Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie Herausgegeben von Beatrix Müller-Kampel und Helmut Kuzmics SONDERBAND 1 (JUNI 2010) K asperl-La Roche Seine K unst, seine K omik und das Leopoldstädter Theater Medieninhaber und Verleger LiTheS. Ein Forschungs-, Dokumentations- und Lehrschwerpunkt am Institut für Germanistik der Universität Graz Leitung: Beatrix Müller-Kampel Herausgeber Ao. Univ.-Prof. Dr. Beatrix Müller-Kampel Institut für Germanistik der Universität Graz Mozartgasse 8 / P, A-8010 Graz Tel.: ++43 / (0)316 / 380–2453 E-Mail: [email protected] Fax: ++43 / (0)316 / 380–9761 Ao. Univ.-Prof. Dr. Helmut Kuzmics Institut für Soziologie der Universität Graz Universitätsstraße 15 / G4, A-8010 Graz Tel.: ++43 / (0)316 / 380–3551 E-Mail: [email protected] Umschlagillustration nach Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Paderborn [u.a]: Schöningh 2003, Abb. 15: Johann Josef La Roche als ”Caspar der Hausknecht“ in Philipp Hafners ”Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo, oder Hannswurst und Crispin die lächerlichen Schwestern von Prag“. Entwurf von Jean Antoine Watteau, wiedergegeben im Stich von Renard. Künstlerische Bearbeitung: Margarete Payer Satz mp – design und text / Dr. Margarete Payer Gartengasse 13 / 3/ 11, 8010 Graz Tel.: ++43 / (0)316 / 91 44 68 oder 0664 / 32 23 790 E-Mail: [email protected] © Copyright »LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie« erscheint halbjährlich im Internet unter der Adresse »http://lithes.uni-graz.at/lithes/«. Ansicht, Download und Ausdruck sind kostenlos. Namentlich gezeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors oder der Autorin wieder und müssen nicht mit jener der Herausgeber identisch sein. Wenn nicht anders vermerkt, verbleibt das Urheberrecht bei den einzelnen Beiträgern. Dieser Sonderband ist im Rahmen des FWF-Projektes Nr. P20468: Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche, unter der Leitung von Ao. Univ.Prof. Dr. Beatrix Müller-Kampel und der Mitarbeit von Mag. Dr. Andrea Brandner-Kapfer und Mag. Jennyfer Gabriela Großauer-Zöbinger, unterstützt von der Universität Graz (Forschungsmanagement und -service und Dekanat der Geisteswissenschaftlichen Fakultät), entstanden. ISSN 2071-6346=LiTheS INHALTSVERZEICHNIS Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Sozialgeschichtliche und soziologische Verortungen eines Erfolgsmodelles 5 Von Jennyfer Großauer-Zöbinger Positionierung(en) des Leopoldstädter Theaters im Feld 5 Zwischen Kunst und Kommerz 5 Moral und Bildung im Theater 14 Ein Spielplan unter Aufsicht 23 Kasperls Sozialisierung 29 Das theatrale Feld 37 Ausbildung des theatralen Felds in Wien, retrospektiv 38 Materielle und lokale Bedingungen 45 Theater-Praxis: Spielbeginn, Normatage und Eintrittspreise 51 Kasperls komisches Habit Zur komischen Gestalt und zur Gestaltung der Komik in Erfolgsstücken des Leopoldstädter Theaters um 1800 56 Von Andrea Brandner-Kapfer Johann Josef La Roche (1745–1806) 56 Biografische Voraussetzungen 56 Bedingungen seines Wirkens 67 Die Kasperliade – Typenkomik in der Wiener Vorstadt 81 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer 84 Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag 90 Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger 94 Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer 98 Kasperl unter Kontrolle Zivilisations- und politikgeschichtliche Aspekte der Lustigen Figur um 1800 105 Von Beatrix Müller-Kampel 11 Komödien und ihre Karrieren 106 Methodologische Zwischenbemerkung (1) 109 Ehrbare Ehen und die Eifersucht 110 Zwischenfazit (1) Exkurs: Hanswurstische Lumpenkerle und colombinische Kanaillen von einst 116 117 Geschlechtlichkeit, Geschlechterrollen und Geschlechterkonzeptionen 121 Zwischenfazit (2) Methodologische Zwischenbemerkung (2) 126 127 Kasperl unter Kontrolle 128 Literaturverzeichnis Quellen Forschungsliteratur 135 142 Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Sozialgeschichtliche und soziologische Verortungen eines Erfolgsmodelles Von Jennyfer Großauer-Zöbinger1 Positionierung(en) des Leopoldstädter Theaters im Feld Zwischen Kunst und Kommerz Johann Josef La Roche wirkte von 1781–18062 als Kasperl-Darsteller an der von Karl Marinelli (mit)begründeten, stehenden Bühne in der Leopoldstadt. Dieser Zeitraum, der identisch ist mit dem noch in den Kinderschuhen steckenden „Zeitalter der belletristischen Lesekultur“3 (zu beachten ist dabei, dass der Großteil der Bevölkerung noch im Analphabetismus verhaftet war4, was das Theater für die bildungsfernen Schichten besonders interessant machte, da hier die zeitgenössische Dramenkunst unabhängig von der Lesefähigkeit des Einzelnen zu konsumieren war), bedarf einer näheren Betrachtung, um die historischen und soziologischen Bedingungen der Produktion, des Konsums sowie der Rezeption der für den KasperlDarsteller La Roche eigens gefertigten Komödientexte5 besser verstehen zu können. Auf den folgenden Seiten soll nun nichts anderes als der wirkungsgeschichtliche Kontext der Literaturproduktion wie der Literaturrezeption am Leopoldstädter The1 In: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger und Beatrix Müller-Kampel: Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine Komik und das Leopoldstädter Theater. Graz: LiTheS 2010. (= LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie. Sonderband 1.) S. 5–55. 2 Dieser Zeitraum erfasst sein Wirken an der stehenden Bühne in der Leopoldstadt und klammert somit vorangegangene Auftritte mit der Badner Gesellschaft in Wien und an sämtlichen anderen Spielstätten (in Baden, Graz und den diversen Kronländern) aus. 3 Zwischen 1763 und 1805 verzehnfacht sich die Buchproduktion gegenüber dem Zeitraum von 1721 bis 1763. Vgl. Stefan Neuhaus: Literaturkritik. Eine Einführung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2004. (= UTB. 2482.) S. 32. 4 Ebenda, S. 33. 5 Im FWF-Projekt Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung gelang es, ein umfangreiches Textkorpus (im Detail 30 Komödientexte), verfasst von Ferdinand Eberl, Karl Friedrich Hensler, Leopold Huber, Karl von Marinelli und Joachim Perinet, zu edieren. Dieses Textkorpus wird als Basismaterial für die hier angelegte Studie verwendet. Vgl. FWF-Projekt Nr. P20468 (15. Jänner 2008–14. Juli 2009): Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung (2008/09). Mitarbeiterinnen: Andrea BrandnerKapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger; Leitung: Beatrix Müller-Kampel. I. d. F. zitiert als Mäzene des Kasperls. Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html [Stand 2009]. 5 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html ater erhoben werden – oder mit anderen Worten – sollen epochale Charakteristika des literarischen Feldes herausgestrichen werden, die ausgehend von der Feldtheorie Pierre Bourdieus eine literatursoziologische Verortung erfahren (die Methodik bzw. Vorgehensweise, Theorie und Praxis nicht zu trennen, sondern ad hoc miteinander zu verbinden, folgt ebenso dem Konzept Bourdieus). Der französische Soziologe Bourdieu nennt als eines der wichtigsten Charakteristika des literarischen Feldes immer dessen Heterogenität, die sich im Agieren der Literaturproduzenten manifestiert. Diese beziehen aufgrund der Verschiedenheit ihrer Merkmale eine bestimmte Position und verteidigen ihre Ansichten und Ausrichtungen vehement gegenüber anders Positionierten, sodass ein Kräftefeld entsteht, welches auf das literarische Feld angewandt eine Achse mit folgenden Endpunkten ausbildet: die auf den kommerziellen Erfolg abzielende Produktion für das Massenpublikum gegenüber der zweckfreien „reine Kunst“, die sich selbst genug, einzig auf Anerkennung unter den Produzenten ausgerichtet ist und wirtschaftlich wenig Ertrag abwirft.6 Das Leopoldstädter Theater positioniert sich im beobachteten Zeitraum (1781– 1806) ohne erkennbare Abweichung im Bereich des ersten der beiden Endpunkte. Was geboten wird, dient – natürlich unter Berücksichtigung der Zensurauflagen, aber hierzu später – der Unterhaltung der zahlenden Massen, infolgedessen sich die Produzenten am eingespielten Gewinn zu orientieren hatten, womit die Regelmäßigkeit, die Kunstfertigkeit und die Originalität der Dichtung an dieser Bühne ins Hintertreffen gerieten. Die von Gottsched7, Maria Theresia und Josef II. Mitte des 18. Jahrhunderts angestrebten Literarisierungsmaßnahmen8 des Wiener Theaters (diese stehen für ein völ6�������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Aus dem Französischen von Hella Beister. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998. (= edition suhrkamp. 985.) S. 64–67. 6 7 Gottsched will das von bürgerlich geachteten Komödianten betriebene Berufstheater als Instrument der ethischen, ästhetischen und politischen Erziehung des Bürgers nutzen, was notwendiger Weise mit einer Theaterreform einhergeht. Er stellt die Forderung nach Dichtern, die der Poetik der Komödie und Tragödie kundig sind, nach einer festgelegten Dramentheorie arbeiten, deren Einhaltung die Wahrscheinlichkeit von Charakteren und Handlung sowie die Einheit von Ort, Zeit und Handlung sichert. „Gottscheds ganz besonderes Mißfallen erregt der extemporierende Hanswurst – vor allem in den schwülstigen, allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit Hohn sprechenden Haupt- und Staatsaktionen. Doch auch in der Komödie erachtet er eine ,lustige Person‘ als stehenden Typus für weitgehend überflüssig – der Autor möge seine lustigen Einfälle in der Handlungsführung und in der Zeichnung der auftretenden Personen im allgemeinen beweisen.“ Hilde Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. München: Jugend und Volk 1980, S. 139 und vgl. ebenda, S. 140–147. 8 Die Theaterreform Maria Theresias beabsichtigte das Wiener Theater in „ein literarisiertes, vom Staat gesichertes und beaufsichtigtes Nationaltheater als öffentliche Sittenschule“ umzuwandeln. Vgl. hierzu: Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 269. Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) lig anderes Kunstverständnis, als es von Autoren, Darstellern und Rezipienten des Leopoldstädter Theaters gespielt und gelebt wird) setzten sich, abgesehen von den Erlässen zur Zensur, damit in der künstlerischen Orientierung des Leopoldstädter Theaters nicht fort, was für die oben vorgenommene Definition des literarischen Feldes nach Bourdieu, auf diese Bühne angewandt, eine Modifizierung notwendig erscheinen lässt. So kristallisieren sich, die Funktion des Theaters betreffend, noch zwei zu berücksichtigende, disparate Positionen heraus: die von den Denkern der Aufklärung postulierte, zweckgebundene Auffassung vom Theater als pädagogischem Instrumentarium zur Anhebung des Bildungsniveaus und der Sozialtugenden (Moral, Sittlichkeit, Disziplin, Ethik etc.) sowie vom Theater als Boulevardtheater mit moralischen Auflagen, jedoch ohne höheren Bildungsanspruch (ein Nutzen des Theaters ist entbehrlich, es zählt zweckfreie Zerstreuung), das die Tradition des Hanswurst-Theaters, wie der Haupt- und Staatsaktion, in gemäßigter Weise fortsetzt und seine Bestimmung in der Erheiterung und kurzweiligen Unterhaltung des Publikums ortet. Auf die Symbolik einer Achse übertragen, entstehen damit zwei entgegengesetzte (und hier pauschal benannte) Kräftepole: das Bildungs- gegenüber dem Unterhaltungstheater. Abbildung 1: Exemplarischer Entwurf des literarischen Feldes des Leopoldstädter Theaters Die Positionierung des Leopoldstädter Theaters im Bereich des kommerziellen Unterhaltungstheaters wird von gesellschaftspolitischen Verordnungen mitbestimmt, die Mitte der 1750er Jahre ihren Anfang nehmen und bis in die 1780er Jahre sowie darüber hinaus nachwirken. Ursprünglich vom Staat nicht als Bildungsinstitution beachtet, richtet sich während der Regentschaft Maria Theresias der Fokus erstmals auf das Wiener Theater (und hier besonders auf dessen deutschsprachige Ausprägungen). Für die von pädagogi7 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html schen Bestrebungen gekennzeichnete Regierungsphase ganz programmatisch, wird nun auch das Theater- neben dem Schulwesen von Reformen ereilt, deren Ziel die Herausbildung von Institutionen zur Verbesserung des Bildungsniveaus (im Bereich der Sitten wie des Intellekts) der Bevölkerung ist.9 Maßgeblichen Beitrag leistet etwa Joseph Heinrich Engelschall mit seiner Schrift Zufällige Gedanken über die Deutsche Schaubühne zu Wien, in der das Theater als Ergänzung zur Legislative, der religiösen Erziehung und dem Schulsystem zweckdienlich als staatliche Einrichtung zur Umsetzung aufklärerischer, tugendhafter Werte und als Ort, an dem das Angenehme mit dem Nützlichen einhergeht, angepriesen wird: „[…] daß bloß die Kenntniß von dem Nützlichen und von dem Angenehmen der Grund von der Bildung eines guten Geschmacks sey. Denn durch die weise Verbindung dieser beyden Eigenschaften in den Wirkungen unsrer Handlungen zeigen wir, ob unser Geschmack gut oder übel ist. Man pflegt aber alles dasjenige für Angenehm zuhalten, was äußerlich unsern Sinnen und innerlich unsern Neigungen gemäß ist. Da hingegen das Nützliche in allen Stücken auf die Vollkommenheit des Menschen, das ist, auf die Beförderung alles desjenigen siehet, was ihn zu dem Endzwecke, zu welchen er erschaffen ist, nämlich beständig glückselig zu seyn, führet. Woraus dann offenbar folget, daß der bloße Augenmerk des Angenehmen den Menschen in seinen Handlungen zu seiner Unvollkommenheit, zu seinem Unglücke führen kann; die Verbindung des Nützlichen aber mit dem Angenehmen ihn niemals fehlen läßt. […] Diese Wahrheiten sind so allgemein, daß ihnen nichts mit Grunde entgegen gesetzet werden kann. Sie sind aber auch zu gleicher Zeit die Quelle aller Betrachtungen, die ich hier über die Schauspielkunst, einen Theil der sittlichen Gelehrsamkeit, anzustellen gedenke. […] jedermann giebt mir recht, daß die vornehmste Bemühung, einen Staat glücklich zu machen, in der Sorgfalt bestehe, gute Sitten bey den Unterthanen einzuführen. Wodurch gelangt man aber zu diesem Zwecke? Der größte Theil unserer Polizeyverweser weiß nur von drey Wegen: Durch Anlegung guter Schulen; durch Sorgfalt für die reinen Lehren der Religion; und durch die Strenge der Gesetze. Wider alle diese drey Stücke habe ich nichts einzuwenden; es ist gewiß, sie sind in einem Staate unentbehrlich. Allein ich halte sie nach dem gemeinen Weltlaufe nicht für hinlänglich, und entdecke in der Schauspielkunst durch die Erfahrung noch einen vierten leichten Weg, zu meinem Zwecke zu gelangen. […] wenn ich des Menschen Neigungen zu gleicher Zeit schmeicheln, und ihn mit Lachen von sittlichen Wahrheiten überführen kann; wenn ich auch die Stunde seines Vergnügens mir zu nutze machen, und ihm in selbigen angenehmen Unterricht ertheilen kann; warum soll ich solches unterlaßen?“10 ����������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Carl Glossy: Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur. I. In: Jahrbuch der Grillparzergesellschaft 7 (1897), S. 239. 10 [Joseph Heinrich Engelschall]: Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne zu Wien, von einem Verehrer des guten Geschmacks und guter Sitten. In: Philipp Hafner. Burlesken und Prosa. Mit Materialien zur Wiener Theaterdebatte. Hrsg. von Johann Sonnleitner. Wien: Lehner 2007, S. 252–257. 8 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Das Theater ist bei Engelschall nicht mehr nur Theater um seiner selbst Willen, sondern didaktisches Mittel zur Bildung und Besserung der Gesellschaft.11 Als die wesentlichsten Punkte der Reformempfehlungen Engelschalls für das Wiener Theater wären die Eliminierung des Stegreiftheaters samt dessen Extempore-Einlagen12, die Überwachung des Theaters und deren Spielpläne durch staatliche Behörden13, die Forderung nach einer realistischen Handlung14 sowie einem regelmäßigen Schauspiel15 auch für die unteren sozialen Schichten, den „Pöbel“16, zu nennen. Der Kameralist und Zensor Joseph von Sonnenfels geht damit konform und streicht in seinen Reformbestrebungen ebenso die Nutzbarkeit des Bühnenspiels zur Bildung der unteren Schichten heraus. Während der Adel und das gebildete Bürgertum in der italienischen Oper sowie der französischen Komödie ihren Horizont erweiterten, blieb den weniger einkommensstarken bzw. privilegierten Bevölkerungsschichten nur das deutsche Theater. Diese Sparte des Mediums wurde aber nach Sonnenfels zu lange Zeit „gleichsam nur als ein zufälliger Theil angesehen und sich selber überlassen“17, anstatt daraus gesellschaftsbildenden Nutzen zu ziehen. „Ist der Regent, ist der große Adel der einzige Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit? Verdient der übrige Theil der Bürger, welcher zu dem allgemeinen Wohl nicht minder das Seinige beyträgt, daß man seiner ganz [!] nicht gedenke? Giebt es nicht mehrere Klassen der Bürger, welchen der Staat, nach durchgearbeitetem Tage, eine Erholung zu verschaffen verpflichtet ist? Wäre es nun aber gleichgültig, diesen Theil der Bürger entweder in eine Gaucklerbude hinzuschicken, wo sie die Albernheit eines Possenspielers und seine Unhöflichkeiten mit Ekel anhören müssen, oder ihnen ein gesittetes Vergnügen zu verschaffen, wo sich ihre Stirne, ohne den Anstand schamroth zu machen, aufheitern kann. Der Mann aus der mittlern Klasse bedarf es so gar weit mehr, daß der Staat ihm eine anständige Ergötzung zu verschaffen suche als der Adel. Diesem kann es bey 11 „Engelschall vertritt die Position, daß Kunst didaktisch im gesellschaftsverbessernden Sinn zu wirken hätte und daß ihre unterhaltende Funktion ein Hilfsmittel zu diesem Zweck wäre“. Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 324. 12 „[…] und wer also immer der Schaubühne vorzustehen haben möchte, muß scharf darauf sehen, daß kein Wort von einem Schauspieler auf der Bühne gesprochen werde, das nicht in dem vorher gänzlich schriftlich abgefaßten und ihm zur Censur eingereichtem Stücke befindlich sey.“ Engelschall, Zufällige Gedanken über die deutsche Schaubühne, S. 267. 13 Vgl. ebenda, S. 265–271. 14 Vgl. ebenda, S. 261–262. 15 Engelschall fordert Lustspiele „nach den Regeln der Kunst“. Vgl. ebenda, S. 263. 16 Vgl. ebenda, S. 257. 17 Zit. nach Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 255. 9 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html seinem großen Vermögen an Ergötzlichkeiten ganz [!] nicht fehlen, indessen der eingeschränkte Aufwand, den die untern Klassen zu machen fähig sind, sie auf die Schaubühne hauptsächlich herabsetzt, und wenn man sie dieser Ergötzung beraubt, auf solche zu verfallen verleitet, die den Sitten nachtheilig sind […]“18 Die Überlegungen, das Theater als Instrumentarium zur Vermittlung sittlicher wie moralischer Werte und Tugenden zu benutzen, zeugen von einer Neudefinition des Mediums, die stark von den pädagogischen Bestrebungen des Theresianischen Zeitalters geprägt ist. Damit geht ein sozialer und kultureller Wandel einher, der im protestantischen Deutschland seinen Ursprung hat, nach und nach aber auf das kulturelle Feld Österreichs einzuwirken beginnt. Träger dieses Wandels sind gebildete Bürger mit protestantisch geprägtem Wertekanon (Pflicht, Fleiß, Ordnung etc.), der wie auf alle Lebensbereiche eben auch auf kulturelle Produktionen angewandt wird. Demnach werden Literatur und Theater mit einem Nutzen belegt, der weit über ihren unterhaltenden, zerstreuenden Charakter hinausreicht: Sie übernehmen fortan die leitende Position bei der Herausbildung moralischer Werte.19 Kulturelle Produktionen werden nun nicht mehr daran gemessen, ob sie gefallen, sondern ob sie pflichtgemäß Anteil an der moralischen Erziehung der Bevölkerung nehmen. „Die von Wolff, Gottsched und anderen Geistesfürsten postulierte Moral der Aufklärung ließ den Mut zur Selbstbestimmung eben nicht gelten, und schon gar nicht im Hinblick auf Affekte und Begierden. Deren Spontaneität suchte man weitgehend zu unterdrücken. In einem Diktat des Nutzens, einem heutigen Utilitarismus recht ähnlich, verbanden insbesondere die norddeutschen, protestantischen Aufklärer Vernunft mit Pflichtbewußtsein, erklärten sie den Fleiß zur moralischen Bestimmung des Menschen und den Müßiggang zum Laster. Folglich mussten die Kultur und das Lesen einen Nutzen zeitigen; Unterhaltung ohne Lehre erachtete man als bedenkliche Frivolität. Körperliche Reize, Erotik, ,Wollust‘ traf die ganz heftige Intoleranz der Toleranzprediger.“20 Von vorne herein steht fest, dass das Theater – und hier vor allem das deutsche Theater, das als Bindeglied zu den weniger privilegierten sozialen Schichten anzusehen ist – den geforderten Bildungsauftrag nur erfüllen kann, wenn von höherer Stelle überwacht wird, was auf der Bühne geboten wird. Hanswurst, Harlekin und Bernardon mit ihrer grotesk-derben körperlichen Komik, deren Witz stets auf den leiblichen Bedürfnissen des Menschen (Furzen, Scheißen, Kopulieren, Fressen und 18 Joseph von Sonnenfels: Briefe über die Wienerische Schaubühne. Hrsg. von Hilde HaiderPregler. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1988. (= Wiener Neudrucke. 9.) S. 411. 19������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Klaus Zeyringer: Die Kanonfalle. Ästhetische Bildung und ihre Wertelisten. Literatursoziologischer Essay. In: Lithes. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie. Nr. 1: Was weiß Literatur? (Dezember 2008), S. 74–78. 20 Ebenda, S. 75–76. 10 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Saufen) beruhte,21 waren mit ihrem oft von der Haupthandlung separierten, unregelmäßig-improvisierten Spiel und den für sie charakteristischen Prügelszenen nicht die geeigneten Identifikationsfiguren für die Vermittlung guter Sitten und höherer Moral. Und der von den Aufklärern postulierte Nutzen, den diese jeder Alltagsbeschäftigung abverlangten, um nicht dem Müßiggang zu verfallen, stellte sich beim Konsum der Hanswurst- und Bernardon-Aktionen schon gar nicht ein. Stegreifspiel und Extempore-Einlagen waren, da sie zu viel Raum für individuelle Ausgestaltung bzw. Rede und nicht zuletzt für spaßigen Unsinn ließen, mit der erzieherischen Funktion von Theater generell unvereinbar, weshalb als logische Konsequenz der Erlass der Theaterzensur (1765)22 als Garant für den ausgesucht bildenden und belehrenden Inhalt der Komödientexte sowie Tilgung des improvisatorischen Spiels von der Bühne folgte (1769 war die extemporierte Komödie, zumindest von den Hoftheaterbühnen, verschwunden23). Dieser Entwicklung vorausgegangen war eine neue Geisteshaltung eines Teils der Theaterbesucher, die mit ihrem Geschmacksurteil oppositionelle Position zum deutschen Spaßtheater bezogen. Die Lustigen Figuren Hanswurst und Bernardon wurden als Feindbilder des „guten Geschmacks“ zunehmend öffentlich angefeindet, sodass in den moralischen Wochenschriften24 bald eine erbitterte Debatte um ihre Daseinsberechtigung entbrannte (bekannt als „Hanswurststreit“).25 „Je toller und ungeberdiger […] die lustige Person wurde, je mehr Unsinn und Zote sich ausbreiteten, desto lebhafter wurde die Opposition des denkenden Theils aus dem Publicum und das Begehren nach einer Reinigung der Bühne durch die Staatsgewalt.“26 Auf die „Censur des Geschmackes“, die in der gebildenten Öffentlichkeit immer mehr Befürworter erlangte, folgte nun die Zensur des Geisteslebens der Wiener durch die Staatsgewalt (1769/70 vertreten durch Joseph von Sonnenfels, danach durch den bekannten Zensor Franz Karl Hägelin). Alle für die Aufführung in der Reichshauptstadt vorgesehenen Bühnenstücke waren in schriftlichter, völlig ausformulierter Form der Theaterzensurbehörde einzureichen 21�������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Paderborn [u. a.]: Schöningh 2003, S. 91–112. 22 Vgl. Gerhard Tanzer: Spectacle müssen seyn. Die Freizeit der Wiener im 18. Jahrhundert. Wien, Köln und Weimar: Böhlau 1992, S. 165. 23 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 258. 24 Hafner, Heufeld, Klemm aber auch Weiskern sprechen sich in diversen Wochenblättern immer wieder gegen Sonnenfels aus. Sie lehnen das von ihm angestrebte „Hochstiltheater“ ab, wenden sich aber ebenso gegen das extemporierte, den Diktaten der Wahrscheinlichkeit trotzende Possenspiel. 25 Vgl. hierzu Karl Görner: Der Hans Wurst-Streit in Wien und Joseph von Sonnenfels. Wien: Konegen 1884. 26 Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 253. 11 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html und wurden – auch wenn es nicht immer den erwarteten Erfolg brachte27 – präventiv zensiert. Je nachdem, ob die Texte „schlüpfrige“ Reden, sittlich inadäquate Aktionen und fragwürdige Charaktere enthielten, wurden sie zum Teil zensiert bzw. der Umarbeitung des Urhebers überlassen oder, wenn die gesamte Geschichte wie auch der Stoff selber für Sitten, Staat oder Religion bedenklich waren, zur Gänze indiziert.28 „Wenn ich einem Fürsten zu rathen hätte, so würd’ ich ihm nichts eifriger empfehlen, als – sein Volk in gute Laune zu setzen. Kurzsichtige Leute sehen nicht, wie viel auf diesen einzigen Umstand ankommt. Ein fröhliches Volk thut alles, was es zu tun hat, munterer und mit besserem Willen als ein […] schwermüthiges; [Nur wenn die Menschen] bey guter Laune sind, so vergessen sie über einer Komödie, einer neuen Tänzerin, einem neuen fröhlichen Liedchen, den Verdruß über eine verlorene Schlacht, oder die Schlimme Verwaltung ihrer öffentlichen Einkünfte.“29 Es sind treffende Worte, die Christoph Martin Wieland seinem Diogenes von Sinope in den Mund gelegt hat. Denn vermutlich trug damals nichts mehr zur Aggressionsbewältigung und Triebreduktion bei und half besser über schlechte Zeiten und private Nöte hinweg, als das komische Theater. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ist es das Marinellische Theater in der Leopoldstadt, das als prototypisches Lachtheater die Bewohner Wiens, aber auch Touristen aus dem Kaiserreich und diverse Staatsgäste bei Laune hält. Vor allem der Kasperl-Darsteller Johann Josef La Roche zog mit seiner individual-komischen Spielweise die Massen an und bot somit die passende Ablenkung von größeren und kleineren Sorgen des Alltages, vom politischen Geschehen oder, pauschaler beurteilt, vom Weltgeschehen überhaupt. So war den Theaterreformern in der Mitte des 18. Jahrhundert zwar ein Schlag gegen das ungebändigte deutsche Spaßtheater samt seinen zotigen Figuren Hanswurst und Bernardon gelungen, sowie das Medium Theater (zumindest was die innerstädtischen stehenden Bühnen betrifft) von den Widrigkeiten gegen „die Sitten, den Staat und die Religion“ durch die Zensur bedingt zu befreien. Bei all den literarisierungspolitischen Maßnahmen des deutschen Theaters und hier v. a. der Komödie konnte und sollte aber die zweckfreie Unterhaltungslust der Wiener nicht eingedämmt werden. Sie wurde nun in gemäßigter Form im Leopoldstädter Theater gestillt. 27 „Wie gering aber die Macht dieser Theaterpolizei war, geht schon daraus hervor, daß der Possenreißer sogar die Kühnheit hatte, von der Büchercensur zum Druck nicht zugelassene Liederstrophen dennoch auf der Bühne zu singen.“ Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 253. 28 Zu den Zensurrichtlinien siehe: Ebenda, S. 279–282. 29��������������������������������������������������������������������������������� Christoph Martin Wieland: Nachlass des Diogenes von Sinope. Aus einer alten Handschrift. In: C. M. Wielands sämtliche Werke. Bd. 13. Leipzig: Göschen 1795, S. 3–148, hier S. 88. 12 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Die meisten Punkte, die u. a. von den beiden Theoretikern Engelschall und Sonnenfels für die Reformierung des Wiener Theaters vorgeschlagen wurden, hatten ein gesellschaftspolitisches Echo sowie nach und nach entsprechende Erlässe von Seiten der Regierung zur Folge. Während das Leopoldstädter Theater in der inhaltlichthematischen Ausrichtung seiner Theaterstücke von den Reformbestrebungen, der Geschmacksdebatte, der Ernennung des Mediums zur Bildungsinstitution aufgrund von Zensurerlass und zumeist unumgänglicher behördlicher Kontrolle in Teilbereichen beeinflusst wurde, tangierte die geforderte konzeptionelle Neugestaltung der Theaterstücke (Wahrscheinlichkeit, Regelmäßigkeit) und somit ihre angedachte Normierung und Literarisierung die künstlerische Ausrichtung des Theaters bestenfalls peripher. Vorerst in knapper Form dargestellt, fassen folgende Thesen den Einfluss des gewandelten Geisteslebens auf das Leopoldstädter Theater zusammen: These 1: Die Forderung nach der pädagogischen Zweckgebundenheit des Theaters wurde am Leopoldstädter Theater bedingt umgesetzt. Dem Repertoire zufolge30 dienten die meisten der am Leopoldstädter Theater gebotenen Produktionen der Unterhaltung. Der von den Denkern der Aufklärung propagierten Pflichtausübung in allen (alltäglichen) Tätigkeiten kam das Theater damit nur geringfügig nach. Letzte Geschmacksinstanz dieser Bühne war das nach Unterhaltung strebende Publikum, nicht der von den elitären Denkern der Aufklärung propagierte erbauende, bildende Theaterkanon. These 2: Die Überwachung des Spielplans und der Produktion erfolgte in Bezug auf die schriftlich fixierten Komödientexte gänzlich, in Bezug auf die dramaturgische Umsetzung auf der Bühne bedingt. These 3: Die Forderung nach der Eliminierung des Stegreifspiels war damit nur bedingt erfüllt. These 4: Die Maßnahmen gegen die lustigen Volkstypen, die immer stärker um sich greifende protestantisch geprägte „Sinnenfeindlichkeit“ sowie die Tendenz zur Moralisierung kultureller Produkte bedingen eine Sozialisierung, Verbürgerlichung und Versittlichung des Leopoldstädter Kasperls, der um die obszön-derben Charakterattribute des Hanswurst gebracht, nur mehr eine oftmals auf die Nebenhandlung beschränkte Existenz als dessen Diminutiv führt. 30 Vgl. hierzu Studie zum Leopoldstädter Theater. In: Jennyfer Großauer-Zöbinger: Karl von Marinelli (1745–1803). Das Gesamtwerk. Edition und Studie. Graz, Univ., Diss. [im Entstehen]. 13 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Moral und Bildung im Theater Die Forderung nach der pädagogischen Zweckgebundenheit des Theaters wurde am Leopoldstädter Theater, wie behauptet, bedingt umgesetzt. Die Überwachung der Produktionen und des Spielplans durch die Zensurbehörde, die Neudefinition des Theaters als Erziehungsmedium, sowie generell der sich stetig verbreitende Einfluss der Geisteshaltung der Aufklärung gaben den Anlass zur Verarbeitung sittlich-moralischer Werte und gesellschaftlicher Tugenden in einem Teil der Repertoirestücke. Es sind v. a. die Komödien (überwiegend die reinen Sprechstücke ohne Musik) Henslers, Eberls und die bürgerlichen Komödien Marinellis31, die didaktisch aufbereitete, klischeehafte Moral enthalten und die Tendenzen eines Besserungsstückes aufweisen. Gepredigt wird dabei stets über dieselben sittlichen und moralischen Vergehen: über geplanten und vollzogenen Ehebruch, Kuppelei, Arglist, Prasserei (eigenartiger Weise sind es immer die Frauen, die verschwenderisch sind), Hochmut bis zum Adelsstolz, übersteigerte Arglosigkeit und Eifersucht (auch diese Unsitte wird fast stets an Frauen vorgeführt). Gepriesen werden hingegen der bedingungslose Gehorsam gegenüber dem Vater wie der Obrigkeit (Treue zum Regiment), die Pflichterfüllung gegenüber dem Kaiser, die Redlichkeit und der Fleiß des Bürgers, Ehrlichkeit und Sittsamkeit. Obwohl einige der eingesehenen Komödien diese lehrhaften Züge tragen, war der Hauptzweck des Leopoldstädter Theaters immer noch die Unterhaltung und nicht die Belehrung des Publikums. Diese Absicht zeigt sich v. a. in den Spieltexten Perinets, den Kasperliaden Marinellis und den Opernbearbeitungen Eberls, die kaum erzieherischen Wert haben und weitaus häufiger gespielt wurden, als jene mit Moral behafteten Stücke (Belege folgen unmittelbar). Im theatralen Feld positioniert sich das Leopoldstädter Theater damit inhaltlich am äußersten Rand des zum Bildungstheater gehörenden Subfeldes des meinungs- und verhaltensbildenden Theaters. Ein moralischer Unterton findet sich in Kasperl’ der Mandolettikrämer, wo Ehebruch und Untreue angeprangert werden. Jeweils ein Part von drei Pärchen (jedes Pärchen stammt aus einer anderen Gesellschaftsschicht, was für die Zuseher im Publikum, die ebenso anderen Ständen angehörten, die Identifikation erleichterte) erfährt im Laufe des nahezu endlos gedehnten Handlungsprozesses seine Läuterung bezüglich Hinterlist und (angedachtem32) Seitensprung. Als Vertreter der Aristokratie wird 31 Im Leopoldstädter Theater kamen nur noch Marinellis Der Ungar in Wien und Der Bürger und der Soldat zur Aufführung. Beide sollen an dieser Stelle nicht besprochen werden, da in ihrer Personen-Konzeption die Figur des Kasperl nicht vorgesehen ist. Vgl. Karl von Marinelli: Der Ungar in Wien. Ein Originallustspiel in drey Aufzügen. Wien: [o. V.] 1773 und Karl Marinelli: Der Bürger und der Soldat. Ein Originallustspiel in drey Aufzügen. Preßburg: Landerer [1775]. Mehr gestattete die Zensur v. a. den weiblichen Charakteren eines Bühnenstückes nicht, so32������������������������������������������������������������������������������������������ dass auf betrügerisch-hinterhältige Worte zumeist keine entsprechenden Handlungen folgten. Darstellbar waren nur der Versuch der Untreue bzw. der Scheinehebruch. Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 317. 14 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Baron Wellbach für seine Untreue gegenüber seiner Angetrauten Amalia, die er mit deren selbst verschuldetem Verschwinden rechtfertigt, und seinen ständigen Annexionen des weiblichen Geschlechts à la Don Juan gescholten und schließlich auch bekehrt – als Moralinstanz bzw. nach Freud als „Über-Ich“ fungiert hierbei zumeist sein Bedienter Paul: „Paul. Aber lieber gnädiger Herr! – wenn werden Sie einmal aufhören, den irrenden Ritter zu spielen? Baron. Kerl, du wirst mir so lange deine Moral vorsingen, bis ich dir den Tact dazu gebe! – Paul. Schon gut! – […] Geburt, Erziehung, Vermögen, und tausend günstige Umstände – fordern sie recht auf, es zu werden, und eine einzige unglückliche Leidenschaft – ich will sagen Grille – hindert Sie es zu seyn. Baron. Hindert mich? – itzt seht doch einmal, den moralischen Schwätzer an […] gieb mir Unsterblichkeit, und frage mich dann, welcher Wunsch mir noch übrig bleibt. Paul. Und haben alle Augenblick einen andern. Baron. Aber keinen lasse ich unbefriedigt, und das ist gerade das, was mich glücklich macht – Abwechslung ist die Würze des Vergnügens – kurz Kerl, wenn du nicht Eis statt Blut in deinen Adern hast, so sage mir, wer kann im Besitz solch eines Meisterstückes der Natur (er zeigt ihm das Portrait) für etwas andres noch Sinne haben? Paul. (Das Portrait betrachtend) schön! – wahrlich schön – fast so schön, als ihre Gemahlin! Baron. Dumkopf mit deiner Vergleichung – fast so schön als ihre Gemahlin – fast! – hab ich’s dir nicht ein für allemal verboten, nicht die geringste Erwähnung von ihr zu machen, gar nicht daran zu denken, daß ich verheurathet sey. Paul. Wahr – aber was kann ich dafür, daß ich ein besser Gedächtniß habe als Sie! Baron. Du sollst aber nicht! Paul. Und was soll ich dann? Baron. Was? – an meinem Glücke Theil nehmen – dich mit mir freuen, mit mir diese zauberische Schönheit bewundern – und – Paul. Morgen wieder eine andere suchen – versichre Sie – gnädiger Herr, es ist nicht die erste Trunkenheit der Seele, die ich an Ihnen erlebt habe. Baron. Und doch geb ich dir mein Wort – daß dies das non plus ultra der Liebe für mich ist – schwör dir’s, daß ich diesen Engel ewig, wohl – wohl gemerkt – ich sage ewig – treu bleiben will – […] Paul. Aber gnädiger Herr, was wollen Sie dann nun machen? Baron. Was ich machen will – was ich machen will? – lieben will ich sie – 15 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Paul. Und Ihre Frau? Baron. Je zum Teufel fängst du schon wieder damit an – Meine Frau! sie mag nach Venedig reisen – und wenn sie da keinen Zeitvertreib findet, so wird es wohl nirgends als im Kloster welche für sie geben! Und nun kein Wort mehr – das rath ich dir! – […] Mad. Buchw[ald]. Herr Baron dieser Ton? – Baron. Ist der Ton einer verwirrten, aber nicht ganz verdorbenen Herzens! – kurz es wäre zu boshaft von mir, wenn ich nicht durch das offenherzige Geständniß, daß weder mein Herz noch meine Hand in meiner Gewalt sind, eine Flamme zu unterdrücken mich bemühte, die vielleicht ein freyer Blick und der noch freyere Ton der grossen Welt in einem Augenblick anzufachen im Stande war! – Sie sind verheurathet Madame, die Arme Ihres Gemahles erwarten Sie! – Verzeihen Sie, daß ich den Ton der grossen Welt vergaß, und Ihnen keine Lüge sagte!! – Mad. Buchw[ald]. Sie wollen mich also nicht lieben? – Baron. Madame ich will zur Tugend zurückkehren, dieß Gelübd hab ich erst vor wenigen Augenblicken gemacht! […]“33 Madame Buchwald ist die Zweite im Bunde der in Versuchung Geführten. Sie entstammt ursprünglich der bürgerlichen Oberschicht, fühlt sich aber im Geldadel heimischer. Sie wird wegen ihrer Rendezvousfreudigkeit mit fremden Männern, der öffentlichen Herabwürdigung ihres Mannes und seines Standes sowie wegen ihres an Prasserei grenzenden, auffälligen Putzes als Ausdruck des angestrebten mondänaristokratischen Lebensstils (die komische Deplatzierung als Folge des Agierens in einer sozialen Rolle, welche nur oberflächlich erworben, nicht aber vollständig habitualisiert wurde, lässt grüßen), der für die Gattin eines Kaufmanns wenig schicklich ist, ergebnislos angeklagt: „Klinger. Werden Sie bald selbst sehen – daß der Handel, den wir treffen wollen, ganz ein artig Stück Arbeit ist! (Klinger nimmt den Baron bey der Hand, und führt ihn zur Madame Buchner [!].) Madame hier hab ich das Vergnügen, Ihnen in dem Freyherrn von Lindenthal einen der reichsten Cavalliere, den feurigsten Verehrer der weiblichen Schönheit aufzuführen! – Mad. Buchwald. (Mit einem affektirten Complement) Es ist mir ein großes Vergnügen einen so reichen und vornehmen Cavallier kennen zu lernen! – Baron. Ich werde um die Erlaubniß bitten – Sie Madame besuchen zu dürfen!– Mad. Buchwald. Ich würde es herzlich erlauben – aber ich hab gar einen abscheulich eifersüchtigen Mann […] 33 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. [Wien:] Wallishausser 1789, S. 4–9 und S. 156–157. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.unigraz.at/maezene/eberl_mandolettikraemer.html [Stand 2009]. 16 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Baron. Allerliebst! […] Mad. Buchwald. Der Herr v. Klinger wird schon die Güte haben – Sie dort aufzuführen – und den reichen Herrn v. Katzenbalg kennt ja die ganze Stadt! – Baron. Von Katzenbalg – Ihre Frau Mama? – Mad. Buchwald. Ja diese ists – mein Hr. Papa ist erst Großritter der afrikanischen Erblande geworden – weßwegen er auch heute eine Akademie und Ball im Casino giebt! – […] Herr Buchw[ald]. (geht verdrüßlich auf und ab, Madame sitzt in einem Sessel) Ein für allemal ich kann diese Lebensart nicht länger dulden. Mad. Buchw[ald]. (hönisch) Diese Lebensart? – Herr [Buchwald]. Diese Lebensart – ja Madame diese Lebensart! – Mad. [Buchwald]. Und was finden Sie denn gar so sehr an mir zu tadeln? Herr [Buchwald]. Was? – alles in allem – ihr Aufstehen – ihr Schlafengehen, ihren Putz – ihre Sitten – kurz Madame sie müssen sich ändern – oder ich muß andere Mittel ergreiffen! – Mad. [Buchwald]. (ihm nachäffend) ändern – oder andere Mittel ergreiffen – nu das ist ja allerliebst – in der That mein Herr so viel ich merke, so stimmen Sie den Ton des Zuchtmeisters an! – […] Herr [Buchwald]. Ich will ein braves Weib aus dir machen – das will ich Schätzchen – und das werd ich; mit Gutem oder Bösem, das Mittel gilt mir einerlei – wenn ich nur meinen Zweck erreiche! – und so hast du nun vorläufig einige Regeln – itzt wollen wir auch einen Theil der Ausübung vornehmen – vor allen Dingen, diesen lächerlichen Kopfputz herab! – […] Herr [Buchwald]. (Ganz gelassen und scherzhaft geht hin, führt sie zur Toilette, setzt sie nieder, hält sie mit einer Hand bey der Hand, und räumt ihr mit der andern Hand den Kopf ab) Ich sehe schon, Sie wollen mich zum Kammerdiener – kann Ihnen ja wohl auch diesen Gefallen erweisen – Sehn Sie ich weiß gut damit umzugehen! – so! – Nun sind Sie noch einmal so liebenswerth – nun will ich Sie küssen! (er will sie küssen) […] Herr [Buchwald]. Roß und Wagen verkauft – Friesur und Kammermädchen abgedankt – Dinees und Souppees abgeschafft – Bälle und Spiele verbothen – das ist alles in der veränderten Lebensart begriffen! – Mad. [Buchwald]. (Geht weinend mit gefaltenen Händen umher) Ich möchte rasend werden – so herabgewürdiget – so beschimpfet; ich – die ich auf die Hand eines Grafens Ansprüche machen könnte – was bin ich nun? – Ein elendes Kaufmannsweib!! – 17 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Herr [Buchwald]. (vom Affect überracht) Elendes Kaufmannsweib? Ha Weib! – laß dirs nicht gelüsten mich da anzugreifen (nach einer Pause) Kurz und gut! – es ist mein Wille, du mußt so leben, und nicht anders! – Mad. [Buchwald]. (wirft sich in einen Stuhl) Schon gut! – ich will das Ding schon umkehren – wollen doch sehen, ob sich das gemeine Volk so am Adel vergreifen darf. – Herr [Buchwald]. Was das Volk gegen den Adel darf? – weiß ich nicht! – was der Mann gegen ein närrisches Weib darf, sollen Sie, Madame sehen! – Gott befohlen! (er geht ab, und schlüßt die Thüre zu)“34 Und schließlich wird noch der Bäcker und Unterhändler Kaspar wegen seiner ständigen Eifersüchtelei und seiner Doppelmoral (er selbst liebäugelt gerne mit diversen „Weibspersonen“, seine Frau beobachtet er hingegen mit Argusaugen, verbietet ihr jeglichen Umgang mit anderen Männern und markiert den eifersüchtig polternden Ehemann). Diese Figur ist es schließlich auch, die ihrem Typus gerecht die Lektion am härtesten lernen muss, hat sie zuvor doch ohne es zu ahnen, das eigene Weib (die Maske ist bei dieser nicht gelungenen, harmlosen Intrige das entscheidende Requisit) im wahrsten Sinne des Wortes an den Mann zu bringen versucht: „Baron. Was Sie wollen lieber redlicher Mann! – Kaspar. (Evgen hereinführend) Fikrament was fangen wir dann itzt mit den hübschen Weiberl an? – Baron. Je nun – das hübsche Weiberl wollen wir nun wiederum zu ihrem Mann bringen, damit ja heute alles in Ordnung kömmt! – Evgen. Das hab ich mir wohl gleich gedacht, daß ich dem Schlingel wiederum in die Hände kommen werde! Kaspar. Nein mein Herzenstäuberl, das sollen Sie nicht, ich will schon dafür sorgen, wenn Sie nur wollen? Herr Baron Sie überlassen mirs also? – Baron. Herzlich gerne!! – Kaspar. Tausendfikrament das ist lustig, itzt kommens nur geschwind mit mir! – Evgen. Aber ihre Frau? – Kaspar. So seyns nur kein Fratz nicht – die wird gar nichts inne davon – Sie gehn mit mir, und ich bring Sie an einen Ort, wo Sie gewiß nicht endeckt werden sollen! Evgen. Nu so ist mirs auch recht! – (sie nimmt die Masque ab.) 34 Eberl, Mandolettikrämer, S. 65–66 und S. 70–77. 18 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Kaspar. (der erschrickt) Alle Donner und’s Wetter! mein Weib – mein eignes Weib! Evgen. Ja du sauber’s Früchtel, ich bin’s selbst!! – Kaspar. Nein – nein das ist doch auch gar zu dumm, daß ich mein eignes Weib mit einem andern verhandeln wollte! – o! ich Esel! – ich Esel von allen Eseln! – Hr. Baron das kann ich Ihnen auf dem Todtenbette nicht verzeihen! – aber wart Weib, du, wann wir nach Hause kommen – freu dich!! Evgen. Du Schatzerl was macht denn die Jungfer Muhme? Kaspar. Still – still sey – ich bitt dich gar schön – ich seh schon, daß ich geprellt bin – die Jungfer Mahm ist fort – mach dir keinen Kummer mehr! – Baron. Siehst du, so gehts mit solchen Negozien wie du mit mir machen wolltest – kömmt nichts heraus, da nimm dein Weib, und bleib hübsch bey einem Gewerb – und nun meine liebe Amalia laß mich noch einmal hier meine feurigste Schwüre besiegeln!“35 Zusammenfassend wird hier die Verwerflichkeit des Ehebruchs angeprangert (das Motto ist ja schon im Titelzusatz Jedes bleib bey seiner Portion erkennbar36) und gegen alle Spielarten der Untreue gewettert. Gesellschaftskritik wird ebenso laut, indem mit der Figur der Madame Buchwald Neureiche wegen ihres gekünstelten, affektierten Lebensstils, der so gar nicht inkorporiert ist, belächelt werden. Abgesehen vom Mandolettikrämer finden sich auch in weiteren Komödien Eberls moralisch-belehrende Inhalte als Resultat der Neudefinition des Theaters als Bildungs- und Erziehungsmittel. So wird etwa in Der Tode und seine Hausfreunde erneut das Thema Ehebruch didaktisch aufbereitet: Während sich Kaspar tot stellt (ein Unterfangen, das dramaturgisch viel Komik in sich birgt), hält sein Eheweib Rose dem unmittelbar auf den Trauerfall einsetzenden Werben des bürgerlichen „Mannsvolks“ (es handelt sich um den Richter, den Schulmeister und den Gerichtsschreiber, alles honorige Mitglieder der Gesellschaft, hier alle drei in der Manier des Pantalone dargestellt) stand und erleichtert dieses als Strafe fürs Buhlen um deren gesamte Barschaft. Wie es der Anstand gebietet, wird die pekuniäre Beute schließlich den schnell herbeigerufenen Ehefrauen samt den schamroten, amourösen Anwärtern von Rose zurückgereicht (natürlich nicht ohne dass Rose als Belohnung für ihre Aufrichtigkeit selbst ein Stück vom Kuchen abbekommt), wo- 35 Ebenda, S. 160–162. 