Musiktheoretische Untersuchungen zu ausgewählten a cappella-Motetten Augustinus Franz Kropfreiters aus seinen letzten Lebensjahren Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister artium an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz vorgelegt von ANJA KANDLBAUER Diese Arbeit wurde im Rahmen der Studienrichtung Lehramtsstudium Musikerziehung am Institut 1 für Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte und Dirigieren unter der Betreuung von Ass.Prof. Mag.art. Dr.phil. Johannes Steinwender verfasst. Graz, Juni 2013 _________________________________ ________________ (Name in Blockbuchstaben) (Matrikelnummer) Erklärung Hiermit bestätige ich, dass mir der Leitfaden für schriftliche Arbeiten an der KUG bekannt ist und ich diese Richtlinien eingehalten habe. Graz, den……………………………….. ………………………………………………… Unterschrift der Verfasserin / des Verfassers Abstract Deutsch Die Motette als wichtige Gattung der Vokalmusik nahm ihren Ausgang um 1200 in Paris und hielt sich bis in die Gegenwart. Diese Entwicklung wird in einem gesonderten Kapitel dargestellt. Auch Augustinus Franz Kropfreiter, dessen wichtigste Stationen in dieser Arbeit festgehalten werden, beschäftigte sich in seiner zweiten Lebenshälfte zunehmend mit dieser Gattung. Zur Untersuchung wichtiger Kompositionsmerkmale werden Motetten aus Kropfreiters letzten Lebensjahren analysiert. Er orientierte sich in seiner musikalischen Umsetzung am sehr genau zusammengestellten Text und machte diesen somit zum Ausgangspunkt seiner Kompositionen. Die Arbeit mit bevorzugten Intervallen und stufenweisen Bewegungen, Vermeidung der Festlegung auf eine Tonalität sowie häufige Taktwechsel sind nur einige der Merkmale von Kropfreiters Stil in den untersuchten Motetten. Abgesehen von den Analysen beschäftigt sich diese Arbeit auch mit den musikalischen Vorbildern Kropfreiters. Dazu gehören Anton Heiller, Frank Martin, Paul Hindemith und Johann Nepomuk David. Anfangs orientierte sich Kropfreiter an diesen, durch die Beschäftigung mit der Zwölftontechnik löste er sich aber zunehmend von seinen Vorbildern und fand in der Polytonalität eines seiner wichtigsten kompositorischen Mittel. Englisch The motet is one of the most significant categories of vocal music. It originated in Paris in 1200 and continued to be in existence up to the present. This development is described in a separate chapter. Augustinus Franz Kropfreiter, whose most relevant stages of life will be explained, worked increasingly on the motet form in the second half of his life. In order to investigate the characteristic features of his style of composition, motets of Kropfreiter’s endmost years will be analyzed. In his musical realization he focused on a precise text compilation, which served as the starting point for his compositions. Working with preferred intervals, avoidance of tonality, gradual movements and frequent bar changes mark some of the characteristic elements in iii Kropfreiter’s style of composition, which will become apparent in the motets analyzed. Apart from the analyses, this paper provides an overview of Kropfreiter’s influencing role models. These role models include Anton Heiller, Frank Martin, Paul Hindemith and Johann Nepomuk David. In the beginning of Kropfreiter’s career he followed them with regard to the style of his compositions. As soon as he started to use twelve-tone technique, he deviated and finally turned to polytonality as one of his most prominent compositional feature. iv Vorwort Die Arbeit an einem unerforschten Themengebiet war für mich Neuland und somit eine große Herausforderung. Sie war mir aber auch Motivation und Freude, durch meine Untersuchungen einen neuen wissenschaftlichen Beitrag zu den Motetten Augustinus Franz Kropfreiters zu leisten. Ich hoffe, durch meine Arbeit andere Menschen dazu anzuregen, sich mit der Musik Kropfreiters näher zu beschäftigen und diese zu verbreiten. Ein großes Dankeschön gilt in dieser Hinsicht meinem Betreuer Ass.Prof. Mag.art. Dr.phil. Johannes Steinwender, der mich zu dieser Arbeit inspiriert hat und mir während des Arbeitsprozesses hilfreich zur Seite stand. Ebenso möchte ich mich bei MMag. Klaus Sonnleitner, Stiftsorganist und Gastmeister von St. Florian, bedanken, der sich bereit erklärte, mir bei Fragen jederzeit weiterzuhelfen. Das Notenmaterial für alle Analysen dieser Arbeit habe ich von Ass.Prof. Mag.art. Dr.phil. Johannes Steinwender erhalten. Da die Noten lediglich als Manuskripte vorlagen, wurden alle verwendeten Notenbeispiele von mir neu editiert. v Anmerkungen zur Lesbarkeit des Analyseteils Die folgenden Zeichen sollen das Lesen der Notenbeispiele erleichtern, sodass im Text Erwähntes im Notenbild sofort ersichtlich wird. Akkord am Ende einzelner Abschnitte Hervorhebung im Text erwähnter Motive (Tonfolgen) Hervorhebung im Text erwähnter Motive (Tonfolgen) Tonumfang in einzelnen Abschnitten Sprünge in der Melodie (selten: stufenweise Bewegung) Hervorhebung bestimmter Intervalle zwischen zwei Stimmen Dreiklänge Dreiklangzerlegung Kennzeichnung von Vorhalten, Durchgangs- und Wechselnoten vi Inhaltsverzeichnis Abstract……………………………………………………………………………….. iii Vorwort………………………………………………………………………………… v Anmerkungen zur Lesbarkeit des Analyseteils…………………………………….. vi 1. Einleitung ................................................................................................................. 1 2. Literaturbericht ....................................................................................................... 3 3. Das Leben Augustinus Franz Kropfreiters ........................................................... 4 4. Die Geschichte der Motette .................................................................................... 9 5. 4.1. Die Entstehung der Motette........................................................................................... 9 4.2. Die Motette im Mittelalter........................................................................................... 10 4.2.1. Die Notre-Dame-Epoche .................................................................................................. 10 4.2.2. Die Ars antiqua ................................................................................................................ 11 4.2.3. Die Ars nova .................................................................................................................... 12 4.2.4. Die Motette außerhalb Frankreichs .................................................................................. 13 4.3. Die Motette in der Renaissance ................................................................................... 14 4.4. Die Motette im 17. und 18. Jahrhundert...................................................................... 18 4.5. Die Motette im 19. und 20. Jahrhundert...................................................................... 22 4.6. Zusammenfassung ....................................................................................................... 26 Die Motette bei Augustinus Franz Kropfreiter .................................................. 28 5.1. Der Stellenwert der Motette in Kropfreiters Werk ...................................................... 28 5.2. Die Texte in Kropfreiters Motetten ............................................................................. 30 5.3. Die Widmungen in Kropfreiters Motetten .................................................................. 32 5.4. Zusammenfassung ....................................................................................................... 35 vii 6. Analysen ................................................................................................................. 37 6.1. 6.1.1. Allgemeine Informationen ............................................................................................... 37 6.1.2. Textliche Analyse............................................................................................................. 38 6.1.3. Formale Analyse .............................................................................................................. 39 6.1.4. Musikalische Analyse ...................................................................................................... 40 6.1.5. Zusammenfassung ............................................................................................................ 54 6.2. Trachtet nach dem Reich Gottes ................................................................................. 55 6.2.1. Allgemeine Informationen ............................................................................................... 55 6.2.2. Textliche Analyse............................................................................................................. 55 6.2.3. Formale Analyse .............................................................................................................. 58 6.2.4. Musikalische Analyse ...................................................................................................... 58 6.2.5. Zusammenfassung ............................................................................................................ 72 6.3. Niemand zündet ein Licht an ...................................................................................... 73 6.3.1. Allgemeine Informationen ............................................................................................... 73 6.3.2. Textliche Analyse............................................................................................................. 73 6.3.3. Formale Analyse .............................................................................................................. 75 6.3.4. Musikalische Analyse ...................................................................................................... 75 6.3.5. Zusammenfassung ............................................................................................................ 89 6.4. 7. Es ist unmöglich .......................................................................................................... 37 Zusammenfassung ....................................................................................................... 90 Die Kompositionstechnik Kropfreiters ............................................................... 92 7.1. Musikalische Vorbilder und Stileinflüsse ................................................................... 92 7.2. Die Kompositionstechnik in den Motetten.................................................................. 96 7.3. Zusammenfassung ..................................................................................................... 105 8. Resümee................................................................................................................ 108 9. Quellenverzeichnis .............................................................................................. 110 10. Anhang ................................................................................................................. 115 viii 1. Einleitung Bald ist es zehn Jahre her, dass Augustinus Franz Kropfreiter in St. Florian verstarb. Obwohl seitdem mittlerweile ein Jahrzehnt vergangen ist, ist seine Musik – bis auf wenige Ausnahmen – noch immer unerforscht und bietet ein sehr überschaubares Angebot an Literatur. Seine Motetten betreffend, auf die in dieser Arbeit der Fokus gelegt wird, liegen keine früheren Forschungsergebnisse vor. Mit den musiktheoretischen Untersuchungen zu dieser Gattung wird hier somit Neuland betreten. Es ist ein Ziel dieser Arbeit, die Kenntnisse über die Motetten von Augustinus Franz Kropfreiter zu erweitern und auf diese Weise einen Forschungsbeitrag zum Werk dieses Komponisten zu leisten. Vor Beginn der Untersuchungen wurden Leitfragen erstellt, die im Zuge der Arbeit beantwortet werden sollen. Das zentrale Anliegen ist das Herausfiltern der Kompositionstechnik, die Kropfreiter in seinen Motetten aus den letzten Lebensjahren anwandte. Da keine Erkenntnisse zu diesem Thema vorliegen, werden die Analysen möglichst umfassend (Harmonik, Motivik, Textanalyse etc.) durchgeführt. Auf diese Weise soll herausgefunden werden, ob es gewisse Kompositionstechniken gibt, die Kropfreiter immer wieder angewandt hat oder ob sich die untersuchten Motetten in ihrer Kompositionsweise voneinander unterscheiden. Als Einführung in die Thematik folgt zu Beginn eine Darstellung der wichtigsten Stationen im Leben Augustinus Franz Kropfreiters, um einen Überblick über sein musikalisches Schaffen zu bekommen. Diese Darstellung soll aber auch dazu dienen, mögliche später auftauchende Fragen durch Anhaltspunkte aus seiner Biographie erklären zu können. Ein gesondertes Kapitel behandelt die Geschichte der Motette, da es sich bei dieser Gattung um das zentrale Thema dieser Arbeit handelt. Zu klären sind daher die Fragen, wie die Motette entstanden ist und wie sie sich im Laufe der Musikgeschichte entwickelt hat. Im Anschluss daran wird der Fokus auf die Motetten bei Augustinus Franz Kropfreiter gelegt. In diesem Kapitel soll zunächst herausgefunden werden, welchen Stellenwert diese Gattung in seinem kompositorischen Schaffen einnimmt. Weiters soll geklärt werden, woher er die Texte für seine Motetten bezog und wem seine Werke gewidmet wurden. Dadurch soll eine Hinführung zum eigentlichen Hauptteil – der Analyse – erfolgen. 1 Das zentrale Kapitel dieser Arbeit umfasst die Analysen zu den Motetten Es ist unmöglich, Trachtet nach dem Reich Gottes und Niemand zündet ein Licht an. Es sind dies Werke aus dem Jahr 1999 und somit gegen Ende seines Lebens entstanden. Untersucht werden die Motetten in Bezug auf Besetzung, Text und formale Gliederung. Die wichtigsten Untersuchungen erfolgen hier durch die musikalischen Analysen, die sich auf Harmonik, Rhythmik, Motivik, Intervalle und dergleichen konzentrieren. Durch diese Vorgehensweise soll die Frage zur Kompositionstechnik in Kropfreiters Motetten geklärt werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen bilden aber auch den Ausgangspunkt für das darauffolgende Kapitel, das sich mit der Kompositionstechnik Kropfreiters auseinandersetzt. Hier erfolgt eine Zusammenfassung und Besprechung der wichtigsten kompositorischen Merkmale in den Motetten. Ebenso gilt es die Frage zu klären, an welchen musikalischen Vorbildern und Stilen sich Kropfreiter in seinem Schaffen orientierte. Das abschließende Resümee bringt eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit. 2 2. Literaturbericht Wie in der Einleitung bereits erwähnt wurde, bietet die Literatur zum gewählten Thema ein sehr überschaubares Angebot. Eine gute Zusammenfassung des Lebens von Augustinus Franz Kropfreiter bietet das Buch Augustinus Franz Kropfreiter von Georgina Szeless aus dem Jahr 2006. Diese Veröffentlichung behandelt neben wichtigen beruflichen Stationen auch Werke und private Aspekte dieses Komponisten. Darüberhinaus ist relativ wenig Literatur zu finden. Ein von Wolfgang Kreuzhuber durchgeführtes Interview mit Kropfreiter wurde im Beitrag Augustinus Franz Kropfreiter – 40 Jahre Stiftsorganist von St. Florian in der Zeitschrift Singende Kirche 47 (Heft 3) im Jahr 2000 veröffentlicht. Darin ist der Schwerpunkt auf sein Schaffen und Wirken als Stiftsorganist gelegt, bringt nebenher aber auch interessante Aspekte zu seiner musikalischen Ausbildung und seinen kompositorischen Einflüssen. Die Musikalische Dokumentation Augustinus Franz Kropfreiter, die von der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek 1999 herausgegeben wurde, enthält Beiträge des Komponisten sowie von Kurt Neuhauser und Herbert Vogg. Hier sind neben einer biographischen Zusammenfassung brauchbare Informationen zur Kompositionstechnik zu finden. Die Diplomarbeit Augustinus Franz Kropfreiter. Musik und Kultur während seiner Zeit im Stift St. Florian (1977) von Harald Pill behandelt Kropfreiters Aufgaben im Stift St. Florian, beschäftigt sich aber auch mit seiner Kompositionstechnik und einigen Werkbesprechungen. Das einzige Werk, das ein musiktheoretisches Thema behandelt, ist die Diplomarbeit Das Orgelwerk von Augustinus Franz Kropfreiter von Maria R. Helfgott aus dem Jahr 1999. Einzelne Erkenntnisse aus dieser Arbeit konnten auch für das hier behandelte Thema übernommen werden. Die Motetten von Augustinus Franz Kropfreiter wurden bisher jedoch in keinster Weise musiktheoretisch untersucht, weshalb dazu keine Literatur vorhanden ist. 3 3. Das Leben Augustinus Franz Kropfreiters Franz Kropfreiter wurde am 9. September 1936 im oberösterreichischen Hargelsberg geboren. Mit seinen Eltern Johann und Josefa Kropfreiter sowie mit seinen acht Geschwistern wuchs er im Kreise der Familie auf. Im Alter von drei Jahren erkrankte Franz Kropfreiter an einer Gehirnhautentzündung mit Genickstarre, die schließlich zur vollständigen Ertaubung des rechten Ohres führte. Diese Taubheit beeinträchtigte sein späteres musikalisches Schaffen jedoch in keinster Weise. Kropfreiter hatte eine starke Bindung zu seinen Eltern, die ihm stets eine wichtige Stütze waren. Zum Vater Johann Kropfreiter, der Klarinette und Violine spielte, verband ihn in erster Linie die Liebe zur Musik. An der Tischlereiwerkstatt des Vaters hatte er hingegen kein Interesse. Im Jahr 1954 – als Kropfreiter bereits im Stift St. Florian war – nahm sich der Vater das Leben. Ebenso wie Bruckner hatte auch Franz Kropfreiter eine enge Beziehung zu seiner Mutter und interessierte sich sehr für ihre Kochkünste und die Gartenarbeit. Seinem Elternhaus in Hargelsberg blieb er sein Leben lang verbunden und kam immer wieder an den Ort seiner Kindheit zurück.1 Ab 1943 besuchte Franz Kropfreiter die Volksschule in Hargelsberg, wo er als braver Schüler einen guten Eindruck hinterließ. Während der Volksschulzeit begann er auch mit seiner musikalischen Ausbildung. Wie bereits seine Geschwister Pepi und Hansl erhielt Franz Kropfreiter bei Fräulin Poylie seinen ersten Klavierunterricht. Die Musik spielte im Hause Kropfreiter ohnehin eine bedeutende Rolle und so wurde zu Hause regelmäßig gemeinsam musiziert. Kropfreiters Schwester Pepi wurde Organistin in Hargelsberg und ermöglichte ihrem Bruder Franz im Alter von 11 Jahren erstmals auf der Orgel zu spielen. Das Talent zu improvisieren wurde ihm in die Wiege gelegt und so kam es, dass er bereits im Kindesalter – ohne darüber nachzudenken – zu improvisieren begann.2 Nach der Volksschulzeit wechselte Franz Kropfreiter an das Bischöfliche Privatgymnasium Kollegium Petrinum nach Urfahr. Während seiner Gymnasialzeit 1 Georgina Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter (OÖ Publikationen), St. Florian: Trauner Verlag 2006, S. 12ff. 2 Ebd., S. 15ff. 4 stachen vor allem seine Leistungen und sein enormer Ehrgeiz im Fach Musik ins Auge. 1950 wurde Hermann Kronsteiner – ein bekannter Kirchenmusiker – Kropfreiters Musikprofessor und ab diesem Zeitpunkt begann seine Laufbahn als Komponist. Kropfreiter beeindruckte seinen Lehrer in den folgenden Jahren mit vierstimmigen Kanons, komponierte Introitus und Communio zum Ostersonntag und vertonte Gedichte. Neben diversen Kompositionen beschäftigte sich der eifrige Musikschüler aber auch mit Modulationen, Formenlehre und Musikgeschichte. Mit dem zunehmenden Interesse an Musik schwand aber das Interesse für die anderen Fächer und schließlich verließ Kropfreiter vorzeitig das Petrinum.3 Das Jahr 1953 wurde durch den Eintritt in das Augustiner Chorherrenstift St. Florian zu Franz Kropfreiters Schicksalsjahr. Der damals 17-jährige Kropfreiter war als Organist an der Brucknerorgel vorgesehen und somit seinem Vorbild Anton Bruckner einen Schritt näher gekommen. Kropfreiter hatte durch die Aufnahme in eine religiöse Gemeinschaft dieselben Rechte wie die Chorherren, aber auch Verpflichtungen zu erfüllen. Kropfreiters Gläubigkeit war der Musik verschrieben und so ist es nicht verwunderlich, dass sich sein musikalisches Schaffen sein ganzes Leben lang in Gottes Hand befand.4 Mit dem Eintreten in das Stift St. Florian erhielt Franz Kropfreiter den Ordensnamen Augustinus, nach dem er im Laufe seines kompositorischen Schaffens mehrere Kompositionen benannte.5 Die Zeit in St. Florian war für Augustinus Franz Kropfreiter eine sehr lern- und lehrintensive Zeit. Durch das Zusammentreffen mit dem damaligen Stiftsorganisten Johann Krichbaum konnte er sich für sein eigenes Schaffen wertvolle Anregungen holen und von dessen Können profitieren. Ab 1954 erhielt Kropfreiter Orgelunterricht bei Professor Walter Pach, der auch sein einziger Orgellehrer blieb.6 Pach durfte zur damaligen Zeit wegen seiner Nazitätigkeit nicht an der Akademie in Wien lehren und kam daher ein bis zwei Mal im Monat ins Stift St. Florian, um Kropfreiter zu unterrichten.7 1955/56 studierte Kropfreiter beim 3 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 17. 4 Ebd., S. 18f. 5 Ebd., S. 40. 6 Ebd., S. 19. 7 Wolfgang Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter – 40 Jahre Stiftsorganist von St. Florian, in: Singende Kirche 47, Heft 3 (2000), S. 153-155, hier S. 153. 5 Komponisten Helmut Eder am Bruckner-Konservatorium in Linz Tonsatz und konnte bei einem Kompositionswettbewerb den ersten Preis gewinnen. Von 1956 bis 1960 absolvierte Augustinus Franz Kropfreiter sein Studium mit den Fächern Orgel, Choral, Chorleitung und Musiktheorie an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien. Er beendete sein Studium 1960 als Jahrgangsbester und erhielt die Zuerkennung zur „Künstlerischen Reife“.8 Kropfreiter wurde während seines Studiums von sehr bedeutenden Lehrern betreut. Im Dirigieren war er Schüler von Dr. Hans Gillesberger, der mit den Werken Anton Bruckners sehr vertraut war, sodass Kropfreiter vor allem bei der Bruckner-Interpretation viel Wertvolles von Gillesberger lernen konnte.9 Der Klavierlehrerin Hilde Seidlhofer blieb er ein Leben lang verbunden und wurde von ihr auch zu Aufführungen seiner Werke begleitet.10 Nach der Beendigung des Studiums in Wien kam Kropfreiter als 24-Jähriger wieder zurück nach St. Florian und übernahm Johann Krichbaums Stelle als Stiftsorganist an der Brucknerorgel. Ab 1960 war Kropfreiter auch Lehrer am Institut der Florianer Sängerknaben und somit mitverantwortlich für Erfolge des Chores im In- und Ausland. Er nahm diese Aufgabe sehr ernst, musste durch die intensive Lehrtätigkeit auf das Komponieren aber verzichten. Zusätzlich zur Lehrtätigkeit im Chor unterrichtete Kropfreiter etwa 15 Schüler im Fach Klavier. 1964 wurde Kropfreiter Regens Chori in St. Florian und war somit für die gesamte Kirchenmusik verantwortlich. Die Arbeit mit den Sängerknaben war ein Teil von Kropfreiters Lebenswerk. 1983 übernahm schließlich Franz Farnberger die künstlerische Leitung dieses Chores.11 Die Orgel war jenes Instrument, das Kropfreiter bereits als Kind in seinen Bann gezogen hatte und ihn durch sein Wirken in St. Florian bis an sein Lebensende begleitete. Mit dem Orgelbaumeister Helmut Kögler, mit dem Kropfreiter auch eine enge Freundschaft verband, reiste er im In- und Ausland umher, um neue Orgeln mit Konzerten einzuweihen.12 Soweit es die Arbeit zuließ, reiste Kropfreiter gerne in andere 8 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 19f. 9 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 154. 10 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 20. 11 Ebd., S. 20f. 12 Ebd., S. 28f. 6 Länder und verarbeitete die dort gesammelten Eindrücke in seinen Werken. Italien – insbesondere Venedig – zog Kropfreiter auf Reisen immer wieder an. Besonders angetan war Kropfreiter in Venedig von der Basilika SS. Giovanni e Paolo, wo er vom Gemälde des heiligen Sebastian von Giovanni Bellini beeindruckt war. Durch diese Inspiration entstand 1994 schließlich Kropfreiters Trittico – Il mistero di San Sebastiano für Violine, Klarinette und Violoncello. Auch in Südtirol verbrachte Kropfreiter viel Zeit bei der befreundeten Familie Tiefenbrunner, denen er 1981 zwei Menuette für Hackbrett, Zither, Gitarre und Kontrabass widmete. Auch Schweden und insbesondere die Insel Torrö waren Inspirationsquelle für Kropfreiters Werke. Mit den Besitzern der Insel Torrö – Familie Östbo – verband ihn eine jahrzehntelange Freundschaft und er widmete ihnen das Stück Torrö. Auch in die Schweiz hatte Kropfreiter gute Verbindungen. So verband ihn mit dem Gründer und Leiter der Festival Strings Lucerne Rudolf Baumgartner eine gute Freundschaft und Kropfreiter wurde die Ehre zuteil, für dieses weltberühmte Kammerorchester komponieren zu dürfen. 1991 wurde Kropfreiter von Baumgartner zur Einweihung der Orgel in Castellina in Chianti (Toskana) eingeladen, was Kropfreiters hohe Wertschätzung als Interpret und Improvisator bestätigte.13 Augustinus Franz Kropfreiter besaß einen großen Freundeskreis, der sich aus Künstlern seiner Zeit zusammensetzte. Ein treuer Freund Kropfreiters war Kurt Neuhauser, der für Kropfreiter zu dessen 65. Geburtstag ein Konzert in der Stiftsbasilika St. Florian veranstaltete. Freundschaften verbanden Kropfreiter aber auch mit der Dichterin Dora Dunkl und mit dem Maler Fritz Feichtinger. Eine sehr herzliche und jahrelange Freundschaft pflegte Kropfreiter zu Johannes Wetzler, der lange Zeit die Kapellmeisterstelle am Landestheater in Linz inne hatte. Von 1973/74 bis 2001 dirigierte Wetzler die Aufführungen des Stiftschores in St. Florian während Kropfreiter an seiner geliebten Bruckner-Orgel spielte. Mit Johannes Wetzler unternahm Kropfreiter zahlreiche Reisen, besuchte Aufführungen seiner Werke und arbeitete mit ihm an Instrumentierungen. Auch mit dem Leiter des Bachl-Chores – Harald Pill – war Kropfreiter befreundet. Pill war bereits als Kind von Kropfreiters Musik und seinem Orgelspiel begeistert und beendete sein Musikstudium in Salzburg mit einer Diplomarbeit über Augustinus Franz Kropfreiter. Kropfreiter war stets musikalisches 13 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 41ff. 7 Vorbild und Lehrmeister für Harald Pill und die beiden unternahmen auch gemeinsame Reisen. Kropfreiter widmete seinem Freund Harald Pill und dem Bachl-Chor die Passionsmotette Tenebrae factae sunt.14 Kropfreiters Arbeitswille war auch in den letzten Lebensjahren ungebrochen15. Seine Gesundheit war allerdings angeschlagen und so musste er sich Krankenhausaufenthalten, Kuren und Therapien unterziehen, um seinen Körper wieder zu stärken.16 Während Kropfreiter in seinen jungen Jahren in ganz Europa, Japan und in Südamerika umherreiste und Konzerte gab, sah er in den letzten Lebensjahren seine Hauptarbeit im Komponieren und weniger im Konzertieren.17 Sein letztes Konzert fand vermutlich 1996 mit dem Organisten Hans Haselböck statt, bei dem über Themen Anton Bruckners improvisiert wurde. Mit der Verschlechterung von Kropfreiters Gesundheit nahm auch seine Reiselust immer mehr ab. Im August 2003 unternahm er jedoch eine Reise nach Einsiedeln in der Schweiz, um die Uraufführung seiner Fantasie super ´Salve Regina´ per due Organi mitzuerleben. Es sollte dies die letzte Uraufführung unter der Anwesenheit von Augustinus Franz Kropfreiter sein. Kropfreiter verstarb schließlich am 26. September 2003 in seiner Wohnung in St. Florian und wurde am dortigen Konventfriedhof begraben. Die Arbeit an seiner 4. Symphonie und an einer vom Land Oberösterreich zum Florianjahr 2004 bestellten Komposition konnte Kropfreiter nicht mehr beenden. Zweitere wurde aber von Dr. Thomas Daniel Schlee, einem Freund Kropfreiters und bis 1998 Musikdirektor des Brucknerhauses Linz, fertiggestellt und konnte am 24. Oktober 2004 in der Stiftsbasilika uraufgeführt werden.18 14 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 60ff. 15 Ebd., S. 76. 16 Ebd., S. 78. 17 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 153. 18 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 77ff. 8 4. Die Geschichte der Motette 4.1. Die Entstehung der Motette Die Motette galt als die erste mehrstimmige Gattung der Musikgeschichte und entwickelte sich im mittelalterlichen Frankreich. Die frühe Motette stellte aufgrund des lateinischen Textes und der Zugehörigkeit zur Liturgie allerdings noch einen Grenzfall dar, denn die Unabhängigkeit von der Liturgie, und somit der weltliche Text, waren Voraussetzung für die musikalische Gattung der Motette. Die erste Entstehungstheorie der Motette stammte vom Sprachwissenschaftler Wilhelm Meyer, weshalb es auch nicht verwunderlich ist, dass er den Text als das gattungsbestimmende Merkmal ansah.19 Meyer war der Meinung, die Motette sei durch die Tropierung von Klauseln entstanden. Dabei wurden den Oberstimmen im Nachhinein syllabische Texte unterlegt.20 An der von Meyer entwickelten und von Friedrich Ludwig übernommen Entstehungstheorie wurden aber zunehmend Zweifel laut. So stimmten etwa Hugo Riemann oder Wolf Frobenius der Entstehungstheorie dieser beiden nicht zu.21 Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Entstehungsfrage der Motette nicht eindeutig zu beantworten ist, und dass auch die Theorie von Meyer und Ludwig nicht haltbar ist. Eine durchaus plausible These stammte von Christopher Page.22 Seiner Meinung nach entwickelte sich die Motette unter den Notre-Dame-Sängern in Paris. Durch die Kombination von mensuralen Techniken der Mehrstimmigkeit und weltlichem Liedgut sei es zur Entstehung der Motette gekommen.23 Dieser Theorie zu Folge entstand die 19 Bernhold Schmid, Die Motette bis in das frühe 15. Jahrhundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 15-57, hier S. 15. 20 N.N., Motette, in: Riemann Musiklexikon, hrsg. v. Wolfgang Ruf und Annette van Dyck-Hemming (Band 3: Kano-Nirv), Mainz: Schott 2012, S. 405-408, hier S. 406. 21 Schmid, Die Motette, S. 16. 22 Ebd., S. 17. 23 Christopher Page, Discarding Images. Reflections on Music and Culture in Medieval France, in: Bernhold Schmid, Die Motette bis in das frühe 15. Jahrhundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 15-57, hier S. 17. 9 Motette als weltliche, volkssprachliche Gattung, die der Unterhaltung des städtischen Publikums, das sowohl Laien als auch Kleriker umfasste, dienen sollte. Die lateinische Motette entwickelte sich laut Page aus der weltlichen Motette heraus.24 Auch die Herkunft des Terminus ist nicht eindeutig geklärt. Vermutlich geht der Begriff auf das altfranzösische Wort mot zurück, das Vers oder Strophe bedeutet. Das Wort motet ist eine Diminutivform von mot und wurde bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verwendet.25 Etwa ab der Mitte des 13. Jahrhunderts tauchte in der musica mensurabilis die lateinische Form (motetus) auf, die eine Gattung der Mehrstimmigkeit bezeichnete, in der zu einer vorhandenen Stimme ein neu komponierte, textierte Stimme – der sogenannte motetus – hinzukam.26 4.2. Die Motette im Mittelalter Das erste Auftreten der Motette wurde um 1200 in der Notre-Dame-Epoche angesiedelt.27 Die Pariser Notre-Dame-Handschriften enthalten Motetten, die sowohl in lateinischer als auch in französischer Sprache verfasst und bereits bis zur Dreistimmigkeit ausgeweitet wurden.28 Da sich die Motette – wie oben bereits erwähnt – in Paris entwickelte, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf die Motette in Frankreich. 4.2.1. Die Notre-Dame-Epoche Als charakteristisches Merkmal in der Motette zur Notre-Dame-Zeit galt die Verbindung eines Choralausschnitts „mit einer oder mehreren neu komponierten 24 Karl Kügle, Motette, in: Messe und Motette, hrsg. v. Laurenz Lütteken (MGGprisma), Kassel u.a.: Bärenreiter-Verlag 2002, S. 114-200, hier S. 116. 25 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 405. 26 Kügle, Motette, S. 114. 27 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 405. 28 Kügle, Motette, S. 117. 10 Oberstimmen.