Kent Nagano Anne Schwanewilms | Mihoko Fujimura Michael Schade | René Pape Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Donnerstag, 2. Juli 2015, 20 Uhr Freitag, 3. Juli 2015, 20 Uhr SOEBEN BEI JUWELIER FRIDRICH FRISCH EINGETROFFEN: TRAUMHAFTE JUWELEN DER MEERE AUS DEN ZUCHTPERLFARMEN ASIENS. Edle Zuchtperlen direkt importiert von unseren Partnern in Japan, China und der Südsee ...zu verführerischen Preisen! TRAURINGHAUS · SCHMUCK · JUWELEN · UHREN · MEISTERWERKSTÄTTEN J. B. FRIDRICH GMBH & CO. KG · SENDLINGER STRASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE R i c h a r d Wa g n e r „Parsifal“ Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen Vorspiel zum ersten Aufzug Igor Strawinsky „Symphonie de Psaumes“ (Psalmensymphonie) für Chor und Orchester 1. „Exaudi orationem meam, Domine“ 2. „Expectans expectavi Dominum“ 3. „Alleluia. Laudate Dominum“ Revidierte Fassung (1948) Anton Bruckner Messe f-Moll für Soli, vierstimmigen gemischten Chor und Orchester WAB 28 1. Kyrie | 2. Gloria | 3. Credo 4. Sanctus | 5. Benedictus | 6. Agnus Dei Kent Nagano, Dirigent Anne Schwanewilms, Sopran Mihoko Fujimura, Mezzosopran Michael Schade, Tenor René Pape, Bass Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Donnerstag, 2. Juli 2015, 20 Uhr 8. Abonnementkonzer t b Freitag, 3. Juli 2015, 20 Uhr 8. Abonnementkonzer t c Spielzeit 2014/2015 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant 2 Richard Wagner: „Parsifal“ Gralswelt – gebrochene Welt ? Egon Voss Richard Wagner (1813–1883) „Parsifal“ Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen Vorspiel zum ersten Aufzug den Jahren 1865 und 1877. Zu Niederschriften des definitiven Textbuchs kam es von März bis Juni 1877 in Bayreuth. Mit der Komposition beschäftigte sich Wagner von September 1877 bis Januar 1882 abwechselnd in Bayreuth und während verschiedener Aufenthalte in Italien; die vollständige Partiturreinschrift beendete er in Palermo / Sizilien am 13. Januar 1882. Entstehung des Vorspiels zum ersten Aufzug Lebensdaten des Komponisten Geboren am 22. Mai 1813 in Leipzig; gestorben am 13. Februar 1883 in Venedig. Entstehung des „Bühnenweihfestspiels in drei Aufzügen“ Im Sommer 1845 beschäftigte sich Wagner nicht nur mit dem „Meistersinger“- sondern auch erstmals mit dem „Parsifal“-Stoff. Eine erste konkrete, später verworfene Idee zur Parsifal-Gestalt hatte Wagner dann während der Arbeit am 3. Akt von „Tristan und Isolde“: Während seiner Rückkehr zum Gral sollte Parsifal den siechen Tristan am Krankenbett besuchen. Eine erste (verschollene) Prosaskizze verfasste Wagner im Frühjahr 1857 unter dem Eindruck eines sonnigen Karfreitags im Garten seines Zürcher „Asyls“, weitere Prosaentwürfe entstanden in Kompositionsskizze begonnen im September 1877; erste Niederschrift der Orchesterpartitur abgeschlossen im Dezember 1878 (= Urfassung mit Konzertschluss); erste selbstständige Ausgabe des Vorspiels im Oktober 1882. Uraufführung des „Bühnenweihfestspiels in drei Aufzügen“ Am 26. Juli 1882 als Eröffnungsvorstellung der 2. Bayreuther Festspiele im Bayreuther Festspielhaus (Orchester, Chor und Solisten der Bayreuther Festspiele unter Leitung von Hermann Levi; Inszenierung: Richard Wagner; Bühnenbilder: Paul von Joukowsky, Gotthold und Max Brückner; Kostüme: Paul von Joukowsky; Choreographie: Richard Fricke). Uraufführung des Vorspiels zum ersten Aufzug Am 25. Dezember 1878 in Bayreuth im Haus Wahnfried unter Leitung von Richard Wagner (Privataufführung für geladene Gäste). 3 Auguste Renoir: Portrait Richard Wagners (Januar 1882, wenige Tage nach Vollendung des „Parsifal“) 4 Richard Wagner: „Parsifal“ Ausblendung der dramatischen Konfliktzonen Das „Parsifal“-Vorspiel ist, nicht anders als das Vorspiel zu „Tristan und Isolde“, thematischmotivisch nur auf einen Teil der nachfolgenden Oper bezogen. Man könnte es ein Vorspiel allein zum 1. Akt nennen; denn es geht nahtlos in den 1. Akt über und findet formal wie vor allem harmonisch erst in der 1. Szene seinen Abschluss. Für konzertante Wiedergaben ist darum ein besonderer Konzertschluss nötig, den Wagner 1878, noch vor Vollendung des Bühnenweihfestspiels, komponierte. Der dramatische Konflikt, der Gegenstand der Handlung ist, kommt im Vorspiel nicht zur Sprache: Die Welt Klingsors bleibt ebenso ausgeblendet wie die Figur der Kundry. Die Thematik, die das Vorspiel vorstellt, ist diejenige der Gralswelt, und insofern diese nicht allein im 1., sondern ebenso im 3. Akt im Zentrum des Geschehens steht, ist das Vorspiel mehr als nur ein Vorspiel zum 1. Akt. Interne Spannungen und Gefährdungen Gleichsam säuberlich voneinander geschieden, werden nacheinander das Abendmahls-Thema, das Grals-Thema und das Glaubens-Thema exponiert. Das geschieht in einer statuarischen Ruhe, wie sie für das gesamte Werk charakteristisch ist. Dann jedoch kommt es zu einer Art Durchführung, die unüberhörbar andeutet, dass die Gralswelt keine „heile Welt“ ist. Spannungen werden fühlbar, schmerzliche, klagende Töne hörbar, und in der dunklen Färbung klingt etwas an, das nicht nur geheimnisvoll anmutet, sondern auch unheimlich oder nicht ganz geheuer wirkt. Indem Wagner diese Andeutungen allein aus der Gralsthematik heraus entwickelt, also ohne jede Beimischung von Thematik aus der Gegenwelt Klingsors und Kundrys, gibt er dem Hörer zu verstehen, dass die Konflikte der Gesamthandlung nicht nur im Gegeneinander feindlicher Personen oder Sphären begründet sind, sondern auch in der Gralswelt selbst, mag diese im Text auch noch so intakt oder „heil“ erscheinen. Der Kommentar des Komponisten Unter dem Titel „Liebe – Glaube: – Hoffen ?“ hat Richard Wagner einige Gedankensplitter zur Thematik des „Parsifal“-Vorspiels niedergeschrieben: Erstes Thema: „Liebe“ „Nehmet hin meinen Leib, nehmet hin mein Blut, um unsrer Liebe Willen !“ Verschwebend von Engelstimmen wiederholt. „Nehmet hin mein Blut, nehmet hin meinen Leib, auf dass ihr meiner gedenkt !“ Wiederum verschwebend wiederholt. Zweites Thema: „Glaube“ Verheißung der Erlösung durch den Glauben. Fest und markig erklärt sich der Glaube, gesteigert, willig selbst im Leiden. – Der erneuten Verheißung antwortet der Glaube, aus zartesten Richard Wagner: „Parsifal“ Höhen, wie auf dem Gefieder der weißen Taube, sich herabschwingend, – immer breiter und voller die menschlichen Herzen einnehmend, die Welt, die ganze Natur mit mächtigster Kraft erfüllend, dann wieder nach dem Himmelsäther wie sanft beruhigt aufblickend. Da noch einmal aus Schauern der Einsamkeit erhebt sich die Klage des liebenden Mitleides: das Bangen, der heilige Angstschweiß des Ölberges, das göttliche Schmerzensleiden des Golgatha – der Leib erbleicht, das Blut entfließt und glüht nun mit himmlischer Segensglut im Kelche auf, über alles, was lebt und leidet; die Gnadenwonne der Erlösung durch die Liebe ausgießend. Auf ihn, der, furchtbare Sündenreue im Herzen, in den göttlich strafenden Anblick des Grales sich versenken mußte, auf Amfortas, den sündigen Hüter des Heiligtumes, sind wir vorbereitet: wird seinem nagenden Seelenleiden Erlösung werden ? Noch einmal vernehmen wir die Verheißung und – hoffen ! 5 6 „Parsifal“: Der Inhalt „Parsifal“ Richard Wagner Vorgeschichte Der fromme Held Titurel erbaute einst die Burg Monsalvat, die zwei Heiligtümer beherbergen sollte: den Gral und jenen Speer, der Jesus am Kreuz verwundete. Diese heilige Waffe jedoch verlor Titurels Sohn Amfortas im Kampf gegen den Zauberer Klingsor. Von einem verführerischen Weib in die Falle gelockt, empfing Amfortas durch den Speer eine Wunde, die sich seither nicht schloss. Sein einziger Trost ist die göttliche Verheißung eines künftigen Erlösers: „Durch Mitleid wissend, / der reine Tor, / harre sein, / den ich erkor !