8. Symphoniekonzert S a i s on 2012 20 13 Donald Runnicles Dirigent Emanuel Ax Klavier o r ts w e c h s e l . 8. Symphoniekonzert Saison 2012 2013 Donald Runnicles Dirigent Emanuel Ax Klavier Besuchen Sie den Ort, an dem Automobilbau zu einer perfekten Komposition wird: die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden. w w w.g l a e s e r n e m a n u fa k t u r . d e PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N Donnerstag 7. 3.13 2 0 Uhr Freitag 8 . 3.13 2 0 Uhr S a mstag 9. 3.13 11 Uhr | S emperoper Dres d en 8. Symphoniekonzert Donald Runnicles Dirigent Emanuel Ax Klavier PROGR A MM Edward Elgar (18 5 7-19 3 4) Serenade für Streichorchester e-Moll op. 20 1. Allegro piacevole 2. Larghetto 3. Allegretto Ludwig van Beethoven (17 7 0 -18 2 7 ) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 1. Allegro moderato 2. Andante con moto 3. Rondo. Vivace P a u se Edward Elgar Made in Britain Leider musste Ehrendirigent Sir Colin Davis seine Mitwirkung am 8. Symphoniekonzert aus gesundheitlichen Gründen absagen. Unser Dank gilt Donald Runnicles, der an seiner Stelle das Programm dirigiert, ergänzt um ein weiteres Werk von Edward Elgar: die Serenade op. 20. Beide Kompositionen Elgars, die Streicherserenade und die geheimnisumwobenen »Enigma-Variationen«, stehen unter Donald Runnicles’ Leitung dem vierten Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven gegenüber, mit dem Emanuel Ax als Solist in der Semperoper zu Gast ist. kosten lose Konzertein f ü hr u n g en j e w ei l s 4 5 M in u ten vor B e g inn im O pernke l l er d er S emperoper 2 3 Variationen über ein eigenes Thema op. 36 »Enigma-Variationen« Enigma. Andante (Thema) Var. 1. (C.A.E.) L’istesso tempo Var. 2. (H.D.S-P.) Allegro Var. 3. (R.B.T.) Allegretto Var. 4. (W.M.B.) Allegro di molto Var. 5. (R.P.A.) Moderato Var. 6. (Ysobel) Andantino Var. 7. (Troyte) Presto Var. 8. (W.N.) Allegretto Var. 9. (Nimrod) Adagio Var. 10. (Dorabella) Intermezzo. Allegretto Var. 11. (G.R.S.) Allegro di molto Var. 12. (B.G.N.) Andante Var. 13. (***) Romanza. Moderato Var. 14. (E.D.U.) Finale. Allegro 8. SYMPHONIEKONZERT Donald Runnicles Dirigent »I ch denke, Kunst kann uns helfen, das Leben, unsere Welt besser zu verstehen«, sagt Donald Runnicles. Da überrascht es sicher kaum, dass neben dem Konzert auch und gerade die Oper einen entscheidenden Platz in seiner künstlerischen Arbeit einnimmt. »Eine gute Balance«, bekannte er in einem Interview, »zwischen der Oper, dem Symphoni­schen und der Kammermusik ist mir wichtig.« Ablesbar ist dies nicht zuletzt an den Positio­ nen, die er aktuell bekleidet: Seit 2009 ist Runnicles General­musikdirektor der Deutschen Oper Berlin, auch trat er im selben Jahr als Chefdirigent an die Spitze des BBC Scottish Symphony Orchestra, das in Glasgow beheimatet ist. Daneben wirkt er seit 2005 im amerikanischen Wyoming als Musikdirektor des Grand Teton Music Festival, als Gastdirigent ist er seit 2001 dem Atlanta Symphony Orchestra verbunden. Seinen Einstand am Pult der Sächsischen Staatskapelle gab Donald Runnicles 1996 mit einem Wagner-Programm, das das »Siegfried-Idyll« mit orchestralen Auszügen aus dem »Ring« kombinierte und auf CD dokumentiert ist. 2005 kehrte der Schotte für ein Mozart-Sonderkonzert, 2009 für Aufführungen von Wagners »Tristan« in die Semperoper zurück. Auch seine derzeitigen Auftritte in Berlin im Wagner-Jahr stehen ganz im Zeichen des großen Musikdramatikers und einstigen Dresdner Hofkapellmeisters: Über die Neuproduktionen von Wagners »Parsifal« und Brittens »Peter Grimes« hinaus ist Runnicles an seinem Haus u.a. im »Lohengrin«, »Tristan« und »Tannhäuser« zu erleben, dazu dirigierte er Verdis »Otello« und Berlioz’ »Les Troyens«. Seine Karriere begann Donald Runnicles, der in seiner Heimatstadt Edinburgh und in Cambridge studierte, in Deutschland. Er war Korrepetitor in Mannheim und assistierte bei den Bayreuther Festspielen, ehe er zum Generalmusikdirektor in Freiburg berufen wurde. Nachdem er 1988 sein gefeiertes USA-Debüt an der New Yorker MET gegeben hatte, übernahm er 1992 das Amt des Musikdirektors der San Francisco Opera, an der er in den 17 Jahren seines Wirkens mehr als 60 Produktionen leitete. Donald Runnicles ist gern gesehener Gast der bedeutendsten Or­ ches­ter, Opernhäuser und Festivals, von den Berliner Philharmonikern bis zum London Symphony und dem Philadelphia Orchestra, von der Mailänder Scala bis zur Wiener Staatsoper, von den Bay­reuther und Salzburger Festspielen bis zum Glyndebourne Festival. Die University of Edinburgh, das San Francisco Conservatory of Music und die Royal Scottish Academy of Music and Drama ernannten ihn zum Ehrendoktor, 2004 wurde ihm von Queen Elizabeth II. der »Order of the British Empire« verliehen. 