“ Neuere Theorien sprachen von einem aus der liturgischen Mehrstimmigkeit stammenden Tenor, zu dem eine neue Oberstimme nach den Regeln des discantus dazukomponiert wurde.29 Die Motette des frühen 13. Jahrhunderts wurde durch eine Klausel oder Discantuspartie, der ein neuer Text unterlegt wurde, bestimmt. Die Motetten dieser Zeit zeigten melodische Einflüsse aus den weltlichen Liedern, da sich die Oberstimmen häufig an den Refrains solcher orientierten. In den Anfängen dieser Gattung gab es noch einen engen inhaltlichen und auch kompositorischen Zusammenhang mit dem Organum. Erst durch die Loslösung vom Organum wurde die Motette zu einer selbstständigen Gattung und als in sich geschlossenes Werk komponiert. Die Motetten der Notre-Dame-Epoche waren zunächst zweistimmig, gegen Ende der Epoche wurden zum Tenor aber bereits zwei Oberstimmen textiert, sodass vereinzelt auch schon dreistimmige Motetten zu finden waren.30 Thematisch befassten sich diese Motetten sowohl mit Liebeslyrik als auch mit geistlichen oder politischen Themen. Mit dem Erstarren der Notre-Dame-Epoche wurde die Motette zur zentralen Gattung der Ars antiqua.31 4.2.2. Die Ars antiqua Um etwa 1240 vollzog sich ein Stilwandel von der Notre-Dame-Epoche hin zur Ars antiqua, die Grenzen verliefen hier fließend und sind nicht exakt abzugrenzen. Auch die Motette, die die zentrale Gattung der Ars antiqua darstellte, entwickelte sich kontinuierlich, sodass sie sich schlussendlich wesentlich von den frühen Motetten unterschied. Die Motette der Ars antiqua war dreistimmig und mehrtextig. Sie wurde als Doppelmotette komponiert, wobei die beiden Oberstimmen je einen eigenen Text hatten. Im Regelfall wurden die beiden Oberstimmen gesungen, der Tenor von einem Instrument gespielt. Die – wie anzunehmen ist – schwer verständliche Doppeltextigkeit stellte keine große Hürde für das Publikum dar, denn im 13. Jahrhundert wurden die Motetten nur im kleinen Kreis vor Kennern aufgeführt, die die Motetten kannten oder 29 Kügle, Motette, S. 117. 30 N.N., Europäische Musik in Schlaglichtern, hrsg. v. Peter Schnaus in Zusammenarbeit mit weiteren Mitarbeitern und Meyers Lexikonredaktion, Mannheim u.a.: Meyers Lexikonverlag 1990, S. 100f. 31 Kügle, Motette, S. 118. 11 sogar bei deren Entstehung dabei waren.32 Die Texte beschäftigten sich weiterhin vorwiegend mit weltlichen Inhalten und wurden sowohl in französischer als auch in lateinischer Sprache verfasst.33 Einer der wenigen bekannten Motettenkomponisten dieser Zeit war Adam de la Halle.34 Das Ende der Ars antiqua wurde vom Petrus-de-Cruce-Stil bestimmt. Charakteristisch für diesen Stil waren die bis zu sieben, einzeln textierten Semibreven in der Oberstimme, sodass es dadurch zu einer Verlangsamung der Unterstimmen gegenüber dem Triplum kam. Diese Neuheit führte zu Notationsproblemen und in der darauffolgenden Epoche schließlich zur Unterteilung der Brevis.35 Weiters kam es gegen Ende der Ars antiqua auch zum Auftreten frei komponierter Tenormelodien und zu einem Zurücktreten der Modalrhythmik. Diese Neuerungen bedeuteten das Ende der Ars antiqua und führten in eine neue Epoche – die Ars nova.36 4.2.3. Die Ars nova Ohne scharfe Einschnitte vollzog sich der Übergang von der Ars antiqua zur Ars nova, die als Epochenbegriff für viele neue Kenntnisse in der Musik stand. Die Bezeichnung bezog sich in erster Linie auf notationstechnische Neuerungen wie der Einführung kleinerer Notenwerte und der Gleichstellung von perfekten und imperfekten Mensuren. Durch die neuen Notationsmöglichkeiten war das Komponieren vielfältigerer und komplexerer Rhythmen möglich, als dies noch in der Ars antiqua der Fall war.37 Für die Motette bedeuteten diese Fortschritte neue satztechnische Möglichkeiten und somit das Entstehen der isorhythmischen Motette.38 32 Schnaus (Hrsg.), Europäische Musik, S. 105ff. 33 Kügle, Motette, S. 119. 34 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 406. 35 Schmid, Die Motette bis in das frühe 15. Jahrhundert, S. 27ff. 36 Kügle, Motette, S. 120. 37 Schmid, Die Motette bis in das frühe 15. Jahrhundert, S. 29. 38 Kügle, Motette, S. 123. 12 Die isorhythmische Motette bestand weiterhin aus drei Stimmen und war doppeltextig.39 Der Begriff Isorhythmie bezeichnet eine „mehrmalige unveränderte Wiederholung einer rhythmischen Struktur trotz sich ändernder Melodik.“40 Durch die Wiederholung einer Tenormelodie und deren Rhythmus fand dieses Gestaltungsprinzip in der Motette Anwendung.41 Weiters charakteristisch für die Motetten dieser Zeit war das Einbauen von Hoquetuspassagen.42 Unter Hoquetus sind Musikstücke zu verstehen, bei denen zwei Oberstimmen abwechselnd von Pausen durchsetzt sind, sodass jeweils eine Stimme singt bzw. spielt, während die andere Stimme pausiert.43 Während in der Ars antiqua Motetten noch zu Familien zusammengefasst worden sind, wurden sie in der Ars nova als Einzelstücke komponiert. Klauseln bildeten nicht mehr den Ausgangspunkt von Kompositionen und die Tenores konnten auch frei erfunden werden. In der Ars nova komponierten etwa Phillippe de Vitry und Guillaume de Machaut Motetten.44 4.2.4. Die Motette außerhalb Frankreichs Auf die Entwicklung der mittelalterlichen Motette im europäischen Bereich wird hier nur kurz eingegangen. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Motette auch außerhalb Frankreichs vorkam, ihre Entwicklung aber vielerorts von der französischen Ars antiqua-Motette geprägt war. Trotz dieser Anlehnung an französische Werke kam es im Laufe des Mittelalters zu eigenständigen Entwicklungen.45 39 Schnaus (Hrsg.), Europäische Musik, S. 119. 40 Reinhard Amon, Lexikon der musikalischen Form, Wien: Doblinger 2011, S. 170. 41 Ebd., S. 239. 42 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 406. 43 Schnaus (Hrsg.), Europäische Musik, S. 112. 44 Schmid, Die Motette bis in das frühe 15. Jahrhundert, S. 32. 45 Ebd., S. 37. 13 Durch kulturelle und politische Beziehungen zwischen Frankreich und England entstand ein eigenes Motettenrepertoire in England.46 Beeinflusst wurde das Motettenschaffen in England sowohl von den Motetten der französischen Ars antiqua als auch der Ars nova. Diese Einflüsse waren vor allem in Bezug auf die Kompositionstechnik feststellbar, eine eigenständige Entwicklung der Motetten vollzog sich in England hinsichtlich der Klanglichkeit.47 Die Ars nova beeinflusste das englische Motettenschaffen ab der Mitte des 14. Jahrhunderts durch seine typische Isorhythmie.48 Auch im kontinentalen Europa nahm das Motettenschaffen zu. Zum einen versuchten die Länder die eigenen Traditionen zu bewahren, zum anderen fand eine Beeinflussung von Seiten ausländischer Entwicklungen statt. Im deutschsprachigen Raum etwa wurden vorgegebene Motetten umgestaltet, verwandelt und nach eigenen Vorstellungen adaptiert. Häufig wurden französische Sätze in Bezug auf Rhythmus und Klang vereinfacht oder die Stimmenzahl geändert. Die deutschen Motetten hatten vorwiegend lateinische, geistliche Texte und wurden in Kirchen gesungen.49 Auch in Italien begann ab dem 14. Jahrhundert die Entwicklung der Motette. Anknüpfend an die Ars antiquaMotette kam es in der Gegend um Padua und Venedig zu einer eigenständigen Gattungsgeschichte. Die italienischen Motetten vermieden Isorhythmie, waren meistens eintextig und imitierten häufig zwischen den Oberstimmen.50 4.3. Die Motette in der Renaissance Bereits Ende des 13. Jahrhunderts mehrten sich kritische Stimmen mit der Ansicht, die Motette habe sich zu weit von der Liturgie entfernt und gehöre verboten. 1324/25 kam es schließlich dazu, dass Papst Johannes XXII. die Motette in der Kirche verbieten 46 Kügle, Motette, S. 126. 47 Schmid, Die Motette bis in das frühe 15. Jahrhundert, S. 39. 48 Ebd., S. 42. 49 Ebd., S. 43f, 49f. 50 Kügle, Motette, S. 126f. 14 ließ.51 Dieser Erlass galt allerdings nicht grundsätzlich der mehrstimmigen Musik in Gottesdiensten, jedoch beschränkte er die Verwendung der Mehrstimmigkeit auf einfache Satzformen.52 Aufgrund dieses Erlasses kam die Motette bis ins 16. Jahrhundert hinein außerhalb der Liturgie zur Aufführung, wurde wieder lateinisch und tendierte zur Eintextigkeit.53 Von 1544 bis 1563 fand das Konzil von Trient statt, das neben der Beendigung des Religionsstreits und der Befreiung der Christen auch eine Reform der Kirche und der dazugehörigen Kirchenmusik zum Ziel hatte. Gefordert wurden Textverständlichkeit und die Fernhaltung von Weltlichem in der Mehrstimmigkeit und der Orgelmusik.54 Im 15. und 16. Jahrhundert befand sich die Motette in einem Spannungsfeld zwischen Liturgie und weltlicher Funktion.55 Die Kategorisierung der Motette zu dieser Zeit gestaltete sich schwierig, da die Texte der meisten Motetten bereits geistlichen Inhalts waren, ihre Funktion aber für den außerliturgischen Gebrauch bestimmt war. Die Verwendung dieser Gattung außerhalb der Liturgie erfolgte beispielsweise bei Andachten, Prozessionen, Trauungen, Taufen oder Begräbnissen. Bei politischen, kirchlichen oder gesellschaftlichen Anlässen wurden die sogenannten Staatsmotetten vorgetragen.56 Sie kamen in erster Linie gesungen zur Aufführung, die Begleitung von Instrumenten war aber durchaus möglich.57 Die in der Ars nova aufgekommene isorhythmische Motette hielt sich bis ins 15. Jahrhundert hinein und erlebte dort ihre Spätblüte. Isorhythmische Motetten aus dem 51 Franz Körndle, Die Motette vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 91-153, hier S. 91. 52 Franz Körndle, Die Bulle „Docta sanctorum patrum“, in: Wolfgang Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, in: Geschichte der Kirchenmusik, hrsg. v. Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher (Band 1: Von den Anfängen bis zum Reformationsjahrhundert), Laaber: Laaber-Verlag 2011, S. 301-317, hier S. 301. 53 Wolfgang Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, in: Geschichte der Kirchenmusik, hrsg. v. Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher (Band 1: Von den Anfängen bis zum Reformationsjahrhundert), Laaber: Laaber-Verlag 2011, S. 301-317, hier S. 301. 54 Körndle, Die Motette vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, S. 106. 55 Ebd., S. 95. 56 Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, S. 302. 57 Ebd., S. 304. 15 15. Jahrhundert stammten unter anderem von John Dunstable und Guillaume Dufay. In der Mitte desselben Jahrhunderts fand ein kompositorischer Bruch statt, der das Verschwinden der isorhythmischen Motette und das Entstehen der Tenormotette bewirkte.58 Im Normalfall war die Tenormotette fünfstimmig, wobei der aus der Gregorianik stammende Cantus firmus im Tenor lag und von je zwei höheren und tieferen Stimmen umgeben wurde.59 Die Texte der Tenormotetten wurden im Normalfall neu gedichtet und eintextig gehalten. Frühe Tenormotetten stammten etwa von Johannes Regis oder Loyset Compére, ihren Höhepunkt erreichte diese Gattung allerdings im Schaffen von Josquin Desprez. Seine Motetten waren an den päpstlichen Hof gebunden, eintextig und wurden auf bis zu sechs Stimmen erweitert.60 Als weiterer wichtiger Motettentyp in der Renaissancezeit ist die Psalmmotette zu nennen. Dabei wurden neben vollständigen Texten auch Einzelverse oder zusammengestellte Psalmen vertont. Eine wichtige Neuerung im Gegensatz zur Tenormotette war die Loslösung von der typischen Cantus-firmus-Bindung. Auch für die Musikgeschichte war der Verzicht auf die Bindung an einen Cantus firmus von großer Bedeutung gewesen, denn dadurch begannen die Komponisten Motive frei zu erfinden und ermöglichten in weiterer Folge die Entwicklung des frei durchimitierenden Satzes.61 In den meisten Fällen wurden die Psalmmotetten bei außerliturgischen Anlässen zur Aufführung gebracht,62 in der protestantischen Kirche waren sie aber bereits fester Bestandteil des Gottesdienstes, sofern ihre Texte der Bibel entstammten.63 In der katholischen Kirche wurden mehrstimmige Psalmen erst nach dem tridentinischen Konzil in die Gottesdienste aufgenommen.64 58 Laurenz Lütteken, Motette, in: Messe und Motette, hrsg. v. Laurenz Lütteken (MGGprisma), Kassel u.a.: Bärenreiter-Verlag 2002, S. 114-200, hier S.132ff. 59 Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, S. 305. 60 Lütteken, Motette, S. 136f. 61 Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, S. 306. 62 Körndle, Die Motette vom 15. bis zum 17. Jahrhundert, S. 110. 63 W. Dehnhard, Die deutsche Psalmmotette in der Reformationszeit, in: Franz Körndle, Die Motette vom 15. bis zum 17. Jahrundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 91-153, hier S. 111. 64 K. Fischer, Die Psalmkompositionen in Rom, in: Franz Körndle, Die Motette vom 15. bis zum 17. Jahrundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 91-153, hier S. 111. 16 Neben der Tenormotette und der Psalmmotette war die Evangelienmotette ein weiterer Motettentyp des 15. und 16. Jahrhunderts. Wie der Begriff schon verrät, wurden bei dieser Form die Evangelientexte vertont – jedoch nicht der gesamte Text, sondern lediglich eine Auswahl der aussagekräftigsten Sätze. Im protestantischen Bereich wurden zu dieser Zeit bereits deutschsprachige Texte verwendet.65 Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts vollzog sich in der Motettenentwicklung eine zunehmende Liturgisierung. Zusehends wurden die Werke auch im Rahmen der Gottesdienste vorgetragen.66 Eine Einbindung der Motette in die Liturgie war in den protestantischen Gottesdiensten früher möglich als bei den Katholiken, da die Protestanten ein anderes Verständnis von Liturgie hatten. In der katholischen Kirche vollzog sich die Liturgisierung der Motette erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.67 In weiterer Folge kam es im 16. Jahrhundert zu einer Vereinheitlichung der Motette, die somit zum Paradigma der geistlichen Musik wurde. Sie bestand weiterhin aus vier bis acht Stimmen im polyphonen Satz und war in lateinischer Sprache gehalten. Ihren Bestimmungsort fand diese Gattung schließlich in der kirchlichen Liturgie.68 Abgesehen von den unterschiedlichen Motettentypen sollen auch wichtige Stilmerkmale der Motetten des 15. und 16. Jahrhunderts hier ihren Platz finden. Die Basis der Motettenkompositionen zu dieser Zeit war die Kontrapunktik, die auch für die übrigen Gattungen der Renaissance das satztechnische Fundament darstellte. Die Klanglichkeit betreffend, verloren die terzlosen Klänge gegenüber den vollständigen Dreiklängen an Bedeutung. Heinrich Glarean erweiterte das System der Kirchentonarten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und legte somit den Grundstein für das spätere Dur-MollSystem. Die Motetten dieser Zeit waren im Regelfall vierstimmig, allerdings waren Erweiterungen auf fünf, sechs oder mehrere Stimmen keine Ausnahme mehr. Ein typisches Gestaltungsmerkmal der Motetten im 15. und 16. Jahrhundert war die 65 Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, S. 308. 66 Lütteken, Motette, S. 155. 67 Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, S. 303. 68 Lütteken, Motette, S. 155. 17 abschnittsweise Durchimitation.69 Dabei wurde der Text in sinnvolle Abschnitte unterteilt und den einzelnen Passagen ein charakteristisches Motiv zugewiesen. Dieses Motiv durchlief imitatorisch alle Stimmen und mündete in einen kadenzierenden Abschluss, aus welchem heraus ein neues Motiv entstand und wiederum durchimitiert wurde. In diesem Sinne war der Text ein wichtiges Kompositionsprinzip und förderte die enge Verbindung von Text und Musik.70 4.4. Die Motette im 17. und 18. Jahrhundert Nach der Hochblüte der Motette im 15. und 16. Jahrhundert kam es ab der Barockzeit zu einem Bedeutungsverlust dieser Gattung. Der Grund für diese Entwicklung lag im Aufkommen neuer Kunstideale und Kompositionstechniken wie dem Generalbass, der Monodie und dem konzertierenden Prinzip. Die Motette nahm die neuen Ideale teilweise auf und vermischte sich mit diesen Formen. In dieser Hinsicht spielte auch die neue Gattung der Kantate – vor allem in Mittel- und Norddeutschland – eine wichtige Rolle, da sie den Platz der Evangelienmotette im Gottesdienst einnahm und somit dazu beitrug, dass die Motette ein geistliches Gelegenheitswerk wurde.71 Die Motette des 17. Jahrhunderts wurde charakterisiert durch ihren Stilpluralismus und orientierte sich satztechnisch weiterhin an Palestrina.72 Verschiedene Quellen – wie etwa Forchert/Finscher73 oder Braun74 – verweisen allerdings darauf, dass neben dem italienischen Einfluss auch die niederländische Satztechnik um Orlando di Lasso fortbestand und das Motettenschaffen dieser Zeit mitbestimmte. Im Gottesdienst fand die Motette im 17. und 18. Jahrhundert in den freien Teilen der Liturgie ihren Platz.75 69 Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, S. 304. 