Rothmüller text - Preiser Records

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Lebendige Vergangenheit
Marko Rothmüller
Marko Rothmüller
* 31. 12. 1908 in Trnjani (bei Zagreb), † 20. 1. 1993 in Bloomington
Bei diesem Sänger ist es nicht ganz leicht, eine bestimmte Zugehörigkeit zu einem Land, zu
einer Nation festzustellen, es wäre ohne weiteres möglich, ihn als kroatischen, als schweizer,
englischen, oder amerikanischen Künstler zu bezeichnen. Dabei wäre Marko Rothmüller geradezu prädestiniert gewesen, einen hervorragenden Platz im deutschen Musikleben einzunehmen.
Daß es nicht - oder nur nach langen Umwegen - dazu kam, haben die verhängnisvollen Zeitumstände verschuldet. Geboren in Kroatien, in der Nähe von Zagreb, erste musikalische Ausbildung
am Konservatorium dieser Stadt, danach Übersiedlung nach Wien, wo der bekannte Konzertsänger Franz Steiner (1876-1954) seine stimmliche Ausbildung übernahm. Gleichzeitig auch
Studium der Komposition bei Alban Berg. In diesen Jahren entstanden einige Lieder sowie sinfonische und kammermusikalische Werke.
1932 beging Marko Rothmüller sein Debüt als Opernsänger in Hamburg-Altona als Ottokar im
„Freischütz“, es folgten mehrere Rollen des lyrischen Baritonfachs. Mit der Machtübernahme
der Nazis im nächsten Jahr waren für den jüdischen Sänger alle künstlerischen Möglichkeiten in
Deutschland versperrt. Rothmüller kehrte für zwei Jahre wieder nach Zagreb zurück und nahm
ab 1935 ein Engagement am Züricher Opernhaus an. In den Jahren bis 1947 reifte er dort zu
einem der wertvollsten Ensemblemitglieder heran, er glänzte als Mozart-, Wagner, Verdi-Bariton
und zeichnete sich vor allem durch seine Mitwirkung bei zeitgenössischen Werken aus. Die herausragendsten Ereignisse auf diesem Sektor waren seine Darstellung des Truchseß von Waldburg
in Hindemiths „Mathis der Maler“ (Uraufführung 1938), er gestaltete wesentliche Rollen bei den
Schweizer Erstaufführungen von Othmar Schoecks „Schloß Dürande“ und „Massimilla Doni“,
der Strauss-Opern „Der Friedenstag“ und „Die schweigsame Frau“, Sutermeisters „Romeo und
Julia“, und „Die Zauberinsel“, Zemlinskys „Kleider machen Leute“ u.a. Er sang in Zürich VerdiRollen wie Miller in „Luisa Miller“ und Simon Boccanegra, in Mussorgskis „Chowanschtschina“
den Schaklowiti. Außerdem trat er mit großem Erfolg als Konzert- und Liedersänger hervor. Die
in Sammlerkreisen hoch geschätzte Aufnahme von Schuberts „Winterreise“, sowie eine Reihe
anderer Lied-Einspielungen entstanden in dieser Züricher Epoche.
Bald nach dem Krieg setzte seine internationale Laufbahn ein. In den Jahren 1946/47 gehörte
Rothmüller der Wiener Staatoper an (Theater an der Wien und Volksoper), wo er eine Vielzahl
von Rollen aus dem italienischen, deutschen und russischen Fach sang, darunter Jochanaan,
Kurwenal, Figaro (Rossini), Rigoletto, Germont, Amonasro, Scarpia, Escamillo, Papageno, Fürst
Igor.
Als die Wiener Staatsoper im Jahr 1947 ein Ensemblegastspiel an der Covent Garden Opera gab,
sprang Rothmüller für den erkrankten Paul Schöffler in der Rolle des Jochanaan ein. Von dieser
denkwürdigen Aufführung (mit Maria Cebotari in der Titelpartie) existiert ein - akustisch allerdings ziemlich getrübtes - Tondokument. Diese Rettungsaktion begründete Rothmüllers Karriere
in England. In Covent Garden sang er seine großen Favoritrollen wie Rigoletto, Amonasro,
Scarpia, Jochanaan, aber auch den Wozzeck in der dortigen Erstaufführung des Werks seines einstigen Lehrers Alban Berg (1952). In Wagners „Götterdämmerung“ sang er den Gunther, in
Tschaikowskys „Pique Dame“ den Tomsky. Gastspiele führten ihn u.a. an die Pariser Oper
(Amonasro, Faninal), an die Berliner Staatsoper (Nabucco).
1948 trat er bei den Festspielen in Edinbourgh als Guglielmo in „Cosi fan tutte“ auf, er sang
beim Glyndebourne Festival den Grafen in Mozarts „Figaro“ und Guglielmo, Verdis Macbeth
und Carlos („La forza del destino“), Nick Shadow in Strawinskys „The Rake’s Progress“. 1948
bis 1952 wirkte er an der New York City Opera, in den Spielzeiten 1959/60 und 1964/65 gehörte
er der Metropolitan Opera New York an, trat aber dort nur in drei Rollen auf, als Kothner in den
„Meistersingern“, Faninal im „Rosenkavalier“ und Biterolf im „Tannhäuser“.
Ab dem Jahr 1955 nahm Rothmüller eine Professur an der Indiana University in Bloomington
an, gab aber noch bis in die Sechzigerjahre Gastspiele in europäischen Städten. In Bloomington
blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1993.
Aron Marko Rothmüller - so lautete sein vollständiger Name - begann sich unter dem Eindruck
der politischen Lage in Deutschland sehr eingehend mit der Geschichte der jüdischen Musik zu
befassen. Nach zehnjähriger Vorarbeit veröffentlichte er ein Buch, das den Titel trägt: „Die
Musik der Juden. Versuch einer geschichtlichen Darstellung ihrer Entwicklung und ihres
Wesens.“ Erschienen ist das Buch 1951 im Zürcher Pan-Verlag.