4 5 8. SYMPHONIEKONZERT Edward Elgar * 2 . J u ni 18 5 7 in B roa d he ath bei Wor c ester † 2 3 . Febr ua r 19 3 4 in Wor c ester Serenade für Streichorchester e-Moll op. 20 1. Allegro piacevole 2. Larghetto 3. Allegretto entsta n d en B esetz u n g zwischen 31. März und 13. Mai 1892 Violinen 1, Violinen 2, Bratschen, Violoncelli, Kontrabässe GEWIDMET Walther H. Whinfield, Sohn von Edward W. Whinfield, dem Chef einer Orgelbaufirma und Förderer des jungen Elgar Ver l ag Breitkopf & Härtel, Wiesbaden/Leipzig Dau er u r au f g e f ü hrt in Teilen am 18. Mai 1892 in Worcester (Worcester Ladies’ Orchestral Class, Dirigent: Edward Elgar); vollständig am 23. Juli 1896 in Antwerpen 6 7 ca. 12 Minuten Frühe Melancholie Edward Elgars Streicherserenade op. 20 E dward Elgar galt dem Kollegen Richard Strauss als der »Vorwärtsmann« der englischen Musik, der Dirigent Hans Richter bezeichnete die erste Symphonie des Briten, die er 1908 uraufführte, als »die größte Symphonie unserer Zeit, die vom bedeutendsten heute lebenden Komponisten geschrieben wurde«. Elgars Ruhm war groß. Das britische Königshaus versorgte er mit Musik, das Trio des ersten seiner »Pomp and Circumstance Marches« op. 39 wurde mit dem Text »Land of Hope and Glory« zur inoffiziellen zweiten Nationalhymne. Der König schlug ihn 1904 zum Ritter und ernannte ihn 1924 zum »Master of the King’s Musick«. Auch im Ausland war Elgar erfolgreich, vor allem in Deutschland, dessen Musikkultur es ihm angetan hatte. Schumann und Brahms, Wagner und Strauss waren Vorbilder für ihn; seine spätromantische Musik steht aber auch in der Tradition der englischen Chor- und Orgelmusik. Elgar schrieb Oratorien, zwei Symphonien, Konzerte, Orches­ terstücke. Er war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein Natio­ nalheld, er ist Englands bekanntester Komponist zwischen Henry Purcell und Benjamin Britten – und doch wird er heute in weiten Teilen verkannt. Die Einschätzungen seines Rangs gehen weit auseinander, oft interessiert die Musik dabei weniger als Elgars Stellung zur englischen Musikszene oder seine Persönlichkeit. Widersprüche prägen sein Schaffen: leichte Salonmusik hier, Monumentales für die Krone dort, Symphonien und Märsche, innere Zerrissenheit und Fassade. Er war ein Komponist des Übergangs; die Symphonie war nicht mehr die alles überragende Gattung, die Tonalität büßte ihre Verbindlichkeit ein, Atonalität, Neoklassik und Zwölftonmusik zogen am Horizont auf. Sein Violoncellokonzert aus dem Jahr 1919: ein Abgesang auf das British Empire. Plumpes Auftrumpfen ist 8. SYMPHONIEKONZERT seiner Musik fremd, der äußerliche Prunk und der Hurra-Patriotismus mancher Werke treffen nicht ihren Kern. Rastlosigkeit und Nervosität sind seiner Musik eingeschrieben und machen ihre Modernität aus. Dies mag man bereits aus der frühen Serenade für Streicherorchester op. 20 heraushören – aus der emotionalen Unruhe dieser Musik, aus den drängenden Aufschwüngen des ersten Satzes. Komponist im Selbststudium Elgar stammte aus einem Dorf bei Worcester in den West Midlands, südlich von Birmingham. Musik lernte er im Musikalienladen seines Vaters kennen – und über das Musizieren. Sein Ausbildungsweg führte an den Institutionen vorbei, der Besuch des renommierten Konservatoriums in Leipzig war zu teuer. »Als ich mich entschieden hatte, Musiker zu werden, und feststellte, dass die Lebensumstände mich daran hindern würden, blieb mir nur übrig, mich selbst zu unterweisen«, erinnerte er sich. »Ich sah und lernte einen Großteil über Musik durch die Flut an Musikstücken, die durch die Firma meines Vaters gingen. Ich las alles, spielte alles und hörte alles, was ich bekommen konnte. Ich bin ein Autodidakt auf dem Gebiet der Harmonie, des Kontrapunkts, der Form und, kurz gesagt, bei allem, was das ›Geheimnis‹ der Musik ausmacht.« Bald war Elgar eine lokale Größe: Er spielte Violine in Worcesters Philharmonischem Orchester und trat als Arrangeur und Begleiter, als Komponist und Dirigent in Erscheinung. Aber die Musik, die er arrangierte und komponierte, war vorrangig leichte Unterhaltungsmusik. In London versuchte er Fuß zu fassen, ohne Erfolg, mit seiner Frau zog er 1891 zurück in die Provinz. Ab dem Jahr 1890 aber machte sein Komponieren einen qualitativen Sprung. Der Anspruch stieg, die Anerkennung wuchs. Neben der Konzertouvertüre »Froissart« stammt die Streicherserenade aus dieser Zeit. Da er selbst Geiger war, richtete er viele seiner frühen Kompositionen auf die Kammermusik für Streicher aus; auch hatte er sich an einem Streichquartett versucht (war über den Anfangsteil, die Exposition, aber nicht hinausgelangt). Lyrisches Empfinden Mit »Serenade« (abgeleitet von »sera«, dem italienischen Wort für »Abend«) waren ursprünglich Kompositionen gemeint, die nicht für die Kirche, die Kammer oder die Bühne bestimmt waren: Tafel- und Ständchenmusiken. Das 18. Jahrhundert brachte auf diesem Gebiet Werke hervor, die noch heute auf den Konzertprogrammen stehen, etwa Mozarts »Serenata notturna« KV 239, die in ihrem Kunstcharakter weit über bloße Gebrauchsmusik hinausweist, 8 9 E dwa r d E lg a r Um d ie Ja hrh u n d ert w en d e , in d er Z eit d er E ntsteh u n g d er strei c her S eren a d e u n d d er » E ni g m a -va ri ationen « 8. SYMPHONIEKONZERT oder seine späte »Kleine Nachtmusik« KV 525. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Serenade eine beliebte Gattung; ein bedeutender Nachzügler ist Max Regers Opus 95 aus dem Jahr 1906. Man­ che Komponisten wie Johannes Brahms in seiner zweiten (und geigen­ losen) Serenade op. 16 machten aus ihr geradezu eine »Symphonie im Taschenformat«. Das schwebte Elgar nicht vor. Er komponierte seine kurze Serenade für Streicherorchester (mit zweigeteilten Violinen), die Tonart ist e-Moll. Das Werk basiert möglicherweise auf den »3 Pieces for String Orchestra«, die 1888 entstanden und verlorengingen. In den drei Sätzen steht das lyri­ sche Empfinden im Vordergrund. Die Faktur ist einfach; die wenigen Ansätze von polyphoner Verschränkung der Stimmen sind stets in das Melos, in den melodischen Verlauf eingebunden, so zu Beginn des zweiten Satzes mit seinen versetzten Aufgängen. Die Serenade beschwört eine gedämpfte, verhaltene Stimmung. Weite Bögen bestimmen das eröffnende »Allegro piacevole«, feingliedrig ist das finale »Allegretto«. Der Schwerpunkt