GfG-Nachrichten 184 Elisabeth-Gateff-Preis der GfG 2001 Die Serotonin-Biosynthese im Zentralen Nervensystem wird von einem neuronenspezifischen Tryptophan-Hydroxylase-Isoenzym geschwindigkeitsbestimmend katalysiert Diego J. Walther, Max Delbrück Center for Molecular Medicine, Dept. of Genetics, Bioinformatics and Structural Biology, Berlin-Buch Definitionsgemäß gibt es lediglich neun niedermolekulare Neurotransmitter im zentralen Nervensystem (ZNS) von Vertebraten. Daneben sind zwar noch einige Dutzend neuroaktive Peptide bekannt, zur schnellen Neurotransmission werden jedoch nur die niedermolekularen Substanzen verwendet. Serotonin (5-HT), einer der neun niedermolekularen Neurotransmitter, ist nicht nur der Botenstoff einiger tausend Neuronen, sondern auch eine ubiquitäre Substanz in peripheren Geweben, wo 5-HT erstmals vor fünfzig Jahren aufgrund seiner vasokonstriktiven Aktivität entdeckt wurde[1]. Tryptophan-Hydroxylase (TPH) katalysiert den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt der 5-HT-Biosynthese, und beeinflusst dadurch das ganze serotonerge System[2]. Eine Vielzahl von Verhaltensstörungen, wie unbegründete Angstzustände, Alkoholismus, Drogenmissbrauch oder Schlafund Essens-Störungen (wie Bulimie und Anorexie) sind mit Dysfunktionen des serotonergen Systems im ZNS in Zusammenhang gebracht worden[3], weshalb die Aufklärung der TPH-Expression und der enzymatischen Regulation unabdingbar ist, um die vielfältigen Wirkungen des serotonergen Systems von der biosynthetischen Basis an zu verstehen. So ist bereits, unter anderem, ein stimulierender Einfluss von Vitamin D3 auf die 5-HT-Biosynthese gefunden worden[4], wodurch sich, neben der wichtigen Rolle dieses Vitamins in der Calcium-Homeostase[5], auch dessen stimmungsaufhellende Wirkung erklären lässt. Außerdem wird TPH in der Ontogenese früher als erwartet exprimiert, und zwar unmittelbar nach der Befruchtung der Eizelle[6]. TPH und 5-HT scheinen demnach eine vitale Rolle in der präneuronalen Ontogenese von Säugetieren zu spielen, was auch durch die TPH-Inhibitor-vermittelte Wachstumshemmung von Embryonen untermauert wird[7]. Der frühembryonal lethale Phänotyp von Drosophilamutanten mit erniedrigter 5-HT-Synthese zeigt, dass auch die Abb. 1: (A) RNase protection assays von Ptph und Ntph. Das Verhältnis zu β-Aktin zeigt, dass die neu entdeckte NTPH das überwiegende neuronale Serotonin-Biosynthese-Enzym ist (>1:150). (B) RNase protection assays mit spezifischen Sonden für die beiden Isoformen zeigen die Expression von PtphmRNA in Duodenum, Thymus und Milz von Wildtyp-Tieren aber nicht von Ptph–/– Mäusen. Ntph-mRNA wird ausschließlich im Gehirn detektiert, unabhängig vom Genotyp der Mäuse. (C) 5-HT und Tryptophan (Trp) in Vollblut und Duodenum, und (D) 5-HT, Trp und 5-Hydroxy-indol-essigsäure (5HIAA) in Hippocampus, Frontalcortex und Epiphyse von 129SvJ, C57BL/6, Ptph–/–, and Ptph+/+ Mäusen. n.d., unterhalb der Detektionsgrenze (<5 pg/µl). *, statistisch signifikant (p < 0.05) gegenüber allen anderen untersuchten Mauslinien. +, statistisch signifikant (p < 0.05) gegenüber Ptph+/+ Mäusen aber nicht gegenüber den anderen Labor-Mauslinien. (E) C18-reversed-phase HPLC-FDChromatogramme von TPH-Aktivitätsassays. (Oben) Untransfizierte COS7-Zellen. (Mitte) Mit einem Ntph-cDNA-enthaltenden eukaryotischen Expressionsvektor transient transfizierte COS7-Zellen. (Unten) P815-Mastocytom-Zellen, die hohe endogene TPH-Aktivität aufweisen. 