70 Schnaus (Hrsg.), Europäische Musik, S. 155. 71 Klaus Hofmann, Johann Sebastian Bach. Die Motetten (Bärenreiter Werkeinführungen), Kassel u.a.: Bärenreiter-Verlag 2003, S. 21. 72 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 407. 73 Arno Forchert (Ludwig Finscher), Motette, in: Messe und Motette, hrsg. v. Laurenz Lütteken (MGGprisma), Kassel u.a.: Bärenreiter-Verlag 2002, S. 114-200, hier S. 167. 74 Werner Braun, Die Musik des 17. Jahrhunderts, in: Neues Handbuch der Musikwissenschaft, hrsg. v. Carl Dahlhaus (Band 4), Wiesbaden: Laaber-Verlag 1981, S. 186. 75 Ebd., S. 186. 18 Venedig war im 16. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum der Musik und die Geburtsstätte der Mehrchörigkeit. Dieses neue Prinzip hatte gegen Ende des Jahrhunderts auch die Motette erfasst und die Komponisten wussten die Architektur des Markusdom für ihre Musikstücke optimal zu nutzen. Das konzertierende Prinzip mit Chor- und Solostimmen sowie selbstständigen Instrumenten erschien in Giovanni Gabrielis Sacrae symphoniae von 1615 besonders deutlich. Dieses in Venedig neu entstandene Prinzip beeinflusste in weiterer Folge auch die Motette des 17. Jahrhunderts.76 So kam es, dass konzertierende Stimmen in die Motettensätze miteinbezogen wurden77 und der Weg für die Entstehung der konzertierenden Motette geebnet wurde. Die wichtigsten Impulse für die Entwicklung der konzertierenden Motette stammten von norditalienischen Komponisten. Die Cento concerti ecclesiastici von Lodovico Viadana fanden weite Verbreitung und viele Nachahmer auch außerhalb Italiens.78 Zur Zeit Viadanas waren konzertierende Motetten für einstimmigen Sologesang eher die Ausnahme. Durch Claudio Monteverdi und Alessandro Grandi erfuhren die geringstimmigen Generalbassmotetten einen Aufschwung und repräsentierten den neuen Kirchenmusikstil. Dadurch wurde der Generalbass melodisch und rhythmisch selbstständig und die Solostimmen konnten durch ihre Loslösung vom Kontrapunkt freier gestaltet werden.79 Die römische Kirchenmusik hingegen behielt den Palestrinastil weiterhin bei.80 Der Höhepunkt der konzertierenden Motette als bedeutende Gattung der Kirchenmusik kann in der Zeit von 1620 bis 1630 angesetzt werden. Mit dem Aufkommen neuer Gattungen (Oper, Oratorium, Solokantate) um 1640 schwand die Bedeutung der Motette allmählich.81 Die Motetten des 17. und 18. Jahrhunderts ließen in Deutschland italienische Einflüsse erkennen. Sowohl der polyphone Palestrinasatz, als auch die aus Venedig stammende Mehrchörigkeit beeinflussten die Komponisten bei ihren Motettenkompositionen. In katholischen Gebieten Deutschlands entwickelte sich aus der kleinbesetzten 76 Hochstein, Motette und vokale Choralbearbeitung, S. 310f. 77 Forchert (Finscher), Motette, S. 159. 78 Ebd., S. 161. 79 Ebd., S. 162. 80 Ebd., S. 164. 81 Ebd., S. 166. 19 Solomotette mit Generalbassbegleitung schon bald die Solokantate. Neben der Solomotette bestand noch die Chormotette, welche aus dem großbesetzten Concerto des 17. Jahrhunderts entstanden ist und ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert erlebte.82 Diese Form der Motette wurde vor allem in den evangelischen Kantoreien gepflegt. Bereits im 17. Jahrhundert komponierten Johann Hermann Schein, Samuel Scheidt und insbesondere Heinrich Schütz Chormotetten. Auch die Motetten Johann Sebastian Bachs entsprachen dieser Form.83 Nach ihrer Blütezeit entwickelte sich aus der Chormotette schließlich die Chorkantate.84 Im protestantischen Deutschland ging die Motette nach ihrer anfänglichen Orientierung an italienischen Vorbildern eigene Wege. Ein typisches Merkmal für die protestantische Motette des 17. und 18. Jahrhunderts waren die deutschsprachigen Texte, welche die lateinische Sprache immer mehr verdrängten.85 Die Texte zu den Motetten entstammten sowohl den Psalmen als auch den Evangelien. Sehr beliebt in Deutschland waren mehrchörige Motetten, die gemischt vokal-instrumental zur Aufführung kamen. Besondere Werke auf diesem Gebiet stammten von Johann Hermann Schein und Heinrich Schütz, die mit unterschiedlichen Besetzungen und Klangfarben arbeiteten. Durch das Aufkommen der neuen Gattungen wurde die Motette auch im protestantischen Bereich zur Gebrauchsmusik, die im Normalfall aus vier Stimmen bestand. In Thüringen und Sachsen wurden Bibelspruch und Choral kombiniert und führten zur Entstehung eines neuen Motettentyps, der in den Werken Johann Sebastian Bachs voll ausgeprägt war.86 Als Kantor in Leipzig überließ Bach das Singen der Motetten in den Gottesdiensten dem weniger geübten dritten Teilchor, was die zurückgetretene Bedeutung dieser Gattung verdeutlichte. Bachs eigene Motetten zeichneten sich durch ihren teilweise sehr 82 Heinrich Hüschen, Die Motette, in: Das Musikwerk. Eine Beispielsammlung zur Musikgeschichte, hrsg. v. Karl Gustav Fellerer (Nr. 47), Köln: Arno Volk Verlag 1974, S. 18. 83 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 407. 84 Hüschen, Die Motette, S. 18. 85 Ebd., S. 18f. 86 Walter Werbeck, Vokale Gattungen evangelischer Kirchenmusik, in: Geschichte der Kirchenmusik, hrsg. v. Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher (Band 2: Das 17. und 18. Jahrhundert. Kirchenmusik im Spannungsfeld der Konfessionen), Laaber: Laaber-Verlag 2012, S. 92-104, hier S. 97. 20 hohen Schwierigkeitsgrad und durch die große Chorbesetzung aus. Aufgrund dieser Tatsachen wurden sie vermutlich nur zu besonderen Anlässen, bei denen der gesamte Thomanerchor anwesend war, aufgeführt. Die Hauptwerke waren fünf, wahrscheinlich in Leipzig entstandene, Motetten, hinzu kamen schließlich noch drei weitere Werke. Die Texte entnahm Bach größtenteils der Bibel und dem Gesangsbuch, als Quellen dienten aber auch zwei barocke Aria-Dichtungen.87 Bis zu Johann Sebastian Bach war das colla parte der Instrumente bei der Ausführung der Motetten selbstverständlich, denn der a cappella-Stil setzte sich erst in der Romantik durch.88 Neben Italien und Deutschland fanden die Motetten auch in Frankreich und England weiterhin Verwendung. In Frankreich erlebte die geistliche Musik durch den Absolutismus von Ludwig XIV. einen Aufschwung.89 Die Motette in Frankreich zeigte zwei unterschiedliche Ausprägungen. Einerseits wurden die petit motets gepflegt, die aus bis zu drei Vokalstimmen und Generalbass bestanden. Daneben gab es die mit Chor, Solisten und Orchester besetzten grand motets,90 die als Hof- bzw. Kirchenmusik eingesetzt wurden.91 In England hingegen wurde die Motette durch eine neue englische Gattung, das Anthem, verdrängt. Diesem Anthem lag ein englischer Psalmtext zugrunde und es trat in zwei unterschiedlichen Formen auf. Das Full Anthem war in seiner Form und Satzart der Motette ähnlich und wurde meist a cappella zur Aufführung gebracht. Im Verse Anthem wechselten Solo- und Chorpartien einander ab und es erinnerte in seiner großen Anlage an das Oratorium. Die lateinische Motette spielte in England zu dieser Zeit nur eine untergeordnete Rolle.92 87 Werner Breig, Johann Sebastian Bach, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, hrsg. v. Ludwig Finscher (Personenteil Band 1: Aa-Bae), Kassel u.a.: Bärenreiter-Verlag 1999, S. 1397-1535, hier S. 1484f. 88 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 407. 89 Forchert (Finscher), Motette, S. 171. 90 Werbeck, Vokale Gattungen, S. 97. 91 Forchert (Finscher), Motette, S. 171. 92 Hüschen, Die Motette, S. 19f. 21 4.5. Die Motette im 19. und 20. Jahrhundert Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bewirkte die Schließung von vielen Kirchen und Klöstern einen Bedeutungsverlust der Kirchenmusik. Damit verbunden war auch die Verdrängung der Motette in den Hintergrund. Durch diese Entwicklung wurde die groß besetzte Motette durch die a cappella-Motette, die gelegentlich von wenigen Instrumenten begleitet werden konnte, verdrängt.93 Als geistliches, aber auch weltliches Chorwerk konnte sich die Motette auch im 19. Jahrhundert weiterhin behaupten. Komponisten wie zum Beispiel Robert Schumann, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Johannes Brahms oder Anton Bruckner nahmen sich dieser Gattung an.94 Die Motettenkomposition dieser Zeit besinnte sich auf Vorbilder vergangener Jahrhunderte und sah zwei Stile als Ideale an: einerseits jenen von Palestrina bzw. der Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts, andererseits gilt J.S. Bach mit dem barocken Kontrapunkt als Vorbild.95 Vor allem die a cappella-Motette nach der Satztechnik Palestrinas galt als unumstrittenes Ideal. Gemeinsam mit kirchenmusikalischen Neuerungen führte die Rückbesinnung auf Größen des 15. bis 17. Jahrhunderts zu einem Aufschwung der Motettenkomposition, wobei alte mit neuen Techniken verbunden wurden.96 Die Verbindung von Tradition und zeitgenössischen Mitteln vollzog sich besonders gut in der weltlichen Motette, die dadurch seit dem 16. Jahrhundert erstmals wieder zu neuem Leben erwachte.97 Motetten kamen im 19. Jahrhundert sowohl in katholischen als auch in protestantischen Gottesdiensten, bei Begräbnissen, Hochzeiten oder Prozessionen zur Aufführung.98 Da 93 Hüschen, Die Motette, S. 21. 94 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 407. 95 Winfried Kirsch, Zum Motetten-Ideal und zur Josquin-Rezeption im 19. Jahrhundert, in: Die Motette. Beiträge zu ihrer Gattungsgeschichte, hrsg. v. Herbert Schneider und Heinz-Jürgen Winkler (Neue Studien zur Musikwissenschaft, Band 5), Mainz u.a.: Schott 1991, S. 283-297, hier S. 283. 96 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 407. 97 Forchert (Finscher), Motette, S. 185. 98 Birgit Lodes, Das 19. Jahrhundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 270-332, hier S. 320. 22 viele Motetten im 19. Jahrhundert keiner bestimmten liturgischen Funktion zugeordnet waren, konnten sie sowohl in Gottesdiensten als auch außerhalb der Liturgie – zum Beispiel bei Konzerten – eingesetzt werden.99 Viele Kirchenchöre wurden neu gegründet oder umstrukturiert und gaben Motetten in Konzerten zum Besten. Durch die neuen Aufführungsmöglichkeiten bestand für die Komponisten dieser Zeit nun wieder ein größerer Ansporn zur Komposition anspruchsvoller Motetten. Im selben Jahrhundert entwickelte sich das bürgerliche Chorwesen und somit ein neuer Aufführungsbereich für diese Gattung. In regelmäßigen Abständen fanden Sänger- und Liederfeste statt, bei denen auch Motetten vorgetragen wurden. Neben dieser Entwicklung stand die Bildung von Singakademien und Singvereinen, die teilweise auf hohem Niveau musizierten. Durch diese neu aufgekommene Motivation kam es zu neuen Motettenkompositionen und -aufführungen, es wurden jedoch auch Werke aus vergangener Zeit gesungen. Ausgehend von diesen neuen Entwicklungen im Chorwesen gelangte die Motette schließlich in den Konzertsaal.100 Die Texte der Motetten waren in deutscher oder lateinischer Sprache gehalten und liturgischen bzw. geistlichen Inhalts.101 Robert Schumann begann als erster damit, anstelle von Bibeltexten auch literarische Texte zu vertonen. Diesem Vorbild folgten nach ihm auch andere Komponisten.102 Als Aufführungsideal der Motette dieser Zeit setzte sich immer mehr der a cappella-Stil durch. Dennoch war es noch möglich, dass der Chor von Orgel oder einigen Bläsern begleitet wurde.103 Die ideale Motette des 19. Jahrhunderts verband polyphone und homophone Abschnitte miteinander und nahm sich auch der kontrapunktischen Verarbeitung (z.B. Fuge, Kanon) an.104 99 Wolfgang Hochstein, Te Deum, Stabat Mater, Psalmen und weitere kirchenmusikalische Gattungen, in: Geschichte der Kirchenmusik, hrsg. v. Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher (Band 3: Das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Historisches Bewusstsein und neue Aufbrüche), Laaber: Laaber-Verlag 2013, S. 123-140, hier S. 139. 100 Lodes, Das 19. Jahrhundert, S. 320f. 101 Ebd., S. 326. 102 Ebd., S. 323. 103 Ebd., S. 326. 104 Kirsch, Zum Motetten-Ideal, S. 287. 23 Anton Bruckner komponierte zahlreiche Kirchenmusikwerke, darunter zirka 40 Gradual- und Offertoriumsmotetten.105 Bruckner beschränkte sich in seinen Motetten auf liturgische Texte und bevorzugte die rein vokale Aufführung, die Verwendung der Orgel als Klangstütze war aber möglich. Die Werke wurden akkordisch angelegt und orientierten sich in der Stimmführung an der Vokalpolyphonie. Auf eine Orientierung am Stil J.S. Bachs verzichtete Bruckner, weshalb polyphone Elemente in seinen Motetten so gut wie keine Verwendung fanden. Nicht viele Komponisten des 19. Jahrhunderts schafften es wie Bruckner, trotz hoher Anforderungen an die Aufführungen, liturgisch verwendbare a cappella-Motetten zu komponieren.106 Als Höhepunkt dieses Schaffens sind die in Wien entstandenen Motetten Os justi, Locus iste, Tota pulchra es, Christus factus est, Virga Jesse und Vexilla Regis anzusehen.107 Diese wurden vorwiegend für St. Florian und den Dom zu Linz komponiert.108 Im 20. Jahrhundert wurde die Entwicklung der Motette von einer protestantischen Erneuerungsbewegung beeinflusst.109 Die Gottesdienste wurden als Feier der singenden Glaubensgemeinde angesehen, weshalb zunehmend gebrauchsmusikalische Gattungen zum Einsatz kamen und auf Messen eher verzichtet wurde. Hingegen wurden Werke für kleine Chöre komponiert und vor allem die a cappella-Motette wurde neu belebt. Sowohl in protestantischen als auch in katholischen Gottesdiensten basierten die Motetten zunehmend auf deutschen Kirchenliedern. Vielfach wurden für die Kompositionen Texte aus der Bibel verwendet und daher waren die Stücke in gewisser Weise auch für die liturgische Verwendung vorgesehen. In vielen Fällen jedoch stand – auch bei Verwendung von Bibeltexten – das persönliche Interesse an religiösen Fragen im Vordergrund. Die neu komponierten Werke waren keinesfalls ausschließlich für 105 Winfried Kirsch, Anton Bruckner (1824-1896), in: Geschichte der Kirchenmusik, hrsg. v. Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher (Band 3: Das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Historisches Bewusstsein und neue Aufbrüche), Laaber: Laaber-Verlag 2013, S. 204-207, hier S. 205. 106 Lodes, Das 19. Jahrhundert, S. 317ff. 107 Winfried Kirsch, Anton Bruckners Motetten der Wiener Zeit, in: Lodes, Das 19. Jahrhundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 270-332, hier S. 320. 108 Lodes, Das 19. Jahrhundert, S. 320. 109 Forschert (Finscher), Motette, S. 185. 