Die markante Baritonstimme Marko Rothmüllers trägt deutlich das Signum seines Lehrers
Franz Steiner, der selbst aus der Schule von Johann Ress und Johannes Messchaert hervorgegangen ist. Steiners Tonaufnahmen lassen eine helle, fast tenorale Baritonstimme vernehmen, die
leichte Ähnlichkeit mit jener seines Schülers aufweist.
Mit der Veröffentlichung von Marko Rothmüllers Arien- und Liedaufnahmen wird an einen
bedeutenden, bisher zu wenig gewürdigten Gesangskünstler des Zwanzigsten Jahrhunderts
erinnert.
Clemens Höslinger
Marko Rothmüller
* 31 December 1908 in Trnjani (near Zagreb), † 20 January 1993 in Bloomington
This singer is not easily assigned to any particular country or nation; one might easily call him a
Croatian, Swiss, British or even American artist. And yet Marko Rothmüller was virtually
predestined to occupy an outstanding position in German musical life. That this occurred only in
a roundabout way after many years was due to the fateful conditions of the time. Born in Croatia,
near Zagreb, he received his first musical training at the conservatoire of that city before moving
to Vienna, where the well-known concert singer Franz Steiner (1876-1954) assumed responsibility
for his vocal training. At the same time Rothmüller also studied composition under Alban Berg,
writing several songs as well as symphonic and chamber-music works.
In 1932 he made his operatic debut in Hamburg-Altona, singing Ottokar in Der Freischütz,
which was followed by a number of other lyric baritone roles. When the Nazis came to power in
Germany the following year, any further musical activities were closed to him as a Jewish singer.
Rothmüller returned to Zagreb for two years, and in 1935 accepted an engagement at the
Zurich Opera. He remained there until 1947, and as his voice matured, he became one of the
most valuable members of the ensemble. He was brilliant in Mozart, Wagner and Verdi baritone
roles and was particularly effective in contemporary works. Among his outstanding modern roles
was Truchess von Waldburg in Hindemith’s Mathis der Maler (premiere of the stage version in
1938) as well as important parts in the Swiss premiere of Othmar Schoeck’s Das Schloss Dürande
and Massimilla Doni, the Strauss operas Der Friedenstag and Die schweigsame Frau, Sutermeister’s Romeo und Julia and Die Zauberinsel, and Zemlinsky’s Kleider machen Leute. In
Zurich he sang such Verdi roles as Simon Boccanegra and Miller in Luisa Miller and appeared in
Mussorgsky’s Khovanshchina as Shaklovity. In addition he was highly successful as a concert
and lieder singer. During the Zurich era he made a recording of Schubert’s Winterreise that is
highly prized among collectors as well as a number of other recordings of lieder.
His international career began soon after the war was over. In 1946-1947 Rothmüller was a
member of Vienna’s Staatsoper (performing at the Theater an der Wien and the Volksoper),
where he sang many Italian, German and Russian roles, including Jochanaan, Kurwenal, Figaro
(Rossini), Rigoletto, Germont, Amonasro, Scarpia, Escamillo, Papageno and Prince Igor.
When the Vienna Staatsoper performed at London’s Covent Garden Opera in 1947, Rothmüller
stood in as Jochanaan for Paul Schöffler, who had fallen ill. Of this memorable performance
(with Maria Cebotari in the title role) there is an acoustical recording, which is, however, of
unfortunately poor quality. This “rescue operation” was the basis for Rothmüller’s further career
in England. At Covent Garden he sang his favourite major roles, such as Rigoletto, Amonasro,
Scarpia and Jochanaan, but also appeared as Wozzeck in the London premiere of the work by his
former teacher Alban Berg (1952). He sang Gunther in Wagner’s Götterdämmerung and Tomsky
in Tchaikovsky’s Queen of Spades. Guest appearances also took him to the Paris Opéra (Amonasro, Faninal) and the Berlin Staatsoper (Nabucco), among other places.
In 1948 he appeared at the Edinburgh Festival as Guglielmo in Così fan tutte. At the Glyndebourne
Festival he again sang Guglielmo as well as the Count in Mozart’s Figaro, Verdi’s Macbeth and
Carlos (La forza del destino) and Nick Shadow in Stravinsky’s The Rake’s Progress. From 1948
to 1952 he appeared at the New York City Opera, and in the 1959-1960 and 1964-1965 seasons
he was a member of New York’s Metropolitan Opera. There, however, he appeared in only three
roles: as Kothner in Die Meistersinger, Faninal in Der Rosenkavalier and Biterolf in Tannhäuser.
In 1955 Rothmüller accepted a professorship at Indiana University in Bloomington but continued
to make guest performances in European cities into the 1960s. He lived in Bloomington until his
death in 1993.
Given the impact on his life of the political events in Germany, Aron Marko Rothmüller - his full
name - began a detailed study of the history of Jewish music. After a decade of research his book
The Music of the Jews: An Historical Appreciation was published by Vallentine, Mitchell and Co.
in London in 1953 and in the following year by the Beechhurst Press in New York.
Marko Rothmüller’s striking baritone voice bears evidence of his teacher Franz Steiner, who in
turn was trained by Johann Ress and Johannes Messchaert. Steiner’s recordings reveal a bright,
almost tenor-like baritone voice that has some similarity to that of his pupil.
This release of Marko Rothmüller’s recordings of arias and lieder is a reminder of an important
vocal artist of the 20th century who until now has received too little attention.
Clemens Höslinger
MONO 89705
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