liegt aber auf dem »Larghetto« in der Mitte mit seinen sehnenden Vorhalten; besonders ausdrucksvoll ist hier die Melancholie. EMANUEL AX & DIE STAATSKAPELLE DRESDEN BEI SONY MUSIC EMANUEL AX VARIATIONEN HAYDN Er ist einer der führenden Pianisten unserer Zeit. Auf seiner neuen Solo-CD spielt Emanuel Ax Ludwig van Beethovens „Variationen und Fuge für Klavier in Es-Dur“, Joseph Haydns „Andante mit Variationen in f-Moll“ und Robert Schumanns „Symphonische Etüden“. „Herr Ax spielt mit Anmut und herrlicher Farbigkeit … Ein berauschender Auftritt“ New York Times Emanuel Ax’ Einspielungen der Klaviersonaten von Joseph Haydn wurden 2004 mit einem Grammy ausgezeichnet. In der Reihe „Sony Classical Masters“ ist eine 4 CD-Edition erschienen, die ausgewählte Klaviersonaten und mehrere Konzerte für Klavier und Orchester von Haydn enthält, die Ax mit dem Franz Liszt Chamber Orchestra aufgenommen hat. Freude an der Verrätselung Bis ins hohe Alter fühlte sich Elgar als Außenseiter: Zur einfachen Herkunft vom Land und fehlenden akademischen Ausbildung kam hinzu, dass er katholisch war im anglikanischen England. Er passte sich an; der oft an sich selbst zweifelnde Gentleman trat auf wie ein Landjunker. Dass seine Frau Caroline Alice, die er 1889 heiratete, einem höheren Stand angehörte, vertiefte seine Minderwertigkeitsgefühle. Die Serenade arrangierte Elgar für Klavier zu vier Händen, in der Überschrift dieser Fassung nannte er seine Frau bei ihrem deutschen Spitznamen: »Braut May 13: 1892« – und schrieb dankbar dazu: »Braut helped a great deal to make these little tunes« (»... half bei diesen kleinen Melodien fleißig mit«). Nach ihrem Tod 1920 komponierte er kaum noch; erst 1932/1933, ein Jahr vor seinem eigenen Tod, nahm er eine dritte Symphonie in Angriff. Die Verbindung zwischen Leben und Werk ist eng. Elgar kompo­ nierte seine Befindlichkeit in die Musik hinein, mit Freude an der Verrätselung – offenbar hatte er, um ein Wort des jungen Thomas Mann abwandelnd heranzuziehen, die diskreten Formen gefunden, in denen er mit seinen Erlebnissen und Gefühlen unter die Leute gehen konnte. Rätsel liegen auch in der Orchesterkomposition, mit der ihm im Alter von 37 Jahren der Durchbruch gelang: die »Variations on an Original Theme« op. 36, die sogenannten »Enigma-Variationen«. NIKOLAJ ZNAIDER & STAATSKAPELLE DRESDEN ELGAR Die Einspielung von Elgars berühmtem Violinkonzert zum 100-jährigen Jubiläum, welches der Komponist auf Anregung des berühmten Geigers Fritz Kreisler schrieb. Nikolaj Znaider bringt das Original-Instrument, auf dem Kreisler 1910 die Uraufführung in London spielte, virtuos zum Klingen. Mit der Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Sir Colin Davis. Dennis R oth 10 11 www.sonymusicclassical.de Ludwig van Beethoven * (g etau f t ) 17. Dezember 17 7 0 in B onn † 2 6 . M ä rz 18 2 7 in Wien Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 1. Allegro moderato 2. Andante con moto 3. Rondo. Vivace entsta n d en B esetz u n g Skizzen 1803 / 1804, Ausarbeitung 1805 / 1806 in Wien Klavier solo, Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher Ge w i d met Ver l ag Beethovens Schüler und Gönner Erzherzog Rudolph von Österreich (1788-1831) Breitkopf & Härtel, Wiesbaden/Leipzig Dau er u r au f g e f ü hrt nach einer Voraufführung im März 1807 (im Palais Lobkowitz in Wien) am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien (Solist: Ludwig van Beethoven) 12 13 ca. 35 Minuten Musizieren zur Besänftigung der Furien Ludwig van Beethovens viertes Klavierkonzert A ngesichts der »Ränke und Kabalen und Niederträchtigkeiten aller Art«, mit denen sich Ludwig van Beethoven konfrontiert sah, spielte er seit Ende 1808 ernsthaft mit dem Gedanken, Wien zu verlassen, wie er dem Verlag Breitkopf & Härtel mitteilte: »… auf einen Antrag Seiner königlichen Majestät von Westphalen gehe ich als Kapellmeister mit einem jährlichen Gehalt von 600 Dukaten in Gold dahin ab – ich habe eben heute meine Zusicherung, daß ich komme, auf der Post abgeschikt, und erwarte nur noch mein Dekret, um hernach meine Anstalten zur Reise, welche über Leipzig gehen soll zu treffen … Es werden vieleicht von hier wieder Schimpfschriften über meine lezte Musikalische Akademie an die Musikalische Zeitung gerathen; ich wünschte eben nicht, daß man alles unterdrücke, was gegen mich; jedoch soll man sich nur überzeugen, daß Niemand mehr persönliche Feinde hier hat als ich; dies ist umso begreiflicher, da der Zustand der Musik hier immer schlechter wird«. Aus diesem Brief, den Beethoven am 7. Januar 1809 nach Leipzig sandte, sprechen Wut und Enttäuschung. Das Konzert, die »Musi­ kalische Akademie«, auf die er sich bezog, hatte am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien stattgefunden, und dass Beethoven den Misserfolg nicht leicht verwinden konnte, ist verständlich: Immerhin ging es um die Uraufführung seiner fünften und sechsten Symphonie, der Chorfantasie op. 80 sowie des vierten Klavierkonzerts. Gerade dieses Marathonprogramm – es beinhaltete außerdem noch Teile der C-Dur-Messe und die Konzertarie »Ah! Perfido« – war aber mitverantwortlich für die reservierte Aufnahme. Das Wiener Publikum konnte eine solch geballte Ladung neuartiger und schwerer Kompositionen nicht angemessen aufnehmen, und selbst wohlmeinende Kollegen wie der Musik­ schriftsteller und Komponist Johann Friedrich Reichardt waren ratlos. 