36����������������������������������������������������������������������������������������� Abgesehen davon spielt der Titelzusatz natürlich auch auf den erzwungenen gesellschaftlichen Aufstieg und das lächerliche Vordringen in andere als die eigene Gesellschaftsschicht an. 19 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html mit am Ende der Komödie die übergeordnete Moral des Stücks „Ehrlich währt am längsten“37, die ohnehin schon die ganze Zeit im Raum steht, den Rezipienten gänzlich zu erschlagen droht. Auch in Die Limonadehütte wird der Ehebruch als neueste Modeerscheinung dargestellt, bevor in der Tendenz eines Besserungsstückes alle Beteiligten plötzlich ein spätes Einsehen haben, zum angetrauten Partner zurückkehren und ihr Handeln als moralisch verwerflich bereuen. Hensler, der dem erzieherischen Auftrag in seinen Komödien für das Leopoldstädter Theater am signifikantesten nachkam, stellt in Männerschwäche und ihre Folgen oder die Krida dar, wie eine sittlich verdorbene Bürgersfrau Tochter und Schwiegersohn ins Verderben führt, alle Bescheidenheit verliert, Intrigen spinnt, Geld verprasst und auch vor Trug und Lügen nicht halt macht. Während in den von belehrenden Inhalten frei gebliebenen Perinet-Stücken Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten (1792), Megera. Erster Theil (1806), Caro, oder: Megärens zweyter Theil (1795), Die Schwestern von Prag (1794), Das lustige Beylager (1797) und Baron Baarfuß, oder der Wechselthaler (1803) Verwandlung, Klamauk (bis zum totalen Nonsens) und Aktion als Attribute an die Unterhaltung und Schaulust überwiegen, findet sich in einem frühen Originallustspiel Perinets mit dem Titel Die Eifersucht nach dem Tode (1791) ebenso ein moralischer Grundton wie auch ansatzweise in seiner Bearbeitung Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel. In ersterem wird die Torheit einer krankhaft eifersüchtigen Ehefrau den Lachenden preisgegeben, die, um ihren Mann der Untreue zu überführen, ihren eigenen Tod vortäuscht (Komik entsteht v. a. durch das „Intrigen-Requisit“38 der Tapetentüre, die es erlaubt, die schreckhafte Dienerfigur Johann, die dem Personenverzeichnis nach La Roche verkörperte, das eine oder andere Mal glauben zu machen, den Geist der seligen Hausherrin gesehen zu haben, sowie ihn diverser Unaufrichtigkeiten gegenüber seiner Herrschaft zu überführen). Als Moralträger fungiert hier vordergründig der als opferbereit, ergeben, dankbar und sittenfest gezeichnete Charakter der Caroline. Person und Herkunft geben anfänglich Rätsel auf. Das Mädchen entpuppt sich aber bald, nachdem es bereits als neue Hausherrin gehandelt worden ist (dies die selbsterfüllende Prophezeiung der scheintoten Ehefrau hinter der Tapetentüre), als Tochter ihres Wohltäters, des Hausherren, aus früherer, natürlich ehelicher Beziehung. Aus Dankbarkeit für die erhaltenen Zuwendungen, auch aus Unwissenheit und rigorosem Pflichtgefühl ist Caroline bereit, den Hausherrn zu heiraten und das eigene Glück mit Walder, in den sie unsterblich verliebt ist, zu opfern: 37 Ferdinand Eberl: Der Tode und seine Hausfreunde. Posse in einem Aufzug. Wien: Meyer und Patzowsky 1793, S. 31. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_tode.html [Stand 2009]. 38 Vgl. Peter von Matt: Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist. Hanser: München 2006, S. 33–38. 20 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) „[Caroline.] Mir ist so wohl und so wehe! – so wohl, daß ich nun bey ihm bin, dem Manne, den ich über alles schätze und liebe, und doch so wehe! Walder – der gute Walder! Unglücklicher! ich mußte mit dir brechen, meine Pflicht betäubte meine unbesonnene Liebe – du weißt nicht – – – Wie selig waren einst unsere Tage, und itzt in einem Hause, uns einander so nahe, und doch so weit von einander entfernt! – […] Caroline. (ernst.) Walder – ich bin im Hause meines Wohlthäters, wie sie in dem ihres Freundes. Seyn sie nicht undankbar, lassen Sie mich nicht pflichtvergessen werden. [Caroline.] Ja wohl lieber, vortreflicher Mann; und ist es denn ein Verbrechen, wenn ich seufze, wenn mein lange verschlossener Schmerz endlich in Thränen ausbricht. – O Walder, Walder! Mein Herz war schwächer als meine Vernunft, aber meine Vernunft ist nun schwächer als mein Herz! – Ich soll dir entsagen? – ich muß dir entsagen; will Er es nicht so, Er, dem ich alles schuldig bin? – Ja ich bringe diese Opfer meiner Pflicht, zwar mit Thränen, aber aus Dankbarkeit!“39 Das Happyend naht: der Hausherr entdeckt Carolines Herkunft, diese wird für ihre Standhaftigkeit und Loyalität mit der Legitimation ihrer Liebe zu Walder (hier liegt die Gesellschaftsmoral) belohnt. Die eifernde, tot geglaubte Ehefrau kehrt ebenso unter die Lebenden wie zu ihrem Gatten zurück und die beiden langfingrigen Dienstboten Johann und Kristine werden, angeschwärzt durch die alles beobachtende Ehefrau, als Konsequenz für ihre Unehrlichkeit mit „wer über seine Herrschaft schmäht, verdient nicht ihr Brod zu essen“40 aus dem Dienst entlassen. Caroline verkörpert den moralischen Charakter des Stückes. Dessen harmlose Gestaltung (die Ziererei beim Eingehen einer Affäre, die selbst auferlegte Keuschheit, der Vorsatz, stets ehrenhaft zu handeln, die absolute Dankbarkeit gegenüber dem eigenen Brotgeber etc.) ist wohl zu einem Gutteil Resultat der Informationskontrolle durch die Zensur, die eine Darstellung von Unkeuschheit, Lasterhaftigkeit und Betrug der Bühne nicht dulden wollte.41 39 Joachim Perinet: Die Eifersucht nach dem Tode. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Schmidt 1791, S. 85 und S. 108. In: Theatralische Sammlung. 262. Wien: [o. V.] 1797, S. 71–158. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_eifersucht.html [Stand 2009]. 40 Ebenda, S. 157. 41 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 317–334. 21 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Perinets Kasperls neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel 42 erzählt hingegen in komischer Weise von einem vor Liebe blinden Vater (Anton Schindel), der seine zweite Frau (Nannette) – das ist der Hausteufel, den der Untertitel nennt – über seine Kinder (Karl und Julchen) stellt, diese vorübergehend sogar des Hauses verweist, da sie es wagen, Kritik an der Stiefmutter zu äußern. Ebenso schablonenhaft finden sich auch hier die Moralinstanz (Wachtmeister Haubitz) sowie gute (der pflichttreue Karl, das keusche und tugendhafte Julchen) und verdorbene Charaktere (der Kuppler und Intrigant Hüpfau, der mit dem Hausteufel Nannette, einem ehemaligen Trossweib, den einfältigen Schindel zu hintergehen sucht), deren Ruchlosigkeit am Ende ins harmlose Verderben führt (sie sind die Geprellten und Verstoßenen). Eine Zwischenstellung nimmt Kaspar ein. Er ist bürgerlicher Kaffeesieder und der schlagfertige Gegenspieler der Nannette, der er alles zu Fleiß macht. Die kleinen Gaunereien, die er in seinem Etablissement treibt, werden ihm ohne Konsequenz nachgesehen. Zusammenfassend sei festgehalten, dass einige Repertoire-Stücke La Roches moralische Tendenzen oder zumindest einzelne, schablonenhaft von Komödie zu Komödie reproduzierte Moralinstanzen aufweisen. Für die pädagogisch-vorbildhaften Inhalte dürfte die Neudefinition des Theaters als Ort der Bildung, sowie das daraus resultierende Zensurdiktat verantwortlich gewesen sein. Die Moral bleibt dennoch eine klischeehaft-oberflächliche, auch überwiegen an dieser Bühne – die Aufführungszahlen43 als Indikator für die Beliebtheit der Repertoirestücke legen es nahe – jene Produktionen, die der Zerstreuung und nicht der Unterweisung des Publikums dienten. Diese Absicht zeigt sich v. a. in den Spieltexten Perinets und den Kasperliaden Marinellis, die zwar nichts Anstößiges, aber auch keinen erzieherischen Wert haben. Damit liegt der Schluss nahe, dass an dieser Bühne leichte Kost, aufgrund des behördlichen Diktates manchmal mit moralischem Beigeschmack, hauptsächlich aber unterhaltendes Spektakel, das sich gut verkaufen ließ, geboten wurde. Die moralischen Sentenzen der Kasperl-Stücke als Anlass für die Ortung des Theaters im Bereich des Bildungstheaters zu nehmen, führt zu weit, wie oben bereits erwähnt, ist dieses Medium bedingt durch die Bestrebungen der Pädagogisierung 42 Joachim Perinet: Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel. Eine komische Oper in drey Aufzügen, nach einem Manuskripte für die k. k. privil. Schaubühne in der Leopoldstadt frey bearbeitet. Wien: Schmidt 1803. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_kaffeehaus.html [Stand 2009]. 43 Der Fagottist, oder: die Zauberzither. Ein Singspiel in drey Aufzügen kam von 1791–1819 an die 129-mal zur Aufführung, Pizichi, oder: Fortsetzung, des Fagottisten. Ein Singspiel in drey Aufzügen erlebte von 1792–1795 47 Aufführungen. Vgl. Franz Hadamowsky: Das Theater in der Wiener Leopoldstadt 1781–1860. Bibliotheks- und Archivbestände in der Theatersammlung der Nationalbibliothek Wien. Mit der Einleitung: Die Theatersammlung der Nationalbibliothek in den Jahren 1922–1932 von Joseph Gregor. Wien: Höfels 1934. (= Katalog der Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien. 3.) S. 133 und S. 227. 22 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) und Normierung als Ausläufer oder entfernter Verwandter des Bildungstheaters zu klassifizieren: eben als punktuell meinungs- und verhaltensbildendes Theater. Ein Spielplan unter Aufsicht Die Überwachung des Spielplans erfolgte in Bezug auf die verschriftlichen Komödientexte gänzlich, in Bezug auf deren dramaturgische Umsetzung auf der Bühne bedingt. Grundsätzlich waren die für die Aufführung bestimmten Theaterstücke vor der geplanten Premiere der Bücherzensur-Hofbehörde zur Kontrolle zu übergeben. Dem Usus folgend, hatten die Verantwortlichen stets zwei gleichlautende Abschriften einzureichen, wovon nach der Durchsicht eine, versehen mit Unterschrift und Zensurpass, wieder an den Einreichenden zurückgegeben wurde, die zweite aber, um nachträglicher Verfälschung vorzubauen, als Beleg für Vergleichszwecke beim Zensor selbst verblieb. Als offizielle Affichen unterlagen Theaterzettel ebenso wie althergebrachte Stücke mit Aufführungspraxis der (neuerlichen) Begutachtung durch die Zensurbehörde.44 Von dieser Praxis künden heute noch die oft direkt an die Texte angeschlossenen handschriftlichen Zensurvermerke in diversen Druckund Handschriften. Exemplarisch für Vermerke in Druckschriften sei etwa ein Sammelband45 angeführt, der sechs mit mehr oder weniger vielen Streichungen versehene Stücke verschiedener Autoren enthält. Abgesehen von den handschriftlichen Einträgen auf dem Titelblatt zu Eberls Kasperl’ der Mandolettikrämer (diese lauten: „Zum Soufflieren“ und in der Mitte ist „Karl Marinelli“ zu lesen) und dem Titelblatt zu Keinen Schwiegersohn ohne Amt (ganz oben „Leopoldstadt“, in der Mitte mit roter Tinte „Zum Soufflieren“ und weiter unten „Zur Vorstellung“) sind v. a. die handschriftlichen Zensurpässe am Ende der anonymen Stücke Keinen Schwiegersohn ohne Amt. Ein Lustspiel in einem Aufzug nach dem Französischen: Il lui faut un Etat (1801) und Armuth, um Liebe. Ein Schauspiel in drey Aufzügen (1787). Am Ende der ersten Druckschrift sind neben Marinellis Unterschrift die Worte „Bittet um baldige Beförderung“, daneben „Kann nach den Correcturen des […]“ und „Wird mit Correcturen zur Vorstellung paßirt“ vermerkt, im Falle der zweiten Druckschrift findet sich „Wird mit correcturen paßiert. Hägelin“, was Marinelli wiederum mit seinem Namen abzeichnete. 44 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 260. 45 Besagter Band findet sich in der Theatersammlung der Nationalbibliothek (ÖNBTH Sig. 621749 A.Adl.4). 23 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Abbildung 2: Zensurpass am Ende von Armuth, um Liebe. Ein Schauspiel in drey Aufzügen (1787) Etwas häufiger finden sich Zensurvermerke auf Handschriften, so etwa am Ende der anonymen Kasperliade (als deren Urheber wohl auch Marinelli vermutet werden darf46) Weiber List oder die verliebten Kaufmanns Diener („wird paßirt. Hägelin“) oder im Anschluss an Marinellis Dom Juan oder Der steinerne Gast („wird mit correcturen paßirt. Hägelin“): 46 [Karl von Marinelli:] Weiber List oder die verliebten Kaufmanns Diener und die schöne Saiffensieder, und Lebzelters Tochter wobey Kasperle einen lustigen Trager, verstellten Soldaten furchtsame Garten Statue und verliebten Kutscher spielt. [Ms]. Ediert in: GroßauerZöbinger, Karl von Marinelli [im Entstehen]. 24 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Abbildung 3: Letzte Seite der Handschrift Weiber List oder die verliebten Kaufmanns Diener mit Zensurvermerk Der bei den schriftlich fixierten Dramentexten als streng zu bezeichnenden Informationskontrolle ist eine weniger rigorose Kontrolle der Spielpraxis gegenüberzustellen. Obwohl spätestens ab 179347 während den Aufführungen Kontrollorgane (Theaterpolizei) anwesend waren, gelang es La Roche doch, die eine oder andere Bemerkung über das Stadtgeschehen fallen zu lassen, bzw. über den vorgeschriebenen Text hinweg sehend zu improvisieren. „Nun war auch die Zeit des Lustigmachers wieder gekommen und mit ihm auch die alte Freiheit des Hanswurst, der unter veränderten Namen des Kasperl es wieder wagen durfte, sich über alle Censurvorschriften rücksichtslos hinwegzusetzen und selbst politische Tagesfragen in den Kreis seiner Spässe zu ziehen. Es ist gewiß bezeichnend, daß in einer Zeit, in der mit Aengstlichkeit jede Bemerkung über die Staatsverfassung verhütet wurde, Kasperl sein Publicum durch folgende Anrede erheitern durfte: ,I will a allgemeine große Constitution geben. Die Gewalten will i hübsch fein und klug arrangiren; die ausübende b’halt i für mich selbst, die befehlende is a no mein, die unterlassende aber bleibt, wies recht is beim Volk, das soll sich erlustigen und schnabuliren, im Prater Backhändel essen und sei Seitel dazu trinken – wann’s a Geld hat und zahlen kann.‘“48 47 Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 165. 48 Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 292. 25 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Dass La Roche zuweilen extemporiert haben dürfte, legt u. a. das von der Verfasserin edierte Textbuch Caro, oder: Megärens zweyter Theil nahe, eine Druckschrift mit Spuren von spielbegleitenden Ergänzungen, wie sie auch in Soufflier-Büchern (handschriftliche Einschübe, Streichungen und Hervorhebungen, die das Mitlesen erleichtern) oder in von der Zensur redigierten Druckschriften (Adaptionsvorschläge, Streichung der als anstößig empfundenen Textstellen etc.) zu finden sind. Interessant erscheint an der Druckschrift v. a. der handschriftliche Eintrag „Riepel Extempore“49, demzufolge La Roche, hier dem Personenverzeichnis nach in der Rolle des Hausknechts Riepel, an besagter Stelle eine spontane, im wahrsten Sinne des Wortes nicht vorgeschriebene Einlage (welcher Art auch immer) darzubieten hatte. Neben La Roche (Riepel) hatte auch der Darsteller der Figur des Nigewitz (das Personenverzeichnis nennt Johann Sartory als diesen) zu extemporieren50, eine Gepflogenheit, die anwesenden Ordnungshütern gegenüber einer Verhöhnung gleichkam und zu deren endgültiger Eindämmung am 19. November 1801 schließlich folgender Erlass von der Hofbehörde erging: „Da es mehrmals vorgekommen sei, daß die Schauspieler in den drei Vorstadttheatern die Theaterstücke nicht genau so vortragen, wie solche die Zensurbewilligung erhalten haben, sondern vielmehr jene Stellen, welche abgeändert oder durchgestrichen worden sind, beibehalten, nebstdem aber auch mit zweideutigen und sittenwidrigen Zusätzen vermehren, wird die Polizeioberdirektion beauftragt, den Unternehmern der Vorstadttheater zu bedeuten, daß derjenige Schauspieler, welcher sich beikommen lasse, von dem wörtlichen Inhalt des zensurierten Theaterstückes abzugehen, ohneweiters, und zwar gleich beim ersten Betreten, mit einem achttägigen Polizeihausarrest bestraft werden würde.“51 Allerdings wurden schon vor dem Jahr 1801 Zensurvergehen bestraft. Marinelli war davon 1789 anlässlich der Aufführung von Eberls Das listige Stubenmädchen oder Der Betrug von hinten52 betroffen. Obwohl der Komödientext die Zensur passierte, hatte der Direktor des Leopoldstädter Theaters, Marinelli, wegen einer Spontanauslegung desselbigen – man extemporierte die Bestechung eines Beichtvaters, ein nicht 49 Vgl. Joachim Perinet: Caro, oder: Megärens zweyter Theil. Wien: Schmidt 1795, S. 47. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http:// lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_maegere_2.html [Stand 2009]. 50 Vgl. ebenda, S. 43. 51 Glossy, Zur Geschichte der Theater Wiens, S. 4. 52 [Ferdinand Eberl:] Das listige Stubenmädchen oder Der Betrug von hinten. Ein OriginalLustspiel in drey Aufzügen. Wien: [o. V.] 1784 (ÖNB-Aug Sig. 392620-A 250). 26 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) unbedeutender Verstoß „wider die Religion“53 – 12 Dukaten Strafe zu bezahlen.54 Im Jahre 1800 diktierte die Behörde schließlich Heroine, oder Die schöne Griechin in Alexandria. Ein militärisches Schauspiel mit Gesang in drey Aufzügen abzusetzen55, nachdem es schon sechs Mal gegeben worden war, was ebenfalls auf ein ExtemporeVergehen zurückgegangen sein dürfte (denn wäre das Textbuch anstößig gewesen, hätte man es erst gar nicht passieren lassen). Das Diktat der Verschriftlichung traf auf alle für die Aufführung bestimmten Spieltexte zu. Als dessen unmittelbare Folge sind in Bezug auf das Repertoire La Roches zwei, am Rande zu erwähnende (Neben-)Effekte der Zensurpraxis feststell-bar: erstens die Verschriftlichung der Komödien und damit ihre Konservierung für die Nachwelt56 – eine für die Erforschung des Metiers dienliche Hilfestellung –, und zweitens die damit kausal zusammenhängende Verfälschung des Quellenmaterials aufgrund von Informationskontrolle und einem eng definierten Index des Darstellbaren (nichts wider Religion, Staat und Sitten), als deren unmittelbare Auswirkung sich in Bezug auf Kasperls Komik ein verzerrtes Bild ergibt. Primär ist die Zensur für „die Literarisierung und damit das Überleben der Altwiener Komödie“57 mitverantwortlich, was im weitersten Sinn als wesentliches, wenn auch nicht beabsichtigtes Verdienst zu werten ist. Es ist nur schwer zu erahnen, wie schlecht die Quellenlage für La Roches Spieltexte wäre, wären die Theaterreformer nicht gegen das Stegreifspiel mit der Verschriftlichung der Texte für die Zensurbehörde vorgegangen. Die staatliche Kontrolle der Textbücher zu den Kasperliaden diente zwar ihrer Erhaltung, stellt für die heutige Komikforschung aber eine nicht weniger als fatal zu nennende Beeinträchtigung dar. So scheint es legitim, die noch zu dokumentierende „Fadheit“ der Kasperl-Figur, die mit an Naivität grenzenden, mehr lieblich-verklärt als zotig zu nennenden Charakterzügen ausgestattet ist, das Fehlen der Komik (harmlose Sprachkomik und mäßige Situationskomik, die vom lesenden Rezipienten nicht mehr nachzuvollziehen ist, einmal ausgenommen) in etwas weniger als zwei Drittel des Textkorpus der Zensur zuzuschreiben und wenn nicht ihr, dann 53 Vgl. für Details dazu: Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 307–310. 54 „Der Verfasser dieses Stückes ist der bekannte Eberl, der nämliche, in dessen Stücke, ,Das listige Stubenmädchen‘ betitel, auf dem Marinellischen Theater ein Präsent für den Beichtvater extemporiert wurde und dem Marinelli zwölf Dukaten kostete“. Ebenda, S. 34–35 und S. 282. 55 Vgl. Wenzel Müller: Tagebuch. Übertragen aus der Handschrift der Wiener Stadt- und Landesbibliothek von Girid und Walter Schlögl. Bd. 1. Wien: [Typoskript i. d. Wienbibliothek] [o. J.], S. 217. 56 Vgl. Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 347. 57 Ebenda, S. 347. 27 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html zumindest den ihr vorausgegangenen pädagogisch motivierten Reformen, die die Zivilisierung58 der Lustigen Figur nach sich ziehen. So stellen sich bei der Lektüre der Texte die Erwartungen, die man nach der Lektüre der Sekundärliteratur an den vielgepriesenen Kasperl stellt, nicht ein – augenscheinlich existiert eine nicht zu überwindende Diskrepanz zwischen dem von Zeitzeugen als überaus lustig beschrieben Spiel La Roches und dem farblosen, unwitzigen, in Nebenrollen agierenden Charakter der Dramentexte, die schon Friedrich Schlögl bemerkte: „Da machten gleich in den nächsten Jahren zwei Perinet’sche Possen Furore, deren Werth uns hochgebildeten Epigonen ein veritables Räthsel, deren ,Witze‘, wenn wir in den Textbüchern geneigtest blättern, uns nur ein mitleidiges Lächeln entlocken, obwohl es historisch verbürgt ist, daß sich unsere geehrten Ahnen dabei ,halbtodt‘ lachten. Ich meine das am 10. October 1793 zum erstenmale gegebene ,Neusonntagskind‘ und die am 11. März 1794 erschienen ,Schwestern von Prag‘, Stücke, die wirklich ,ganz Wien‘ sehen mußte und auch sah, und von deren hinreißender Wirkung noch in den Zwanziger-Jahren mir geistig achtbare Männer leuchtenden Auges erzählten.“59 Möchte man alleine den Zensurerlass verantwortlich machen, liegt der Schluss nahe, dass die Autoren die Kasperl-Passagen von vorneherein harmloser anlegten, ihre Texte also schon vor der Zensur selbst zensierten, sodass der Kasperl-Charakter erst im Moment der Verkörperung durch den Schauspieler La Roche auf der Bühne an Drolligkeit und Komik gewannen, womit alle Komik am Typus des Schauspielers60 und der Umsetzung auf der Bühne gehaftet hätte. Für die Annahme der körperzentrierten Komik spricht die Anwesenheit nicht deutschsprachigen bzw. mit dem Wiener Dialekt wenig vertrauten Publikums61 in den Kasperl-Komödien, die den lustigen Protagonisten nicht verstanden, ihn aber dennoch als amüsant empfanden. Eine durch den Körper bzw. die Verkörperung bedingte Komik lässt den 58 Vgl. Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 187. 59 Zu beachten gilt hierbei, dass das Neusonntagskind kein ausgewiesenes Kasperl-Stück ist. Friedrich Schlögl: Vom Wiener Volkstheater. Erinnerungen und Aufzeichnungen. Wien und Teschen: Prochaska 1883, S. 36. 60 „Laroche (Kasperl) war ein gedrungener Mann, mittlerer Statur, mit lebhaften Augen und stark markierten Zügen. Alle seine Bewegungen waren eckig und wurden eben dadurch lächerlich. Sein Dialekt war der gemeine Wiener Dialekt, nur sprach er mehr breit als flüssig und hing oft an einzelne Worte, besonders an das Wort Er, ein a an, worüber man stets lachte. […] Ich möchte Laroche die personifizierte populäre Komik nennen […]“ Ignaz Franz Castelli: Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Erfundenes. Erlebtes und Erstrebtes. Mit einer Einleitung und Anmerkungen neu herausgegeben von Josef Bindtner. Bd. 1. München: Müller [o. J.]. (= Denkwürdigkeiten aus Alt-Österreich. 9.) S. 259–262. 61������������������������������������������������������������������������������������ Exemplarisch seien genannt: Der Napoleon-Bezwinger Lord Horatio Nelson und seine Mätresse Lady Emma Hamilton, ein nicht namentlich erwähnter türkischer Botschafter [d. i. vermutlich Ismail Efendi], Herzog Ludwig I., Ferdinand Philipp von Parma (1773–1803), 1801–1803 Großherzog der Toskana, Ferdinand I. (1751–1825), 1759–1806 König von Neapel und Friedrich Wilhelm Karl Prinz von Preußen (1783–1851). Vgl. der Reihe nach: Müller, Tagebuch, S. 219–220, S. 183, S. 222–238, S. 101, S. 229, S. 269. 28 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) geschriebenen wie gesprochenen Witz hinlänglich werden und „d’gnädigen Herrn und Fraun lachen […], bevor“ der Kasperl „’s Maul aufmacht“62. Abgesehen davon lassen sich die Berichte über La Roches komische Darbietungen und den enormen Zulauf63 angesichts der komikarmen Textbücher noch damit erklären, dass der Schauspieler, wie bereits zuvor angesprochen, von der zensierten Textgrundlage zuweilen abwich, sozusagen ein Schlupfloch64 fand, die Behörde zu umgehen (den einen oder anderen Bezug auf das aktuelle Tagesgeschehen65 einbrachte, oder ernsthafte Szenen sarkastisch interpretierte bzw. parodierte, wogegen die Zensur der Texte nichts ausrichten konnte). Es darf darüber spekuliert werden, ob die Zensur direkt für den Verlust der Komik in den schriftlichen Spieltexten verantwortlich ist, oder ob die untersuchten Dramen einfach als Lesedramen nicht taugten und erst während der Umsetzung auf der Bühne an Witz gewannen. Fest steht, dass der heutigen Forschung nur diese durch die Zensur verzerrten „Schriften“ zur Verfügung stehen, um das Spiel und Komik La Roches zu fassen. Hingegen wird La Roches Darbietungskunst, der Zeitzeugen Komik im höchsten Maße zusprechen, in der von der Textgrundlage gelösten Form wohl nie mehr vollständig rekonstruiert werden können. Kasperls Sozialisierung Ganz in der Tradition des Wiener Spaßtheaters setzte auch das Leopoldstädter Theater bei der Unterhaltung des Publikums auf einen lustigen Zentraltypus – den Kasperl. Eine Folgeerscheinungen der Zensur ist die erzwungene Sozialisierung dieses Typus durch die Abtrennung der verpönten Charakterattribute der HanswurstFigur und die daraus resultierende Entwicklung eines zahmen, wenig anstößigen Volkstypus, dem die Unkeuschheit, die derbe Sprache, die Ferkeleien, die Kopulationsobsessionen und der obszöne Witz der Sexual- und Fäkalkomik abhanden gekommen sind. Damit wurde die Kasperl-Figur den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gemäß auf eine Schattenexistenz des Hanswurst – von dem nur mehr die Ess-, Sauf- und Prügellust in abgeschwächter Form, nicht aber mehr Häme, Arglist 62�������������������������������������������������������������������������������������� Eugen von Pannel: Josef Richter. Die Eipeldauer Briefe 1785–1797. In Auswahl herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen. Bd. 1. München: Müller 1917, S. 49. 63 „Johann Laroche (der ,Magnet‘ der Truppe […])“. Schlögl, Vom Wiener Volkstheater, S. 35. 64 In der Wiener Theater-Zeitung vom 3. Oktober 1807 findet sich eine Anspielung auf die Art und Weise, wie La Roche improvisierte, ohne die Zensur zu verstimmen: „[…] und wenn er gleich manchmal einen witzigen Gedanken zu sagen hatte, so benahm er sich immer so, als wenn er ihm entschlüpft sey, wie durch einen Zufall, wie auch manchmal eine blinde Henne ein Weitzenkörnchen findet; es lag in seinem ganzen Spiel mehr Kunst als in irgend seinen Nachfolger zusammen lag.“ Theater-Zeitung, Wien, Nr. 14 vom 3. Oktober 1807, S. 30. 65 Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 292. 29 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html und Bösartigkeit ererbt wurden – zurechtgestutzt, was die Soziabilität des Kasperl im Prozess des sozialpolitischen und mentalitätsgeschichtlichen Wandels erhöhte. Ganz allgemein ist der lustige Zentraltypus nur in den beiden ältesten der edierten Texte „lustig“. In Die Liebesgeschichte in Hirschau (1780) und Der Spaziergang im Brader (1770) ist die Figur des Kasperl noch präsent und Garant für Lacher. In ersterem wird die klassische „Liebesgeschichte“ der Commedia dell’arte erzählt: Ein närrisch verliebter, geiziger, argwöhnischer Pantalone (hier Kilian) umwirbt ein viel jüngeres Weibsbild (Bonaventura), für das die Avancen des alten Zieraffen wenig attraktiv sind, weshalb sie sofort beginnt, sich nach einer besseren Partie umzusehen. Es dauert auch nicht lange, findet sich ein junger Liebhaber ganz im Stile Anselmos bzw. Octavios (hier der Leutnant Denckner), der, unterstützt von Colombine (Bonaventuras Magd Margereth) und den beiden harlekinischen Dienern (Kaspar und Jackel), den Alten narren, sodass dieser, weichgekocht von den zahlreichen Streichen, Beleidigungen, Betrügereien und Farcen am Ende gerne auf das Mädchen verzichtet und dem jungen Glück kein alter Geck mehr im Wege steht. (Eine Auswahl: Kaspar klebt ihm einen verpappten Brief ins Gesicht66, er übergießt den Alten mit Löschwasser67, bindet ihn und schoppt ihn mit Brei68 – eben der klassische Kasperl in seinem Metier.) Kaspar tritt als gewitzter Scherenschleifer auf, der sich, einem Zuverdienst nicht abgeneigt (das leibliche Wohl steht wie immer bei dieser Figur über allem anderen), aber bald in Diensten des Leutnant Denckners begibt und als dessen Diener gemeinsam mit der zweiten Lustigen Figur, Jackel, bereitwillig als Brieferlträger, Unterhändler, Brautwerber, Mann fürs Grobe und Tunichtgut bzw. summa summarum als Adjutanten in Liebesdingen und Gegenspieler des (zu prellenden) Alten agiert. Die Handlung, die voller Aktion, Lebhaftigkeit, Schwung und Witz ist, wird v. a. durch die meist vom Kaspar initiierten Missverständnisse, Foppereien, Verwechslungen und Verkleidungen vorangetrieben. Kaspar bleibt nicht Kaspar – stattdessen absolviert die Figur nicht weniger als fünf komikstiftende Maskeraden: Einmal ist Kasperl unruhestiftender, stets prügelbereiter Rauchfangkehrer (Hanswurst lässt grüßen), wird kurz darauf zum edlen Herrn von Schweinburg, dessen höchstkomisches Charakteristikum, sich sogar in den primärsten Dingen von seinem Diener (Jackel) zur Hand gehen zu lassen („schneuz mich“), nicht wenig vergnügt (körperzentrierte Komik), brilliert danach in der Paraderolle des Kleinkindes, dem man die 66 Vgl. [Karl von Marinelli:] Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Gestalten ein Lustspiel in drey Aufzügen. [Wien, den 10ten Jänner 1780] [Ms.], [3v], S. 10. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http:// lithes.uni-graz.at/maezene/marinelli_liebesgeschichte.html [Stand 2009]. 67 Vgl. ebenda, [4v], S. 13. 68 Vgl. ebenda, [10 v], S. 29. 30 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) 33 Jahre69 durchaus ansieht (Infantilitätskomik), mimt darüber hinaus noch einen Tambour, eine Allegorie des Winters und sein Alter Ego, den Scherenschleifer. Schmunzeln kann man über diese Kasperl-Figur auch noch in den Stücken Perinets und hier v. a. in den Hafnerbearbeitungen70, wo sie noch mit den typischen Attributen Hanswursts, wenn auch abgeschwächt, ausgestattet ist. Bis auf wenige Ausnahmen71 ist die Komik des lustigen Protagonisten in Eberls, Henslers und Hubers Stücken bestenfalls als lau, wenn nicht als gänzlich verebbt zu bezeichnen. So findet sich in acht der 30 Komödien ein fader Kasperl ohne Tücke, Esprit und Witz, der einfach Teil des Textbuches, aber bestimmt nicht Träger der Handlung ist. Der zahme Charakter nimmt nur mehr Anleihen am komischen Volkstypus, steht den darauf angewiesenen Herrschaften manchmal noch in Liebesdingen zur Seite (er ist Überbringer von Billets und Regisseur diverser Rendezvous), ist selbst verliebt, aber nie ein frivoler Schürzenjäger, oft auch verheiratet und damit gänzlich um das Ausleben seiner sexuellen Triebe gebracht. Gerne verdreht er die Wahrheit, ohne jemandem ernsthaft zu schaden, inszeniert, wenn überhaupt, dann harmlose Verwechslungen. In gemäßigter Weise ist er auch eifersüchtig und streitlustig (droht wie schon Hanswurst mit dem spanischen Rohr), am Ende aber selbst der Geprellte, der wie im Mandolettikrämer, ohne es zu ahnen, alle Vorbereitung trifft72, sein eigenes Weib zu verkuppeln. In besagten Stücken steht die Figur auf einem unschädlichen Außenposten, hat nur wenige Auftritte und verübt keine „schlimmen“ Lazzi (zumindest nicht im fixierten Text). Sie ist farblos, ihr Witz auf wenige Szenen beschränkt, sodass der Schluss nahe liegt, die Kasperl-Figur sei nur alibihalber, aus Gründen der Promotion, in die Handlung integriert. Lustige Szenen, Faxen, Verwechslungen – nahezu alle Dinge, die den Kasperl ausmachen – werden ausgespart. Ein Gähnen entlocken auch jene, bestenfalls von netten Witzchen getragene Rollen, die den Kasperl entweder auf einen gutmütigen, redlichen Bürger oder einen alten, ärmlichen Gesellen reduzieren, wobei v. a. die Kasperl-Figuren mit dem Attribut „alt“ auf jegliche ungestüme Komik, Zoten und Lazzi verzichten. Damit stellt sich unter Bezugnahme auf das Textkorpus dasselbe Ergebnis ein, welches Müller-Kampel schon in ihrem Über69������������������������������������������������������������������������������������������� Auf die Frage Kilians, wie alt er denn sei, antwortet der Kindskopf Kaspar „drey, und dreyßig Jahr“. Ebenda, [10r], S. 28. 70 Caro, oder: Megärens zweyter Theil, Die Schwestern von Prag, Das lustige Beylager und Megera. Erster Theil. Auch Perinets Zauberoper Baron Baarfuß, oder der Wechselthaler birgt einiges an Komik. 71 Eberls Der Tode und seine Hausfreunde sowie Die Perüken in Konstantinopel; Henslers Volksmärchen Der unruhige Wanderer (beide Teile) und deren Bearbeitung durch Leopold Huber Der eiserne Mann (beide Teile). Zur Umsetzung kommt es nie und gescholten wird Kasperl auch dafür. Ohne die morali72����������������������������������������������������������������������������������� sche Komponente und dem Aufzeigen des Irrweges hätte das Stück die Zensur wohl nicht passiert. Vgl. „Gebrechen des Stoffes in Absicht auf die Sitten“ In: Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 317–320. 31 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html blickswerk zum Spaßtheater im 18. Jahrhundert für die Entwicklung der Lustigen Figur und im speziellen der Kasperl-Figur auftut: „Zensur und Geschmack […] drängten die Lustigen Figuren in die Rollen ehrlicher, kindlich froher Domestikengestalten und paralysierten ihre groteske Leiblichkeitskomik ganz entscheidend. Im Vergleich mit Stranitzkys Hanswurst und Kurz’ Bernadon entdämonisiert, entzaubert und verharmlost, spielte der Kasperl zuletzt nur noch Nebenrollen.“73 Zur „Versittlichung“74 des Kasperls passt auch, dass die Figur v. a. in den Produktionen von Ferdinand Eberl und Karl Friedrich Hensler nicht mehr ausschließlich, wie noch sein Ahnherr Hanswurst, an die losgelöste Dienerrolle ohne sozialen Hintergrund gebunden ist. Als Träger bürgerlicher Moral und häuslicher Tugenden erfährt der Kasperl eine Verankerung in den unterschiedlichsten Berufsständen, womit die Lustige Figur in das in den Stücken gespiegelte gesellschaftliche Leben eingebunden wird (sie hat Familie, eine berufliche und private Existenz etc.). Die Dienerfigur aus ihrer isolierten Funktion zu holen und mit bürgerlichen Pflichten zu belegen, muss ebenso Begleiterscheinung der Zensur sein, die keinen Lustigmacher dulden wollte, der keiner Moral verpflichtet ist, ausschweifende Liebschaften beginnt, ständig hinter jedem Rock her ist, keine Rechenschaft für dieses Verhalten ablegen muss und dem Publikum ein für die Vorbildwirkung fatales, lasterhaftes Leben präsentiert. Somit wundert es nicht, dass in den ausgewählten Texten der Kasperl, wenn er noch Diener ist, zumeist eine naive Verliebtheit an den Tag legt, die nie körperlich wird. Oder er mimt einen Bürger mit Beruf, lebt folglich mit seiner Partnerin (das lustige weibliche Gegenüber in der Tradition der Colombine) durch das Sakrament der Ehe75 verbunden, in gesitteten Verhältnissen zusammen. Mit der Zuordnung des Familienstandes, der Reduktion der Lustigen Figur auf Ehemann und naiven Liebhaber werden die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Der Verlust verschiedener althergebrachter Facetten der Komik ist logische Begleiterscheinung dieses Zurechtstutzens, als dessen Folge die Kasperl-Figur ausgesprochen lieblich, aber nicht im Entferntesten umtriebig erscheint. Wie heterogen das literarisch-theatrale Feld in den 1780er Jahren infolge der Geschmacksdebatten, die seit den 1750er Jahren andauerten und Publikum wie Pro- 73 Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 187. 74 Ebenda, S. 187. 75 Verheiratet ist der Kasperl in Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion, Der Tode und seine Hausfreunde, Die Limonadehütte, Alles weis, nichts schwarz, oder der Trauerschmaus, Der Schornsteinfeger, Männerschwäche und ihre Folgen; oder Die Krida, Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer, Die Marionettenbude, oder der Jahrmarkt zu Grünwald, Kasper Grünzinger, Der Glückshafen, Der eifersüchtige Schuster, Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel und damit in 12 von 30 untersuchten Stücken. 32 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) duzenten spalteten, zeigen die in diversen Flugschriften76 und Theaterzeitschriften77 ausgetragenen Diskussionen um die Bühnenberechtigung des Kasperl78, der die Zeitgenossen nicht minder polarisierte, wie es einst der Hanswurst getan hatte. Auch die Frage, ob das auf der Leopoldstädter Bühne Gebotene den Diktaten der Zensur entspreche, beschäftigte die differenzierte Öffentlichkeit – kritische Stimmen gegen die Bühnenleitung und Spielplanbeschaffenheit, die nicht immer frei von Befangenheit und Kalkül waren, wurden laut. Zum Beispiel ist der in manchen schmähenden Rezensionen getätigte Vorwurf, die Bühne und die spielenden Protagonisten verstoßen gegen Sitten, Religion und die Vorgaben des Staates, nicht mehr als der Versuch, ein auf Subjektivität beruhendes Geschmacksurteil bzw. Geschmacksdiktat durch die Berufung auf ein Zensur-Delikt zu legitimieren: „So auch im Gegentheile: wo eine ähnliche Sorgfalt für die Sittenverbesserung eines Volkes von dem Staate nicht nur vernachlässigt wird; sondern, wo der Staat, ohne es zu ahnden, zusieht: wie ein Marinelli aufgeblasen und kühn, wie ein kalekutischer Hahn wieder [!] alle Sitten und Religion selbst zu Felde zieht, und noch manch anderen Unfug treibt – wo der Staat also so wenig aufmerksam auf die Unterhaltung seines Volkes ist; da muß freilich auch der Pöbel bei den sittenwidrigen Lustspielen eines Marinelli nicht nur gleichgültig bleiben, und Schauspieler und Dichter nicht beim Schopf nehmen; sondern an diesen Vorstellungen endlich gar Gefallen finden, und dadurch jedes Gefühl von Sittlichkeit ersticken. – Aber, wird man sagen, der Staat hat ja eine Censur, und Polizeikommission festgesetzt, die über dergleichen Unordnungen wachen sollen? Ohne zu untersuchen, wie weit sich die Gesetze der ersten erstrecken, und 76 Kasperl das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung [!] an seine Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: In: Gustav Gugitz: Der Weiland Kasperl (Johann La Roche). Ein Beitrag zur Theater- und Sitten-geschichte Alt-Wiens. Wien, Prag und Leipzig: Strache 1920, S. 75–82. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: Hartl 1781. In: Ebenda, S. 83–98. Kurze Antwort auf die beiden Schmähschriften. I. Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters. II. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Ebenda, S. 99–107. Bitte an die Damen Wiens das Leopoldstädter Theater betreffend. Wien: [o. V.] 1789. Antwort auf die unverschämte Kritik über die Leopoldstädter Cosa Rara. Wien: [o. V.] 1787. Ferdinand Eberl: Abgedrungene Antwort auf das im zweiten Vierteljahre des kritischen Theater-Journals erschienene sechste Stück, Wien: [o. V.] 1789. 77 Kritisches Theaterjournal von Wien. Eine Wochenschrift. Wien: Ludwig 1788/89, Johann Friedrich Schink: Dramaturgische Fragmente. 4 Bände. Graz: [o. V.] 1781–1784, Johann Friedrich Schink: Dramaturgische Monate. Bd. 1. Schwerin: Bödner 1790, Johann Friedrich von Schink: Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen über das Theaterwesen zu Wien. Wien: Sonnleithner 1783. Der lustige Protagonist würde nur die „dümmsten Einfälle“ auf die Bühne bringen, „ab78������������������������������������������������������������������������������������� gedroschen“ spielen (was ja nicht ganz von der Hand zu weisen ist), dass man wegen der Plumpheit (alles drehe sich nur um die eine Szene, in der Kasperl seinen Herrn „tüchtig herumkarwatscht“) „Gefahr läuft, Kopfweh zu bekommen“, summa summarum sei er kein sittlicher Charakter und ein schlechtes moralisches Vorbild für das Wiener Publikum – lauteten einige Vorwürfe der Kritiker. Nachzulesen in: Etwas für Kasperls Gönner, S. 86–97. 33 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html die Wachsamkeit der letzeren in Thätigkeit ist; treibt Hr. Marinelli der strengen Censur, und der wachsamen Polizey ungeachtet, sein Spielwerk immer fort; beschmutzt die Sitten, hämt der Religion – (des guten Geschmacks nicht zu gedenken) – und schlägt unterm Hüttchen sein Schnüppchen.“79 Diese Zeilen beziehen sich auf Eberls Lustspiel Das listige Stubenmädchen oder Der Betrug von hinten80, das in erster Instanz von der Zensurbehörde genehmigt wurde, der Theaterleitung des Leopoldstädter Theaters, nachdem „ein Präsent für den Beichtvater extemporiert“81 worden war (was nahelegt, dass die Textvorlage nicht das Anstößige war), eine Geldstrafe einbrachte, als deren Konsequenz man das Stück absetzte. Dass hinter den kritischen Worten dieser Rezension zu einem Gutteil ein übersteigertes Geschmacksurteil und – von dem unglücklichen Extempore einmal abgesehen – weniger ein Zuwiderhandeln gegen die Auflagen der Zensur steckte, zeigt die in Form einer Flugschrift zur Rechtfertigung dargebrachte Antwort Eberls – hier dargeboten in Auszügen: „Da aber diese Homunculi – als Meister ihres Gewerbes weislich vermutheten – daß Alle-Tags-Rezensenten Schimpf – nicht ganz mehr seine gewünschte Wirkung thun möchte; – so griffen sie die Sache gar fein an, – Sie traten als Schutzredner der geheiligten Religion und ihrer ehrwürdigen Priesterschaft auf; […] so möchte ich doch auch an diese Herrn die doch wenigstens halb so gelehrt, als fromm seyn müssen, einige Fragen über ihre Kenntnisse stellen, – nach denen Sie Ihr Urtheil zu bestimmen wissen werden; – und ich will es sogar mit deiner Erlaubniß – Publikum – in deinem Namen fodern: – denn da diese Herrn sich zu dem richterlichen Amte aufwerfen, von dem sie uns auf ihren Dreyfuß die Patente ausfertigen wollen, was dir gefallen darf, oder nicht – was du beklatschen – oder auspfeiffen – belachen – oder bestürmen sollst, da Sie das alles mit so grauem Ernste, und Weisheittriefender Miene herab kreischen; […] Die Grundsätze dieser Herrn nach welchen Sie Stücke beurtheilen – kann ich nicht entziffern – […] so erklären Sie mir aber genau, bestimmt ohne kindlichen Wortspielen, was ist der gute Geschmack? […] Kennen Sie den Begrif [!] dieses Wortes nach seinem ganzen Umfange, so werden Sie mir darüber eine feste – bestimmte – für alle Orte, Zeiten, und Völker anwendbare Erklärung geben können. – Sie werden mir beweisen können – daß ein, nach der Meinung Ihres guten Geschmacks – gutes Stück in Frankreich und Italien – in Rußland und in Spanien – in England – und in Deutschland – auf gleiche Art, gleich gut gefallen müsse, und wo es nicht gefällt, dort gibt es keinen guten Geschmack – und man muß die Leute züchtigen – das heißt: einen Missionair von Ihnen dahin senden – der es dem Volke vor der Nase beweist, daß es ohne seiner Erlaubniß nichts gut finden dürfe. – Wenn aber erst wirklich – wie es denn ge79 Kritisches Theaterjournal von Wien, 1789, S. 118–119. 80 [Ferdinand Eberl]: Das listige Stubenmädchen oder der Betrug von Hinten. Ein OriginalLustspiel in drey Aufzügen vom Verfasser des Dichterlings. Wien: [o. V.] 1784. 81 Karl Glossy: Zur Geschichte der Theater Wiens. In: Jahrbuch der Grillparzergesellschaft 25 (1915), S. 1–323, hier S. 34f. und S. 282. 34 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) wiß lächerlich ist – wenn aber wirklich der gute Geschmack fest zu bestimmen wäre – so frag ich Sie erst – ob diese Regeln des Geschmacks – Regeln seyn können, nach denen man ein Privattheater beurtheilen dürfte – es wäre denn, daß einer aus Ihrer Gesellschaft – den Unternehmer von Kopf und Herzen vorstellen wolle – der ohne Absicht auf seine Kassa so viele Philosophie hätte, sich und seine Leute von der Luft leben zu machen, um als ein Professor des guten Geschmackes die geschraubten Regelwerke eines trocknen Gehirns – für den Staub seiner Bänke vorzustellen; und darüber das Vergnügen zu finden – am ersten Donnerstag darauf sich in Ihren Blat [!] – als ein Bekehrer der Sitten verderbenden Zeit, mit Lorbern umwunden zu sehen – Nennen Sie uns also die Regeln nach denen ein Privattheater beurtheilet werden kann – Nennen Sie uns aber auch die Regeln nach welchen Sie Schaubühnen überhaupt, und insbesondere die Marinellische beurtheilen wollen; ich und kein Vernünftiger wird je eine andere, als das Gesetz des Wohlstandes erkennen – und mit welch einer frechen Stirne kann es die Verläumdung beweisen, daß bey Herrn Marinelli diese Gesetze vergessen würden – ich habe schon einmal gesagt – daß meine Stücke alle gedruckt erscheinen – und fordere also jeden auf, mir Unanständigkeiten und Schmutzereien darinnen zu erweisen. […] Wo sind dann aber auch Ihre Werke, auf die sie sich allenfalls berufen dürften, um doch einigermassen die Kühnheit zu rechtfertigen, mit der Sie sich vor dem Angesicht eines ganzen Publikums der Freyheit anmassen, über Geschmack und Sitte – über Schauspiele und Schauspieler – ein Urtheil hinzuschütten – das ein ganzes Publikum, als einen Machtspruch annehmen, und in dem Wohlgefallen seiner Unterhaltungen, sich nach den Grillen solcher Köpfe richten sollte? […] Darüber sich näher zu erklären: hätten Sie doch bey manchem auf dem Nationaltheater aufgeführtem Stücke Gelegenheit gehabt, – denn dieß ist der Ort wo sich Geschmack, und Verfeinerung handhaben läßt“.82 Für die öffentliche Diffamierung der Leopoldstädter Bühne waren angeprangerter Sittenverstoß und Religionshäme die schlagenden Argumente, hinter denen sich ein anderes Stil- und Geschmacksgefühl verbarg, als es an dieser Stätte des Schauspiels definiert wurde. Wesentlich an diesen zitierten Zeilen ist der auch unter Bourdieuschen Kriterien gültige Hinweis, dass „guter Geschmack“ etwas Relatives sei, das die Angehörigen eines sozial-kulturellen Feldes jeweils für sich selbst definieren, die wiederum zu anders Positionierten als Opponenten fungieren. Damit ist die innere Homogenität eines kulturellen Feldes, wie es das literarische Feld im 18. Jahrhundert darstellt, reine Fiktion und „guter Geschmack“ nicht eindeutig zu bestimmen, da es hiervon immer verschiedene Ausprägungen innerhalb eines Kräftefeldes gibt. Der Kunstbegriff der Leopoldstädter Bühne war damit nur einer unter mehreren und – Eberl deutet es an – größtenteils von kommerziellen und nicht ästhetischen Faktoren bestimmt. Die von den Kritikern in Form eines rigiden Anspruchs auf Definitionsmacht eingeforderten „Regelwerke“ ließen sich hier nicht verkaufen. Sie entsprachen nicht dem Profil der Bühne (gewinnorientiertes, auf Unterhaltung 82 Ferdinand Eberl: Abgedrungene Antwort auf das im zweiten Vierteljahre des kritischen Theater-Journals erschienene sechste Stück. Wien: [o. V.] 1789, S. 6–22. 35 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html ausgerichtetes Privattheater) sondern erfüllten vielmehr den Kunstgeschmack des Nationaltheaters. Charakteristisch für den beobachteten Zeitraum sind die fließenden Übergänge zwischen den Bereichen „guter Geschmack“ und Zensur, oder mit anderen Worten, die implizite Auffassung, dass die publizistische Informationskontrolle als Richtschnur für den guten Geschmack auftrete bzw. die Zensur guten Geschmack garantiere. Wäre dem so gewesen, hätte es im theatralen Feld keine unterschiedlichen Positionierungen und Ausrichtungen gegeben und v. a. keinen Widerpart von Unterhaltungs- und Bildungstheater. So leistete das Unterhaltungstheater im „Raum des Möglichen“, was es unter Kontrolle der Zensur eben leisten konnte: Es bot Zerstreuung ohne erkennbaren Bildungsauftrag, dafür aber unter Berücksichtigung der moralischen Gebote der Zensur. So entsprachen die Ergötzungen des Volkes zumindest in ihrer Verschriftlichung den polizeilichen Vorgaben, auch wenn sie auf Kosten dessen gingen, was Kunstrichter und Normpoetiker als guten Geschmackes reklamierten (womit v. a. jene gemeint sind, die die Schau- und Sensationslust des Publikums stillten).83 Es ist der berühmte Zensor Franz Karl Hägelin, der anlässlicheiner Denkschrift84 festhält – sie stellt einen Leitfaden für Theaterzensoren in Ungarn dar –, dass die Zensur keine Geschmacksurteile fälle, sondern über das subjektive Empfinden erhaben sei, solange die alte Devise – nichts was Staat, Religion und Sitten verletze – gewahrt bleibe: „Denn der Geschmack ist in verschiedenen Zeiten verschieden, und noch nicht ausgemacht, wo der wahre Geschmack wirklich existirt; denn einmal herrscht der Schackspearische [!] Geschmack, ein andermal jener der Rittergeschichten des mittleren Zeitalters, und so fort. […] Man kann auch den sogenannten Geschmack nicht bey jedem publicum fordern, besonders da der Staat nebst dem Hoftheater verschiedene Nebentheater privilegirt und auch wandernden Truppen zu spielen erlaubt, die ohnmöglich Stücke nach dem feinen Geschmacke aufzuführen im Stande sind; zumal wo in Deutschland, das aus so vielen kleinen und grösseren Höfen bestehet, der wahre Geschmack sich schwerlich an einem Orte einförmig fixiren und den Hauptton geben wird. Genug, wenn nichts ungereimtes und unanständiges wider die Sitten geduldet wird. 83������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 293. Auch Ferdinand Eberl legitimiert seine Komödien über den Verweis (gleich zweimal), dass alle zur Aufführung gekommenen Stücke in gedruckter Form erschienen seien, was ohne Zustimmung von Bücherund Theaterzensur nicht möglich gewesen sein dürfte. Vgl. Eberl, Abgedrungene Antwort, S. 7 und 13. 