“ Erster Aufzug Wie jeden Morgen wird Amfortas zum „Heiligen See“ getragen, wo ein Bad seine Schmerzen lindern soll. Kundry reitet in wilder Hast herbei, um dem König einen Heilbalsam zu bringen. Vor den Anpöbelungen einiger Knappen nimmt sie der alte Gralshüter Gurnemanz in Schutz: Wohl mag Kundry ein verwünschtes Wesen sein, doch dient sie der Ritterschaft stets mit rastlosem Eifer. Dass sie bisweilen spurlos verschwindet – so auch z. B., als Amfortas den Speer verlor –, gibt freilich auch Gurnemanz zu denken. Plötzlich verursacht ein erlegter Schwan große Aufregung, da Tiere auf dem Gralsgebiet heilig sind. Der ahnungslose Schütze Parsifal ist schnell gefasst, kann aber selbst die ein- fachsten Fragen nach Name und Herkunft nicht beantworten. Nur Kundry kennt seine Geschichte: Sein Vater war der Held Gamuret, der noch vor Parsifals Geburt im Kampf fiel. Um den Sohn vor gleichem Schicksal zu bewahren, zog ihn seine Mutter Herzeleide in völliger Abgeschiedenheit als „Toren“ auf. Als der Jüngling jedoch eines Tages Ritter in prächtiger Rüstung vorbei­ reiten sah, folgte er ihnen. Seine Mutter starb daraufhin aus Kummer. Um festzustellen, ob der ob dieser Nachricht schwer betroffene Parsifal der verheißene „reine Tor“ ist, nimmt Gurnemanz ihn mit zum „Liebesmahle“. Dabei muss Amfortas den Gral enthüllen, dessen Aufleuchten allen Rittern neue Lebenskraft verleiht – auch ihm, der doch einzig sterben will. Gurnemanz erkennt an Parsifal keinerlei Reaktion und jagt ihn enttäuscht davon. Zweiter Aufzug Auch Klingsor, der die Herrschaft über den Gral anstrebt, weiß von der Prophezeiung. Daher trachtet er danach, dem „Toren“ Parsifal seine „Reinheit“ zu nehmen und setzt zu diesem Zweck Kundry ein. Sie, die auf dem Gralsgebiet unermüdlich Buße tut, wird in Klingsors Reich zur dämonischen Verführerin. Nachdem sie Amfortas bereits vom Pfad der Tugend abgebracht hat, soll sie nun den „kindischen Spross“ verderben, der sich soeben Zutritt zum Zaubergarten verschafft und von den zarten Blumenmäd- „Parsifal“: Der Inhalt chen umringt wird. Kundry zeigt sich in betörend schöner Gestalt, evoziert durch Erzählungen von Herzeleide eine geheimnisvolle Vertrautheit und gibt Parsifal schließlich – „als Muttersegens letzten Gruß“ – einen langen Kuss, der allerdings eine unerwartete Wirkung zeigt: Schlagartig wird Parsifal der Zusammenhang zwischen Amfortas’ Wunde und Kundrys Verführung bewusst. Er erkennt seine Sendung darin, den Gral aus den „schuldbefleckten Händen“ des Königs zu retten. Die zurückgestoßene Kundry verflucht Parsifal, Klingsor versucht ihn durch den heiligen Speer zu treffen, der jedoch über Parsifals Haupt in der Luft stehen bleibt. Klingsors Macht ist gebrochen, der Zaubergarten versinkt. Dritter Aufzug Am Karfreitagsmorgen findet Gurnemanz die erstarrte Kundry, die langsam zu sich kommt. Gemeinsam beobachten sie das Nahen eines erschöpften Ritters, in dem Gurnemanz den „Toren“ von einst erkennt. Nach langen Irrwegen, zu denen ihn Kundrys Fluch verdammte, hat Parsifal endlich den Weg zum Gral gefunden und den heiligen Speer zurückgebracht. Von Gurnemanz zum neuen Gralskönig gesalbt, verrichtet Parsifal sein erstes Amt mit der Taufe Kundrys. Dann wird er zur Erfüllung der Prophezeiung in den Gralstempel geleitet, wo gerade die Trauerfeier für Titurel stattfindet. Der greise Held starb, da ihm und der ganzen Ritterschaft seit langem der lebensspendende Segen des Grals vorenthalten wurde. Um seinen eigenen Tod zu erzwingen, hielt Amfortas das Heiligtum verschlossen. Selbst heute verweigert er die Zeremonie und fordert die Gralsritter in wilder Verzweiflung dazu auf, ihn zu töten. Endlich 7 erscheint Parsifal, schließt Amfortas’ Wunde mit einer Berührung durch den Speer und enthüllt den hell leuchtenden Gral. Als zum Zeichen des göttlichen Segens eine weiße Taube aus der Kuppel herabschwebt, ist auch Kundry von ihrem Fluch erlöst und sinkt in den Armen Parsifals entseelt zu Boden. 8 Igor Strawinsky: „Symphonie de Psaumes“ „Zum höheren Ruhme Gottes“ Volker Scherliess Igor Strawinsky (1882–1971) „Symphonie de Psaumes“ (Psalmensymphonie) für Chor und Orchester 1. „Exaudi orationem meam, Domine“ 2. „Expectans expectavi Dominum“ 3. „Alleluia. Laudate Dominum“ Revidierte Fassung (1948) Lebensdaten des Komponisten Geboren am 5. (17.) Juni 1882 in Oranienbaum (heute: Lomonosow) bei St. Petersburg; gestorben am 6. April 1971 in New York. Textvorlage Psalmentexte, die Strawinsky dem Alten Testament in der (lateinischen) Textfassung der „Vulgata“ entnahm (Psalm 38 und 39 in Auswahl, Psalm 150 vollständig). Entstehung Auftragserteilung durch das Boston Symphony Orchestra gegen Ende 1929; Kompositions­ beginn Anfang 1930; bis zum Sommer Fertig- stellung des 1. Satzes, dem die beiden anderen während eines Urlaubs in Südfrankreich folgten; Beendigung der Komposition am 15. August 1930 in Nizza; nach dem Erstdruck von 1933 Überarbeitung der Partitur („Nouvelle révision“) im Jahr 1948. Widmung „Cette symphonie composée à la gloire de DIEU est dédiée au Boston Symphony Orchestra à I’occasion du cinquantenaire de son existence“ (Diese zum höheren Ruhme Gottes komponierte Symphonie ist dem Boston Symphony Orchestra aus Anlass seines 50-jährigen Bestehens gewidmet). Das Boston Symphony Orchestra hatte am 22. Oktober 1881 sein erstes Konzert gegeben, dirigiert von dem aus Breslau gebürtigen Sänger, Komponisten und Dirigenten Georg Henschel (1850–1934). Uraufführung Am 13. Dezember 1930 in Bruxelles / Belgien im Palais des Beaux Arts (Chor und Orchester der Brüsseler „Société Philharmonique“ unter Leitung von Ernest Ansermet); Erstaufführung durch den Widmungsträger BSO: Am 19. Dezember 1930 in Boston in der Symphony Hall unter Leitung von Sergej Kussewitzky. 9 Igor Strawinsky photographiert von George Hoyningen-Huené (1934) 10 Igor Strawinsky: „Symphonie de Psaumes“ „Strawinsky in Paris“ Wir sind gewohnt, Igor Strawinskys langes Leben und vielgestaltiges Schaffen in Phasen einzuteilen, die sich an bestimmten Stilmerkmalen orientieren: Russische Periode – Neoklassizismus – Serielles Spätwerk. Ein anderes Raster ließe sich aus bestimmten geographischpolitischen Stationen ableiten: Jugend und Lehrzeit in St. Petersburg, internationaler Durchbruch, Schweizer Exil im Ersten Weltkrieg, Jahre als russischer Emigrant in Europa, französische Staatsbürgerschaft, Übersiedlung nach Amerika usw. Beide Einteilungen sind unbefriedigend: Bleibt die eine, auch wenn sie sich auf konkrete Daten stützen ließe, allzu äußerlich, so wird bei der anderen schnell klar, dass sich die Stilepochen keineswegs eindeutig abgrenzen lassen. Vor allem verlaufen sie nicht im sprichwörtlichen Gänsemarsch hinter-, sondern auch über- und nebeneinander und sind miteinander verwoben. Nimmt man etwa einen zentralen Zeitraum heraus, nämlich die Jahre 1920 bis 1939, als Strawinsky vornehmlich in Paris lebte, dann zeigen sich vielschichtige Bezüge. Denn das Schlagwort „Strawinsky in Paris“ meint nicht nur eine geographische Zuordnung, sondern bezeichnet zugleich eine komplexe kulturhistorische Atmosphäre, in der Persönlichkeiten und Traditionen, nationale und internationale Einflüsse faszinierend aufeinanderstoßen. Hier schuf Strawinsky während der 1920er Jahre eine Reihe von Werken, in denen sich ganz heterogene Einflüsse widerspiegeln und deren jedes für seine Gattung einen Markstein bedeutet – man denke nur an das Bläseroktett, die Sonate und Serenade für Klavier, das Konzert und das „Capriccio“ für Klavier und Or- chester, das Ballett „Apollon musagète“ oder das Opern-Oratorium „Œdipus rex“. Übergreifendes Merkmal der neuen, in diesen Werken praktizierten Tonsprache ist eine bewusst antiromantische, anti-emotionale Haltung, bei der verschiedene ältere Elemente in Stil und Satztechnik aufgegriffen und mit ausgesprochen neuzeitlichen Klangmitteln vermischt werden. Rückkehr zur Religion 1929 erreichte Strawinsky die Anfrage des legendären Dirigenten Sergej Kussewitzky, ob er für das folgende Jahr, zum 50-jährigen Jubiläum des Boston Symphony Orchestra, eine Symphonie schreiben wolle. Und in seinen Erinnerungen „Chroniques de ma vie“ (1936) berichtet Strawinsky: „Der Gedanke, ein symphonisches Werk größeren Umfanges zu schreiben, beschäftigte mich bereits seit langem. Ich stimmte daher dem Vorschlag, der meiner Absicht entgegenkam, freudig zu. Was den Text angeht, so suchte ich nach einer Dichtung, die eigens für Gesang geschrieben ist. Dabei dachte ich natürlich sogleich an den Psalter.