8. SYMPHONIEKONZERT Reichardt berichtet von der denkwürdigen Veranstaltung: »Da haben wir denn auch in der bittersten Kälte von halb sieben bis halb elf ausgehalten, und die Erfahrung bewährt gefunden, daß man des Guten – und mehr noch, des Starken – leicht zu viel haben kann. Ich mochte aber dennoch so wenig, als der überaus gutmüthige, delikate Fürst, dessen Loge im ersten Range ganz nahe am Theater war, auf welchem das Orchester und Beethoven diri­ girend mitten darunter, ganz nahe bei uns stand, die Loge vor dem gänzlichen Ende des Konzerts verlassen, obgleich manche verfehlte Ausführung unsre Ungeduld in hohem Grade reizte.« Man fragt sich, warum Beethoven seinen Zuhörern solche Strapazen zumutete, statt seine Uraufführungen auf das ganze Jahr zu verteilen. Die Antwort ist einfach: Nur zwei Tage vor Weihnachten und Ostern durften die Wiener Theater ihre Räumlichkeiten für solche aufwändigen Autorenkonzerte zur Verfügung stellen, und natürlich gab es außer Beethoven noch andere Bewerber um diese Termine. So war das Chaos fast schon vorprogrammiert, auch dürfte der wenig diplomatische Beethoven seinen Teil zu den Reibereien mit den Musikern beigetragen haben. Die Akademie am 22. Dezember 1808 sollte sein letzter öffentlicher Auftritt als Pianist sein, die zunehmende Schwerhörigkeit machte ihm zu schaffen. Was auch immer zu dem Desaster geführt hatte – die Programmlänge, die Kälte im Saal, die mangelhafte Ausführung, vielleicht auch Intrigen –, Beethoven wollte Wien jedenfalls den Rücken kehren und eine Anstellung in Kassel bei König Jérôme Bonaparte von Westfalen annehmen. Das wurde jedoch verhindert durch den Einsatz dreier adeliger Gönner, die dem Komponisten gemeinsam eine jährliche Rente von 4000 Gulden bereitstellten, wenn er nur in Wien bliebe. Zwei von ihnen hatten im übrigen einen besonderen Bezug zum vierten Klavierkonzert: Fürst Joseph Franz Max von Lobkowitz, in dessen Loge Reichardt so gefroren hatte, ermöglichte im März 1807 in seinem Palais eine nichtöffentliche Voraufführung des 1805/1806 komponierten Werkes; Erzherzog Rudolph von Österreich ist der Widmungsträger. Gipfelwerk der Gattung Dass das vierte Klavierkonzert zu den Gipfelwerken der Gattung zählt, erkannte die Musikwelt schon bald. Die »Allgemeine Musikzeitung« nannte es nach der Leipziger Aufführung im April 1809 das »wunderbarste, eigentümlichste, künstlichste und schwierigste von allen Beethovenkonzerten«. Die Größe der Komposition liegt nun allerdings nicht in der virtuosen Brillanz des Soloparts oder dem heroischen Tonfall, der manches frühere Werk prägte. Die Klavierstimme ist vielmehr besonders eng mit dem Orchester verwoben, durch das ganze Stück hindurch herrscht ein zarter, poetischer Grundton vor. Dieser zeigt sich schon zu Beginn des ersten Satzes: Hier war 14 15 B eethov en a l s O rphe u s in a rk a d is c her L a n d s c h a f t, P ortr ät von Wi l l ibror d Joseph M ä h l er (18 0 4 /18 0 5) Der zweite Satz des vierten Klavierkonzerts, in dem sich Solist und Orches­ ter anfangs in größtem Kontrast gegenüberstehen, wurde – in Anlehnung an Glucks Oper »Orfeo ed Euridice« – in seinem Verlauf häufig bildhaft gedeutet: Orpheus (Klavier) besänftigt durch seinen göttlichen Gesang die Furien (Orchester), um in den Hades zu gelangen und seine Geliebte Eurydike wiederzusehen. 8. SYMPHONIEKONZERT der zeitgenössische Hörer auf eine rauschende Einleitung des ganzen Orchesters eingestellt, dem üblicherweise der große Soloauftritt des Pianisten folgte. Beethoven dagegen lässt das Klavier beginnen. Und gegen jede Erwartung gönnt er sich keinen virtuos auftrumpfenden Einstieg, sondern setzt ein in einem verhaltenen »piano dolce«. Der Satz enthält noch weitere subtile Überraschungseffekte: So bildet die erste Klavierphrase eine fünftaktige statt der üblichen viertaktigen Periode. Und die Streicher antworten auf diese G-Dur-Eröffnung des Solisten in der unerwarteten Tonart H-Dur, um dann gleich in andere Tonarten zu modulieren. Das zweite Thema beginnt nicht etwa auf der konventionellen Dominante, sondern in a-Moll – und in dieser Art geht es weiter. Leicht könnte eine solche Ansammlung origineller Ideen gekünstelt wirken, und das warfen die Zeitgenossen Beethovens früheren Werken tatsächlich oft vor. In diesem Werk jedoch scheint sich alles wie von selbst zu ergeben, der lange Kopfsatz gewinnt durch zahlreiche motivische Zusammenhänge Einheit und wirkt dennoch nicht konstruiert, sondern organisch wie eine große Improvisation. Noch ungewöhnlicher als der Kopfsatz ist allerdings das folgende »Andante con moto«. Klavier- und Orchesterpart sind vollkommen gegensätzlich gestaltet und voneinander getrennt: Weich und melodisch scheint das Klavier zu flehen, gleichbleibend starr in Rhythmus und Tongebung antworten die Streicher. Dieser kontrastbetonte Aufbau hat nichts mit den üblichen Formen eines langsamen Satzes zu tun – etwa Lied- oder Varia­ tionsform –, sondern ähnelt eher einer Opernszene. So ist es kein Wunder, dass Musikgelehrte bald nach Beethovens Tod ein geheimes außermusikalisches Programm hinter dem Andante vermuteten. Vor allem die Sage von Orpheus wurde seit Adolph Bernhard Marx’ Beethoven-Biografie (1859) immer wieder angeführt. Das Klavier soll angeblich den großen Sänger darstellen, der sich durch die Macht seiner Musik den Zugang zur Unterwelt ertrotzt. Ganz abwegig ist diese Vorstellung nicht, schließlich lösen sich am Ende des Satzes die harten Linien der Streicher in weichere Harmonien auf – die Furien sind besänftigt. Nach der Reduktion auf die Streicherbesetzung im Mittelsatz bringt das Finale erstmals das gesamte Orchester zum Einsatz – einschließlich der Trompeten und Pauken, die Beethoven im ersten Satz ausgespart hatte. Zwar gibt auch hier der unerwartete Beginn in C-Dur (anstelle der Grundtonart G-Dur) den Anstoß zu mancherlei harmonischen Komplikationen, aber insgesamt hält sich das Finale noch am ehesten an die Konzert-Konvention der Zeit: Es hat Rondo-Form, gibt dem Solisten Gelegenheit zu virtuoser Entfaltung und zeigt in seinem lebhaften Tempo und den prägnanten Moti­ ven den gewohnten Kehraus-Charakter eines Schlusssatzes. J ü r g en O stm a nn 16 17 Wertsteigerung + Musikfreude pur ein Leben lang Comeniusstr. 