84 Wiedergegeben in: Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 298–340. Wie die Musikwissenschaftlerin Lisa De Alwis (Institut für Musikwissenschaft der University of Southern California, Los Angeles) erst kürzlich anhand von zwei neu aufgefundenen Abschriften zeigen konnte, ist die Abschrift Glossys unvollständig. Glossy „zensierte“ den Leitfaden Hägelins und sparte in seiner Abschrift all jene Textpassagen, die sich der Thematisierung sexueller Inhalte auf der Bühne widmen zur Gänze aus. Vgl hierzu Lisa de Alwis: Zensieren des Zensors: Karl Glossys lückenhafte Übertragung (1896) von Franz Karl Hägelins Leitfaden der Theaterzensur (1795) [im Entstehen]. 36 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Man weiß auch, daß seine Kunstwercke nicht von jeder Theatralgesellschaft kustmäßig aufgeführt werden können; daß nicht jede Gattung des Publikums solche verstehen und Belieben daran finden würde, und daß einzelne Privatunternehmer, die auf die Kosten sehen müssen, grosse Künstler, welche zur Aufführung vortreflicher Schauspiele erfordert würden, nicht hinreichend besolden können. […] Die Zensur muß überall auf das Sittliche sehen, der Geschmack gehet die Kritik an. Es ist bekannt, daß etwas sehr ästhetisch schön sein kann, wenn es gleich sehr unmoralisch ist. Nur dann tritt die Zensur auch in Absicht auf den Geschmack ein, wenn es den sittlichen Wohlstand zugleich betrifft.“85 Damit ist nicht nur die Basis für die Positionierung der Leopoldstädter Bühne im Feld gewährleistet, sondern auch der Beweis erbracht, dass der Kasperl – bei allen Extempore-Vergehen – von höherer Stelle legitimiert war, was auch seine Verteidiger zuweilen als Argument ins Feld führen. Der Verdacht gegen Kasperl als Verunstalter der Sitten ist damit nicht haltbar, sein Aufbegehren gegen die staatlichen Gesetze im Extempore-Spiel zu vermuten, gegen dessen Ausprägungen, wie es scheint, zu dieser Zeit noch mit verminderter Vehemenz vorgegangen wurde. Die Dispute in der öffentlichen Kritik sind als auf den unterschiedlichen Geschmack ihrer Urheber zurückzuführende Meinung und Gegenmeinung zu entlarven, eine für die Heterogenität des kulturellen Feldes (ein Kräftefeld, das stets von dem Kampf um Erhalt der eigenen Meinung und Veränderung der anderen geprägt ist) bezeichnende Eigenschaft. Das theatrale Feld Die Theaterlandschaft, in die das Leopoldstädter Theater eingebettet war, kann in erster Linie dualistisch genannt werden, wobei die inner- den vorstädtischen Vergnügungsfeldern gegenüber zu stellen sind. In der inneren Stadt befanden sich die beiden Hoftheater, bestehend aus Kärntnertor- und Burgtheater, denen entgegengesetzt sich in den Vorstädten ab den 1780er Jahren, beginnend mit dem Leopoldstädter Theater, die weitaus jüngeren stehenden Privattheater zu etablieren begannen (Theater auf der Wieden, Josefstädter Theater). Abgesehen davon gab es in der Vorstadt mehrere zum Teil schon vor den genannten Vorstadttheatern existierende, durch wechselnde Prinzipale86 und Gesellschaften permanent oder vorrübergehend 85 Zit. nach ebenda, S. 299–300. 86 Genannt seien exemplarisch etwa Felix Berner, Franz Jakob Scherzer, Johann Georg Wilhelm, Christoph Ludwig Seipp und Barbara Fuhrmann, die sich zum Teil für einen gewissen Zeitraum in den bestehenden Saaltheatern einmieteten. 37 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html bespielte Saaltheater87, familiäre Haus- und Laientheater (in Bürgerwohnungen) und natürlich, nicht zu vergessen, die althergebrachten Komödienhütten88 (als Domäne des Marionettentheaters) auf den öffentlichen Plätzen der Innen- wie auch der Vorstädte Wiens – alles Theaterbetriebe, die noch ergänzend zu nennen sind. Ausbildung des theatralen Felds in Wien, retrospektiv In Wien entstehen die ersten „speziell für Theateraufführungen gebaute[n] feste[n] Häuser“ in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (zuvor war es Praxis, geräumige Säle in öffentlichen Gebäuden bei Bedarf umzugestalten). Als ältestes „städtisches“ Wiener Schauspielhaus gilt das Theater nächst dem Kärntnertor89, das 1708 erbaut wurde. Es ist wie das 1741 entstandene Burgtheater90 zur der Kategorie der „höfischöffentlichen“ Schauspielhäuser zu zählen (das Kärntnertortheater und das Burgtheater sind die beiden k. k. Hoftheater Wiens), die aus „meist nicht autonome[n], einem größeren Baukomplex an- und eingepasste[r] Gebäude“ hervorgingen und sich innerhalb der Stadtmauern Wiens befanden. Sowohl das Kärntnertor- als auch das Burgtheater waren öffentliche, von staatlichen Behörden verwaltete, aber an diverse Pächter91 vermietete, dem Einfluss der Theaterreformer sehr nahestehende92 Büh- 87 Vgl. dazu: Franz Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte. Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Hrsg. von Felix Czeike. München und Wien: Jugend und Volk 1988. (= Geschichte der Stadt Wien. 3.) S. 455–482. Emil Karl Blümmel und Gustav Gugitz: Alt-Wiener Thespiskarren. Die Frühzeit der Wiener Vorstadtbühnen. Wien: Schroll 1925, S. 38–102 und S. 103–165. 88�������������������������������������������������������������������������������� Zum Beispiel auf der Freyung, am Graben, am Neuen und am Hohen Markt. Vgl. Hadamowsky, Theatergeschichte, S. 577–579. 89 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Kärntnertortheater“ [Stand 2009] und Gustav Zechmeister: Die Wiener Theater nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor. Wien: Böhlau 1971. (= Theatergeschichte Österreichs. 3.) 90 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Burgtheater“ [Stand 2009]. 91 „Beide Theater waren anfangs verpachtet; seit der Theresianischen Theaterreform (1752) wurden sie zuerst von der Stadt Wien und vom Hof, und dann von diesem allein verwaltet. Nach dem Tod Franz Stephans von Lothringen […] verpachtete Maria Theresia beide Theater an verschiedene Unternehmer, die sich aber nach kurzer Zeit von der Pachtung zurückzogen. Im Jahr 1770 übernahm die Hofbühnen der ungarische Graf Johann Koháry […]“ Franz Hadamowsky: Die Josefinische Theaterreform und das Spieljahr 1776/77 des Burgtheaters. Eine Dokumentation. Wien: Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs 1978. (= Quellen zur Theatergeschichte. 2.) S. 92�������������������������������������������������������������������������������������� Sonnenfels konnte 1769 ein von Christoph Willibald Gluck initiiertes, seine Theaterreform in Gefahr bringendes Engagement der Badner Gesellschaft samt La Roche an das Kärntnertortheater vereiteln, was den Einfluss des späteren Zensors und Reformers auf diese Bühne ansehnlich geltend macht. Vgl. Zechmeister, Die Wiener Theater, S. 310. 38 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) nen, die „sparten- und sprachübergreifend“ bespielt wurden.93 Der mehrsprachige Spielplan ist auschlaggebend für die Publikumsstruktur dieser Bühnen und zugleich auch ein gewichtiger Unterschied gegenüber den später entstandenen Vorstadttheatern. Obwohl auch das Kärntnertortheater und das Burgtheater94 deutschsprachige Bühnenproduktionen zur Aufführung brachten, überwogen diese an den privaten (Volks-)Theatern, deren Repertoire aus deutschen Sprechstücken, Singspielen und deutschsprachigen Opern95 bestand, was mit der Pauschalbezeichnung dieser Bühnen als „Volkstheater“96 korreliert. Diese semantisch mehrfach besetzte97 Bezeichnung, lässt sich u. a. auf die bildungsunabhängigen, für die Unterhaltung des einfachen Volkes gestalteten Theaterformen anwenden, hat sich im unreflektierten, aber einschlägigen Sprachgebrauch zum Überbegriff für diverse Spielstätten Wiens verselbstständigt, deren Programm eben solche ,triviale‘, ohne Fremdsprachenkenntnisse zu verstehenden Bühnenproduktionen vorsah. Für die Vorstadttheatergründungen in den 1780er Jahren waren sowohl kulturpolitische als auch gesellschaftliche Veränderungen Voraussetzung. Wesentlich war das 93 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Volkstheater“ [Stand 2009] und Zechmeister, Die Wiener Theater, S. 399–562. 94��������������������������������������������������������������������������������������� Dieses v. a. nachdem es von Josef II. 1776 zum „Teutschen Nationaltheater“ erhoben worden war. 95 Man machte sich, wie diverse Opernbearbeitungen Perinets und Eberls zeigen, die Mühe italienische und französische Opernlibretti für die deutschsprachige Aufführung zu adaptieren (Auch wenn es nur in der Absicht geschah, den Spielplan zu bereichern, passt es dennoch zum Profil der Bühne.). Una cosa rara, o sia Bellezza ed onestá kommt in der Übersetzung von Eberl unter dem deutschen Titel Der seltene Fall oder Schönheit und Tugend. Ein italienisches Singspiel nach der Italienischen Opera Cosa rara des Abbate Lorenzo Daponte und L’arbore di Diana unter dem Titel Der Baum der Diana. Eine historisch-komische Oper in zwei Aufzügen von Lorenzo Daponte zur Aufführung. Hinter Der Talisman. Ein Singspiel in drei Aufzügen nach Goldoni verbirgt sich die von Eberl adaptierte italienische Oper Il Talismano. Joachim Perinet verfasste die deutsche Version der Opern Les Deux Petits Savoyards comédie mêlée d’ariettes (Die zween Savoyarden. Ein Singspiel in einem Aufzuge. Aus dem Französischen auf die Musik des Herrn Dalayrac übersetzt) und Raul von Crequi (Raul von Crequi oder die verhinderte Grausamkeit. Oper in drei Aufzügen nach Monvel) von JacquesMarie Boutet de Monvel. „Wiener Volkstheater“ bezieht sich auf die Schauspieltradition Wiens im 18. und 19. Jahr96����������������������������������������������������������������������������������������� hundert und meint die „bürgerlichen, v. a. in den Vorstädten beheimateten Ableger des barocken Hoftheaters mit seinen z. T. sogar tragenden Musikanteilen“ Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Volkstheater“ [Stand 2009]. 97��������������������������������������������������������������������������������������� „[…] so erweist sich der genannte Begriff, dessen Implikationen sich in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer wieder gewandelt haben, als äußerst unpräzis und deswegen irreführend.“ Roger Bauer: Wiener Volkstheater: Noch nicht und (oder) doch schon Literatur? In: R. B.: Laßt sie koaxen, die kritischen Frösch’ in Preußen und Sachsen! Zwei Jahrhunderte Literatur in Österreich. Wien: Europaverlag 1977, S. 119. 39 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Ausrufen der „allgemeinen Spektakelfreiheit“98 im Jahre 1776 – eine für die Schauspielunternehmer entscheidende Neuorganisation des Theaterwesens, die auf das liberale Verständnis Josefs II. zurückzuführen ist. Nach dem Bankrott der Hoftheaterpächter hebt der Monarch das 1728 erlassene Spiel-Privilegium der Hoftheater auf, wodurch das Theaterspielen in Wien auf kaiserliche Anordnung hin für alle Schauspielertruppen ohne Abgabeleistungen an die Hoftheater möglich wird.99 Die finanzielle Entlastung der saisonal in Wien anwesenden Theaterunternehmer ließ manche von ihnen sesshaft werden und forcierte damit indirekt den Zuwachs an neuen Theatern. Fördernd wirkte, abgesehen davon, dass der Zeitabschnitt an sich weitgehend ohne kriegerische Auseinandersetzungen verlief100, die Erschließung der Vorstädte als Wohn- und Arbeitsplatz, als deren Folge Bevölkerungszahl und Wohlstand zunahmen – eine soziale Umstrukturierung, die das potentielle Publikum für etwaige Vorstadttheater hervorbrachte.101 Als weiterer bestimmender Faktor für die Entstehung der Vorstadttheater sei das selbst erwirtschaftete Privatvermögen diverser Schauspielunternehmer genannt, die es nach dem Erlöschen des Theatermonopols häufiger102 als zuvor nach Wien zog. Ihre gute finanzielle Situation bildete die Basis für den Erwerb einer geeigneten Immobilie und erlaubte den Bau eines privat-„bürgerlichen“103 Theatergebäudes jenseits 98����������������������������������������������������������������������������������������� Am 23. März 1776 teilte Josef II. der „Nieder-Österreichischen Regierung“ mit, dass „hinfüro kein Privativum mehr ertheilet werden würde, sondern einem Jeden frey seyn solle, auf was immer für eine erdenkliche Art sowohl in – als vor der Stadt das Publicum zu unterhalten und sich einen Nutzen zu verschaffen.“ Zit. nach Hadamowsky, Theatergeschichte, S. 255. 99 Vgl. Hadamowsky, Die Josefinische Theaterreform, S. 8–27 100����������������������������������������������������������������������������������������� Der Siebenjährige Krieg endete 1763, der Bayrische Erbfolgekrieg (1778/79) hatte den Charakter eines Kabinettkrieges ohne größere Gefechte und war für die Bevölkerung daher auch weniger belastend, die Revolutionskriege (1792–1815) begannen erst nach der für die Vorstädte entscheidenden Wachstumsperiode. Blümml und Gugitz sprechen von den 1770er und 1780er Jahren als Zeitraum, der ge101��������������������������������������������������������������������������������� prägt ist vom „Anwachsen der Vorstädte und des Wohlstandes der Wiener Bevölkerung in einer Zeit des Friedens“. Blümml und Gugitz, Thespiskarren, S. 103. Pezzl stellt einen Zusammenhang zwischen den sich in den 1780er Jahren in der Vorstadt häufenden Fabrikgründungen, den sich daraus ergebenden Wohlstand und der Beliebtheit des Josefstädter Theaters her. Vgl. Johann Pezzl: Mahlerische Darstellung der k. k. Haupt- und ResidenzStadt Wien, oder kurzgefaßte Geschichte derselben von ihrem Ursprunge bis auf den gegenwärtigen Augenblick. Wien: Müller 1822, S. 252–253. 102������������������������������������������������������������������������������������������ In „den Siebzigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts [zeigten sich] in den Wiener Vorstädten mehr wandernde Schauspielertruppen als sonst“. Blümml und Gugitz, Thespiskarren, S. 103. 103 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Schauspielhäuser“ [Stand 2009]. 40 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) der Innenstadt – beides Dinge, die ohne ausreichendes ökonomisches Kapital nicht leistbar gewesen wären. Als Vorreiter für die stehenden Vorstadttheater fungierte das Marinellische Theater in der Leopoldstadt, mit dessen Gründung eine „Ausweitung des Unterhaltungsangebotes für die Wiener Bevölkerung“104 erfolgte. Die Einspielquoten der Badner Gesellschaft, die schon seit 1770 ständig in der Wintersaison in der Leopoldstadt in einem zur Bühne umgestalteten Saal spielte, waren hoch, sodass ihre beiden Leiter, die Kompagnons von Menninger und Marinelli, bereits 1780 über genug Barschaft verfügten, bei der Hofbehörde und damit indirekt bei Kaiser Josef II. um den Bau eines privaten Theatergebäudes in der Leopoldstadt anzusuchen. Marinelli, der sich stets um die bürokratischen Angelegenheiten der Gesellschaft kümmerte, richtete folgende, für die Auslotung der sozialen Situation der Gesellschaft doch recht aufschlussreiche Worte an die kaiserliche Obrigkeit: „Durch diesen Beyfall [damit ist der Zustrom an Publikum, den die Gesellschaft in der Leopoldstadt erfuhr, gemeint] aufgemuntert, war ich Willens, ein eigenes etwas größeres Schauspielhaus in der Leopoldstadt zu erbauen, hätten mich nicht manche Kränkungen daran gehindert, denen ein Theater in Vorstädten ausgesetzt ist. Eine gewisse Vergleichung, eine Art der Behandlung von Seiten des Stadtmagistrats, der ich mich so, wie das gemeinste Marionettenspektakl unterziehen mußte, konnte für mich stets nur sehr demütigend seyn, und das Zutrauen einiger Massen vermindern, auf welches sonst eine an Ordnung gewohnte gesittete, Schauspielergesellschaft Anspruch machen dürfte. Lange sah ich dem glücklichen Zeitpunkt entgegen, wo ich eine gewünschte Gelegenheit finden konnte, mir die huldvolle Gnade Eurer Majestät allerunterthänigst zu erbitten, um wenigstens vor diesen Kränkungen gesichert zu seyn. Dieser Zeitpunkt hat sich genähert, und ich darf hoffen, da itzt nur ein einziges Theater [d.i. das Theater ,Zum weißen Fasan‘ auf dem Neustift105] in den Vorstädten besteht, meine allerunterthänigste Bitte einigen Eingang finden dürfte […]“106 Der Privatbesitz, hier in erster Linie der Besitz eines eigenen Hauses, galt als Sinnbild geordneter Verhältnisse und war auch Voraussetzung für den Erwerb der Bürgerrech- 104 Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 135. 105��������������������������������������������������������������������������������������� Das seit 1776 bespielte „Theater zum weißen Fasan“ auf dem Neustift (zwischen Neustiftgasse und Burggasse) kann als erstes stehendes Vorstadttheater Wiens gewertet werden. Vgl. hierzu: „Das Theater zum weißen Fasan auf dem Neustift“ In: Blümml und Gugitz, Thespiskarren, S. 103–165. 106 Fritz Brukner [Hrsg.]: Die Gründungsakten der Leopoldstädter Schaubühne. Aufgefunden und bearbeitet von Franz Hadamowsky. Wien: [o. V.] 1928, S. 4–8. 41 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html te.107 Die Niederlassung ist somit nicht nur als Bühnengründung infolge günstiger gesellschaftshistorischer und lokaler Gegebenheiten, sondern auch als Positionierung der Schauspielgesellschaft im sozialen Gefüge Wiens zu sehen. Marinelli grenzt die Badner Gesellschaft eindeutig von den Betreibern mobiler Marionettenbuden ab, will nichts gemein haben mit dem „landstreicherische[n] Komödieantenvolk“108, was natürlich aufgrund der pekuniären Situation109 der Gesellschaft und des bestehenden Spielkontrakts mit der Stadt Baden der Realität entsprach, aber auch einem mit Absicht vorgenommenen Präsentabelmachen der Gesellschaft diente, um das Ansinnen auf ein eigenes Spielhaus als gerechtfertigt auszuweisen. In jedem Fall aber ist der soziale Aufstieg der Schauspielergilde, der zuletzt mit der Sesshaftwerdung einhergeht, ebenso wenig von der Hand zu weisen wie der Zugewinn Marinellis an symbolischem Kapital, also an gesellschaftlichem Prestige, Status und an Reputation, durch das erteilte Recht sich fortan „einen kais. kön. privilegirten Schauspielunternehmer“110 schreiben zu dürfen, der über einen festen Wohnsitz und ein eigenes Theatergebäude besitzt. Die Betitelung „kais. kön. privilegirter Schauspielunternehmer“ ist nur eines der Privilegien111, die Marinelli für seine Bühne in der Leopoldstadt erwirkte und die fürdie weiteren, in den darauffolgenden Jahren in den Vorstädten entstehenden The107 Marinelli erwarb das Grundstück, auf dem er das Theatergebäude errichten ließ, von der Geliebten und Erbin des 1780 verstorbenen Leopoldstädter Bürgers Anton Schreyer. Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien in sechs Bänden. Wien: Kremayr & Scheriau 2004, Bd. 4, S. 39. Hadamowsky, Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 46. Die Bürgerrechte wurden demjenigen zugesprochen, der Hausbesitz und Eigentum in der Stadt hatte, Steuern, Abgaben sowie seinen Beitrag zum Wehrdienst leistete. Letzterem kam Marinelli definitiv nach. Der Spion von Wien berichtet über Abgabeleistungen des Theaterdirektors, der sich bereit erklärte, „eine ansehnliche Summe als Kriegssteuer abzureichen, wenn sein Theaterpersonale, wie jenes des National Hoftheaters von der Kriegssteuer befreit bleibe“. In der Folge bezahlte Marinelli „für sein sämtliches Theaterpersonal 500 fl. Kriegssteuer aus seiner eigenen Börse“. Vgl. Der Spion von Wien. Eine Wochenschrift. Wien: [o. V.] 1789, Bd. 1, S. 10 und Bd. 2, S. 8. 108 So die pauschal geurteilte und stark wertende Bezeichnung für fahrende Komödianten. Hadamowsky, Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 41. 109�������������������������������������������������������������������������������� Die Antwort des „Musicimpostamts-Administrator v. Zahlheimb“ auf ein Gesuch Menningers und Marinellis um Herabsetzung der an das Magistrat Wien zu entrichtenden Musikimpostgebühr gibt Aufschluss über die Geschäfte der Badner Gesellschaft. Die Höhe der Musikimpostgebühr lässt Rückschlüsse auf die Einnahmen der Gesellschaft zu: „Ich [d. i. Zahlheimb] habe diesen leztvergangenen Winter öfters um mein Geld verläßliche Leüthe in die Leopoldstädter Komödie geschikt, und in Antwort erhalten, daß die Supplicanten 11 auch 12 Musicanten gehabt haben, so mittels eines Durchschnitts genohmen 8 fl. 15 Kr. jedesmal betraget. Deren Supplicanten Losung oder Einnahm, weillen die Pläze fast allezeit besezet sind, und vielmehr, weillen die Persohnen abzehlen lassen, belaufet sich einen Tag in den andern gerechnet über 100 f. […]. Diese Schauspiell Unternehmere sind vermögliche Leüte […].“ Brukner, Die Gründungsakten, S. 3. 110 Ebenda, S. 6. 111 Zu den anderen siehe ebenda, S. 6–8. 42 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) ater, vor allem aber für das (Freihaus-)Theater auf der Wieden112, richtungsgebend sind. Diese letztgenannte, 1787 vom Wandergruppenprinzipal Christian Roßbach eröffnete und 1789 von Emanuel Schikaneder übernommene Spielstätte erhält die gleichen Rechte und Bedingungen wie das Leopoldstädter Theater verliehen, was aus einer Archivstudie von Friedrich Arnold Meyer anlässlich der um 1900 aktuell gewordenen Privilegienfrage der beiden Schauspielhäuser deutlich hervorgeht: Das „Zustellungsdecret113 […] der Behörde an Marinelli ist die bekannte Magna charta des Leopoldstädter Theaters, aber, wie sich zeigen wird, auch die des Theaters an der Wien.“ Dieses Dokument wird „in allen späteren amtlichen Verhandlungen und Berichten“ rund um das Theater an der Wien „wörtlich citirt“, und als Schikaneder das „Privileg und die Concession zur Theater-Unternehmung“ verliehen wurde, geschah die Erteilung des Privilegiums „ausdrücklich in der Art, wie Marinelli es besitze“.114 Die beiden Theater erhielten nicht nur dieselben Privilegien. Gemeinsam war ihnen neben dem Standort in der Vorstadt auch die Ausgestaltung des Spielplans. Das Leopoldstädter Theater und das Theater auf der Wieden gaben dem lokalen Volksstück, der Zauberposse, dem Singspiel und natürlich noch Ausläufern der Maschinenkomödie mit komischen Zentraltypen Raum, sprachen damit denselben Publikumsgeschmack an, was sie in erster Instanz natürlich zu erbitterten wirtschaftlichen Konkurrenten werden ließ, den Spielstätten aber auch eine gemeinsame Positionierung im theatralen Feld gegenüber den beiden Hoftheatern bescherte: „Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien […]. Der Mann kennt sein Publikum, und weiß ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein großer Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freimütigkeit bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre macht. Ich habe auf seinem Theater über die Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über Vermessenheit zuzuziehen. […] Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu nehmen, daß sie zuweilen zu ihm und zu Kasperle herausfahren und das Nationaltheater und die Italiäner [Anspielung auf die italienischen Schauspielergesellschaften im Kärntnertortheater] leer lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhältnismäßig weit besser, als jene für die Burg. […] So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen tollen Operetten gibt, wo der Wiener Dialekt und der Ton des Orts nicht unangenehm mitwirkt, kann er auch Leute von gebilde112 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Freihaustheater auf der Wieden“ [Stand 2009]. 113 Vgl. Brukner, Die Gründungsakten, S. 7–8. Eine offizielle Privilegiums-Urkunde, die über dieses an Marinelli zugestellte Dekret hinausgeht, dürfte gar nicht erlassen worden sein. Vgl. auch: Friedrich Arnold Mayer: Die Privilegien der Wiener Vorstadttheater. Eine Archivstudie. In: Neue Freie Presse vom 8. Juli 1900, S. 19. 114 Mayer, Die Privilegien der Wiener Vorstadttheater, S. 19. 43 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html tem Geschmack einige mal vergnügen: aber wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfordern, muß der Versuch allerdings immer sehr schlecht ausfallen. […] Die Herrn Kasperle und Schikaneder mögen ihre subordinierten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem ersten Ort unseres Vaterlandes und der Residenz eines großen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu machen.“115 Hingegen wurden das Bildungstheater, die italienische und französische Oper vom Kärntnertor- und Burgtheater getragen. Im Ersteren fand sich das Bürgertum, im Zweiteren allen voran der Wiener (Hoch-)Adel ein. Der wirtschaftliche Aufschwung und das Anwachsen der Vorstädte, das Aufkeimen eines Mittelstandes, der sich sein Freizeitvergnügen abseits des bildungsnahen, fremdsprachigen Theaters suchte und auch die Umstrukturierung bzw. Intensivierung der Freizeitgestaltung116 boten Platz für die Ausbildung von privat verwalteten, von der deutschen Sprache dominierten Kommerz-(Musik-)Theatern, die ihre Bestimmung in der Unterhaltung und Zerstreuung des Publikums fanden: „Uibrigens giebt sich diese Truppe sichtbare Mühe, sich über den Rang eines Nebentheaters empor zu arbeiten, spielt neben den Faccen [!] auch verschiedene feine Stükke, die ihnen freilich noch blutschlecht gelingen, und nur durch einzelne Rollen, die nicht übel ausfallen, erträglich werden. Ihre Faccen aber fallen meists sehr gut aus, bringen auch brav Geld. Einige dieser Stükke werden oft in einem Monat zehn bis zwölfmal bei immer vollem Hause wiederholt, eine Ehre, die in Wien dem feinsten Stük nicht wiederfärt. Mit einem Wort […], ich halte wenn man nach verdrüslichen Geschäften nichts, als sein Zwergfell erschüttern will, dies Leopoldstädter Theater für eine recht gute Rekreazion. Feine Sachen, wahren pollirten Wiz mus man nicht hier suchen, aber der pollirte, feinere Wiz macht auch nur lächeln, und erschüttert das Zwergfell nicht. Wer seinen Geist nären will, hat überdem die Nazionalbühne, hingegen sind für den, der blos aus vollem Halse lachen will, was doch auch zu weilen gut und nüzlich ist, Kasperle und seine Konsorten trefliche Leute.“117 Zur Entente der Theater mit derartiger Ausrichtung ist auch das 1788 errichtete, sich heute noch am selben Ort befindliche Josefstädter Theater118 zu zählen, womit die drei größten Spielstätten in der Wiener Vorstadt komplett wären. Die „Grün- 115 Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. In: J. G. S.: Werke in zwei Bänden. Hrsg. von Jörg Drews. Bd. 1. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1993. (= Bibliothek deutscher Klassiker. 85.) S. 155–540, hier S. 190–191. 116 Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 133–276. 117 Schink, Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen, S. 126–127. 118 Vgl. Österreichisches Musiklexikon. Online: http://www.musiklexikon.ac.at „Josefstädter Theater“ [Stand 2009]. 44 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) dungswelle“ der Privattheater in den Vorstädten kam erst 1794 zum Erliegen, als ein von der Hofbehörde erlassenes Dekret den Bau neuer Theater unterband.119 Materielle und lokale Bedingungen Das Marinellische Theatergebäude entstand im Erholungs- und Vergnügungsviertel der Wiener, gelegen vor den Toren der Stadt in unmittelbarer Nähe zum Prater120 wie auch zu dem an dessen Eingang befindlichen, mit Wirtshäusern, Kegelbahnen, Schaukeln und Ringelspielen lockenden Stadtgut121, woran auch die in der Neuzeit aufkommende, sich im Städtebau niederschlagende Trennung der Bereiche Arbeit und Freizeit deutlich zu erkennen ist. Damit ist die bloße Örtlichkeit einerseits Determinante für die Erbauung des Leopoldstädter Theaters, welches sich bei den sozialhistorischen Bedingungen dieser Epoche eben nur in der Vorstadt herausbilden konnte, sowie andererseits für dessen inhaltliche Ausrichtung als Lachund Belustigungstheater: „Absicht dieses Unternehmens“ war es, „für die heilsame Erschütterung des Zwergfells seiner Nazion zu sorgen“ 122 – oder anders ausgedrückt – „Lachen ist sein Endzweck, sein Brot und Ruhm.“123 Die nähere Betrachtung der Spielstätte Kasperls ist ein wenig desillusionierend, da das Bild, das dabei entsteht, nicht mit den heutigen Vorstellungen von einem Theatergebäude korreliert. Es handelte sich beim Leopoldstädter Theater nicht um ein freistehendes Gebäude, sondern vielmehr um einen in den Wohn-124 und Wirtschaftskomplex der Theatergesellschaft integrierten, einfachen, im ersten Parterre fünf, im zweiten 15 Bankreihen fassenden Aufführungssaal von ca. 255m2, an den sich eine 16m breite und 10m tiefe Bühne anschloss. Beides war nur über einen in 119�������������������������������������������������������������������������������������������� Baron Peter von Braun erhielt das Privileg für alle Stadttheater. Dieser Erlass kam der Zensurbehörde entgegen, die durch den verhinderten Zuwachs an neuen Theatern entlastet wurde, da Bühnen und Aufführungen umso leichter und intensiver zu überwachen waren, je weniger es davon gab. Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 145. 120 Erst 1766 wurde der Prater durch Josef II. allen Bewohnern Wiens als Erholungsgebiet zugänglich gemacht und bürgerlichen Kaffeesiedern wie Gastwirten die Eröffnung diverser Stätten zur Versorgung der Besucher gestattet. Vgl. hierzu: Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 4, S. 593. 121 Vgl. ebenda, Bd. 5, S. 293. 122 Schlögl, Vom Wiener Volkstheater, Erinnerungen, S. 34. 123 Etwas für Kasperls Gönner, S. 87. 124 Neben dem Marinellischen Wohnhaus befanden sich hier auch die Wohnungen mehrerer Ensemblemitglieder. Vgl. Gustav Gugitz: Die Totenprotokolle der Stadt Wien als Quelle zur Wiener Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung. 1953/ 54 (1958), S. 130 und Otto Schindler: Theatergeschichte von Baden bei Wien im 18. Jahrhundert. Mit besonderer Berücksichtigung der „Badner Truppe“ und ihres Repertoires. Wien, Univ., Diss. 1971, S. 124. 45 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html den Kassenhof mündenden, schlecht beleuchteten Gang durch das Marinellische Wohnhaus erreichbar, welches der Straßenseite zugewandt, den Besucher empfing. „Die Worte ,das alte Leopoldstädter Theater sei eine Goldgrube‘ waren mehr als eitle Redensart […]. Wer hätte das dem kleinen, niedrigen und unscheinbaren Hause in der Jägerzeile angesehen, und vollends erst, wenn man in dasselbe durch einen schmalen, niedrigen Gang eingetreten war. Welch’ traurigen Anblick gewährte da das düstere, räumlich sehr beengte, unfreundliche und unsaubere Haus, das noch durch keinen Luster erhellt wurde, und dessen Schnürboden sich in einem solchen primitiven Zustande befand, daß die Decorationen nicht wie anderswo herabgelassen, sondern herabgerollt werden mußten – eine Manipulation, welche für die auf der Bühne Beschäftigten nicht ohne Gefahr war, denn da hieß es behutsam sein, daß Einem nicht eine Decoration mit ihrem schweren Holzrahmen als Einsäumung an den Kopf flog. Dieser Vorgang war auch für die Decorationen von schädlichem Einfluß, welche sich viel schneller als jetzt abnützten; – doch was lag an dem Stückchen Leinwand, auf welchem eben keine Meisterwerke gemalt waren, denn die schmale und niedrige Bühne erheischte nur ganz kleine Decorationen, die, einmal unbrauchbar geworden, ohne große Kosten durch neue ersetzt werden konnten. Und wie wenig Aufwand brauchte dieses kleine Theaterchen für seine Ausschmückung? So viel wie gar keinen, denn was Luxus und Comfort war, davon wußte man in diesem Hause nichts.“125 Die wertende Tendenz der Beschreibung Seyfrieds’ ist nicht von der Hand zu weisen; dennoch gibt es weitere Quellen, die mit der Schilderung des Theaters durch die Adjektive „unfreundlich und unsauber“ korrelieren sowie den als „primitiv“ beschriebenen „Zustand“ des Theaters (sei es nun dessen Publikumsraum, Theaterapparat, Trottoir126 oder Beleuchtung) herausstreichen. So ist eine Schilderung der Hygienebedingungen aus heutiger Sicht nicht nur amüsant zu lesen, sondern erhellt auch die Motive für die Darstellung des Theaters als sudelig: „Eine dritte Gattung Leute, welche, größere Sorgfalt für die Reinlichkeit ihrer Kleider, als die Gesundheit ihres Körpers zu haben schienen, war nimmermehr zu besänftigen, wenn kleine Kinder aus Unwissenheit, und ungezogene Purschen [!] und Dirnen aus Bosheit der Natur freyen Lauf liessen, und so die Kleidung ehrliebender Leute bewässerten, oder wohl gar eine Kanne Bier darüber vergossen.“127 125 Aus: Ferdinand Ritter von Seyfried: Rückschau in das Theaterleben Wiens seit den letzten fünfzig Jahren. Wien: Selbstverlag des Verfassers 1864, S. 47–49. 126������������������������������������������������������������������������������������� „[…] eine gute Ordnung der Wägen bey der Zu- und Abfahrt, welche gegenwärtig noch immer fehlt, ein ihnen zur Stellung angewiesener Platz, ein vom sumpfichten [!] Kothe gereinigter Fußsteig […]“ etc. Gotthold August von Stranden: Unpartheyische Betrachtungen über das neuerbaute Schauspielhaus in der Leopoldstadt, und die sämtlichen Glieder der Gesellschaft. Von Gotthold August van der Stranden, gewesener Unternehmer einer Schauspielergesellschaft, nebst dessen Lebensgeschichte. Wien: Hartl und Grund 1781, S. 20. 127 Ebenda, S. 22. 46 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Wen wundert es da noch, wenn die Chronisten einen üblen Gestank128 erwähnen, der das Theater erfüllte. Bleibt nur die Frage, wie sollte ein solcher bei dem herrschenden Verständnis von Körperhygiene in der damaligen Zeit auch vermieden werden? Abgesehen davon finden sich Belege, denen zufolge der Publikumsraum sich angeblich durch einen Mangel an Bequemlichkeit – die „Logen“ seien „schmal“, die Galerien „nieder“129 – und die Dekorationen bestenfalls durch ihre Zweckdienlichkeit auszeichneten (abgesehen von der vielgelobten Kortine130 von Fibich)131. Dem gegenüber stehen die Schilderungen Hadamowskys, der von „herrlichen“ und „prächtigen Dekorationen und staunenerregenden Maschinerien“ spricht, sowie festhält, dass „die Verwandlung des Sylvio“ trotz des oben primitiv genannten Bühnenapparates „im Baum der Diana bei Marinelli pünktlich, im Hoftheater aber nie geriet.“132 Ob nun üble Nachrede oder übertriebene Stilisierung – die Wahrheit dürfte wie so oft in der Mitte liegen. Auf dem Theatergelände befanden sich außer dem Publikumsbereich und der Theaterbühne auch noch das Marinellische Wohnhaus (am exponiertesten Platz), der Wohntrakt der Ensemblemitglieder und verschiedene Wirtschaftsgebäude (Tischlerei, Malerei, Bierschank133, Bäckerei); eine Gebäudeanordnung, die die örtliche Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz nur bedingt134 umsetzte und daher in ihrer Spezifik einerseits als Überbleibsel der Kultur der Wanderschauspieler, die beide Bereiche aus Gründen der Ökonomie nicht zu separieren wussten, andererseits auch 128�������������������������������������������������������������������������������������� Der üble Geruch, der im Theater herrschte, wird in den Quellen und Chroniken des Öfteren erwähnt. Vgl. Friedrich Kaiser: Unter fünfzehn Theater-Direktoren. Bunte Bilder aus der Wiener Bühnenwelt. Wien: Waldheim 1870, S. 76 und Stranden, Unpartheyische Betrachtungen, S. 22. 129 Kaiser, Unter fünfzehn Theater-Direktoren, S. 76. „[…] bey den Logen wäre mehr auf den Preis, als ihre Bequemlichkeit gesehen worden“, verlautbart Stranden über die Publikumsplätze im Marinellischen Theater. Stranden, Unpartheyische Betrachtungen, S. 22. 130 Vgl. zu deren Konzeption Schink, Dramaturgische und anderen Skizzen, S. 127. 131 Während Stranden die Kortine von Fibich lobt, bekrittelt er dessen restliche Malereien: „[…] und ich sah, daß Herr Fibich ganz gut ein fleißiger, aber eben nicht der geschickte Maler seyn mag, oder es wenigstens damals nicht gewesen ist, als er die obere Decke (Plafond) malte, an der man ungeachtet der Täuschung vieler brennender Lichter einen schweren Pinsel, fehlerhafte Zeichnung, und ein finsteres beynahe schmutziges Kolorit nicht verkennen konnte. Mit besserem Erfolge arbeitete er an der Kortine […]“ Stranden, Unpartheyische Betrachtungen, S. 23–24. 132 Hadamowsky, Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 50–51. 133 Vgl. Kaiser, Unter fünfzehn Theater-Direktoren, S. 75. 134 Eine Trennung von öffentlichen und privaten Räumen liegt vor, allerdings befinden sich Arbeits- und Wohnstätte auf ein und demselben Gelände. 47 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html als Anzeichen der bürgerlichen Gepflogenheit, einen Raum multifunktional135 (also Arbeits- bzw. Werkstätte und Wohnraum in einem) zu verwenden, gedeutet werden kann. Die Kombination aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden spricht für das Vorliegen einer „Ordnung des ganzen Hauses, die Herrschaftsbeziehung meint und zugleich eine wirtschaftliche Gemeinschaft“ darstellt und zu der außer dem engen Familienkreis – „wenn vorhanden – auch die Gesellen, Knechte, Mägde und anderes Gesinde“ zählten.136 Auch die Marinellische Theatergesellschaft definierte sich über alle ihre Mitglieder – ein Familienverband, der Ausdruck einer spezifischen Lebenswelt war und am ehesten als handwerklich-bürgerlich zu identifizieren ist. Die „hervorgehobene Stellung“ des „Hausvaters“137 war die Karl Marinellis, der dem Schauspielerensemble wie dem Rest des Gesindes138 in patriarchalischer Weise vorzustehen pflegte, als Unternehmer die kleine wirtschaftlich-soziale Einheit in erster Instanz zusammen- aber auch am Funktionieren hielt. Die Kategorisierung „bürgerlich“ ist nicht nur auf Beschaffenheit und Konstitution des Unternehmens (Privatbesitz, Arbeitskollektiv und hierarchisch-familiäre Ordnung) anwendbar, sondern auch bezeichnend für die herrschende Moral im Ensemble, dem Zeitzeugen Anstand, Manieren sowie geordnete Verhältnisse zusprachen: „Herr Marinelli, der ein äußerst redlicher und schätzbarer Mann seyn soll, hält solche Ordnung unter seinem Personale, daß es an Einigkeit, Sittlichkeit, Folgsamkeit, sowie die Aufführungen selbst an Pünktlichkeit und Ordnung vielen anderen zum Muster dienen könnte“, 139 lautet ein solches Urteil, das Marinelli und den Mitgliedern seiner Gesellschaft im sozialen Gefüge der Stadt einen Platz in der Bürgerschicht zugestand. Der Schauspieler als Zugehöriger der untersten sozialen Schicht und die damit verbundene 135���������������������������������������������������������������������������������� Vgl. Bernd Roeck: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums in der frühen Neuzeit. München: Oldenburg 1991. (= Enzyklopädie deutscher Geschichte. 9.) S. 18. 136 Ebenda, S. 14. 137 Ebenda. 138���������������������������������������������������������������������������������� Abgesehen vom Bühnenpersonal waren auch Handlanger, Zettelträger, Zimmerleute, Maler, Kassiere, Dekorateure, Maschinisten, Billeteure und Maler am Leopoldstädter Theater beschäftigt. Vgl. hierzu den Personalstand in: Wiener Theateralmanach für das Jahr 1794. Wien: Kurzbeck 1794, S. 35–37, Wiener Theater Almanach 1795. Wien: Camesina 1795, S. LI–LIII, Wiener Theater Almanach für das Jahr 1796. Wien: Camesina 1796, S. XLIII– XLV, Joachim Perinet [Hrsg.]: Wiener Theater Almanach auf das Jahr 1803. Wien: Riedl 1803, S. 146–151, Joachim Perinet [Hrsg.]: Wiener Theater Almanach auf das Jahr 1804. Wien: Riedl 1804, S. 157–162, Joachim Perinet [Hrsg.]: Wiener Theater Almanach auf das Jahr 1806. Wien: Riedl 1806, S. 110–114. 139 Aus: Neuestes Sittengemälde von Wien. Wien: Pichler 1801, S. 13. 48 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Herabwürdigung140 seines Standes begannen folglich der Vergangenheit anzugehören (sofern die als pauschal einzustufende Verurteilung der Schauspieler überhaupt jemals auf die Badner Gesellschaft anwendbar war, was aufgrund der verliehenen Spielgenehmigung und den Privilegien für die Leopoldstadt von höchster Stelle recht unwahrscheinlich scheint141). Wie andere Vorstadttheater142 geriet auch das Leopoldstädter Theaterbetrieb zuweilen in Verruf, in seinem Publikumsraum „leichte Mädchen“ zu beherbergen, was der Spielstätte nicht alleine die sittliche Disziplin absprechen mag, sondern viel mehr auf die zusätzliche Funktion als Umschlagplatz des gesellschaftlichen Lebens, in eben allen seinen Ausprägungen, verweist. „Wagen wir einmal einen Gang in das Innere des Hauses, so werden wir, abweichend von dem Gebrauche in andern Theatern, die Ecksperrsitze im Parterre zum großen Theile von weiblichen Wesen besetzt finden, deren häufig dick mit Schminke belegte Wangen und frech herausfordernde Blicke jedem Besucher, der eben nicht zu den Blöden zählte, die Ueberzeugung aufdringen mußten, diese lebendige Garnierung der Bänke bestehe ausschließlich aus ,gefälligen‘ Damen. In dieser Beziehung hatte das in dem Hause herrschende Chair’ oscuro auch seine volle Berechtigung. Dieses Theater brauchte eben eine solche und keine andere Beleuchtung. Wie hätte auch die stets lauernde Polizei ein Treiben übersehen sollen, ohne dem Publicum gerade Aergerniß zu geben, wenn sich im hellerleuchteten Hause die Ecksitze periodisch leerten und nachher wieder füllten, jenachdem ihre Besitzerinnen in ,Geschäftsangelegenheiten‘ das Theater zeitweilig verlassen mußten, um es später wieder zu besuchen. Es gibt Dinge, die eben kein helles Licht vertragen, und ein solches Ding war das Parterre des alten Leopoldstädter Theaters bis in die Zwanzigerjahre mit seinen Besuchern und stereotypen Besucherinnen.“143 „Das Leopold- und Josephstädter Theater ist dem Pöbel, den Huren, und denen die sie suchen, geweiht; es verdient nicht erst beschrieben zu werden. […] Um mich zu überzeugen, wie die Huren in Wien ihr Wesen treiben, ging ich 140 Noch Joseph von Sonnenfels quittiert den Schauspielerberuf mit den wenig rühmlichen Worten, „jeder Vater“ ließe „den Sohn eher ins Zuchthaus sperren […] als Schauspieler werden“ und „jede Mutter verläugne ihre Tochter […], sobald sie Schauspielerin geworden“. Joseph von Sonnenfels: Der Mann ohne Vorurtheil. In: J. S.: Gesammelte Schriften. Bd. 3. Wien: Baumeister 1783, S. 99. 141 In dem Eröffnungsstück Aller Anfang ist schwer aus der Feder Marinellis heißt es: „Marinelli. Der Schauspielerstand wird durch ein redliches, bürgerliches Betragen schätzbar. Und dies hat uns den höchsten Schutz, Gnade und Unterstützung der Gönner verschafft.“ Karl von Marinelli: Aller Anfang ist schwer. Ein Gelegenheitsstück in einem Aufzuge. Bey Eröfnung des neuerbauten Schauspielhauses in der Leopoldstadt. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 53–73, hier S. 65. 142 Vgl. auch: Johann Kaspar Riesbeck: Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris. Bd. 1. [o. O.]: [o. V.] 1784, S. 231. 143 Seyfried, Rückschau in das Theaterleben Wiens, S. 50–54. 49 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html ins Leopoldstädter Theater, und setzte mich zu zwey Mädchen, die mir aus jener Klasse zu seyn schienen; ich versuchte es auf verschiedene Weise, an sie zu kommen; wurde aber spröde abgewiesen. Dieß konnte ich nicht enträthseln, bis sie im zweyten Akt sich entfernten, und die eine mir eine gedruckte Adresse in die Hand schob, worauf ihr Logis deutlich bemerkt stand. […] Ich erklärte ihr bald: daß ich nicht der Liebe wegen gekommen sey, sondern daß ich von ihr nur hören wolle, wie sie und ihres Gleichen in Wien lebten. […] ohne darüber böse zu werden, […] setzte sie sich auf den Sopha und hub an: […] Oeffentlich dürfen wir unsere Netze nicht aufstellen, sondern es muß in der Stille und mit Anstand geschehen; denn wenn wir uns öffentlich zeigten, wie wir sind, so holte uns die Polizey ab. Sie mein Herr, machten uns Ihre Anforderung viel zu deutlich im Theater, darum eilten wir, daß wir fortkamen, und ich gab Ihnen meine Addresse. Unsere Fangplätze sind die drey Theater an der Wien, in der Josephs- und Leopoldstadt. In das Kärntner Thor und auf die Burg dürfen wir nicht kommen; auch dürfen wir überhaupt nicht zu sehr entblößt gehen, weil wir sonst gewiß von rechtlichen Bürgersleuten beschimpft werden würden.“144 Dass Freudenmädchen hier häufiger als in den übrigen Theatern Wiens auf Kundenfang gingen, entspricht wohl eher einem parteiischen Geschmacksurteil bis hin zur Denunziation als der Realität. Vielmehr gehörten sie zum Theateralltag, dessen gesellschaftliche Konzeption, bestehend aus der regelmäßigen Anwesenheit bunt gemischter Menschenmengen, den geeigneten Rahmen sowie beste Vorrausetzungen bot, um Kontakte (eben auch moralisch und sittlich verwerfliche) zu knüpfen und Geschäfte (welcher Art auch immer) anzubahnen. Der Theaterbesuch war der rechte Vorwand für das „Abschleppen“ von Kundschaft, was, einer echten Doppelmoral folgend, subtil und ohne Verstöße gegen den Anstand durch „eindeutig-zweideutige Zeichen“ und keinesfalls offen zu erfolgen hatte, bewegten sich die Prostituierten doch „in einer sozialen Umwelt, deren Strukturen fundamental von Ehe und Familie geprägt wurden; die gegenüber jeder Form der Sexualität außerhalb dieser Strukturen […] in höchstem Maße intolerant sein konnte“, auf schmalem Grade.145 144 Wien und Berlin in Parallele. Nebst Bemerkungen auf der Reise von Berlin nach Wien durch Schlesien über die Felder des Krieges. Ein Seitenstück zu der Schrift: Vertraute Briefe über die innern Verhältnisse am preußischen Hofe seit dem Tode Friedrichs II. von F. v. C-n. Amsterdam und Cölln: Hammer 1808, S. 122–124. 145��������������������������������������������������������������������������������������� „Im Wien Maria Theresias soll es ungeachtet der Aktivitäten der von der Kaiserin eingesetzten Keuschheitskommission nicht weniger als 10 000 gewöhnliche und 4000 ,bessere‘ Dirnen gegeben haben.“ Im 18. Jahrhundert ist die Prostitution, die mit den moralischen Verständnis einer durch die christliche Religion geprägten Gesellschaft nicht zu vereinen, aber auch nicht auszumerzen war, „ins Halbdunkel gewandert; das mit dem Stadtfähnchen gekennzeichnete Freudenhaus weicht diskreten Etablissements“ – unauffälligeren Orten, wie eben dem Publikumsraum eines Theaters. Siehe: Sexualität und Marginalisierung. In: Bernd Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1993. (= Kleine VandenhoeckReihe. 1568.) S. 119–128. 