“ Es ist in diesem Zusammenhang wesentlich, dass sich Strawinsky, der als russischer Emigrant in Paris lebte, seit Mitte der 1920er Jahre wieder der Kirche zugewandt hatte und am Leben der russisch-orthodoxen Gemeinde teilnahm. Nicht nur, dass er „damals zum erstenmal seit 1910 wieder zur Kommunion ging“; er schrieb auch eine Reihe von Sätzen für den liturgischen Gebrauch: „Pater noster“, „Credo“ und „Ave Maria“ – natürlich a cappella (denn im orthodoxen Gottesdienst sind Instrumente verpönt) und natürlich in russischer Sprache bzw. im alten Kirchenslawisch. Als er nun Kussewitzkys Kompositionsauftrag erhielt, verband Strawinsky diesen (äußeren) An- Igor Strawinsky: „Symphonie de Psaumes“ lass mit dem lang gehegten (inneren) Wunsch, einmal ein größeres geistliches Werk zu schreiben. Dazu wählte er Texte verschiedenen Inhalts aus den Psalmen König Davids aus: den Bußpsalm 38 (Verse 13 und 14), den Dankpsalm 39 (Verse 2, 3 und 4) sowie den ganzen 150. Psalm – jenes berühmte Lobgedicht, das zur Verherrlichung Gottes durch die Musik aufruft. Strawinskys ursprünglicher Plan, die Psalmen in einer alten russischen Übersetzung zu vertonen, wurde bald wieder aufgegeben, und stattdessen legte er seiner Komposition die lateinische Fassung der „Vulgata“ zugrunde. Sprachliche Strenge In der Verwendung der lateinischen Sprache lag für Strawinsky ein ganz besonderer Reiz. Schon während der Arbeit am Opern-Oratorium „Œdipus rex“ hatte er bekannt: „Welche Freude bereitet es, Musik zu einer Sprache zu schreiben, die seit Jahrhunderten unverändert besteht, die fast rituell wirkt und allein dadurch schon einen tiefen Eindruck hervorruft. Man fühlt sich nicht an Redewendungen gebunden oder an das Wort in seinem buchstäblichen Sinne. Die strenge Form dieser Sprache hat an sich schon so viel Ausdruckswert, dass es nicht nötig ist, ihn durch die Musik noch zu verstärken. So wird der Text für den Komponisten zu einem rein phonetischen Material. Er kann ihn nach Belieben zerstückeln und sich nur mit den einfachsten Elementen beschäftigen, aus denen er besteht: mit den Silben. Und haben nicht auch die alten Meister des strengen Stils den Text auf diese Weise behandelt ? So hat sich auch die Kirche seit Jahrhunderten davor bewahrt, sentimental zu werden und dem Individualismus zu verfallen.“ 11 Klarheit als Klangideal Dieser Wunsch nach Strenge, Reinheit und objektiver Darstellung ist bezeichnend für Strawin­ skys Haltung. „Es handelt sich nicht um eine Symphonie, in die ich gesungene Psalmverse aufgenommen habe“, schieb er einem Freund, „im Gegenteil: es ist der Psalmgesang, den ich symphonisiert habe.“ Dazu setzte er vierstimmigen Chor und ein großes Instrumentarium ein. Beide weichen in auffallender Weise von der üblichen Formation ab: Strawinsky wünscht sich, wie er in der Partitur eigens vermerkte, die Teilnahme von Kinderstimmen, und er modifiziert auch den Orchesterapparat: Charakteristische Instrumente wie Violinen, Bratschen oder Klarinetten fehlen völlig, andere dagegen (Flöten, Oboen, Fagotte sowie die Blechbläser) sind ungewöhnlich stark besetzt; auffallend auch die Einbeziehung zweier Klaviere. Dies entspricht einem Klangideal, das klare, trockene Strukturen bevorzugt und auf schwelgerischen Wohllaut bewusst verzichtet – ein ästhetisches Ziel, das Strawinsky in seinem ganzen Schaffen mit wechselnden Methoden verfolgte. Formenspiel statt Emotion Schon der Anfang ist bezeichnend: Aus dem Wechsel von kurz angetupften Akkorden und spröden Basslinien entsteht ein durchsichtiges, motorisch bewegtes Gewebe, aus dem der Gesang wie ein strenger Cantus firmus aufleuchtet und sich langsam zum großen, vielstimmigen Komplex steigert. In der Gesamtanlage (drei ohne größere Pausen ineinander übergehende Sätze) ebenso wie im Kleinen folgt die Musik der Gliederung des Textes, etwa bei den rondoartigen Wiederholungen 12 Igor Strawinsky: „Symphonie de Psaumes“ der „Alleluia“- und „Laudate“-Rufe. Allerdings fällt auf, dass Strawinsky inhaltliche Bezüge zum Text, insbesondere das traditionelle „Wort-TonVerhältnis“, vernachlässigt, ja bewusst meidet. Seine Musik will nicht rhetorisch sein, ja sie negiert vielfach sogar den Deklamationsfluss der Sprache, z. B. wenn der Ruf „Laudate Dominum“ in sechs gleichbetonte Achtel aufgelöst und – je nach metrischer Konstellation – unterschiedlich betont wird („Laudáte Dóminum“, „Láudate Domínum“, „Laudaté Domínum“). Strawinsky führt die Sprache vielfach auf ihre einfachsten phonetischen Bausteine – die Silben – zurück und realisiert damit eigenständige Klangbildun­gen. Er will den Text nicht musikalisch aus­malen oder konkret umsetzen (wozu ja gerade der 150. Psalm mit den vielen aufgezählten Musikinstrumenten reichlich Anlass geboten hätte), sondern ins Medium eines reinen, klingenden Formenspiels „zum höheren Ruhme Gottes“ trans­zendieren. Darin liegt ein wesentliches ästhetisches Anliegen dieses Komponisten: Er wollte die Musik „entromantisieren“, d. h. von ihrer traditionellen Gebundenheit an Sprache und Ausdruck befreien – wobei sich sein Vorgehen im doppelten Sinne mit „aufheben“ beschreiben lässt: Er suspendiert weitgehend die Sprache als Ausdrucksträger und vernachlässigt bewusst ihre semantische Funktion, gewinnt aber aus ihr auf neuer, gleichsam gereinigter Stufe ein unerwartetes Reservoir musikalischen Materials, das den notwendigerweise in Kauf zu nehmenden Verlust an herkömmlicher Emotionalität indessen mehr als ausgleicht. Arbeit am Klavier Anfang des Jahres 1930 hatte Strawinsky mit der Komposition begonnen; im August war sie abgeschlossen. Zum Arbeiten zog sich Strawinsky in sein Studio zurück, das ihm die Firma Pleyel zur Verfügung gestellt hatte. Sein Nachbar dort war der Komponist Nikolaus Nabokov, der bemerkenswerte Äußerungen Strawinskys überlieferte: „Ich komponiere grundsätzlich am Klavier“, habe dieser betont, „ich muss den physischen Klang hören, keinen imaginären.“ Am Instrument wurde ausprobiert, wurden Klänge erfunden, Rhythmen skizziert und miteinander kombiniert. Manches wurde zunächst auf kleinen Zetteln notiert, wo immer es ihm in den Sinn oder konkret „ins Ohr“ kam. Ein besonderes Beispiel verdient Erwähnung: In der Nachbarschaft hielt ein Chor seine Proben ab. An einer bestimmten Stelle schlich sich immer derselbe Fehler ein – eine falsche Stimmfortschreitung mit einem unerwarteten klanglichen Ergebnis. Strawinsky war fasziniert, denn hier hatte er die schwebenden Akkorde gefunden, die er für den letzten Satz seiner Symphonie brauchte: die unverwechselbaren „Alleluia“Rufe des Chores. Kunst der Anverwandlung Solches Aufgreifen eines musikalischen Bausteines ist bezeichnend für Strawinskys Komponieren allgemein. Dabei benutzte er ganz unterschiedliche Quellen. „Tout ce qu‘il touche devient sien“ (Alles, was er berührt, macht er sich zu eigen), pflegte Jean Cocteau über ihn zu sagen. Und er berührte vieles. Soweit er sein Material nicht selbst „erfand“, „fand er“ es anderswo und bereitete es so zu, wie er es für seine Zwecke brauchte. Die Skizzenbücher zeigen diese Verfahren auf Schritt und Tritt. Dabei blieb er meist nicht in einem stilistischen Be- 13 „Symphonie de Psaumes“, Partiturskizze des 3. Satzes: „Laudate Dominum“ reich, vielmehr mischte er ganz Heterogenes. So vereinigt die „Psalmensymphonie“ Gegensätze wie die strenge Bläserfuge zu Beginn des 2. Satzes und jene scharf akzentuierten Rhythmen im dritten, die ihre Herkunft aus dem Jazz nicht verleugnen. Anklänge an den Motettenstil der Renaissance und die Linearität des vierstimmigen Chorsatzes stehen neben ausgelassenen, tänzerisch pulsierenden Instrumentalpartien, filigrane polyphone Strukturen neben massiven Ostinatoblöcken, barockisierender Orchestersatz (z. B. in den flächig punktierten Passagen bei „Et immisit in os meum“) neben a cappella vorzutragenden Abschnitten. Es ist ein Zeichen höchster kompositorischer Meisterschaft, dass diese heterogenen Elemente nicht isoliert ne- beneinander stehen bleiben, sondern zu einer persönlichen Klangsprache zusammenwachsen, deren Eindringlichkeit und hymnischer Wirkung sich wohl kein Hörer entziehen kann. Überkonfessionell in der Gesinnung und Zielsetzung, bewusst abgelöst von den kirchenmusikalischen Traditionen – sowohl der katholischen und evangelischen wie auch der ostkirchlichen – drückt sich in diesem Werk eine eigene spirituelle Kraft aus, die es zu einer der bedeutendsten sakralen Kompositionen im 20. Jahrhundert macht. 14 „Symphonie de Psaumes“: Die Gesangstexte „Symphonie de Psaumes“ Igor Strawinsky 1. „Exaudi Orationem meam, Domine“ Exaudi orationem meam, Domine, et deprecationem meam. Auribus percipe lacrimas meas. Ne sileas, ne sileas. Quoniam advena ego sum apud te et peregrinus sicut omnes patres mei. Remitte mihi, ut refrigerer prius quam abeam et amplius non ero. Psalm 38, 13 und 14 Erhöre mein Gebet, o Herr, und meine Bitte ! Dein Ohr eröffne meinen Tränen ! Oh, bleib nicht stumm; ich stehe vor Dir als heimatloser Pilger, gleich allen meinen Vätern ! Vergib mir und erquicke mich, bevor ich scheide und nicht mehr bin ! 