99 - 01309 Dresden Tel.: 0351-268 95 15 - Fax: 0351-268 95 16 Flügel - Klaviere - Digitalpianos [email protected] - www.piano-gaebler.de Emanuel Ax Klavier S eit mehr als drei Jahrzehnten gehört Emanuel Ax zur Elite seiner Zunft. »Seine große Bedeutung, seine überwältigende Autorität als Musiker, als technisch begnadeter Pianist und als forschender Intellekt ist sofort spürbar, wenn er zu spielen beginnt. In wenigen Minuten ist man völlig gefangen genommen von der Intensität und pianistischen Leistung«, schrieb die Los Angeles Times über Emanuel Ax, der nicht nur als Interpret der klassisch-romantischen Literatur geschätzt wird. Sein Repertoire erstreckt sich auch auf die Moderne oder die Musik eines Astor Piazzolla und schließt Uraufführungen u.a. von John Adams, Krzysztof Penderecki und Thomas Adès ein. Geboren im ukrainischen Lwiw, fand Emanuel Ax über die Station Warschau und das kanadische Winnipeg in New York eine zweite Heimat. Der Gewinn des Rubinstein-Wettbewerbs in Tel Aviv markierte 1974 den Auftakt seiner internationalen Karriere, die ihn regelmäßig mit den großen US-Orchestern und in Europa mit Klangkörpern wie den Berliner Philharmonikern, dem Koninklijk Concertgebouworkest Amsterdam und immer wieder auch mit der Sächsischen Staatskapelle zusammenführt. 2003 war Emanuel Ax unter Yakov Kreizberg erstmals bei der Staatskapelle zu Gast, 2005 ging er mit dem Orchester unter Myung-Whun Chung auf eine USA-Tournee, 2009 reiste er mit Fabio Luisi und der Kapelle nach Wien, Hongkong, Shanghai und Seoul. Als »Artist in Residence« des New York Philharmonic Orchestra in dieser Spielzeit ist Emanuel Ax im berühmten Lincoln Center in einer Reihe von Konzerten mit Werken von Bach bis zu Christopher Rouse zu erleben, zudem wird er mit dem Orchester unter Alan Gilbert in mehreren europäi­ schen Metropolen auftreten. Daneben verzeichnet sein Terminplan in dieser Saison Gastspiele u.a. bei den Orchestern in Zürich, Madrid, Stockholm, Los Angeles, St. Louis, Atlanta, Indianapolis, Washington und Pittsburgh. Einen Schwerpunkt in den künstlerischen Aktivitäten von Emanuel Ax bilden Recitals und die Kammermusik. Er war langjähriger Duopartner von Isaac Stern und musiziert gemeinsam mit dem Cellisten Yo-Yo Ma sowie mit den Geigern Jaime Laredo und Itzhak Perlman. In wenigen Wochen gastiert Emanuel Ax mit Leonidas Kavakos im Wiener Musikverein, mit Frank Peter Zimmermann ist er in Deutschland auf dem Konzertpodium zu hören. Seine Aufnahmen Haydn’scher Klaviersonaten wurden mit Grammys ausgezeichnet, mehrfach erhielt Emanuel Ax den begehrten Preis auch für seine mit Yo-Yo Ma vorgelegten Einspielungen der Sonaten für Violoncello und Klavier von Beethoven und Brahms. 18 19 8. SYMPHONIEKONZERT Edward Elgar * 2 . J u ni 18 5 7 in B roa d he ath bei Wor c ester † 2 3 . Febr ua r 19 3 4 in Wor c ester Von Doggen, Jägern und Helden Edward Elgars »Enigma-Variationen« Variationen über ein eigenes Thema op. 36 »Enigma-Variationen« B Enigma. Andante (Thema) Var. 1. (C.A.E.) L’istesso tempo Var. 2. (H.D.S-P.) Allegro Var. 3. (R.B.T.) Allegretto Var. 4. (W.M.B.) Allegro di molto Var. 5. (R.P.A.) Moderato Var. 6. (Ysobel) Andantino Var. 7. (Troyte) Presto Var. 8. (W.N.) Allegretto Var. 9. (Nimrod) Adagio Var. 10. (Dorabella) Intermezzo. Allegretto Var. 11. (G.R.S.) Allegro di molto Var. 12. (B.G.N.) Andante Var. 13. (***) Romanza. Moderato Var. 14. (E.D.U.) Finale. Allegro entsta n d en B esetz u n g zwischen 21. Oktober 1898 und 19. Februar 1899, Erweiterung des Finales und kleinere Revisionen bis Oktober 1899 2 Flöten (2. auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontra­ fagott, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Orgel, Streicher Ge w i d met »To my friends pictured within« Ver l ag Chester Novello, London u r au f g e f ü hrt am 19. Juni 1899 in der Londoner St. James’s Hall (Dirigent: Hans Richter) 20 21 Dau er ca. 32 Minuten edeutende Orchestermusik aus England? Zweifellos hätte diese Frage Ende des 19. Jahrhunderts selbst in musikkundigen Kreisen einiges Stirnrunzeln hervorgerufen – galt das britische Königreich doch als Land mit einem entscheidenden Mangel. Ein Mangel, so formulierte es der deutsche Schriftsteller und Gesellschaftskritiker Oscar Adolf Hermann Schmitz 1904 in einem vieldiskutierten Essay, der »die Engländer von allen anderen Kulturvölkern in geradezu erstaunlichem Maß unterscheidet«, nämlich: das einzige Kulturvolk ohne eigene Musik zu sein. Ebendies hatte der Musikforscher Carl Engel schon 1866 konstatiert, und Heinrich Heine war es, der in einem Aufsatz über Shakespeare stichelte, es gebe »auf Erden nichts Schrecklicheres (als) die englische Tonkunst«. So polemisch dies formuliert sein mochte – das Schlagwort vom »Land ohne Musik« war um 1900 ein Gemeinplatz, und das boshafte Etikett blieb haften bis in unsere Tage. Erschwerend kam für die englische Musik hinzu, dass die ehrwürdigen Gattungen der Symphonie und des Solokonzerts, also zwei zentrale Formen der abendländischen