24 Gottesdienste gedacht, sondern wurden als geistliche Vokalwerke auch in Konzerten zur Aufführung gebracht.110 Die Komponisten dieser Zeit sahen für die Motetten den Stil von Heinrich Schütz als Ideal an. Durch die Rückbesinnung auf Schütz stand nun die Evangelien- und Spruchmotette im Mittelpunkt der Entwicklung. Im Gegensatz zum gewandelten Ideal aus dem 19. Jahrhundert wurde aber der a cappella-Stil weiterhin beibehalten.111 Zunehmend bemühten sich Komponisten auch darum, die Motetten mit neuen Klangvorstellungen zu bereichern, unter ihnen zum Beispiel Paul Hindemith oder Heinrich Kaminski.112 Trotz zahlreicher neuer Motettenkompositionen verlor die Gattung aufgrund der schwindenden Bindung an die Liturgie an Bedeutung. Immer öfter war es der Fall, dass Motetten in den Gottesdiensten durch Gemeindegesang oder sonstige Musik ersetzt wurden. Diese Entwicklung war sowohl im katholischen als auch im evangelischen Bereich festzustellen, wobei sich in letzterem die Motette länger hielt.113 Diese fehlende Bindung an die Liturgie äußerte sich auch in der Tatsache, dass sich die Komponisten neben Bibeltexten zunehmend literarischen Textvorlagen bedienten, die jedoch durchaus religiös sein konnten.114 Nach dem 1. Weltkrieg beschäftigten sich Johann Nepomuk David, Heinrich Kaminski oder Hugo Distler mit dieser Gattung. Durch Arnold Schönberg, Igor Strawinsky, Ernst Krenek oder Anton Heiller wurde die Motettenkomposition bis ins 20. Jahrhundert fortgesetzt.115 Nachdem bisher der Fokus auf die Motette im deutschsprachigen Raum gelegt wurde, folgt nun ein kurzer Überblick über die Situation in Frankreich, England und Italien des 19. und 20. Jahrhunderts. In Frankreich kam es durch die Neubelebung der 110 Gustav A. Krieg, Lateinische und landessprachliche Kirchenmusik, in: Geschichte der Kirchenmusik, hrsg. v. Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher (Band 3: Das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Historisches Bewusstsein und neue Aufbrüche), Laaber: Laaber-Verlag 2013, S. 307-334, hier S. 315ff. 111 Forchert (Finscher), Motette, S. 185. 112 Hüschen, Die Motette, S. 22. 113 Thomas Hochradner, Das 20. Jahrhundert, in: Handbuch der musikalischen Gattungen. Messe und Motette, hrsg. v. Horst Leuchtmann und Siegfried Mauser (Band 9), Laaber: Laaber-Verlag 1998, S. 333376, hier S. 353. 114 Ebd., S. 355. 115 Ruf und van Dyck-Hemming (Hrsg.), Motette, S. 407. 25 Kirchenchöre zu einer Pflege der Kirchenmusik und somit auch der Motette. Viele Komponisten nahmen sich dieser Gattung an und sicherten somit ihr Bestehen bis ins 20. Jahrhundert.116 Chormotetten und Motetten in a cappella-Besetzung kamen eher selten vor, großer Beliebtheit erfreuten sich hingegen Solomotetten mit Orgelbegleitung.117 In England spielte die Motette zu dieser Zeit nur eine nebensächliche Rolle, viel beliebter waren hingegen Kantate und Oratorium. Weiterhin sehr bedeutend war auch das Anthem.118 In Italien bestand auch weiterhin eine Bindung der Motette an den Gottesdienst. Neben der Solomotette mit Orchesterbegleitung wurden auch vereinzelt Chormotetten komponiert. Als Vorbild dieser Zeit wurde Lorenzo Perosi angesehen.119 4.6. Zusammenfassung Die Geschichte der Motette begann um 1200 an Notre-Dame in Paris, wo mehrstimmige Mensuraltechniken mit weltlichem Liedgut kombiniert wurden. Die Motette entstand als weltliche Gattung und diente zur Unterhaltung der Stadtbewohner. Den frühen Motetten wurde ein neuer Text unterlegt und sie orientierten sich melodisch an weltlichen Liedern. Anfangs waren die Werke noch zweistimmig, gegen Ende der Notre-Dame-Epoche vereinzelt bereits dreistimmig. In der Ars antiqua wurde die Dreistimmigkeit schließlich zur Regel und mit der Mehrtextigkeit verbunden. Die Texte wurden in lateinischer oder französischer Sprache verfasst und waren weltlichen Inhalts. Gegen Ende dieser Epoche wurden Tenormelodien bereits frei erfunden und die Modalrhythmik verlor zunehmend an Bedeutung. Mit dem Beginn der Ars Nova ergaben sich aufgrund notationstechnischer Neuerungen für die Motette andere satztechnische Möglichkeiten und förderten somit das Entstehen der isorhythmischen Motette. Mit der Ars nova endete das Mittelalter und die neu entstandene Gattung wurde zu einer Gelegenheitskomposition. 116 Hüschen, Die Motette, S. 23. 117 Lodes, Das 19. Jahrhundert, S. 315. 118 Hüschen, Die Motette, S. 23. 119 Lodes, Das 19. Jahrhundert, S. 316. 26 Nach einer Beschränkung der Mehrstimmigkeit auf einfache Satzformen in den Gottesdiensten zu Beginn der Renaissance kam die Motette zunächst außerhalb der Liturgie zur Aufführung. Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts fand jedoch eine zunehmende Liturgisierung statt und so konnte sich diese Gattung als geistliche Musik im Gottesdienst etablieren. Nachdem die isorhythmische Motette in der Renaissancezeit allmählich verschwand, entstanden mit der Tenor-, Psalm- und Evangelienmotette drei neue Typen dieser Gattung. Auch wenn lateinische Texte noch überwiegten, so wurde im protestantischen Bereich bereits auch die deutsche Sprache akzeptiert. In der Regel waren die Motetten der Renaissance vierstimmig, Erweiterungen auf bis zu sechs oder mehr Stimmen waren aber möglich. Nach der Hochblüte der Motette im 15. und 16. Jahrhundert wurde es aufgrund neuer Kompositionstechniken und Gattungen immer schwieriger, sich ab dem 17. Jahrhundert als Gattung zu behaupten. Das aus der Mehrchörigkeit hervorgegangene konzertierende Prinzip wurde in die Motettenkomposition aufgenommen und führte zum Entstehen der konzertierenden Motette. Die Komponisten dieser Zeit orientierten sich aber auch weiterhin an Vorbildern wie Palestrina und Orlando di Lasso. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden die Solo- und die Chormotette, die sich bald zur Solo- bzw. Chorkantate weiterentwickelten. Im 19. und 20. Jahrhundert entstanden keine neuen Motettentypen, es gab aber dennoch Komponisten, die in dieser Gattung komponierten. Als satztechnische Vorbilder galten zu dieser Zeit die Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts rund um Palestrina und ebenso der Stil von J.S. Bach. Das Entstehen eines bürgerlichen Chorwesens leistete einen wichtigen Beitrag zur Pflege dieser Gattung. Im 20. Jahrhundert rückte der Stil von Heinrich Schütz in den Mittelpunkt des Interesses und wurde als Ideal angesehen. Die Komponisten dieser Zeit versuchten diese traditionsreichen Vorbilder mit modernen Techniken zu verbinden. Trotz dieser Bemühungen entfernte sich die Motette zunehmend von ihrer liturgischen Bindung und rückte somit in den Hintergrund. 27 5. Die Motette bei Augustinus Franz Kropfreiter 5.1. Der Stellenwert der Motette in Kropfreiters Werk Kropfreiters Werk umfasst mit Ausnahme der Oper und des Ballett alle musikalischen Gattungen und zeugt daher von der Vielseitigkeit dieses Komponisten. Neben seinen zahlreichen Orgelkompositionen schrieb er auch Messen, Kammermusik, Symphonien, Klaviermusik und Vokalwerke.120 Aufgrund von Kropfreiters Werkverzeichnis in Szeless121 und bei Music Austria122 kann festgestellt werden, dass auch die Motette einen zentralen Stellenwert innerhalb seines musikalischen Schaffens einnimmt. Die Konzentration auf diese Gattung war jedoch nicht in allen Lebensphasen gleich stark ausgeprägt und stand in engem Zusammenhang mit seinen beruflichen Verpflichtungen. Kropfreiter begann seine musikalische Tätigkeit als Organist (siehe Kapitel 3, S. 5f.) und Improvisator und erlangte dadurch weltweite Anerkennung.123 Aus diesem Hintergrund heraus ist es nicht verwunderlich, dass er sich zu Beginn seiner Laufbahn als Komponist auf die Orgelmusik konzentrierte und in diesem Bereich zahlreiche Werke herausbrachte. Zwar komponierte er bereits in seinen jungen Jahren Vokalmusik – darunter auch schon vereinzelt Motetten – dennoch bevorzugte er zu dieser Zeit das Komponieren von Orgelwerken. Erst in den 1970er-Jahren begann eine intensivere Auseinandersetzung mit der Gattung Motette, die dadurch eine zunehmende Bedeutung in seinem Schaffen einnahm.124 Doch welche Gründe haben Kropfreiter dazu bewogen, sich mehr und mehr dieser Gattung zu widmen? 1960 übernahm Augustinus Franz Kropfreiter die Leitung der Sängerknaben im Stift St. Florian und behielt diese bis 1983 120 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 155. 121 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 88ff. 122 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 123 Augustinus Franz Kropfreiter, Ich über mich. Ein Monolg, in: Musikalische Dokumentation. Augustinus Franz Kropfreiter, hrsg. v. Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Institut für Österreichische Musikdokumentation, Wien: 1999, S. 7-9, hier S. 9. 124 vgl. Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 88ff. und Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 28 bei. Zusätzlich wurde er 1964 Regens Chori und war somit verantwortlich für die gesamte Kirchenmusik in St. Florian (siehe Kapitel 3, S. 6). Diese beruflichen Veränderungen führten vermutlich zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Chormusik und somit auch mit der Gattung Motette. Nachdem er sich als Chorleiter über viele Jahre hinweg mit Vokalwerken beschäftigt hatte, begann er ab etwa 1970 selbst vermehrt in dieser Gattung zu komponieren, sodass die Motette in seinem Schaffen als Komponist immer wichtiger wurde (siehe Kapitel 5, S. 28). Auch nachdem er die Leitung der Sängerknaben 1983 an Franz Farnberger übergeben hatte (siehe Kapitel 3, S. 6), bedeutete das keinesfalls das Aus für sein Motettenschaffen. Er beschäftigte sich weiterhin mit dieser Gattung und brachte viele Kompositionen heraus. Besonders ab den 1990er-Jahren – im letzten Jahrzehnt seines Lebens – widmete er sich nochmals intensiv der Chormusik und somit der Motette.125 Vermutlich hatte er aufgrund seiner Arbeit mit den Sängerknaben eine neue Gattung kennengelernt, der er sich verbunden fühlte und in der er bis zum Ende seines Lebens komponierte. Nachdem festgestellt wurde, dass die Motette eine viel komponierte Gattung in Kropfreiters Werkverzeichnis ist, soll weiters geklärt werden, welchen Stellenwert die Motetten dieses Komponisten nach seinem Tod einnehmen. Anhaltspunkte dafür könnten sein, ob viele Motetten gedruckt oder auf CDs aufgenommen wurden. Durch seinen Berater Anton Heiller bekam Augustinus Franz Kropfreiter Kontakt zum Verlag Doblinger.126 Tatsächlich ist neben sämtlichen Instrumentalwerken auch jede Menge Vokalliteratur im Angebot des Verlags zu finden. Den größten Anteil an diesen Vokalwerken nehmen Messen und Kirchenliedsätze ein, Motetten hingegen scheinen fast gar nicht auf. Die folgenden Motetten sind im Angebot von Doblinger aufgelistet: • Zwei Passionsmotetten für Oberchor (1967) o Hoc corpus o Ecce lignum crucis • Ave crux, spes unica für gemischten Chor (1978/92) 125 vgl. Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 88ff. und Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 126 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 31. 29 • Kreuzmotette für gemischten Chor (1985) • O heiliges Mahl für gemischten Chor (1992) • Tota pulchra es, Maria für gemischten Chor (1977/1994)127 Obwohl Kropfreiters Werk ein umfangreiches Repertoire an Motetten bietet, werden vom Verlag Doblinger lediglich sechs davon angeboten. Auffallend dabei ist auch, dass die angebotenen Motetten sehr alt sind und Kropfreiter ja gerade gegen Ende seines Lebens die meisten Werke in dieser Gattung komponierte. Die gedruckten Motetten nehmen bei Doblinger im Gegensatz zu den Messen und Kirchenliedsätzen also nur einen sehr geringen Stellenwert ein. In einer Publikation von Musica Rinata ist des weiteren die Motette Der Englische Gruß – Veit Stoss zu St. Lorenz in Nürnberg aus dem Jahr 2000 veröffentlicht. Ansonsten liegen die Motetten lediglich als Manuskripte vor,128 sodass es den Anschein macht, als würden Kropfreiters Motetten zu wenig nachgefragt werden. Besteht zehn Jahre nach seinem Tod tatsächlich zu wenig Nachfrage, um neue Werke dieser Gattung herauszugeben? Aber nicht nur die Notenausgaben seiner Motetten sind sehr rar, sondern auch die Auswahl an Audioaufnahmen lässt zu wünschen übrig. In der Diskographieliste von Doblinger129 fehlen die Motetten sogar zur Gänze. In dieser Hinsicht besteht also dringend Aufholbedarf, um Kropfreiters Vokalmusik bekannter zu machen. Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, in Zukunft vermehrt seine Motetten zur Aufführung zu bringen und auf diese Weise die Öffentlichkeit auf das vorhandene Repertoire aufmerksam zu machen. 5.2. Die Texte in Kropfreiters Motetten In einer Laudatio für Augustinus Franz Kropfreiter nannte Kurt Neuhauser ein Zitat dieses Musikers, das einen guten Ausgangspunkt für dieses Kapitels darstellt: „Der 127 Musikverlag Doblinger, Augustinus Franz Kropfreiter, Wien, http://www.doblingermusikverlag.at/dyn/kataloge/Kropfreiter_Prospekt.pdf, letzter Zugriff: 21.5.2013, S. 12ff. 128 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 129 Musikverlag Doblinger, Augustinus Franz Kropfreiter, http://www.doblingermusikverlag.at/dyn/kataloge/Kropfreiter_Prospekt.pdf, letzter Zugriff: 21.5.2013, S. 19. 30 Wortfluß muß mich zur Arbeit anregen, er darf mich nicht hindern.“130 Diese Worte spielten für Kropfreiters Arbeitsweise eine sehr zentrale Rolle und waren vermutlich die Grundlage für seine Motettentexte. Kropfreiter dürfte ein sehr sorgfältiger Komponist gewesen sein, denn dieser Verdacht erhärtet sich bereits beim Betrachten des Notenbildes, das sehr sauber und geordnet erscheint. Sorgsam und genau durchdacht war auch sein Kompositionsstil – wie sich in Kapitel 6 noch zeigen wird. Bis ins kleinste Detail hinein scheint Kropfreiter sich auch über die Texte seiner Motetten Gedanken gemacht zu haben. Seine Werke basieren sowohl auf Bibeltexten (z.B. Es ist unmöglich, Trachtet nach dem Reich Gottes) als auch auf literarischen Vorlagen (z.B. Advent).131 Er folgte somit Robert Schumann, der als erster von der Bibel als Textgrundlage abgewichen ist (siehe Kapitel 4, S. 23). Dass sich auch Kropfreiter in seinen Motetten nicht ausschließlich an der Heiligen Schrift orientierte, ist vermutlich auf sein literarisches Interesse zurückzuführen. Kropfreiter war mit vielen Künstlern seiner Zeit befreundet, unter anderem mit der Dichterin Dora Dunkl (siehe Kapitel 3, S. 7) und dem Lyriker Richard Billinger.132 Auch Kurt Neuhauser – ebenfalls mit Kropfreiter befreundet (siehe Kapitel 3, S. 7) – äußerte sich in seiner Laudatio darüber, wie sehr sich Kropfreiter in der Literatur auskannte.133 Für seine Motetten auf Basis literarischer Werke nahm Augustinus Franz Kropfreiter sowohl Texte von zeitgenössischen Dichtern als auch solche aus vergangenen Jahrhunderten zur Hand. Als Textgrundlage dienten etwa Werke von Gertrud le Fort, Andreas Gryphius, Friedrich Hölderlin, Angelus Silesius oder Thomas von Aquin.134 Kropfreiter war aber keinesfalls ein Komponist, der Texte in ihrer Gesamtheit übernahm und danach seine Musik ausrichtete. Vielmehr dürfte er sich bereits bei der Textauswahl 130 Kurt Neuhauser, Laudatio für Augustinus Franz Kropfreiter, in: Musikalische Dokumentation. Augustinus Franz Kropfreiter, hrsg. v. Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Institut für Österreichische Musikdokumentation, Wien: 1999, S. 16-19, hier S. 18. 131 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 132 Kropfreiter, Ich über mich, S. 9. 133 Neuhauser, Laudatio, S. 18. 134 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 31 Gedanken zur Musik gemacht haben. In diesem Zusammenhang kann nochmals auf das Eingangszitat dieses Kapitels verwiesen werden, wonach Kropfreiter meinte, dass ihn der Text nicht am Komponieren hindern dürfte. Aus diesem Grund basieren seine Motetten, die sich auf Texte aus der Heiligen Schrift beziehen, auf einer Zusammenstellung verschiedener Bibelübersetzungen. Auf diese Weise war es ihm möglich, die Worte so zusammenzustellen, dass sie sich bestmöglich für die Vertonung eignen würden. Dabei kommt es – im Rahmen der in Kapitel 6 durchgeführten Analysen – auch vor, dass gewisse Formulierungen in keiner Übersetzung zu finden sind und somit der Schluss gezogen werden kann, dass er – wenn es notwendig war – manche Wörter oder Phrasen selbst verfasste (siehe Kapitel 6, S. 38f., 56f., 74f.). In jenen Texten, die der Bibel entnommen wurden, bezog er sich sowohl auf die Evangelisten als auch auf Psalmen oder auf die Offenbarung.135 Kropfreiter komponierte auch Motetten nach den Worten des Heiligen Augustinus,136 von dem er ja seinen Ordensnamen Augustinus hatte (siehe Kapitel 3, S. 5). 