Hört uns jemand? Kirche in der Öffentlichkeit 2030

Werbung
VP Dr. Thies Gundlach, Kirchenamt der EKD
„Hört uns jemand? Kirche in der Öffentlichkeit 2030?“
Vortrag 48. Jahrestagung Öffentlichkeitsarbeit „Alles bleibt anders!?“
Evangelisches Johannisstift in Berlin-Spandau
Sehr geehrte Damen und Herren liebe Schwestern und Brüder!
Herzlichen Dank für die ehrenvolle Einladung und die Möglichkeit, mit Ihnen
gemeinsam nachzudenken über eine Frage, die niemand beantworten kann! 2030 ist
weit weg; es geht mir mit diesem selbstgestellten Thema wie so manches Mal: Man
wird angefragt, fühlt sich geehrt, hat eine gute Idee, sagt mutig zu und nennt einen
Titel, und ist sehr zufrieden. Da das Ganze aber Monate vor dem Termin stattfindet,
ist alle Zeit der Welt, sowohl die Veranstaltung wie den Titel und die gute Idee zu
vergessen. Und dann guckt mich der Termin an und fragt: Was hast Du Dir dabei
bloß gedacht? „Hört uns jemand? Kirche in der Öffentlichkeit 2030?“ ich versuche,
dieser Überschrift hinterher zu jagen mit einer Doppelthese (steht ja in guter
Tradition):
Die Quantität derjenigen, die ungeübt im Zuhören sind, schlägt bis 2030 in eine
bisher ungeahnte Qualität der Verständnislosigkeit um.
Die Qualität derjenigen, die etwas hören wollen, schlägt bis 2030 in eine bisher
ungeahnte Quantität der Neugier um.
Wir werden zunehmend religiös neugierigen Analphabeten gegenüber stehen.
Öffentlichkeitsarbeit kann auf keinerlei Voraussetzungen mehr bauen! Sie verliert
Anknüpfungspunkte
und
selbstverständliche
Bezugsrahmen.
Religiöse
Kommunikation redet zunehmend in fremder Sprache von fremden Inhalten in
fremdelnde Ohren. Und je unbekannter Kernbestände wie Evangelium, Jesus
Christus, Kreuz, Bibel, Gebet usw. werden, desto analogieloser wird die
kommunikative Herausforderung:
1
Erstmals in der Geschichte des Christentums müssen wir in einem religionsleeren
Raum Christus verkündigen (These von Eberhard Tiefensee), also ohne Anknüpfung
und Apologie, ohne Synkretismusmöglichkeit oder Überbietungschance. Der Himmel
ist nicht nur anders besetzt, sondern er ist geschlossen und leer.
Natürlich ist das eine zugespitzte Beschreibung! Natürlich wird es auch noch viele
andere kommunikative Situationen geben, die Voraussetzungen machen können.
Die Religionsdiskurse der Profis werden nicht aufhören, es wird interne
Kirchenkommunikation geben. Aber entscheidend für die Zukunftstrends der
Öffentlichkeitsarbeit ist diese Frage: Wer hört uns noch zu jenseits derer, die das
Hören noch geübt haben? Denn man kann die Zahl der geübten Hörer relativ genau
aus der neuen KMU V. herauslesen. Wenn man der Frage nachgeht, wer sich noch
religiös sozialisiert weiß bzw. wer seine Kinder religiös sozialisieren will, lautet das
Ergebnis: Quer durch die Alterskohorten nehmen die Werte kontinuierlich ab und
enden bei den heute 15 – 25 Jährigen bei ca. 22 %. Öffentlichkeitsarbeiter müssen
davon ausgehen, dass im Jahre 2030 die mittlere Generation der 40-Jährigen zu 70
– 80 % keine religiöse Vorbildung mitbringen.