Musiktradition, seit Haydn und Mozart als Domäne deutscher und österreichischer Komponisten angesehen wurden. Insbesondere die symphonischen Gipfelwerke Beethovens waren für nahezu alle Musiker der Romantik zum Maßstab, ja zu fast unerreichbaren Vorbildern geworden. Zwar hatten mit Berlioz, Tschaikowsky und Dvořák auch andere europäische Nationen bedeutende Symphoniker hervorgebracht; die deutsch-österreichische Dominanz in diesem Bereich war dennoch durch Komponisten wie Schubert, Mendelssohn, Schumann und später Brahms, Bruckner und Mahler eher noch untermauert worden. Britische Komponisten spielten dagegen auf dem Gebiet der Orches­ termusik praktisch keine Rolle. Das änderte sich erst, als in den Jahren vor 1900 ein bis dahin international kaum bekannter Engländer namens Edward Elgar gleich mit zwei Werken sensationelle Erfolge erringen konnte: mit seinem Oratorium »The Dream of Gerontius« op. 38 (»Der Traum des Gerontius«) und zuvor schon mit seinen »Enigma-Variationen« für Orchester op. 36. 8. SYMPHONIEKONZERT Endlich schien da, nach langer Durstzeit, doch noch ein würdiger Nachfolger gefunden für den großen Henry Purcell (1659-1695), dessen Schaffen gut 200 Jahre zuvor einen einsamen Höhepunkt in der Musik des frühbaro­ cken 17. Jahrhunderts bedeutete hatte – ein Leuchtfeuer, das damals weit über die britischen Inseln hinaus bis auf das europäische Festland ausgestrahlt hatte. Nun betrat mit Elgar ein Komponist den Schauplatz, der nicht nur den viktorianischen Geist seiner Epoche und des späten Empire in Vollendung verkörperte, sondern der weit darüber hinaus auch schöpferisch imstande war, eine eigenständige englische Musiktradition zu begründen. Eine Tradition, so darf man hinzufügen, von mehr als bloß regionaler oder vorübergehender Geltung, die das wenig schmeichelhafte Klischee vom »Land ohne Musik« ein für allemal widerlegen sollte. Tatsächlich adelte ausgerechnet der international gefeierte Zeitgenosse Richard Strauss, sonst nicht eben für überschwängliches Kollegenlob bekannt, den englischen Hoffnungsträger schon kurz nach dessen triumphalem Einstand auf der Konzertbühne mit der anerkennenden Feststellung, Elgar sei der »fortschrittlichste« Komponist seines Landes. Und Strauss ging noch einen Schritt weiter, indem er erklärte, nun endlich habe England einen Platz unter den Musiknationen Europas eingenommen. Mit seinen beiden Symphonien in As-Dur op. 55 und Es-Dur op. 63, die in den Jahren 1908 und 1911 vollendet wurden, ging Elgar dann endgültig als eigenständiger Symphoniker in die Musikgeschichte ein. Einen ähnlich maßgebli­ chen Rang nehmen sein Violinkonzert op. 61 von 1909/1910 und das späte, 1919 vollendete Violoncellokonzert op. 85 für die Konzertgattung ein. Im Fokus: Elgars Freundeskreis Ge f eierter Komponist d es empire : E dwa r d E lg a r , tr äg er d es » O r d er o f M erit« (1911) Die »Enigma Variations«, die Elgar schlagartig in das Scheinwerferlicht der Musikwelt katapultierten, erklangen am 24. Februar 1905 unter Kapellmeis­ ter Adolf Hagen erstmals bei der Dresdner Hofkapelle. »Daß Elgar hochgeschätzt wird, findet man nach dem hier vorgeführten Werke durchaus begreiflich«, schrieb der Dresdner Anzeiger. Elgar selbst nahm, begeistert vom Medium Schallplatte, die Variationen 1926 als Dirigent mit dem Royal Albert Hall Orchestra auf – ein Tondokument, das auf CD noch immer erhältlich ist. 22 23 Die »Variations on an Original Theme«, allgemein unter dem Titel »Enigma Variations« bekannt, sind gleich in mehrfacher Hinsicht ein Hauptwerk der englischen Romantik. Sie stehen wie kaum ein zweites für das Selbstverständnis, aber durchaus auch für den charakteristischen Spleen jener Epoche, in der das britische Empire buchstäblich die Welt beherrschte. Das Stück zeigt Elgar sowohl handwerklich wie auch im Hinblick auf seine kompositorische Originalität auf Augenhöhe mit der Variationskunst eines Johannes Brahms, mit dem Elgar auch stilistisch zu Recht oft verglichen wird. Zugleich treibt Elgar – wir sind im durch und durch romanhaften, meist nebelverhangenen London eines Charles Dickens, eines Arthur Conan Doyle und seiner Detektivfigur Sherlock Holmes – mit den Hörern ein ebenso geistreiches musikalisch-literarisches Rätselspiel. Den entscheidenden Hinweis zum Verständnis gibt die offizielle Widmung des Werkes: »To my friends pictured within«. Tatsächlich hat Elgar in den 14 Variationen Porträts seiner engen Freunde gezeichnet, die 8. SYMPHONIEKONZERT Namen aber sorgsam hinter Initialen verborgen. Bei der Uraufführung, die Elgar über Nacht berühmt machte, rätselte man genüsslich über die Identität der Porträtierten; inzwischen ist dieses »Enigma« jedoch zweifelsfrei geklärt. So malt Elgar in der ersten Variation (»C.A.E.«) das Bild seiner Frau Alice und integriert dabei eine Melodie, die er gern als Erkennungssignal pfiff, wenn er nach Hause kam. Die zweite Variation (»H.D.S-P.«) karikiert mit ihren Tonleiterkaskaden das etwas pedantische Klavierspiel von Elgars Kammermusikpartner Hew David Steuart-Powell. Die dritte Variation (»R.B.T.«) ist dem Schauspieler Richard Baxter Townshend gewidmet, der nicht nur – gut nachhörbar – durch die Registervielfalt seiner Stimme auffiel, sondern auch gerne Dreirad fuhr! Ein ähnliches Kabinettstückchen ist die vierte Variation (»W.M.B.«), die William Meath Baker als lautstarken, extrovertierten Gutsbesitzer vorstellt und genauso endet, wie Baker oft den Raum zu verlassen pflegte – indem er die Tür zuschlug! Nicht weniger humorvoll ist das Porträt des Dichtersohnes Richard Penrose Arnold in der fünften Variation (»R.P.A.