2. „Expectans expectavi Dominum“ Expectans expectavi Dominum, et intendit mihi. Et exaudivit preces meas, et eduxit me de lacu miseriae et de luto faecis. Et statuit super pertram pedes meos, et direxit gressus meos. Et immisit in os meum canticum novum, carmen Deo nostro. Videbunt multi, videbunt et timebunt et sperabunt in Domino. Psalm 39, 2,3 und 4 Ich harrte sehnlich auf den Herrn, und er sah auf mich her. Er hörte meine Bitten und führte mich aus Elendstiefen und Morast. Er ließ mich festen Boden finden und meinen Schritt den rechten Weg. Und neuen Lobgesang legt er auf meine Lippen, ein Lied für unseren Gott. Viele werden zusehen und sich fürchten und ihre Hoffnung setzen auf den Herrn. „Symphonie de Psaumes“: Die Gesangstexte 15 3. „Alleluja. Laudate Dominum“ Alleluia. Laudate Dominum in sanctis eius. Laudate eum in firmamento virtutis eius. Laudate Dominum. Laudate eum in virtutibus eius, laudate Dominum in virtutibus eius, laudate Dominum in sanctis eius. Laudate eum secundum multitudinem magnitudinis eius, laudate eum in sono tubae. Alleluia. Laudate Dominum, laudate eum. Laudate eum in timpano et choro, laudate eum in cordis et organo, laudate eum in cymbalis be ne sonantibus, laudate eum in cymbalis iubilationibus. Omnis spiritus laudet Dominum, omnis spiritus laudet eum. Alleluja. Laudate Dominum. Psalm 150 Lobet den Herrn in seinem Heiligtum, lobt ihn in seiner starken Feste ! Lobt ihn ob seiner Machterweise, lobt ihn in seiner großen Macht ! Lobt ihn im Schalle der Posaunen ! Mit Harf‘ und Zither lobet ihn, lobt ihn mit Paukenschlag und Reigentanz, lobt ihn mit Saitenspiel und Flöte ! Lobt ihn in heilem Zymbelklang, lobt ihn in Jauchzen eurer Zymbeln ! Alles, was lebet, lobet den Herrn ! 16 Anton Bruckner: Messe f-Moll „Dem Höchsten zu Ehren“ Thomas Leibnitz Anton Bruckner Textvorlage (1824–1896) Das in lateinischer Sprache abgefasste und von Bruckner (im Gegensatz etwa zu Schubert) unverändert vertonte traditionelle Ordinarium der katholischen Messliturgie mit den Teilen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Messe f-Moll für Soli, vierstimmigen gemischten Chor und Orchester WAB 28 1. Kyrie 2. Gloria 3. Credo 4. Sanctus 5. Benedictus 6. Agnus Dei Entstehung Die ersten Skizzen entstanden im September 1867; am 9. September 1868 wurde die Komposition in Linz / Oberösterreich abgeschlossen. Überarbeitungen erfolgten in den Jahren 1876, 1877, 1881 und zwischen 1890 und 1893 in Wien. Widmung Die Messe wurde dem Wiener Hofrat Anton Imhof Ritter von Geißlinghof (1816–1872) gewidmet, dem Kanzleidirektor des Wiener Obersthofmeisteramtes. Nach dessen Tod ignorierte Bruckner diese Widmung, die vermutlich auf Druck des Obersthofmeisteramtes, also nicht ganz freiwillig, zustande gekommen war. Uraufführung Lebensdaten des Komponisten Geboren am 4. September 1824 in Ansfelden bei Linz / Oberösterreich; gestorben am 11. Oktober 1896 in Wien. Am 16. Juni 1872 in Wien in einem vom Komponisten selbst finanzierten Konzert in der Augustinerkirche (Dirigent: Anton Bruckner). Eine noch im Entstehungsjahr 1868 geplante Uraufführung durch die Wiener Hofmusikkapelle, die für den 28. November 1868 in Aussicht genommen war, hatte sich zerschlagen. 17 Anton Bruckner (um 1870) 18 Anton Bruckner: Messe f-Moll Entgegen dem Epitheton des „Musikanten Gottes“, das ihm beharrlich anhaftete, war Anton Bruckner nicht vorrangig ein Kirchenkomponist, sondern ein Symphoniker. Fast will es scheinen, dass die sakralen Kompositionen, die fast durchwegs in die Frühphase seines Schaffens fallen, ihm im weitesten Sinne zur kompositorischen Selbstfindung dienten, als Schritte auf dem Weg zur Symphonie, die er konsequent ansteuerte und in der er seine Individualität als Komponist in neun monumentalen Werken verwirklichte. In seiner reifen Schaffensperiode, ab den späten sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, schrieb Bruckner nur noch zwei große Sakralkompositionen: das „Te Deum“ und den „150. Psalm“, jedoch keine Messe mehr. Der Weg aus der Krise Sein letztes Wort auf dem Gebiet der Messkomposition war die Messe in f-Moll von 1867, die in einer äußerst krisenhaften Phase seines Lebens entstand. Bruckner, zu dieser Zeit noch Domorganist in Linz, sah sich vor eine Entscheidung gestellt, die tatsächlich wohl die wichtigste seines Lebens war: Sollte er in den vertrauten, gesicherten, aber perspektivlosen Umständen seiner heimatlichen Umgebung bleiben oder sich auf das Wagnis Wien einlassen ? Auf ein Leben in der fremdartigen und vielfach undurchschaubaren Großstadt, in der jedoch sein Lebenstraum verwirklicht werden konnte ? Seit Langem hegte Bruckner – durchaus nicht frei von Ehrgeiz – den Traum vom großen und erfolgreichen Komponisten, ein Traum, auf den er sich durch jahrelange und gewissenhafte Studien vorbereitet hatte. Im Grunde war die Entscheidung bereits gefallen, aber die Not- wendigkeit, sie in die Realität umzusetzen, war sicherlich mit schuld, dass Bruckner in eine veritable Nervenkrise stürzte. Am 17. Februar 1867 wurde seine Messe in d-Moll in der Wiener Hofburgkapelle aufgeführt, was durchaus als hohe Auszeichnung für einen zeitgenössischen Komponisten gelten konnte; noch schwerer wog, dass Bruckner vom Obersthofmeister aufgefordert wurde, eine zweite Messe für die Hofkapelle zu schreiben. Statt sich aber von Optimismus tragen zu lassen, verfiel Bruckner in Depression und begab sich in ärztliche Behandlung in der Kaltwasserheilanstalt Bad Kreuzen. Erschütternde Stellen finden sich in seinem Brief an den langjährigen Freund Rudolf Weinwurm, bei dem er sich für sein langes Schweigen entschuldigte: „Es war nicht Faulheit ! – es war noch viel mehr ! ! ! Es war gänzliche Verkommenheit und Verlassenheit – “ Man traf ihn weinend im Wald an, ein unaufhörlicher Zählzwang peinigte ihn. Die Kur erwies sich jedoch als erfolgreich, und obwohl der Arzt ihm geistige Anstrengungen verboten hatte, begann Bruckner im September 1867 mit der Komposition der beauftragten Messe. Knapp ein Jahr nach der ersten Skizze war das Werk vollendet. Große Form, hoher Anspruch Bruckner konnte in der Messkomposition auf Erfahrungen zurückblicken. Bereits mit seiner d-Moll-Messe von 1864 hatte er den Weg der zeitüblichen Konvention verlassen und ein Werk höchst persönlicher Prägung geschaffen; an die stilistische Ausrichtung dieser Messe knüpfte er in der f-Moll-Messe an, mehr als an die unmittelbar voranliegende Messkomposition, die Messe in e-Moll für Chor und Bläser, die in ih- Anton Bruckner: Messe f-Moll rer Verbindung von Palestrina-Stil und moderner Harmonik einen Sonderweg beschritten hatte. In der f-Moll-Messe griff er wieder auf das Ausdruckspotential des gesamten Orchesters zurück und setzte dieses keineswegs „begleitend“, sondern im Sinne sehr eigenständiger Aussage ein. Bereits das Kyrie zeigt dies, in dem nicht sofort der Chor einsetzt, sondern eine instrumentale Einleitung in wechselnden Farben in die Stimmung von Buße und Demut einführt. Gerade der Text des Ordinariums der katholischen Messe gestattet die Auslotung eines weiten emotionalen Bogens: Er reicht von der zerknirschten Bitte des „Kyrie eleison“ zum Lobpreis des Gloria, im Credo vom freudigen „Incarnatus“ zum tragischen „Crucifixus“, vom Jubel des Sanctus zur schmerzvollen Meditation des Agnus Dei. Hier begegnet man einem der meistvertonten Texte der Musikgeschichte, und zweifellos hatte Ludwig van Beethoven mit seiner „Missa solemnis“ einen höchst bedeutsamen Markstein in der Geschichte dieser Vertonungen gesetzt, denn seine kompositorische Absicht zielte nicht mehr darauf ab, den „sensus communis“ der Gläubigen gleichsam „neutral“ in Töne zu fassen, sondern machte die altehrwürdigen Texte zum Forum höchst persönlicher Auseinandersetzungen und Bekenntnisse. Ein Umgang mit dem Messtext in der Art, wie es Beethoven getan hatte – das war es wohl, was auch Bruckner dazu bewog, sich nicht mit einer praktikablen „Gebrauchsmesse“ zu begnügen, sondern ein Werk von riesenhaften Dimensionen und höchstem Anspruch zu schaffen. 19 Dramatische Ausgestaltung So zeigt jeder der von Bruckner vertonten Messteile sein eigenes Gepräge und innerhalb der Teile die Tendenz, auf einzelne Textpassagen mit intensiv-emotionaler Ausdeutung einzugehen. So etwa im Gloria die Passage des „Qui tollis“, das die Zerknirschung des Sünders in unmittelbar sinnfälliger Weise ausdrückt. Ein Abschnitt von großer Intimität findet sich im Credo, das „Incarnatus“, das die Menschwerdung Christi thematisiert und bei Bruckner zu einer Bethlehem-Szene in zartesten Farben wird. Geradezu theatralisch-dramatisch gestaltet der Komponist die Aufeinanderfolge von „Passus et sepultus est“ (gestorben und begraben) und dem darauffolgenden „Et resurrexit tertia die“ (am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten). Den Klagen des Solobassisten („passus, passus“), die der Chor beantwortet, folgen eine Kadenz des unbegleiteten Chores und eine der Trauerstimmung entsprechende Bläserstelle, worauf eine gleichsam atemlose Pause eintritt – in Vorbereitung des sich machtvoll steigernden „Et resurrexit“, in dem der Auferstehungsglaube seinen Triumph feiert, begleitet von Bläserfanfaren und QuintOktav-Figurationen der Streicher, die hier – wie später auch im „Te Deum“ – die Majestät Gottes symbolisieren. An Stellen wie diesen wird deutlich, dass Bruckner die Messe nicht bloß „vertonte“, sondern sich in all ihren Teilen mit Aussage und Emotionalität des Textes identifizierte. Auf die Frage, ob er wirk- 20 Anton Bruckner: Messe f-Moll lich so fromm wie allgemein behauptet sei, soll er geantwortet haben: „Wie hätte ich sonst das Credo meiner f-Moll-Messe komponieren können ?