50 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Auch Räsonierer sprachen der Örtlichkeit bei aller Kritik als Nebenerscheinung des Theaterbesuchs die Stiftung von Sozialkontakten zu: „Ich bin überzeugt und will es zur Ehre unserer Nation glauben, daß besonders der denkende Teil der Menschen diesen Schauplatz nicht um der Schauspiele willen besucht, wovon keines der Aufmerksamkeit würdig ist, er besucht sie wie einen öffentlichen Gesellschaftsort – um seine Bekannten zu finden.“146 Man sah im Leopoldstädter Theater in zweierlei Hinsicht und wurde gesehen, man tauschte hier Neuigkeiten aus, betrieb Konversation und vergnügte sich über den vordergründigen Besuch der Komödie hinaus. Das Theater hatte unbestritten neuigkeits- und gesellschaftsstiftende Funktion, es war Unterhaltungs-Maschinerie im wahrsten Sinne des Wortes und abendfüllende Beschäftigung. Theater-Praxis: Spielbeginn, Normatage und Eintrittspreise Schon Joseph von Sonnenfels hielt die Abendstunden für den rechten Zeitpunkt, das Theater zu besuchen; v. a. „die Stunden von 6 bis 10 Uhr“, schrieb er, seien geeignet, „bey dem Schauspiele hingebracht zu werden“147, eine Begleiterscheinung der neuzeitlichen Strukturierung des Tages, womit Aktivitäten des Nachmittags auf den Abend verschoben wurden (noch im ausgehenden Mittelalter begannen Theatervorstellungen in der Regel um ein Uhr Mittags und fanden um sieben Uhr abends, spätestens aber mit Einbruch der Dunkelheit ein Ende).148 Die Theaterzettel des Leopoldstädter Theaters nennen entweder „halb 7 Uhr“ oder „7 Uhr“ als Zeitpunkt für den Beginn der Vorstellung.149 Der Spielplan des Leopoldstädter Theaters ist in den ersten Jahren noch von dem von Maria Theresia 1752 erlassenen „Norma-Edikt“ geprägt, welches neben dem Verbot des Bernardon auch jene 50 Tage (Norma-Tage) benannte, die frei von The- 146 Etwas für Kasperls Gönner, S. 86. 147 Joseph von Sonnenfels: Der Mann ohne Vorurtheil. Eine Wochenschrift. 4 (1766), S. 680. 148 Vgl. Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 63. 149 Vgl. Theaterzettel des Leopoldstädter Theaters in der Wienbibliothek im Rathaus. Bd. 1. Wien: [o. V.] 1781–1798 (Sig. C 64525). 51 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html atervorstellungen zu bleiben hatten.150 1781 kam die Gesellschaft von Oktober (dem Eröffnungsmonat) bis Jahresende auf ungefähr 57 Spielabende151, wobei Allerheiligen, Allerseelen nicht, jedoch die Adventzeit bis zum 21. Dezember gespielt wurde. 1782 waren es bereits an die 151 Spielabende, eine durch die Sommerpause (die Gesellschaft weilte von Ende Mai bis Ende September in Baden) und das Spielverbot während der gesamten Fastenzeit bedingte geringe Anzahl an Abenden. Das Jahr 1783 ist erstmals in Bezug auf die gespielten Abende und ihre Zunahme in den noch kommenden Jahren repräsentativ zu nennen, da auch den Sommer über durchgespielt wurde – abzüglich der Fastenzeit, diverser (hoher) Kirchenfeiertage152, Sterbe-, Gerburts-, und Namenstage der kaiserlichen Familie153 zählt das Bühnentagebuch ca. 236 Spielabende. Erwähnenswert ist auch, dass in diesem Jahr Allerheiligen und Allerseelen, nach Maria Theresia beides Norma-Tage, zum ersten Mal an dieser Bühne ein Schauspiel zur Aufführung kam: Marinellis Dom Juan oder Der steinerne Gast. Das Spielen an diesen beiden kirchlichen Gedenktagen ist als erstes Indiz für den stetigen Verlust an Einfluss des kaiserlichen Diktats von 1752 zu werten, die Spieltage beginnen tendenziell zu steigen, sodass nach und nach immer mehr Abende für Theateraufführungen gewonnen werden. 1787 sind es bereits 323 Spieltage, da in der Fastenzeit über auf Geheiß Josefs II. mit Ausnahme von Mittwoch, Freitag und 150 „Norma Tage waren: 1) Die Adventszeit, vom 12. Dezember inklusive anzufangen, 2) die ganzen Fasten, 3) die Betwoche [auch Bitttage; christliche Gebets- und Prozessionstage vor dem Fest Christi Himmelfahrt], 4) das Fest der Dreifaltigkeit, 5) die Frauenfeste [alle Marienfeste] und deren Vorabende, auch wenn sie keine kirchlichen Festtage waren, 6) die Fronleichnamsoktav, 7) Quatembern, 8) die Allerheiligen und deren Vorabende, 9) Allerseelen, 10) Christi Himmelfahrt, 11) Heilige Drei Könige, 12) 1. Oktober und 4. Novembern (Geburts- und Namenstag Karls VI.), 28. August und 18. November (Geburts- und Namenstag von Elisabeth Christina), 19. und 20. Oktober (Jahresgedächtnis von Karl VI.), 15) nach Weihnachts- und Osterzeit, sowie Pfingsten durfte jedesmal erst am folgenden Mittwoch oder Donnerstag mit dem Spiel begonnen werden. – Das vor dieser Verordnung auf 260 Spieltage anberaumte Theaterjahr wurde damit auf 210 Spieltage reduziert, was zugleich einer drastischen Reduzierung der möglichen Einnahmen gleichkam.“ Aus: HaiderPregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule, S. 454. 151 Zu deren Anzahl vgl. Müller, Tagebuch, S. 6 –298. 152 Am Leopoldstädter Theater eingehaltene Norma-Tage anlässlich von Kirchenfeiertagen sind etwa: bis 1783 Allerheiligen und Allerseelen, bis 1787 die gesamte Fastenzeit (Aschermittwoch bis einschließlich Ostersonntag), dann bis 1793 in der Fastenzeit jeder Mittwoch, Freitag und Samstag und danach nur mehr der Aschermittwoch und die 10 Tage von Palmsamstag bis Ostersonntag, das Pfingstwochenende bzw. ab 1786 nur mehr der Pfingstsonntag, Fronleichnam, die Weihnachtsfeiertage (meist von 22. bis 25. Dezember) und die Marienfeiertage (8. September Mariä Geburt etc.). 153 Exemplarisch seien genannt: sämtliche Trauerzeiten anlässlich des Todes von Angehörigen des Herrscherhauses, jährlich die Sterbetage von Maria Theresia (28./29. November), Maria Josepha (15. Oktober; d. i. eine Tochter Maria Theresias; † 1767), Josef II. (20. Februar), Kaiser Franz I. (18. August) und Leopold II. (1. März) etc. 52 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Samstag bzw. Sonntag154 Schauspiele inszeniert werden durften, ab 1793 spielt man in der Fastenzeit an allen Tagen außer an Palmsamstag und -sonntag, der Karwoche, sowie dem Osterwochenende, was die Anzahl der Spieltage auf 340 erhöht, eine Zahl, die bis 1806 annähernd konstant bleibt. Einbrüche stellen nur das Jahr 1790 (296 Spieltage) und 1792 (290 Spieltage) dar, die Todesjahre von Kaiser Josef II. und Kaiser Leopold II., in denen mehrwöchige Trauerzeiten ausgerufen wurden, die mit Aufführungsverboten einhergingen und infolge für die Schauspielunternehmer arge finanziellen Einbußen bedeuteten. Marinelli, der im Februar seiner Gesellschaft alljährlich die doppelte Gage gab155, vermutlich um seinem Ensemble so finanziell über die spielfreie Fastenzeit zu helfen, zahlte auch während der Trauerzeiten die vollen Gagen der Mitarbeiter weiter.156 Galt nach dem Erlass des „Norma-Edikts“ noch an 155 Tagen im Jahr Spielverbot, waren es um 1806 nur mehr durchschnittlich 25 Tage, an denen sich der Vorhang der Leopoldstädter Bühne nicht hob. Im Eröffnungsjahr 1781 verlautete der Theaterzettel des zweiten Spielabends (gegeben wurden die gleichen Stücke wie am Tag der Eröffnung: Aller Anfang ist schwer und Der Wittwer mit seinen Töchtern, oder Mädln wollen Männer) die folgenden nach der jeweiligen Sitzkategorie abgestuften Eintrittspreise: „Eine große Loge, worein acht Personen gelassen werden, kostet täglich 5 fl. / Eine kleine Loge worein vier Personen 2 fl 30 kr. / Auf dem ersten Parterre, und ersten Gallerie bezahlt die Person 34 kr.157/ Auf dem zweyten Parterre, und zweyten Gallerie 17 kr. / Im dritten Stockwerk 7 kr. […]“.158 Die preisliche Abstufung der Areale des Zuschauerraumes stellte sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts aufgrund des aufkeimenden Interesses von Adel und Hof an den „Produktionen Fahrender“ ein, was eine örtliche „Abgrenzung der Stände“ nach sich zog, um die gesellschaftlichen Unterschiede wie die Etikette während den Vorstellungen zu wahren.159 Auch das Leopoldstädter Theater wies, wie die Theaterzettel zeigen, eine räumliche Strukturierung des Publikumsraumes auf, anhand derer der 154 Müller nennt zwar den Sonntag als Norma-Tag, im Bühnentagebuch ist aber immer am Samstag ein „nichts“ anstatt einer Vorstellung eingetragen. Vgl. Müller, Tagebuch, S. 56– 57. 155 „Den ersten Freytag nach Aschermittwoch bekam die ganze Gesellschaft jedes Jahr ohne ausnahme [!] doppelte Gage von H. Marinelli“. Ebenda, S. 57. 156 Vgl. ebenda, S. 92 und S. 116. 157�������������������������������������������������������������������������������������� „[…] die damals kursirenden Viertelkronen, welche 34 kr galten“ wurden „allgemein Kasperln“ genannt „und zwar darum, weil auch der Eintrittspreis in das Parterre des Leopoldstädter Theaters auf 34 kr. festgesetzt war“ Aus: Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 257. 158 Vgl. Theaterzettel vom 21. Oktober 1781. In: Theaterzettel des Leopoldstädter Theaters in der Wienbibliothek im Rathaus. Bd. 1. Wien: [o. V.] 1781–1798 (Sig. C 64525). 159 Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 136. 53 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html gesellschaftliche Status bzw. das Vermögen der dort Platz Nehmenden ablesbar waren. Ein Logenplatz kostete mit knapp 63 Kreuzern fast doppelt soviel wie ein Platz am ersten Parterre bzw. der ersten Galerie – eine preisliche Nuancierung, bei der sich die Frage nach der selektiven Wirkung erübrigt. Dreierlei Dinge sind es, die im Zusammenhang mit den Eintrittspreisen dieses Theaters bemerkenswert erscheinen: Erstens verfügte schon der alte Spielort der Badner Gesellschaft in der Leopoldstadt, der Czerninsche Saal, über verschiedene Sitzkategorien, zweitens zeigen die Theaterzettel, die die Preise dieser Sitzkategorien nennen, dass mit der Eröffnung des stehenden Theaters keine Teuerung vorgenommen wurde, d. h. die Gesellschaft spielte immer noch um annähernd den selben Preis, wie sie es 1766160 in der Kurstadt Baden und 1769161 und 1780162 im Czernischen Gartenpalais getan hatte. Drittens erfolgte auch nach 1781 – trotz des regen Zulaufes und des anhaltenden Erfolgs – bis zur Pachtübernahme durch Karl Friedrich Hensler im Jahr 1803 keine Preiserhöhung der Theater-Billets. Hensler informierte das Publikum über die preisliche Neuerung schließlich in einer eigens dafür verfassten Nachricht, die gegenüber 1781 leicht veränderte Kategorien aufweist: „Meine Ausgaben, die sich seit der Pachtung durch jede Rubrik meiner theatralischen Bedürfnisse so sehr vermehrt haben, nöthigen mich von dem heutigen Tage an das Entree um einen geringen Preiß zu erhöhen. Ich bin von der Billigkeitsliebe des verehrungswürdigen Publikums überzeugt, daß mir Niemand diese geringe Preißerhöhung verargen wird, indem ich bereits schon durch die Reinlichkeit des äusseren Schausplatzes sowohl als auch durch innere Einrichtung der Bühne und Dekorationen dafür gesorgt habe, das gnädige und verehrungswürdige Publikum nach Würde zu unterhalten. […] Preise der Plätze: Eine Loge kostet 3 fl. / Ein gesperrter Sitz[163] auf dem ersten Parterre und der ersten Gallerie 48 kr. / Erstes Parterre und erste Gallerie 36 kr. / Zweytes 160����������������������������������������������������������������������������������������� „Der Schauplatz ist bekannt. Das Leeggeld ist auf den ersten Partere 34 Kr. Auf den zweyten 17 Kr. Auf den letzten Platz 7 Kr.“. Theaterzettel der Badner Gesellschaft. In: Schindler, Theatergeschichte von Baden bei Wien, S. 292. 161 „Auf dem ersten Parterre, und auf der ersten Gallerie bezahlt die Person 34 kr. Auf dem zweytern Parterre 17 kr. Auf der zweyten Gallerie 7 kr.“. Theaterzettel der Badner Gesellschaft. In: Ebenda, S. 308. 162 „Eine Loge, in welche vier Personen eingelassen werden, kostet täglich 2 fl. Auf dem ersten Parterre und Gallerie bezahlet die Person 34 kr. Auf dem zweyten Parterre und Gallerie 17 kr. Im dritten Platz 7 kr.“. Theaterzettel der Badner Gesellschaft. In: Schindler, Theatergeschichte von Baden bei Wien, S. 312. 163 Eine Sitzkategorie, die im Eröffnungsjahr 1781 noch nicht berücksichtigt wurde, auf einem Theaterzettel vom 27. Dezember 1803 allerdings schon erwähnt wird: „die Logen und gesperrten Sitze“ sind „nicht allein im Theaterhause in der Leopoldstadt, sondern auch in der Stadt im Kaffeehause […] auf dem Peters-Platz Nro. 603“ zu bestellen. Theaterzettel des Leopoldstädter Theaters. In: Theaterzettel des Leopoldstädter Theaters in der Wienbibliothek im Rathaus. Bd. 1. Wien: [o. V.] 1781–1798 (Sig. C 64525). 54 Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) Parterre und zweyte Gallerie 20 kr. / Dritte Gallerie 10 kr. / Karl Friedrich Hensler. Pächter und Directeur des k. k. priv. Theaters in der Leopoldstadt.“164 Beim Vergleich der Entree-Gelder des Leopoldstädter Theaters mit denen der Hoftheater zeigt sich, dass im Burgtheater bereits 1763 kein Platz um 7 Kreuzer zu haben war. Hier logierte die (aristokratische) Ober- und Mittelschicht unter Einbeziehung des Hauspersonals – das vermutlich auf die billigsten Ränge im vierten Stock befohlen war, wo das Billet 17 Kreuzer kostete. Das Kärntnertortheater, Unterhaltungsstätte des Bürgertums, schrieb Karten der günstigsten Kategorie bei den italienischen Komödianten mit 17 Kreuzern aus; für 7 Kreuzer erhielt man lediglich einen Platz im vierten Stock bei den deutschen Komödianten, was den Schluss nahe legt, dass die deutsche Komödie von jeher für das wenigste Geld und somit für die einkommensschwachen Schichten zu sehen waren.165 Ebenso günstig waren die „Kreuzerkomödien“, laut Perinet „der Sammelplatz von Zottenreißern und Schweinigeln“ und damit ein erwähnenswertes soziales „Aergerniß“, bei denen um 7 Kreuzer ein Sitz im „Parterre noble“ erstanden werden konnte („Siebnerplatz“). Zielgruppe waren v. a. „Kinder, Mägde“ und der „Kaufmannsdieneradel“166 – also zumeist deutschsprachiges Publikum aus den unteren Schichten. Auch in den Komödienhütten am Graben (wo vermutlich ebenso Kreuzerkomödien gespielt wurden) zahlte man 1793 7 Kreuzer fürs „Parterre noble“167, gleich viel wie 1769–1803 für die billigste Kategorie in der Leopoldstadt. Schon wegen des Preisgefälles von den Hoftheatern über die Vorstadttheater zu den Komödienhütten scheint die den Theaterbesuchern zugesprochene freie Wahl von Spielstätte und Art der Unterhaltung reine Illusion zu sein. 164 Nachricht. In: Ebenda. 165 Vgl. hierzu: Tanzer, Spectacle müssen seyn, S. 138 –139. 166 Joachim Perinet: 29 Aergernisse. Wien: Torricella 1786, S. 32–33. 167 Blümmel und Gugitz, Thespiskarren, S. 319. 55 Kasperls komisches Habit Zur komischen Gestalt und zur Gestaltung der Komik in Erfolgsstücken des Leopoldstädter Theaters um 1800 Von Andrea Brandner-Kapfer1 Johann Josef La Roche2 (1745–1806) Biografische Voraussetzungen Für den 1. April des Jahres 1745 verzeichnen die Taufmatrikel des Pressburger Martinsdomes die Taufe des Knaben, der später als Schauspieler die Charge des Kasperl übernehmen sollte und dieser Gestalt „feste Umrisse gab und sie zu einem Typus machte, so daß [… er] dann zum Kasperl überhaupt wurde“3, und um den „zu sehen, zu hören, zu bewundern, zu belachen, zu beklatschen, täglich hundert rollende Kutschen und mehrere hundert schnaubende Fußgänger zum Roten Turm hinausjagen, um sich die Grillen des Tages von der Stirne zu scheuchen und zum frohen Abendmahl Stoff zum Gespräch zu holen.“4 56 1 In: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger und Beatrix Müller-Kampel: Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine Komik und das Leopoldstädter Theater. Graz: LiTheS 2010. (= LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie. Sonderband 1.) S. 56–104. 2 Für die Biografie wurden herangezogen: La Roche. In: Constant von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich, Bd. 14. Wien: Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, S. 161–163. Otto G. Schindler und Christian Fastl: La Roche (Laroche), Familie. In: Österreichisches Musiklexikon. Kommission für Musikforschung. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2002. Online: http://epub.oeaw.ac.at/ ml/musik_L/La_Roche_Familie_2.xml [Stand 2009-06-15]. Marlena Zahubień: Joachim Perinet, Schauspieler und Theaterschriftsteller. Edition und Studie. Graz, Univ., Mag.-Arb. 2008. Gustav Gugitz: Der Weiland Kasperl (Johann La Roche). Ein Beitrag zur Theaterund Sittengeschichte Alt-Wiens. Wien, Prag und Leipzig: Strache 1920. Otto Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welttheater bis zum Tode Nestroys. Wien: Schroll 1952. Ignaz Franz Castelli: Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Erfundenes. Erlebtes und Erstrebtes. Mit einer Einleitung und Anmerkungen neu hrsg. von Josef Bindtner. Bd. 1 und Bd. 2. München: Müller [o. J.] (= Denkwürdigkeiten aus Alt-Österreich. 9.). Josef Kürschner: Laroche. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 17. Leipzig: Duncker & Humblot 1883, S. 717. 3 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 429. 4 Johann Pezzl: Skizze von Wien. Ein Kultur- und Sittenbild aus der josefinischen Zeit. Hrsg. von Gustav Gugitz und Anton Schlossar. Graz: Leykam 1923, S. 320. Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Viel ist aus seiner Jugendzeit nicht bekannt, geboren wird La Roche in Bratislava (Poszony, Pressburg)5 als Sohn eines Lakaien im Dienste des Grafen Nádasdy6 und man weiß, dass er wohl den Beruf eines Barbiers ausübte, doch seine Ausbildung und auch seine Wanderjahre bleiben im Dunkeln. 1764 befindet sich La Roche in Graz. Hier tritt der knapp 20-jährige erstmals als Sänger und Schauspieler in Erscheinung. Zumindest vier Jahre lang ist La Roche Mitglied der Brunianschen Gesellschaft7, eventuell war er schon zuvor im Engagement bei Brunian und begleitete dessen Truppe von Prag nach Graz, hier verkörperte er Bediente, Hausknechte und vor allem den Kasperl,8 den er später „als theatralische Großmacht“9 etablieren sollte. Als Matthias Menninger 1768 mit seiner Truppe in Graz gastiert, übernimmt dieser La Roche in seine Gesellschaft,10 ein Entschluss, der vermutlich durch den Abgang 5 Über seine Herkunft bzw. seine Abstammung berichtet La Roche in späterer Zeit auf der Bühne: „Mein Großvater ein Franzose, mein Vater ein Schwabe, meine Mutter eine Österreicherin, ich ein halber Wiener und ein geborener Preßburger“. Karl von Marinelli: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Bey Eröffnung der Schaubühne in der Leopoldstadt, von den Unternehmern Menninger, und Marinelli. Wien: Schulz [1777]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 38–39. 6 Vgl. den Eintrag in das Taufbuch von St. Martin in Pressburg. Zit. nach Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 288. 7 Geleitet von Johann Josef Brunian (1733–1781), der auch in Brünn und Prag spielte und selbst die Rolle des Burlin übernahm. In der Steiermark trat die Bruniansche Gesellschaft am Grazer Tummelplatz und in verschiedenen Schlosstheatern auf. Möglicherweise stand La Roche schon zuvor im Engagement der Brunianschen Gesellschaft und gelangte in diesem Verband nach Graz; ein Eintrag in Müllers Theatral-Neuigkeiten lässt dies vermuten, da unmittelbar nach Ankündigung der Gesellschaft („Nach Hrn Moser kam Hr. von Brunian ohngefehr im Jahr 1764 mit seiner starken und geschickten Gesellschaft von Prag auf Gräz“) La Roche als Mitglied der in Graz spielenden Truppe genannt wird. Vgl. Johann Heinrich Friedrich Müller: Theatral-Neuigkeiten. Nebst einem Lustspiele und der dazu gehörigen Musik, wie auch die in Kupfer gestochenen Vorstellungen, des Theaters. Wien: Ghelen 1773, S. 191–192. 8 Vgl. Müller: Theatral-Neuigkeiten, S. 193. Müller äußert sich geradezu euphorisch über die Darstellungskunst der Mitglieder der Brunianischen Gesellschaft: „Sein Theater war glänzend, seine Schauspieler gut, seine Kleider prächtig und seine Ballette einnehmend. Er versäumte nicht, so gar mit seinem eigenen Schaden, das Publikum zu vergnügen. Unter ihm sahe man seit des Mingotti Zeiten, die ersten großen, doch viel bessere Ballette, wieder. Regelmäßige Stücke der Inn- und Ausländer, Operetten und sparsam abwechselnde Burlesquen, machten seine Schaubühne zu einem Garten für jeden.“ Ebenda, S. 192. 9 Gerhard Ebert: Der Schauspieler. Geschichte eines Berufes. Ein Abriß. Berlin: Henschel 1991, S. 205. 10 Im Rahmen der Festvorstellung (Cornelius von Ayrenhoff: Trajan und Aurel oder Wettstreit zwischen Liebe und Gerechtigkeit), die Menninger im Oktober (anlässlich des Namenstages Maria Theresias) ankündigte, wurde als Beschluss – so es die Zeit erlaube – der „Casperle mit einem lustigen Nachspiel“ am Theaterzettel avisiert. Vgl. Kasperl erstmals erwähnt. In: Landeschronik Steiermark. Hrsg. von Walter Zitzenbacher. Wien, München: Brandstätter 1988, S. 179. 57 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Brunians „wegen Überschuldung“11 nach Prag unterstützt wurde und der absolut entscheidend die Entwicklung des Wiener Theaterlebens beeinflussen sollte. Doch zunächst verbleibt die Gesellschaft in Baden, hier in der südlich von Wien gelegenen Kurstadt reüssiert La Roche als Kasperl. Bereits seit 1767 spielte die Menningersche Gesellschaft sommers in Baden, im Winter reiste die Truppe nach Pressburg (1765–1767 sowie 1772/73), Pest (1770/71 und 1774/75) und schon zuvor, nämlich 1768/69 hatte Menninger „den weitesten Vorstoß unternommen, nach Graz, wo das Engagement Kasperls gelang“12 . Einem anonymen Broschürenautor13 zufolge trat La Roche während des Interims von Graz nach Wien auch am Wiener Kärntnertortheater auf, und zwar als Tänzer: „Dies geschah und La Roche schuf für die Bühne einen neuen Charakter. – Denn er war der erste Kasperl. Kaspars witzige Einfälle ließen bald die niedrigsten Späße der Bernardons und Hanswurste vergessen; er kam von da unter Noverres Zeiten nach Wien, spielte im Kärntnertortheater in den Balletts; ging von da nach Baden zu der Direktion der Herren Menninger und Marinelli; kam mit letzterem wieder nach Wien; spielte im Czerninischen Garten bis zur Erbauung der jetzigen Leopoldstädtischen Bühne; und es bleibt erwiesene Tatsache, daß er den Grundstein zum Wohlstande des letztern legte.“14 Gugitz beruft sich auf den Hauskomponisten des Leopoldstädter Theaters Wenzel Müller, der anlässlich des Todes von La Roche in seinem Theater-Tagebuch von einem mehr als 40-jährigen Engagement des Kasperl-Darstellers auf der Leopoldstädter Bühne spricht15, und wähnt in der Verpflichtung am Kärntnertor einen „vorübergehende[n] Versuch“ oder gar ein „Mißverständnis“16 – auszuschließen ist ein Gastspiel jedoch nicht, zumal auch Müller in seiner Chronik vor Pauschalierungen nicht gefeit war. Bekannt ist, dass der in Wien tätige Theaterpächter Giuseppe 11 Schindler und Fastl, La Roche (Laroche), Online. 12 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 414. 13 La Roches erster – namentlich nicht fassbarer – Biograf, veröffentlichte unter dem Titel Gedrängter Auszug aus dem Leben des verstorbenen Johann La Roche, sogenannten Kasperls die erste Vita La Roches. Diese ist dem ersten der Totengespräche La Roches als Prolog beigefügt. Vgl. La Roche’s Todtenfeyer, oder des sogenannten Kasperls Gespräch am jenseitigen Ufer des Styx mit dem Schatten einer seiner Directeure. In Knittelversen. Vorher ein gedrängter Auszug aus seinem Leben. Wien: Rehm 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 111–115. Schon Joachim Perinet bemängelte an dieser ersten Biografie deren Fehlerhaftigkeit. Vgl. Gugitz, ebenda, S. 282. 14 Gedrängter Auszug aus dem Leben des verstorbenen Johann La Roche, sogenannten Kasperls. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 112. 15 Vgl. Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 337. 16 Ebenda, S. 243. 58 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit d’Affligio17 versuchte, „das zaghaft aufblühende regelmäßige Stück zu knicken“18 und dazu unter anderem Menninger mit dessen Truppe zu engagieren.19 Obschon es d’Affligio nicht gelang, die Truppe Menningers und mit ihr La Roche an das Kärntnertortheater zu binden, wurde die Schau- und Lachlust des Wiener Publikums durch den Auftritt einer neugeprägten lustigen Figur befriedigt. Seit dem Winter 1777 trat La Roche in Menningers Truppe in der Leopoldstadt (zu diesem Zeitpunkt noch eine Vorstadt Wiens), und zwar im Czerninischen (auch „Wimmerischen“) Saal auf (in Baden agierte die Gesellschaft nach wie vor bis 1783 während der Sommermonate). Ein Theaterzettel sucht ein durchaus gemischtes Publikum in die Komödie zu locken: „Avertissement: ‚Auf Verordnung einer k. k. privilegirten deutschen Theatral­ direction wird Herr Meninger mit seiner bekannten baadnerischen Schauspieler­ gesellschaft den sämmtlichen Gönnern mit ausgesuchten lustigen Komödien auf einige Zeit eine Unterhaltung zu machen suchen. Kosten, Müh, und Fleiß sind nicht gesparet worden, den Schauplatz, und die Bühne, bequem, und ordentlich auszu­zieren, damit sowol der Adel, als das Publikum in Ansehung der Gemächlichkeit bestens bedienet werden kann. Sonntag den 15. Weinmonats, wird zum Erstenmal ein Lustspiel aufgeführet werden. Der Schauplatz ist in der Leopoldstadt unweit der Jägerzeil im Wimmerischen, oder sogenannten Zserninischen Saal.‘“20 17 Giuseppe d’Affligio (d’Afflisio, Afflissio) (16. März 1722–23. Juni 1788), Theaterpächter und Reisender. Seine Reisen führten ihn seit Anfang der 1740er Jahre durch italienische und französische Städte, nach Dresden und Innsbruck, München, Paris und London. Um 1750/51 gelangte er erstmals nach Wien, 1756 und 1760/61 zwei weitere Male, ehe er im Mai 1767 hier einen Vertrag unterzeichnete, durch den ihm die Pacht des Wiener Burgtheaters und des Kärntnertortheaters für zehn Jahre zugesprochen wurde. Schon 1769 musste er, der ausgesprochen schlecht wirtschaftete, Teilhaber und Investoren aufnehmen (Christoph Willibald Gluck, Philipp Jacob Baron Bender und Franz Lopresti). 1770 trat er schließlich alle Theatervollmachten an Johann Nepomuk Graf von Koháry ab, verließ Wien und wandte sich in den Süden. 1778 wurde d’Affligio wegen Finanzbetrugs in Bologna zu lebenslanger Strafarbeit verurteilt. 18 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 244. 19 Die Gründe dafür sind wohl finanzieller Natur. Auch versuchte d’Affligio im selben Jahr aus einem Neuengagement des gealterten Komödianten und ehemaligen Bühnengröße des Kärntnertortheaters Johann Joseph Felix von Kurz (1717–1784) Kapital zu schlagen, doch der Plan scheiterte ebenso wie der Versuch, Menninger bzw. La Roche an das Kärntnertortheater zu binden. Vgl. Andrea Brandner-Kapfer: Johann Joseph Felix von Kurz – Lebens- und Werkchronik. In: A. B.-K.: Johann Joseph Felix von Kurz. Das Komödienwerk. Historisch-Kritische Edition. Graz, Univ., Diss. 2007, S. 785, Anm.1 und Hilde HaiderPregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. München: Jugend und Volk 1980, S. 495, Anm. 239. 20 Theaterzettel des Leopoldstädter Theaters a. d. Jahr 1769. Zit. nach Franz Hadamowsky: Das Theater in der Wiener Leopoldstadt 1781–1860. Bibliotheks- und Archivbestände in der Theatersammlung der Nationalbibliothek Wien. Mit der Einleitung: Die Theatersammlung der Nationalbibliothek in den Jahren 1922–1932 von Joseph Gregor. Wien: Höfels 1934. (= Katalog der Theatersammlung der Nationalbibliothek. 3.) S. 43. 59 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Die Menningersche Gesellschaft konnte sofort unglaubliche Erfolge verbuchen und La Roche füllte die Leere, die der Abgang des Johann Joseph Felix von Kurz (1717–1784, Rolle des Bernardon) bzw. der Tod Gottfried Prehausers (1699–1769, Rolle des Hanswurst) in Wien hinterlassen hatten. Wie sehr die Tradition die Anfänge der Menningerschen Truppe bestimmte, beweist exemplarisch ein Theaterzettel, der (nach ihrem anderen Schauplatz bezeichneten) Badner Gesellschaft mit La Roches Auftritt in der Leopoldstadt: „Ein auf die Person des Casperle eingerichtetes Lustspiel unter dem Titel: Casperle der unschuldige Missethäter, oder der falsche und ungegründete Verdacht, mit Hanswurst, dem geschickten Narrenfopper und groben Postenträger nebst Colombine und Isabelle, den ungleichen Freundinnen der Mannspersonen. NB. Casperle wird diesen Charakter nach lebhafter Natur spielen.“21 Seit 1761 gehört der Truppe, die, dem harten Urteil Rommels zufolge, „außer Laroche-Kasperl keine einzige Persönlichkeit von Rang“22 aufweisen kann, auch Karl Marinelli an. Dieser wird 1777 zum Kompagnon Menningers und zur wirtschaftlich geschickt agierenden und treibenden Kraft der Gesellschaft, die zu diesem Zeitpunkt noch aus relativ wenigen, überwiegend familiär verbundenen Personen besteht.23 Marinelli verdankt das Wiener Publikum nicht nur die Förderung und Weiterentwicklung alter Burlesken, Singspiele und Komödien, ihm verdankt es auch die Schaffung einer neuen Spielstätte für all die genannten Genres und der sich schlussendlich entwickelnden Kasperliade: am 4. November 1780 ergeht das Gesuch Marinellis, in der Leopoldstadt ein ordentliches, mit den kaiserlich-königlichen Privilegien versehenes Schauspielhaus errichten zu dürfen; am 20. Oktober 1781 wird das neue Theater in der Leopoldstadt (das „Kasperltheater“) eröffnet, und es dauert nicht lange, bis Kasperl zur tragenden Figur der Bühne wird, die auch schnell den Spielplan prägt – Wurzbach erklärt, La Roche wäre gar „meteorartig in den Vordergrund“24 getreten. La Roche betritt in jedem Monat etwa fünfzehnmal als Kasperl die Bühne und beherrscht diese fortan für viele Jahre. Ungeachtet der 21 Theaterzettel vom 25. Oktober 1769. Zit. nach Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 244–245. 22 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 416. 23 Vgl. dazu die Kurzbiographien: Biographische Skizzen der Angehörigen des Leopoldstädter Theaterbetriebes (Mäzene des Kasperls). Zusammengestellt von Andrea Brandner-Kapfer. In: FWF-Projekt Nr. P20468 (15. Jänner 2008–14. Juli 2009): Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung (2008/09). Mitarbeiterinnen: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger; Leitung: Beatrix Müller-Kampel. I. d. F. zitiert als Mäzene des Kasperls. Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html [Stand 2009], hier: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/maezene_kurzbio.pdf [Stand 2009]. 24 Constant von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich. Bd. 14. Wien: Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich 1865, S. 161. 60 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit anderen Komiker, die ihr Glück als Kasperl versuchen25, die aber tatsächlich nicht in der Lage waren, La Roches Ausdrucksweise zu erreichen, gelang es La Roche, sich förmlich in die erste Reihe der Wiener Vorstadtkomiker „zu spielen“.26 Erst als das Singspiel in Mode gerät, können auch andere Komiker (etwa Anton und Friedrich Baumann, Johann Sartory und Anton Hasenhut) an die Erfolge Kasperls anschließen, da der „stimmlich schlecht ausgerüstete[...]“27 La Roche in dieser Hinsicht auf seine komischen Partner angewiesen ist. Auch als Schriftsteller versucht sich La Roche. Er „schrieb auch und zwar gewöhnlich die Stücke für seine Einnahmen. Das waren dann immer förmliche Theaterereignisse; acht Tage zuvor wurden die Logen bestellt, und am Tage der Vorstellung drängte sich das Publicum in Haufen vor dem Schau­spielhause. Alles wollte an diesem Tage dem Mann, der es das ganze Jahr mit seiner grotesken Laune ergötzt hatte, sein Schärflein beitragen. Die Gegengabe, welche dem Publicum Kasperl mit seinem Stücke dargebracht, war aber eine dramatische Unge­heuerlichkeit, die jedoch immer um so wirksamer war, von je kolossalerem Unsinn sie strotzte.“28 Diese Benefizstücke, die der Chronist Pezzl als „für seine Person zwar passend, im ganzen aber höchst elend“29 bezeichnet und der Theaterdichter Adolph Bäuerle als „selbst komponierte Faxen“30 abtut, wurden nicht gedruckt und sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch als Manuskript in den Bibliotheken nicht auffindbar. Eben so wenig gibt es aufschlussreiche Zeugnisse über La Roches Gastspiel in Graz, der Stadt seiner ersten Erfolge, welches er mutmaßlich im Jahr 1800 absolvierte.31 25 Etwa Philipp Burghuber (* um 1758–1794), der einen sehr bäuerischen Kasperl verkörperte und der mehrfach jährlich das Engagement wechseln musste. Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 429. 26 Joachim Perinet lässt im Theatralischen Guckkasten Bajazzo einen Blick in die Anfangszeiten der Gesellschaft um Kasperl werfen: „So sind die Directeurs als gute Fratelli Herr Menninger und der brave **** [Marinelli] hinaus in die Leopoldstadt in Saal zum Czernini, um dort zu sammeln die Ducatini. La Roche der Kasperl war ihr Auf und um, sie hatten viel Zulauf vom Publikum, es regnete Geld, und in kurzer Frist ward jeder bald ein Kapitalist.“ Joachim Perinet: Theatralischer Guckkasten mit Dekorationen vergangener, gegenwärtiger und künftiger Zeit. Wien: [o. V.] 1807, S. 4. 27 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 431. Siehe auch Castelli: „Er sang auch Couplets, aber ganz ent­setzlich.“ Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 260. 28 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162. 29 Pezzl, Skizze von Wien, S. 324. 30 Alt-Wiener Kulturbilder. Aus Adolf Bäuerle’s Memoiren. Hrsg. von Josef Bindtner. Wien: Steyrermühl 1926. (= Tagblatt-Bibliothek. 322. 323.) S. 61. 31 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 431. 61 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Auch sein Privatleben liegt weitgehend im Dunkeln. Man weiß, Adolph Bäuerles Memoiren zufolge, dass er im Leben „ernst und gemessen“ war; er „vermochte nicht den geringsten Scherz vorzutragen, liebte auch Gesellschaft nicht, besuchte weder Gast- noch Kaffeehäuser und lebte nur für seine Frau und Kinder. Von seinen Kollegen ging er nur mit Anton Baumann um, den er einen echten Komiker nannte. ‚Ich muß mich glücklich schätzen‘, sagte er oft, ‚daß das Publikum nicht meinen Geschmack hat, denn dächte es wie ich, so würde der Kasperl längst ausgespielt haben.‘“32 Bekanntermaßen neigt Bäuerle dazu, die Geschichte als Künstler zu betrachten, und so seine Memoiren – wie auch seine biografischen Romane über Therese Krones oder Ferdinand Raimund – mit wesentlichen Anteilen an Fiktion zu vermengen. Widersprüchlich ist etwa die Behauptung, La Roche hätte keine Wirtshäuser besucht, zu anderen diesbezüglichen Aussagen; so vermerkt Eduard Bauernfeld, dass La Roche vor Auftritten wiederholt „mit Mühe aus dem Bierhause herbeigeholt“33 werden musste, Karl Marinelli selbst legt La Roche, den er beim Eröffnungsstück des Leopoldstädter Theaters Aller Anfang ist schwer als La Roche selber auf die Bühne bringt, folgende bezeichnende Worte in den Mund: „Ich bin ohnehin ein Wasserkind, das beim Wein aufgewachsen ist“34, und seine Stimme klang gar – glaubt man seinen Kritikern – „versoffen“35. Obschon ein Rollenbild36 und eine Silhouette37 La Roches über sein Aussehen Auskunft geben, vermitteln doch die Aussagen seiner Zeitgenossen und Chronisten ein wesentlich lebendigeres Bild: Er war in „seiner Frühzeit [...] nach allen Zeugnissen von einer unerhörten Beweglichkeit und Lebendigkeit“38, später wurde er, „wie es scheint [...] ziemlich dick“39; auf „sein ‚Erbsengesicht‘, das heißt auf seine Blatternar32 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 60. 33 Eduard Bauernfeld: Gesammelte Schriften. Bd. 12: Aus Alt- und Neu-Wien. Wien: Braumüller 1873, S. 39. 34 Karl Marinelli: Aller Anfang ist schwer. Ein Gelegenheitsstück in einem Aufzuge. Bey Eröfnung des neuerbauten Schauspielhauses in der Leopoldstadt. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 51–73, hier S. 58. 35 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 432. 36 Vgl. u. a. Franz Hadamowsky: Wien. Theatergeschichte. Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Hrsg. von Felix Czeike. München und Wien: Jugend und Volk 1988. (= Geschichte der Stadt Wien. 3.) Tafel XXIV. 37 Vgl. Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 240 a. 38 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 432. 39 Ebenda. Bauernfeld (Aus Alt- und Neu-Wien, S. 39) nennt La Roche dick und behaglich. Vgl. auch die Komödien, wo ihn seine Mitspieler wiederholt als „dicken Wampel“ bezeichnen. 62 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit bigkeit, wird oft angespielt. ‚Zerrissen‘ nennt Perinet in Kaspars Zögling (1791) sein Gesicht.“40 Ignaz Franz Castelli charakterisiert La Roche als „gedrungene[n] Mann, mittlerer Statur, mit lebhaften Augen und stark markierten Zügen“41, und La Roche bezeichnet sich in einer Posse selbst als „Knerzel“42. Alles in allem scheint schon das Äußere La Roches eher einer komischen als einer ernsten Rolle entgegenzukommen. Das Kostüm Kasperls entsprach zunächst dem seines hanswurstischen Vorfahren: Er trug die Bauernkleidung mit weiter Hose und Jacke und zuweilen auch den berühmten schwarzen Bart, den er jedoch bei Bedarf ablegen konnte. „Um 1790 ging der Wiener Kasperl ‚schon sehr moderner‘ in ‚Charakterkleidung, je nachdem es seine Rollen erforderten‘, und ein Kasperl im Sommertheater in Brünn, der noch in der alten stereotypen Kleidung auftrat, wurde schon als veraltet empfunden.“43 Mehr noch als die Kleidung prägten seine Erscheinung, sein Auftreten die Figur, wie zahlreiche Quellen belegen. La Roche hätte sich durch seine „komische Pöbelphysiognomie“44 ausgezeichnet, schreibt der Biograf Wurzbach, nur ein Mittel, dessen Kasperl sich bediente, um das Publikum in seinen Bann zu ziehen, besser, zu amüsieren, zum Lachen zu bringen und auch die Theaterzeitung thematisiert in einer Reminiszenz aus dem Jahr 1807 das Gesicht und die Mimik La Roches: „Das Stück45 ist daher eins von den wenigen alten, wo Kasperle eine bestimmte Physiognomie von dem Dichter erhalten hat, Dummheit, Gutmüthigkeit und Laune liegen in seinem Charakter, welches die spätern Dichter oft außer Acht ließen, und ihren Helden noch ein Quintchen Witz und Verschmitztheit zuwogen. Der unvergeßliche La Roche wußte derley Mißgriffe immer zu beschönigen, und wenn er gleich manchmal einen witzigen Gedanken zu sagen hatte, so benahm er sich immer so, als wenn er ihm entschlüpft sey, wie durch einen Zufall, wie auch manchmal eine blinde Henne ein Weitzenkörnchen findet; es lag 40 Ebenda. 41 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 259. 42 Joachim Perinet: Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus oder Der Hausteufel. Eine komische Oper in drey Aufzügen nach einem Manuskripte für die k. k. privil. Schaubühne in der Leopoldstadt frey bearbeitet. Wien: Schmidt 1803, S. 12. Hrsg. von Jennyfer GroßauerZöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezenepdfs/translit_perinet_kaffeehaus.pdf [Stand 2009]. 43 Hadamowsky, Das Theater in der Wiener Leopoldstadt, S. 48. 44 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162. Vgl. auch Pezzl, Skizze von Wien, S. 324. 45 Kasperl, der Hausherr in der Narrengasse; eine Komödie, die auf Basilisco di Bernagasso zurückgeht und in verschiedenen Variationen am Wiener Volkstheater häufig zu sehen war. Vgl. u. a. Otto G. Schindler: Commedia dell’arte as children’s theatre. The Landlord in the Fool’s Street, 1828 at Sopron. 30. September 2003. Online: http://www.kakanien.ac.at/ beitr/fallstudie­/OSchindler1.pdf [Stand 2009-07-09]. 63 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html in seinem ganzen Spiel mehr Kunst als in irgend seinen Nachfolger zusammen lag. Mit den Situationen und Um­gebungen war er immer beschäftigt, er wußte stets das Ensemble herauszurechnen, immer Harmonie in die Darstellung zu legen. So sah ich ihn einmal im lustigen Beylager, wo er mit Haspel eine Scene hat, die ohne dem andern Komiker seine Lazzi zu verderben, ganz ausdrucksvoll und höchst scherzreich durchbrach. Seine Grimassen hatten auch immer Rundung, Verträglichkeit und passende Umrisse. Das Erstaunen, die Furcht, die Noth, die Freude, das Erwachen, Sehnsucht, Hunger, und Durst verschied sich immer richtig und motiviert, und fiel niemahls albern, unsittlich oder fad in die Augen.“46 Derartiger Würdigung steht natürlich auch Einwand gegenüber: Beanstandungen gab es nicht nur von Seiten derer, die Kasperl generell ablehnten – wie noch im Folgenden zu lesen sein wird –; der Reisende von der Stranden beklagt, dass La Roche „wenig Mühe auf die Erlernung der Rollen verwende, und sich nicht befleiße, statt der alltäglichen Grimassen, die Zuschauer mit einem neuen abwechselnden Spiel zu unterhalten“47, doch offensichtlich taten die öfters bemängelnden Grimassen48 der Beliebtheit des und dem Zulauf zu Kasperl keinen Abbruch. Vergleichbares gilt für La Roches Stimme, per se das wichtigste Bühneninstrument eines jeden Schauspielers, das besonders im weit­gefassten europäischen Theaterbetrieb um 1800 autodidaktisch oder später zunehmend institutionell gesanglich und sprachlich zu schulen war. La Roche war keineswegs ein ausgezeichneter Sänger und Kritiker sprechen überhaupt von einer schnarrenden Stimme des Schauspielers, ein weiteres Charakteristikum, das zur Besonderheit des Kasperl beitrug. Auch sprach er, wie es den meisten seiner eigens verfassten Rollen einge­schrieben war, Dialekt, genauer den „gemeine[n] Wiener Dialekt, nur sprach er ihn mehr breit als rund und hing oft an einzelne Worte, besonders an das Wort ‚Er‘ ein a an, worüber man nicht wenig lachte“49. Gerade die frühen Rollen des Repertoires (Händler unterschiedlichster Waren, Wirte, Bediente, Handwerker) verlangten die Verwendung des Dialektes und dieser wiederum zeichnete die Bühnenfigur als „nichts mehr, als einen österreichischen Bauern“50; ein Bild, das wiederholt die Darstellungsweise La Roches zu kennzeichnen versucht: 46 Zeitung für Theater, Musik und Poesie. Nr.14 vom 3. Oktober 1807, S. 30. 47 Gotthold August von der Stranden: Unpartheyische Betrachtungen über das neuerbaute Schauspielhaus in der Leopoldstadt, und die sämtlichen Glieder der Gesellschaft. Wien: Hartl und Grund 1781, S. 28. 48 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433; Pezzl, Skizze von Wien, S. 324. Zeitung für Theater, Musik und Poesie. Nr.14 vom 3. Oktober 1807, S. 30. 49 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162. 50 Johann Friedrich von Schink: Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen über das Theaterwesen zu Wien. Wien: Sonnleithner 1783, S. 123–124. 64 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit „Was ist der Kasperl? Nichts anders als ein steiermärkischer Bauer, mit den Sitten und der Sprache eines solchen Bauers, gewöhnlich in der Rolle eines Bedienten, der durch Tölpeleien, durch Mißverstehen, durch Dummheiten, zu Zeiten auch durch Witz, Lachen zu erregen sucht, der seine Nase und seine Zunge, ja seine Hände und Füße überall hat, der die beste Sache verdirbt und bei der schlechtesten immer gut wegkommt, der unerhört grob und beißend ist und den kein Herr nur eine Stunde als Bedienter im Hause leiden könnte. Dies ist Kasperl.“51 Die oben bereits angesprochene Fabulierlust Bäuerles weiß zu vermelden, dass sich La Roche in seinen späteren Jahren im Repertoire des Leopoldstädter Theaters nur noch schwer zurechtfand – sein Förderer Marinelli war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben52 und dessen Nachfolger als Direktor, Hensler, fügte sich dem Zeitgeschmack und baute den Spielplan zwar sorgsam aber doch beträchtlich um: „Laroche empfand dies schmerzlich; er war alt geworden und fühlte es. Auch Hensler merkte, daß die Zeit des Kasperls vorüber sei. Es kamen andere Stücke auf die Bühne, die Lokallustspiele. Hensler ließ es ihm [!] empfinden, daß er der Kasse kein Geld mehr einbringe. Er feindete ihn an und warf ihm vor, seine Gage nicht mehr zu verdienen. Das nahm sich der alternde Kasperl zu Herzen, er begann zu kränkeln und nicht lange darauf war er tot.“53 Aus den Aufzeichnungen des Kapellmeisters und Komponisten Wenzel Müller geht jedoch hervor, dass La Roche verlässlich beinahe jeden zweiten Tag auf der Leopoldstädter Bühne spielte. Im Dezember des Jahres 1802 erkrankt La Roche so schwer,54 dass ihm ein Priester bereits das Sakrament der Krankensalbung55 spendet. Erst nach gezählten 58 Tagen56 scheint La Roche geheilt und tritt als Kasperl am 3. Februar 1803 wieder auf die Bühne. Nichtsdestoweniger kränkelt der Kasperl seit dieser 51 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 256. 52 Karl Friedrich Hensler übernimmt die Direktion des Leopoldstädter Theaters förmlich am 29. September 1803. Vgl. Andrea Brandner-Kapfer: Karl Friedrich Hensler. Biographie, S. 4. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/ bio_hensler.pdf [Stand 2009]. Marinelli stirbt am 25. Jänner1803. Vgl. Jennyfer GroßauerZöbinger: Karl von Marinelli. Biographie, S. 10. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/bio_marinelli.pdf [Stand 2009]. 53 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 61. 54 Vgl. Wenzel Müller: Tagebuch. Übertragen aus der Handschrift der Wiener Stadt- und Landesbibliothek von Girid und Walter Schlögl. Bd. 1 und Bd. 2. Wien [o. J.] [Typoskript i. d. Wienbibliothek.], S. 248. 55 Das ursprüngliche, v .a. im Volksmund so bezeichnete, heilige Sakrament „Letzte Ölung“ wurde von der katholischen Kirche umbenannt, da das Sakrament „die Hoffnung auf Besserung der Krankheit“ in sich birgt. Vgl. Wolfgang Schallhofer: Krankensalbung ein Sakrament-Lexikon. Online: http://www.kirchenweb.at­/sakramente/sakrament/krankensalbung.htm [Stand 2009-07-09]. 56 Vgl. Müller, Tagebuch, S. 250. 65 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Zeit und eine vollständige Genesung tritt nicht ein. Am 8. Juni 1806 stirbt Johann La Roche an Hydropisis (Wassersucht) in Wien, nur knappe vier Monate nach seinem letzten Auftritt in Perinets Megera57 am 14. März 1806. Die Hinterbliebenen von La Roche – seine erste Gattin Barbara, auch sie war Schauspielerin am Leopoldstädter Theater („spielt Koketen, und Karakterrollen mit Beyfall“58), starb bereits 178859 – waren seine Witwe Regina (Regina starb im Jahr 1843)60 und zwei Kinder61: die Tochter Therese (1795–1823), die als Tänzerin und Sängerin (Columbina) unter anderem am Theater an der Wien (1812–1814) engagiert war, und der Sohn Michael Johann (1805–1870), dessen Ausbildung zum Tänzer im Kinderballett des Theaters an der Wien seinen Anfang nahm und der dort bis zu seinem Abgang an das königliche bayrische Hoftheater in München im Jahr 1822 engagiert blieb.62 Ein Pflegesohn La Roches schließlich, nämlich Johann (oder Josef?) Handel, sollte die Rolle des Kasperl übernehmen und weiterführen, La Roche „selbst hatte gehofft, sich […] einen solchen zu erziehen; aber es stellte sich bald heraus, daß dieser nur zu einem Episodisten taugte, der sich bald in die Pantomime flüchtete“63. Damit wurde die Frage des Nachfolgers von Kasperl zu einem Problem. Am Leopoldstädter Theater versuchte sich der aus Troppau stammende Michael Mayer als Kasperl. Obschon er mehrfach den Kasperl geben sollte,64 57 Joachim Perinet: Megera. Erster Theil. Eine Zauberoper in drey Aufzügen, nach Weil[and] Hafner neu bearbeitet. Die Musik ist von Herrn Wenzel Müller, Kapellmeister. Wien: Wallishausser 1806. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/translit_perinet_megaere_2.pdf [Stand 2009]. 58 Stranden, Unpartheyische Betrachtungen, S. 30. 59 Vgl. Gustav Gugitz: ������������������������������������������������������������������� Die Totenprotokolle der Stadt Wien als Quelle zur Wiener Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung. 1953/54 (1958), S. 114–145, hier S. 130. 60 Vgl. Gustav Gugitz: Anmerkung zum Begleitwort. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 342. 61 Vgl. Schindler und Fastl, La Roche (Laroche), Online. 62 Wiederum gibt Bäuerle ein fiktives Bild des tatsächlichen Sachverhaltes: Bäuerle weiß von zwei Töchtern, deren eine – die jüngere – eine Rolle am Theater an der Wien bekommen haben soll, nachdem sie sich, Hensler schickte die Kinder La Roches nach dessen Tod aus ihrem Quartier – da er nicht für diese aufkommen wollte – um Unterstützung an Herrn Zitterbarth, den Eigentümer des Theaters an der Wien wandte und dieser beide Mädchen vorspielen ließ. Vgl. dazu Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 61–62. Über den Wahrheitsgehalt dieser Darstellung können keine seriösen Aussagen getroffen werden. 63 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 618. 64 Michael Mayer spielte am 1. Juli 1806 in Henslers Teufelsmühle am Wienerberg und am 11. Juli 1806 in Perinets Die Schwestern von Prag (hier den Hausknecht/Kasperl). Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 618. 66 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit zeichnete sich ein unabwendbares Scheitern schon anlässlich seines Debüts in der wesentlichen Rolle dieser Bühne ab: „Es war bald nach dem Tode des Schauspielers la Roche der auf dem hiesigen Leopoldstädter-Theater durch lange Jahre sich beliebt und berühmt machte, daß Herr Mayer vom Troppauer-Theater in der Teufelsmühle am Wienerberg als Kaspar debütirte. Das Haus war zum Erdrücken voll, und Alles sah dem Fremden mit einer Art Neugierde entgegen die auffallend war. Endlich erschien er, und siehe da mit ihm auch die Kabale. Bey seiner ersten Scene die er so leidenschaftlich spielte, wurde gezischt, bey seinem Gesange, das freylich häßlich sich vernehmen ließ, gepocht und kein Wort mehr beklatscht als das einzige Impromtu: Ich bin nicht der wahre Kasperl, ich bin nur der nachgemachte. Später trat er als Hausknecht in den zwey Schwestern von Prag auf, und gefiel noch weniger als das erste Mahl; warum? wissen wir wirklich nicht zu behaupten: vermuthlich wußten es gewisse Menschen – so einzuleiten.“65 „Aber einen Ersatz für Laroche-Kasperl gab es nicht und konnte es nicht geben“66 schreibt Rommel beinahe schwermütig; es tut auch nichts zur Sache, dass, wie im oben genannten Zitat ausgesprochen, gewisse Menschen den Misserfolg eines „Nachfolgers“ einzuleiten wussten, d. h. den Schauspieler, der sich in der Rolle des Kasperl versuchte, auszischten; denn La Roches Ausstrahlung und sein Gepräge, das er dem Kasperl gab, waren offenbar einzigartig. Ein Weiterleben der Figur wurde nach La Roches Tod ebenso wie eine Renaissance unmöglich; auch auf anderen Theatern mussten die Akteure, die sich der „längst stereotyp gewordenen Mätzchen“67 befleißigten, und die Theaterdichter einsehen, dass eine das Repertoire derart bestimmende Typenkomik mit La Roche zu Grabe getragen worden war. Bedingungen seines Wirkens „Das Leopoldstädter Theater war es nun, welches ausschließlich auf der Indi­ vidualität dieses Schauspielers aufgebaut wurde, der mit seinem Kasperltypus einen vermittelnden Übergang von der Comedia dell’arte zum regelmäßigen Lustspiel gab und damit hinreißende Erfolge erzielte. Man stürmte das Haus, wenn La Roche auf­trat, und es blieb leer, wenn man kein Kasperlstück gab.“68 Die Wirkung, welche die Person und vor allem das Spiel Johann Josef La Roches auf sein Publikum ausübte, wird in vielerlei Quellen beschworen: Zeitgenössische Kritiken stehen neben Erinnerungen von Schriftstellern, Chronisten sowie Biografen und geben ein vielfach beschworenes Bild, wie es La Roche gelang, seine Zuschauer 65 Christiani: Der neue Kasperl in Wien. In: Wiener Theater-Zeitung. Nro. 2 vom 8. Juli 1806, S. 23. 66 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 618. 67 Ebenda. 68 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 241. 67 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html zu fesseln. Im Folgenden seien zwei namhafte österreichische Schriftsteller zitiert, deren Erinnerung uns eine Ahnung von der Bühnengewalt La Roches vermitteln sollen. Eduard von Bauernfeld: „In den genannten Stücken erweckte der dicke, behagliche La Roche den alten Hannswurst zu neuem Leben in dem beliebten Kasperl. Wenn der Ritter nach einem pathetischen Monolog seinen Knappen herbei­rief: ‚Käsperle, wo bleibst du?‘ so stand wohl schon La Roche, mit Mühe aus dem Bier­hause herbeigeholt, noch kaum halb für seine Rolle angekleidet, hinter den Coulissen und schickte seine Stimme voraus. Auf das schnarrende: ‚Er-r – kommt schon!‘ erhob sich ein Vorjubel auf den Galerien wie im Parterre, ein Vorgeschmack der so lang ersehnten komischen Seligkeit – und wenn endlich der Knappe Käsperle mit den geschwärzten Augenbrauen, dem ziegelroth angestrichenen Gesicht und den noch halb herunter hängenden Inexpressibles, die er erst im Auftreten völlig zu­nestelte, vor Ritter und Publicum mit einer ziemlich derb angedeuteten Ent­schuldigung seines Verspätens erschien und seine übrigen Dummheiten vorbrachte, da kannte der Enthusiasmus kein Ziel und Maß! – Glückliche, kindische oder kindliche Wiener!“69 „Glückliche, kindische oder kindliche Wiener!“ schreibt der spätere Hausdichter des Wiener Burgtheaters Eduard von Bauernfeld (1802–1890)70 in seiner Erinnerung und Franz Grillparzer ruft sich und den Lesern seiner Selbstbiografie einen seiner frühen Theaterbesuche ins Gedächtnis: „Sonst führte man uns Kinder höchstens an Namenstagen ins Leopoldstädter Theater, wo uns die Ritter- und Geisterstücke mit dem Käsperle Laroche schon besser unterhielten. Noch sehe ich aus den zwölf schlafenden Jungfrauen die Szene vor mir, wo Ritter Willibald eine der Jungfrauen aus einer Feuersbrunst rettet. Das Gebäude war eine schmale Seitenkulisse und die Flammen wurden durch herausgeblasenes Kolophonium-Feuer dargestellt, damals aber schien es mir von schauerlicher Naturwahrheit. Vor allem aber bewunderte ich die Verwandlung eines in schleppende Gewänder gehüllten Greises mit einer Fackel in der Hand, in einen rot gekleideten Ritter, wobei mir als das Wunderbarste erschien, daß der rote Ritter auch eine Fackel in der Hand hielt, was eben die schwache Seite der Verwandlung war, und von meinem damaligen Scharfsinn keine vorteilhafte Meinung gibt.“71 69 Eduard Bauernfeld: Gesammelte Schriften. Bd. 12: Aus Alt- und Neu Wien. Wien: Braumüller 1873, S. 38–39. 70 Vgl. Birgit Scholz: Eduard von Bauernfeld. Biographie. In: Briefe an Anastasius Grün. Hrsg. von Birgit Scholz und Margarete Payer (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/ downloads/­bauernfeld_bio.pdf [Stand 2009-07-13]. 71 Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Hrsg. und mit Einleitungen versehen von August Sauer. Bd. 19: Selbstbiographie [u. a.]. Stuttgart: Cotta [1893], S. 19–20. 68 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit So illustrativ diese Erinnerungen auch sein mögen, so vermitteln sie doch ein rein subjektives Bild der Darstellungskunst La Roches. Überhaupt muss man Rommel zustimmen, wenn dieser den Mangel an sachlichen Urteilen kritisiert: „Wir sind über den eigentlichen Zauber der Kasperl-Komik vielfach nicht besser unterrichtet als über die des Wienerischen Ur-Hanswurst. Es fehlt ein authentisches Bild seiner Reifezeit, es fehlen zeitgenössische Besprechungen, die nicht Pamphlete oder Erwiderungen auf Pamphlete, also alles andere als objektive Würdigungen sind.“72 Pamphlete und Erwiderungen gibt es zuhauf, der Kasperl spaltete die Gemüter, Lob auf der einen, Verständnislosigkeit und vehemente Kritik auf der anderen Seite prägen mitunter die Rezensionen in den Zeitungen und auch einige der Broschüren Wiens. Ein anonymer Broschürenschreiber etwa versucht über die „Damen Wiens“73 auf deren Männer zu wirken. In fünf Abteilungen fasst er das Wesen des Leopoldstädter Theaters, das Wirken der Schauspieler und Dichter und die Frage, ob „der Staat diese Bühne dulden soll“, zusammen, um sich abschließend im sechsten Kapitel direkt an den Direktor Karl von Marinelli zu wenden und dessen Integrität in Frage zu stellen. Anlass für die Abfassung der Broschüre ist der Skandal, den der Leopoldstädter Theaterdichter Ferdinand Eberl mit seinen direkten Anspielungen auf eine angesehene bourgeoise Wiener Familie in seinem Stück Kasperl’, der Mandolettikrämer ausgelöst hatte.74 Dass vor diesem Hintergrund auch La Roche – „ein Lustigmacher für den Pöbel“75 – und dessen Spiel – „unnatürliche Geberden“76 – keine Gnade bei dem Autor finden, muss nicht eigens ausgeführt werden. Selbstverständlich wird auch die Persönlichkeit Johann Josef La Roches selbst in den Blickpunkt so mancher Broschüre gerückt. In seinem Sammelband Der Weiland Kasperl (Johann La Roche) aus dem Jahr 1920 vereinigt Gugitz unterschiedlichste Schriften, deren Bindeglied die Person La Roche darstellt. Es finden sich darin drei 72 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 432. 73 Bitte an die Damen Wiens das Leopoldstädter Theater betreffend. Wien: [o. V.] 1789. 74 Vgl. dazu weiter unten die Besprechung des Textes. 75 Bitte an die Damen Wiens, S. 17. 76 Ebenda, S. 18. 69 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html relevante Gelegenheitsstücke77, Anti-Kasperl-Broschüren, Pro-Kasperl-Broschüren, die erste bekannte Biografie78 La Roches und Joachim Perinets Huldigung79 an den großen Kasperl-Mimen. Von besonderem Interesse sind hierbei in unserem Kontext die Pro- bzw. Kontra-Kasperl-Broschüren, da in ihnen der gesellschaftsrelevante Duktus Kasperls bzw. La Roches manifest wird. Die erste Anti-Kasperl Broschüre trägt den Titel Kasperl das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung an seine Gönner, sie erschien anonym im Jahr 1781.80 Schon zu Beginn stellt der Verfasser fest, „daß es gut gesitteten Menschen nicht anstehe, an einem so verderblichen und häßlichen Abenteuer, wie euer Kasperl ist, ein Vergnügen zu finden“81; der gottschedianische Einfluss auf den Urheber des Textes ist also unüberlesbar und wird in vielen Passagen der Broschüre evident. „Leute, die noch einen Funken vom fühlenden Menschen besitzen, versicherten mich, daß man ihn in manchen seiner Spiele nicht aushalten könnte,“ urteilt er über Kasperl weiter, „so sehr beleidigt er die Menschen durch seine Worte“; muss aber auch Zugeständnisse an La Roches Selbstverständnis machen: „[D]emungeachtet kennt er doch seine Auditoren und weiß den Applaus zu erhaschen, wenn er eine Reihe von Zoten und Possen im vollen Gallope heraussagt.“82 Diese, wie auch die im Folgenden zu besprechende Broschüre bezeichnet der Kompilator Gugitz – dessen Intention „durch Vereinigung an einer 77 Karl von Marinelli: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Wien: Schulzische Schriften [1774]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 5–29. Karl von Marinelli: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Bey Eröffnung der Schaubühne in der Leopoldstadt von den Unternehmern Menninger, und Marinelli. Wien: mit Schulzischen Schriften [1777]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 32–49. Marinelli, Aller Anfang ist schwer. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 51–73. Zur Datierung und zur Entstehung dieser Gelegenheitsstücke, in denen bemerkenswerterweise sämtliche Schauspieler der Menninger-Marinellischen Gesellschaft unter eigenem Namen auftreten vgl. ausführlich: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 275–279. 78 Gedrängter Auszug aus dem Leben des verstorbenen Johann La Roche, sogenannten Kasperl. In: La Roche’s Todtenfeyer, oder des sogenannten Kasperls Gespräch am jenseitigen Ufer des Styxs mit dem Schatten einer seiner Directeure. In Knittelversen. Wien: Rehm 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 109–122. 79 Der Weyland Casperl aus der Leopoldstadt, im Reiche der Todten. Ein auferbauliches Gespräch in Knittelreimen zwischen ihm, Charon, Prehauser, Stranitzky, Bernardon, Brenner und noch einem Schatten. Hrsg. von Joachim Perinet. Wien: 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 123–237. Die Totengespräche erstrecken sich über insgesamt sechs Hefte mit je unterschiedlichen Titeln und bilden eine „Revue von Wiener Theater- und Sittenverhältnissen, welche Kasperl und seine Kumpane noch im Jenseits durchhächeln“. Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 282. 80 Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung an seine Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 75–82. Als Verfasser vermutet Gugitz einen Journalisten mit Namen Claiton. Vgl. ebenda, S. 280. 81 Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters, S. 77. 82 Ebenda, S. 80–81. 70 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Stelle dem Forscher und Liebhaber zugänglich zu machen“83 auch der Anspruch zu unterhalten unterschwellig innewohnt – als „Wichtigtuereien eines Pseudoliteratentums, das alles mißverstand und mit angelesenen Phrasen des Gottschedianismus prunkte.“ Dies mag unter gewissen Aspekten auch korrekt sein, doch übersieht dieser Standpunkt die Aussagekraft des subjektiv Geäußerten; denn wenngleich Gugitz den Verfassern der Broschüren zugesteht, dass „dort, wo sie sich an die Tatsachen hielten“84, die Texte auch von dokumentarischem Wert wären, ignoriert er doch die implizite Problematik des je nach den unterschiedlichen Anschauungen variierenden Wahrheits­gehaltes, oder verkürzt: Auch Gugitz argumentiert subjektiv, ortet die Wahrheit auf Seiten der Pro-Kasperl-Autoren und negiert gleichzeitig den Tatsachenanspruch der Kasperlgegner. So übersieht der Kompilator auch das zum Teil ironische Gepräge der Broschüre Etwas für Kasperls Gönner 85 aus dem Jahr 1781: „Eine Scene Kasperls Gönnern gewidmet. Aus einem nagelneuen, wunder­ schönen, durchaus zum Lachen eingerichteten, mit Dekorationen, Theater­ verzierungen, Maschinen, Flugwerken, Versenkungen, Verschwindungen, Ver­ kleidungen versehenen, auf die Person des Kasperls besonders eingerichteten, mit vielen Arien, Duetten, Terzetten, Quartetten, Quintetten, Sextetten, Chören und Tänzen besetzten, so gut, als von ihm selbst verfaßten Piece, genannt: Das Spiel der Liebe und des Glückes, oder Kasperl, der geglaubte Prinz der Insul Csiri Csari.“86 Diese Ankündigung weist auf eine Szene, die mitten in die Broschüre eingerückt ist. Überhaupt mutet der Text Etwas für Kasperls Gönner wie ein Sammelsurium, ein – um in der Diktion der Zeit zu bleiben – ‚Mischmasch‘ an, das möglichst Unterschiedliches zur Sprache bringen möchte. Zunächst zum Aufbau des Broschürentextes: Sogar am Titel ist eine Art Widmung zu finden: „Wer wird den Kasperl sehen, der nicht von Herzen lachet. Da dieser liebe Narr so schöne Gsichter machet?“ (Nichts ist lächerlicher als lächerliches Lachen).87 Auf der Rückseite des Titels findet sich dann das Catull entlehnte Motto: „Nam risu inepto res ineptior nulla est“88 – schon hier erkennt der Leser die Intention des Arguments. Indem der Autor Kasperl nicht von vornherein ablehnt, sondern ihn, seine Spielweise und seine Wirkung zu erkennen versucht, kann er ihm – mit Worten – entgegentreten. Die Broschüre vereint allgemeine Bemerkungen zur Absicht des Kasperltheaters und über das Lachen 83 Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 274. 84 Ebenda, S. 280. 85 Etwas für Kasperls Gönner. Wien: Hartl 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 83– 98. 86 Etwas für Kasperls Gönner, S. 88. 87 Ebenda, S. 83. 88 Aus: Catulls Carmen 39 („An Egnatius“, Vers 16). Vgl. Volltext in Latein. Online: http:// www.negenborn.net/catullus/text2/l39.htm [Stand 2009-07-14]. 71 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html („Kasperl lacht ja auch – – und mit Recht – – Lachen ist sein Endzweck, sein Brot und Ruhm“89), Ausführungen über die „Zuseher bei Spektakeln“90 und schlussendlich natürlich die Forderung nach einer „National-Schaubühne, welche der weiseste Monarch, dessen einzige Absicht das Glück seiner Völker ist, zum Besten der Nation in jenen Stand gesetzt hat, daß sie eine Schule der edlen Sitten und des guten Geschmacks ist“91. Ungeachtet so mancher bekannter Argumente und Forderungen arbeitet der Verfasser eine beachtenswerte Szene in den Text seiner Broschüre, die – vollständig unkommentiert – das Wesen einer Kasperliade exakt auf den Punkt bringt. Die schon oben zitierte Ankündigung widmet dieses kurze Stück „Kasperls Gönnern“ und ist „auf die Person des Kasperls besonders eingerichtet“92. Es ist ganz im Stile einer Bernardoniade verfasst, erinnert sei an das Druckdatum der Broschüre 1781, und zeigt Kasperl im charakteristischen Duktus seiner Anfangsjahre: „Das Spiel der Liebe und des Glückes, oder Kasperl, der geglaubte Prinz der Insul Csiri Csari. […] Valerio. Wie hast du den Brief an Angeolina bestellt? Rede, sage wo ist die Antwort? (Kasperl gibt ihm eine Maulschelle.) Valerio (läuft nach dem Degen). Diese Verwegenheit kostet dich dein Leben! richte deine zerraufte Seele in Ordnung, du mußt sterben! Kasperl (fällt ihm zu Füßen, schreit erbärmlich). O jeges! O jeges! verschonts mai jungs Lebn, i bin jo meiner Mueder ihr schönster Sun, si hot jo gar kann ondern ghobt. Valerio. Sprich, Bestie, wo du nicht willst, daß deine spitzbübische Seele auf der Spitze meiner Klinge zittere. Kasperl. Jo jo, i wills alls bstehn. Valerio. Rede, Elephanten-Schlingel, antworte, Mißgeburt. Kasperl. No, ös hobts gsogt, nit wohr, ös hobts gsogt, wos gsogt hobts. […] Das Theater verwandelt sich in einen Wald, Kasperl tritt auf, seinen Wanderbinkel auf dem Rücken, eine Spansau auf dem Arm, singt: 89 Etwas für Kasperls Gönner, S. 87. 90 Ebenda, S. 94. 91 Ebenda, S. 97. 92 Ebenda, S. 88. 72 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Aria: Armer Kasperl, nix zu lebn, Nix den Madeln Pratzl gebn, Nichts mehr sagen als wie eh, Armer Kasperl hat Baucherweh [!]. (Die Spansau schreit.) Sei still, lieber Narr, schweig still, i hob mir hold an guaden Raskompagnion gnuma, won mi hungert, kon in vor lauter Lieb freßn. Main Mogn schrait a so ollwail Kälberbradl, Kälberbradl. Geh, wort auf a weni. (Will der Spansau aufwarten lernen, sie läuft ihm davon und verschwindet. Er läuft nach, plätzlich verwandelt sich ein Baum in ein Ungeheuer, welches Feuer ausspeit, die Zauberin Mägera kommt in einer Wolke, Kasper fällt für Schrecken zu Boden und macht entsetzliche Grimassen.) […] Mägera (gibt ein Zeichen, es entstehet ein heftiges Ungewitter, aus der Erde und Luft kommen viele Gespenster, Geister und Teufel; Kasperl schreit erbärmlich: O jeges, o jeges, helfts m’r, die teuflischen Teufeln; er versteckt sich hinter Mägerens Mantel). […] Die Bühne verwandelt sich in den prächtigen königlichen Palast der Insul Csiri Csari. Kasperl in kalikutischer Kleidung liegt auf einem Ruhebett und schläft; er erwacht, besiehet sich und sagt): hannts, wo bin i denn? main Handkuß sieht spaßig aus, es muß do nit richti zugehn. (Der Großkanzler und die ersten Minister der Insul Csiri Csari treten auf.)“93 Das kurze Szenar vereint die gängigsten Charakteristiken Kasperls bzw. seiner Spielvorlagen: Mord- und Totschlag, Prügeleien, Maschinenspektakel, prunkvolle Verwandlungen, exotische Menschen und Landschaften, Kasperls Fress- und Liebes­ lust, Schimpfwörter, sprachliche Verwirrungen und Dialekte. Dies alles waren die Ingre­dienzien der Vorstadtkomödie, die das Publikum zum Lachen brachten und die – auf die zu diesem Zeitpunkt bereits ruhmvolle Tradition der Wiener Komödie des 18. Jahrhunderts zurückgreifend – für La Roche das Fundament seiner Laufbahn bildeten. Der Verfasser der Travestie persifliert in diesem kurzen Szenar quasi idealtypisch jede Kasperliade und jede Aufführung der Marinellischen Gesellschaft und illustriert damit die Absurdität der beim Publikum so beliebten Vorstadtkomödien. Überdies unterstellt er dem Publikum – und das betrifft nun auch manchen Besucher der Nationalbühnen –, am Geschehen auf der Bühne ohnehin nicht interessiert zu sein, denn geselliges Geschwätz wäre das eigentliche Anliegen vieler Besucher und dies wiederum eine Zumutung für tatsächlich interessierte Theaterliebhaber: „Überaus hab’ ich gefunden, daß wenige den Endzweck der Spektakeln kennen und dadurch Menschen von Geschmack zur Last werden, denkende durch ihr Ge- 93 Ebenda, S. 88–93. 73 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html schwätz stören“94, und er folgert: „Wie wäre es zu wünschen, daß alle platonischen Menschen, welche die edle Absicht des Theaters nicht kennen, Ochsenteilung oder Hahnenhetze zum Gegenstand ihres Spektakels wählten oder wenigstens mit Kasperl sich begnügten.“95 Kasperl – der Stein des Anstoßes – und sein Gebaren auf der Bühne werden umgehend aber auch verteidigt, was sei „Böses an Kasperl! Wann hat er je etwas Schmutziges oder eine Zote gesagt?“96 fragt der ebenfalls anonyme Verfasser einer weiteren Broschüre, genauer einer Antwort auf die beiden vorgenannten Kontra-Kasperl-Schriften. Mit dem Verweis auf die zensurbedingte Unmöglichkeit grobianischer Sprache auf der Bühne und dem Vorwurf, Unwahrheiten zu verbreiten, ereifert sich der Autor der Verteidigungsschrift derart, dass er sich am Ende gar zu drohen bemüßigt fühlt: „Zum Beschluß soll noch was Eindringendes gesagt werden“, schreibt er, „und dies sei, daß sich Kasperl niemals mehr in ein Federgefecht mit seinen Gegnern einlassen, sondern die, die’s zu arg treiben, bei der Behörde zu belangen wissen wird.“97 Dabei übersieht er vollkommen, dass einige der aufgestellten Behauptungen durchaus der Wahrheit entsprechen: Beispielsweise moniert der „Gönner“ Kasperls die Vorhaltung von Raufhändeln zwischen Herr und Bedienstetem auf der Bühne, denn „wie kann bewiesen werden, daß Kasperl jemals seinen Herrn geprügelt, und daß diese gemeiniglich die wichtigste Stelle sei? Dieses ist niemals und wird in Zukunft nie geschehen.“98 Beipflichten wiederum muss man ihm in einem sehr wesentlichen Punkt, nämlich dass niemand das Recht haben darf, von der Rolle auf die Person zu schließen, d. h. La Roche anzugreifen, wenn er Kasperl meint. Bezug nehmend auf die Broschüre Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters fällt die Verteidigung La Roches in zwar letztlich wieder nicht absolut korrekten, aber immerhin nachvollziehbar die Menschenwürde einfordernden Worten aus: „Hier werden alle Zuseher zu Zeugen genommen, ob Kasperl je die Rolle eines Besoffenen gespielt? ob sie ihn je darin excellieren gesehen? Niemals! Was tastet der Pasquillant also seinen moralischen Charakter an und will ihn aller Welt als einen Trunkenbold zeigen? Warum bleibt er nicht beim Theater? Soll ihm unbekannt sein, daß persönliche Beleidigungen, klare Pasquille verboten sind?“99 94 Ebenda, S. 96. 95 Ebenda, S. 97. 96 Kurze Antwort auf die beyden Schmähschriften I. Kasperl, das Insekt unseres Zeitalters. II. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 99– 107, hier S. 102. 97 Ebenda, S. 107. 98 Ebenda, S. 106. 99 Ebenda, S. 103. 74 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Von Zotenhaftigkeit und grimassierender Spielweise100 war schon die Rede. Von der „erniedrigende[n] Furie eines Kasperltheaters“101, die der Ehre des Wiener Geschmackes großen Schaden zufüge, spricht der Chronist Joseph Krepler – und dennoch sei La Roche „die nie erlöschende Liebe der Wiener“102 gewesen, ablesbar an den Besucherzahlen des Leopoldstädter Theaters, und auch die Bewunderung ausländischer Zeitgenossen war ihm sicher. Bekannt ist, dass Ismael Effendi, ein türkischer Beamter,103 gerne das Leopoldstädter Theater besuchte, da er „in den Mienen und der Gesticulation des Herrn La Roche alles wohl verstehe und begreife, was seine Wörter etwa enthalten mochten.“104 Vermutlich besser verstand den Kasperl, zumindest sprachlich, Johann Gottfried Seume, der generell die Qualitäten der Schauspieler, Sänger und Tänzer der Wiener Vorstadttheater denen der Nationaltheater vorzog,105 Friedrich Nicolai gab in seinen Reisebeschreibungen nach dem Theaterbesuch Ratschläge zur besseren Ausformung der Kasperl-Rolle106, und auch der aus Erlangen gebürtige und spätere Wiener Schriftsteller Johann Rautenstrauch gesteht La Roche „alle moeglichen Talente zu einem grossen komischen Schauspieler“ zu; einzig die mangelhafte Ausbildung könne man ihm ankreiden; dennoch wäre er in der Lage durch „seine Sprache, sein[en] Ton und besonders sein[em] Geberdenspiel […] auch einen Kato lachen“ zu machen107. Neben dem genannten Minister Ismael Effendi besuchten auch andere Staatsmänner das Leopoldstädter Theater und seinen Kasperl, unter ihnen Kaiser Josef II.108 100 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433. 101 Theaterchronik von der Sündfluth bis auf den grossen Kasperle in der Leopoldstadt. Hrsg. von Joseph Krepler. Wien: Hartl 1782, S. 18. 102 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433. 103����������������������������������������������������������������������������������� Ismail Effendi (Hammâmîzade Ismael Dede Efendi), 1778–1846, war klassischer osmanischer Komponist und hoher Beamter im türkischen Finanzministerium. Vgl. In: Republic of Turkey. Ministry of Culture and Tourism. Online: http://www.kultur.gov.tr/DE/Genel/BelgeGoster.aspx?­48BD9BC89B9B89DA6407999D5EC50F89DF36587C4B003136 [Stand 2010-02-10]. 104 Überblick des Überblickes des neuesten Zustandes der Literatur, des Theaters und des Geschmackes in Wien von C** X**, nebst einem Anhange von H** X**. Wien: Pichler 1802, S. 78. Zit. nach Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 339, Anm. 28. 105 Vgl. Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. In: J. G. S. Werke in zwei Bänden. Hrsg. von Jörg Drews. Bd. 1. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1993. (= Bibliothek deutscher Klassiker. 85.) S. 190–191. 106 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 442. 107 Johann Rautenstrauch: Der Kasperl. In: Aufklärung auf wienerisch. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Joachim Schondorff. Wien, Hamburg: Zsolnay 1980, S. 126. 108 Vgl. Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 24 und Hadamowsky, Theatergeschichte, S. 486. 75 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html und der russische Großfürst Paul I. (d. i. Pawel Petrovič, 1754–1801)109. Der Chronist Pezzl beschreibt die ständische Zusammensetzung des Publikums als ausgesprochen heterogen: „Er kennt so den Geschmack des Publikums; weiß mit seinen Gebärden, Gesichterschneiden, seinem Stegreifwitz die Hände der in den Logen anwesenden hohen Adeligen, der auf dem zweiten Parterre versammelten Beamten und Bürger und des im dritten Stock gepressten Janhagels so zu elekrisieren, daß des Klatschens kein Ende ist. Bei seinem Auftritte, und wenn ihr auch nur eine Fußspitze oder seinen Rücken sehen könnt, wird schon gelacht; er hat den Mund noch nicht geöffnet und doch stehen schon die Mäuler der Zuschauer offen und harren auf seinen ersten Spaß.“110 Adelige, Bürger und Bedienstete, Gelehrte111 und Menschen, die sich einfach unterhalten wollten, besuchen das Theater und erfreuen sich der Späße La Roches und seiner Kollegen. Das Publikum, und das war dem Unternehmer Karl von Marinelli bestens bewusst, war der maßgebende Faktor, wollte er das Leopoldstädter Theater erfolgreich führen.112 Marinelli betrachtete La Roche als „lebendiges Kapital“113, hatte er ihm doch „zu seiner Wohlhabenheit verholfen, denn nur um ihn zu sehen und zu hören, rollten Hunderte von Kutschen in die Jägerzeile, wo Marinelli bereits aus den Summen, die ihm Kasperl eingebracht, ein eigenes Schauspielhaus erbaut hatte. Kasperl erschien nun auf diesem Theater, und da ein regelmäßiges Schauspiel fest gegründet war, sich des Schutzes des Kaisers und der lebendigen Theilnahme der besseren Stände erfreute, so war für ein Abirren des Geschmackes nichts mehr zu besorgen; aber das Kasperltheater war für ein Publicum, das sich ergötzen wollte, eben so nothwendig geworden wie das höhere Schauspiel, für welches das Interesse in jenen Tagen immer mehr zunahm.“114 Das Publikum suchte überdies die Abwechslung von den ernsten Stücken der Nationaltheater115 und auch die Befriedigung lukullischer Genüsse: „Auf dem zweiten und dritten Platz dieses Theaters werden Bier, Brod und Würste zum Kauf herumgetragen; eine sehr willkommene Bequemlichkeit für das durch Lachen ausgetrock109 Vgl. Schindler und Fastl, La Roche (Laroche). 110 Pezzl, Skizze von Wien, S. 321. 111 Vgl. ebenda. 112 Vgl. dazu auch: Reinhard Urbach: Die Wiener Komödie und ihr Publikum. Stranitzky und die Folgen. München: Jugend und Volk 1973, S. 64–66. 113 Pezzl, Skizze von Wien, S. 321. 114 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 161. 115 Vgl. Pezzl, Skizze von Wien, S. 321. 76 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit nete und ermüdete Publikum!“116 Die Beliebtheit Kasperls – der im Laufe der Jahre zu einem wahren Publikumsmagneten117 wurde – ermöglicht sogar Grobheiten gegenüber dem zahlenden Publikum: „Laroche machte Marinelli durch die zahlreichen Einnahmen, die er ihm verschaffte, nicht nur außerordentlich stolz und übermütig, sondern auch brutal gegen das Publikum. Stand der Name des Kasperls auf dem Theaterzettel, so konnte man sicher sein, daß am frühen Morgen schon alle Logen und Sperrsitze vergriffen waren. Der Zudrang war ungeheuer und das Volk belagerte schon um ein Uhr mittags das Schauspielhaus. Um diese Stunde tafelte Herr Marinelli. Es ging natürlich nicht ohne Spektakel ab. Die Leute zankten, schimpften und prügelten einander. Wenn Herr Marinelli dies hörte, eilte er auf den Gang hinaus. ‚Ihr verflucht’s G’sindel‘, redete er sein Galeriepublikum an, ‚wollt’s mich nit ruawig (ruhig) essen lassen?! Noch einen Laut gebt von euch und ich lass’ den Kasperl gar nit spiel’n. Wart’s, ich werd euch schon derwischen (erwischen)!‘“118 Ähnliche Anekdoten berichten vom Umgang La Roches mit seinem Publikum: „Was Laroche überhaupt für eine Gewalt bloß durch den Ton seiner Stimme auf das Publikum ausübte, mag auch folgender Umstand beweisen. Manchmal geschah es, daß Kasperl noch nicht angekleidet war, wenn er schon auf die Szene treten sollte. Wenn nun ein Schauspieler schon extemporierte, um statt dessen die Lücke aus­zu­füllen, und der Theaterinspizient in die Garderobe lief und ängstlich rief: ‚Herr Laroche, ich bitte Sie, es ist schon höchste Zeit‘, da antwortete Laroche ganz phleg­matisch: ‚Mach’ die Türe auf!‘ Und nun schrie er aus vollem Halse: ‚Auwedl! Auwedl! Auwedl!‘ und in diesem Augenblick hörte man auch das schallende Gelächter des Publikums, welches an diesen Worten, womit er fast immer aufzutreten pflegte, seinen Liebling erkannte, bis in die Garderobe hinauf.“119 „Laroche war nicht nur ein Kasperl, sondern auch ein guter Schauspieler. Er bewährte den tüchtigen Darsteller, den denkenden Künstler, wenn er einen gut gezeichneten Charakter vorzuführen hatte. Nur wenn er der Kasperl sein mußte, trieb er es bunt, schnitt Gesichter, zappelte mit Händen und Füßen und machte Lazzi. – Wenn das Publikum hinter den Kulissen seine Stimme hörte, geriet es schon außer sich. Wenn er sich dann näherte, seinen Gönnern zuerst einen Fuß, eine Hand, am liebsten das Hinterteil zeigte, konnte man glauben, das Publikum sei von der Tarantel gestochen worden, aber nicht etwa nur das auf der letzten Galerie, sondern auch das in den Logen und im ersten 116 Ebenda, S. 322. 117 Pezzl betont eigens, dass er mehrere Leute kenne, die das Leopoldstädter Theater täglich besuchten. Vgl. ebenda, S. 324. 118 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 59–60. 119 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 262. 77 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Parterre. Selbst die feineren Kreise Wiens, der höhere Adel, waren in den Kasperl verliebt. Wenige fanden kein Behagen an ihm und zu diesen gehörte der Hof. Kaiser Franz sah den Kasperl nur einmal und nicht wieder. Als Direktor Marinelli den Kaiser beim Verlassen des Theaters mit silbernen Armleuchtern über die Stiege bis zum Wagen begleitete, bemerkte dieser: ‚Nun hab’ ich das Wundertier auch gesehen, über welches ganz Wien lacht; ich muß gestehen, ich habe nicht lachen können. Der Mann macht doch gar zu gemeine Faxen und schreit so sehr, daß mir noch die Ohren gellen. Ich ersuche Sie jedoch, Herr Marinelli, dies Ihrem Laroche nicht wieder zu sagen. Ich möchte nicht den Mann kränken, der meine Wiener so gut unterhält.‘“120 Ein wesentlicher Teil der Komik La Roches rührt von den Extempores her, steht Kasperl ja in der hanswurstischen Tradition. Auch wenn die „Anreden eines Schauspielers an das Parterre […] auch auf kleinen Volkstheatern […] nicht immer wohl schicklich“ sind,121 so sollen La Roches Anspielungen auf Stadtereignissen gerade in seinen frühen Jahren „einen besonderen Reiz seines Spieles ausgemacht haben, obwohl es natürlich Gegner gab, die sich über ‚Grobheiten und antastende Worte‘ entrüsteten“122. Die Wienerische Kronik spricht von „launichte[n] Einfälle[n]“, die einer „gewissen schalkhaften Feinheit“123 nicht entbehren. Wie sah nun das Extemporespiel La Roches aus? Als guter Beobachter124 seiner Zeit und Zeitgenossen brauchte er nicht zu viel Phantasie, um einige „Wiener Tagesbegebenheiten und Stadtereignisse“125 auf die Bühne bringen zu können. „Er war ein lebendiges Neuigkeitsblatt, hechelte alle Unsitten und Torheiten durch und schonte niemand. Seine Satire richtet sich gegen alle Stände und man würde sich heute von einem Komiker nicht den hundertsten Teil dessen, was Laroche an Ausfällen, Anspielungen und handgreiflichen Andeutungen leistet, gefallen lassen. […] Ein in Wien sehr bekannter Kaufmann machte Krida. Er fiel dem tollen Aufwand seiner Frau zum Opfer. Dieser Kaufmann hieß Wagener und hatte seine Niederlage beim ‚Scharfen Eck‘ in der Wollzeile. Es wurde ein Stück gegeben, das den Titel führte: ‚Der Hausherr in der Narrengasse‘. Laroche spielte den Hausknecht. Der Hausherr fragt ihn, was es in Wien Neues gebe? ‚In der Woll- 120 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 60. 121 Theaterzeitung vom 5. Oktober 1811, S. 315. 122 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 433. 123 Ebenda, S. 436. 124 Vgl. Zahubien, Joachim Perinet, S. 63. 125 Bäuerle, Alt-Wiener Kulturbilder, S. 58. 78 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit zeile‘, berichtet dieser, ‚hat ein Kaufmann statt seinem Kutscher die Zügel seiner Frau in die Hand gegeben. Beim ‚Scharfen Eck‘ hat sie umgeworfen und ihren Mann so grausam angeschleudert, daß er sich verblutet hat. Sie ist mit heiler Haut davongekommen, aber das Kalesch hat dermaßen Schaden gelitten, daß es der Wagner nicht mehr herstellen kann.‘“126 La Roches Stegreifspiel übte wohl große Anziehungskraft auf das Publikum aus, Wurzbach weiß zu berichten, dass er viel extemporiert hätte, und „der Beifall [jedoch] mehr dem Gesichterschneiden, den Lazzis und der geschickten Unbehilflichkeit [galt], womit er sich zu benehmen wußte“127. Schindler zitiert Castelli, der La Roche gar als „personifizierte populäre Komik“ bezeichnete, nach dem „kein Komiker mehr so ganz die Populance für sich zu gewinnen“128 wusste. Natürlich war auch die Wahl der Stücke ausschlaggebend für La Roches Erfolg. Das Repertoire, in dem Kasperl auftrat, wechselte im Laufe der Zeit von Burlesken in der Anfangszeit über Singspiele und regelmäßige Lustspiele bis hin zu Lokal- und Volksstücken in den letzten Jahren La Roches. Mit Ausnahme von Parodien agierte Kasperl in sämtlichen bekannten und am Vorstadttheater beliebten Genres.129 „Die Hauptmasse der für Kasperl eingerichteten Stücke sind Burlesken, die zweifellos unter dem Einfluß der Stegreifburleske aus der Prehauser-Zeit stehen, ohne daß sich direkte Beziehungen nachweisen ließen. Es sieht vielmehr so aus, als seien die zahllosen Verkleidungen sozial etwas niedriger gegriffen: Lumpen-, Hechel- und Mausfallenkrämer, Limonihändler, Sesselträger, Anstreicher, Stockmeister, Totengräber. Aber Laroche spielt auch noch einen Krautschneider, wie weiland Stranitzky, und Kammerlakaien, Haushofmeister, Friseure, Porträtmaler, Rekruten, lustige Bediente und vor allem ‚böse Wiener Früchteln‘ wie Prehauser, und wie dieser exzelliert er in seiner Jugend in Verwandlungsrollen.“130 Die Rollen, die La Roche in seiner Frühzeit als Kasperl verkörpert, entstammen zumeist dem Repertoire,131 welches von der damals noch kleinen Badner Gesellschaft unter dem Prinzipal Marinelli (bzw. Menninger) während derer Wanderjahre zusammengetragen worden war: Harlekinaden, Maschinenkomödien, Bernardoniaden und sogar – wenngleich selten – Haupt- und Staatsaktionen befinden sich auf 126 Ebenda. 127 Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 14, S. 162. 128 Schindler und Fastl, La Roche (Laroche). 129 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 436. 130 Ebenda, S. 437–438. 131 Vgl. Jennyfer Großauer-Zöbinger: Karl von Marinelli (1745–1803). Das Gesamtwerk. Edition und Studie. Graz, Univ., Diss. (im Entstehen) 79 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html dem Spielplan. Seit Mitte der achtziger Jahre bearbeitet Joachim Perinet ältere Texte und schafft Zauberkomödien und Feenmärchen, doch „diese Zauberkomödie schien nicht gedeihen zu wollen, obwohl es ein Interesse dafür gab, wie die Neubearbeitungen von Perinet beweisen, und obwohl das Leopoldstädter Theater für diese Gattung bühnentechnisch gut ausgestattet war. Man könnte vermuten, daß der vorsichtige Marinelli an der Ausstattung sparte. Aber die Tatsache, daß man sich mit Modernisierungen alter Stücke behelfen mußte, läßt wohl ein Versiegen der seelischen Spannungen erkennen, aus denen das barocke Spiel mit Diesseits und Jenseits erwachsen war.“132 Es kam zu einem regelrechten „Notstand“, Textbücher wurden dringend benötigt, „denn sein führenden Komiker, der in dieser seiner ersten Entwicklungsperiode ganz auf burleskes Spiel gestellt war, konnte der Möglichkeiten eines raschen Szenen- und Gestaltenwechsels, die das Zauberstück gewährleistet, nicht gut entraten. Er hat tatsächlich in seinen Anfängen auch in der Burleske ohne Zauber nur Verwandlungsrollen gespielt und stieß mit diesen Stücken auf stärksten und – nach den zwei erhaltenen schwachen Burlesken zu schließen – gewiß nicht unberechtigten Widerstand.“133 Marinelli erkannte, dass er mit dem alten Repertoire der Wandergesellschaft keinen abwechslungsreichen und ansprechenden Spielplan zusammenstellen konnte. So „baute [er] zuerst den Spielplan nach der Seite des Musikdramas hin aus“134 und nahm Musiker, Sänger und Tänzer in das Ensemble auf (unter ihnen die Brüder Baumann und den Komponisten Wenzel Müller, die für das Leopoldstädter Theater zu tragenden Personen wurden). Dem Singspiel zur Seite gestellt wurde bald die Komödie mit Gesangseinlagen, die „Kasperl und dem um ihn versammelten Ensemble Gelegenheit zur Entfaltung ihrer eigensten Gabe der komischen Spiegelung des Wiener Lebens bot“135. Doch der Gattungen und Genres gab es wesentlich mehr, ungemein vielfältig sind die Bezeichnungen, vielfältig die Möglichkeiten, Kasperl in die Komödie zu integrieren: Regelmäßige Lustspiele, bürgerliche Schauspiele, Sittenkomödien, Soldaten- und Zeitstücke, Lokalstücke, Ritter- und Geisterstücke, Zauberstücke und natürlich und nicht zuletzt das romantisch-komische Volksmärchen, dem La Roche sein ganz besonderes Gepräge verlieh: „[…] und die – aus Mangel an Stücken nur wenig ausgenützte und beinahe zur Seite geschobene – komische Kraft des Kasperl, welche die Zeit gegen sich zu haben schien. Und dennoch, was geschehen mußte, gelang: die neue Form des romantisch-komischen Volksmärchens, die sich in wenigen Jahren über das ganze deutsche Theater ausbreitete und weitere neue Formen in sich barg. Diese 132 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 438. 133 Ebenda, S. 439–440. 134 Ebenda, S. 441. 135 Ebenda. 80 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit neue Form ist nicht die Schöpfung eines einzelnen. Sie ‚machte sich selbst‘, wie Cavour136 vom Werden seines Staates gesagt haben soll und wie es immer geschieht, wenn eine Entwicklung reif ist. Die schöpferische Potenz, um die sich bei diesem Vorgange alles drehte, war die Urkraft der Kasperl-Komik. Daher konnte die neue Form auch nur in dem kleinen Hause in der Leopoldstadt entstehen, das Kasperl-Theater hieß und in dem allein Kasperl noch immer sicher war, ‚seine‘ Zuschauerschaft zu finden, während der ihm kongeniale Hasenhut sich in dem prächtigen Hause an der Wien […] bald vereinsamt fand.“137 Die Kasperliade – Typenkomik in der Wiener Vorstadt Karl Marinelli engagierte Dichter, die eigens für den Wiener Kasperl Johann Josef La Roche Komödien verfassten. Schon sein Aussehen („ein gedrungener Mann, mittlerer Statur, mit lebhaften Augen und stark markierten Zügen“138) bewog das Publikum zu lachen, seine Sprache („der gemeine Wiener Dialekt“139) tat ein Übriges und vor allem die Verbindung von Sprache mit Spiel, Gestik und Mimik, Unausgesprochenem und Dargestelltem schien den besonderen Reiz auszumachen, mit dem La Roche das Publikum jahrzehntelang begeisterte, wie Castelli beschreibt: „So z. B., wenn ihm sein Herr befahl: ‚Kasperl, geh’ jetzt in jenes Haus und trage den Brief hinein‘, und er sich ein paar Mal gegen diesen Befehl geweigert hatte, der Herr ihm dann mit dem Degen drohte, so antwortete er: ‚Laßt’s stecken, er a geht schon!‘ Und hierauf ging er mit langen Schritten, die beiden Arme vor sich ausstreckend, in das Haus.“140 Eine weitere Anekdote Castellis beweist, dass La Roches Anziehungskraft weit über das einfache Schauspiel und Rezitieren von Textvorlagen hinausging: „In einem Stücke kniet Kasperls Herr vor seiner Geliebten und erklärt ihr seine Liebe; da öffnet Kasperl die Türe und schreit herein: ‚Steh’ auf, alter Bettelstudent, d’ Hosen g’hört nit dein!‘ und ist wieder verschwunden. [...] In einem anderen Stücke spielt Kasperl einen verstellten Stummen; als man ihn aber fragt, wie lang er stumm sei, antwortet er, sich vergessend: ‚Vier Jahre!‘ Da er aber 136 Camillo Benso Conte di Cavour (10. August 1810–6. Juni 1861) verfolgte als sardinischer Premierminister (seit 1852) die Idee eines geeinten Italien, konnte diese in Folge von Kriegen (etwa gegen Österreich 1859) und Bündnissen (u. a. mit Napoleon) verwirklichen und wurde schließlich der erste Ministerpräsident des im Jahr 1861 vereinten Königreichs Italien (erst 1866 gehörten auch Venetien und 1870 Rom dem Königreich Italien an). 137 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 542. 138 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 260. 139 Ebenda. 140 Ebenda. 81 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html dann dies Versehen wieder gut machen will, so antwortet er im ganzen Stück auf alle an ihn gestellten Fragen nur immer dieselben Worte: ‚Vier Jahre!‘“141 Leider sind die Berichte über La Roches darstellerischen Esprit auf derartige Anekdötchen und kaum verifizierbare Aussagen in Broschüren oder Chroniken beschränkt – für eine weitere Analyse muss auf die erhaltenen Textgrundlagen zurückgegriffen werden: auf Szenare und Kanevasse, auf die textlich fixierten Spielgrundlagen, deren Ausgestaltung durch die Sänger und Schauspieler nur erahnt werden kann. Exemplarisch für die Masse der Theaterstücke des Leopoldstädter Theaters stehen nachgenannte Komödien, jede von ihnen lässt eine je leicht variierte Kasperlrolle erkennen, Rollen, deren Gesamtheit den Kasperltypus präsentiert. Aus den 30 im Projekt Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung (2008/09)142 edierten Kasperliaden wurden folgende hinsichtlich ihrer Kasperl-Komik analysiert: Ferdinand Eberl Kasperl’ der Mandolettikrämer (1789)143 Karl Friedrich Hensler Der Schornsteinfeger (1791)144 Der unruhige Wanderer (1796)145 Joachim Perinet Die Schwestern von Prag (1794)146. 141 Ebenda. 142 Vgl. online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/­maezene_startseite.html 143 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1789. Hrsg. von Jennyfer GroßauerZöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/ eberl_mandolettikraemer.html [Stand 2009]. 144 Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger. Ein Original Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishauser 1791, S. 8. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_schornsteinfeger.html [Stand 2009]. 145 Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer, oder Kasperls lezter Tag. Erster Theil Ein Original-Feemärchen in vier Aufzügen für die Marinellische Schaubühne. Wien: Schmidt 1796. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_wanderer_1.html [Stand 2009]. 146���������������������������������������������������������������������������������������� Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag. Als Singspiel in zwey Aufzügen, nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater bearbeitet von J. P., Theaterdichter, und Mitgliede dieser Gesellschaft. Wien: Schmidt 1794. Hrsg. von Jennyfer GroßauerZöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/ perinet_schwestern.html [Stand 2009]. 82 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Die Auswahl erfolgte einerseits durch die Präsenz der Kasperlrolle im jeweiligen Text sowie andererseits durch die ihr je intendierte Relevanz für die komische Handlung (Qualität und Quantität der Kasperlrolle). „Die Textdichter Kasperls werden nicht müde, für ihn immer neue Situationen zu finden, in denen sich diese seine Komik ausleben kann. […] Besonders lustig war es aber offenbar, wenn er von einem Ungeheuer durch die Luft entführt wurde, denn dieser Trick wird fast in jedem Stück wiederholt. Oft genug verwandelt sich der Baum, auf dem er festen Halt sucht, in ein Untier, das mit ihm davonfliegt, oder in eine Windmühle, die ihn herumwirbelt. Die Komik der Hilflosigkeit, die bei solchen Gelegenheiten an ihm in Erscheinung trat, war offenbar so überwältigend, daß die Dramatiker eine geradezu sadistische Phantasie an den Tag legten, um Kasperl in immer neue Verlegenheiten zu bringen, und gute wie böse Zauberer, erlösungsbedürftige, von Tragik und Grauen umwitterte Gespenster, ganz zu schweigen von gutgelaunten Feen und spitzbübischen kleinen Schutzgeistern beiderlei Geschlechts, beteiligen sich eifrig an dem Unfug. Sehr verlockend war es, den stets ess- und trinklustigen Kasperl ein wenig Tantalusqualen ausstehen zu lassen.