«), dessen tiefschürfende Ausführungen immer wieder durch Scherzeinwürfe der Flöten unterbrochen werden. Die sechste Variation (»Ysobel«) imitiert das schwerfällige Bratschenspiel von Isabel Fitton, einer Viola-Schülerin Elgars – klingen die ersten drei Töne der Variation nicht arg nach Strichübungen? Der Hinweis »Troyte« bei der siebten Variation bezieht sich auf Arthur Troyte Griffith, einen Architekten und Amateurpianisten, mit dem Elgar einst auf einem Spaziergang in ein Gewitter geraten war; die Freunde retteten sich damals in das Haus von William und Winifred Norbury, dessen stilvolle Eleganz folgerichtig in der achten Variation (»W.N.«) dargestellt wird. Besonders originell ist die Verschlüsselung der neunten Variation: Die Bibel bezeichnet »Nimrod«, den legendären Urheber des Turmbaus zu Babel, als »gewaltigen Jäger vor dem Herrn«. Der engste Freund und Förderer Elgars hieß August Jaeger und soll dem Komponisten aus einer Schaffenskrise geholfen haben, indem er ihn »bei einem langen Sommer­ abendgespräch« an seiner Begeisterung für die langsamen Sätze in Beethovens Klaviersonaten teilhaben ließ – was man Elgars Musik anhört. In keiner anderen Passage des Variationszyklus wird obendrein so deutlich, dass die ersten vier Töne des Hauptthemas, das hier zu hymnischer Monumentalität gesteigert wird, den Sprachfall des Namens »Edward Elgar« nachbilden. Ein erneuter Fingerzeig auf den durch und durch autobiografischen Charakter des Werkes. Darauf bezieht sich vermutlich auch ein kryptischer Hinweis Elgars, in dem Stück gebe es ein weiteres Thema, das sich unterschwellig durch das gesamte Werk ziehe, aber nie erklinge (»through and over the whole set another and larger theme ›goes‹ but it is not played«). Für dieses re c hte S eite : Die portr ätierten Fre u n d e in e lg a rs » E ni g m a -Va ri ationen « 24 25 1. C . A . E . Caroline Alice Elgar 2 . H . D. S - P. Hew David Steuart-Powell 3 . R . B .T. Richard Baxter Townshend 4 . W. M . B . William Meath Baker 5 . R . P. A . Richard Penrose Arnold 6 . Y sobe l Isabel Fitton 7. T royte Arthur Troyte Griffith 8 . W. N . Winifred Norbury 9. N imro d August Jaeger 10 . Dor a be l l a Dora Penny 11. G . R . S . George Robertson Sinclair 12 . B .G . N . Basil George Nevinson 13 . * * * Lady Mary Lygon 14 . E . D.U. Edward Elgar 8. SYMPHONIEKONZERT »larger theme« sind die verschiedensten Stellen aus der klassischen Literatur angeführt worden, etwa ein Zitat aus dem Andante von Mozarts »Prager« Symphonie KV 504. Glaubhafter erscheint indes eine Interpretation der geheimnisvollen Aussage im übertragenen Sinne: Thema des Werkes ist Edward Elgar, wie ihn Freunde und auch er selbst sich sieht; doch lässt sich der Mensch, das rätselhafte Wesen, je ganz in Tönen erfassen? Während Elgar die Lösung für dieses »Enigma« mit ins Grab genommen hat, sehen wir bei der zehnten Variation zum Glück wieder klarer: Der Titel »Dorabella« verweist nicht nur auf die gleichnamige Figur aus Mozarts Oper »Così fan tutte«, sondern war auch der Spitzname von Dora Penny, deren quecksilbriges Lachen in diesem »Intermezzo« nachklingt. Variation elf (»G.R.S.«) ist abermals eine charmante Karikatur, denn sie porträtiert weniger den Organisten der Hereford Cathedral, George Robertson Sinclair, als vielmehr dessen Bulldogge »Dan«, die beim Herumtollen in einen Fluss gefallen war; Dans freudiges Bellen nach der Errettung hat der Hundenarr Elgar kundig eingefangen. Nummer zwölf (»B.G.N.«) schlägt anschließend den Bogen zurück zur zweiten Variation, denn der hier gemeinte Cellist, Basil George Nevinson, war der Dritte im Bunde bei Elgars privatem Klaviertrio. Das größte Rätsel gab lange Zeit die 13. Variation auf, da sie der Komponist lediglich mit drei Sternchen chiffriert hat. Eine späte Andeutung Elgars, dahinter verberge sich der Name einer Dame, »die sich zur Zeit der Komposition auf einer Seereise befand«, sowie ein verdecktes, aber stimmiges Zitat aus Mendelssohns »Meeresstille und glückliche Fahrt« führen zu der Annahme, dass es sich um die Freundin Lady Mary Lygon handelte, die sich damals auf der langen Schiffspassage nach Australien befand. Welcher Natur die Beziehung zwischen ihr und dem Komponisten war? Allein die Musik gibt darüber Aufschluss. In der 14. Variation hat Elgar schließlich sein eigentliches Selbstporträt gezeichnet – »E.D.U.« verschleiert raffiniert den Kosenamen »Edoo«, den Lady Alice für ihren Mann gebrauchte. Auf Anraten Jaegers und des Dirigenten Hans Richter erweiterte Elgar diese Variation nachträglich um 100 Takte und baute sie so zu einem großen Finale aus, das den gesamten Zyklus symphonisch überhöht; für eine spätere Aufführung kam sogar noch ein Orgelpart hinzu. Auf diese Weise steigert Elgar die Wirkung ins Grandio­ se – durchaus in Analogie zu der exakt zum selben Zeitpunkt komponierten Tondichtung »Ein Heldenleben« von Richard Strauss. Wie Strauss durfte sich Elgar freilich eine solche gründerzeitliche Verklärung des eigenen Schöpfertums erlauben: Hatte er doch mit den »Enigma Variations« Großbritannien endgültig zurück auf die Weltkarte der Musik befördert! E dwa r d E lg a r z u G a st in »T he H u t«, d em H au s d es Christi a n Wi l d h ag en in d er Gr a f s c h a f t B erkshire im S ü d en en g l a n d s be f re u n d eten K u nstm ä zens Fr a nk S c h u ster 26 27 8. SYMPHONIEKONZERT 8. Symphoniekonzert 2012 | 2013 Orchesterbesetzung 1. Violinen Matthias Wollong 1. Michael Eckoldt Thomas Meining Michael Frenzel Christian