5.3. Die Widmungen in Kropfreiters Motetten Augustinus Franz Kropfreiter war ein Komponist, der mit Widmungen seiner Werke nicht sparte, aber dennoch verteilte er diese nicht wahllos. Für wichtig empfand Kropfreiter dabei, dass den Widmungen auch Aufführungen, von denen er sich viel erwartete, folgten. Viele seiner Werke wurden Musikern gewidmet, zu denen er eine besondere Beziehung hatte.137 Auch seine Motetten wurden verschiedensten Musikerpersönlichkeiten gewidmet, aber ebenso Freunden außerhalb der Musik wie zum Beispiel Angehörigen des Stiftes St. Florian.138 Für die Betrachtungen in diesem Kapitel werden hauptsächlich die Motetten aus Kropfreiters letzten Lebensjahren herangezogen. 135 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 136 Ebd. 137 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 45, 49. 138 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 32 Neben Motetten für Einzelpersonen schrieb Kropfreiter auch immer wieder Werke für Chöre. Dabei taucht der Name eines Chores – in Zusammenhang mit dem des Chorleiters – immer wieder auf: der Bachl-Chor mit seinem Chorleiter Harald Pill. Neben der Motette Tenebrae factae sunt aus dem Jahr 1996 und Es ist unmöglich (1999) komponierte Kropfreiter – ebenfalls 1999 – im Auftrag des Bachl-Chores die Motette Advent für das Linzer Adventsingen.139 Der Bachl-Chor blickt auf eine lange Tradition zurück und wurde 1950 von Hans Bachl gegründet. Zunächst war es eine Sing- und Spielgruppe oberösterreichischer Lehrer, die sich um die Pflege von neuer und traditioneller Chorliteratur bemühte, ihre Aufgabe aber auch darin sah, das österreichische Volkstum zu erhalten und über die Grenzen Österreichs hinaus zu verbreiten. Der Bachl-Chor bemüht sich um den kulturellen Austausch mit anderen Ländern, unternimmt regelmäßig Konzertreisen ins Ausland und konnte bereits gute Platzierungen bei Chorwettbewerben erreichen.140 Nach dem Tod von Hans Bachl 1985 übernahm Harald Pill die Leitung des Chores und nannte die Sing- und Spielgruppe oberösterreichischer Lehrer von nun an Bachl-Chor.141 Kropfreiters Interesse für den Bachl-Chor kam nicht von irgendwo her. Harald Pill lernte im Alter von zehn Jahren Augustinus Franz Kropfreiter kennen und zeigte sich von seiner Musik beeindruckt. Aus diesem Zusammentreffen erwuchs eine lebenslange Freundschaft.142 Dadurch erklären sich die mehrfachen Widmungen für Harald Pill und den Bachl-Chor von selbst. Hilde Seidlhofer war eine weitere Musikerin, zu der Kropfreiter eine lebenslange tiefe Freundschaft verband. Sie selbst war früher Organistin und unterrichtete Kropfreiter an der Akademie in Wien im Fach Klavier. Er selbst bezeichnete sie als „eine exzellente Pädagogin“, die ihre Klavierschüler zum Orgelspiel hinführte. Kropfreiter sagte 1999 weiter „Geblieben ist bis heute eine beglückende Mutter-Sohn-Beziehung.“143 Aufgrund dieser Worte ist es nicht überraschend, dass auch Hilde Seidlhofer in Kropfreiters 139 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 140 Dr. Christoph Aschaber u.a., Entwicklung, http://www.bachlchor.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 141 Dr. Christoph Aschaber u.a., Harald Pill, http://www.bachlchor.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 142 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 65f. 143 Kropfreiter, Ich über mich, S. 8. 33 Widmungen berücksichtigt wurde. So schrieb er 1999 die Motette Und ich sah die Toten für diese von ihm zutiefst geschätzte Person.144 Auch seiner in Wien lebenden Nichte Silvia Kropfreiter, die er als „originäre Malerin mit metaphysischem Gespür“ bezeichnete und die für ihre Glasfenster bekannt ist,145 widmete er eine Motette: Niemand zündet ein Licht an aus dem Jahr 1999.146 Durch sein Wirken im Stift St. Florian ist es nicht überraschend, dass Augustinus Franz Kropfreiter einige Motetten seinen Mitbrüdern widmete. Darunter sind in den 1990erJahren mehrere Werke für em. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Reisinger und Prälat Wilhelm Neuwirth zu finden.147 Dr. Ferdinand Reisinger ist Augustiner Chorherr im Stift St. Florian und war von 1986 bis 2004 und von 2005 bis 2011 Stiftsdechant. Darüberhinaus lehrte er als Professor an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität in Linz. Er war ein Musikkenner und -liebhaber und interessierte sich daher auch für die Arbeit Kropfreiters.148 1999 wurden ihm die Motetten Trachtet nach dem Reich Gottes und In medio Ecclesiae gewidmet.149 Interessant ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass Dr. Reisinger seit 2011 Priester in Hargelsberg150 – also in Kropfreiters Geburtsort – ist (siehe Kapitel 3, S. 4). Prälat Wilhelm Neuwirth war von 1977 bis 2005 Propst des Augustiner Chorherrenstiftes St. Florian151 und von 1991 bis 1992 Priester in Hargelsberg.152 Ebenso wie Dr. Reisinger ist auch Prälat Neuwirth ein 144 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 145 Kropfreiter, Ich über mich, S. 7 146 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 147 Ebd. 148 MMag. Klaus Sonnleitner, e-mail vom 10.5.2013. 149 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 150 Pfarramt Hargelsberg, Geschichte. Priester, http://www.dioezeselinz.at/redsys/index.php?action_new=read&Article_ID=120289&page_new=412017, letzter Zugriff: 21.5.2013. 151 Sonnleitner, e-mail. 152 Pfarramt Hargelsberg, Geschichte. Priester, http://www.dioezeselinz.at/redsys/index.php?action_new=read&Article_ID=120289&page_new=412017, letzter Zugriff: 21.5.2013. 34 kunstinteressierter Mensch und förderte die Arbeit Kropfreiters.153 Augustinus Franz Kropfreiter widmete ihm 1991 – zum 50. Geburtstag – die Motette Sit vobis cor unum und 1999 Es werden Zeichen gesetzt.154 5.4. Zusammenfassung Augustinus Franz Kropfreiter konzentrierte sich in seinem musikalischen Schaffen aufgrund seiner Tätigkeit als Organist zunächst auf die Orgelmusik. Durch seine Tätigkeiten bei den Florianer Sängerknaben und als Regens Chori kam er aber immer mehr mit der Chormusik und insbesondere mit der Motette in Berührung. Auch in seiner Arbeit als Komponist setzte er sich intensiver mit dieser Gattung auseinander und schrieb ab den 1970er-Jahren vermehrt Motetten. Die Motette wurde für Kropfreiter immer wichtiger und nimmt einen zentralen Stellenwert – mit Schwerpunkt in der zweiten Lebenshälfte – in seinem Werkverzeichnis ein. Trotz dieser Bedeutung wurden nur wenige Motetten vom Verlag Doblinger herausgegeben, größtenteils sind die Werke nur als Manuskripte verfügbar. Aber nicht nur bei den Notenausgaben besteht Aufholbedarf, auch CD-Aufnahmen im Angebot von Doblinger lassen zu wünschen übrig. Die Basis für Kropfreiters Motettenvertonungen waren die Texte, die ihn in seiner musikalischen Arbeit nicht hindern durften. Neben der Bibel zog er auch literarische Werke als Textquellen heran und beschäftigte sich sehr genau mit deren Zusammenstellung. Er griff daher auf verschiedene Übersetzungen der Heiligen Schrift zurück, wählte die für ihn am besten geeigneten Formulierungen und ergänzte diese gegebenenfalls durch eigene Wörter. Augustinus Franz Kropfreiter war ein Komponist, der viele seiner Werke – auch die Motetten – Personen, zu denen er eine besondere Beziehung hatte, widmete. Dieser Personenkreis umfasste befreundete Musiker und Künstler ebenso wie Mitbrüder aus 153 Sonnleitner, e-mail. 154 Music Information Center Austria, Augustinus Franz Kropfreiter. Werke, http://www.musikaustria.at/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 35 dem Stift St. Florian. Befreundete Musiker waren etwa Harald Pill, der Leiter des Bachl-Chores, oder seine Klavierlehrerin Hilde Seidlhofer. Diesen wurden ebenso Motetten gewidmet wie seinen Mitbrüdern Dr. Ferdinand Reisinger und Prälat Wilhelm Neuwirth. 36 6. Analysen In diesem Kapitel werden die Motetten Es ist unmöglich, Trachtet nach dem Reich Gottes und Niemand zündet ein Licht an in verschiedener Hinsicht untersucht. Zunächst werden allgemeine Informationen zu Entstehungsdatum, Widmung und Besetzung angesprochen. Im Anschluss daran werden die Motetten in textlicher, formaler und musikalischer Hinsicht analysiert. Eine abschließende Zusammenfassung bringt noch einmal die wichtigsten Informationen. 6.1. Es ist unmöglich 6.1.1. Allgemeine Informationen Entstehungsdatum: 30.9.1999 Gewidmet: Harald Pill und dem Bachl-Chor Besetzung: Es ist unmöglich ist eine a cappella-Motette für vierstimmigen gemischten Chor. Im Laufe des Stückes kommt es immer wieder zu kurzen Zweiteilungen in allen Stimmen – zu jedoch unterschiedlichen Zeitpunkten. Nachdem die ersten 16 Takte vierstimmig ausgeführt wurden, kommt es in den Takten 17 bis 21 zu einer Zweiteilung im Sopran. Der Bass wird von Takt 25 bis 28 zweistimmig geführt, die Altstimme schließt sich dieser Unterteilung in den Takten 26 bis 28 an. Somit entsteht erstmals in der Motette ein sechsstimmiger Satz. Die Sechsstimmigkeit wird von Takt 29 bis 32 durch Teilungen im Sopran und Tenor beibehalten. Die Altstimme bleibt sogar bis zum Motettenende unterteilt. 37 6.1.2. Textliche Analyse Es ist unmöglich ist eine Evangelienmotette mit der Vertonung der ersten beiden Verse aus Lukas 17. In der folgenden Tabelle 6.1.1. wird Kropfreiters Motettentext mit verschiedenen Bibelstellen verglichen, um herauszufinden, an welche Bibel sich Kropfreiter beim Verfassen des Textes gehalten hat. Übereinstimmende Formulierungen werden gelb hinterlegt. Kropfreiter Einheitsübersetzung155 „Er sprach zu seinen Jüngern: „Er sagte zu seinen Jüngern: Es ist unmöglich, daß nicht Ärgernis, Ärgernis kommen werde. Wehe aber dem, durch welchen sie kommen! Es wäre ihm nützlicher, nützlicher, daß man einen Mühlstein an seinen Hals hengete und würfe ihn ins Meer! Denn dieser Kleinen, dieser Kleinen ärgere.“ Es ist unvermeidlich, dass Verführungen kommen. Luther Bibel156 „Er sprach aber zu seinen Jüngern: Es ist unmöglich, dass keine Verführungen kommen; Aber wehe dem, der sie aber weh dem, verschuldet. durch den sie kommen! Es wäre besser für ihn, Es wäre besser für man würde ihn mit ihn, dass man einen einem Mühlstein um den Mühlstein an Hals ins Meer werfen, seinen Hals hängte und würfe ihn ins Meer, als dass er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt.“ als dass er einen dieser Kleinen zum Abfall verführt.“ Elberfelder Bibel157 „Er sprach aber zu seinen Jüngern: Es ist unmöglich, dass nicht Verführungen kommen. Wehe aber dem, durch den sie kommen! Es wäre ihm nützlicher, wenn ein Mühlstein um seinen Hals gelegt und er ins Meer geworfen würde, als dass er einem dieser Kleinen Anlass zur Sünde gäbe!“ Tab. 6.1.1.: Textvergleich Es ist unmöglich 155 Katholische Bibelanstalt (Hrsg.), Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe. Psalmen und Neues Testament. Ökumenischer Text, Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH 1999, S. 1168. 156 Deutsche Bibelgesellschaft, Das Evangelium nach Lukas. Von Verführung zum Abfall. Von der Vergebung, Luther Bibel 1984, http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel1984/bibeltext/bibelstelle/Lk17,11-19/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 157 Deutsche Bibelgesellschaft, Das Evangelium nach Lukas. Warnung vor Verführung zur Sünde – Ermahnungen vom Vergeben, Glauben und Dienen, Elberfelder Bibel 2006, http://www.diebibel.de/online-bibeln/elberfelderbibel/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/52/170001/179999/ch/b540e5fab657bf5a7245c5bce7006749/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 38 Beim Vergleichen der verschiedenen Bibelübersetzungen mit dem Motettentext wird schnell ersichtlich, dass Kropfreiter seinen Text nicht der Einheitsübersetzung entnommen hat – zu unterschiedlich sind die Formulierungen der beiden Texte. Vielmehr scheinen die Luther- und die Elberfelderübersetzung die Grundlage für die Motette Es ist unmöglich zu sein. Während der erste Vers in beiden Übersetzungen mit dem Kropfreitertext nahezu ident ist, scheint der zweite Vers – aufgrund der größeren Übereinstimmung – der Luther Bibel entnommen zu sein. Trotz vieler Gemeinsamkeiten mit den analysierten Textstellen hat Kropfreiter nicht alle Formulierungen übernommen. Er verwendet etwa anstatt des Wortes Verführung den Begriff Ärgernis, das er sogar unmittelbar zweimal hintereinander schreibt, obwohl es im Evangelientext keine Wortwiederholungen gibt. Dasselbe fällt bei Es wäre ihm nützlicher, nützlicher auf, wo ein Wort ebenfalls zweimal vorkommt. Auffallend beim Vergleich mit der Lutherübersetzung ist die Kropfreiter-Stelle daß man einen Mühlstein an seinen Hals hengete und würfe ihn ins Meer! Diese Phrase ist komplett ident mit der Luther Bibel, jedoch mit einer Ausnahme – dem Wort hengete. Es ist fraglich, warum Kropfreiter nicht wie im Original hängte schrieb und stattdessen ein grammatikalisch falsches Wort einbaute. Auch das Wort Mühlstein wird bei Kropfreiter unmittelbar zweimal nacheinander wiederholt, obwohl es im Original nur einmal auftritt. Eine textliche Veränderung bei Kropfreiter gibt es am Ende der Motette, indem er dieser Kleinen wiederholt, ärgere anschließt und sich nur auf zwei Wörter konzentriert, die ihm vermutlich am wichtigsten erscheinen. 6.1.3. Formale Analyse Formal lässt sich diese Motette in fünf Hauptabschnitte untergliedern. Diese wiederum sind teilweise nochmals in kleinere Einheiten zu unterteilen. Tab. 6.1.2. zeigt die Aufteilung der Formteile nach Taktzahlen. Takte 1-2 Hauptabschnitte A 3-11 12-16 B C 1 Unterabschnitte 17-32 32-40 D E 1 B (T. 3-5) D (T. 17-21) B2 (T. 5-11) D2 (T. 21-28) D3 (T. 28-32) Tab. 6.1.2.: Formale Gliederung Es ist unmöglich 39 6.1.4. Musikalische Analyse Zu Beginn der musikalischen Analyse steht die Tonartbestimmung. Der Beginn der Motette erweckt den Eindruck, das Stück stünde aufgrund des vorherrschenden Tones g1/g in G-Dur. Auch der Schlussakkord lässt mit den Tönen g1/g und d2/d1 (jedoch mit fehlender Terz) auf diese Vermutung schließen. Im ersten Takt der Motette überwiegt der Ton g1/g in allen Stimmen. Der Bass allerdings bewegt sich am zweiten Schlag dieses Taktes einen Halbton nach unten zum fis. Die Melodie im Sopran steigt über das a1 weiter zum h1 und das Ohr würde an dieser Stelle (auf die zweite Viertel in Takt 2) erstmals einen vollständigen G-Dur-Akkord zur Tonartbestätigung erwarten. Dem ist allerdings nicht so, denn zum h1 aus dem Sopran kommen noch ein e1 im Alt, ein h im Tenor und ein e im Bass hinzu, sodass zwei leere Quinten erklingen. Aufgrund dieses unerwarteten Akkordes kann die G-Dur-Vermutung nicht bestätigt werden und die Festlegung auf eine Haupttonart scheint somit nicht möglich zu sein (vgl. Nbsp. 6.1.1.). Parallelen gibt es in diesen beiden ersten Takten zwischen Sopran und Tenor sowie zwischen Alt und Bass. Die Sopranstimme in Takt 2 nimmt das h1 des zweiten Viertels vorweg und bringt diesen Ton eine Achtelnote früher als der Tenor das h. Im Alt und Bass erscheint eine andere Melodiefolge zeitlich versetzt: In der Bassstimme erklingt nach drei Achtelnoten g bereits auf die zweite Viertel im ersten Takt zweimal das fis und das e bereits auf der Eins des nächsten Taktes. Im Alt hingegen bleibt das g1 den ganzen ersten Takt hindurch stehen und erst im zweiten Takt bringt diese Stimme das fis1 sowie das e1. Auch in Bezug auf die Intervalle der Melodieführung ähneln sich die beiden genannten Stimmpaare (Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass). Sowohl im Sopran als auch im Tenor beginnt die Melodie mit vier Primschritten, gefolgt von zwei großen Sekundschritten. Der einzige Unterschied liegt in Takt 2, wo sich im Sopran durch die Vorwegnahme des h1 ein zusätzlicher Primschritt zur zweiten Viertelnote ergibt. In der Altstimme erklingen zu Beginn ebenso vier Primen, ehe eine kleine und eine große Sekund folgen. Im Bass gibt es lediglich zwei Primschritte, eine kleine Sekund hin zur zweiten Viertelnote, gefolgt von einer Prim. Die Fortschreitung in der großen Sekund der Altstimme in Takt 2 vollzieht sich im Bass bereits am Übergang vom ersten zum zweiten Takt und