“147 Kasperl, der als Kaspar, Kasperl oder auch Käsperle auf die Bühne tritt, ist stets und in allen Stücken der Leopoldstädter Bühne als ‚besondere Person‘ gekennzeichnet – nicht durch seine ständische Zugehörigkeit oder durch seinen Beruf, sondern durch sein Verhalten, das ihn zum ersten von den anderen Rollen klar unterscheidet und das er gleichzeitig und zum zweiten dem Publikum gegenüber zeigt. Immer wieder fällt Kasperl aus der Rolle und durchbricht die Bühnenillusion für lustige Zwischenbemerkungen, um die Handlung zu kommentieren oder gar zu hinterfragen und um die Protagonisten zu bewerten. „Kasperl wirkt gegen die Idee und gegen die Handlung der Stücke, denn er steht in keiner echten Beziehung zu den anderen dramatischen Personen, sondern bleibt für sich, hat er gelegentlich auch mit ihnen zu tun“148, schreibt Binder in ihrer Arbeit und spricht damit vor allem die frühen Stücke an, die die Marinellische Gesellschaft zur Aufführung brachte. Auch in den romantisch-komischen Volksmärchen Henslers und generell den um 1800 entstandenen Lustspielen ist diese dem Kasperl typische Eigenart noch augenscheinlich, obschon Kasperl zusehends in das Spiel integriert wird. Dadurch nimmt seine Selbständigkeit in den Lazzi zwar ab, doch gerade in den jüngeren Stücken interagiert Kasperl vermehrt mit dem Publikum, wie dies aus den Nebentextanweisungen der Lustspieldrucke hervorgeht. 147 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 575. 148 Marika Binder: La Roche – Kasperl in Karl Friedrich Henslers Stücken. Wien, Univ., Dipl.Arb. 1994, S. 76. 83 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer Ein ausgesprochen fragwürdiger Charakter haftet dem Kasperl in Ferdinand Eberls Kasperl’ der Mandolettikrämer149 an. Angesprochen auf seine Vergangenheit, gibt er sich seinem einstigen ‚Weggefährten‘, dem inkognito reisenden Baron Karl Wellbach (der sich ‚Lindenthal‘ nennt) als Jäger Franz zu erkennen, der in Graz ein „ganz artiges Kapitälchen zu schneiden“150 wusste und sich dann nach Wien wandte, denn „wer auf der langen Kegelstadt seines Lebens einmal neune scheibt – der soll zu spielen aufhören, denn zweymal geräths selten“151. In Wien betreibt er, der sich nun Kaspar Ellenbogen rufen lässt, gemeinsam mit Everl, seiner Frau, ein Bäckergewölbe und vertreibt als fliegender Händler Mandoletti und andere Backwaren. Dass dies nicht sein einziges Einkommen ist, gesteht er seinem früheren Bekannten, dem Schwerenöter Baron Wellbach, gleich bei ihrem Wiedersehen in der Hauptstadt Wien. Kaspar vermietet auch – recht unverblümt, da er seinen Bäckerladen mit dem Zeichen des Cupido versieht – „ganz niedlich eingerichtete Zimmer“152 zu verschiedenen Lustbarkeiten seiner verschwiegenen, aber gut zahlenden Gäste. In Kaspars Räumlichkeiten werden sich im Laufe der Handlung die Intrigen kumulieren, verdichten, schlussendlich in allgemeiner Konfusion aufbrechen und sich wieder lösen. Hauptangelpunkt der Kabalen ist Baron Wellbach. Wellbach ist unmittelbar nach seiner eigenen Hochzeit mit dem Stubenmädchen Lisette durchgebrannt; diese lebt, vorerst noch von allen unerkannt, in Kaspars Haus, als dessen vorgebliche Muhme. Seit dieser Flucht verführt er unter wechselnden Namen Frauen (beinahe) jeder sozialen Schicht: Er umwirbt Dienstmädchen genauso wie Bürgersfrauen oder adlige Damen. Ungeachtet seiner aufkeimenden Liebe, die er für Blande empfindet (die niemand anders ist als seine eigene Gattin Amalia), macht er Kasperls Frau Everl den Hof, als diese Backwaren austrägt. Sie ist naiv genug, sich auf ein Abenteuer mit dem Baron einlassen zu wollen, doch Wellbach erkennt ihre Einfalt als Ehrlichkeit und möchte nicht zum „Urheber ihres Verderbens“153 werden, das die unausweichliche Folge einer Affäre wäre. Stattdessen besinnt er sich gewisser adeliger Tugenden154 und möchte Kaspar 149 Ferdinand Eberl: Kasperl’ der Mandolettikrämer, oder: Jedes bleib bey seiner Portion. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1789. Hrsg. von Jennyfer GroßauerZöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/ eberl_mandolettikraemer.html [Stand 2009]. 150 Eberl, Mandolettikrämer, S. 15. 151 Ebenda. 152 Ebenda. 153 Ebenda, S. 26. 154 Der Text lässt keine genaue Charakterisierung der Figur Wellbachs zu; sein plötzlicher Sinneswandel wirkt durch die mangelnde Beschreibung jedweder moralischen Gesinnung unmotiviert und keinesfalls begründbar. 84 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Ellenbogen eine Lehre erteilen („aber Spaß solls mit den sinnreichen Kaspar Ellenbogen geben – der ihm gewiß die Luft nehmen soll – je wieder den Unterhändler zu spielen!“155). Sein anderes Engagement nimmt er jedoch zusehends ernster: Lindenthal (bzw. Baron Karl Wellbach) spricht persönlich bei Blande (bzw. Baronin Amalia Wellbach) vor, nachdem der Kuppler Klinger sich seine Dienste zwar bezahlen ließ, sie aber nicht ausführte. Erst weist Blande Lindenthal zurück, doch auch sie verliebt sich in ihn und identifiziert zuletzt ihren Mann in ihm. Nicht nur das Paar Wellbach muss noch etliche Hürden bewältigen156, ehe die finale Versöhnung stattfinden kann. In diese Intrigen sind weiters verwickelt: Kaspar Ellenbogen und Everl, Herr und Frau Katzbalg – die Protagonisten der an die Tradition des AbcSchützen anschließenden Nebenhandlung157, deren Sohn, der Dümmling Jakob, und die ehebrecherische, verheiratete Tochter Madame Buchwald (die eine durch Klinger arrangierte Affäre mit dem Baron Wellbach eingehen möchte, da sie glaubt, sich dadurch gesellschaftlich bessern zu können) sowie ihr moralisch integrer Gatte Herr Buchwald. Hauptschauplatz sind stets die zwielichtigen Räumlichkeiten des ‚Mandolettikrämers‘ Kaspar. Everl charakterisiert ihren Mann zwar nicht als alt oder hässlich, aber doch als „mürrisch – eifersüchtig – geizig“158 und bezeichnet ihn als „mein altes Erbsen­gesicht“159. Er selber schildert sich, wenn auch indirekt, weit genauer: „Baron. Nu! das versteht sich ja – und damit du siehst, daß ich dein Vertrauen erwiedere, so hör einmal – Ich hab so eine kleine Liebesavanture vor – und da sollst du mir dabey helfen! – Kaspar. Herzlich gerne – bin mit Leib und Seele dabey!! – Baron. Ja aber die Affaire ist ein bisgen – Kaspar. Kitzlicht – verstehs schon – aber machen wir nichts daraus – ich geb Ihnen mein Wort – Sie sollen mit mir wacker bedient seyn! Baron. Nu das will ich sehen es ist ein eifersüchtiger, mürrischer Mann im Weg! – Kaspar. Kinderey – den Narren schaffen wir halt auf die Seite – oder wir betrügen ihn vor der Nase – 155 Eberl, Mandolettikrämer, S. 26–27. 156 So erkauft sich Baron Wellbach beispielsweise von Lisette ihr Schweigen. Vgl. ebenda, S. 21. 157 Vgl. Johann Joseph Felix von Kurz: Bernardon der 30jährige ABC-Schütz. In: BrandnerKapfer [Hrsg.]: Johann Joseph Felix von Kurz, S. 338–364. 158 Eberl, Mandolettikrämer, S. 10. 159 Ebenda, S. 11. 85 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Baron. Und das Weibchen ist ein bisgen schüchtern – weiß sich nicht recht anzuschicken! Kaspar. Itzt gehens mit solchen Kleinigkeiten – ein Weib – sich nicht recht anzuschicken – nu! nur Geduld – Sie werden doch ihre gelben Sprachmeister nicht vergessen? – Baron. War das schon je bey mir Frage? – Kaspar. Nu so sind wir schon zu Hauß! – Baron. 200 Dukaten sollen heute noch dein seyn – wenn das Weibchen mein wird! Kaspar. 200 Dukaten – o! Fikrament! – nu! ich habs ja erst gesagt – das Ihnen um ein hübsches Gesichtl kein Dukatl zu rund ist, 200 Dukaten – mir ist als ob Sie mirs schon aufzählten – sollen sehen – daß das Weiberl eben so reden lernen, als der Esel von einem Mann blind werden muß, kommen Sie nur in einer Stunde in mein Magazin – und da wird mein Plan fertig – und alles zu Ihren Diensten bereit seyn! – Fikrament 200 Dukaten sagen Sie? – Baron. 200 Dukaten! – Kaspar. Vezeihens mir! – aber könnte ich nicht etwelche sehen – nur sehen – es wird mir völlig kurios – wann ich die Dinger nur anschauen kann – die guten Gedanken kommen mir völlig als wie ein Platzregen –“160 Dies Zitat kennzeichnet Kaspar, so wie Eberl sich ihn vorstellt, in hervorragender Weise. Kaspar ist gleichermaßen eilfertig („Herzlich gerne – bin mit Leib und Seele dabey!!“), jedes Mittel scheint ihm recht („den Narren schaffen wir halt auf die Seite – oder wir betrügen ihn vor der Nase“), dumm (er bemerkt nicht, dass er selbst der Gefoppte sein wird) und schlau („Kitzlicht – verstehs schon“); Kaspar kennt die notwendigen Mittel („gelben Sprachmeister“) und auch die Frauen („Itzt gehens mit solchen Kleinigkeiten – ein Weib – sich nicht recht anzuschicken“), Kaspar agiert anderen gegenüber abschätzig (verbal: „Kinderey“) und betrügerisch, zugleich aber auch ehrlich („ich geb Ihnen mein Wort“), und zwar immer dann, wenn er sich einen Vorteil erwartet. Eberls Kaspar ist alles andere als redlich. Augenzwinkernd erinnert er den Baron Wellbach an Erlebnisse ihrer gemeinsamen Vergangenheit: „Kaspar. […] warn so oft mitsammen auf der Jagd in Gratz – erinnern Sie sich denn gar nimmer auf den ehrlichen Kerl, der sie so manchmal des Nachts, mit dem werthen Herrn Hofmeister zum Fenster hinaus praciticiren half – wofür so mancher ehrsamer Dukaten in meinen Schubsack flog.“161 Nun verfügt er über eine „ganz besondere Einrichtung in meinem Hause […] im ersten Stock ganz niedlich eingerichtete Zimmer […] ober meinem Quartier steht 160 Ebenda, S. 19–21. 161 Ebenda, S 14. 86 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Cassino – können also nicht fehlen – zu ebener Erde ist meine Boutique – und der Schild heißt beym Cupido auf dem grossen Ring“.162 Kaspars insgeheim erwirtschafteter Verdienst stammt also unter anderem aus passiver Kuppelei, ein Geschäft, das durchaus lukrativ zu sein scheint, bedenkt man beispielsweise die oben zitierte beträchtliche Summe von 200 Dukaten, die der Baron Kaspar verspricht, oder die fünfzig Souverän der Katzenbalg, die einerseits ein „Piknik“163 im offiziellen Kasino Kaspars und andererseits ein „Extrazimmer […] ganz von aller Gesellschaft gesondert“164 gegen Bezahlung von weiteren Dukaten ordert. Als ein Kunde, der Hochstapler Schevallier de Grand Fortune (eigentlich ein Friseur), nicht zahlen kann, wird Kaspar grob – eine Eigenart, die übrigens in Eberls Text auch anderen Figuren eigen ist, so wird sogar der an sich redliche Herr Buchwald seiner Frau gegenüber handgreiflich165, als er diese an einen anderen Mann zu verlieren fürchtet. Kaspar greift den Betrüger und Zechpreller tätlich an und macht ihn verächtlich: „Kaspar. Lumpengesindel? einen ehrlichen Burgers Mann? wart ich will dichs lehren du Windbeutel – itzt bezahl, oder ich schlag dich blau! – (alle Köche und Köchinnen umrungen den Chevalier, der auf die Knie niederfällt und bitt) Chev[alier]. Ik bitten tausendmal um der Verzeihung – aber ik nit aben Geld bey mir! Kaspar. Was? – heraus mit die Dukaten! Chev[alier]. (zieht den Beutel heraus) Ah bien Pardon! – es sind dir nik Dukat! – Kaspar. Was – keine Dukaten also Dantes? Ih du Gottloßer Leutbetrüger – wart ich will dich lehren (zu den Leuten) nehmt ihm etwas weg! – Koch. Den Hut! – Kaspar. Der ist zerlumpt! – Koch. Den Degen! – Kaspar. (versuchts) der ist ja angenäht – nichts da – den Harbeutel! – Chev[alier]. Ah mon dieu ik bitt – bitten um alles in der Welt nur – nur lassen meiner Arbeutel! – Alle Köche. Nichts da! – nur her – (sie lösen ihm den Harbeutel ab) Chev[alier]. Ah verdammte Streik – itzt wo ik nehm Arbeutel – ah quelle Sottise! (lauft ab) 162 Ebenda, S. 15–16. 163 Ebenda, S. 40. 164 Ebenda, S. 41. 165 Vgl. ebenda, S. 74. 87 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Kaspar. Ha! – ha! – nicht übel – ein franzöischer Harbeutel, itzt da mach ich eine Kastrollpastete darüber, und gieb ihn heute beym Souppe als das vierte Eingemachte! – (alle lachen)“166 Auch wenn die Komik derartiger Szenen aus dem Verständnis des 21. Jahrhunderts kaum noch nachzuvollziehen ist, hatte Eberls Text beachtliche Wirkung auf das zeitgenössische Publikum. Nach der Uraufführung des Lustspiels am 13. Dezember 1787 wurde Kasperl’ der Mandolettikrämer am Leopoldstädter Theater 15-mal im Laufe zweier Jahre wiederholt und kam auch an anderen Vorstadttheatern zur Aufführung.167 Castelli berichtet anlässlich einer dieser Aufführungen: „Ich ging eines Tages durch die Praterstraße (Jägerzeile) spazieren und sah von dem noch geschlossenen Theatertore eine große Menge Menschen stehen, welche auf das Aufsperren wartete. Ich besah den daneben ausgehängten Zettel, man gab: ‚Kasperl, der Mandolettikrämer‘. Die Versammelten waren in einen dichten Knäeuel zusammen­gepfercht und lärmten, stießen schrien und drängten, weil jeder der nächste am Tore sein wollte, um ja gewiß einen guten Platz zu bekommen.“168 Ungewiss ist, aus welchem Grund das Publikum tatsächlich in die Aufführung schwärmte. Fraglos zog La Roche viele Menschen an, wenn sein Name auf der Ankündigung zu lesen war, denkbar ist aber zusätzlich zu seiner viel beschworenen Beliebtheit auch das sicher unstillbare Bedürfnis des Publikums nach Neuigkeiten (vielmehr Stadtgespräche oder auch Lästerreden), das die Wiener ins Leopoldstädter Theater – natürlich auch in die anderen Vorstadttheater – drängte. Unterstützung findet diese Hypothese in der Tatsache, dass es sich bei Eberls Text um eine Gelegenheitsdichtung handelte, die dieser anlässlich eines konkreten Skandals in der Wiener Gesellschaft verfasst hatte169 und die wiederum skandalisiert und damit weiter öffentlich thematisiert wurde, wie dies etwa in der schon genannten Broschüre Bitte an die Damen Wiens das Leopoldstädter Theater betreffend geschah, in der der Theaterdichter Ferdinand Eberl als ein die Fakten überzeichnender und schadenfroher Mensch kritisiert wurde: 166 Ebenda, S. 68–69. 167 Vgl. Jennyfer Zöbinger: Dokumentation. Kasperl’ der Mandolettikrämer. Entstehung und Aufführung. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_mandolettikraemer.html [Stand 2009]. 168 Castelli, Memoiren meines Lebens, Bd. 1, S. 258. 169 Vgl. Maria Anna Spöttl, die ‚Sardellenkönigin‘. In: Blümmel, Gugitz, Von Leuten und Zeiten im alten Wien, S. 222–237, sowie Zöbinger, Dokumentation, Kasperl’ der Mandolettikrämer, S. 4–5. 88 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit „Er hat sich zur Kopirung – mit manch’ falschem Zusaz – eine Familie gewählt, die dadurch zum Gespötte der Stadt geworden. Er war auch schadenfroh genug, die Familie unter seinen Freunden selbst zu nennen, in Furcht, er möchte sie verzeichnet haben.“170 Sogar der Direktor des Leopoldstädter Theaters Karl Marinelli wurde als Günstling („Sie waren dennoch klein ec. genug, sich auf Unkosten dieser Familie zu – mästen“171) angegriffen. So empörend der Skandal um die tatsächlichen Geschehnisse auch sein mochte, im Theatertext strebt die Handlung einer moralisch möglichst makellosen Lösung zu. Kaspar, der in seinem „Lebtag mehr solche Prozesse unter den Händen gehabt“172 hat, soll seiner Läuterung zugeführt werden – dies ist die Absicht des mittlerweile selbst einsichtigen Barons. Dieser versichert Everl, dass der von ihm geplante „Spas […] deinen Mann von all jenen Geldtragenden Projekten – die der Beutelschneiderey so ähnlich sehen, mit einem zurücke bringen [soll]“.173 Während sich Kasper noch seiner Betrügereien und Kuppeleien erfreut und selbst als der Baron ihn außerordentlich schroff zurückweist („Zum Teufel sollst du dich scheren, ich will allein seyn!“174), verfolgt er noch seinen unseligen Weg und begreift die Veränderungen um ihn herum nicht. Kaspar bemächtigt sich der verkleideten Everl und führt sie gleich einer Beute ab,175 nur um sich das Kopfgeld des Barons zu sichern. Selbst als alle Intrigen aufgeklärt sind (noch glaubt Kaspar seine Frau Everl außer Haus), irrt er als einziger und letzter immer noch: „Kaspar. ([das maskierte] Evgen hereinführend) Fikrament was fangen wir dann itzt mit den hübschen Weiberl an? – Baron. Je nun – das hübsche Weiberl wollen wir nun wiederum zu ihrem Mann bringen, damit ja heute alles in Ordnung kömmt! – Evgen. Das hab ich mir wohl gleich gedacht, daß ich dem Schlingel wiederum in die Hände kommen werde! Kaspar. Nein mein Herzenstäuberl, das sollen sie nicht, ich will schon dafür sorgen, wenn Sie nur wollen? Herr Baron Sie überlassen mirs also? – Baron. Herzlich gerne!! – Kaspar. Tausendfikrament das ist lutzig, itzt kommens nur geschwind mit mir! – Evgen. Aber ihre Frau? – 170 Bitte an die Damen Wiens, S. 16. 171 Ebenda, S. 27–28. 172 Eberl, Mandolettikrämer, S. 115. 173 Ebenda, S. 114. 174 Ebenda, S. 155. 175 Vgl. ebenda, S. 156. 89 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Kaspar. So seyns nur kein Fratz nicht – die wird gar nichts inne davon – Sie gehn mit mir, und ich bring Sie an einen Ort, wo Sie gewiß nicht endeckt werden sollen! Evgen. Nu so ist mirs auch recht! – (sie nimmt die Masque ab.) Kaspar. (der erschrickt) Alle Donner und’s Wetter! mein Weib – mein eignes Weib! Evgen. Ja du sauber’s Früchtel, ich bin’s selbst!! – Kaspar. Nein – nein das ist doch auch gar zu dumm, daß ich mein eignes Weib mit einem andern verhandeln wollte! – o! ich Esel! – ich Esel von allen Eseln! – Hr. Baron das kann ich Ihnen auf dem Todtenbette nicht verzeihen! – aber wart Weib, du, wann wir nach Hause kommen – freu dich!!“176 Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag177 Kaspar ist Odoardos Hausknecht, der sich – er fühlt sich oft ungerecht behandelt – gegen seinen Herrn wenden wird, um dem jungen Liebespaar zu helfen. Doch zunächst zum Haushalt Odoardos. Odoardo, verehelicht mit Kunigunde, ist der Vater Mitzerls, der drei Verehrer den Hof machen: der französische Chevalier Chemise, der versoffene Baron Papendeckel und Marquis Kletzenbrod, Dienstgeber des Johann Schneck. Alle drei begehren Einlass ins Haus, doch Kaspar ist dazu angehalten, niemanden ins Haus zu lassen. Er versieht seinen Dienst, so gut er kann, d. h. es gelingt nur dem schlauen Johann Schneck, Kaspar zu übertölpeln und ins Haus zu kriechen: „Kaspar: Krieche lieber Hanns, kriech zu! O du braves Schneckerl du! Bitt’ dich gar schön, kriech hinein! Wie wird das den Herrn nicht freun! [...] Mein Herr ist doch ein feiner Strick! Vom Kriechen hat er kein Wort nicht g’sagt.“178 Zu den Liebhabern gesellt sich der vazierende Schneidergeselle Krispin, der sich in das Stubenmädchen Lorchen verliebt und aus sich bietender Gelegenheit in die Dienste des Baron Papendeckel tritt. Auf Baron Papendeckel wiederum hat es Kunigunde abgesehen, die ihm einen anonymen Brief zukommen lässt, anhand ihrer 176 Ebenda, S. 160–161. 177���������������������������������������������������������������������������������������� Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag. Als Singspiel in zwey Aufzügen, nach dem Lustspiele des Weyland Herrn Hafner, für dieses Theater bearbeitet von J. P., Theaterdichter, und Mitgliede dieser Gesellschaft. Wien: Schmidt 1794. Hrsg. von Jennyfer GroßauerZöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/ perinet_schwestern.html [Stand 2009]. 178 Perinet, Die Schwestern von Prag, S. 18–19. 90 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Schrift aber später als Skribentin demaskiert werden kann. Und auch Odoardo verfasst einen Liebesbrief, dieser ist an das Stubenmädchen Lorchen gerichtet. Abends, als Mitzerl und Lorchen an das Fenster treten, beginnt zunächst ein wahrer Reigen von Ständchen und schließlich ein handfester Raufhandel, in den alle Liebhaber verwickelt werden und dem der Ruf des Nachtwächters ein Ende setzt. Odoardo lässt Kasperl wegen seiner Unachtsamkeit über Nacht in Arrest führen. Am folgenden Morgen kehrt Kaspar verstimmt zurück und erklärt sich bereit, den Marquis Kletzenbrod zu unterstützen. Dieser verabredet mit Mitzerl, die den Marquis schon seit geraumer Zeit wiederliebt, eine List, bei der Kaspar helfen soll. Odoardo wartet unterdessen auf seine Schwester aus Prag, die Mitzerl bei der Wahl ihres künftigen Gatten beraten will. Als sich Mitzerl für krank ausgibt, holt Kaspar den als Mediziner verkleideten Marquis Kletzenbrod, der eine gemeinsame Flucht vorbereitet, sollte der eigentliche Plan scheitern, nämlich Johann als Schwester auszugeben, bei der die Wahl selbstverständlich auf Kletzenbrod fiele. Und zunächst sieht es auch aus, als wäre das Liebespaar in Nöten, denn auch Krispin hat erfahren, dass Odoardo seine Schwester lange Jahre nicht mehr gesehen hat, und verkleidet sich kurzerhand als Schwester. Doch er stellt sich derart ungeschickt an, dass er beim Eintreffen des verkleideten Johann demaskiert wird. Johann heißt (als „richtige“ Schwester) die Verbindung zwischen Mitzerl und dem Marquis gut, Odoardo und Kunigunde stimmen dem auch zu, bis Johann enttarnt wird. Doch Kletzenbrod und Johann, die mittlerweile im Besitz der beiden Liebesbriefe sind, erpressen das Ehepaar, welches die Hochzeit schließlich von Herzen billigt. Die Komödie Joachim Perinets ist eine Bearbeitung der älteren Burleske Der von dreyen Schwiegersöhnen geplagte Odoardo von Philipp Hafner. Die Schwestern von Prag wurde am 11. März 1794 uraufgeführt und entwickelte sich zu einem ausgesprochen erfolgreichen Stück, das bis 1859 über 130 Wiederholungen erlebte. Das wesentliche Verdienst Perinets bei der Bearbeitung ist die Verdichtung des ursprünglich „recht ungleichmäßig gewebt[en]“179 Lustspiels von Philipp Hafner. Perinet vermehrt die Liebesgeschichte um jenes des alternden Ehepaares, neu ist auch die zentrale nächtliche Szene, in der die Tumulte auf der Bühne eskalierten. Bei Hafner brachten die Liebhaber ihre Ständchen der Reihe nach dar, bei Perinet kommt es zu einer „Nuit à l’Italienne [...], in die schließlich alle Personen des Stückes verwickelt werden“180, und die zur Kernszene des neu eingeführten Kaspars wird. Doch zunächst zur Rolle La Roches. Kaspar ist der zwar treue, jedoch ausnehmend dumme Bedienstete, der den Auftrag seines Herrn nur allzu wörtlich nimmt. Es erfüllt ihn mit Stolz, wenn er seinem Herren dienlich sein kann, doch die Befriedigung wird 179 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 547. 180 Ebenda, S. 548. 91 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html je ins Gegenteil gekehrt und lässt Kaspar sich schließlich gegen Odoardo wenden, als er von diesem geprügelt, verhöhnt und sogar in den Arrest geschickt wird, ohne eigentlich zu erkennen, warum. Kaspar möchte alles richtig machen, doch er vermag dies kaum; zu karg sind seine geistigen Ressourcen, und auch wenn er sich bemüht, misslingt ihm der Auftrag. Schon zu Beginn der Komödie versagt Kaspar zu hundert Prozent: „Odoardo. [...] Aber wie hat denn der Chevalier einsteigen können? Kaspar. Er ist halt auf’s Gatter zu ebner Erd g’stiegen, da hat er sich oben an G’sims ang’halten, und hat hinauf kraxeln wollen. Odoardo. Und was hast denn du dabey gemacht? Kaspar. (lacht) Ich? Ich hab’s gar fein g’macht. Ich hab g’schrieen, ,He! he! Der Herr kann sich ja zersprageln, oder gar den Hals brechen, wann er so herumkraxelt: Was brauchts denn die Talkerey da? Wann der Herr expressi einsteigen will, so kann ich ihm ja eine Leiter hohlen?‘ – Dictum factum, ich geh her, bring ihm d’ Feuerleiter, und da ist er ganz kommod eing’stiegen. Odoardo. Was! der Franzos hat über nacht in meinem Haus kampirt? Kaspar. Die Fräula Mitzerl hat ihn ja nicht hineing’lassen, und es ist ja besser, daß einer spienzelt, als daß er ein Krüppel wird? Odoardo. Hab ich dir nicht befohlen, keinen Menschen in’s Haus zu lassen? Kaspar: Sie haben g’sagt; Stell dich vor die Thür, und laß keinen Menschen hinein, aber vom Fenster haben sie nichts gesagt; das können Sie nicht reden als ein braver Mann: und ich hab all mein Lebtag ghört, Fensterln därf man aber nicht thürln.“181 Indem er den Auftrag buchstäblich ausführt, lässt er den Galan zwar nicht zur Tür hinein, doch er unterstützt ihn am alternativen Weg, der durch das Fenster führt. Dies ist das erste, aber beileibe nicht das einzige Missverständnis, das zum Lachen auffordert. Kaspar ist dumm, treu, ehrlich, hilfsbereit, Kaspar steht neben sich und neben allen anderen und will niemandem Böses. Natürlich ist Kaspar in bester hanswurstischer Tradition großsprecherisch. Noch zu Beginn rühmt er seine, dem Hausknecht eigene, Stärke in einem Lied („Ein Hausknecht wird überall stark honorirt, Weil jeder des Hausknechts sein Faust respectirt“182), kurz darauf muss er Schläge einstecken („Kletzenbrod. Mit dem Kerl ist nichts anzufangen; der taugt gar nicht in die Welt [...] (Er giebt Kasparn mit der flachen Klinge einen Hieb über den Rücken.) Bleib stehen, Ochs!“183), und als er schon im nächsten Auftritt auch vom zweiten Liebhaber bedroht wird, schreit er aus Leibeskräften um Hilfe („Papendeckel. Wohlan Kerl! so will ich dich, wie eine Kröte spießen. (zieht) Kaspar. (schreyt) 181 Perinet, Die Schwestern von Prag, S. 7–8. 182 Ebenda, S. 10. 183 Ebenda, S. 13. 92 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit He! Leute! Menschen, Kinder, Katzen, Mäus’ und Ratten kommt mir zu Hülfe!“184). Für Kasperl ist es selbstverständlich, Liebende zu unterstützen, ist er doch selbst, allerdings in erster Linie jungen, Frauen nicht unbedingt abgeneigt. Zunächst ist er beim Rendezvous des Marquis mit Mitzerl der „Ehrenhüter“185 des Fräuleins. Die beiden versichern ihm, nur miteinander reden zu wollen, und Kaspar sorgt tatsächlich für einen gebührenden Abstand zwischen den Zweien. Vorerst lässt er sich zwar bestechen, doch als sie sich hinter seinem Rücken küssen wollen, streckt er seine Hellebarde dazwischen und treibt schließlich den Marquis fort186. Im zweiten Aufzug hat Kaspar neuerlich eine Schlüsselrolle in der Liebeshandlung: Er übernimmt die Verkleidung des Doktors, nachdem sich der Marquis ins Haus geschlichen hat, stellt ein Rezept aus und verstellt sich als würdevoller Gelehrter: „Odoardo. Nun wie stehts, Herr Doktor? Kunegunde. Geben Sie Hoffnung? Kaspar nickt mit dem Kopfe, deutet, daß sie schlummere: giebt ihnen das Rezept, und will ab. Odoardo. Nehmen Sie doch für ihre Mühe! (giebt ihm Geld) Kunegunde. Und sehen Sie bald wieder nach. (Kaspar steckt das Geld gravitätisch ein, nickt mit dem Kopfe und läßt sich bis vor die Thüre hinaus begleiten.)“187. Solche Szenen, wie auch die folgende, boten mit Sicherheit viel Raum für Lazzi und es ist anzunehmen, dass La Roche auch kürzeste Auftritte mit reichlich übertriebener Gestik spielte: „Kaspar kommt gähnend aus dem Hause und dehnt sich. Izt hab’ ich g’schlafen wie ein Prinz, izt wollt ich wieder die ganze Nacht munter seyn. Der Schneckenhannsel ist auch wieder herausgekrochen, und izt will ich auf meinen Herren warten, damit er sieht, was ich für ein Mordkerl bin.“188 Den Höhepunkt der Schwestern von Prag bildete gewiss die Nachtszene im Garten, als alle Darsteller nach und nach die Bühne betraten und, von unterschiedlichen Instrumenten (Requisiten und als Arienbegleitung reale Instrumente) begleitet ihre Musiknummern vortrugen. Auch Kaspar, dessen Darsteller La Roche über keine besonders schöne Singstimme verfügte, wie mehrere Chronisten bezeugten, durfte dem Stubenmädchen ein Ständchen bringen, dazu begleitete er sich selbst mit einem „hölzernen Gelächter“ (einem Xylophon): 184 Ebenda, S. 15. 185 Ebenda, S. 35. 186 Vgl. ebenda, S. 14. 187 Ebenda, S. 89. 188 Ebenda, S. 33–34. 93 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html „Kaspar kommt mit einem hölzernen Gelächter auf dem Buckel. O jemine, o jemine! Mit thut schon fast der Buckel weh. Ich bring mein Instrument mit mir, Und spiels den Madeln vor der Thür’. Ich hab’, weil ich mein Lebtag g’lacht. Ein hölzerns G’lachter mitgebracht. (Kaspar legt es auf den Eckstein und schlägt) Hippedi, Huppedi, Klapp, klapp, klapp! Der Tact, der geht bey mir im Trabb. Ich sag dirs Lenorl! mein Herz hackt auch so, Und liegt auch, wie’s hölzerne G’lächter auf Stroh Hippedi, huppedi! Klabb, klabb, klabb! Schütt’s mir nur nichts auf’m Schädel herab.“189 Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger Die bemerkenswerteste „Entwicklung“ durchläuft Kasperl im Oeuvre Karl Friedrich Henslers. Dabei avanciert die Figur vom rührigen und meist redlichen Familienvater in den bürgerlichen Stücken zum verschlagenen und bramarbasierenden Knappen in den romantisch-komischen Volksmärchen, als deren ‚Vater‘ Hensler in die Literatur- und Theatergeschichtsschreibung eingegangen ist. Dabei verläuft die Metamorphose vom bürgerlichen Biedermann zum komischen Faktotum in märchenhafter Kulisse in die eigentliche Handlung stets begleitenden Rollen, obschon Kasperl in vielen Fällen die Titel gebende Person ist. Der Kasperltypus wandelt sich merklich, doch immer bleibt er dumm, feige aber auch grundehrlich – damit sind seine Haupteigenschaften umrissen, die ihn in allen Komödien ‚begleiten‘. In den bürgerlichen Stücken Henslers (etwa Männerschwäche und ihre Folgen oder Die Krida; Der Großvater oder Die fünzigjährige Hochzeitsfeyer; Kasper, der Schornsteinfeger) „müssen sich ‚wackere‘ Bürger und tugendhafte Mädchen aufregender Verfolgungen seitens schurkischer Beamter erwehren und nur durch ein überraschendes Zusammentreffen günstiger Umstände, das ein Eingreifen des Fürsten herbeiführt, können sie in letzter Stunde gerettet werden“190. Dabei werden „alle Schurkerei[en ...] rechtzeitig abgewendet [...]. Die Gequälten tragen ihr unverdientes Leiden auf stoisch tugendhafte Art und Weise. Der Fürst übernimmt die Rolle der Vorsehung“191. „Unbedeutende Liebes- und Heiratsgeschichten bilden den Inhalt. 189 Ebenda, S. 52–53. 190 Binder, La Roche, S. 32. 191 Ebenda. 94 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Immer dreht es sich darum, dass ein Liebespaar einen verhassten oder zumindest sehr ungebetenen Dritten, der das Mädchen umwirbt, abschüttelt.“192 In Henslers „Original Lustspiel“ Der Schornsteinfeger193 verkörperte La Roche die Titelfigur Kaspar Puff, der gemeinsam mit seiner Frau Susanna zwei Pflegekinder aufzieht: Antonia und Karlchen. Karlchens leibliche Eltern sind (und dies wird sich erst im Laufe der Handlung herausstellen) Antonia und Karl, ein heimlich verheiratetes Paar. Auch Karls wahre Identität ist ein Geheimnis: Zwar gibt er sich als Rauchfangkehrergeselle aus, jedoch ist er Seeoffizier Graf von Steinburg und Sohn des Gouverneurs Graf Bolla. Begünstigt durch dieses familiäre Geflecht können die Intrigen vom Stadtsyndikus Wilhelm (er ist der durch Neid verblendete Stiefbruder Karls) und dessen Handlanger, dem Baron Walter, in Gang gebracht werden. Kaspar ist ein Handwerker, der seine Jugend längst hinter sich gelassen hat („mein lieber Alter“194), arbeitsam, redlich, verschroben, kurz: von einfachem Gemüte. Schon zu Beginn bescheinigt ihm der ehemalige Hofmeister Kluger (die moralische Instanz der Komödie) seine Fehlerlosigkeit („Klug[er]. (beis.) Kasper Puff ist ein ehrlicher Mann“). Rechtschaffenheit und biedere Zurückhaltung prägen die bürgerliche Komödie Henslers, dessen Intention durch zwei Sentenzen zusammengefasst werden kann: „Wilh[elm]. [...] Ja, es sey, wo das Schicksal dem Glück der Menschen Einhalt thut, da muß unser Witz zu Hilfe kommen, und eine List durch Witz ausgeführt, muß gelten, auch wenn so bisweilen eine kleine Feinheit unterläuft.“195 „Klug[er]. [...] wirst du deine Grundsätze, die so schön in dem Munde des ehrlichen Mannes stehen, verlassen, wirst dein Herz hören, das als Hausvater so schön für deine Familie schlägt, wirst ein glücklicher Großvater seyn, ohne nach Rang und Würde gestrebt zu haben.“196 Der ‚Witz‘ wird als Motor des Geschehens betrachtet, List und Kabalen treiben die Entscheidungen, an deren Ende neben der Zufriedenheit aller auch der Erkenntnis- 192 Norbert Wiltsch: Karl Friedrich Hensler: Ein Beitrag zur Geschichte des Alt-Wiener Theaters. Wien, Univ., Diss. 1926, S. 31. 193 Uraufführung am 13. Oktober 1789, Erstdruck 1791. 194 Karl Friedrich Hensler: Der Schornsteinfeger. Ein Original Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishauser 1791, S. 8. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_schornsteinfeger.html [Stand 2009]. 195 Hensler, Schornsteinfeger, S. 19. 196 Ebenda, S. 15. 95 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html gewinn der Ehrbarkeit bürgerlicher Tugenden (natürlich möglichst auch des Publikums) stehen soll, an. „Grundsätze“197 und „Politik“ sind relevante und den schriftlich fixierten Text prägende Begriffe. In Erinnerung gerufen sei an dieser Stelle die (zeitgenössische) Definition des Terminus Politik: „Die Politīk: Fertigkeit, alles was in der bürgerlichen Gesellschaft vorkommt, vernünftig zu beurtheilen, die nach den Verhältnissen der Staatsverbindung bestimmte Klugheit; die Staatsklugheit, S. auch Staatswissenschaft. Ingleichen, objective, der Inbegriff aller dahin gehörigen Wahrheiten. In weiterer Bedeutung wird auch die Klugheit, so fern sie sich in dem Umgange mit andern äußert, die Politik genannt.“198 Politisch zu sein und zu agieren kennzeichnet den edelsinnigen, würdevollen Charakter – die Negation dessen enthüllt eine reaktionäre Gesinnung. Noch ehe der Zuschauer (respektive der Leser) erfährt, dass Wilhelm gegen seinen Stiefbruder Karl intrigiert, offenbart er in einem Gespräch mit Kluger sein wahres Wesen: „Kluger! sie sind meines Bruders Erzieher, also sein vertrautester Freund, verwünscht sey aber die Stunde, worinn sie ihm zum erstenmale jene gefährlichen Grundsätze der Politik einprägten.“199 Die Positionen stehen fest und die Intrigen können beginnen. In diesem Rahmen (Rückkehr des verlorengeglaubten Sohnes, dessen Wiedereingliederung in die Gesellschaft, zugleich dessen Aufstieg in der ständischen Hierarchie durch glückhafte Erlangung eines prestigeträchtigen Amtes, die Aufdeckung der Vergangenheit und offiziöse Anerkennung seiner geheimgehaltenen Ehe und Vaterschaft) wird der Typus des Kasperl beinahe mühsam eingefügt. Als Handwerker gibt er dem vermeintlichen Gesellen Karl die Möglichkeit, sich sowohl seiner primären Familie (Vater und Stiefbruder; noch unerkannt) als auch seiner Herzensfamilie (Antonia und Karlchen) nach langer unverschuldeter Abwesenheit wieder anzunähern. Während Karls Absenz hat Kaspar, ohne es zu wissen, die Obsorge für dessen Frau und Sohn übernommen, pflichtergeben dient er dem Allgemeinwohl und letztlich auch seiner Frau, obschon er diese für närrisch und hochfahrend hält und sie schließlich sogar als herrschsüchtig und überheblich demaskiert. Diese Beziehungen (Kaspar–Ehefrau Susanna; Kaspar–Gouverneur Bolla; Kaspar–Karl, Schornsteinfegergeselle bzw. Graf von Steinburg) bilden den Raum, in welchem La Roche seinen Kasperl ‚inszeniert‘. Die in der Forschung beständig genannten 197 Zwei Beispiele aus dem Text mögen zur Illustration genügen: „[...] deine Grundsätze, die so schön in dem Munde des ehrlichen Mannes stehen“ (Kluger prophezeit Kaspers Zukunft). Hensler, Schornsteinfeger, S. 15 und „Ihr habt edle Grundsätze, guter Mann“ (Kluger zu Kasper). Ebenda, S. 29. 198 Politik. In:�������������������������������������������������������������������������� Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 2., vermehrte und verbesserte Auflage. Bd. 3. Leipzig: Breitkopf und Compagnie 1793–1801, S. 803. Elektronische Volltext- und Faksimile-Edition nach der Ausgabe letzter Hand. Online: http://www.zeno.org/Adelung-1793/-/Hauptseite [Stand 2009]. 199 Hensler, Schornsteinfeger, S. 21. 96 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Merkmale Kasperls200 (Streit und Zank im Alltag des kasperlischen Haushaltes, Eifersucht auf seine Frau, Dummheit, die er aber im Nachhinein immer einsieht, Sprachwitz, Missverständnisse, falsches Wörtlichnehmen, Unvereinbarkeit von Sprache und Dingen; Infantilität und Naivität Kasperls) kehren auch im Schornsteinfeger unverkennbar zu Tage, werden jedoch durch eine zusätzliche Eigenart Kasperls erweitert: La Roche stellt Kasperl als zärtlichen Familienvater vor, „der seine Kinder liebt, sie zu ehrlichen und ordentlichen Handwerkern“201 erziehen möchte, und dies stets mit der Betonung der Begrenztheit des Standes202. Belehrend und unterhaltsam zugleich sind vorrangig jene Passagen, in denen Kasper sich mit Kluger unterhält. Des Kasperls Sprachkomik und seine Infantilität kommen gleichermaßen zum Ausdruck wie auch seine (und vor allem Karl Friedrich Henslers) grundsätzliche vorgenannte politische Auffassung: „Kasp[ar]. Mein Weib prophezeyt mir auch so Narrheiten, daß das Madl noch eine vornehme Dame wird, und da gehts s’Weib beständig auf die Männer Jagd aus, damit ihre Prophezeyhung eintreffen soll, s’Madl setzt sich z’letzt das Ding in Kopf, glaubts selber, weil’s die Mutter glaubt, und vertreibt mir jeden ehrlichen, braven Burgerssohn, der Sie heurathen will; aber nur Geduld, eh 8 Tage vergehen, werd ichs Madl fort transportiren. Klug[er]. Und wohin, wenn ich fragen darf. Kasp[ar]. In den heiligen Ehestand, sonst hats keine Ruh mehr; [...] Klug[er]. Habt ihr denn schon einen Mann für Sie gefunden. Kasp[ar]. Hab einen, aber der Teufel weiß, wo er seit 3 Tagen steckt. [...] Herr, ein Kerl wie gedrechselt, – von Geburt ist er ein Wälscher, aus – aus – wie heißt man doch das Land – aus – aus Flo – Flor – Klug[er]. Florenz. Kasp[ar]. Richtig, Florenz, – und dem thät ichs’ Madl von Herzen gönnen. Klug[er]. Wer ist er denn, wenn ichs wissen darf? Kasp[ar]. Was wird er seyn, ein Schornsteinfeger ist er, und ein Schornsteinfeger ist ein groß, großes Thier, – warum? weil er ein Mitglied des Staates ist. Klug[er]. Ein Mitglied des Staats, – wie das? 200Vgl. allgemein Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie sowie����������������������������� Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Paderborn [u. a.]: Schöningh 2003 und zu Henslers Komödien dezidiert Binder, La Roche, S. 33–36. 201 Binder, La Roche, S. 36. 202 Vgl. ebenda. 97 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Kasp[ar]. Wer den Staat vor Gefahren schützt, ist ein Mitglied desselben, der Schornsteinfeger schützt den Staat vor Feuersgefahr, ergo – ist der Schornsteinfeger ein Mitglied des Staats, da hat ers jetzt, als wenn’s auf ein Buttersemel aufgestrichen wär.“203 Dass die staatstragenden Ausführungen Kasperls mit der Erwähnung einer Buttersemmel enden, ist alles andere als abwegig. Für ihn gehen seine Grundbedürfnisse Hand in Hand und die rechtliche oder finanzielle Absicherung seiner Familie wie auch das Stillen seines Hungers wiegen für ihn gleich schwer. Kommt ihm dabei jemand in die Quere, scheut er auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurück: „[...] oder Blitz Sapperment! wenn einmal der Kasper Puff ins Puffen kommt, Herr! da gibt’s Puffer, dass sich der Herr Stadtsyndicus verwundern wird.“204 Dabei ist es Kasperl einerlei, ob sein Gegner ein Handwerker wie er oder ein Angehöriger des Adels ist. So kommt er auch mit dem Gouverneur der Seestadt, Graf Bolla, ins Handgemenge, als dieser Karlchen (der sich als Enkel beider herausgestellt hat) zu sich nehmen will: „Casp[ar]. (Wie er den alten Bolla Krlchen [!] wegtragen sieht) He, he, Blitz Fikerment, wer trägt mir denn meinen Jungen davon, (hält ihn zurück, nimmt ihn dem Alten weg) Euer Excellenz, der Knabe ist mein. Boll[a]. Er ist aber meines Sohnes Kind, gebt mir meinen Enkel (nimmt ihm wieder auf seinen Arm) Casp[ar]. Blitz Fickerment! Euer Excellenz! der Junge gehört mein.“205 Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer Von Furchtsamkeit als wesentlichem Kennzeichen des Kasperls kann in den bürgerlichen Komödien Henslers kaum die Rede sein – gänzlich anders verhält es sich damit in den später entstandenen Lustspielen, hauptsächlich aber in den bereits genannten romantisch-komischen Volksmärchen, in welchen die Furchtsamkeit Kasperls zur seinem beinahe obligaten Charakteristikum wird. „Hier“, schreibt Binder in ihrer Arbeit über das Zusammenwirken La Roches und Henslers, „entdeckt man Kasperls stark ausgeprägte Furchtsamkeit, die sich wie ein ‚roter Faden durch die einzelnen Stücke zieht und das Publikum zum Lachen trieb. Es scheint mir eine urmenschliche Reaktion zu sein, dass man sich über einen ‚zerkugeln‘ kann, nur weil er sich fürchtet und dies obendrein noch zugibt. 203 Hensler, Schornsteinfeger, S. 10–11. 204 Ebenda, S. 28–29. 205 Ebenda, S. 47. 98 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Dieses Lachen tritt natürlich nur dort auf, wo man sich in Sicherheit (sprich: Zuschauerraum) wähnt.“206 Der Furchtsamkeit, wie auch der Infantilität, die sich die Kasperlrolle im Laufe der Entwicklung beibehalten hatte, gesellt sich in den Volksmärchen ein Lazzo hinzu, nämlich der des Nachäffens,207 der typisch für den Kasperl La Roches wird. Dieser Form der Komik fügt Binder in ihrer Betrachtung von Henslers Donauweibchen weitere an, die wohl auch für den Unruhigen Wanderer u. a. romantisch-komische Volksmärchen Henslers gelten können und hier nur kurz in Form einer Auflistung wiedergegeben werden sollen: Angst, Kindlichkeitskomik, Naturhaftigkeit, Dummheit, Vergesslichkeit, Unkenntnis, Analphabetismus, Furchtsamkeit, Betrunkenheit, Dienertreue, Prügel und Ohrfeigen. Diesen gesellt sich die Hilflosigkeit übermächtigen Gegnern und dem einfachen Alltag gegenüber hinzu.208 Am 13. Mai 1796 erfährt das ‚erste‘ romantisch-komische Volksmärchen am Leopoldstädter Theater seine Uraufführung. Der Verfasser Hensler bezeichnet die Komödie im Untertitel als Original-Feemärchen in vier Aufzügen und widmet das Stück explizit „seinem Freund Johann Laroche [...] zu seiner jährlichen freyen Einnahme“: Der unruhige Wanderer, oder Kasperls lezter Tag. Erster Theil209. Wie erfolgreich La Roche und das Ensemble der Leopoldstädter Bühne diese Komödie spielten, bezeugt unter anderem210 die Häufigkeit seiner Wiederholungen: Bis 1806 gelangte das Stück 43-mal zur Aufführung. Entsprechend seiner Konzeption und seinem Gattungsverständnis kommt es Hensler „auf die lebendige Zentralgestalt an, nicht 206 Binder, La Roche, S. 39. 207 Ebenda, S. 63 bezeichnet das Nachäffen sogar als ‚stehenden‘ Lazzo. 208 Vgl. ebenda. 209 Karl Friedrich Hensler: Der unruhige Wanderer, oder Kasperls lezter Tag. Erster Theil Ein Original-Feemärchen in vier Aufzügen für die Marinellische Schaubühne. Wien: Schmidt 1796. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/translit_hensler_wanderer_1.pdf [Stand 2009]. 210 Auch die Tatsache, dass Hensler eine Fortsetzung verfertigte, beweist die Publikumswirksamkeit des Feenmärchens (ob Hensler, wie Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 555 versichert, schon während der Arbeit am ersten Teil einen allfälligen zweiten Teil mitkonzipierte, ist zwar nicht bewiesen, doch auch nicht abwegig, bedenkt man, dass ihm mit den Romanen des Christian Heinrich Spieß, derer sich Hensler wiederholt als Quelle (bspw. Das Petermännchen, Geistergeschichte von Spieß: Das Petermännchen, Schauspiel mit Gesang von Hensler, 1794 oder Die zwölf schlafenden Jungfrauen, Geistergeschichte von Spieß, 1795/96: Die zwölf schlafenden Jungfrauen, Schauspiel mit Gesang von Hensler, 1797) bediente, zahlreiche Vorlagen zur Verfügung standen). Vgl. Karl Friedrich Hensler: Kasperl der unruhige Wanderer. Zweyter und letzter Theil. Ein Original-Feemärchen mit Gesang in drey Aufzügen für die Marinellische Schaubühne. Wien: Schmidt 1799. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.unigraz.at/maezene-pdfs/translit_hensler_wanderer_2.pdf [Stand 2009]. 99 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html auf die Handlung. Diese ist ein Feenmärchen, wie es schon oft über die Bühne gegangen war.“211 „Den Inhalt der Rahmenhandlung festzuhalten lohnt sich kaum. Da ist eine stolze Königin Evana, die auf ihrer Insel ein Amazonenreich begründet hat. Männer, die sich auf die Insel verirren, macht man durch einen Zauberwein gefügig und lässt sie spinnen. Von den neugeborenen Kindern werden alle männlichen getötet. Eifersüchtig wacht Evana über die Erhaltung ihres ,Gesetzes‘, für das durchaus nicht alle Amazonen begeistert sind, und fühlt sich deshalb besonders gereizt durch die Weigerung ihrer Ziehtochter, es bei einer Art Jugendweihe zu beschwören. Hat sie doch selbst ihr eigenes Söhnlein wenige Tage nach der Geburt ertränken lassen. Unnötig zu sagen, daß Evana schließlich bekehrt wird, und zwar am Ende des ersten Stückes äußerlich, am Ende des zweiten auch innerlich. Jetzt stellt sich selbstverständlich heraus, daß einer ihrer Gefangenen, der lieber den Hungertod sterben als Frauenarbeit im Spinnsaal verrichten wollte, ihr Sohn ist und ihre Ziehtochter liebt. Motiv und Milieu entsprechen ganz dem Vorbilde der orientalisierenden Märchen der Sammlung ,Dschinnistan‘. Das Beste hat natürlich die gute Fee Chara zu tun, die über dem Ganzen ihre Hand hält, und der lustige ,kleine Schutzgeist‘, den sie mit der Fürsorge für Kasperl betraut hat. Auch der Mohr Mongogul, der diesmal verliebte Amazonen und gefangene Männer zugleich zu bewachen hat, gehört zum ständigen Personal der ,Contes des Fées‘. Er hatte weder im ,Fagottisten‘ noch in der ,Zauberflöte‘ gefehlt und hatte schon in Stephanie-Mozarts ,Entführung aus dem Serail‘ (1782) sein Spiel getrieben. Neu ist nur, daß Kasperl im Dienste der Fee Chara, deren Name wohl ,Freude‘ bedeuten soll, die Aufgabe bekommt, der verkrampften Unnatur des Amazonenrechtes ein Ende zu machen.“212 Kasperl setzt dem Treiben ein Ende, natürlich nicht ohne zuvor auch für Tumult, Verwirrung, Verfolgungen und vieles mehr gesorgt zu haben. Durch das Einwirken Charas, der „Beschützerinn der Menschenfreuden“213, wird Kasperl, der „reduzirte[...] Hofnarr“214, durch die Handlung getrieben. Sie übernimmt die Funktion des Schicksals und bedient sich förmlich der beiden männlichen ‚guten‘ Protagonisten im Kampf gegen die das Bösen verkörpernden Amazonen und deren männliche Untergebene. Während dem jungen Abenteurer Samor jedwede Unterstützung für seine Heldentaten zuteil wird, sieht sich Kasperl indes unentwegt unterschiedlichsten Hindernissen gegenüber. Die erste Tat Charas ist die Verjüngung Kasperls, die Voraussetzung für Kasperls Eingreifen in die Handlung: Kasperl eröffnet das Theaterstück mit einem Schläfchen auf der Bühne, das durch Kinder gestört wird. Als Kasperl erwacht, hält er einen sein bisheriges Leben resümierenden Monolog: 211 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 554. 212 Ebenda, S. 554. 213 Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 2. 214 Ebenda. 100 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit „Kasperl (allein, gähnt, streckt sich aus). Ha, ha, ha! da heist’s wohl, s’kann einem nicht närrischer träumen! Nun ja! (er will aufstehen, zittert, setzt sich wieder) da haben wir’s! es geht nimmer! die Füße! die Füße! wenn ich ihnen auch noch so gute Worte gäb, es wär kein Tanzl mehr aus ihnen heraus z’holen! (Pause, lacht mit innerer Zufriedenheit) ha, ha, ha! wie ich immer sag, wenn man lang lebt, so wird man alt, und wenn man alt wird, so werden einem d’Spazierhölzer zu eng, und wenn’s auch im obern Stockwerk noch so lustig aussieht, was hilfts! wo der Hausmeister logirt, (deutet auf die Füsse) da singt man s’Lamentabile s’ganze Jahr! (Er steht mit Mühe auf, lehnt sich auf seinen Knotenstock, und nähert sich dem Tischchen) Der Appetit ruckt auch schon wieder an – ich muß doch nachschauen, was mir die Frau Fee aus ihrer Hofkuchel bescheert hat.