Uhlig Brigitte Gabsch Jörg Kettmann Barbara Meining Susanne Branny Birgit Jahn Anja Krauß Anett Baumann Roland Knauth Anselm Telle Franz Schubert Renate Peuckert Bratschen Konzertmeister 2. Violinen Reinhard Krauß Konzertmeister Frank Other Matthias Meißner Ulrike Scobel Mechthild von Ryssel Alexander Ernst Emanuel Held Martin Fraustadt Paige Kearl Ting Hsuan Hu Dorothee Fine* Günter Friedrich* Steffen Gaitzsch* Anna Kuhlmann* Johanna Kubina* S o lo Stephan Pätzold Michael Horwath Uwe Jahn Ralf Dietze Milan Likař Uta Scholl Ekaterina Zubkova** Albrecht Kunath* Alexander Mey* Yuta Nishiyama* Birgit Weise* Violoncelli Ives Savary* S o lo Simon Kalbhenn S o lo Martin Jungnickel Uwe Kroggel Andreas Priebst Johann-Christoph Schulze Jörg Hassenrück Anke Heyn Matthias Wilde David Drost* Kontrabässe Christian Ockert* S o lo Petr Popelka Torsten Hoppe Helmut Branny Reimond Püschel Thomas Grosche Johannes Nalepa Vieri-Marco Giovenzana** Flöten Andreas Kißling S o lo Dóra Varga** Oboen Sebastian Römisch S o lo Andreas Lorenz Klarinetten Ulrich Pluta S o lo Jan Seifert Fagotte Joachim Hans S o lo Hannes Schirlitz Joachim Huschke Hörner Robert Langbein S o lo Andreas Langosch Julius Rönnebeck Klaus Gayer Trompeten Tobias Willner S o lo Siegfried Schneider Sven Barnkoth Posaunen István Juhász S o lo Guido Ulfig Lars Zobel Tuba Hans-Werner Liemen S o lo Pauken Bernhard Schmidt S o lo Schlagzeug Frank Behsing Jürgen May Jakob Eschenburg** Orgel Johannes Wulff-Woesten * a l s G a st ** a l s Ak a d emist 28 29 8. SYMPHONIEKONZERT Vorschau Enfant terrible der Alten Musik Tobias Niederschlag Moderation 9. Symphoniekonzert S onntag 2 4 . 3.13 2 0 Uhr M ontag 2 5 . 3.13 2 0 Uhr S emperoper Dres d en Palmsonntagskonzert Tickets S c hinke lwac he a m T he aterp l atz T e l e f on (0 3 51) 4 9 11 7 0 5 beste l lu n g @ semperoper . d e K a rtenpreis: 6 , 5 0 E u ro Reinhard Gobel Dirigent Claudia Barainsky Sopran Anke Vondung Alt Virgil Hartinger Tenor Christoph Pohl Bass Tomislav Lucic Bass Johann Friedrich Fasch Lamento für zwei Oboen, zwei Flöten, Klarinette, Streicher und Basso continuo Jan Dismas Zelenka Requiem D-Dur ZWV 46 23.3.13 reinhard goebel im gespräch 15 u hr O beres R u n d f oyer S emperoper Johann Sebastian Bach Trauerode »Laß, Fürstin, laß noch einen Strahl« BWV 198 10. Symphoniekonzert S onntag 7. 4 .13 11 Uhr M ontag 8 . 4 .13 2 0 Uhr Dienstag 9. 4 .13 2 0 Uhr S emperoper Dres d en Christian Thielemann Dirigent Lisa Batiashvili Violine Johannes Brahms Akademische Festouvertüre c-Moll op. 80 Violinkonzert D-Dur op. 77 Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98 PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N Kostenlose Einführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn des 9. und 10. Symphoniekonzerts im Opernkeller der Semperoper 8. SYMPHONIEKONZERT OSTERFESTSPIELE SALZBURG 2013 I mpress u m Sächsische Staatskapelle Dresden Künstlerische Leitung/ Orchesterdirektion Spielzeit 2012|2013 Herausgegeben von der Sächsischen Staatsoper Dresden © März 2013 R e da ktion Dr. Torsten Blaich Gesta lt u n g u n d L ayo u t schech.net Strategie. Kommunikation. Design. Christian Thielemann Chefdirigent Katrin Schirrmeister Persönliche Referentin von Christian Thielemann Anzei g en v ertrieb Matthias Claudi PR und Marketing B i l d n ac h w eise Simon Pauly (S. 5); Jerrold Northrop Moore: Elgar. A Life in Photographs, London 1972 (S. 9, 22, 25); Joseph Schmidt-Görg: Ludwig van Beethoven, Braunschweig 1969 (S. 15); Lisa-Marie Mazzucco (S. 19); Michael Kennedy: The life of Elgar, Cambridge 2004 (S. 27). RICHARD WAGNER PARSIFAL Christian Thielemann • Michael Schulz Alexander Polzin • Johan Botha • Wolfgang Koch Stephen Milling • Michaela Schuster Sächsische Staatskapelle Dresden Tobias Niederschlag Konzertdramaturg, Künstlerische Planung Union Druckerei Dresden GmbH EVENT MODULE DRESDEN GmbH i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH Telefon: 0351/25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de Oper Jan Nast Orchesterdirektor Dr. Torsten Blaich Programmheftredaktion, Konzerteinführungen Dr u c k Orchester- und Chorkonzerte SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN Agnes Monreal Assistentin des Orchesterdirektors Sarah Niebergall Orchesterdisponentin Christian Thielemann • Myung-Whun Chung Yefim Bronfman • Evgeny Kissin Christiane Karg • Michael Volle Matthias Gries Orchesterinspizient Agnes Thiel Friederike Wendler Mathias Ludewig Dieter Rettig Notenbibliothek Konzert für Salzburg SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN T e x tn ac h w eise Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Christian Thielemann • Myung-Whun Chung © D. Acosta Die Einführungstexte von Dennis Roth, Jür­gen Ostmann und Dr. Christian Wildhagen sind Originalbeiträge für die Publikationen der Sächsischen Staatskapelle Dresden. CHRISTIAN THIELEMANN SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN © M. Creutziger Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Nacht der Dresdner Kammermusik Kammerkonzert Kinderkonzert – Kapelle für Kids Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. 23. März — 1. April 2013 Kartenbüro © S. Gusov w w w. sta atsk a pe l l e - d res d en . d e 32 v.o.n.u. Christian Thielemann, Myung-Whun Chung, Yefim Bronfman, Evgeny Kissin Herbert-von-Karajan-Platz 9 5020 Salzburg • Austria Tel. +43/662/80 45-361, -362 • Fax DW -790 [email protected] www.osterfestspiele-salzburg.at PA R T N E R D E R S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N 4 MF