05.04.2012 Demografischer und sozio-ökonomischer Wandel – (k)eine Herausforderung für Politik und Planung? Jens S. Dangschat, TU Wien, ISRA Symposium „Baukultur entscheidet sich vor Ort“ Ideen für eine zukunftsfähige Siedlungsentwicklung in Niederösterreich St. Pölten, 22.3.2012 INHALT 1. Demografischer Wandel & sozioökonomischer (= sozialer) Wandel 2. Regionale und lokale Differenzierungen 3. Wo / bei wem / liegt das Problem? 4. Negieren, bekämpfen oder ignorieren? 5. Zwei Beispiele: ■ räumliche Konzentration „sozialer Problematik“ ■ ‚ageing society‘ 1 05.04.2012 Sozialer Wandel ► Sozialer Wandel bedeutet eine in der Regel tiefgreifende und vielfältige Veränderung der Gesellschaft ► Sozialer Wandel bedeutet eine Veränderung folgender Kategorien atego e ► Veränderung der Struktur der sozialen Ungleichheit ► Veränderung der Interpretation der gesellschaftlichen Rollen ► Veränderung des Wertesystems (Wertewandel)* ► bisweilen: Veränderung der gesellschaftlichen Steuerung (von autoritären zu demokratischen Strukturen, aber auch vom Government zur Governance) ► bisweilen: Veränderung des Wirtschaftssystems (Transformation von einer Planwirtschaft zur Marktwirtschaft) * Entweder: Personen ändern ihre Wertvorstellungen Oder: Durch den Wechsel der Generationen verändert sich die Zusammensetzung der Träger von Wertvorstellungen Driving forces des Sozialen Wandels Thesen ► Der soziale Wandel wird durch Prozesse der internen (gesellschaftliche Rollen in Folge von Emanzipation, große Erzählungen über Nachhaltigkeit und wissensbasierte Gesellschaften, neue Lebensweisen i etc.) t ) und der externen Modernisierung „angetrieben“ (Globalisierung, Erwerbstätigkeit, Haushaltsformen, Werte) ► Wissenschaftliche Interpretationen des sozialen Wandels: Vom Materialismus vs. Postmaterialismus (Inglehart), über sozialökologische Modernisierung zum Gegensatz zwischen „Tradition“ und I di id li i Individualisierung /M Multi-Optionalität lti O ti lität / Patch-working P t h ki ► Soziale Ungleichheit wird neu betrachtet: Überlagerung zunehmender sozioökonomischer Ungleichheit mit zunehmend ausdifferenzierter soziokultureller Diversität ► Mit vielfältigen soziodemografischen Prozessen (ageing, Versingelung, Zuwanderung/Integration) ► ► 2 05.04.2012 Ausprägung von Ungleichheit durch Sozialen Wandel ► Sozioökonomischer Wandel: Seit den 1990er Jahren gleichzeitige Zunahme von Wohlstand und Armut (Polarisierungsthese) Î Armut im/durch Wohlstand ► Soziodemografischer Wandel: ► ► ► ► ageing society Zunahme kleiner Haushalte Internationale Zuwanderung Soziokultureller Wandel: Ausdifferenzierung in WerteCluster ((Soziale Milieus / Lebensstile)) (Pluralisierungsthese) ( g ) SINUS-Milieus 3 05.04.2012 Ausprägung von Ungleichheit durch Sozialen Wandel ► Sozioökonomischer Wandel: Seit den 1990er Jahren gleichzeitige Zunahme von Wohlstand und Armut (Polarisierungsthese) Î Armut im/durch Wohlstand ► Soziodemografischer Wandel: ► ► ► ageing society Zunahme kleiner Haushalte Internationale Zuwanderung ► Soziokultureller Wandel: Ausdifferenzierung in WerteCluster ((Soziale Milieus / Lebensstile)) (Pluralisierungsthese) ( g ) ► Soziale Ungleichheit wird neu betrachtet: Soziale und räumliche Überlagerung zunehmender sozioökonomischer Ungleichheit ► mit zunehmend ausdifferenzierter soziokultureller Diversität und ► mit vielfältigen soziodemografischen Prozessen (ageing, Versingelung, Zuwanderung/Integration) ► Veränderung der Wohnbevölkerung, 1991-2001 4 05.04.2012 Wanderungsbilanz Wohnbevölkerung, 1991-2001 Natürlicher Bevölkerungssaldo, 1991-2001 5 05.04.2012 Prognose 2030, Wohnbevölkerung Anteil der Wohnbevölkerung 0-19, 2030 Anteil der Wohnbevölkerung 65-84, 2030 Prognose 2030, Wohnbevölkerung Anteil der Wohnbevölkerung 85+, 2030 6 05.04.2012 Prognose 2030, Privathaushalte Veränderung der Zahl der Privathaushalte, 2009 bis 2030 Prognose 2050, Privathaushalte Veränderung der Zahl der Privathaushalte, 2009 bis 2050 7 05.04.2012 Veränderung EPH, 2009 - 2030 Veränderung der Zahl der Einpersonenhaushalte, 2009 bis 2030 Veränderung MPH, 2009 - 2030 Veränderung der Zahl der Mehrpersonenhaushalte, 2009 bis 2030 8 05.04.2012 Veränderung Erwerbspersonen, 2009 - 2030 Veränderung der Zahl der Erwerbspersonen, 2009 bis 2030 Veränderung Erwerbspersonen, nach Geschlecht, 2009 - 2030 Veränderung der Zahl der weiblichen Erwerbspersonen, 2009 bis 2030 Veränderung der Zahl der männlichen Er erbspersonen 2009 bis 2030 Erwerbspersonen, 9 05.04.2012 Veränderung Erwerbspersonen, nach Alter, 2009 - 2030 Veränderung der Zahl der Erwerbspersonen 14-35 Jahre, 2009 bis 2030 Veränderung der Zahl der Erwerbspersonen 50+ Jahre,, 2009 bis 2030 Pendelbilanz, 2001 Anteil der AuspendlerInnen am Anteil der Beschäftigten am Wohnort, 2001 10 05.04.2012 Realitätsverlust? Wo / bei wem liegen Probleme? Sind sozialräumliche Ungleichverteilungen ein Problem? Wenn ja … ■ ■ ■ ■ welche? (sozio-)ökonomische, ethnische/rassistische, Alter fü wen? für ? von wem? (Schuldzuweisung an untere soziale Schichten / Politik) auf welcher Maßstabsebene? ■ regional Î Ende der klassischen Kompensationspolitik (= Ende gleichwertiger Lebensbedingungen); stattdessen: Stärken stärken ■ lokal (urban) Î Kritik an Segregation/Integration („soziale Brennpunkte“) 11 05.04.2012 negieren / bekämpfen / gestalten? ■ (sozio)ökonomische: Negieren durch politisch und verwalterisch Verantwortliche Î Informationsunterdrückung Î Kritik von unten und außen sowie der Opposition Î „Kopf in den Sand“ und „aussitzen“ ■ Ökonomische: Ök i h Ei Einfordern f d von Mitt Mitteln l von oben b und d außen ß Î new public management, governance, postfordistisches Einbeziehen von weiteren AkteurInnen (PPP, NGOs, Partizipation) ■ Ethnische: Normative Aufladung, Vermeidung der Thematisierung, zuletzt: Strategie des Diversity/Creativity Management Î Politik ist ein ‚must‘ Î Partielle Überforderung, Polarisierung der Mentalitäten, Toleranzen, Interessen, politische Parteien SINUS-Milieus Modernisierungsgewinner Modernisierungsverlierer 12 05.04.2012 negieren / bekämpfen / gestalten? Problem: In der klassischen Top-down-Strategie parlamentarischer Demokratie sind die „großen“ Herausforderungen ■ climate change, peak oil, ■ sozioökonomische Polarisierung, ■ Umbau des Sozialstaates, ■ Kontrolle des globalen Finanzsektors, ■ ökonomisches und demografisches Schrumpfen und Wachsen von Regionen (zwischen und innerhalb) nicht/kaum umzusetzen. Insbesondere die Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit werden häufig „übersehen“ Räumliche Konzentration „Sozialer Problematik“ Die Festlegung „sozialer Problematik“ ist vor allem eine normative Frage, die erst im zweiten – aber nahezu ausschließlich kommunizierten – Schritt „objektiviert“ wird. Aber: Haben wir die ausreichenden Daten, um „soziale Problematik“ f t t ll zu können? feststellen kö ? Î eindeutig: i d ti nein i Î soziale i l Nachhaltigkeit N hh lti k it lä lässtt sich mittels der der Verwaltung verfügbaren Daten nicht bestimmen (Tabuisierung) Wirkt sich die räumliche Konzentration sozial Benachteiligter zusätzlich benachteiligend aus? ■ Jein, Jein ■ Wenn ja, dann nur schwach, ■ Das kommt darauf an … (worauf? Was sind Ortseffekte? Wohnbau- und Infrastrukturen? Wohnumfeld? Ausstattung und Erreichbarkeiten? soziale Nachbarschaft? Image?), ■ Ob ein Einfluss gemessen werden kann, hängt von der gewählten Theorie und/oder Empirie ab, d.h. von der/dem jeweiligeN WissenschaftlerIn 13 05.04.2012 ‚ageing society‘ Führt ein demografisches Altern auch zu einem sozialen Altern? Wenn ja, in welcher Hinsicht? ■ Rentensystem Î ja, aber Politikversagen ■ Gesundheitssystem/Pflege Î ja schon, auch Politikversagen, aber längst nicht so problematisch wie behauptet ■ Wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit / Kreativität / Innovation Î völlig unklar ■ Nachfrage (Reduktion, Verschiebung?) Î Verschiebung: ja Reduktion: nein, aber steigende Selektivität nach Einkommen ■ WohnWohn und Wohnumfeldbedürfnisse Î behindertengerechte Wohnun Wohnungen: wenn ja, wo? (Alterseffekt aber nicht bedeutsam, Kosten?) ■ Mobiliät (physisch, virtuell) Î bedeutsam, aber nicht Folge von Alter, sondern von körperlichen, mentalen, finanziellen, kulturellen, zeitlichen Einschränkungen Schlussfolgerungen ■ Es fehlen statistische Informationen, um die Herausforderungen des sozialen Wandels quantitativ und „objektiv“ bestimmen zu können ■ Es fehlen angemessene empirisch basierte sozialwissenschaftliche Theorien, um die „soziale Problematik“ aufgrund „objektiver“ Informati tionen wissenschaftlich i h ftli h verantwortungsvoll t t ll b benennen zu kö können ■ Die Diskussionen ungleicher Verteilung sozialer Gruppen im Raum ist in der Regel normativ aufgeladen, d.h. von Ängsten/Vorbehalten und Interessen bestimmt. ■ Es bedarf einer fachlichen Debatte (keine parlamentarische Auseinandersetzung d t iim P Parteienstreit t i t it zwischen i h O Opposition iti und dR Regierung) i ) ■ Es bedarf Analysen der Konstruktionen der Herausforderungen aufgrund des sozialen Wandels seitens der Stakeholder in Politik, Verwaltung und Wirtschaft (Überwindung der Sachzwanglogik) 14 05.04.2012 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Kontakt: Technische Universität Wien Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung Fachbereich Soziologie (ISRA) Karlsplatz 13 A -1040 Wien Tel.: +43 (0)1 58801 27311 http://isra.tuwien.ac.at 15