“215 Diesen Monolog bezeichnet Rommel als „das vielleicht echteste und reinste Dokument seiner [La Roches] Komik“216, denn, so führt dieser weiter aus: „Seine Komik, auf die es in erster Linie ankam, war ja von jeher in hohem Grade unabhängig von dem ihm zugeteilten Handlungsmotiv gewesen. Kasperl wirkte immer durch das, was er war, und nicht durch das, was er auf der Bühne zu tun bekam. Er ist überhaupt in dieser seiner letzten, durch Henslers Stücke repräsentierten Entwicklungsepoche nicht mehr bloß eine Bühnenfigur. Er wirkt offenbar – auf der Bühne wie im Leben – durch sein Menschentum. Johann Laroche zählte erst 51 Jahre, als Hensler ihm im ‚Unruhigen Wanderer‘ die Rolle eines ganz alten Mannes vorschrieb.“217 Indem der alte Kasperl einige Prüfungen und Neckereien Charas besteht (beispielsweise muss er die als Alte verkleidete Chara küssen), erweist er sich als geeignet, um Samor und andere Männer aus der Gefangenschaft der Amazonen zu befreien. Dazu verwandelt sie Kasperl in einen jungen „Tirolerbauer[n]“218 und stattet ihn mit mehreren Requisiten aus, die ihn auf seinem Weg unterstützen sollen. Prädestiniert als ehemaliger Narr des Tiroler Hofes („war ehedem Hofnarr – wie ich aber das Project g’macht hab, dass alle Ehemänner, die ihren Weibern ungetreu sind, rothe Perücken tragen sollten, so haben sie mir die Schellenkapp um den Kopf geschlagen, und mich aus dem Land gejagt.“)219 macht er sich zur Rettung der Männer auf. Dabei treten seine typischen Eigenschaften immer wieder zutage: Kasperl ist weinerlich, trotzig und ausgesprochen furchtsam, den ihm eigenen kindlichen Zug vermag er bis zum Ende der Komödie, zu seinem Tod am Abend seines titelgebenden letzten Tages, nicht abzulegen: 215 Ebenda, S. 4–5. 216 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 555. 217 Ebenda, S. 554–555. 218 Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 17. 219 Ebenda, S. 7. 101 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html „Kasperl. Also – also muß es wirklich gestorben seyn? (weinend) Also ist wirklich der heutige Tag mein letzter Tag? Chara. Geniesse die Ruhe, des Glückes fröhlicher Menschen, damit du einst vorsichtiger vollendest deine zweyte Wallfahrt auf Erden. Kasperl. (beginnt zu senken) Wenn – wenn ich halt noch einmal auf die Welt kommen soll, so bitt ich mir wieder so ein Glöckl aus – will – will mich hernach schon gescheiter aufführen – König[in]. Mongogul! vollziehe deine Pflicht! (Mongogul erhebt seine Keule – Kasperl verschwindet. Es erscheint ein Grabhügel. Donnerschlag.)“220 Eine sehr wesentliche Eigenschaft, die bislang noch kaum Erwähnung fand, ist Kasperls ständiger Hunger und Durst: Im Unruhigen Wanderer wird die Essenslust Kasperls fortwährend thematisiert,221 doch gerade der Genuss von Wein ist ihm strengstens untersagt: „Kasperl. O ich armer Teufel! nirgends hab’ ich eine bleibende Stätte – die Weiber machen Jagd auf mich, und wenn sie mich erwischen, so spießen sie mich an ihre Fahneln. (laut schluchzend) S’ g’schieht mir – s’ g’schieht mir aber recht – warum hab’ ich in meinen alten Tagen noch solche Kindereyen anfangen müssen. (lauter schluchzend) Keinen Wein soll ich auch nicht trinken, vom Wasser stirbt man – und dürsten thut michs, wie – wie – Hirtenj[unge]. Hast du Durst – da trink – Milch von unsern Lämmern, genährt auf unsern fetten Fluren – sie wird dir köstlich schmecken – trink! Kasperl. Jetzt geh mit deiner Milch – bring mir lieber Wein.“222 Der Durst übermannt Kasperl, so dass er schon bereit ist, Milch zu trinken, als er plötzlich einer Flasche Wein gewahr wird: „Kasperl. Milch! Milch! – so lang du mir keinen Wein – – (er erblickt die Flasche von Mongogul), Alle Wetter! was seh ich da – da wär freylich so etwas, womit man den Durst – wenn nur mein verdammtes Glöckl nicht wär – (er nimmt die Mütze ab) ich – ich würde – (er sieht immer nach dem Glöckl) ich würde trinken – (er nimmt die Flasche) Nun! nun! – rührt sich nichts? ich trink – (Pause) ich trink – (wie er ansetzen will, kommt Florina mit einer Eulenlarve, er erschrickt heftig).“223 220 Ebenda, S. 86–87. 221 Einige Beispiele seien hier genannt: „O – o – o ich armer Teufel! nix zu essen, nix zu trinken“ (Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 5); „Ihr wohnet in einem so schönen Land – ein Weinl – ein Weinl soll bey euch wachsen wie ein Provanzer-Oehl!“ (Ebenda, S. 35); „Also Wein hast du da? Wein! laß doch einmal“ (Ebenda, S. 49). 222 Hensler, Der unruhige Wanderer, S. 58. 223 Ebenda, S. 59. 102 Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit Seine Mütze, die er von Chara bekommen hat, warnt Kasperl. Erst als er diese ablegt – die Amazone Florina überredet ihn teils schmeichelnd, teils Hand anlegend, dies zu tun – trinkt er vom Wein und empfängt prompt die Strafe – ihm wachsen lange Ohren („O ich dummer Eselskopf!“).224 Das Requisit, bzw. das Motiv der Schellenkappe übernimmt Hensler notabene auch in seine letzte Komödie, nämlich die einaktige Allegorie Das friedliche Dörfchen225, deren Uraufführung am 29. September 1803 Henslers Direktion des Leopoldstädter Theaters einleitet. Hier ist Kasperl ein Spielmann, der die beiden Genien Gesang und Scherz auf ihrer Reise nach Wien begleitet und im ‚friedlichen Dörfchen‘ den Menschenhasser durch seine Fröhlichkeit (und dank der Hilfe der Schutzgöttin des Fleißes) besiegt. „Immer scherzen, immer lachen Liebe Leute! wollen wir. Allen Menschen Freude machen, Nimm die Hand – ich schwör’ es dir. [...] Der Beyfall dort ist unser Ruhm. Vom edlen Wiener Publikum!“226 Kasperl führt auf seiner Reise durch das friedliche Dörfchen u. a. eine Larve (Wenn ich die vor’s Gesicht nehme, so seh’ ich jedem an, was er ist“227) und besagte Schellenkappe („wenn ich die auf den Kopf setz, da strömt mir die Wahrheit zum Maul heraus, als wenn ich ein Hofnarr wär“228) mit sich, mit denen er den Menschhasser foppt und das Publikum unterhält und natürlich auch hofiert. Beschlossen wird die Allegorie mit einem Lob auf die Kunst und deren Gönner (dem Publikum des Leopoldstädter Theaters). „,Der Kasperl macht allemal den nämlichen Spaß und’s muß einer halt doch lachen‘, meint der Eipeldauer und findet richtig den Grund der Dauerhaftigkeit dieser Wirkung: ‚Der Kasperl kommt mir vor wie ’s liebe Brot, das man nicht satt wird.‘ Es war das Naturhafte dieser Komik, der diametrale Gegensatz jeder Possenreißerei. Weil er eine Natur war, sah ihn auch Ernst Moritz Arndt immer wieder gerne, ‚besonders aber um der Freude willen, die man an dem ganzen Publikum hat, welches sympathetisch alle kasperlichen Falten seines Gemü224 Ebenda, S. 81. 225 Karl Friedrich Hensler: Das friedliche Dörfchen. Ein allegorisches Singspiel in einem Aufzuge. Wien: Schmidt 1803. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene-pdfs/translit_hensler_doerfchen.pdf [Stand 2009]. 226 Ebenda, S. 21–22. 227 Ebenda, S. 23. 228 Ebenda. 103 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html tes in einem entzückten Gesicht entdeckt und durch witzige Bemerkungen, Nachempfindungen und Nachgespräche oder durch ein lautes Klatschen sich offenbart.‘“229 Als La Roche starb, starb mit ihm die Kasperl-Komik,230 denn seine potentiellen Nachfolger konnten keinesfalls an seinen Ruhm anschließen. Joachim Perinet lässt La Roche nach dessen Tod noch einmal zu Worte kommen und sich von seinem Publikum, das er jahrzehntelang zum Lachen brachte, verabschieden: „La Roche. Nimm auch meinen letzten Dank an’s liebe Publikum mit – Ich leg’ mich itzt schlafen und will aufhören zu diskurieren, Denn ich fürchte am Ende meine gütigen Leser zu molestieren. Sag’ allen Freunden und Gönnern in meinem Namen, Ich hoff’, über lang oder kurz kommen wir wieder zusammen, Sie sollen mich nicht ganz vergessen – nur jährlich einmal auf mich denken – Sonst müßt ich mich aus Jammer als tot noch erhenken; – Es küßt für alles genossene Gute noch’mal dankbar die Hand, Ihr ewig ergebner La Roche – sonst Kasperl genannt.“231 229 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 576. 230 Vgl. ebenda, S. 576. 231 Der Jahrmarkt in der Unterwelt oder Sechster und letzter Heft [!] des Gespräches im Reiche der Todten zwischen La Roche, Bernardon, Prehauser, Stranitzky, Brenner, dem bekannten männlich- und weiblichen Schatten, Guardasoni, Ignaz Sartory, Madame Menninger, Madame La Roche, Perinets erster Frau und Charon, dem Redacteur der neuesten Weltberichte. Hrsg. von Joachim Perinet. Im Tartarus 1806. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 221–237. 104 Kasperl unter Kontrolle Zivilisations- und politikgeschichtliche Aspekte der Lustigen Figur um 1800 Von Beatrix Müller-Kampel1 Als „Lachtheater Europas“, wie Otto Rommel es in seinem monumentalen Standardwerk etwas überzogen nannte, wird man das Leopoldstädter Theater in Wien allenfalls im Vormärz nennen dürfen,2 doch stellen gerade die Jahre zwischen 1790 und 1806 das dar, was man, bezogen auf die Erfolgsphasen von Unternehmen, die erste Konsolidierungsphase nach der expansiven Pionierphase nennt. Profitorientiert, wie sich das Leopoldstädter Theater in der künstlerischen Landschaft Wiens positioniert hatte, bemaßen sich Konzept und Spielpraxis an jenen, die den Profit bedingten beziehungsweise verbürgten: Josef II. (Kaiser von 1765 bis 1790) und Franz II./I. (Kaiser 1792 bis 1806 bzw. 1804 bis 1835), die über Privilegerteilung und Zensur die juridischen Grenzen absteckten, und Johann Josef La Roche, als erster Komiker am Leopoldstädter Theater Garant für den Erfolg. Zwischen 1790, als Josef II. verstarb und Hoffnungen auf eine Lockerung der Zensur bestanden (leider vergeblich, wie sich herausstellen sollte), und La Roches Todesjahr 1806 präsentierte das Leopoldstädter Theater in schneller Abfolge eine Unzahl von Possen, Singspielen, Maschinenkomödien, Zauberopern, Volksmärchen, Pantomimen, Ritterstücken, Soldatenstücken, Tanzspielen, Feenmärchen und komischen Zeitstücken. Sie stammten zu einem Gutteil von den Hausautoren des Theaters: Neben dem Gründer und Leiter des Theaters, Karl Marinelli, waren dies der Schauspieler und Theaterdichter Ferdinand Eberl, der spätere Direktor des Theaters an der Wien und des Theaters in der Josefstadt Karl Friedrich Hensler, der Theaterdichter Leopold Huber und der Schauspieler und Theaterdichter Joachim Perinet. Im Gegensatz zum kindlichen Kasperl, wie er seit Beginn des 20. Jahrhunderts und vollends nach 1945 im Puppentheater üblich wurde, hat man sich den KasperlLa Roche um 1800 als (für damalige Begriffe) gesetzteren Mann vorzustellen: 1781 empfiehlt er sich bei der Eröffnung des Theaters als 36-Jähriger dem Publikum, und im Todesjahr 1806 wählt der 61-jährige Philipp Hafners Mägera, die förchterliche Hexe, oder das bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn zu seinem letzten Benefiz.3 1 In: Andrea Brandner-Kapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger und Beatrix Müller-Kampel: Kasperl-La Roche. Seine Kunst, seine Komik und das Leopoldstädter Theater. Graz: LiTheS 2010. (= LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie. Sonderband 1.) S. 105–134. 2 Otto Rommel: Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre Geschichte vom barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys. Wien: Schroll 1952, S. 585–858. 3 Vgl. ebenda, S. 56. 105 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html (Bei dem 1762 oder 1763 uraufgeführten Zauberlustspiel hatte, doch dies nur nebenbei, der 63-jährige Gottfried Prehauser den Hanswurst gespielt – auch er war damals bereits eine lebende Legende.) 11 Komödien und ihre Karrieren Aus den insgesamt 30 im Rahmen des FWF-Projekts Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche4 edierten Komödien von fünf Autoren und einem Anonymus (oder einer Anonyma?) wähle ich zwei von jedem Autor aus, um sie auf Themen und Motive der Affekte, der Emotionen und ihrer Kontrolle hin zu durchforsten.5 Ausnahmslos alle Stücke sind Komödien, ausnahmslos allen geht es um Liebesgeschichten und Heiratssachen und den meisten auch um Geld (das man nicht hat oder verloren hat, das Mann oder Frau sich erarbeiten, erkämpfen, erschwindeln, erheiraten, erzaubern wollen). Das Prinzip der repräsentativen Stichprobe rechtfertigt sich durch die Gattung Komödie, wie sie am Leopoldstädter Theater gepflegt wurde: nämlich als (nach einem Begriff von Hans Dieter Zimmermann) „Schema-Dramatik“, die im Gegensatz zur sogenannten „künstlerischen“ Dramatik,6 d. h. in den theatralen Feldern dieser Zeit: im Gegensatz zum Bildungstheater einerseits, zum Hoftheater andrerseits, weder auf ästhetische Innovation noch auf Originalität abgestellt war, sondern im Gegenteil Variationen altbekannter Themen und Geschichten bieten wollte – und das immer auch komisch drapiert. Die Textgrundlage umfasst: Ferdinand Eberl Die Limonadehütte (1792)7 Der Tode und seine Hausfreunde (1793)8 106 4 FWF-Projekt Nr. P20468 (15. Jänner 2008–14. Juli 2009): Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung (2008/09). Mitarbeiterinnen: Andrea BrandnerKapfer, Jennyfer Großauer-Zöbinger; Leitung: Beatrix Müller-Kampel. I. d. F. zitiert als Mäzene des Kasperls. Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/maezene_startseite.html [Stand 2009]. 5 Joachim Perinets und Wenzel Müllers Parallelaktionen zu Mozarts und Schikaneders Zauberflöte, Kaspar, der Fagottist und dessen Forsetzung Pitzichi, werden als ein Doppelwerk betrachtet. 6 Vgl. den programmatischen Titel von Hans Dieter Zimmermann: Trivialliteratur? SchemaLiteratur! Entstehung, Formen, Bewertung. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer 1982. (= Urban Taschenbücher. 299.) 7 Ferdinand Eberl: Die Limonadehütte. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Meyer und Patzowsky 1793. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/eberl_limonadehuette.html [Stand 2009]. 8 Ferdinand Eberl: Der Tode und seine Hausfreunde. Posse in einem Aufzug. Wien: Meyer und Patzowsky 1793. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Ebenda, http://lithes.unigraz.at/maezene/eberl_tode.html [Stand 2009]. Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle Karl Friedrich Hensler Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer (1792)9 Männerschwäche und ihre Folgen; oder Die Krida (1791)10 Leopold Huber Der eifersüchtige Schuster (1791)11 Kasperl der lustige Schaafhirt, oder das Mayfest auf den Alpen (1791)12 Karl von Marinelli Dom Juan, oder Der steinerne Gast (1783)13 Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Gestalten (1780)14 9 Karl Friedrich Hensler: Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer. Ein Originallustspiel in 4. Aufzügen, mit Gesang und Tanz für die Marinellische Schaubühne. Wien: Goldhannsche Schriften 1792. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_grossvater.html [Stand 2009]. 10 Karl Friedrich Hensler: Männerschwäche und ihre Folgen; oder Die Krida. Ein Original-Lustspiel in drey Aufzügen. Wien: Wallishausser 1791. Hrsg. von Andrea BrandnerKapfer. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz.at/maezene/hensler_maennerschwaeche.html [Stand 2009]. 11 Leopold Huber: Der eifersüchtige Schuster. Ein Lustspiel in 3 Aufzügen. Wien, 1791. In: Sammlung einiger ganz neuen Theaterstücke. Drittes Bändchen. Wien: Mit Goldhannschen Schriften 1791. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Ebenda, http://lithes.unigraz.at/maezene/huber_schuster.html [Stand 2009]. 12 Leopold Huber: Kasperl der lustige Schaafhirt, oder das Mayfest auf den Alpen. Ein komisches Singspiel in zwey Aufzügen für die Marinellische Kinderschule. Die Musik ist von Herrn Ferdinand Kauer, Lehrer der Singschule. Wien: Goldhannsche Schriften 1791. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz.at/maezene/huber_mayfest.html [Stand 2009]. 13 Karl von Marinelli: Dom Juan, oder Der steinerne Gast. Lustspiel in vier Aufzügen nach Molieren, und dem spanischen des Tirso de Molina „el Combidado de piedra“ für dies Theater [d. i. das Leopoldstädter Theater, Wien] bearbeitet mit Kaspars Lustbarkeit. [Wien, 1783]. In: Otto Rommel [Hrsg.]: Die romantisch-komischen Volksmärchen. Leipzig: Reclam 1936. (= Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocktradition im österreichisch-bayrischen Volkstheater. 2.) S. 53–96. 14 [Karl von Marinelli:] ����������������������������������������������������������������� Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Gestalten ein Lustspiel in drey Aufzügen. [Wien, 1780] [Ms.] Hrsg. von Jennyfer GroßauerZöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/ marinelli_liebesgeschichte.html. [Stand 2009]. 107 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Joachim Perinet Kaspar, der Fagottist, oder: die Zauberzither (1791)15 Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten (1792)16 Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel (1803).17 Mit Marinellis Dom-Juan-Stück wie auch dessen Liebesgeschichte in Hirschau, die bislang nur in einer zum Teil schwerst leserlichen Handschrift der Wienbibliothek im Rathaus zugänglich war,18 sind auch zwei in doppelter Hinsicht eigentlich aus dem zeitlichen Rahmen fallende Stücke aufgenommen: Zum einen stammen sie aus den frühen 1780er-Jahren (und nicht aus den 1790ern und 1800ern), zum anderen gehört Karl von Marinelli mit dem Geburtsjahr 1745 zu einer anderen Generation als Eberl, Huber und Perinet (*1762, *1766, *1763), und in damaligen Dimensionen gedacht, dürfte selbst der 14 Jahre nach Marinelli geborene Hensler (*1759) als ‚Junger‘ gegolten haben. Bei etwaigen Unterschieden in Konzept, Motivik und Dramaturgie wird zu überlegen sein, ob diese nicht auf altersbedingt unterschiedliche Auffassungen, Erfahrungen und Gewohnheiten beim Sückeschreiben zurückzuführen sind. Vorerst zu den ‚Karrieren‘ der Komödien auf dem Leopoldstädter Theater. Zu Eberls Stücken Die Limonadehütte und Der Tode und seine Hausfreunde enthält Hadamowskys Verzeichnis19 keine Einträge. Henslers Männerschwäche gelangte insgesamt nur 7-mal (1790), dessen Großvater 19-mal (1790–1798) auf die Bühne des Kasperl-Theaters; zu Hubers Der eifersüchtige Schuster ist bei Hadamowsky abermals 15 Joachim Perinet: Kaspar, der Fagottist, oder: die Zauberzither. Ein Singspiel in drey Aufzügen. Die Musik ist von Wenzel Müller. Wien: Schmidt 1791. In: Otto Rommel [Hrsg.]: Die Maschinenkomödie. Leipzig: Reclam 1935. (= Deutsche Literatur. Sammlung literarischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barocktradition im österreichisch-bayrischen Volkstheater. 1.) S. 206–262. 16 Joachim Perinet: Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten. Ein Original-Singspiel in drey Aufzügen mit Maschinen und Flugwerken. Die Musik ist vom Hrn. Wenzel Müller, Kapellmeister dieses Theaters. Aufgeführt auf dem k. k. priv. Marinellischen Theater. Wien: Schmidt. 1792. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Mäzene des Kasperls (2008/09). Online: http://lithes.uni-graz.at/maezene/perinet_pizichi.html. [Stand 2009]. 17 Joachim Perinet: Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel. Eine komische Oper in drey Aufzügen, nach einem Manuskripte für die k. k. privil. Schaubühne in der Leopoldstadt frey bearbeitet. Die Musik ist vom Herrn Wenzel Müller, Kapellmeister. Wien: Schmidt 1803. Hrsg. von Jennyfer Großauer-Zöbinger. In: Ebenda, http://lithes.uni-graz. at/maezene/perinet_kaffeehaus.html. [Stand 2009]. 18 Die Handschrift wurde von Jennyfer Großauer-Zöbinger schließlich im Rahmen des FWFProjekts Mäzene des Kasperls (2008/09) transkribiert. Vgl. online: http://lithes.uni-graz.at/ maezene/marinelli_liebesgeschichte.html [Stand 2009]. 19 Die Zahlen bzw. Leerbelege stammen i. d. F. von Franz Hadamowsky: Das Theater in der Wiener Leopoldstadt 1781–1860. Bibliotheks- und Archivbestände in der Theatersammlung der Nationalbibliothek Wien. Mit der Einleitung: Die Theatersammlung der Nationalbibliothek in den Jahren 1922–1932 von Joseph Gregor. Wien: Höfels 1934. (= Katalog der Theatersammlung der Nationalbibliothek in Wien. 3.) 108 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle nichts zu finden, dessen Kasperl der lustige Schaafhirt wurde 11-mal (1791–1792) gespielt. Marinellis Dom Juan-Komödie konnte sich von ihrer Uraufführung am 31. Oktober 1783 bis 1821 als Allerseelenstück behaupten und wurde noch 1821 von Josef Alois Gleich (1772–1841) für das Theater in der Josefstadt eingerichtet.20 Auf dem Leopoldstädter Theater wurde der Dom Juan innerhalb von 40 Jahren 87-mal gespielt (1783–1821),21 die Liebesgeschichte in Hirschau 41-mal (1782–1800). Perinets und Wenzel Müllers Kaspar, der Fagottist gab man allein im Jahr der Uraufführung, sie hatte am 8. Juni 1791 stattgefunden, 59-mal; bis 1819 konnte der Fagottist 129 Aufführungen verbuchen; allerdings fiel dessen Fortsetzung Pizichi mit insgesamt 47 Aufführungen (1792–1795) im Vergleich damit eindeutig ab. Über Aufführungszahlen von Perinets Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus ist bislang ebenfalls nichts Näheres bekannt. Bemessen an der in der Wiener Theater- und Unterhaltungslandschaft um 1800 konkurrenzbedingt verstärkten Jagd auf Quote befanden sich sogenannte Nieten (wie Henslers Männerschwäche oder Hubers Kasperl der lustige Schaafhirt) ebenso darunter wie absolute Renner nach Art von Perinets Kaspar, der Fagottist. In Relation mit den komischen Subgattungen scheint eines auffällig (sofern man den angegebenen Untertiteln überhaupt trauen kann): Singspiele und Komische Opern sind beliebter als Komödien mit wenig oder ohne Musik; Stücke mit forcierter komischer Reihenstruktur beziehungsweise paradigmatischer Spielstruktur bei zugleich nebengeordnetem oder nicht vorhandenem moralischen Konflikt (wie Marinellis Liebesgeschichte in Hirschau oder Pernets Kaspar, der Fagottist) erfolgreicher als schlecht verhehlte Besserungsstücke (wie jene von Hensler, die vor Sittsamkeit und Untertanengeist geradezu triefen). Und Stücke, die dem Kasperl Josef La Roche viel Text und Spaß zugestanden (wie Hubers Der eifersüchtige Schuster sowie die Komödien von Marinelli und Perinet), garantierten – auch auf Dauer – eher Publikum als jene, die ihn auf Nebenrollen verwiesen oder nicht komisch sein ließen. Methodologische Zwischenbemerkung (1) Mit dem Aspekt der Affekte und der Affektkontrolle der Lustigen Figur ist das Erkenntnisperspektiv einerseits auf Liebesgeschichten und Heiratssachen, Sich Verlieben wie Verlassen Werden, auf gelebte und gespielte Leidenschaften eingestellt, andrerseits auf die Lustige Figur und ihre Komik, welche letztere, so steht zu vermuten, in den Spielen wohl die großen wie die kleinen Gefühle modelliert. Will man sich bei der Analyse der Gefühle und deren Kontrolle nicht mit der objektsprachlichen Gefühlsdiktion der Komödien begnügen, liegt es nahe, sich bei der Emotionsforschung umzusehen. Nicht, dass ich von dem darum herum ausgerufenen „Emotional Turn“ in den Kulturwissenschaften viel hielte – das Tempo, mit dem die „Turns“, vom Linguistic Turn über den Cultural, Interpretive, Performative, Literary, Post20 Vgl. Rommel, Die Alt-Wiener Volkskomödie, S. 211–212 und S. 1037. 21 Zahlen i. d. F. wieder nach Hadamowsky, Das Theater in der Wiener Leopoldstadt. 109 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html colonial, Translational, Iconic, Spatial bis zum Emotional Turn wechseln, nähert sich mittlerweile jenem saisonaler Wegwerfware an. Immerhin hat die philologische Emotionsforschung das Instrumentarium zur textinternen und kontextuellen Analyse von Affekt- und Emotionsmotiven geschärft. Prinzipiell sind (nach Thomas Anz) zwei Möglichkeiten der philologischen Emotionsforschung zu unterscheiden: die Analyse von „literarischen Thematisierungen und Darstellungen von Emotionen, wobei es in der Regel um Emotionen geht, die in einem Text irgendwelchen Figuren oder personifizierten Gegenständen zugeschrieben werden“ – was schlicht der traditionellen Interpretation eines Motivs, nämlich jenem von Gefühlen, entspricht –, und zweitens, die „historische Rekonstruktion kultureller Bewertungen und Repräsentationsformen diverser Emotionen.“22 Was die dramatisch-sprachliche Darstellung von Emotionen anlangt, stehen in der Emotionsforschung mediale und mentalitätsgeschichtliche Aspekte im Mittelpunkt.23 Worin bestehen sie nun, die Emotionen, die sich zwischen Kasperl und den Frauen um 1800 auf dem Leopoldstädter Theater entspinnen, sich steigern, ausbreiten und verflüchtigen, und mit welchen dramaturgischen Techniken führen die Theaterautoren diese Emotionen dem Publikum vor?24 Kasperl, so das überraschende Fazit vorweg, ist um 1800 Hagestolz oder treuer Ehemann geworden. Ehrbare Ehen und die Eifersucht Bei Ferdinand Eberl führen Kasperl und seine Maria eine friedliche ehrbare Ehe. Um den ökonomischen Ruin abzuwenden – Kasperl kann halt nicht wirtschaften und wird es auch nicht mehr lernen –, kümmert sich die Ehefrau um Konzession und Eröffnung der Limonadehütte im Prater.25 In Eberls Der Tode und seine Haus22 Thomas Anz: Literaturwissenschaftliche Text- und Emotionsanalyse. Beobachtungen und Vorschläge zur Gefühlsforschung. In: Literatur und Ästhetik. Texte von und für Heinz Gockel. Hrsg. von Julia Schöll. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, S. 39–66, hier S. 46. D. s. Auszüge aus: Th. A.: Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung. In: Im Rücken der Kulturen. Hrsg. von Karl Eibl, Katja Mellmann und Rüdiger Zymner. Paderborn: mentis Verlag 2007. (= Poetogenesis.) Vgl. auch Th. A.: Emotional Turn? Beobachtungen zur Gefühlsforschung. In: literaturkritik.de (Dezember 2006), Nr. 12: Schwerpunkt: Emotionen. Online: www.literaturkritik.de/public/rezension.php%3Frez_id%3D10267 [Stand 2010-01-09]. 23 Rüdiger Schnell nennt überdies performative, geistesgeschichtliche, wortgeschichtliche, semiotische, narratologische, psychohistorische, gattungsgeschichtliche, anthropologische und psychoanalytische Aspekte der literarisch-sprachlichen Darstellung von Emotionen: Erzähler – Protagonist – Rezipient im Mittelalter, oder: Was ist der Gegenstand der literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung? In: IASL. Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 33 (2008), H. 2, S. 1–51, hier bes. S. 2–5. 24 Vgl. Anz, Literaturwissenschaftliche Text- und Emotionsanalyse, S. 48. 25 Vgl. Eberl, Limonadehütte, bes. S. 7. 110 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle freunde singt Kasperl tatsächlich ein Loblied auf „das Weib“ – sein eigenes wagt bald darauf sehr viel für ihn: Auch hier gilt es, den finanziellen Ruin des kasperlschen Haushalts abzuwenden, und so hält Rose den Ehegespons an, sich tot zu stellen und unter einem Leintuch zu verstecken. Kaum haben Roses Verehrer erfahren, dass Kasperl das Zeitliche gesegnet hat, stellen sie sich voller Hoffnung bei ihr ein. Doch sie weiß ihr Fell teuer zu verkaufen – und die prospektiven Liebhaber haben den Schaden und den Spott dazu. Am Beginn sitzt Kasperl „mit der Schlafhauben, ohne Ueberrock am Tisch, und liest aus dem Buche. ‚Lieben Brüder! [...] Ein Weib ist ein vortreffliches Geschöpf; denn sie ist das Kleinod, das ihres Mannes Ehre schmückt, sie ist das Spezereikästel, die [!] seine Wunden heilt, sie ist das Labsall, welches die Bürden des kümmerlichen Lebens erleichtert. – Darum sag’ ich euch – ihr werdet wohl thun, wenn ihr Euch eine nehmet, sie mag braun oder weiß – groß oder klein – mager oder fett sey; sie wird immer die Hälfte von euch ausmachen, nämlich – denn sie ist aus dem nämlichen Stoffe, aus dem ihr geschaffen seyd – weßwegen, wenn ihr 2 Speckseiten im Sauerkraut habt – ihr ja genau mit ihr theilen, und sie so gut halten sollt, als euern Leib!“26 Die von Karl Friedrich Hensler im Titel angesprochene Männerschwäche ist nicht jene, die man wohl auch damals assoziierte; vielmehr ist damit die pädagogischmoralische Nachsicht gegenüber Frau und Kindern gemeint.27 Das „Original-Lustspiel“ ist nichts weniger als komisch und spielt in der Textilbranche beziehungsweise in der Familie des Seidenfabrikanten Brugge. La Roche gab darin den einfachen Seidenweber Kasper Ehrlich, eine Zierde seines Namens, der seiner bärbeißigen Frau ein nachgiebiger Mann ist. Kasperls zweite Frau ist im Gegensatz zur verstorbenen ersten ein faules verschwenderisches Stück, wie das Genrebild zu Beginn des 3. Aufzugs sinnig belegt: „Kaspers Zimmer, Felicitas [Kasperls Frau] mit unterstemmten Armen vor Kasper, der sich fürchtet, sie und Xaver [der gemeinsame Sohn] nebenbei trinken mit vieler Behaglichkeit Koffe.“28 An seinem ehelichen Unglück ist er selber schuld, wie er weiß und zugibt: „Kasper. Herr! die grauen Locken da, und wenn ein Mann mit dieser Schneeperücke wieder ans Heurathen denkt, den soll man trepaniren. Mot[te]. Und wie das? Kasp[er]. Es [sey] ihnen genug, wenn ich ihnen sag daß ich von 1ten Jän[ner] bis auf den 31ten Dezember nicht soviel im Haus reden darf, als ich jetzt bei ihnen geredt hab. [...] Und dann ist mein Weib auf das Geld wie der Luzifer auf n’fromme Seel, ein Stückel um das andere spaziert aus der Haushaltung. [...] 26 Eberl, Der Tode und seine Hausfreunde, S. 3–4. 27 Vgl. Hensler, Männerschwäche, bes. S. 171. 28 Ebenda, S. 135. 111 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Mot[te]. Mit euren Kindern seyd ihr also sehr glücklich? Kasp[er]. Ja, wenn mich mein Weib nicht mit einer Nachbruth versehen hätt, ich sags ja, wenn die Jahr einmal da sind, soll man nicht mehr an so was denken [...]. Mein Xaver ist so dumm wie die egyptische Finsterniß; er geht ins 14te Jahr, und hats noch nicht weiter gebracht, als daß er weiß, daß 2. – 2. 4 ist.“29 Wenn dem Hausdrachen danach ist, lässt er Kasperl nicht einmal bei der Tür hinein, denn: „der soll schon so früh nach Haus kommen, der Lump hält seine richtige Stund – vor 12 Uhr läßt ihn das Wirthshaus nicht fort, nichts – das ist Fopperey. Schlägt das Fenster zu.“30 1792, ein Jahr nach Die Männerschwäche, weist Hensler in Der Großvater, oder Die 50 jährige Hochzeitfeyer La Roche abermals eine Vaterrolle zu, allerdings jene eines liebenden und fleißigen Bergmanns. Der komische Part kommt hier eher dem im Titel angesprochenen 96-jährigen Großvater zu, der sich mit seiner 88-jährigen, schwerhörigen Frau (ein steter Quell der Komik – eigentlich der einzige), auf seine goldene Hochzeit freut, noch wacker in der Grube arbeitet und seine Schwiegertochter anweist, die Enkerln in die Schule zu schicken. Kasperl ist ein ebenso respektabler wie liebevoller Vater und Ehemann. Am allermeisten freut ihn, „wenn einem denn so sein gesundes Weib entgegen kommt mit einem freundlichen Gesicht, an jeder Hand ein paar Fratzen dem Vater entgegen führt, und alle so in einer Melodie einem zuruffen – Grüß euch Gott, Vater! Christ[oph]. Gott! was giebt es für glückliche Menschen! Kasp[er]. Ha, meiner Six! da kruselts einem durchs Herz, daß man gleich in die ganze Schöpfung n’Jubelschrey werfen möchte, um der Welt zu sagen, wie glücklich man ist.“31 Was den Kasperl in mehreren Stücken zur Raserei bringt, ist seine grundlose Eifersucht. Der eifersüchtige Schuster aus Leopold Hubers gleich betitelter Komödie von 1791, das ist Kasper Knieriem, der den ganzen lieben Tag vor Galle nur so überquillt: wegen seiner Frau Marthe, die er mit seiner blinden Eifersucht bis aufs Blut quält (und regelmäßig verprügelt); wegen seiner Ziehtochter Röschen, das nicht den kurios-dümmlichen Schulmeister, sondern den Feldwebel Liebenthal heiraten will; wegen seines „Taxl“ Maxl, des Lehrbuben, der alles falsch macht, auch noch frech ist und eine diebische Elster dazu. Ein Wutanfall des Kasperl gegen seine Frau liest sich dann so: „Marthe. Aber sag mir nur, du Widhopf! mußt den ganzen Tag nichts als brummen und knausen; früh Morgens hebt’s Liedel an, und dauert, bis dir deine Bocksaugen zu pappen; sogar bei der Nacht murrt der Tanzbär noch – 29 Ebenda, S. 124–125. 30 Ebenda, S. 133. 31 Hensler, Der Großvater, S. 44. 112 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle Kasper. Schau, schau, Prunzessin [!] von China, wenn man eng Mähren die Wahrheit sagt, so geht der Schnabel auf. Willst mir etwan ein Leichtpredigt machen, und thut’s Herzenweiberl kitzeln, wenn ich den Schuhknecht ’n wenig hunz? Aber ich weiß, d’Mirl wird’s noch so weit bringen, daß ich’s ins Speckkammerl werd einsperren müssen, ’s ist mit dir eine rechte Schand und Spott keinen sichern Schritt kann ich aus dem Haus machen. Kommt kein Fremder, so hast du mit dem jungen Lecker da deinen Techtelmechtel. – Ja, ja, mit dem hab’ ich mir nicht wenig blaubuklichte Kollonisten in den Pelz gesetzt. O heuriger Februari, Marzi und Aprill! – – Marthe. Aber – hm! du toller Schöps! ich will nur sehen, wenn du einmal aufhören wirst, dir mit deiner närrischen Eifersucht selbst den Balg abzuschinden. Kasper. So bald Madam das thun wird, was Unsereiner befohlen hat. Auf deinen [!] Zimmer sollst du hübsch hocken bleiben, und da will ich haben, daß kein fremdes Ungeziefer über die Hausschwelle glitschen soll. Marthe. Schäme dich doch, du unchristlicher Bärnhäuter! in deinen rothen Judasbart hinein. Du – du kannst von einem Weib so was fordern? Darüber müßte sich selbst der Hanswurst die Lungel aus dem Leib heraus lachen.“32 Dem Kasperl gilt es als ausgemachte Sache, dass man den „Weibsbildern“ alles so „vorkäuen“ muss, „wie den Kindern ’s Koch. Steht man nicht beständig hinter euch mit der Hetzpeitsche, so ist man alle Augenblick betrogen und belogen.“33 Kurzum: „es schadt nicht, wenn man den Weibern auf die Kappen geht, und ihnen den Wurm nimmt.“34 Was daraus folgt: „er prügelt Marthen wacker ab; sie versetzt ihm eine derbe Ohrfeige, rauft die Perücke vom Kopf, und lauft schreiend ab“,35 oder: „er prügelt sie wacker herum [...] er zieht sie mit Gewalt mit sich fort wart Weiberl, jetzt will ich dich erst in die Zucht nehmen.“36 Am Ende fleht er zerknirscht: „Herzensweibl! Sieh deinen ehlichen allergetreuesten Hörnertrager zu deinen Füßen! Ich bitte, ich beschwöre dich bei allen Ehe-Frauen der ganzen Welt, erhöre meine Gurgel und laß mein Geschrei zu dir kommen!“37 32 Huber, Der eifersüchtige Schuster, S. 17–18. 33 Ebenda, S. 18. 34 Ebenda, S. 26. 35 Ebenda, S. 20. 36 Ebenda, S. 38. 37 Ebenda, S. 97. 113 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Selbst der Verprügelten gelten jedoch die Prügel letztendlich als Liebesbeweis, denn „obwohl er mich mit seiner barbarischen Eifersucht Tag und Nacht quällt, so bin ich doch überzeugt, daß er mich liebt“.38 In Leopold Hubers und Ferdinand Kauers „komischem Singsspiel“ Kasperl der lustige Schaafhirt, oder das Mayfest auf den Alpen von 1791 wurde die Titelpartie nicht von La Roche gespielt, sondern von Georg Gruber, einem Kinderdarsteller und Sänger am Leopoldstädter Theater; der Grund: Das Singspiel war laut Untertitel „für die Marinellische Kinderschule“ verfasst, die Anfang der 1790er-Jahre unter der Leitung von Marinellis zweitem Kapellmeister Ferdinand Kauer eingerichtet worden war und die die ständigen Repertoire- und Besetzungsschwierigkeiten beheben sollte.39 Wohl auch deshalb ist das Stück als Abfolge von Nummern und handlungsmäßig als kindliches älplerisches Schulspiel angelegt. Einerseits markiert der kindliche Kasperl als Hirte zwar den Luftikus und singt: „Ueberall, wo Mädchen sind, Da bin ich dabey – Grillen schlag ich in den Wind, Haß’ das Einerley – Bald ists diese, bald ists jene, Süß ist mir das Wandern – Zur Brunette, zur Blondine – Bald zu einer andern –“.40 An und für sich ist Kaspel jedoch ein braver Bub: „du [Christel] weißt, ich hab deine Schwester die Gretl auch gern – so lang aber dein Vater nicht Ja sagt, – ja so wird aus der ganzen Pastete nichts werden“,41 versichert er treuherzig. Dann singt der verliebte Gimpel die eine oder andere Arie der Art: „Mein Gretl ist so wunderschön, Hat Aepfelrothe Backen, Krieg ich sie einmal nur zu sehn – So nimm ich’s an dem Nacken, Und küsse sie von Herzen mein, Und hab mit ihr mein Spiel – Sie ist n’ Diendl zart und fein, So schlank, wie Besenstiehl.“42 38 Ebenda, S. 31. 39 Vgl. Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 441. 40 Huber, Kasperl der lustige Schaafhirt, S. 14–15. 41 Ebenda, S. 7. 42 Ebenda, S. 8–9. 114 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle Die hier nicht ganz grundlose Eifersucht plagt ihn freilich auch: „N’Madel ist ein närrisch G’wächs, Ganz lieblich anzuschauen – So schelmisch aber, wie n’ Hex. Da ist nit viel zu trauen – Je freundlicher die Madeln sind, Je wirblicher sind sie, wie Wind – Da kratzen sie ein’m s’Goderl, Da lecken sie ein’m s’Pfoderl – Und richten noch von Hauß zu Hauß. Uns arme Männer wacker aus – Und doch – Narrethey! S’bleibt halt doch dabey – N’Mädel ist ec.“43 Zu ähnlichen Texten singen die – fast allesamt Lustigen – Figuren in Joachim Perinets und Wenzel Müllers Singspielen Kaspar, der Fagottist, oder: die Zauberzither von 1791 und Pizichi, oder: Fortsetzung, Kaspars des Fagottisten von 1792. Worauf es Librettist und Komponist am allermeisten ankam, steht programmatisch im Untertitel der Fortsetzung; demnach handelt es sich um ein „Original-Singspiel in drey Aufzügen mit Maschinen und Flugwerken“ – und tatsächlich werden aktionistisch Einfälle, Späße, Zaubereien unter Aufbietung aller nur technisch möglichen Maschinenkunststücke aneinandergereiht. Perinet und Müller verknüpften die ins Feen- und Zauberreich verlegten Kriminalhandlungen um die Entführung einer jungen Frau (im zweiten Teil sind es gleich mehrere) sowie die daraus folgenden Befreiungs- und Mordmotive entlang parallelisierter Liebeskonflikte im Herren- und Dienermilieu mit je einem männlichen Nebenbuhler als Störenfried. Dramaturgisch setzten sie auf eine zyklische Abfolge von Maschinenkunststücken, Gesangseinlagen und akustischen Überraschungseffekten, die in der Fortsetzung die Handlungslogik der gedoppelten Liebesgeschichte sowie deren kriminalistischen Rahmen mehrmals sprengt. Kasperl liebt Palmire und bleibt ihr treu, obwohl man ihm Gift ins Ohr träufelt: „Sie möchten mich gern papierln, und hernach brennen? aber anpumpt! Reiner, keuscher, sittsamer Mond, sichelkrummes Ebenbild, du bist Zeuge, daß ich meiner Palmire getreu bin. So lang ich diese Zeilen ansehe, so lang kommt keine [andere] Lieb in mein Herz. er zieht ein Papier heraus. Das ist ihre eigene manupropria – als wanns gestochen wär, und noch obendrein französisch: Je vous aime Und das Extrem!“44 43 Ebenda, S. 35. 44 Perinet, Pizichi, S. 85–86. 115 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Rund ein Jahrzehnt danach begegnet Kasperl, wie schon in Ferdinand Eberls Limonadehütte, dem Publikum als Cafetier: in Joachim Perinets und Wenzel Müllers „komischer Oper“ Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, oder der Hausteufel von 1803. Und wieder kann das Einvernehmen mit Frau und Kind eigentlich nichts trüben außer der Armut. Aber selbst die scheut er nicht, wenn ihm die unmoralischen Zustände im Haus seines Herrn gegen den Strich gehen: Kaspar. „Ein jedes Hasel hat sein Grasel, hat man kein Rindfleisch, so ißt man ein Bratel – ich hab nur vier Kinder, zwey von meiner ersten, und zwey von meiner Zweyten. Einen Tag essen die ersten zwey, den andern Tag die letzten zwey nichts. Ey was! der Himmel verlaßt keinen rechtschaffenen Kerl; ich will lieber betteln, als da [unter der keifenden Wirtschafterin] im Haus bleiben.“45 Das heißt nicht, dass er bei Bedarf nicht mit Armut und Kinderreichtum hausieren geht: Auf die Frage „Hat er noch mehr Kinder“ antwortet der Kasperl: „Acht Kinder hat mir die Katz gefressen, und sechs sind noch auf der Reis“.46 Alles in allem ist Kasperls Ehe ganz in Ordnung – weil Mann und Frau auch auf Ordnung halten, wie Kasperls Frau mit einer „Polonaise“ bezeugt: „Ich geb euch Männern Brief und Siegel, Bey Weibern hilft kein Schloß noch Riegel, Hält man sie gar zu kurz am Zügel, So reißen sie den Strang entzwey. Doch schenkt ihr Männer! Euern Frauen, Nur ohne Eifersucht Vertrauen, So könnt ihr auf uns Häuser bauen. Und ewig bleiben wir euch treu. Drum folget meinen Lehren; Wolt ihr die Männer recht bekehren, So haltet sie auch hübsch in Ehren, Und lebet nicht in Saus und Braus! Wenn Weiber hübsch die Ordnung halten, In Lieb und Treue nicht erkalten, Die jungen Männer, wie die Alten, Die bleiben dann auch gern zu Haus.“47 Zwischenfazit (1) Die Lust- und Singspiel-Kasperliaden von Ferdinand Eberl, Karl Friedrich Hensler, Leopold Huber / Ferdinand Kauer und Joachim Perinet / Wenzel Müller fördern ein überaus enges und vor allem moralisch ziemlich beispielhaftes Gefühls45 Perinet, Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, S. 15. 46 Ebenda, S. 35. 47 Ebenda, S. 48. 116 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle repertoire des Kasperl zutage. Affektiv agiert er allenfalls, wenn die Eifersucht ihn packt – doch die gilt stückintern stets als Liebes-, ja Treuezeichen. Die vorgeführten Emotionen entsprachen sowohl den bürgerlichen Normen wie (bis auf die Eifersucht) dem christlichen Dekalog, mitunter gar grundiert von einem empfindsamen Zug. Kasperls Affekte und Emotionen auch nur zu konstatieren und schon gar zu deuten fällt nicht leicht, ist doch Kasperl kaum noch Lustige Zentralfigur und selbst als figurales Requisit nur schwer zu fassen. Jedenfalls erstaunt Kasperls narrative, dramaturgische und komödiantische Bedeutungslosigkeit im Leopoldstädter Repertoire um 1800 – das doch für ihn und um ihn herum geschrieben worden war, wie es heißt. Wie, wenn mit seinen Affekten und seinem Affekthaushalt, das heißt beim Kasperl: mit seiner Obszönität, sich die Komik verflüchtigt und die Autoren tatsächlich nicht mehr gewusst hätten, was anzufangen sei mit ihm? In dem Maße, wie der Kasperl kein Frauensammler und Sexualphantast mehr sein darf, kein Zotenreißer und Hosenscheißer wie Hanswurst, kommt ihm textlich auch das Komische abhanden, das wohl tatsächlich ganz prinzipiell von einem lebt: dem Bruch von und dem Spiel mit Tabus. Wie tief und entschieden dieser Fall vom phallischen Typus zum ehrsamen Arbeiter und Ehemann vonstatten ging, belegt ein vergleichender Blick auf die hanswurstischen Liebschaften von einst. Exkurs: Hanswurstische Lumpenkerle und colombinische Kanaillen von einst48 Der Hanswurst der Haupt-und Staatsaktionen von Stranitzky kannte nur zweierlei Frauenkategorien: „junge feine Mädl“ und „alte Rindfiher“.49 In seinem sexualmetaphorischen Jargon (in bezug auf Frauen beherrscht Stranitzkys Hanswurst keinen anderen) lauten die dazugehörigen Funktionszuschreibungen: „Madratzen der Vergnügenheit“50 sowie „überdragene Madratzen“.51 Damit eine solche Matratze 48 I. d. F. nach Beatrix Müller-Kampel: Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert. Paderborn [u. a.]: Schöningh 2003, S. 128–139. 49 Der Tempel Dianae oder Der Spiegl wahrer und treuer Freundschafft mit H:W: Den sehr übl geplagten Jungengesellen von zwey alten Weiberen Componirt Von einen In Vienn an Wesenden Comico. Monsieur stranützkü minu [?]. In: Joseph Anton Stranitzky [Verfasserschaft ungesichert]: Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und hrsg. von Rudolf Payer von Thurn. Bd. 2. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1910. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 13.) S. 1–62, hier S. 20. 50 Ebenda, S. 9. 51 Der Großmüthige Überwinder Seiner selbst mit HW: den übl belohnten Liebhaber vieller Weibsbilder oder Hw der Meister, böse Weiber gutt zu machen. Mehrers wird die Action selbst dem geneigten Leser vorstellen. In Wienn den 7 August 1724. In: Joseph Anton Stranitzky [Verfasserschaft ungesichert]: Wiener Haupt- und Staatsaktionen. Eingeleitet und hrsg. von Rudolf Payer von Thurn. Bd. 1. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1908. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 10.) S. 403–457, hier S. 432. I. d. F. zitiert als: Cosroes. 117 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html ihre hanswurstische Funktion erfüllen kann, muss sie nicht unbedingt schön, in jedem Fall jedoch jung, wohlfeil und geschwind zu besteigen sein. Trifft letzteres zu, so sieht Hanswurst über mancherlei hinweg, denn: „de gustibus ist nicht zu Disputirn, es leckt wohl öffter die Kuhe ihren schmirigen Hintern ab und schmeckt ihr wohl, destwegen ist ein Fleisch so gutt als das andre.“52 In der gemäßigteren Diktion von Hafners Hannswurst heißt dies: „Mir ist das alls eins, wanns nur ein Weibsbild ist, die mich aushalt, das andre besteht so nur in der Einbildung; und man gewohnt die Wilde so gut als die Schöne“.53 Infolge vergeblicher Werbungs- und Liebesmüh gar den Tod zu suchen, ist dem Narren der Gipfel an Närrischkeit.54 Trotz oder gerade wegen seiner reichhaltigen Sachkenntnis hat sich Hafners Hannswurst nie zur Ehe entschließen können, „ich hab allzeit ein Hagen und ein Nisi gefunden; bald war eine zu wild, bald eine zu schön, eine war mir zu groß, eine zu klein, eine zu freundlich, die andere zu trutzig, eine hat gar ein kindisches Gesicht gehabt, die andere wieder einen Bart, wie ein Kutscher, eine jede hat halt ein Nisi gehabt“.55 So großzügig der Wurstel über Fehler und Mängel seiner Gespielin hinwegsehen mag (zumindest wenn diese ihn nicht halten oder heiraten will), bei einem versteht er keinen Spaß: ihrem Alter. Eine in die Jahre gekommene Frau auf Männerschau ist ihm ein „runselte[r] Baurenstiffl“,56 eine vertrocknete „Saublumen“,57 ein „alte[r] 52 Nicht diesem, den es zugedacht, Sondern dem daß Glücke lacht oder Der großmüthige Frauenwechsel unter Königlichen Personen mit Hanß Wurst den verrathenen Intriganten und übel belohnten Liebs-Envoye. Viennae Die 21 Julij Anno MDCCXXIV. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 1, S. 203–261, hier S. 233. I. d. F. zitiert als: Pyrrhus. 53 Philipp Hafner: Der förchterlichen Hexe Megära zweyter Theil; unter dem Titel: die in eine dauerhaffte Freundschaft sich verwandelnde Rache. Von Philipp Hafner. Aufgeführt auf dem k. k. Theater. Wien: Kurtzböcken 1765. In: Philipp Hafners Gesammelte Werke. Eingeleitet und hrsg. von Ernst Baum. Bd. 2. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1915. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 21.) S. 5–101, hier S. 24. 54 Waß sein soll Daß schickt sich wohl oder Die unvergleichliche Beständigkeit zeyer Verliebten Mit HW: den seltsamen Großmütigen und übl belohnten Kupler. In: Wiener Hauptund Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 2, S. 319–378, hier S. 376. 55 Hafner, Mägera II, S. 25. 