wird in Takt 2 von einer weiteren Prim beendet. Beim Betrachten der Intervalle zwischen Anfangs- und Endton der ersten beiden Takte 40 ist feststellbar, dass in allen Stimmen das Intervall einer Terz überwunden wird. In der Sopran- und Tenorstimme handelt es sich um eine große Terz aufwärts (vom g1/g zum h1/h), in der Alt- und Bassstimme erklingt eine kleine Terz abwärts vom g1/g zum e1/e (vgl. Nbsp. 6.1.1.). große Terz kleine Terz große Terz kleine Terz Nbsp. 6.1.1.: Es ist unmöglich, Takt 1-2 Um zum Anfangston des Abschnitts B in Takt 3 zu gelangen, legen Sopran, Alt und Tenor einen Aufwärtssprung im Umfang einer kleinen Terz zurück, der Bass bleibt auf dem e. Bis zu diesem ersten Sprung in den drei oberen Stimmen, herrschten schrittweise Bewegungen vor. Dieser stufenweisen Fortschreitung folgen die Alt- und Tenorstimme auch in den Takten 3 bis 5: Der Alt bewegt sich – wie bereits in den ersten beiden Takten – vom g1 eine kleine Terz nach unten zum e1. Der Tenor geht vom d1 über das c1 zum b (überwindet somit eine große Terz) und kehrt über das c1 schließlich wieder zum Ausgangston (d1) zurück. In der Melodieführung der Takte 3 bis 5 sind im Tenor somit ausschließlich große Sekundschritte zu finden. Im Alt hingegen erscheinen eine Prim, sowie große und kleine Sekunden. Die Bassstimme bleibt in Takt 3 auf dem e liegen und springt anschließend eine kleine Terz nach oben. Es folgen noch zwei große Sekunden aufwärts, ehe der Bass im Zielton h mündet. Der Sopran bringt ab Takt 3 dreimal den Ton d2 und springt im darauffolgenden Takt eine Quart nach unten auf das a1, das in Takt 5 nochmals erscheint. Der Sopran überwindet in diesen drei Takten zwischen Anfangs- und Endton das Intervall einer reinen Quart nach unten, der Alt – 41 wie schon in den ersten beiden Takten – eine kleine Terz abwärts. Der Tenor beginnt und endet auf demselben Ton (Prim), geht aber in diesen drei Takten eine große Terz nach unten (zum b) während im Bass sogar erstmals eine Quint zwischen Anfangs- und Endton dieser Phrase liegt. In Takt 5 endet der Abschnitt B1 mit dem Klang h – d1 – e1 – a1. Bei genauerem Hinsehen und Umschichten ist erkennbar, dass es sich dabei um einen Quartenakkord (h – e – a – d) handelt, dessen Gestalt durch die spezielle Schichtung auf den ersten Blick verschleiert wurde (vgl. Nbsp. 6.1.2.). reine Quart r4 kleine Terz große Terz k3 reine Quint Nbsp. 6.1.2.: Es ist unmöglich, Takt 3-5 Nach genauerem Betrachten der Takte 1 bis 5 kann festgehalten werden, dass – in verschiedener Hinsicht – bisher lediglich folgende Intervalle vorkamen: Prim, Sekund, Terz, Quart und Quint. Diese Konzentration auf wenige Intervalle beginnt bereits bei der Melodieführung, die vorwiegend aus Primen und Sekunden aufgebaut ist und nur durch viermalige Terz- und einen Quartsprung unterbrochen wird. Ebenso tauchen die oben genannten Intervalle zwischen den Anfangs- und Endtönen der analysierten Takte auf. Einen Quartsprung im Sopran notiert Kropfreiter ausgerechnet in Takt 4, und auch der Akkord in Takt 5 wurde aus einem Quartenakkord konstruiert. Ebenso kommt die Quint sowohl in der Melodieführung als auch in den leeren Quinten des Schlussakkordes von Abschnitt A in Takt 2 vor. Die starke Verwendung von Primen und Sekunden könnte mit den Versen 1-2 der Textstelle in Lukas 17 zusammenhängen. Vielleicht wurde Kropfreiter von diesen Zahlen zu seinen bevorzugten Intervallen 42 beeinflusst. Auch die häufige Verwendung der Terz (1 + 2 = 3) könnte damit in Zusammenhang stehen. Takt 5 bildet neben dem Schlussakkord des Abschnitts B1 zugleich den Auftakt zu Teil B2 in der Altstimme. Nach zwei Achtelnoten e1 folgt ein kleiner Terzsprung aufwärts zum g1, das insgesamt dreimal hintereinander erklingt. In weiterer Folge überwindet der Alt vier kleine Sekunden (Wechsel zwischen g1 und fis1), mit dem Fortschreiten vom g1 zum a1 folgen schließlich vier große Sekunden. Beendet wird dieser Abschnitt mit einem kleinen Terzsprung nach unten zum e1, das zweimal erklingt. Somit endet diese Stimme in Teil B2 auf demselben Ton, mit dem sie begonnen hat. Auch hier ist wieder – mit Ausnahme der beiden Sprünge am Beginn und Ende dieser Phrase – eine eindeutige Hinwendung zu Primen und Sekunden in der Melodieführung festzustellen. Das charakteristische Motiv für diesen Abschnitt B2 ist allerdings in anderen Stimmen zu finden. Erstmals erscheint es in der Altstimme in Takt 5 und wird vom Sopran im Takt 6 fortgeführt. Auch hier verwendet Kropfreiter keine neuen Intervalle: Prim – kleine Terz – kleine Sekund – große Sekund – übermäßige Prim. Dieses Motiv endet mit dem Ton h1 in Takt 7. Die Altstimme bringt eine Augmentation des zweiten Teils dieses Motivs in den Takten 8 und 9: durch die Töne fis1 – g1 – a1 erklingt die Melodiefolge nicht auf Originaltonhöhe, sondern einen Halbton tiefer (vgl. Nbsp. 6.1.3.). g3 k3 k3 k3 k3 Nbsp. 6.1.3.: Es ist unmöglich, Takt 5-11, Sopran und Alt Ein Ausschnitt dieses Motivs erklingt auch in Takt 7 in der Tenorstimme – jedoch ohne den anfänglichen Terzsprung. Hier beginnt die Tonfolge mit dem g und schreitet – wie vom Sopran her bekannt – bis zum h hinauf. Vollständig erscheint diese Melodie nochmals im Bass in den Takten 8 bis 11. Die Unterschiede zum erstmaligen Erscheinen dieses Motivs liegen im Rhythmus, der vor allem in der zweiten Motivhälfte 43 anders angelegt ist, und in der Tatsache, dass jeder Ton zweimal erklingt, bevor zum nächsten weitergegangen wird. Die Intervallfortschreitungen bleiben – mit Ausnahme der Tonwiederholungen – gleich wie in Takt 5 und 6 (vgl. Nbsp. 6.1.4.). 5 k3 k3 Nbsp. 6.1.4.: Es ist unmöglich, Takt 5-11, Tenor und Bass Teil B endet in Takt 11 mit einem Akkord bestehend aus den Tönen h – d1 – e1 – a1. Beim Vergleichen dieses Akkordes mit jenem aus Takt 5 fällt auf, dass es sich dabei um denselben Akkord handelt. Kropfreiter muss seine Melodieführung ab Takt 5 also bewusst so gewählt haben, um in Takt 11 wieder zu jenen Tönen zurückzukehren, von denen er ausgegangen ist – nämlich seinem umgeschichteten Quartenakkord. Auch in diesem Abschnitt überwiegen bis auf einige wenige Terzsprünge in allen Stimmen stufenweise Fortschreitungen in der Melodie. Abschließend sollen noch die Tonabstände betrachtet werden, die in den jeweiligen Stimmen überwunden werden. Die Sopranstimme beginnt mit dem g1 und endet auf dem a1 – sie legt somit eine große Sekund zurück. Allerdings ist der melodische Höhepunkt mit dem g2 in Takt 9 zu finden und somit liegt dieser Ton eine Oktave höher als der Anfangston dieser Stimme. Erstmals seit Beginn des Stückes taucht nun also eine Oktav auf. Die Altstimme geht vom Ausgangston e1 eine Quart nach oben zum a1 in Takt 9, ehe sie wieder zum e1 in Takt 11 zurückkehrt. Im Tenor und Bass wird jeweils eine Quint (g – d1 bzw. e – h) zurückgelegt und somit sind auch hier bereits bekannte Intervalle zu finden. Wie in den Takten 1 bis 5 beschränkt sich Kropfreiter auch in den Takten 5 bis 11 auf die Intervalle Prim, Sekund, Terz, Quart und Quint und bringt lediglich einmal eine Oktav im Sopran (vgl. Nbsp. 6.1.5.). 44 reine Oktav g3 k3 k3 reine Quart k3 k3 reine Quint k3 k3 reine Quint Nbsp. 6.1.5.: Es ist unmöglich, Takt 5-11 Takt 12 bildet den Beginn von Abschnitt C, in dem alle Stimmen im Unisono beginnen und dynamisch erstmals ein forte auftritt. Ausgehend vom fis1/fis folgt ein Sprung im Umfang einer verminderten Oktav nach oben, bevor sich die Stimmen zweiteilen. Der Hörer nimmt dieses Intervall als große Septim und somit als sehr scharfklingende Dissonanz wahr. Kropfreiter hat sich womöglich deshalb für dieses Intervall entschieden, um den Text Wehe aber dem, durch welchen sie kommen! klanglich zu unterstreichen und bereits den Beginn dieser Phrase bedrohlich klingen zu lassen. Warum aber hat er sich dafür entschieden, eine verminderte Oktav und nicht eine große Septim zu notieren? Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass 8 (die Oktav) die Summe aus 1 und 7 ist – also aus dem zitierten Lukaskapitel 17. Vielleicht hat er auch gerade deshalb zuvor zwischen Takt 6 und 9 in der Sopranstimme das Intervall einer Oktav gewählt (vgl. Nbsp. 6.1.6.). Nach diesem bisher größten Sprung – zuvor waren es ja nur Terz- und Quartsprünge – folgen wieder stufenweise Bewegungen aller vier Stimmen. Zu diesem Zweck gibt es eine Zweiteilung und Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass schreiten in Oktaven fort. In den beiden Erstgenannten erklingt zunächst viermal das f2/f1, bis schließlich von Takt 13 auf 14 durch eine übermäßige Prim die Melodie um einen Halbton nach oben geht 45 und bis zum Ende der Phrase in Takt 16 auf diesem Ton bleibt. Anders sieht es in der Alt- und Bassstimme aus, in denen eine absteigende Linie für mehr Bewegung sorgt. Ausgehend vom f2/f1 schreitet die Melodie in folgenden Intervallen abwärts: kleine Sekund – große Sekund – übermäßige Prim – kleine Sekund (2x) – große Sekund (4x) – kleine Sekund – Prim. Auch in diesem Fall sind es die bereits vielfach verwendeten Intervalle in der Melodieführung (vgl. Nbsp. 6.1.6.). Neu sind jedoch die Intervalle zwischen Anfangs- und Endtönen dieser Phrase. Da der Abschnitt C in allen vier Stimmen mit einem fis1/fis beginnt und ebenso mit einem fis2/fis1 endet, ergeben sich lediglich Oktaven bzw. Primen. Aus diesem Grund ist es interessanter, vom zweiten Ton – dem f2/f1 – auszugehen und von diesem aus den Abstand zum letzten fis2/fis1 zu bestimmen. In der Sopran- und Tenorstimme ergibt sich durch die liegende Melodiefolge eine übermäßige Prim, während im Alt und Tenor eine verminderte Oktav auftritt. Kropfreiter verstärkt damit nochmals die Wirkung dieses Intervalls und verdeutlicht, dass die Oktav ein wichtiger Bestandteil dieses Abschnitts ist. Auch das Ende von Teil C in Takt 16 ist interessant, denn erstmals beenden alle vier Stimmen eine Phrase mit demselben Ton – in diesem Fall mit dem fis2/fis1. Auch hier kommt nochmals die Oktav zum Vorschein – diesmal jedoch als reines Intervall. Der Tonabstand zwischen Sopran und Alt bzw. zwischen Tenor und Bass beträgt nämlich exakt eine Oktav (vgl. Nbsp. 6.1.6.). übermäßige Prim verminderte Oktav übermäßige Prim verminderte Oktav Nbsp. 6.1.6.: Es ist unmöglich, Takt 12-16 46 Takt 17 ist der Beginn eines neuen Abschnitts (D) und stellt erneut die Quint als ein beliebtes Intervall in den Mittelpunkt. Erstmals ist der Sopran unterteilt und schreitet bis zur ersten Viertel in Takt 19 in Quinten fort. Der 2. Sopran erinnert in Takt 18 und 19 (g1 – a1 – b1) an die Takte 1 und 2, jedoch nun mit einer großen und einer kleinen Sekund. Um den Sopran in Quinten weiterzuführen wird hier diese kleine Änderung (b1 statt h1) notwendig gewesen sein. Eine Quint ergibt sich auch zwischen Alt und 2. Sopran in Takt 17 (des1 und as1). Ebenso ist zwischen diesen beiden Stimmen im darauffolgenden Takt auf die zweite Viertel erneut eine Quint zu finden. In Takt 18 setzt die Tenorstimme ein und bildet mit dem Ton a eine Quart zum Alt. Dieses Intervall tritt im nächsten Takt sowohl im Sopran als auch im Alt auf. Der Alt springt um eine Quart vom d1 zum g1, während der Sopran seine Quintfortführung unterbricht und stattdessen auf die zweite Viertelnote eine Quart aufscheinen lässt. Bereits jetzt wird deutlich, dass sich Kropfreiter in diesem Abschnitt auf dieselben Intervalle konzentriert wie in den Takten 1 bis 5. Auch in den Takten 20 und 21 tauchen weitere Quarten und Quinten auf. Die Sopranstimme bringt eine Quint auf die letzte Achtelnote in Takt 20 und schließt diese Phrase mit einer Quart im darauffolgenden Takt. Eine Quint ergibt sich auch zwischen 2. Sopran und Alt in Takt 21, im selben Takt erscheint eine Quart zwischen Alt und Tenor und wiederum eine Quint zwischen Tenor und Bass (vgl. Nbsp. 6.1.7.). Zwei Besonderheiten sind in den beiden Sopranstimmen in Takt 20 zu finden, nämlich zunächst eine verminderte Oktav und anschließend – erstmals – eine große Sext. Abgesehen von diesen bevorzugten Intervallen bringt die Altstimme ein kurzes Motiv in Takt 18, das noch weitere zwei Mal vorkommt. Es sind dies die Töne es1 – f1 – d1 und somit die Intervalle große Sekund und kleine Terz auf das Wort nützlicher. In Takt 20 taucht dieses Motiv gleich zweimal nacheinander auf. Zuerst erscheinen im Tenor diese beiden Intervalle – jedoch auf anderer Tonhöhe (des1 – es1 – c1) – ehe im Alt auf die zweite Viertel dieses Taktes nochmals die Töne von Takt 18 erklingen. Eine Besonderheit bringt Kropfreiter in der Tenorstimme im Takt 20 und 21 ein: durch die absteigende Linie es1 – c1 – a ergibt sich ein verminderter Akkord. Welche Gründe könnten für die Verwendung dieses Akkordes sprechen? Aus der bisherigen Analyse ist bereits hervorgegangen, dass Kropfreiter eine gewisse Hinwendung zur kleinen Terz an den Tag gelegt hat. Beim Betrachten der wenigen Sprünge, die bisher in der Melodie aufgetaucht sind, fällt auf, dass es sich in den meisten Fällen um kleine Terzen handelt. 47 Daher erscheint es durchaus schlüssig, einen verminderten Akkord – bestehend aus zwei kleinen Terzen – in die Motette einzubringen. Andererseits notierte Kropfreiter bereits mehrmals die verminderte Oktav – zuletzt sogar im gleichen Takt im Sopran, also erscheint auch ein verminderter Akkord keineswegs ausgeschlossen zu sein. Der Abschnitt D1 endet schließlich mit leeren Quinten (d – a – d1 – a1 – d2) in Takt 21 (vgl. Nbsp. 6.1.7.). Nbsp. 6.1.7.: Es ist unmöglich, Takt 17-21 D2 beginnt in Takt 21 mit einem Auftakt des Basses (zweimal d1), der im nächsten Takt eine große Septim nach unten zum es springt. Dieses Intervall kam in der bisherigen Analyse noch nicht vor, allerdings brachten alle vier Stimmen eine verminderte Oktav in Takt 12, die für den Hörer wie eine große Septim wahrgenommen wird. Somit kommt es zu einer klanglichen Umkehrung des erwähnten Taktes und mit der vorangehenden Prim ergibt sich die Zahl 17, die auf das Evangelienkapitel nach Lukas Bezug nimmt. Die Summe dieser beiden Zahlen 1 und 7 ist 8, und somit steht diese Stelle nicht nur klanglich, sondern auch von der Zahlensymbolik her in Zusammenhang mit Takt 12. Der Text wird an dieser Stelle bedrohlicher, was durch die Dissonanz der großen Septim auch klanglich verdeutlicht wird. Nach diesem markanten Sprung im Bass bewegt sich die Melodie wieder schrittweise nach unten bis zum Ges. Ab Takt 25 kommt es in der Bassstimme zu einer Zweiteilung und die beiden Stimmen werden – wie die beiden Sopranstimmen in Takt 17 bis 19 – bis zum Ende von Abschnitt D2 (Takt 28) in Quinten geführt (vgl. Nbsp. 6.1.8.). 48 Die Tenorstimme bewegt sich zu Beginn dieser Phrase wieder stufenweise und bringt jeweils drei Töne, die an die Sopranstimme in Takt 6 erinnern. Es handelt sich dabei um g1 – as1 – b1 (Sopran, Takt 6) und somit um die Intervalle kleine und große Terz. Der Tenor in Takt 22 beginnt ebenfalls auf dem g, geht allerdings zuerst mit einer großen und anschließend mit einer kleinen Sekund (g – a – b) weiter – also genau umgekehrt zu Takt 6. In Takt 23 erklingt zwischen Tenor und Bass erneut zweimal hintereinander die große Septim, was die Wichtigkeit dieses Intervalls in diesem Abschnitt unterstreicht. In den Takten 25 und 26 kommt es im Tenor zu mehreren Sprüngen nacheinander und zu einer Stimmführung, die Parallelen zum Sopran in Takt 25 aufweist (Sopran: siehe Nbsp. 6.1.9., S. 50). Nachdem der Tenor in diesem Takt eine kleine Terz nach unten springt, eine große Sekund nach unten geht und vom f aus eine Quart aufwärts springt, landet diese Stimme auf dem b in Takt 26. Von hier aus folgt eine kleine Terz aufwärts, eine kleine Terz abwärts und eine reine Quint aufwärts zum f1. Die Parallelstelle des Soprans (Takt 25) zeigt eine reine Quint nach oben, eine kleine Terz abwärts und wieder eine kleine Terz aufwärts. Der Tenor verhält sich von den Intervallen her gesehen in Takt 26 umgekehrt zum Sopran aus Takt 25 – das heißt, er beginnt mit zwei Terzsprüngen und endet mit der Quint, während der Sopran mit der Quint beginnt. Ab Takt 27 schreitet die Tenorstimme wieder stufenweise fort, bringt zweimal die große Sekund und schließt mit der kleinen Sekund zum e1 in Takt 28 an. Diese Intervallabfolge ist dieselbe wie jene des Basses in Takt 15, jedoch auf einer anderen Tonhöhe (vgl. Nbsp. 6.1.8.). 