5-Hydroxyliertes Tryptophan (5-HTP) wird mit einer Retentionszeit von 5 min von der Säule eluiert. BIOspektrum · 2/03 · 9. Jahrgang GfG-Nachrichten 185 Ontogenese von Invertebraten 5-HT-abhängig ist[8]. Ein 5-HT-Mangel während dieser Phase führt also eindeutig zu lethaler Fehlentwicklung von Tierembryonen. Aus Vorgenanntem erwarteten wir, dass Tph-KO-Mäuse nicht lebensfähig sein würden, so wie es bereits für Tyrosin-Hydroxylase-KO-Mäuse gezeigt worden ist[9], erhielten aber augenscheinlich gesunde homozygote Mutanten. Überraschenderweise zeigten HPLC-Messungen unverändert hohe 5-HT-Gehalte im ZNS von Tph-KO-Mäusen, wohingegen periphere Gewebe im Vergleich mit Wildtyp-Mäusen nur noch Gehalte um die Detektionsgrenze enthielten (Abb. 1)[10]. Obwohl in den vergangenen vierzig Jahren umfassende Studien zur 5-HT-Biosynthese durchgeführt worden sind, blieben die zusammengetragenen Kenntnisse spärlich und widersprüchlich, zumindest im Vergleich mit den anderen Mitgliedern der Hydroxylasen-Familie, der Phenylalanin- und der Tyrosin-Hydroxylase[2]. Insbesondere sind verwirrend divergente biochemische Charakteristika für die TPH-Aktivität aus zentralnervösen und peripheren Geweben erhalten worden, die bisher keine überzeugende Erklärung fanden[11]. Molekularbiologische Untersuchungen des Tph-Gens und von Tph-mRNA bestätigten frühere Befunde, dass TPH am höchsten in peripheren Geweben exprimiert wird[12], führten uns aber auch zur Entdeckung von Splicing-Isoformen sowie eines putativen intronischen Promotors. Die extrem niedrige Expression der Isoformen genügte aber nicht zur Erklärung der unveränderten 5HT-Gehalte im ZNS, weshalb wir durch Homologie-Suche in der humanen Genomsequenz ein zweites Tph-Gen entdeckten, dessen Expression wir durch Klonierung der cDNA verifizierten (GenBank AY098914). Wir klonierten auch die Homologen cDNAs der Maus und der Ratte (GenBank AY09565 und AY098915) und fanden, dass dieses zweite Tph-Gen ausschließlich und mindestens 150-fach höher im ZNS exprimiert wird, als das bekannte Tph-Gen (Abb. 1). Deshalb nannten wir das zweite TPH-Isoenzym nTPH (neuronale TPH; Tph2) und das bekannte pTPH (periphere TPH; Thp1)[10]. Der ausgeprägteste Phänotyp der Tph(Ptph)-KO-Mäuse ist eine erhöhte Blutungstendenz mit verlängerten Blutungszeiten. Unsere Untersuchungen zeigten, dass die überwiegende Wirkung von 5-HT in der Blutungsstillung die regulierte Ausschüttung des von Willebrand-Faktors aus den Weibel-Palade-Korpuskeln vaskulärer Endothelzellen und aus α-Granula von Thrombozyten ist, und nicht seine vasokonstriktorische oder Thrombozyten-aggregierende Wirkung, wie bisher angenommen. BIOspektrum · 2/03 · 9. Jahrgang Dieser Befund ist für Thrombose-Erkrankungen von großer Bedeutung, da Ptph-KOMäuse in experimentellen Modellen gegen Thrombenbildung geschützt sind[13, 14]. Eine spezifische pharmakologische Manipulation der pTPH ohne Beeinflussung der nTPH verspricht deshalb einen 5-HT-abhängigen therapeutischen Ansatz ohne zentralnervöse Nebenwirkungen[13] und umgekehrt, psychopharmakologische Behandlung ohne periphere Nebenwirkungen[14]. pTPH scheint weiteren Befunden nach für die T-Zell-vermittelte Immunantwort notwendig zu sein, da Ptph-KO-Mäuse verminderte T-Zell-vermittelte allergische Reaktionen sowie eine erhöhte TransplantatToleranz aufweisen, weshalb durch spezifische pharmakologische Manipulation der pTPH ohne Beeinflussung der nTPH immunsuppressive Behandlungsansätze denkbar sind[13]. Neben vielen anderen untersuchten Parametern[15–17 und darin zitierte Literatur], scheinen pTPH und 5-HT außerdem eine ursächliche Rolle in Fällen T-Zell-vermittelter pathologischer Abstoßung von Föten zu spielen, weshalb auch hier Möglichkeiten der 5-HT-abhängigen immunsuppressiven Therapie denkbar sind[13]. Ferner ist zu erwarten, dass sich dieses erweiterte Verständnis über antithrombotische, immunsuppressive, psychopharmakologische und diagnostische Verfahren hinaus auch auf die Weiterentwicklung spezifischer Zytostatika gegen 5-HT-produzierender Tumore[18, 19] auswirken wird. Dagegen kann die neu identifizierte nTPH, die unabhängig exprimiert wird, und 5-HT nur im ZNS synthetisiert, nur spezifisch für die serotonergen Effekte in der Verhaltensphysiologie