Hört uns jemand? Versteht uns jemand? Ich will in drei Schritten versuchen, die
Frage zu bearbeiten: Zuerst erinnere an Selbstverständlichkeiten; sodann will ich
typische Gefährdungen der Öffentlichkeitsarbeit andeuten und zuletzt einige
Perspektiven andeuten. Und dann bin ich gespannt auf die Diskussion.
I.
Selbstverständlichkeiten bis 2030
Auch wenn ich selbst manchmal das Gefühl habe, der letzte Mohikaner zu sein, der
noch der Reformschrift „Kirche der Freiheit“ von 2006 Respekt zollt, will ich doch dort
ansetzen, wo wir damals beim Leuchtfeuer 9 aufgehört haben:
„Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten - Themenmanagement und
Agendasetting bewusst stärken. Im Jahre 2030 ist die evangelische Kirche in der
öffentlichen Wahrnehmung dadurch stark, dass sie gemeinsame Themen und
Positionen vorgibt, die in die Gesellschaft hinein getragen und vertreten werden. Die
professionelle Reflexion dieser Themen in Zuschnitt und Abfolge sowie die
öffentliche Kommunikation der Themen sind die wichtigsten Voraussetzungen für
eine starke und profilierte Präsenz.“
2
Entsprechend gilt, dass „eine Qualitätsoffensive und ein vergleichbarer
Qualitätsstandard … die unerlässliche Voraussetzung“ sei, um überhaupt
Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll machen zu können. (KdF, S. 85 f.)
An dieser Positionierung ist auch 10 Jahre später nichts zu kritisieren: Ohne den
kommunikativen Standards der jeweiligen Gegenwart zu genügen und die
Augenhöhe der allgemeinen Professionalität zu halten, brauchen wir uns über das
Thema „Kirche in der Öffentlichkeit“ nicht weiter zu unterhalten. Allerdings will ich
sagen, dass ich in den 13 Jahren, die ich jetzt für und in der EKD arbeite, in diesem
Feld einen deutlichen Professionalisierungsschub wahrgenommen habe. Wir sind
viel kampagnenfähiger geworden, die Etablierung der Marke Chrismon ist erfolgreich
und mit dem Themenjahren der Luther- bzw. Reformationsdekade haben die
evangelischen Kirchen ein Niveau der Kommunikation erreicht, das noch vor 20
Jahren faktisch undenkbar schien. Und dass auch Ihre – großgeschrieben Zusammenarbeit ein zentraler Faktor bei dieser Entwicklung ist, will ich gerne
unterstreichen. Und bevor Sie es nachher in der Diskussion sagen, sage ich es lieber
selbst: Dieser anerkennungswürdige Professionalisierungsschub schließt nicht aus,
dass wir 1. immer noch besser werden können, und dass wir 2. immer noch dicke
Böcke schießen können, siehe Familienorientierungstext.
Wie aber diese Professionalitätsstandard 2030 aussehen, wohin sich das Internet
bewegt, welch technischen Möglichkeiten entstehen, wie sich kommunikative Freiheit
und digitale Gefangenschaft zueinander verhalten, das ist einzuschätzen ist natürlich
keine theologische Profession. Aber wer die Debatte um die Gefährdungen durch
NSA und Google, durch digitale Spurenewigkeit und dem Ende der informationellen
Selbstbestimmung verfolgt, der ahnt, dass hier Schlachten um die bürgerliche
Freiheit und personale Selbstbestimmung geschlagen werden, die noch lange nicht
entschieden sind.
Auch hier will ich Dank sagen, denn diese medienethische Reflexion von Ihnen ja
auch geführt. Gleichwohl kann ich meinen Eindruck nicht verschweigen, dass die
Öffentlichkeitsarbeit hier doch noch mehr kritische Theologie vertragen könnte. Denn
die
kommunikativen
Modernisierungen
verändern
ja
keineswegs
nur
die
Kommunikation, sondern auch die Humanität des Menschen. Wenn z.B. das alles
aufbewahrende „Buch des Lebens“ bei Gott so sehr ins Diesseits des Netzes
3
gezogen wird das es die „Ewige Erinnerung“ im Internet gibt, dann wird auch das
göttliche
Letztbeurteilen
im
Endgericht
eine
Sache
der
„unvergessbaren
Vergangenheiten“ und "unkaputtbaren Erinnerungen“ des Google-Gedächtnisses.