“ Jedoch nicht dem Credo, sondern dem Benedictus der Messe entnahm er später eine Stelle und arbeitete sie in den zweiten Satz seiner Zweiten Symphonie ein – seine persönliche Art, Gott für die Überwindung der existenzbedrohenden Nervenkrise von 1867 zu danken. Kein einfaches Werk Die Uraufführung hätte bereits am 28. November 1868 in der Wiener Hofburgkapelle stattfinden sollen, aber die immensen Schwierigkeiten des Werkes sorgten für Verzögerungen. Laut Bruckners Biographen August Göllerich sollen zu einer Probe nur zwei Musiker erschienen sein, da der Komponist als „vollendeter Narr“ galt und der Messe ein Misserfolg prophezeit wurde. Johann Herbeck, der Bruckner nach Wien geholt hatte und ihm durchaus wohlgesonnen war, leitete die Proben, dürfte dabei aber zu keiner konsistenten Auffassung des Werkes gelangt sein; während er einmal Bruckner um den Hals fiel und bekannte, er kenne nur noch dieses Werk und die „Missa solemnis“ von Beethoven, forderte er bei anderer Gelegenheit den Komponisten auf, sich von der f-Moll-Messe zu distanzieren: „Sie wissen, dass Wagner mit seinem ‚Tristan‘ und ich mit meiner B-Dur-Symphonie uns geirrt haben; können Sie nicht zugeben, dass auch Sie sich mit dieser Messe geirrt haben ?“ Bruckner gab dies selbstverständlich nicht zu, doch Herbeck legte die Leitung der Proben nieder, und so kam es erst am 16. Juni 1872 in der Wiener Augustinerkirche zur Uraufführung unter Bruckners eigenem Dirigat. Rezeption Die musikalische Öffentlichkeit nahm von diesem Ereignis durchaus Notiz und die Rezensionen in den Wiener Zeitungen zeigen, dass Bruckners Werk als Zeugnis großen Talentes eines (bisher unbekannten) Komponisten aufgenommen wurde, wobei Kritik sich vornehmlich an der dramatisch-emotionalen Textausdeutung entzündete. Der Kritiker des „Fremdenblattes“ fand dabei zu einer originellen Formulierung: „Sodann lässt er sich von dem dramatischen Gehalte des Textes verführen, hin und wieder an das Theatralische zu streifen, wie gerade wieder im Credo, wo man sich einmal mitten in einer christlichen Wolfsschlucht zu befinden meint.“ Ausgewogener und zweifellos im Sinne der späteren Rezeption der Messe urteilte Eduard Kremser im „Vaterland“: „Erhebung verschaffte mir die neue Messe in F von Professor Bruckner, welche verflossenen Sonntag, 11 Uhr, in der Augustinerkirche aufgeführt wurde... Ich kann über die dort gehörte Messe in F nach einmaligem Hören freilich kein erschöpfendes Ur­ theil abgeben, allein das wage ich zu behaupten, daß jeder feiner fühlende Geist sich von dem Werke ergriffen fühlen wird. Es ist darin keine Spur von Schablone. Man spürt schon bei den ersten Klängen des ‚Kyrie‘, daß man es hier mit einem eigenthümlichen Geiste zu thun hat, und was die Hauptsache ist, bei aller scheinbaren Verstandesarbeit der reich angewendeten Fi- 21 Bruckners erster Lorbeerkranz: „Von der Gottheit einstens ausgegangen, muss die Kunst zur Gottheit wieder führen !“ (1864) 22 Anton Bruckner: Messe f-Moll guration blickt aus dieser Musik ein warmes Gemüth heraus.“ Selbst Eduard Hanslick, in späteren Jahren einer der schärfsten Kritiker Bruckners in Wien, konstatierte lobend: „Die Composition erregte unter den Musikfreunden Aufsehen durch die kunstvolle Contrapunktik und Fugenarbeit, wie durch einzelne ergreifende eigenthümliche Schönheiten. Nicht nur durch ihre großen Dimensionen und schwierige Aufführbarkeit, auch durch Styl und Auffassung verräth sie als ihr Vorbild die Beethoven’sche ‚Missa solemnis‘, nebenbei auch starke Einflüsse von Richard Wagner. Es wäre interessant, wenn Bruckner’s neue Messe, ganz oder doch theilweise, in einer guten Concert-Aufführung zu Gehör gebracht und dadurch einem größeren Publicum bekannt würde.“ Messe f-Moll: Die Gesangstexte 23 Messe f-Moll Anton Bruckner 1. Kyrie 1. Kyrie Kyrie eleison. Christe eleison. Kyrie eleison. Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich. Herr, erbarme dich. 2. Gloria 2. Gloria Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis. Laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te. Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam, Domine Deus, Rex caelestis, Deus pater omnipotens. Domine Fili unigenite, Iesu Christe, Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris; qui tollis peccata mundi, miserere nobis; qui tollis peccata mundi, suscipe deprecationem nostram; qui sedes ad dexteram Patris, miserere nobis. Quoniam Tu solus Sanctus, Tu solus Dominus, Tu solus Altissimus, Iesu Christe, cum Sancto Spiritu in gloria Dei Patris. Amen. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade. Wir loben dich, wir preisen dich, wir beten dich an, wir rühmen dich. Wir danken dir, denn groß ist deine Herrlichkeit: Herr und Gott, König des Himmels, Gott und Vater, Herrscher über das All. Herr, eingeborener Sohn, Jesus Christus. Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, der du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme dich unser; der du nimmst hinweg die Sünde der Welt: nimm an unser Gebet; du sitzest zur Rechten des Vaters: erbarme dich unser. Denn du allein bist der Heilige, du allein der Herr, du allein der Höchste, Jesus Christus, mit dem Heiligen Geist, zur Ehre Gottes des Vaters. Amen. 24 Messe f-Moll: Die Gesangstexte 3. Credo 3. Credo Credo in unum Deum, Patrem omnipotentem, factorem caeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium. Et in unum Dominum Jesum Christum, Filium Dei unigenitum, et ex Patre natum ante omnia saecula. Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero, genitum, non factum, consubstantialem Patri: per quem omnia facta sunt. Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de caelis. Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine: et homo factus est. Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato; passus et sepultus est, et resurrexit tertia die secundum Scripturas, et ascendit in caelum, sedet ad dexteram Patris. Et iterum venturus est cum gloria, judicare vivos et mortuos, cuius regni non erit finis. Et in Spiritum Sanctum, Dominum et vivificantem: qui ex Patre Filioque procedit. Qui cum Patre et Filio, simul adoratur et conglorificatur: qui locutus est per prophetas. Et unam, sanctam, catholicam et apostolicam Ecclesiam. Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater: durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein. Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten; und die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Messe f-Moll: Die Gesangstexte Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum. Et expecto resurrectionem mortuorum, et vitam venturi saeculi. Amen. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. Amen. 4. Sanctus 4. Sanctus Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Deus Sabaoth. Pleni sunt coeli et terra gloria tua. Hosanna in excelsis. Heilig, heilig, heilig Gott, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. 5. Benedictus 5. Benedictus Benedictus qui venit in nomine Domini. Hosanna in excelsis. Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe. 6. Agnus Dei 6. Agnus Dei Agnus Dei qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Agnus Dei qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Agnus Dei qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser. Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, gib uns deinen Frieden. 25 26 Goya Alle Radierzyklen 17.7.–13.9.2015 Münchner Künstlerhaus Lenbachplatz 8, www.goya-muenchen.de Die Künstler 27 Kent Nagano Dirigent Uraufführung seiner einzigen Oper „Saint François d’Assise“ zum musikalischen Assistenten ernannte. Eine wichtige Station in Naganos Laufbahn war seine Zeit als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (2000–2006), mit dem er bei den Salzburger Festspielen und im Festspielhaus Baden-Baden gastierte. 