56 Der Tempel DIANAE oder Der Spiegl wahrer und treuer Freundschafft mit H:W: Den sehr übl geplagten Jungengesellen von zwey alten Weiberen Componirt Von eInen In Vienn an WesenDen CoMICo. ���������������������������������������������������������������� Monsieur stranützkü minu [?]. ���������������������������������� In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 2, S. 1–62, hier S. 20. 57 Der Besiegte Obsieger Adalbertus König in Wälschlandt oder Die Wurckungen deß Betruchs bey gezwungener Liebe Mit HW: Den betrogenen breutigam, verwihrten Auffstecher, übl belohnten alten Weiber Spotter, gezwungenen Ehmann, Allamodischen Ambasadeur, sehenden Blinden und hörenden Tauben ec. ec. Componirt Ao+ 1724 von einem Comico. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 2, S. 185– 250, hier S. 207. 118 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle Fuchsbalck“,58 ein „altes Madratzenmuster“59 oder ein „alter Backofen“60 – allesamt sind sie schlichtweg „verfluchte Teufflviecher“.61 Gerade unter den angejahrten Ammen, Erzieherinnen und Kammermädchen erfreut sich Hanswurst jedoch größter Beliebtheit. Gerät er dennoch in die Lage, ein solches Exemplum zur Frau nehmen zu müssen, stößt er gefährliche Drohungen aus oder denkt an Selbstmord: Wenn „der Thorwärtl Thamerl“ einen „Heuraths Contract“ für die Ehe mit der alten Dorella aufsetze, werde er „ihm in 1000 Stück zerhaue[n]“;62 er „schwerd“, die dann Angetraute „täglich 9mahl zu brüglen und einmahl zu frsßen geben“,63 er wolle lieber „hängen“ oder „sterben als sie heurathen“,64 lasse sich „lieber zwicken, und braten, so komm ich doch einmal aus der Welt. [...] Eh ich einen solchen EhstandsPartikel ins Haus nehm, stirbt der Kaspar Larifari den Tod eines Helden.“65 Ob schön oder häßlich, jung oder alt, ob bei Stranitzky, Kurz oder Hafner: Hanswurst gilt es als unumstößliches Faktum, „daß ein Weibsbild [...] ein Diabulus dulcis, und 58 Triumph Römischer Tugendt und Tapferkeit oder GORDIANUS der Grosse Mit Hanß Wurst den lächerlichen Liebes-Ambaßadeur, curieusen Befelchshaber, vermeinten Todten, ungeschickten Mörder, gezwungenen Spion ec. und waß noch mehr die Comoedie selbsten erkhlaren wirdt. Componirt In diesen 1724 Jahr, den 23 Jenner. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 1, S. 1–67, hier S. 66. 59 Adalbertus, S. 246. 60 Karl Friedrich Hensler: Das Donauweibchen. Erster Theil. Ein romantisch-komisches Volksmährchen mit Gesang in drey Aufzügen, nach einer Sage der Vorzeit für die k. k. priv. Marinellische Schaubühne. Die Musik ist von Herrn Ferdinand Kauer, Musikdirektor. Wien: Kamesina 1798. In: Rommel [Hrsg.], Die romantisch-komischen Volksmärchen, S. 97–158, hier S. 119. 61 Adalbertus, S. 209. 62 Ifigenia, S. 7. 63 Ebenda, S. 61. 64 Gordianus, S. 65. Vgl. auch Cosroes, S. 433. 65 Hensler, Das Donauweibchen, S. 15. 119 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html necessarius“66 oder ein „animal variabile“ ist.67 Ganz generell gelten dem Wurstel die Frauen als verlogen, scheinheilig, hinterlistig und verschlagen – und die den Stücken eingeschriebene Geschlechtsrollentypik gibt ihm darin durchaus recht. Die „Verstellung“ sei „generis foeminini“,68 „die Weiber seind falsch und betrügerisch“,69 „Foemina grande malum, ein Weibsbild ist wie ein Cameleon, der alle Augenblick seine Färben verändert.“70 „Heyrathen? Ey!“ reimt sich in Kurz’ Neuem Krummen Teufel auf „Narredey“,71 „copuliren“ gar auf auf „crepiren“.72 Eine Aria des vom Johannistrieb geplagten Lustgreises Arnoldus klärt über die Gründe für ein solch abgrundtiefes Misstrauen gegenüber Frau, Liebe und Ehe auf: Fazit: „Der eim Weib traut, ist ein Narr.“73 Namentlich gilt dies in Dingen sexueller oder ehelicher Treue, in der „die Weibsbilder so unbeständig als wie ein Thurnfänhl.“74 Die unweigerliche und unabwendbare Untreue der Frau ist auf ihre beständige sexuelle Begehrlichkeit zurückzuführen. 66 Philipp Hafner: Ein neues Zauberlustspiel, betitelt: Mägera, die förchterliche Hexe, oder das bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn. Verfaßt von Philipp Hafner, aufgeführt auf dem kaiserl. königl. Theater. Auf vielfältiges Verlangen im Druck gegeben. Wien: Kurtzböck [1764]. In: Philipp Hafners Gesammelte Werke. Eingeleitet und hrsg. von Ernst Baum. Bd. 1. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1914. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 19.) S. 115–212, hier S. 118. 67 Philipp Hafner: Die Bürgerliche Dame, oder die bezämmten Ausschweiffungen eines zügellosen Eheweibes, mit Hannswurst und Colombina, zweyen Mustern heutiger Dienstbothen. Aufgeführt in dem k. k. privilegirten Theater. Wien: Kurzböcken 1763. In: Philipp Hafners Gesammelte Werke. Eingeleitet und hrsg. von Ernst Baum. Bd. 2. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1915. (= Schriften des Literarischen Vereins in Wien. 21.) S. 279–363, hier S. 308. 68 Hafner, Mägera I, S. 120. 69 Adalbertus, S. 213. 70 Die Verfolgung auß Liebe oder Die grausame Königin der Tegeanten Atalanta Mit Hanß Wurscht Den lächerlichen Liebs-Ambasadeur, betrognen Curiositäten-Seher, einfältigen Meichlmörder, Intressirten Kammerdiener, übl belohnten Beederachsltrager, unschuldigen Arrestanten, Intresirten Aufstecher, wohl exercirten Soldaten und Inspector über die bey Hoff auf der Stiegen Esßende Gallantomo. ec. ec. Im Jahr 1724, den 10 July. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Payer von Thurn), Bd. 1, S. 133–201, hier S. 147. 71 Johann Joseph Felix von Kurz: Der neue Krumme Teufel. Eine Opera-Comique von zwey Aufzügen; nebst einer Kinder-Pantomime, betitult: Arlequin, der neue Abgott Ram in America. In: J.J.F.v.K.: Das Komödienwerk. Historisch-Kritische Edition. Hrsg. von Andrea Brandner-Kapfer. Graz, Univ., Diss. 2007, S. 93–130, hier S. 102. 72 Ebenda, S. 100. 73 Johann Joseph Felix von Kurz: Der aufs neue begeisterte und belebte Bernardon. Nebst Zweyen Pantomimischen Kinder-Balletten: Der durch Magische Kraft und durch Würkung der Göttin Lachasis wieder aufs neue belebte Bernardon. Das wankelmütige Frauenzimmer oder: La Fille Coquette. In: Kurz, Das Komödienwerk (hrsg. von BrandnerKapfer), S. 166–176, hier S. 175. 74 Pyrrhus, S. 220. Vgl. auch Adalbertus, S. 213. 120 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle Ein Mann, bekennt Colombine in Hafners zweitem Teil der Mägera, sei ihr „so lieb als das tägliche Brod“,75 weshalb dessen Mangel sie in Verzweiflung stürzt: „keinen Mann hab ich nicht, keinen Mann krieg ich nicht, und eh ich mich auslachen laß, will ich lieber crepiren.“76 Letztlich trösten sich die „Weibspersonen“77 immer rasch, denn „wer Teufel soll wegen einen Amanten so viel Verdruß leiden, es giebt ja tausend Mannsbilder auf der Welt“.78 Zu alledem sind Hanswursts „Menscher“ geschwätzig, faul, erbarmungslos und gewalttätig. „[E]in Weibsbildermaul und eine Windmihl schweigen nicht leichtlich still, wann sie nur eine Ursach haben.“79 Im Lügen und Betrügen, Ärgern und Quälen, Schimpfen und Schelten: darin gefallen sich die „Menscher“ Hanswursts, und darin besteht ihre Natur. Freilich stehen die Mannsbilder den Frauen in Treulosigkeit, Falschheit und „Maulmacherey“ um nichts nach. Geschlechtlichkeit, Geschlechterrollen und Geschlechterkonzeptionen Zurück zum Repertoire des Kasperls Johann Josef La Roche um 1800. Die stets sexuell-sexistische Affektivität, mit der Hanswurst einst textlich / sprachlich agiert hatte, haben sich um 1800 verflüchtigt und mit ihr die Komik, die vorwiegend mit Geschlechtlichkeit und Geschlechterrollen gespielt hatte. Karl Marinelli freilich, der wie erwähnt einer anderen, früheren Generation angehört als Eberl, Huber, Hensler, Perinet und auch der Komponist Wenzel Müller (* 1767), bietet in seinen Komödien durchaus noch Lustige Figuren, Komik und auch Affekte, die in eine andere, weniger empfindsame, weniger aufgeklärte, weniger moralische Komödienpoetik zurückreichen. Dies gilt beispielshalber für die zwei Stücke aus den frühen 1780ern: Die Liebesgeschichte in Hirschau, oder Kasperle in sechserley Gestalten und Dom Juan, oder Der steinerne Gast. Die Liebesgeschichte hält sich dramaturgisch an das klassische Muster der Posse mit Reihungen aus komischen Verwechslungen, Verkleidungen und raschen Situationswechseln. Es überwiegen eindeutig die Situationskomik und die damit einhergehende, vor allem auf Kleiderwechsel basierende Typenkomik. Obwohl die beiden Diener Kasperl und Jackel herausragende komische Parts innehaben, sind sie nicht als Zentralfiguren anzusprechen; vielmehr haben ausnahmslos alle Figuren komische Funktionen inne – wie überhaupt das Setting, stofflich und dramaturgisch, auf alte Muster der Commedia dell’arte zurückgeht, vor allem den Pantalone, dem der lächerliche alte Gockel Kilian gleicht. 75 Hafner, Mägera II, S. 9. 76 Ebenda, S. 10. 77 Hafner, Mägera I, S. 171. 78 Ebenda, S. 193. 79 Cosroes, S. 417. 121 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Dramaturgie und Choreographie sind auf hohes Tempo hin angelegt; es wird viel von der Bühne und auf die Bühne gerannt, viel geschimpft und geschrieen und Schabernack getrieben, so dass der Schreiber Partelme am Ende nicht weiß, „bin ich gesotten, oder gebratten.“80 Kasperl tritt in sechserley Gestalten auf – als Scherenschleifer, Rauchfangkehrer, Bettlerin, Wickelkind, Herr von Schweinburg, Winter mit Glutpfanne –, nur Liebeshändel pflegt er merkwürdigerweise nicht. Auch in Marinellis Dom Juan überlässt der Kasperl diese seinem Herrn, dem gleichsam größten Experten dafür – allerdings graut ihm jedesmal vor den immer gleichen, den tödlichen Folgen: „Schöner Auftrag“, beschwert sich Kasperl, als er wieder einmal eine von Don Juans Leichen wegräumen muss, „mein Herr kuriert die Leut zu tod, und ich soll der Todtengraber sein“.81 Mögen Marinellis Komik und Dramaturgie von jener von Eberl, Hensler, Huber und Perinet abweichen – auch hier spielt der Kasperl keine so große Rolle mehr wie der Hanswurst von einst. Auf Leidenschaften, und seien sie auch nur gespielt, lässt er sich nicht ein – nicht einmal auf Gspusis, die ihm pekuniär oder gastronomisch etwas bringen könnten (wie dies an Hanswursts einstiger Vorliebe für reiche Witwen und für Köchinnen zu beobachten war). Grosso modo ist er weniger zügellos und hemmungslos als weinerlich und beschränkt, eher ungeschickt als boshaft,82 eher guten Willens als giftig und gallig: „Ich will mich bessern,“, verspricht er seinem Herrn – und will auch fleißig flunkern dafür.83 Geschlechtlichkeit, Geschlechterrollen und Geschlechterkonzeptionen standen neben der Gewalt (will sagen: seriellen Wutausbrüchen und Prügeleien) im Mittelpunkt der früheren hanswurstischen Komik. In den Komödien um 1800 sind die Geschlechterkonflikte mit der Komik, die von Kasperl (zumindest laut den „Bücheln“) abgezogen scheint, keineswegs verschwunden. Sie werden sogar integrale Bestandteile des Konzepts – das, bis auf die beiden Beispiele von Marinelli, kein rein komisches mehr ist –, und des Fabula docet – das, wenn es die Komödien schon nicht überformt, diese doch vielfach durchwächst. Arbeit, Fleiß und Sparsamkeit, Gehorsam und Bescheidenheit: das sind die Tugenden, denen entlang die textlich weitestgehend komiklosen Liebes- und Heiratskonflikte konstruiert sind. Den Platz des Störenfrieds im narrativen Schema von Kennenlernen / Verlieben – Hindernisse – Beseitigung der Hindernisse / Happy End nehmen konzeptionell ganze bestimmte Laster und figural, ein bemerkenswerter Befund, meist die Mütter der heiratsfähigen (und durchaus heiratswilligen) Töchter ein. Oft verhätscheln sie die Kinder bis zur Charakterlosigkeit, wählen grundfalsche Schwiegersöhne aus (nämlich nach Maßgabe allein des Geldes und des Standes) und nehmen sich außerdem noch befremdende Freiheiten heraus – die den Ehemann in Verzweiflung stürzen 80 Marinelli, Liebesgeschichte, [10 v], S. 30. 81 Marinelli, Dom Juan, S. 83. 82 Vgl. ebenda, S. 87. 83 Ebenda, S. 58. 122 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle und die Familie zu zerstören drohen. In Eberls Limonadehütte soll die Tochter an einen reichen Nichtsnutz verkuppelt werden: „Flor. Die Heurath betrifft die Tochter; ein Mädchen von ungefähr 15 Jahren – die man an einen reichen Schafskopf zu verhandeln sucht; und ihr unter dem Worte Ehe das Privilegium für jede Art von Ausschweifung versichert. [...] Das ganze Hauswesen ist zerrüttet, die Gläubger stürmen täglich Thüren und Fenster – und mit jeder aufgehenden Sonne stehen Juden und Geldmäkler auf jeden Wink bereit, die letzten Hoffnungen dieser Dame zu verschlingen“.84 Was in einem solchen Kopf und Herzen vorgeht, spricht die eingebildete Salonnière Frau von Altenbach in einem Aparte aus: „Wahrhaftig ich muß für Sonderlich gelten – das geb ich der Welt gerne zu – original ist wenig in unsern Tagen, der Gedanke, daß ein Weib die Präsidentinn eines Zirkels schöner Geister – und junger Männer seyn will – sie zucken die Achseln, sie machen Anmerkungen – aber was hat all dies Gewäsche auf mein System für Einfluß – Sie beschuldigen mich der Cokketterie, und es ist doch heller purer Zeitvertreib – den ich mir mit den possirlichen Püpchens mache“.85 In Henslers Männerschwäche führt der mütterliche Hang zu Großtuerei und Verschwendung beinahe zu dem, was im zweigliedrigen Titel als Zweites angeführt ist: zur Krida, dem (hier durch Verschwendung herbeigeführten) Bankrott des Familienunternehmens, einer Seidenfabrik. Ferdinand, der Schwiegersohn des alten Fabrikanten, weiß nicht aus noch ein: „Ferdinand. Gestern noch bezahlte ich einen halbjährigen Conto an die Putzhändlerin von 480 fl. für dich und deine Mutter; minder stärkere von dem Schuster und Schneider liegen auf dem Komtoir, unsere Handlung ist in dem schlechtesten Zustand, so, daß ich zweifle, ob wir uns noch 3 Tage halten können. Soph[ie]. Gott! ich bin verlohren. Ferd[inand]. Du siehst Sophie, ich gehe in diesem schlichten Rock einher, um ein ehrlicher Mann zu bleiben; des Morgens um 7 Uhr gehe ich an meine Arbeit, und des Abends bin ich der Letzte auf dem Komtoir, du hältst auf Anstiften dieser Dame, [ihrer Mutter] Bediente, Kammermädchen, Kindweiber und Kutscher; erhebst dich um 11 Uhr aus dem Bett, und sitzest bis um 2 Uhr an der Toilette. Soph[ie]. Halt ein Ferdinand! Ferd[inand]. Bekümmerst dich nur um deine Kinder, wenn sie über ihren Stand nach der neuesten Mode gekleidet seyn sollen, um ja nicht den Zeitpunkt zu versäumen, die Knaben recht früh zu Taugenichts, und die Mädchen zu 84 Eberl, Limonadehütte, S. 51. 85 Ebenda, S. 26–27. 123 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Puppen zu bilden, vergißt darüber die süßesten Pflichten, die würdigste Bestimmung, die die Natur in das Herz des Weibes schrieb, Mutter zu seyn Pause. F[rau] v[on] B[rugge]. Hat jetzt der Herr Sohn genug philosophirt? hat er vielleicht noch mehr zu sagen? Ferd[inand] geht zu ihr hin, ergreift ihre Hand. Nichts mehr, als das; daß wir durch sie, durch sie, morgen Bettler sind.“86 Auch Gretl, Kasperls Schatz aus Hubers Kasperl der lustige Schaafhirt, hat ähnliche Flausen im Kopf: „Mein Kasperl ist ein grober Schroll, Der gnädige Herr ist fein – Und ich, die schöne Gretl soll Des Kasperls Weib noch seyn? Nein, nein! ich werde gnädige Frau, Dann gaft [!] man mich wohl an – Dann brüßt’ ich mich trotz einem Pfau, Dann ruft, wer rufen kann – Da geht die schöne gnädige Frau – Da seht die Gretl an.“87 In Marinellis Liebesgeschichte in Hirschau hat sich der alte Gockel Kilian mit Jungfer Bonaventura, seiner Wirtschafterin, einen veritablen Weibsteufel eingehandelt. Diesen „altgebackene[n] Rindskopf“ und „Hauskruntzer“, wie Kasperl ihn nennt,88 muss man von seiner Torheit gründlich kurieren: „Margreth: Uh über die graue Zärtlichkeit! Die läst dem Jüngling besser, als Einen für das Grab reifen. Klotz! doch solche Narren müssen geschraubet werden, damit Sie die Folgen ihrer Thorheit einsehen lernen.“89 „Jackel. Courage! Courage! Courage! Wer einen alten Gecken die Braut wegfischt, der ist ein gescheider Kerl, und die ganze Welt hilft ihn [!] lachen.“90 Auch Branntweinbrenner Schindel aus Kasperl’s neu errichtetes Kaffehaus von Joachim Perinet ist ein solcher Pantoffelheld – und seine Wirtschafterin Nannette der im Titel angesprochene Hausteufel. Den lieben langen Tag schreit und streitet sie mit Schindels Arbeitern herum, schnupft Tabak und stößt Drohungen aus: „wann sie [gemeint ist ihr Bräutigam Schindel] keine höflicheren, und hübschern Gesellen 86 Hensler, Männerschwäche, S. 100. 87 Huber, Kasperl der lustige Schaafhirt, S. 16. 88 Marinelli, Liebesgeschichte, [8r], S. 22 und [10v], S. 29. 89 Ebenda, [2v], S. 8. 90 Ebenda, [2r], S. 5. 124 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle in’s Hauß bringen, so geh ich“, denn „ich muß wen haben, mit dem ich kommandiren kann, und das müssen die Gesellen seyn“.91 Unausgesetzt fühlt sie sich angegriffen – auch wenn Schindel sich nur darum sorgt, sie möge ordentlich essen, sonst würde sie „vom Fleisch fallen“. „Nann[ette]. O sie grober impertinenter Socius! ich so dürr, wie ein Weinstecken? – glauben sie etwa, ich soll auch so ein Kleiderausklopfer wie sie seyn, he? schnupft Tabak. Das ist einmahl wahr, sie haben ihren Nahmen in der That: so zaundürr wie ein Schindel, und roth wie ein Ziegel – so ein geselchter Postpapier-Bogen, so ein Skelet mit seinen zwey Elfern, der die Lungensucht, und die Hektika selbst ist, so ein Windhund, durch den man, wie durch eine Hausenblatter durchschauen kann, glaubt etwa, ich soll so dürre werden, wie ein Weinstecken – ach! wann ich nur keinen so kurzen Athem hätte, ich wollte sie schon auf den Glanz herstellen, daß kein Hund einen Bissen Brod von ihnen nähme! sinkt wieder auf den Sessel, nachdem sie dieß fast in einem Athem her schrie.“92 Aus einer späteren Äußerung geht hervor, dass sich sowohl Schindel als auch die vermeintlich Angegriffene keine Sorgen zu machen brauchen über die Rundungen Nannettes, denn die Wirtschafterin ist ein „dicke[r] Mosthäfen“.93 Schindel weiß sich nicht zu helfen: „Was nüzt’s mich [!], wenn ich beiß und knirsch? Ich bin ein’ gute Seel. Ich bin verliebt, als wie ein Hirsch; In meine Haus-Mamsell. Ich hab kein Willen, und kein Kraft Bin niemand da im Haus, Und, wann mir’s Bodenreiben schaft, Reib’ ich in Gott’snahm’ aus. –– Mit lauter Brandtwein handl’ ich zwar; Doch ist kein Feu’r in mir. Ich weiß, ich bin ein armer Narr, Und häng ganz ab von ihr. Zu sagen trau ich mir kein Wort, Weil ich kein Hausrecht hab. Wie’n Nudeltaig zieh ich mich fort, Und hatsch ganz langsam ab.“94 Alle die kupplerischen, verschwenderischen, dünkelhaften, genuss- und streitsüchtigen Mütter, treulosen und zänkischen Bräute, notorisch genas geführten Liebha91 Perinet, Kasperl’s neu errichtetes Kaffeehaus, S. 6. 92 Ebenda, S. 8. 93 Ebenda, S. 20. 94 Ebenda, S. 14. 125 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html ber und pantoffelheldischen „Hörnertrager“ stammen theater- wie auch komikgeschichtlich aus dem Fundus des europäischen Lachtheaters, der Commedia dell’arte, dem alten Théâtre Italien und der hanswurstischen Haupt- und Staatsaktion. Dass sie zugleich Personifikationen von Geschlechterkonzeptionen sind – und höchst sexistische dazu –, liegt auf der Hand. Weit interessanter als die üblichen Genderaspekte scheint, dass hier um 1800 selbst in die Komödie der Ernst und damit die Moral Einzug halten. An die alte karikierende Komisierung der patriarchalischen Geschlechterkonstruktionen erinnern noch Marinellis Liebesgeschichte in Hirschau wie auch Perinets Hausteufel, in denen die verkappten Pantalones, Colombines und Arlecchinos Macht und Ohnmacht, Mann und Frau, Jung und Alt spielerisch verkreuzten, verkehrten, durcheinanderwirbelten. Indessen sind bei Eberl, Hensler und Huber die Lektionen, die auf der Bühne den haltlosen Frauen und den nachgiebigen Männern erteilt werden, durchaus ernst grundiert und als Moral gedacht. Am aller erstaunlichsten scheint, dass die Moral, wie sie hier theatralisiert ist, in ihrer Verteilung von Gut und Schlecht eindeutig sexistischer und prüder verfährt als die alte Komödie, in der die Männer den Frauen und die Frauen den Männern nichts schuldig bleiben. Weiblich, das sind in der Wiener Komödie um 1800 an Lastern die alten Attribute Herrschsucht, Verschwendung, Geschwätzigkeit und Treulosigkeit; an männlichen bleibt bloß die sträfliche Nachsicht, mit der der Vater, Ehemann, Bräutigam den Frauen alles durchgehen lassen. In den Worten des Justizrats Flor aus Eberls Limonadehütte: „Wenn wir so die Hand auf’s Herzlegen wollten, und so ganz redlich fragen möchten, wer ist an den Ausschweifungen der Weiber am meisten Schuld? ... so dürft es wohl heißen, wir Männer selbst – O! es ist ein großes Studium um das menschliche Herz.“95 Zwischenfazit (2) Dass im Repertoire des Leopoldstädter Theaters um 1800 die Hüter der (christlichbürgerlichen) Moral ausschließlich die Väter und Ehemänner sind und die Gefährdung der Moral stets von den Müttern und Ehefrauen ausgeht, erklärt die textliche Zurückdrängung der Kasperl-Komik nur zum Teil. Einesteils scheint klar, dass, wenn mit Geschlechterrollen und ‑konzeptionen kein Spaß mehr betrieben wird, auch jene Figur entbehrlich ist, deren komische Funktion eben darin bestand. Andrerseits hielten die einstigen Hanswürste und Harlekine noch ganz andre komische Trümpfe in der Hinterhand; die neben den Obszönitäten zweitwichtigsten: das Schimpfen, das Drohen und das Prügeln. Noch in den 1780ern zählen sie zum Verhaltensrepetoire des Leopoldstädter Kasperls La Roche – doch auch davon sind in den Komödien um 1800 kaum mehr als kümmerliche Reste zu fassen: Als eifersüch- 95 Eberl, Limonadehütte, S. 20–21. 126 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle tiger Schuster prügelt er bei Leopold Huber sein Weib, ergeht sich in Schimpftiraden – „Lumpenpack“, „sauberer Lindwurm“, „Strick“, „Schöps“, „unchristlicher Bärenhäuter“, „boshaftes Krautmanderl“, „Regenwurm“, „Raabenaas“, „eingeschrumpftes Bärnfell“, „Spitzbuben“, „die alte Kelchpletschen“, „Hundsknecht“, „schwerenoths Kalbskopf“ –,96 droht seinem Lehrbuben: „ich schlag dir’s Kreuz beim Wadel ab!“97 und greift zum deftigen Vergleich, wenn es um schlechten Schnaps geht: „Wird wohl ’n saubers Gesäuff seyn, daß man’s Gedärmreissen kriegt, und ’s Beuschel abbricht?“98 Es ist die einzige Komödie aus dem Textcorpus überhaupt, in welcher sprachlich und metaphorisch mit der komischen Fallhöhe zwischen Hoch und Niedrig, Erhaben und Banal, Fein und Brachial operiert wird. Alles in allem ist Otto Rommel zuzustimmen, dass in der Welt dieser „starkdrähtigen Rührstücke“ der Kasperl „weder gedeihen noch sich wohlfühlen“ konnte, und dass „der allgemeine Tugendfanatismus auch Kasperl zur Ehrbarkeit“ drängte und seine Komik ganz entschieden „paralysierte“. „Seine Rollen werden immer kleiner und farbloser.“99 Mit den Frauen und seinem Prügel, so ließe sich als zweites Zwischenfazit formulieren, kommt dem Kasperl um 1800 das Komische abhanden – und dieser selber der Bühne beziehungsweise dem Text. Methodologische Zwischenbemerkung (2) Der Verharmlosung, Zähmung, Rationalisierung, Pädagogisierung des affektiv aufgeladenen Hanswurst zum besinnlichen Kasperl wird man sich je nach Erkenntnisinteresse mit unterschiedlichen methodisch-theoretischen Instrumentarien nähern können; die m. E. am zielführendsten: die politische Geschichte einerseits und andrerseits die Historische Soziologie (mit der Betonung auf Emotionssoziologie, Feld- und Habitustheorie, Zivilisationstheorie100 und Diskurstheorie). Emotionssoziologisch bedeutsam scheint, dass sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Regeln, nach denen auf der Bühne mit Affekten gespielt, damit das Lachen 96 Huber, Der eifersüchtige Schuster, S. 16, 18, 20, 37, 40, 47, 58, 77, 34. 97 Ebenda, S. 77. 98 Ebenda, S. 49. 99 Rommel, Alt-Wiener Volkskomödie, S. 444–445. 100 Am Instrumentarium von Norbert Elias führt hier kein Weg vorbei; zur Zivilisationsgeschichte des Hanswurst bzw. Kasperl vgl. Johann Sonnleitner: Hanswurst, Bernardon, Kasperl und Staberl. In: Hanswurstiaden. Ein Jahrhundert Wiener Komödie. Hrsg. und mit einem Nachwort von J. S. Salzburg, Wien: Residenz 1996. (= Eine österreichische Bibliothek.) S. 331–382; Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, bes. S. 187–193; Beatrix Müller-Kampel: Sinnengekröse statt Seelengetöse. Hanswursts halsbrecherische Hatz auf das Glück. In: Das glückliche Leben – und die Schwierigkeit, es darzustellen. Glückskonzeptionen in der österreichischen Literatur. Beiträge des 14. Österreich-Polnischen Germanistentreffens Salzburg 2000. Hrsg. von Ulrike Tanzer, Eduard Beutner und Hans Höller. Wien: Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus 2002. (= ZIRKULAR. Sondernummer 61.) S. 193–208. 127 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html und mit ihm auch Emotionen im Publikum erzeugt wurden, vergleichsweise schnell verändert haben müssen – zumindest im süddeutsch-österreichischen Raum, für den hier die Stücke des Leopoldstädter Theaters stehen. Mit der Feld- und Habitustheorie Pierre Bourdieus sind nicht nur die unterschiedlichen Positionen und Positionierungen von Theatern, Repertoires, Komik- und Spielformen innerhalb von übergeordneten Feldern, beispielsweise in jenen der Bildung, Unterhaltung, des Politischen, der gesamten Kultur überhaupt, zu verstehen, sondern auch die Sonderwege, die das Alt-Wiener Spaßtheater im Vergleich mit der deutsch-deutschen Komödie einschlug. Im Sinne der theoretischen Ansätze von Norbert Elias wiederum scheint bemerkenswert, dass die Veränderung des brachialen Hanswurst zum Kasperl durchaus ein Phänomen der Zivilisierung, aber auch der zivilisatorischen Verspätung genannt werden kann – und überdies auch, diskurstheoretisch nach Michel Foucault formuliert, ein Phänomen der Disziplinierung und Normalisierung der Sexualitäten auf dem Theater. An einem Fragenkomplex müssten diese Ansätze alle scheitern: Warum ein Theater als Lachtheater beliebt und berühmt sein konnte, in dem es, zumindest über die aufgeschriebenen / konrollierten Mono- und Dialoge, immer weniger zum Lachen gab, warum das allseits als „Kasperl-Theater“ genannte Leopoldstädter Theater immer seltener den Kasperl gab und warum das Publikum dennoch eifrig und lauthals lachte darin. Dies erklärt sich nur aus der politischen Geschichte – nämlich aus der Zensur. Kasperl unter Kontrolle 1776, also in jenem Jahr, in dem Josef II. „Spektakelfreiheit“ gewährt hatte, boten die Straßen Wiens ein buntes Bild geschäftig-theatralen Treibens: „Sie sollten itzt einmal unser Wien sehen und mit mir an einem öffentlichen Platze stehen. Eine Feenwelt. Hier stellet sich Ihrem Auge eine ganze papierne Mauer voller geistigen ergötzenden Schauspiele dar. Da pralet ein Feuerwerkszeddel Wind und Heldenthaten. Hier steht Wäsers Klavigo neben der verkehrten Welt und einer Opera pantomime des Harlekin; hinter dieser hüpft das venetianische Karneval mit allerley Verzierungen – & cetera, & cetera. Da prangt die schöne Wienerin neben dem 30jährigen Abcschützen; und von der Gerdeckischen Truppe der Bettler neben der Koppischen Gesellschaft des beschäftigten Hausregenten. Da kriecht eine Seiltänzernachricht neben dem Edelknaben von der Hebetingerschen Gesellschaft hervor; dort glänzt ein wälsches Singspiel mit guter Musik und guten Sängern. Hier liegen alle Theatermusen unter einander geworfen, unter ihrer Gesellschaft hat sich Nonsensé, Farze, Skaramutz, Kasperl, Land Dorf und Stadtabenteuer – gedränget – hi ha – vous allez voir ce que vous allez voir, hi ha!“101 101 Wiener Realzeitung vom 16. Juli 1776, S. 462–463. Für den Beleg danke ich Matthias J. Pernerstorfer. 128 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle In Erwägung, dass in der Habsburger Monarchie zu der Zeit alles Schriftliche, das auch nur irgendwie als öffentlich zu interpretieren war, und selbstredend auch obiger Artikel strengster Zensur unterlag, hat man es wohl eher mit binnenexotischkultureller Genremalerei zu tun als mit einer Reportage. Im Visier der Zensoren standen nicht zuletzt die genannten Figuren und Typen: der von der Wäserschen Truppe gegebene Klavigo (von Goethe) wie der Harlekin, die Schöne Wienerin aus Paul Weidmanns eben uraufgeführtem Lustspiel wie der bereits ältere 30jährige ABC-Schütz des Joseph Felix von Kurz, Der beschäftigte Hausregent von Philipp Hafner wie auch die „Nonsensé, Farze, Skaramutz, Kasperl“. Gerade einmal sechs Jahre zuvor war die Zensur, v. a. auf Betreiben von Joseph von Sonnenfels, dem wirkmächtigsten reformabsolutistischen Berater von Maria Theresia und Josef II., wieder verschärft worden. Nach dem Bankrott der Direktion Joseph Karl Bender im Jahre 1770 wollte die Theaterimpresa das deutsche Schauspiel am Kärntnertortheater durch den neuerlichen Rückgriff auf die – an sich seit 1751 verbotene – extemporierte Volksposse alten Stils sanieren.102 Joseph Felix von Kurz, nach der von ihm kreierten Figur KurzBernardon genannt (1717–1784) und gleichsam Personifikation der extemporierten, revue-artigen Nonsense-Komödie, wurde 1770 nach Wien zurückgeholt. Man trat auch mit der in der Provinz und in den Wiener Vorstädten spielenden „Badnerischen Truppe“ unter Prinzipal Menninger über Gastspiele in Verhandlungen – unter den Spielern befand sich auch der Kasperl-Darsteller La Roche.103 Dagegen schritt nun Joseph von Sonnenfels mit einem barschen Promemoria ein, das vom Dramatiker Stephanie dem Älteren unterzeichnet wurde und an Maria Theresia weitergegeben werden sollte. Zugleich reichte Sonnenfels – in eigenem Namen – eine Resolution Über die Nothwendigkeit, das Extemporieren abzustellen bei Hofe ein und ließ sie in der Brünner Zeitung einrücken.104 Sonnenfels wurde schließlich 1770 mit der Reorganisation der Theaterzensur beauftragt – und war damit zum mächtigsten Mann im Wiener Theaterwesen aufgestiegen,105 der die Schauspieler bei der ersten Übertretung der Zensurvorschriften in den Arrest schicken und bei der zweiten ein 102 Vgl. i. d. F. Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 159–164, und Gustav Zechmeister: Die Wiener Theater nächst der Burg und nächst dem Kärntnerthor. Wien: Böhlau 1971. (= Theatergeschichte Österreichs. 3.) S. 90. 103 Vgl. Hilde Haider-Pregler: Nachwort. In: ����������������������������������������������� Joseph von Sonnenfels: Briefe über die Wienerische Schaubühne. Hrsg. von Hilde Haider-Pregler. Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt 1988. (= Wiener Neudrucke. 9.) S. 347–428, hier S. 409. 104 Vgl. Hilde Haider-Pregler: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. München: Jugend und Volk 1980, S. 344–345. 105 Vgl. ebenda, S. 345. 129 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Berufsverbot verhängen konnte.106 Damit nicht genug, wollte Sonnenfels bereits im Monat seiner Bestellung zum Theatralzensor die Bestimmungen auch auf die Wandertruppen und die Theater der Vorstädte ausdehnen, was allerdings von Josef II. mit einem schlichten „Reponatur!“ abgewiesen wurde.107 Bereits nach einem halben Jahr wurde Sonnenfels aus bis heute ungeklärten Gründen aus seinem Zensorenamt entlassen. Sonnenfels’ Abberufung bedeutete freilich keineswegs eine Lockerung der Zensur, berichtete doch dessen Nachfolger Franz Karl Hägelin (1735–1809) über seinen Aufgabenbereich, dass er neben den deutschsprachigen Schauspielen auch alle Oratorien, Neujahrswünsche sowie Anschlagzettel von „Spektakeln“, Tierhetzen und Feuerwerken zu zensurieren hatte.108 Nach wie vor enthielten sich die zeitgenössischen Wiener Theater – es soll bis zu 80, darunter auch private Liebhabertheater, gegeben haben109 – der ausschließlich vernünftigen Nachahmung der Natur, des moralisierenden Blicks in das bürgerliche Heim. Statt dessen wurden Maschinenkomödie und Zauberstück – die sich per definitionem dem geltenden Rationalismus versagen und auf der Existenz vieler Welten beharren110 – mit aufklärerischen Motiven versetzt und der Hanswurst zum Kasperl gezähmt. Den aufklärerischen josefinischen Kritikern war dies der Versittlichung und Vernunft nicht genug. In einer 1782 erschienenen Theaterkronik von der Sündfluth bis auf den grossen Kasperle in der Leopoldstadt, einem gottschedianischen Querfeldeinlauf durch die Theatergeschichte, wird Kasperl einmal mehr als Schädling des guten Geschmacks denunziert: „Deutschland, und besonders Wien ist jetzt auf ihre Nationalschaubühne stolz. Empfindung, Geschmak und Einsicht vereinbaren sich hier bei jedem Spielenden, obwohl die Ehre des wiener Geschmaks durch erniedrigende Furien eines Kasperltheaters bei Gelehrten ziemlich leidet. Den Sommer hindurch genießen wir Wiener keineswegs die Ehre ihres Daseins, aber nach einer gewissen Versicherung sollte es noch einmal geschehen, dann Gnade uns Gott, was wir da sehen werden. Diese Leute verhunzen noch obendrein die beßten Stücke mit 106 Siehe das im Wortlaut abgedruckte Promemoria in: Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl, S. 227–228. 107 Vgl. Haider-Pregler, Nachwort, S. 415. 108 Vgl. Zechmeister, Die Wiener Theater, S. 49–50. 109 Vgl. Jürgen Hein: Das Wiener Volkstheater. Raimund und Nestroy. 2., aktualisierte und bibliographisch ergänzte Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1991. (= Erträge der Forschung. 100.) S. 17. 110 Vgl. Hugo Aust, Peter Haida und Jürgen Hein: Volksstück. Vom Hanswurstspiel zum sozialen Drama der Gegenwart. Hrsg. von J. H. München: Beck 1989. (= Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte.) S. 108. 130 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle der launichten Person ihres Kasperls, denn aber (Gott seis Dank) der dritte Stok nicht mehr lang aushalten kann“.111 Schärfer verfahren zwei Anti-Kasperl-Broschüren aus dem Jahre 1781, Kasperl das Insekt unseres Zeitalters und Etwas für Kasperls Gönner, in ihren Schmähungen der Lustigen Figur. Im Kasperl-Theater nähre das Publikum seine Seelen an Bildern, „die aus dem zerronnenen und matten Gehirne“ eines „albernen Gauklers“ herrührten.112 Kasperl, in dem man „mehr ein Ungeheuer als einen witzigen Schalken erblicken“ müsse,113 und der „den neuen Geschmack unserer Nation verpestet und unsere Mauern mit tollem Getümmel erfüllet“,114 „dieser elende Possenreisser“115 beleidige die Menschen durch seine Worte,116 die in nichts anderem bestünden als „Vernunft und Anstand entehrende[m] Gezeug“.117 Es stehe außer Zweifel, „daß es gut gesitteten Menschen nicht anstehe, an einem so verderblichen und häßlichen Abenteuer, wie euer Kasperl ist, ein Vergnügen zu finden.“118 Dem Kasperl abzuschwören sei zum sittlichen Wohle des Staates, denn der „große Einfluß, den die Schauspiele auf die Sitten des Volkes haben, ist sehr beträchtlich. Man braucht nur richtige Vernunft und weniger dem Kasperl zugetan sein, so wird man weit über alle Vorurteile erkennen, daß die NationalSchaubühne, welche der weiseste Monarch, dessen einzige Absicht das Glück seiner Völker ist, zum Besten der Nation in jenen Stand gesetzt hat, daß sie eine Schule der edlen Sitten und des guten Geschmacks ist“.119 111 Joseph Krepler: Theaterkronik von der Sündfluth bis auf den grossen [!] Kasperle in der Leopoldstadt. Hrsg. von J. K. Wien: Hartl 1782, S. 18. 112 Kasperl das Insekt unseres Zeitalters. Nebst einer Wahrnung an seine Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Gustav Gugitz: Der Weiland Kasperl (Johann La Roche). Ein Beitrag zur Theater- und Sittengeschichte Alt-Wiens. Wien, Prag und Leipzig: Strache 1920, S. 75–82, hier S. 77. 113 Ebenda, S. 80. 114 Ebenda, S. 81. 115 Etwas für Kasperls Gönner. Wien: Hartl 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 83–98, hier S. 85. 116 Vgl. Kasperl das Insekt unseres Zeitalters, S. 80. 117 Etwas für Kasperls Gönner, S. 87. 118 Kasperl das Insekt unseres Zeitalters, S. 77. 119 Etwas für Kasperls Gönner, S. 97. 131 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html Unter dem Motto „Chacun à son goût“ schreitet die Kurze Antwort auf die beyden Schmähschriften120 an Kasperl-La Roches Verteidigung. „Kasperl mag manchen übertrieben, abgeschmackt scheinen, aber viele andere ergötzen sich an ihm. Man lasse jedem seinen freien Willen.“121 Indessen scheinen die Sittlichkeitsgrenzen bereits so weit vorgedrungen zu sein, dass im Plädoyer für den Kasperl dessen (angeblich bereits vollzogene) Obrigkeits- und Sittengemäßheit ins Treffen geführt wird: „Was ist Böses an Kasperl! Wann hat er je etwas Schmutziges oder eine Zote gesagt? Sind nicht alle Stücke vorgeschrieben, censuriert? Wacht nicht das Ohr der Polizei, um über jeden Vorfall der hohen Stelle Bericht davon zu geben?“122 Karl Marinelli hatte bereits 1774 von der Bühne aus beteuern lassen, dass alles, „was ohne Beleidigung der Sitten und des Wohlstandes Beifall und Wohlgefallen verschafft, [...] dem Zuspruch unsrer Gönner unterworfen sein“ möge.123 Von 1770 bis 1805 war der genannte Franz Karl Hägelin als spezieller Theaterzensor eingesetzt; er hatte den Handlungsverlauf der Theaterstücke ebenso zu überprüfen wie deren ästhetische Qualitäten.124 Am Beginn seiner Tätigkeit hatte als einzige Richtlinie gegolten, „daß auf dem Theater nichts extemporirt werde, keine Prügeleien stattfänden, auch keine schmutzigen Possen und Grobheiten passirt, sondern der Residenzstadt würdige Spiele aufgeführt werden“.125 Hägelins Zensur umfasste nicht nur das Hofthater, sondern auch die Darstellungen der Nebenbühnen und der verschiedenen Truppen, denen Josef II. das Kärntnertortheater überlassen hatte.126 In den ersten Jahren nach dem Tod Josefs II. 1790 erhielten die Lustigen Figuren auf dem Theater wieder größeren Freilauf – zwar regierte die Politik mit eiserner Hand, hielt sich jedoch bei Spaß und Spielen fürs Volk ein wenig zurück.127 Mit dem von der Französischen Revolution geradezu traumatisierten Kaiser Franz II./I. war es damit schon wieder vorbei. Mehrere kaiserliche Handschreiben aus den Jahren 1795 120 Kurze Antwort auf die beyden Schmähschriften. I. Kasperl das Insekt unseres Zeitalters. II. Etwas für Kasperls Gönner. Wien: [o. V.] 1781. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 99– 107, hier S. 106. 121 Ebenda, S. 102. 122 Ebenda, S. 102–104. 123 Karl von Marinelli: Der Anfang muß empfehlen. Ein Vorspiel in einem Aufzuge. Wien: Schulzische Schriften [1774]. In: Gugitz, Der Weiland Kasperl, S. 5–29, hier S. 9. 124 Vgl. i. d .F. Norbert Bachleitner: The Habsburg Monarchy. In: The Frightful Stage. Political Censorship of the Theater in Nineteenth-Century Europe. Hrsg. von Robert Justin Goldstein. New York, Oxford: Berghahn Books 2009, S. 228‑264 und Carl Glossy: Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur. I. In: Jahrbuch der Grillparzergesellschaft 7 (1897), S. 238–340. 125 Zit. nach Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 275. 126 Vgl. ebenda, S. 276. 127 Vgl. ebenda, S. 292–293. 132 Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle und 1796 mahnten die Theaterunternehmer v. a. der Provinzen und der Vorstadttheater auf Einhaltung der Vorzensur wie des Extemporierverbots. Inhaltlich standen im Mittelpunkt: die „guten Sitten“, die einzuhalten, sowie etwaige „gefährliche Grundsätze in Rücksicht auf die gute Ordnung und das Wohl des Staates“, die zu unterlassen waren.128 Dieser Zusatz zu einem Handschreiben Franz’ II./I. brachte die Theaterzensur nach und nach in völlige Abhängigkeit von der Polizei, der alle für die Vorstadtbühnen zensurierten Stücke zur Revision vorgelegt werden mussten. Man ging sogar daran, auch ältere, von Josef II. zugelassene Schriften sowie die unter ihm erschienenen zu „rezensurieren“. Im Zuge dieser „Rezensurierung“ sollen insgesamt 2500 Bücher verboten worden sein. Bezeichnend scheint, dass der 1803 für die Zensoren erstellte Leitfaden als Internum nicht veröffentlich wurde.129 Binnen weniger Jahre hatte Franz II./I. eines der strengsten Zensursysteme in ganz Europa etabliert. Aus einem Denkschreiben130 des Zensors Franz Karl Hägelin für die Zensur in Ungarn aus dem Jahr 1795 (nebenbei ohne es zu wollen eine Normpoetik staats-, konfessions- und sittenkonformer Dichtung) geht hervor, wie weit die Überwachung ging: Kontrolliert wurden Stoff, Handlung und „Dialog“ (i. e. Stil, Lexik); geahndet wurden in allen drei Bereichen „Gebrechen wider die Religion“, „Gebrechen in politischer Hinsicht, oder wider den Staat“, „Gebrechen in Absicht auf die Sitten“, wobei das „Gebrechen“ auch in einer Huldigung an das vaterländische Kaiserhaus bestehen konnte – da das Publikum dies als Satire hätte auffassen können; oder in der Figur eines katholischen Priesters – da Religion in keinem Detail Gegenstand des Theaters zu sein hatte; oder in Ausrufen wie „Mein Gott!“ oder „Heiliger Bimbam“ etc., für die Hägelin politisch korrekte Äquivalenzvorschläge einbrachte; oder darin, dass schlicht ein junger Mann und eine junge Frau gemeinsam von der Bühne gehen – um nicht im Zuschauer entsprechende erotische Bilder aufkommen zu lassen. Gellerts Kontrollphantasien von einem „geschickten und edelgesinnten Aufseher [...], dessen Urtheile sie [die Autoren] alle Stücke unterwerfen müßten“, war in schrecklicher Weise wahr geworden. Gellert hatte sich einen solchen Sittenund Dichtungswächter nämlich so imaginiert: „Dieser vernünftige Mann und Kenner des Theaters würde kein mittelmäßiges Stück, keine närrischen Possenspiele, auf das Theater lassen. Er würde sogar in den guten Stücken die freyen und anstößigen Stellen wegwerfen, und also sorgen, daß beide Geschlechter ohne Gefahr alle Comödien anhören könnten, 128 Ebenda, S. 295. 129 Vgl. Julius Marx: Die österreichische Zensur im Vormärz. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 1959. (= Schriften des Arbeitskreises für österreichische Geschichte.) S. 12. 130 Vgl. i. d. F. Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur, S. 299–327. 133 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html und nie die einen bey dem Händeklatschen der andern die Augen niederschlagen dürften.“131 Was hatte auf einer solchen Bühne der alte Lotterbube Kasperl eigentlich noch zu suchen außer weitestgehend schweigend moralisch zu sein? Selbst das Leopoldstädter Theater war um 1800 als des sittlichen Bürgers Abendschule (Hilde Haider-Pregler)132 formiert – zumindest in und nach den uns vorliegenden Texten. Was der Zensor Hägelin ausformuliert und seine Kommissäre im Theater exekutieren, entspricht einerseits dem nunmehr auch in Wien gültigen Diskurs bürgerlich-rationaler Forderungen nach sittlicher Vernunft. Alles deutet darauf hin, dass darin auch ein zivilisatorischer Prozess der Affektregulierung und der Affektdämpfung sichtbar wurde. Andrerseits übertrifft der zensorische Zwang zu Vernunft und Sittlichkeit unter Ausschluss des lauthalsen Lachens den Selbstzwang in einem Ausmaß, dass er als repressives, diktatorisches, terroristisches und vor allem geheimes Joch gefürchtet wird. Unter ihm beugten sich, wie das Leopoldstädter Repertoire es zeigt, die Autoren und übten präventive Selbstzensur. Und der Kasperl Johann Josef La Roche? Warum das Publikum dennoch weiter lachte über ihn, und vermutlich mit Grund, erklären die auf uns gekommenen Texte nicht. In Zeiten der Überwachung und Bestrafung zog sich Kasperls Komik vielleicht ins stumme Spiel und den wortlosen Laut zurück. Was, wenn Kasperl-La Roche die Komik bei diesen Zeitläuften wieder einmal ins Extempore verlegt hätte und sich dabei eins lachte? Oder wenn sich La Roche und das über ihn lachende Publikum an überkommene komische Kanones von Gestik und Mimik gehalten hätten, die die zeitgenössischen Rollenfächer bereit hielten? Vielleicht brauchte La Roche körpersprachlich auch nur er selber zu bleiben, mit jenem unverwechselbaren Bewegungsrepertoire, das er sich für seinen Kasperl „im Prozeß ständiger selektiver Abschleifung durch das Publikum“ über Jahrzehnte hinweg angeeignet hatte und das nun als unverwechselbare „Körperidentität“ zum Lachen brachte. Nach Daniela Weiss-Schletterer „handelt und agiert der Schauspieler“ in einer solchen Körperidentität „häufig ein Theaterleben lang, so daß im Idealfall der Name des Komödianten mit jenem des verkörperten Typus gleichgesetzt und stets in einem Atemzug genannt wird. Harlekin Müller, Hanswurst Schuch oder Kurz-Bernardon sind einige, wenige Beispiele im deutschsprachigen Theater des 18. Jahrhunderts, die diesen Grad an Popularität erreichten.“133 Kasperl-La Roche auch. Doch ihrer aller komischen Körpergeschichten sind erst zu schreiben. 131 Christian Fürchtegott Gellert: Briefe, nebst einer praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. Leipzig 1751. In: Ch. F. G.: Sämmtliche Schriften. Neue rechtmäßige Ausgabe. Bd. 4. Berlin: Weidmann 1840, S. 131–132. 132 Haider-Pregler, Des sittlichen Bürgers Abendschule. 133 Beides Daniela Weiss-Schletterer: Das Laster des Lachens. Ein Beitrag zur Genese der Ernsthaftigkeit im deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts. 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[Stranitzky, Joseph Anton:] Nicht diesem, den es zugedacht, Sondern dem daß Glücke lacht oder Der großmüthige Frauenwechsel unter Königlichen Personen mit Hanß Wurst den verrathenen Intriganten und übel belohnten Liebs-Envoye. Viennae Die 21 Julij Anno MDCCXXIV. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 1, S. 203–261. [Stranitzky, Joseph Anton:] Der Tempel Dianae oder Der Spiegl wahrer und treuer Freundschafft mit H:W: Den sehr übl geplagten Jungengesellen von zwey alten Weiberen Componirt Von eInen In Vienn an WesenDen CoMICo. Monsieur stranützkü minu [?]. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 2, S. 1–62. [Stranitzky, Joseph Anton:] Triumph Römischer Tugendt und Tapferkeit oder GORDIANVS der Grosse Mit Hanß Wurst den lächerlichen Liebes-Ambaßadeur, curieusen Befelchshaber, vermeinten Todten, ungeschickten Mörder, gezwungenen Spion ec. und waß noch mehr die Comoedie selbsten erkhlaren wirdt. Componirt In diesen 1724 JAHR, den 23 Jenner. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 1, S. 1–67. [Stranitzky, Joseph Anton:] Die Verfolgung auß Liebe oder Die grausame Königin der Tegeanten ATALANTA Mit Hanß Wurscht Den lächerlichen Liebs-Ambasadeur, betrognen Curiositäten-Seher, einfältigen Meichlmörder, Intressirten Kammerdiener, übl belohnten Beederachsltrager, unschuldigen Arrestanten, Intresirten Aufstecher, wohl exercirten Soldaten und Inspector über die bey Hoff auf der Stie141 LiTheS Sonderband Nr. 1 (Juni 2010) http://lithes.uni-graz.at/lithes/10_sonderband_1.html gen Esßende Gallantomo. ec. ec. Im Jahr 1724, den 10 July. In: Wiener Haupt- und Staatsaktionen (hrsg. von Rudolf Payer von Thurn), Bd. 1, S. 133–201. Teutsche Arien, Welche auf dem Kayserlich-privilegirten Wienerischen Theatro in unterschiedlich producirten Comoedien, deren Titul hier jedesmahl beygerucket, gesungen worden. Cod. ms. 12706–12709 der Wiener Nationalbibliothek. 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