Und ist die totale Netz-Recherche nicht die Basis aller Skandalisierungslust
gegenwärtiger öffentlicher Kommunikation? Wer könnte eigentlich das geschenkte
Bobbycar für Wulf`s Jüngsten ohne Internet hochziehen? Und wer könnte ohne
Internet
eine
gerichtlich
definitiv
abgeschlossene
Steuerproblematik
eines
Kulturstaatssekretärs noch so skandalisieren, dass ein Rücktritt unvermeidlich wird?
Eines aber wissen wir Christen seit den Anfängen des Glaubens: Wenn nicht Gott
das letzte Urteil über uns spricht, sondern die Menschen übereinander, dann wird es
unbarmherzig und gnadenlos und die Welt zur Hölle.
II.
Gefährdungen
Sie alle wissen natürlich auch, dass man das Jahr 2030 nicht wirklich voraussagen
kann; denn im Blick auf zukünftige Entwicklung kann man entweder nur induktiv
vorgehen und die gegenwärtigen Entwicklungen einfach um 15 Jahre verlängern und
gleichsam linear hochrechnen. Oder man behauptet gleichsam offenbarungsdeduktiv
eine qualitative Veränderung der kommunikativen Landschaft, kann dafür aber auch
nur Vermutungen angeben. Wenn Sie mal 15 Jahre zurückdenken, als wir noch
jünger waren und mehr Haare hatten, was hat sich seither erwartbar geändert und
was hat sich völlig unvermutet eingestellt?
Matthias Horx, zweifellos der teuerste, aber auch interessanteste Zukunftsforscher,
hat letztes Jahr unter dem Titel „Zukunft wagen. Über den klugen Umgang mit dem
Unvorhersehbaren“ (München 2013) überall Angst vor der Zukunft ausgemacht und
quasitheologische Zuversicht unter dem Begriff „evolutionärer Humanismus“ (Julian
Huxley) zu verbreiten versucht. Der Begriff evolutionärer Humanismus spiegelt eine
Haltung, die „die Wirklichkeit nicht mehr ständig denunzieren muss, um die Angst zu
bewältigen; die Wandel bejahen kann, ohne seine Schwierigkeiten zu leugnen; die
Mensch und Natur, aber auch Mensch und Technologien in ein neues, rekursives
Verhältnis setzen“ will. Es geht M. Horx bei dieser Ausgangsthese um die
„Vermutung, dass die Welt noch jung ist, und wir erst am Anfang stehen“, 4
zugegeben eine mir sehr sympathische Aussage. Es geht nicht um Vermutungen
über die Zukunft, sondern um eine innere Haltung gegenüber allem Kontingenten der
Zukunft. Und ehrlich gesagt: Trifft dies zu, sind wir mit der Kernbotschaft von der
Reformation als „Entängstigungsbewegung“ so schlecht nicht aufgestellt. Aber wie
auch immer, es geht nicht um Zukunftsphantasien, die mehr oder weniger
wahrscheinlich eintreten werden, sondern um den Umgang mit unerwarteten
Herausforderungen.