2003 wurde er außerdem zum ersten Music Director der Los Angeles Opera ernannt. Der amerikanische Dirigent japanischer Abstammung gilt als einer der herausragenden Dirigenten für das Opern- wie auch für das Konzertrepertoire. Seit September 2006 ist er Music Director des Orchestre symphonique de Montréal und seit Herbst 2013 Principal Guest Conductor und Artistic Advisor bei den Göteborger Symphonikern. Mit der Spielzeit 2015/16 beginnt Kent Nagano seine Amtszeit als Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Hamburger Staatsoper. Seinen ersten großen Erfolg feierte Kent Nagano 1984, als ihn Olivier Messiaen bei der Pariser Während seiner Zeit als Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper (2006–2013) setzte Kent Nagano deutliche Akzente. Unter seiner musikalischen Leitung wurden die Opern „Babylon“ von Jörg Widmann, „Das Gehege“ von Wolfgang Rihm und „Alice in Wonderland“ von Unsuk Chin erfolgreich uraufgeführt. Beim Orchestre symphonique de Montréal leitete Kent Nagano die kompletten Zyklen der Symphonien von Beethoven und Mahler, Schönbergs „Gurrelieder“ sowie Konzertreihen mit Werken von Henri Dutilleux (2010/11) und Pierre Boulez (2011/12). Als begehrter Gastdirigent arbeitet Kent Nagano regelmäßig mit Orchestern wie den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem New York Philharmonic und dem Chicago Symphony Orchestra zusammen. Für seine Aufnahmen von Busonis „Doktor Faust“ mit der Opéra National de Lyon, Prokofjews „Peter und der Wolf“ mit dem Russian National Orchestra sowie Saariahos „L’amour de loin“ mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin wurde er mit Grammys ausgezeichnet. 28 Die Künstler Anne Schwanewilms Mihoko Fujimura Sopran Mezzosopran Die deutsche Sopranistin Anne Schwanewilms zählt zu den größten Sängerinnen der heutigen Zeit. Im Jahr 2002 wurde sie in der Umfrage der Zeitschrift Opernwelt zur Sängerin des Jahres gewählt. Außerdem ist sie als eine der wichtigsten Liedsängerinnen ihrer Zeit gefragt. Ihr künstlerischer Schwerpunkt liegt bei Richard Strauss: Sie sang die Partie der Ariadne („Ariadne auf Naxos“) an den Opernhäusern von Wien, London, Berlin, Dresden und Madrid, Chrysothemis („Elektra“) in London, Mailand, Berlin, Hamburg und New York, Danae („Die Liebe der Danae“) in Dresden und Amsterdam, die Titelrolle in „Arabella“ in Frankfurt, Wien und Dresden und, mit sehr großem Erfolg, die Marschallin („Der Rosenkavalier“) in Madrid, Amsterdam, Chicago, Kopenhagen, Dresden, München, Monaco, Paris, São Paulo und in Japan. Ihr Repertoire geht aber weit über das der Strauss-Werke hinaus und umfasst neben Elsa („Lohengrin“), Elisabeth („Tannhäuser“), Madame Lidoine („Dialogues des Carmélites“), Marie („Wozzeck“) und Desdemona („Otello“) auch Opern moderner Komponisten wie „Die Gezeichneten“ von Franz Schreker. Die aus Japan stammende Mihoko Fujimura absolvierte ihr Gesangsstudium an der National University of Fine Arts and Music in Tokio und an der Musikhochschule in München. Sie gewann zahlreiche Gesangswettbewerbe, bevor sie 1995 Ensemblemitglied am Opernhaus Graz wurde. An ihre Aufsehen erregenden Auftritte bei den Münchner und Bayreuther Festspielen 2002 schlossen sich regelmäßige Gastspiele vor allem als weltweit geschätzte Wagner-Interpretin an. So war Mihoko Fujimura an der Covent Garden Opera London engagiert, an der Mailänder Scala, an der Bayerischen Staatsoper, an der Wiener Staatsoper, am Théâtre du Châtelet Paris, an der Deutschen Oper Berlin, beim Festival Aix-en-Provence, beim Maggio Musicale Fiorentino und bei den Bayreuther Festspielen, wo sie u. a. als Fricka und Kundry auftrat. Als Konzertsängerin sang Mihoko Fujimura mit weltweit renommierten Orchestern und Dirigenten, so u. a. mit den Wiener Philharmonikern, dem City of Birmingham Symphony Orchestra und dem Amsterdamer Concertgebouworkest. 29 Die Künstler Michael Schade René Pape Tenor Bass Als einer der führenden Tenöre unserer Zeit gefeiert, gastiert der Deutsch-Kanadier regelmäßig an den wichtigsten Opernbühnen in Europa und Nordamerika, wie bei den Salzburger Festspielen, in Hamburg, New York und Toronto und war u. a. auch an der Scala, am Covent Garden, in Paris, Barcelona und Amsterdam zu erleben. Die Wiener Staatsoper, wo er in allen Mozart- und Strauss-Partien seines Fachs zu hören war, ernannte ihn 2007 zum Österreichischen Kammersänger. Mit Nikolaus Harnoncourt verbindet ihn eine langjährige, enge Zusammenarbeit. Er widmet sich auch intensiv der Konzertliteratur und dem Liedgesang und hat mit den führenden Orchestern unter so namhaften Dirigenten wie Abbado, Boulez, Bychkov, Chailly, Gergiev, Harding, Jansons, Jordan, Muti, Rattle, Thielemann, Ticciati, Welser-Möst und Young gesungen, was auf zahlreichen Aufnahmen dokumentiert ist. Michael Schade ist Künstlerischer Leiter der Hapag-Lloyd Stella Maris Vocal Competition und der Internationalen Barocktage Stift Melk. René Pape war Mitglied des legendären Kreuzchors seiner Heimatstadt Dresden. Noch als Student gab er 1988 sein Debüt an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wo er sofort ein Engagement erhielt. Seither verkörperte er an diesem Haus die großen Partien seines Fachs, oftmals unter Leitung des Musikdirektors Daniel Barenboim. Sir Georg Solti holte ihn für die Partie des Sarastro zu den Salzburger Festspielen, wo er seitdem in vielen Partien auftrat. Seit seinem Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera 1995 ist er auch dort regelmäßig zu hören und wurde 2010 zum „MET Mastersinger“ gekürt. Als Gastkünstler ist er auf den bedeutenden Bühnen, u. a. der Staatsopern in Dresden, München und Wien, des Teatro Real Madrid, des Royal Opera House Covent Garden, der Opéra national de Paris und des Teatro alla Scala zu hören. Neben seinen Aufgaben im Bühnenbereich widmet sich René Pape einer sehr intensiven Konzerttätigkeit als Liedinterpret und Solist der internationalen Spitzenorchester. Seine Aufnahmen wurden bereits mit zwei Grammys und einem ECHO-Klassik ausgezeichnet. 30 Der Philharmonische Chor München ist einer der führenden Konzertchöre Deutschlands und Partnerchor der Münchner Philharmoniker. Er wurde 1895 von Franz Kaim, dem Gründer der Münchner Philharmoniker, ins Leben gerufen und feiert somit in diesem Jahr seinen 120. Geburtstag. Seit 1996 wird er von Chordirektor Andreas Herrmann geleitet. Das Repertoire erstreckt sich von barocken Oratorien über a-cappella- und chorsymphonische Literatur bis zu konzertanten Opern und den großen Chorwerken der Gegenwart. Das musikalische Spektrum umfasst zahlreiche bekannte und weniger bekannte Werke von Mozart über Verdi, Puccini, Wagner und Strauss bis hin zu Schönbergs „Moses und Aron“ und Henzes „Bassariden“. Der Chor pflegt diese Literatur genauso wie Chorwerke der bedeutenden Meister Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Bruckner, Reger, Strawinsky, Orff oder Penderecki. Er musizierte u. a. unter der Leitung von Gustav Mahler, Hans Pfitzner, Krzysztof Penderecki, Herbert von Karajan, Rudolf Kempe, Sergiu Celibidache, Zubin Mehta, Mariss Jansons, James Levine, Christian Thielemann, Lorin Maazel und Valery Gergiev. In den vergangenen Jahren hatten Alte und Neue Musik an Bedeutung gewonnen: Nach umjubelten Aufführungen Bach’scher Passionen unter Frans Brüggen folgte die Einladung zu den Dresdner Musikfestspielen. Äußerst erfolgreich wur- Chor de auch in kleineren Kammerchor-Besetzungen unter Dirigenten wie Christopher Hogwood und Thomas Hengelbrock gesungen. Mit Ton Koopman entwickelte sich eine enge musikalische Freundschaft, die den Chor auch zu den „Europäischen Wochen“ in Passau führte. Im Bereich der Neuen Musik war der Philharmonische Chor München mit seinen Ensembles bei Ur- und Erstaufführungen zu hören. So erklang in der Allerheiligen-Hofkirche die Münchner Erstaufführung der „Sieben Zaubersprüche“ von Wolfram Buchenberg unter der Leitung von Andreas Herrmann. Ende 2014 gestaltete der Chor die Uraufführung von „Egmonts Freiheit – oder Böhmen liegt am Meer“ unter der Leitung des Komponisten Jan Müller-Wieland. Der Philharmonische Chor ist auch ein gefragter Interpret von Opernchören und setzt die mit James Levine begonnene Tradition konzertanter Opernaufführungen, die auch unter Christian Thielemann weitergeführt wurde, fort. Zu den CD-Einspielungen der jüngeren Zeit zählen Karl Goldmarks romantische Oper „Merlin“ mit der Philharmonie Festiva unter Gerd Schaller, die 2010 den ECHO-Klassik in der Kategorie „Operneinspielung des Jahres – 19. Jahrhundert“ gewann, und eine Aufnahme von Franz von Suppés „Requiem“, die für den International Classical Music Award (ICMA) 2014 nominiert wurde. www.philchor.net Chordirektor 31 e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 32 Auftakt „Tiefer Trost und Rechtfertigung“ Die Kolumne von Elke Heidenreich Neulich habe ich Hermann Hesses „Steppenwolf“ noch mal gelesen – sollte man in meinem Alter nicht tun, da gehen ein paar schöne Erinnerungen und Eindrücke verloren, die mit siebzehn, achtzehn, wenn man das Buch zum ersten Mal liest, lesen sollte, stark waren. Die Welt ist uns, wenn wir älter werden, nicht mehr ganz so zerrissen, wir haben unseren Platz darin gefunden und suchen nicht mehr so wie Harry Haller alias Hermann Hesse. Aber was mich wieder fasziniert hat, war das Kapitel, in dem Harry Haller im Drogenrausch in seinem imaginären Theater eine Musik hört, schön und schrecklich, die Musik, die in Mozarts „Don Giovanni“ das Auftreten des Steinernen Gastes begleitet. Und plötzlich erklingt „ein helles und eiskaltes Gelächter, aus einem den Menschen unerhörten Jenseits von Gelittenhaben, von Götterhumor geboren.