verantwortlich sein, mit den entsprechenden wichtigen Implikationen für die psychiatrische Forschung. Über Jahrzehnte sind diagnostische Korrelationsversuche peripherer und zentraler 5-HT-Metabolitenkonzentrationen unternommen worden, um von peripheren Gehalten auf die Diego J. Walther geboren 1967 in Buenos Aires, Argentinien, Chemiestudium und Spezialisierung auf Biochemie (1988 – 1996) an der TU Berlin, Diplomarbeit zum Thema: „Welche sind die natürlichen Liganden der FKBPs in Streptomyces? – Suche nach ProteinProtein-Interaktionen mit Hilfe des „Two-Hybrid Systems“ unter der Anleitung von PD Dr. U. Keller, Spezialisierung auf Molekularbiologie, Dissertation (1996 – 2000) am Max-Delbrück-Center (MDC) für Molekulare Medizin in Berlin-Buch in der Arbeitsgruppe von PD Dr. M. Bader über die „Erstellung von transgenen Tiermodellen mit definierten Dysfunktionen des serotonergen Systems“, danach PostDoc und Stipendiat (2000 – 01.2003) des „Verbund Klinische Pharmakologie BerlinBrandenburg“ am MDC, seit Februar 2003 Leiter der „Neurochemistry Group and Mouse Lab“ im Department Prof. Dr. H.-H. Ropers für Humangenetik, MPI für Molekulare Genetik in Berlin. Schwerpunkte sind die Etablierung und histologische und physiologische Charakterisierung von Tiermodellen serotonerger Dysfunktion und von Tiermodellen für weitere humane Erkrankungen, sowie die Entwicklung von Tryptophan-Hydroxylase-abhängiger Prozytostatika gegen Serotonin-produzierende Tumore und die Untersuchung Serotoninabhängiger Signaltransduktionsmechanismen. zentralnervösen zu schließen[20]. Außerdem sind zahlreiche diagnostische Korrelationsversuche von Polymorphismen des PtphGens mit psychiatrischen Erkrankungen durchgeführt worden[21]. Alle diese Bemühungen müssen nun aus einer anderen Perspektive betrachtet werden, da nTPH im ZNS von Vertebraten den geschwindigkeitsbestimmenden Schritt katalysiert und keine signifikante Ptph-Expression im Nervensystem zu finden ist[10]. Das Jahr 2003 markiert den 50. Jahrestag der Entdeckung der DNA-Struktur durch James D. Watson und Francis Crick. Der 19. Internationale Kongress für Genetik vom 6.–11. Juli 2003 in Melbourne, Australien, wird der Höhepunkt der weltweiten Feierlichkeiten anlässlich dieser Entdeckung sein. James D. Watson und andere Wissenschaftler, die an der Aufklärung der molekulargenetischen Grundlagen beteiligt waren (z.B. Seymour Benzer, H. Gobind Khorana und Charles Yanofsky), werden an dem Kongress teilnehmen. Mit dem wissenschaftlichen Thema „Genomes – The Linkage to Life“ wird der Kongress insbesondere die weitere Entwicklung der Humangenomprojekte im Blick haben. 3.000 Teilnehmer werden erwartet, das Programm repräsentiert mit 280 geladenen Sprechern in 6 Themenfeldern und insgesamt 54 Symposien den Gesamtbereich der modernen Genetik. Das detaillierte Programm, Anmeldung und Registrierung finden Sie unter www.geneticscongress2003.com GfG-Nachrichten 186 Es ist also gelungen, zwei unabhängig regulierte 5-HT-generierende Systeme im ZNS und in der Peripherie zu identifizieren, eine entscheidende Erkenntnis für alle unseren weiteren Untersuchungen der 5-HTFunktionen in vivo. Danksagung Herrn Priv.-Doz. Dr. Michael Bader danke ich ganz besonders herzlich und aufrichtig, nicht nur für die Möglichkeit, das vorgegebene Thema weitgehend selbstständig bearbeiten zu dürfen, sondern auch für das große Vertrauen und die jederzeit bereitwillig geleistete, professionelle aber auch freundschaftliche Hilfestellung, die er mir im Laufe meiner Dissertationsarbeit zuteil werden ließ! Literatur [1] Rapport, M.M., Green, A.A., and Page, I.H. (1948). Serum vasoconstrictor (serotonin). III. Chemical inactivation. J. Biol. Chem. 176, 1237. [2] Fitzpatrick, P.F. (1999). Tetrahydrobiopterin-dependent amino acid hydroxylases. Annu. Rev. 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