Dabei dürfte auch für 2030 unbestreitbar erwartet werden können, dass der Kampf
um das knappe Gut „Aufmerksamkeit“ immer heftiger werden wird; die Marktdynamik
einerseits und die zurückgehende Zahl der kaufkräftigen Generationen führt zu
immer
ausgefeilteren,
durchdachteren,
auch
perfideren
Methoden,
die
Aufmerksamkeit zu gewinnen. In dieser Schlachtanordnung werden wir angesichts
unseres spezifischen Themas, angesichts der ungeübten Hörerschaft und angesichts
unser begrenzten Ressourcen faktisch eine hochreflektierte Strategie entwickeln
müssen. Denn gegenwärtig verfolgen wir oftmals – Anwesende selbstverständlich
ausgenommen, aber alle anderen - eine Kommunikationsstrategie, die uns m.E. ins
Abseits laufen lässt; ich nenne drei dieser kommunikativen Gefahrenzonen:
a) Zuerst gibt es die Infantilisierungsfalle; wir versuchen händeringend, die
Botschaften und Inhalte unseres Glaubens so volksnah, simpel und niedrigschwellig
auszusagen, dass man es fast immer mit „Kindergottesdienstniveau“ zu tun kriegt.
Gott hat uns alle lieb, immer, überall, jederzeit; Kuschelgott hat F.W.Graf das
genannt! Aber es geht ja nicht darum, Gott böse zu machen oder als gestrengen
Richter zu rekonstruieren, sondern Liebe, Anerkennung, Barmherzigkeit gehaltvoll
auszusprechen. Ein banaler Gott ist gerade dann uninteressant, wenn ich ihn neu
kennenlernen soll. Deswegen ist die Tendenz der Trivialisierung des Geheimnisses
Gottes letztlich eine kontraproduktive Kommunikationsstrategie.
b) Sodann erlebe ich seit Beginn meines Theologiestudiums eine Art
technische Verheißungsfalle; jede Kommunikationsinnovation – von der Einführung
des Faxes bis zum Blackberry, von der Entdeckung des Internets bis zum IPhone,
von der Etablierung der Magazinidee bis zur digitalen Community - wird schnell mit
einer doppelten Botschaft verbunden:
5
1. Wenn wir da nicht schleunigst mitmachen, verlieren wir den Anschluss an die
Moderne. 2. Wenn wir da mitmachen, werden wir ganz neue missionarische Erfolge
erzielen. In aller Regel klappt das nicht, weder ist die Kommunikationskampagne „Wo
wollen sie eigentlich hin?“ Anfang der Nullerjahre der Durchbruch gewesen, noch hat
evangelisch.de die Ziele erreicht, die sie verheißen hatte. Für mich heißt das: runter
temperieren, Fuß vom Behauptungsgas, kritisch erinnern: technische Professionalität
ist
eine
notwendige,
aber
keine
hinreichende
Voraussetzung
für
eine
Kommunikationsstrategie.
c) Und zuletzt die sog. Relevanzfalle: In geistlich verunsicherten Zeiten gerät
der Glaube und seine Kirchen in die Tendenz, proportional zur wachsenden
religiösen Indifferenz die eigene Relevanz zu betonen. Man erklärt die Sinnhaftigkeit
der Religion, macht sie nützlich und brauchbar, man erklärt sich zur „Bundesagentur
für Werte“ oder liefert Sozialkapital zur Humanisierung des Zusammenlebens, man
betont die diakonisch ausgefeilte Nächstenliebe usw., kurzum: Man macht sich und
den lieben Gott nützlich! Und so berechtigt diese Hinweise sind und so schwer
unsere Gesellschaft beschädigt wäre, wenn sich die Kirchen aus diesen Aufgaben
zurückzögen,
so
wenig
können
diese
Relevanzhinweise
schon
eine
Kommunikationsstrategie des christlichen Glaubens sein. Denn die nützlichen
Funktion des Glaubens ist kein Glaube, sondern eine Funktion! Ohne den Kern, ohne
die innere Glut des Glaubens bleibt eine äußerliche Hülle übrig, ein sinnvolles
Handeln oder eine plausible Geste, aber eine Kommunikationsstrategie für den
Glauben ist das noch lange nicht. Im Gegenteil: Manchmal habe ich die Sorge, dass
dieses Unbedingt-nützlich-sein-Wollen auch etwas von Anbiederung hat, was den
Herrn der Kirche zu klein macht und seine Kirche selbst säkularisiert.