“ Haller wendet sich um und sieht Mozart, lachend, und Mozart zeigt hinunter in die Tiefe des Zaubertheaters, wo sich eine wüstenähnliche Ebene ausdehnt. „In dieser Ebene sahen wir einen ehrwürdig aussehenden alten Herrn mit langem Barte, der mit wehmütigem Gesicht einen gewaltigen Zug von einigen zehntausend schwarzgekleideten Männern anführte. Es sah betrübt und hoffnungslos aus, und Mozart sagte: ‚Sehen Sie, das ist Brahms. Er strebt nach Erlösung, aber damit hat es noch eine gute Weile.‘ Ich erfuhr, dass die schwarzen Tausende alle die Spieler jener Stimmen und Noten waren, welche nach göttlichem Urteil in seinen Partituren überflüssig gewesen wären.“ Der arme Brahms bleibt nicht allein verspottet, auch Wagner taucht noch auf und schleppt seine überflüssigen Noten hinter sich her, sehr, sehr viele. Als ich jung war, bedeutete mir der Steppenwolf viel, Brahms und Wagner wenig. Jetzt ist es umgekehrt, aber alles gehört zusammen: dass man sich ändert, dass man sich entwickelt, dass man Musik anders hört und versteht als früher, da man jung war. Jeder hört anders, jeder, der im Konzert direkt neben mir sitzt. Manche sehen Bilder beim Hören, manche erinnern sich an frühere Konzerte mit den Stücken, die gerade gespielt werden – das meiste kennt man ja und will es doch wieder und wieder hören, weil es immer anders ist – je nachdem, wer spielt, wer dirigiert, wie mir an dem Abend zumute ist. Aber eines ist immer gewiss, und das wusste auch Hermann Hesse, dem die Musik zeitlebens sehr viel bedeutete: „So begierig ich auf manchen anderen Wegen nach Erlösung, nach Vergessen und Befreiung suchte, so sehr ich nach Gott, nach Erkenntnis und Frieden dürstete, gefunden habe ich das alles immer nur in der Musik. Es brauchte nicht Beethoven oder Bach zu sein: – dass überhaupt Musik in der Welt ist, dass ein Mensch zuzeiten bis ins Herz von Takten bewegt und von Harmonien durchblutet werden kann, das hat für mich immer wieder einen tiefen Trost und eine Rechtfertigung alles Lebens bedeutet.“* *Aus dem Musikerroman „Gertrud“, 1909 Ph ch is on m er ar ätt ilh Bl 33 In tiefer Trauer Arnold Riedhammer Am 2. Juni 2015 ist Thomas Walsh ganz unerwartet verstorben. Tom war langjähriger Tubist der Münchner Philharmoniker, Hauptdozent an der Hochschule für Musik und Theater München und Gründungsmitglied der Gruppe „Blechschaden“. Tom hat sich als Dozent für Tuba weltweit einen großen Namen gemacht und zahlreichen Studenten den Weg in die besten Orchester geebnet. Seine Solos und sein Humor werden bei „Blechschaden“ unvergesslich bleiben. Für alle, die ihn kannten – ein großer Verlust als Mensch, Freund, Musiker und Kollege! Lieber Tom, Du bist viel zu früh von uns gegangen. R.I.P. Arnold Riedhammer Ehemaliger 1. Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker e Nachruf e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 34 Philharmonische Notizen Herzlich Willkommen Wir bekommen eine neue stellvertretende Konzertmeisterin und ein neuen Solo-Hornisten: Lucja Madziar (Violine) und Matias Piñeira (Horn) treten ab September ihren Dienst und damit ihr Probejahr an. Abschied Karel Eberle verabschiedet sich ab Juni in den wohlverdienten Ruhestand. Er war seit 1972 Mitglied der 1. Geigen und stellvertretender Konzertmeister. Orchesterakademie Unsere Fagott-Akademistin Ryo Yoshimura hat die Stelle als 2. Fagottistin bei den Wiener Symphonikern gewonnen. Als Akademistin bleibt sie uns aber noch bis zum Sommer erhalten. Wir gratulieren und wünschen alles Gute! MPhil vor Ort bei „Klassik & Klub“ im „Harry Klein“ und Holleschek+Schlick in den Postgaragen Am 13. Mai ging „Klassik & Klub“ in die nächste Runde im „Harry Klein“. Kai Rapsch (Oboe und Englischhorn), Clément Courtin (Violine), Beate Springorum (Viola) und David Hausdorf (Violoncello) spielten Mozarts Oboen-Quartett und Jean Françaix Quartett für Englischhorn, Violine, Viola und Violoncello. Johannes Öllinger (Gitarre) war ebenso zu Gast. Seit magischen sieben Jahren feiern Holleschek+Schlick in den Postgaragen. Jetzt werden sie abgerissen. Grund genug, jemanden zu holen, der davon was versteht: Martin Grubinger und die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker! Ein „letztes Konzert + Abrissfest“ fand statt am Samstag, 25. April (siehe übernächste Seite). Ph ch is on m er ar ätt ilh Bl 35 Konzert mit Fest Simone Siwek Am 25. April 2015 waren die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker mit Martin Grubinger in einem reinen Percussionkonzert in den Postgaragen zu erleben. Ein MPhil vor Ort-“Spezial“ zu einem besonderen Anlass: das letzte Fest von holleschek&schlick an diesem Ort, denn die Postgaragen werden abgerissen. Martin Grubinger war Ende April als Solist zu Gast bei den Münchner Philharmonikern. Als die Anfrage kam, ein weiteres Konzert mit unseren Schlagzeugern zu geben, sagte er schnell zu und reiste extra mehrere Tage früher an, um das ehrgeizige Programm parallel zu seinem Auftritt als Solist einzustudieren. Für ihn wie für unsere Schlagzeuger hieß das: intensive Vorbereitung und in vier Tagen über 30 Stunden extra Proben inklusive Nebenwirkungen (siehe unten). Aber es hat sich gelohnt: Standing Ovations! „Die Zusammenarbeit mit Martin war wahnsinnig intensiv. Sie hat mich bereichert und inspiriert. Klar kosteten die Proben zusätzlich zum Konzertprogramm in der Philharmonie viel Kraft, setzten aber ungleich viel mehr positive Energie frei!“ (Jörg Hannabach, Schlagzeuger) e MPhil vor Ort – Konzert mit Fest e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 36 MPhil vor Ort – Konzert mit Fest „Anfangs war ich ein wenig skeptisch, als Simone Siwek mir vorgeschlagen hat, ein klassisches Schlagzeugkonzert für ein junges Publikum aufzuführen. ‚Anstrengend‘ war die erste Assoziation. Was Grubinger und die Münchner Philharmoniker dann in den Postgaragen aufgeführt haben, hat nicht nur das Publikum aus den Stühlen gerissen. Ich bin bekehrt. Und das nächste Schlagzeugkonzert ist schon ausgemacht – stehend dann.“ (Otger Holleschek, Kooperationspartner) „Wir kennen Martin als Solist mit dem Orchester. Nun durften wir ihn auch als Teamplayer kennen lernen, der sich ganz selbstverständlich in unsere Gruppe integrierte. In den Proben legte er großen Wert auf die Meinung aller Spieler und erwartete von jedem, dass er sich einbrachte.“ (Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger) „Martin spielt gerade ein Stück wie Pléiades sonst mit seinem festen Ensemble. Dass er ein komplettes Programm mit uns zusagte ist eine große Ehre für jeden von uns! Dieses Projekt hat mich begeistert und persönlich stark motiviert. Ich denke ich kann für alle Schlagzeug-Kollegen sprechen, wenn ich sage, dass uns diese Woche auch als Gruppe nachhaltig zusammengeschweißt hat.“ (Stefan Gagelmann, SoloPauker) „Martin Grubinger forderte von allen vollen Einsatz. Das bedeutet: immer 100% – und der Schritt von 99% zu 100% kann groß sein! Er perfektioniert rhythmische Genauigkeit, Lautstärke, Klang und Dynamik und verliert dabei nie die Freude am Spielen. Das ist unheimlich ansteckend und fordert einen Ph 37 „Wir hatten nahezu unser komplettes Schlagwerk im Einsatz. Mit über 60 Instrumenten war der Aufund Umbau sehr komplex und musste auf jeden Musiker abgestimmt sein. Martin war sehr engagiert und verlangte Musikern und Instrumenten einiges ab. Erste ‚Opfer‘ waren mehrere Bongos, deren Felle binnen kürzester Zeit durchschlagen waren. Zur Sicherheit wurden Ersatzinstrumente angemietet. Nach dem Konzert mussten 6 Paukenfelle und 18 TomTom-Felle ausgetauscht werden. Also: bei Werken wie dem Xenakis ist es durchaus ratsam nicht mit Naturfellpauken zu spielen.“ (Kilian Geppert, stellvertretender Orchesterinspizient) Das Programm: Sollima: Millennium Bug, Miki: Marimba Spiritual, Xenakis: Pléiades (daraus den Fellsatz), Jobim: Chega de Saudade, Engel: Ragtime und Grubinger: Planet Rudiment Es spielten: Sebastian Förschl, Stefan Gagelmann, Jörg Hannabach, Michael Leopold, Guido Rückel, Walter Schwarz, Linda-Philomène Tsoungui e mental und körperlich. In meinem Fall bedeutet das: Muskelkater, zwei blutige Finger und nach diesem Projekt eine gute Kondition: ich merke, dass ich mich weniger Einspielen muss.