Prozent, 2013–2030
11
Abbildung 3
Anteile der Industrie- und Schwellenländer an den gesamtwirtschaftlichen realen FuE-Ausgaben in Prozent
12
Abbildung 4
Ölpreis im Jahresdurchschnitt, in US-Dollar je Barrel (real)
12
Abbildung 5
Preisvergleich Erdgas USA - Europa - Japan, Referenzpreise der Handelspunkte in Euro/MWh
13
Abbildung 6
Entwicklung der energiebedingten CO2-Emissionen nach Regionen, in Gigatonnen
14
Abbildung 7
Schuldenstandsquoten ausgewählter Länder in Prozent des Bruttoinlandsprodukts
15
Abbildung 8
Globales BIP-Wachstum, 2013–2030
16
Abbildung 9
BIP-Entwicklung in den europäischen Krisenländern
16
Abbildung 10
Verwendungsstruktur des chinesischen Bruttoinlandsprodukts
18
Abbildung 11
Globale Entwicklung der realen Produktion der Branchen
19
Abbildung 12
Globale Chemie- und Pharmaproduktion, 2013–2030
20
Abbildung 13
US-Chemieproduktion in Mrd. Euro, 2013–2030
21
Abbildung 14
Außenhandel der US-Chemie- und -Pharmaindustrie, 2013–2030
22
Abbildung 15
Außenhandel der EU-Chemie- und -Pharmaindustrie, 2013–2030
23
Abbildung 16
Chemie- und Pharmaproduktion in der Europäischen Union, 2013–2030
23
Abbildung 17
BIP-Wachstum in Deutschland in Prozent pro Jahr, Wachstumsbeiträge der Komponenten 24
Abbildung 18
Anteile der Industrie an der Bruttowertschöpfung wichtiger Länder
25
Abbildung 19
Industrieproduktion in Deutschland, 2013–2030
26
Abbildung 20
Durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von BIP, Industrie- und Chemieproduktion
27
Abbildung 21
Reale Produktionswerte der deutschen Chemieindustrie, Anteile der Sparten, 2013–2030
28
Abbildung 22
Handel mit pharmazeutischen Erzeugnissen aus Deutschland, 2013-2030
28
Abbildung 23
Reale Produktionswerte von Spezialchemikalien in Deutschland, 2013–2030
29
Abbildung 24
Handel mit Basischemikalien aus Deutschland, 2013–2030
30
Abbildung 25
Energieverbrauch der chemischen Industrie nach Sparten
32
Abbildung 26
Energieverbrauch der deutschen Chemieindustrie seit 1990
32
43
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 27
Ressourcenverbrauch in der organischen Chemie in Tonnen, 2013 und 2030
34
Abbildung 28
Reale Forschungsausgaben der deutschen Chemieindustrie, 2013–2030
35
Abbildung 29
Forschungsintensität der deutschen Chemieindustrie
35
Abbildung 30
Anteile an der globalen Chemie-/Pharmaforschung
36
Abbildung 31
Reale Investitionen der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie
36
Abbildung 32
Reale Investitionen der deutschen Chemieindustrie, 2013–2030
37
Abbildung 33
Anteile an den weltweiten Investitionen der Chemie- und Pharmaindustrie, 2013–2030
37
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1
44
Produktgruppen der chemischen Industrie
42
Verband der Chemischen Industrie e. V. (VCI)
Mainzer Landstraße 55
60329 Frankfurt am Main
Telefon: +49 69 2556-0
Telefax: +49 69 2556-1471
E-Mail: [email protected]
Internet: www.vci.de
Stand: April 2016
Auflage: 1.500 Quellen: Prognos AG und Verband der Chemischen Industrie e. V., wenn nicht anders angegeben
Gedruckt auf Papier aus nachhaltiger Waldwirtschaft.
Getragen von:
Wirtschaftsverband VCI, Gewerkschaft
IG BCE und Arbeitgeberverband BAVC
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