III. Perspektiven
Letztlich also steht kirchliche Kommunikation im Jahre 2030 vor der Aufgabe, die sie
immer schon hat, allerdings unter verschärften oder erschwerten Bedingungen: Wie
kommuniziert man einen hoch spezialisierten Inhalt vor ungeübten Ohren? Wie reden
wir von dem zunehmend unbekannten Gott in Jesus Christus? Sieben Überlegungen
dazu:
6
1. Zuerst: Das Grundproblem haben andere auch? Es gibt ja nicht nur das
Thema Fußball, bei dem etwa 90 % aller Männer und immer mehr Frauen eine
„gefühlte Trainer-Lizenz“ besitzen, sodass man viel voraussetzen kann. Ein „Lernen
von anderen“ ist gerade in der Kommunikation eine kluge Grundhaltung. So frage
ich, welches strategische Ziel kirchliche Kommunikation mittelfristig haben sollte?
Geht es um Kommunikation eines Massenproduktes, das möglichst alle anspricht,
um
möglichst
viele
Marktanteile
zu
behalten?
Oder
zielen
wir
auf
ein
Qualitätsprodukt, das sich auf eine besonders relevante Zielgruppe konzentriert,
ohne alle anderen auszuschließen? Hat unsere Kommunikationsstrategie ihre
Parallele zukünftig bei VW oder bei Audi, bei Aldi oder Bio-Campanie, bei Ikea oder
Bulthaupt? Wir kommen aus der Massenkommunikation, bei 24 Millionen Mitgliedern
ist das unerlässlich, aber ist das auch unsere Zukunft?
Von anderen kann man lernen, dass man in Zeiten der Absatzkrise zweifach
reagieren kann: Entweder man investiert immense Mittel zur Modernisierung eines
Massenprodukts (wie z.B. gegenwärtig die Firma Opel mit ihrer pfiffigen, aber
immens teuren Kampagne „Umparken im Kopf“) oder man entwickelt ein ganz
besonderes Produkt, das nicht zuerst auf Masse, sondern auf Qualität und
spezifische Zielgruppen setzt. Ist es eine sinnvolle Kommunikationsstrategie für das
Jahr 2030, das einzigartige, spezielle, ganz besondere „Eliteprodukt Evangelium und
Glaube“ zu entwickeln? Müssen wir zukünftig viel konzentrierter eine Tendenz
verstärken, die in der KMU V deutlich zu erkennen ist, nämlich die wachsende,
ausdifferenzierte und keineswegs nur evangelikale Hochverbundenheit mit der
Kirche?
Es ist natürlich gefährlicher Leichtsinn, vom Ende des liberalen Paradigmas zu
reden, denn die KMU V zeigt auch, dass über 50% aller Mitglieder distanziert oder
gar indifferent unserer Kirche verbunden bleiben, auch weil es gute, gehaltvolle und
beanspruchbare Kasualien gibt. Amtshandlungen sind ja im besten Fall unsere ganz
besonderen Qualitätsprodukte. KMU V bestätigt die längst erkannte Einsicht, dass
die Mehrheit unserer (zahlenden) Mitglieder dankbar für diese und andere Angebote
der Kirche ist, obwohl sie sie nur gelegentlich persönlich nutzen.
7
2. Wie könnte eine Kommunikationsstrategie aussehen, die sich auf die
Qualität der Angebote und die Zielgruppe Hochverbundene konzentriert? Als ich ein
kleiner
Junge
war,
gab
es
eine
ebenso
überhebliche
wie
merkfähige
Zigarettenwerbung, die manche von Ihnen vielleicht auch noch kennen. Die Marke
hieß „Attika“ und der Slogan lautete: „Es war schon immer etwas teurer, eine guten
Geschmack zu haben“! (Gehört zu den erfolgreichsten Werbesprüchen aller Zeiten).
Sollten wir bis 2030 zunehmend unsere hochspezifischen Inhalte öffentlich
kommunizieren
als
eine
Art
„existentielles
Premiumprodukt“,
als
ein
herausragende Angebot für jene, die sich ihr Seelenheil etwas kosten lassen wollen?