“ (Guido Rückel, SoloPauker) ch is on m er ar ätt ilh Bl MPhil vor Ort – Konzert mit Fest e ilh a Bl rm ät on te is r ch Ph 38 Orchestergeschichte Die Tonhalle, Heimstatt der Münchner Philharmoniker von 1895 bis 1944 Gabriele E. Meyer Bis zur Eröffnung des Kaim-Saales (der späteren Tonhalle) im Jahre 1895 gab es in München – sieht man von den akustisch unbefriedigenden CentralSälen in der Neuturmstraße ab – als einzigen großen Konzertsaal nur das Kgl. Odeon. Allerdings wurde dieser repräsentative Raum dem 1893 von Franz Kaim gegründeten Vorgänger der Münchner Philharmoniker nur widerwillig zur Verfügung gestellt; für den vorausschauenden Unternehmer Grund genug, ein weiteres Großprojekt in Angriff zu nehmen. Nach mehreren vergeblichen, weil nicht finanzierbaren Anläufen, entschloss sich Kaim schweren Herzens, seinen Saal selbst zu erbauen, und zwar auf dem Eckgrundstück Türkenstraße 5 zur inzwischen neu angelegten Prinz-Ludwig-Straße. Die Bauleitung hatte er Martin Dülfer anvertraut. Die Fassaden gestaltete der renommierte Architekt im LouisSeize-Stil, wegen der typischen Lorbeer- oder Fruchtgirlanden auch „Zopfstil“ genannt. Schon ein halbes Jahr nach der Grundsteinlegung im April 1895 wurde der „Kaim-Saal“ mit einem dreitägigen Musikfest „unter dem Protektorat des Prinzen Ludwig Ferdinand von Bayern“ eingeweiht (19.–21. Oktober). Die Orchestergründung trat in Anlehnung an den Konzertort nun unter dem Namen „Kaim-Orchester“ auf. Die ursprünglich veranschlagte Kostenpauschale von 500.000 Mark überschritt Dülfer allerdings „um die horrende Summe von 380.000 Mark“. Kaim gelang es nur mit Hilfe „mäcenatischer Gönner, zu denen maßgeblich Frau Marie Barlow gehörte“, den finanziellen Ruin abzuwenden. Ab Oktober 1905 gingen die Konzertbesucher in die „Tonhalle“; eine Begründung für diesen Namenswechsel gab es merkwürdigerweise nicht. – Im Laufe der Jahre waren an dem Saal immer wieder bauliche und akustische Veränderungen vorgenommen worden, um den Ansprüchen von Musikern und Zuhörern zu genügen. Viele historisch und künstlerisch bedeutsame Konzertereignisse verzeichnen die Annalen – bis hin zu jener Nacht des 24./25. April 1944, als ein vor allem für die Innenstadt verheerender Bombenangriff auch die philharmonische Heimstatt und den Odeonssaal in Schutt und Asche legte. Der schmerzliche Nachruf in den „Münchner Neuesten Nachrichten“ nur zwei Tage später erinnerte nochmals an das, was da vernichtet worden war. „Diese Räume waren Individualitäten, jeder hatte seinen besonderen Charakter, dem man als Konzertierender gerecht werden mußte. Jeder hatte auch seine spezifische Atmosphäre, die den Hörer mit ihrer ganz eigenartigen Stimmung empfing und die sich gewissermaßen aus dem langjährigen künstlerischen Geschehen ergab.“ Noch aber ging der Konzertbetrieb weiter. Eilends suchte die Stadt nach Ausweichquartieren und fand sie im Prinzregententheater, im Löwenbräukeller, im Deutschen Museum, in der Aula der Universität. Nach Kriegsende befanden sich die Philharmoniker weiterhin auf Wanderschaft. Zwar probierte Hans Rosbaud, GMD von 1945 bis 1948, zunächst noch in den notdürftig hergerichteten Kellerräumen an der Türkenstraße, die Konzerte aber fanden an anderen Orten statt. Zu einem durchaus möglichen Wiederaufbau des Saales, in dem einst Thomas Mann Katja Pringsheim, seine spätere Frau, entdeckte, konnte man sich nicht durchringen. Erst 1985 erhielten die Münchner Philharmoniker mit der Philharmonie im Gasteig wieder ein eigenes Zuhause. Ph ch is on m er ar ätt ilh Bl 39 „Mein Ziel ist es, dass jeder Münchner die Chance hat, die Münchner Philharmoniker live zu erleben.“ Dieses ehrgeizige Ziel hat Valery Gergiev zur Antrittspressekonferenz am 31. Januar 2013 formuliert. Zum Saisonstart 2015/16 rufen die Münchner Philharmoniker und ihr zukünftiger Chefdirigent Valery Gergiev ein neues Festival in München ins Leben: mphil 360°. Es wird vom 13. bis 15. November in allen fünf Sälen des Münchner Gasteigs stattfinden. Freitag, 13.11.2015, 20 Uhr Schönberg: »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« | Skrjabin: »Promethée. Le Poème du feu.« | Wagner: »Die Walküre« 1. Aufzug Valery Gergiev, Denis Matsuev, Anja Kampe, Johan Botha, René Pape, Philharmonischer Chor München Samstag, 14.11.2015, 12 Uhr – 24 Uhr Musikfest für alle – Eintritt frei Till Brönner, Hauschka, Andreas Martin Hofmeir, Miloš Karadaglić, Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs, Valery Gergiev, Tin Men and the Telephone, Mariinsky Strawinsky Ensemble, Deutsch-Russisches Ensemble, Odeon Jugendorchester, Kammerorchester der Münchner Philharmoniker, Community Music Sonntag, 15.11.2015 Kern der Programme am Sonntag sind die fünf Klavierkonzerte Prokofjews. Jedes Klavierkonzert wird kombiniert mit Werken aus der deutschen bzw. Münchner Musikgeschichte. Die Münchner Philharmoniker werden dabei zwei Konzerte, das Mariinsky-Orchester drei Konzerte bestreiten. 11 Uhr Prokofjew: »Symphonie classique« & Klavierkonzert Nr. 1 (Solist: Herbert Schuch) | Haydn: Symphonie Nr. 82 »Der Bär« 13 Uhr von Weber: Ouvertüre zu »Der Freischütz« | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 2 (Solist: Denis Matsuev) | von Weber: »Aufforderung zum Tanz« 15 Uhr Reger: Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 3 (Solist: Behzod Abduraimov) 17 Uhr Hartmann: Suite aus »Simplicius Simplicissimus« | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 4 (Solist: Alexei Volodin) 19 Uhr Widmann: »Con brio« | Mozart: Klarinettenkonzert A-Dur (Solist: Jörg Widmann) | Prokofjew: Klavierkonzert Nr. 5 (Solist: Olli Mustonen) Karteninformationen Karten zu allen Veranstaltungen des Festivals gibt es ab 11.08.2015 im Webshop der Münchner Philharmoniker unter mphil.de und bei München Ticket (089/54 81 81 400). Der Eintritt zu allen Veranstaltungen am Samstag, 14.11.2015, ist frei, jedoch nicht ohne Eintrittskarte möglich. e Das Festival mphil 360° 40 So. 12.07.2015, 20:00 Klassik am Odeonsplatz Edvard Grieg „Peer Gynt“-Suite Nr. 1 op. 46 Pjotr Iljitsch Tschaikowsky Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“ Carl Orff „Carmina Burana“ Vorschau Do. 17.09.2015, 20:00 1. Abo h4 Fr. 18.09.2015, 20:00 1. Abo c So. 20.09.2015, 11:00 1. Abo m Gustav Mahler Symphonie Nr. 2 c-Moll „Auferstehungssymphonie“ Valery Gergiev, Dirigent Anne Schwanewilms, Sopran Olga Borodina, Mezzosopran Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Di. 22.09.2015, 20:00 1. Abo f Mi. 23.09.2015, 20:00 1. Abo e4 Johannes Brahms Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Anton Bruckner Symphonie Nr. 4 Es-Dur „Romantische“ Valery Gergiev, Dirigent Janine Jansen, Violine Krzysztof Urbański, Dirigent Daniela Fally, Sopran Benjamin Bruns, Tenor Jochen Kupfer, Bariton Philharmonischer Chor München, Einstudierung: Andreas Herrmann Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Einstudierung: Verena Sarré Impressum Herausgeber Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4, 81667 München Lektorat: Christine Möller Corporate Design: Graphik: dm druckmedien gmbh, München Druck: Color Offset GmbH, Geretsrieder Str. 10, 81379 München Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt. Textnachweise Egon Voss, Volker Scherliess, Thomas Leibnitz, Elke Heidenreich, Arnold Riedhammer, Monika Laxgang, Simone Siwek, und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Die von Strawinsky eigenhändig ausgewählten und redigierten Gesangstexte wie auch den Text der BrucknerMesse zitieren wir nach dem (gesungenen) Wortlaut der jeweiligen Partitur. Lexikalische Angaben und Kurzkommentare: Stephan Kohler. Künstlerbiographien: nach Agenturvorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig. Bildnachweise Abbildung zu Richard Wagner: Herbert Barth / Dietrich Mack / Egon Voss, Wagner – Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten, Wien 1975. Abbildungen zu Igor Strawinsky: Markus Hodel und Agathe Straumann (Hrsg.), Strawinsky – Sein Nachlass, sein Bild, Basel 1984; Abbildungen zu Anton Bruckner: Leopold Nowak, Anton Bruckner – Musik und Leben, Linz 1995. Künstlerphotographien: Ben Ealovega (Nagano), Javier del Real (Schwanewilms), R&G Photography (Fujimura), Harald Hoffmann (Schade), Mathias Bothor / DG (Pape), Leonie von Kleist (Heidenreich); Archiv der Münchner Philharmoniker (Thomas Walsh), Denise Vernillo und Guido Rückel (MPHil vor Ort). K IM LA 4x AB A SS I 32 BO K € O IM T I J BU E AB ON T CH ZT O EN EN – EM N DI E E A SI B UE N O N D S DA DAS ORCHESTER DER STADT Mehr als ein Konzert mphil.de 089 480 98 5500 117. Spielzeit seit der Gründung 1893 Valery Gergiev, Chefdirigent (ab 2015/2016) Paul Müller, Intendant