Premiumprodukte
sind
Qualitätsversprechen,
sie
sind
(so
das
Magazin
„absatzwirtschaft“ vom Mai 2010) Produkte und Marken, die preislich und qualitativ
im oberen Segment angesiedelt sind. Kunden wünschten sich von PremiumProdukten
keine
leeren
Marketingversprechungen
herausragenden Kundenservice.
(keine
Logos),
sondern
Premiummarken werden erworben, weil
man
ihnen überlegene Produkt- und Image-Eigenschaften gegenüber herkömmlichen
Marken zuschreibt. Folglich forderten knapp 70 Prozent der Befragten, dass
Premiumprodukte
Innovationen
gegenüber
konventionellen
Produkten
bieten
müssen. 60 Prozent haben angegeben, dass das Produkt innerhalb seines
Segments die Innovationsführerschaft übernehmen und die Technik der Zukunft
bestimmen sollte. Darüber hinaus hätten Konsumenten auch spezielle Erwartungen
an das Verhalten von Premiumherstellern. Beispielsweise legten 66 Prozent der
Befragten Wert auf ethisches und verantwortungsbewusstes sowie 69 Prozent auf
umweltbewusstes Verhalten. Der Preis rücke dabei in den Hintergrund.
Glaube als etwas einzigartig Gehaltvolles, als verantwortliche Innovationsmarke, als
perspektivische Ressourcenschonung, also – theologisch formuliert – Gaube als Zeit
für Zweckfreies, als Raum für Innehalten, als Bereitschaft zur Selbstunterbrechung,
als Heimat einer Privatheit, die sich Nachdenklichkeit in Gemeinschaft und Staunen
in der Seele gönnt. „Es war schon immer etwas teurer, eine guten Geschmack zu
haben“, - der christliche Glaube kommuniziert in seiner unvertrauten Fremdheit als
Weg in ein Jenseits der Dauerverzweckung des Lebens, als Einspruch gegen das
eherne Gesetz der ständigen Selbstoptimierung. Dass dieses Premiumimage Geld
kostet, aber eben auch teuer sein darf, weiß jeder Kirchensteuerzahler/in.
8
3. Die These, dass die strategische Kommunikation der Kirche zukünftig
stärker einer Premiummarke entsprechen sollte, die durch einen Mehrwert an
Exklusivität, Lebensgefühl, Identifikation, Wertigkeit definiert wird, ist bestenfalls ein
Anstoß. Allerdings passen einige Ergebnisse der KMU V ganz gut dazu; z.B. gibt es
eine
Verschiebung
der
Erwartungen
an
unsere
Kirche,
die
dieser
Kommunikationslinie entgegenkommt:
Die
Menschen
erwarten
Richtungsangaben,
mehr
von
uns
pastoral
mehr
existentielle
sichtbare
Tiefe
Öffentlichkeit
als
poltische
als
mediale
Religionskommunikation, mehr qualitätssichere Dienstleistung als kirchenleitende
Feststellungen. Ich gewinne beim Studium der KMU den Eindruck, dass die
Menschen Religion und Glaube stärker privatisieren als uns das vielleicht lieb ist!
Religiöse Kommunikation gehört offenbar zu den intimen Themen, die zwar öffentlich
dargestellt, aber nur privat realisiert werden. Es ist die Erwartung zu erkennen, dass
die Kirche solche existentiellen Themen sehr wohl öffentlich darstellt und präsent
hält, aber für seelsorgerliche Gespräche suchen die Menschen eher den Freund, die
Freundin als den Seelsorger/die Seelsorgerin. Unsere Kirche scheint immer stärker
in die Rolle einer öffentlichen Beschützerin der privaten Religionsausübung zu
rutschen. Stellvertretend für eine ganze Strömung oder gar Sehnsucht unserer
Gesellschaft symbolisieren die Erwartungen an die Kirche gleichsam den Schutz des
Innenraumes in einer Gesellschaft, die vor lauter Effektivität und Verdichtung keine
Luft mehr kriegt. Auch wenn man hier keine falschen Alternativen aufbauen sollte,
mein vorläufiger Eindruck ist: Die Kirche wird zunehmend weder zuerst als politischer
Player geschätzt noch als Norm- und Wertelieferant, sondern vor allem als Helferin
für die gestresste Seele und als Behüterin aller slow-motion-Sehnsüchte.
4. Glaube und Kirche als eine Art Premiumprodukt für Unterbrechungskultur,
das heißt kommunikativ doch auch: Die Privatisierung der religiösen Reden ist nicht
unsere Gefährdung, sondern unsere Chance! Wir brauchen eine Verschiebung hin
zu existentiellen Themen, hin zu kulturellen Themen, hin zu Familien- und
Beziehungsthemen. Zuerst natürlich im Blick auf die Ermächtigung und Ermutigung
der Familien zu religiöser Sozialisation. Auch das zeigt die KMU V: So richtig unsere
Bemühungen
in
Kindergärten
und
Kindergottesdiensten,
in
Schulen
und
Religionsunterricht sind, so deutlich müssen wir „näher ran“ an die frühe Sozialisation
9
und jede familiäre Grundsituation religiös unterstützen. Das ist der harte Kern der
Wahrheit des so umstrittenen „Familienpapiers der EKD“: wenn wir nicht einen
breiten Familienbegriff entwickeln, verlieren wir den Zugang zur nächsten Generation
vollends. Natürlich begeben wir uns damit ins „Getümmel des Menschlichen“ und
können dann die Erwartung nach einheitlicher Normierung privater Lebensbereiche
nicht bedienen, weder mit exklusiven Leitbildern von Ehe und gegengeschlechtlicher
Zweisamkeit, noch mit Idealen von Geschlechterdekonstruktion und der „EintürGender-Ideologie“.
5. Im Leuchtfeuer 1 in Kirche der Freiheit heißt es: „Im Jahre 2030 ist die
evangelische Kirche nahe bei den Menschen, sie bietet Heimat und Identität an für
die Glaubenden und ist ein zuverlässiger Lebensbegleiter für alle, die dies
wünschen.“ Manchmal glaube ich, dass diese Themen „Beheimatung, Nähe und
Identität“ als geistliche Kernaufgabe aller organisatorischen Bemühungen in tieferer
Weise perspektivisch gewesen sind als uns selbst klar war. Schon heute spielt die
lokale religiöse Beheimatung eine große Rolle, die Menschen teilen sich Autos,
gardening und Bohrmaschinen - und dann den Glauben auch. Wenn man
Beheimatung auf lokaler Ebene nicht verwechselt mit geographischer Nachbarschaft,
sondern mit Wahlverwandtschaft und freier Beheimatung, dann haben Hauskreise
oder autonome Gruppe in der Kirche ihre Zukunft noch vor sich.
Glaube als „Premiumprodukt der Beheimatung“, das bedeutet aber auch, dass die
öffentliche Kommunikation die zunehmend unbekannten, fremden, aber großen
Inhalte des christlichen Glaubens darstellen muss. Die Inhalte des Glaubens müssen
nicht zuerst leicht verständlich und nützlich daherkommen, sondern zuerst
verwunderlich
sein,
staunenswert,
überraschend,
verblüffend,
ungewöhnlich,
bemerkenswert. Es mag ja gegenwärtig durchaus eine „Zeit zum Aufstehen“ sein,
aber auch im Sitzen kann man einsehen, dass es kommunikativ nicht um die
schlichte Rezitation alter Glaubenssätze gehen kann. In Zeiten abnehmender
Vertrautheit mit den christlichen Inhalten hilft die Beschwörung alter Formeln nur
denen, die sich bestätigt fühlen wollen. Denn das ist ja eine weitere gegenwärtige
Einsicht: Je häufiger der christliche Glaube jedwede existentielle Plausibilität
vermissen lässt, desto größer wird die Gruppe der Indifferenten, bis hin zu der
Situation der römisch-katholischen Geschwister, deren ehrliche Frage nach dem
10
tatsächlichen Partnerschaftsverhalten aufzeigte, dass die Normsetzungen der
Tradition bei 80 – 90 % der eigenen Mitgliedern auf komplette Verständnislosigkeit
stößt.
6. Meine Suchfrage zur zukünftigen Kommunikationsstrategie lautet also, ob
wir nicht häufiger auf ein „Premiumprodukt Glaube“ setzen sollten, das eine
einzigartige geistliche Qualität hat und insofern auch etwas Elitäres. Wobei
theologisch klar sein muss: Es ist das Evangelium, das uns zu Erwählten macht,
nicht unsere noch so finanziell folgenreiche Mitgliedschaft in der Kirche. Theologisch
geurteilt aber können wir dann die Komplexität der spezifischen Inhalte nicht
verleugnen, weil das Premium eben so leicht nicht zu entfalten ist. Vielleicht müssen
wir uns doch häufiger von dem Ziel verabschieden, in der BILD-Zeitung aufzutauchen
oder in den Abend-Nachrichten, weil Premium-Kommunikation komplexer sein darf.
Sind wir nicht oft noch zu konventionell auf ein vermeintliches Massenverstehen
ausgerichtet, auch wenn ich in letzter Zeit mit großer Anerkennung manche originelle
Mitgliederkampagne z.B. aus der EKHN wahrnehme (Brief: „Zu Glück gibt’s den
Segen“?) Was wir brauchen, ist vielleicht das, was gegenwärtig mit über 10 Millionen
Klicks durch Youtube tobt: „Glaube – super super geil. Kirche – auch sehr sehr geil. “
(Edeka) Ich weiß, wie schwer es ist, in unserer gremialen Übersteuerung originelle
Ideen durchzukriegen; beim Ausbremsen von ungewöhnlichen Ideen sind wir
vermutlich zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen konkurrenzlos gut.
Aber wenn es eine Kommunikationsstrategie in Richtung Premiumprodukt geben
sollte, dann sind diese Mühen der Ebenen unvermeidlich.
7. Dieser mühsame Weg leuchtet allerdings nur dann ein – und damit bin ich
bei meiner letzten Überlegung -, wenn man ihn theologisch durchschaut, d.h. wenn
man als Öffentlichkeitsarbeiter/in selbst die Inhalte des Glaubens, die Bilder der
Bibel, die Einsichten der Dogmatik letztlich als Antworten zu verstehen vermag, zu
denen die Kommunikation die existentiell richtigen Fragen finden muss (Karl Barth).
Letztlich muss man auch als Kommunikator/in nachvollziehen können, dass und wie
jede inhaltlich-dogmatische Aussage zugleich eine Aussage über die Tiefe der
menschlichen Existenz, über seine humane Größe und seine Anlage zur Güte, über
seine katastrophalen Abgründe und leichtsinnigen Grausamkeiten ist. Wir brauchen
auch in der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit nicht nur kreative Verpackungsköpfe,
11
sondern auch Theologie, gute, tiefe, existentielle Theologie. Denn davon bin ich
zutiefst überzeugt: Für die kreative Professionalität der Kommunikation eines
Premiumprodukts braucht es ein ausgeprägten Bewusstseins von dem Premium des
Produktes. Die vermeintlich so abgehobenen, komplexitätsverliebten Theologen sind
nicht die schwierigen Problemfälle der Kommunikation, sondern die unerlässlichen
Partner, sonst wird`s kein Premiumprodukt.
Oder in einem bekannten Bild formuliert:
Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler, das ist
kommunikativ richtig; aber es muss auch eine Angel am Wurm sein, denn einfach nur
Würmer ins Wasser zu werfen, das macht keinen Sinn.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
12
Herunterladen