21 26 k3 g2 r5 k3 g2 k2 Nbsp. 6.1.8.: Es ist unmöglich, Takt 21-28, Tenor und Bass 49 Beim Einsetzen der Sopranstimme in Takt 24 erklingt nochmals die Abfolge von Prim und großer Septim nach unten (wie im Bass in Takt 21 und 22) – diesmal ausgehend vom g2. Im Gegensatz zur Bassstimme verzichtet Kropfreiter im Sopran auf die stufenweise Fortschreitung und schließt dem Septimsprung eine reine Quint und drei kleine Terzen an. Die Altstimme bewegt sich zu Beginn dieser Phrase (ab Takt 23) stufenweise und bringt drei Töne, die an die Sopranstimme in Takt 6 (g1 – as1 – b1) erinnern. Der Alt startet auf dem es1, gefolgt von f1 und g1 und damit erscheint zweimal die große Sekund (in Takt 6 waren es eine kleine und große Sekund). Während Bass und Tenor in den Takten 26 und 27 eigenständige Linien aufweisen, können Sopran und Alt an dieser Stelle zusammengefasst werden. Zunächst fällt eine Zweiteilung des Alt und die Quarten zwischen den beiden Altstimmen auf. Wird in die Betrachtung noch die Sopranstimme eingeschlossen, so fällt auf, dass die Frauenstimmen zusammen Quartsextakkorde und somit vollständige Harmonien ergeben. Die Akkorde werden stufenweise weitergeführt und ergeben folgende Harmonien: As-Dur – Ges-Dur – FesDur – Ges-Dur – As-Dur – B-Dur (vgl. Nbsp. 6.1.9.). r5 k3 k3 Ab Gb Fb Gb Ab Bb Nbsp. 6.1.9.: Es ist unmöglich, Takt 21-28, Sopran und Alt 50 Am Ende dieser Phrase stehen die Töne e/e1/e2 und h/h1 in Takt 28 – abermals als leere Quinten (vgl. Nbsp. 6.1.10.). r5 k3 k3 Ab Gb Fb Gb Ab g2 r5 k3 k3 Bb g2 k2 Nbsp. 6.1.10.: Es ist unmöglich, Takt 21-28 Ab der zweiten Viertel in Takt 28 beginnt Teil D3 und es findet eine Zweiteilung von Sopran und Tenor statt, sodass sich ein sechsstimmiger Satz ergibt. Gleich zu Beginn erklingen g – g1 – g2 und ergeben somit zweimal das Intervall einer Oktav – dies war bereits in Takt 16 der Fall. In den folgenden drei Takten erscheint ein schon bekanntes 51 Stilmittel: 1. Sopran, Alt und die beiden Tenorstimmen verharren auf einem Ton und gehen lediglich einen Sekundschritt zum Zielton a2/a1/a nach oben, während im 2. Sopran und in der Bassstimme eine absteigende Melodielinie erklingt. Ausgehend von der zweiten Viertel in Takt 28 schreiten diese beiden Stimmen in folgenden Intervallen fort: große Sekund (3x) – kleine Sekund – große Sekund – kleine Sekund. Die Bewegung erfolgt also wieder – wie auch bisher bevorzugt – stufenweise und der Abschnitt endet in Takt 32 mit dem gleichen Ton in allen Stimmen. Diesmal sind durch die Töne A – a – a1 – a2 gleich drei Oktaven übereinander geschichtet. Interessant sind in diesem Abschnitt noch die zurückgelegten Intervalle zwischen dem Anfangs- und Endton der Phrase – also zwischen Takt 28 und 31: 1. Sopran, Alt und die beiden Tenorstimmen schreiten um eine große Sekund vom g2/g1/g auf das a2/a1/a. Der 2. Sopran und der Bass beginnen mit dem g2/g und bewegen sich abwärts zum a1/A – somit tritt abermals eine Septim auf, jedoch erstmals eine kleine. Die große Sekund und die kleine Septim sind Komplementärintervalle und ergänzen sich zu einer Oktav, die im Laufe der Motette bereits immer wieder aufgetreten ist und – wie auch schon erwähnt – mit dem Kapitel 17 des Lukasevangeliums in Verbindung steht (vgl. Nbsp. 6.1.11.). große Sekund kleine Septim große Sekund große Sekund große Sekund kleine Septim Nbsp. 6.1.11.: Es ist unmöglich, Takt 28-32 52 Der letzte Teil E beginnt in Takt 32 mit einem a1/a, wodurch abermals eine reine Oktav erklingt. Kropfreiter beginnt auch diesen abschließenden Teil mit einem schon bekannten Intervall, nämlich der Quint zwischen Bass und Tenor. Diese beiden Stimmen wiederholen drei Takte lang (Takt 33 bis 35) denselben Ton und beenden daraufhin den Quintklang. Es folgen – wie schon so oft – stufenweise Fortschreitungen, die lediglich durch einen Quintsprung aufwärts im Tenor (Takt 39) unterbrochen werden. Die beiden Altstimmen und der Sopran zeigen in diesem Abschnitt eine bewegtere Melodieführung, die jedoch auch größtenteils stufenweise vorangeht (vgl. Nbsp. 6.1.12.). In den Takten 33 bis 37 können die beiden Frauenstimmen wieder zusammengefasst werden und bilden dadurch erneut eine Kette aus Quartsextakkorden, die von zwei Sektakkorden unterbrochen wird. Dabei werden folgende Harmonien gebildet: a-moll – G-Dur – F-Dur – G-Dur – a-moll – B-Dur – Es-Dur (Sektakkord) – B-Dur – Des-Dur – Des-Dur (Sextakkord). Die stufenweise Bewegung der Altstimmen wird in den Takten 36 bis 38 von drei aufeinanderfolgenden Sprüngen unterbrochen. Durch diese Sprünge in der zweiten Altstimme ergibt sich ab Takt 37 durch die Töne as1 – f1 – d1 ein verminderter Akkord auf d – zum zweiten Mal nach jenem aus Takt 20. Die Motette endet schließlich mit den Tönen g – d1 – g1 – d2 und lässt somit erneut zwei leere Quinten übereinander aufscheinen (vgl. Nbsp. 6.1.12.). 53 a G F G a Bb Eb6 Bb Db6 Db k3 k3 verm. Akk. r5 Nbsp. 6.1.12.: Es ist unmöglich, Takt 32-40 6.1.5. Zusammenfassung Kropfreiter konzentriert sich in der Melodieführung dieser Motette vorwiegend auf die Fortschreitung in Primen und Sekunden und somit auf die stufenweise Bewegung der einzelnen Stimmen. Durch diese bevorzugten Intervalle wird auch musikalisch ein Bezug zur Textstelle (Vers 1-2) hergestellt. In der Melodie sind nur sehr vereinzelt Sprünge zu finden, die meisten im Umfang einer Terz. Gelegentlich kommen aber auch Quart-, Quint-, Septim- und Oktavsprünge vor. Dass Kropfreiter dabei sehr zur Terz 54 tendiert, könnte damit zusammenhängen, dass 3 die Summe aus 1 und 2 ist und sich somit wieder auf das Lukasevangelium bezieht. Die Zahlensymbolik spielt für Kropfreiter anscheinend eine große Rolle und wird auch durch die häufige Verwendung der Oktav erneut bestätigt. 8 ist ja die Summe aus 1 und 7 und somit ein Hinweis auf das Kapitel 17 nach Lukas. Dieses Intervall tritt sowohl bei Melodiesprüngen als auch im Zusammenklang zwischen zwei Stimmen in der Motette immer wieder auf. An den Phrasenenden notiert Kropfreiter häufig leere Quinten oder lässt sogar alle Stimmen auf demselben Ton enden. Dadurch vermeidet er die Bestätigung einer bestimmten Tonart, weshalb auch die Tonalität der Motette nicht festgelegt werden kann. Dennoch sind einzelne Abschnitte zu finden, in denen zwei Stimmen vollständige Akkorde bringen, während die anderen Stimmen sich unabhängig davon bewegen. Alles in allem ist der Aufbau der Motette sehr durchdacht und nimmt durch die bevorzugte Verwendung gewisser Intervalle ständig Bezug auf die Bibelstelle. 6.2. Trachtet nach dem Reich Gottes 6.2.1. Allgemeine Informationen Entstehungsdatum: 3.10.1999 Gewidmet: Stiftsdechant Dr. Ferdinand Reisinger Besetzung: Diese Motette wurde für vierstimmigen gemischten a cappella-Chor komponiert. In den Männerstimmen kommt es in den Takten 16 bis 19 bzw. 40 bis 44 zu Unterteilungen. Von den Frauenstimmen teilt sich nur der Sopran im letzten Takt. 6.2.2. Textliche Analyse Trachtet nach dem Reich Gottes ist eine Evangelienmotette, in der Kropfreiter den Text aus Lukas 12, 32-34 entnahm. Zur Textanalyse dieser Motette werden wieder verschiedene Übersetzungen herangezogen. Tab. 6.2.1. stellt die Quellen gegenüber. 55 Kropfreiter „So spricht der Herr: Trachtet nach dem Reich Gottes, so wird euch alles gegeben werden. Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Schaffet euch einen Schatz im Himmel, der nimmer abnimmt, den kein Dieb stiehlt, den keine Motten fressen. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.“ Einheitsübersetzung158 „Euch jedoch muss es um sein Reich gehen; dann wird euch das andere dazugegeben. (Vers 31) Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben. Verkauft euer Habe und gebt den Erlös den Armen! Macht euch Geldbeutel, die nicht zerreißen. Verschaffet euch einen Schatz, der nicht abnimmt, droben im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Luther Bibel159 Elberfelder Bibel160 „Trachtet vielmehr nach seinem Reich, so wird euch das alles zufallen. (Vers 31) Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Verkauft, was ihr habt, und gebt Almosen. Macht euch Geldbeutel, die nicht veralten, einen Schatz, der niemals abnimmt, im Himmel, wo kein Dieb hinkommt, und den keine Motten fressen. Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.“ „Trachtet jedoch nach seinem Reich! Und dies wird euch hinzugefügt werden. (Vers 31) Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Verkauft eure Habe und gebt Almosen; macht euch Beutel, die nicht veralten, einen unvergänglichen Schatz in den Himmeln, wo kein Dieb sich naht und keine Motte zerstört! Denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein.“ Tab. 6.2.1.: Textvergleich Trachtet nach dem Reich Gottes 158 Katholische Bibelanstalt (Hrsg.), Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe. Psalmen und Neues Testament. Ökumenischer Text, Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH 1999, S. 1162. 159 Deutsche Bibelgesellschaft, Das Evangelium nach Lukas. Mahnung zum furchtlosen Bekennen. Vom falschen und rechten Sorgen, Luther Bibel 1984, http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel1984/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/52/120001/129999/ch/21a6a2579fc242e2f916bfc762013b4d/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 160 Deutsche Bibelgesellschaft, Das Evangelium nach Lukas. Warnung vor Heuchelei – Ermutigung zu furchtlosem Bekenntnis – Warnung vor Lästerung des Geistes. Warnung vor Sorgen, Elberfelder Bibel 2006, http://www.die-bibel.de/online-bibeln/elberfelderbibel/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/52/120001/129999/ch/21a6a2579fc242e2f916bfc762013b4d/, Zugriff: 21.5.2013. 56 Beim Betrachten dieser Tabelle sticht sofort ins Auge, dass die Eingangsphrase So spricht der Herr von Kropfreiter frei gewählt sein muss, da diese Formulierung in keiner Übersetzung aufscheint. Für den restlichen Text scheinen aufgrund der Übereinstimmungen (gelb hinterlegt) alle drei Übersetzungen als Grundlage in Frage zu kommen. Entgegen Kropfreiters Vermerk Lk. 12, 32-34 verwendet er nicht nur die drei angegebenen Verse für den Motettentext, sondern beginnt nach den einleitenden Worten bereits bei Vers 31. Diese Stelle dürfte Kropfreiter aus der Luther Bibel übernommen haben, da sich mit dieser am meisten Wortübereinstimmungen ergeben. Mit den Worten Fürchte dich nicht, du kleine Herde! beginnt Vers 32 und stimmt wortwörtlich mit allen drei untersuchten Übersetzungen überein. Die Fortführung des Textes dürfte der Luther Bibel oder der Elberfelder Bibel entnommen worden sein. Aus denn es hat eurem Vater wohlgefallen wird bei Kropfreiter denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, ansonsten übernimmt er die Formulierungen aus der Bibel. Im nun folgenden Abschnitt sind einige Unterschiede zwischen Kropfreiters Text und den Bibelstellen zu erkennen. Kropfreiter lässt die beiden ersten Sätze aus Vers 33 komplett weg und steigt mit den Worten schaffet euch einen Schatz im Himmel ein. Die weiteren Sätze hat Kropfreiter etwas umformuliert, von der Wortwahl her dürfte er dabei auf die Einheitsübersetzung und die Luther Bibel Bezug genommen haben. Interessant an diesem Vers ist Kropfreiters Text den kein Dieb stiehlt, denn das Wort stehlen kommt in keiner der erwähnten Übersetzungen vor. Die Worte kein Dieb kann ihn stehlen werden in der Übersetzung Neues Leben verwendet.161 Ob Kropfreiter tatsächlich auf diese Quelle zurückgegriffen hat, ist fraglich, denn die restlichen Formulierungen weichen zu sehr von seinem Motettentext ab. Der letzte Vers zeigt eine vollständige Übereinstimmung mit der Luther Bibel und der Elberfelder Übersetzung, aber auch die Einheitsübersetzung weicht nur gering von Kropfreiters Textanlage ab. Bei dieser Textanalyse hat sich ebenso gezeigt, dass sich Kropfreiter keineswegs auf eine einzige Übersetzung beschränkt, sondern verschiedene Bibeln vergleicht und die für ihn passendste Formulierung übernimmt. 161 Deutsche Bibelgesellschaft, Lukas. Warnung vor Heuchelei. Lehre über Geld und Besitz, Neues Leben, http://www.die-bibel.de/online-bibeln/neuesleben/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/52/120001/129999/ch/21a6a2579fc242e2f916bfc762013b4d/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 57 6.2.3. Formale Analyse Trachtet nach dem Reich Gottes kann in fünf Hauptabschnitte untergliedert werden. Vier dieser großen formalen Teile (B, C, D, E) lassen sich nochmals in kleinere Einheiten unterteilen. Tab. 6.2.2. zeigt die Aufteilung der Motettenabschnitte. Takte 1-2 Hauptabschnitte A 3-7 B 1 Unterabschnitte 8-21 22-36 C 1 37-44 D 1 E 1 B (T. 3-4) C (T. 8-13) D (T. 22-26) E (T. 37-40) B2 (T. 5-7) C2 (T. 14-19) D2 (T. 27-31) E2 (T. 40-44) C3 (T. 20-21) D3 (T. 32-36) Tab. 6.2.2.: Formale Gliederung Trachtet nach dem Reich Gottes 6.2.4. Musikalische Analyse Am Beginn dieser Motette erklingt in allen vier Stimmen das g1/g, welches auch der dominierende Ton im ersten Takt bleibt. Alt- und Bassstimme bringen in Takt 1 dreimal das g1/g und beenden Abschnitt A ebenfalls mit diesem Ton. Sopran und Tenor gehen nach dem zweiten g1/g eine große Sekund zum a1/a und springen anschließend eine reine Quart aufwärts, sodass die beiden Stimmen auf dem d2/d1 landen. Mit den Tönen g1/g und d2/d1 erklingen in Takt 2 leere Quinten. In der Melodieabfolge der vier Stimmen sind in den ersten zwei Takten – mit Ausnahme des Quartsprungs von Sopran und Tenor – lediglich Prim- und Sekundschritte zu finden. Da im Alt und Tenor in Takt 1 und 2 nur das g1/g erscheint, legen diese somit das Intervall einer Prim zwischen Anfangs- und Endton dieses Abschnitts zurück. Sopran und Tenor hingegen beginnen auf dem g1/g und enden eine Quint höher auf dem d2/d1 (vgl. Nbsp. 6.2.1.). 58 reine Quint r4 reine Prim reine Quint r4 reine Prim Nbsp. 6.2.1.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 1-2 Teil B beginnt in allen Stimmen mit dem es2/es1/es und lässt somit zwei Oktaven gleichzeitig erklingen. Alt und Bass erreichen ihren Anfangston durch einen vorausgehenden Terzsprung abwärts und bleiben schließlich den gesamten Teil B über auf dem es1/es. Dadurch ergibt sich in der Bassstimme ein Orgelpunkt. Sopran und Tenor gehen von Takt 2 auf 3 um eine kleine Sekund nach oben und erreichen auf diese Weise das es2/es1 als neuen Ausgangston. In diesen beiden Stimmen erklingt nun dreimal das es2/es1, bevor die Melodie über d2/d1 – c2/c1 – d2/d1 und c2/c1 auf dem Zielton b1/b landet und somit Abschnitt B1 abschließt. Auf die zweite Viertel in Takt 4 erklingen mit den Tönen es – b – es1 – b1 erneut zwei leere Quinten. Nun springen Sopran und Tenor um eine Quint nach oben auf das f2/f1 und wiederholen in weiterer Folge einen Teil eines bereits vorgestellten Motivs. Mit den Tönen es2/es1 – d2/d1 – c2/c1 – d2/d1 – c2/c1 – c2/c1 – b1/b erfolgt eine Wiederholung aus Takt 3 und 4 mit einer kleinen Änderung: Anstatt einer Viertelnote c2/c1 (Takt 4) notiert Kropfreiter in Takt 6 zwei Achtelnoten. In Takt 7 ist mit den Tönen es – b – es1 – b1 das Ende von Teil B erreicht und bereits zum dritten Mal innerhalb von sieben Takten erklingen leere Quinten anstelle eines vollständigen Akkordes. Weiters ist dieser Akkord ident mit jenem aus Takt 4 und stellt somit den Anfangs- und Endpunkt von Abschnitt B2 dar. Der Tonabstand zwischen Anfangs- und Endton von Teil B beträgt in der Alt- und Bassstimme – wie bereits in Teil A – eine Prim. Größere Abstände überwinden hingegen Sopran und Tenor. Diese beiden Stimmen bewegen sich zwischen Takt 3 und 59 4 um eine reine Quart nach unten, zwischen Takt 5 und 7 liegt sogar eine reine Quint (vgl. Nbsp. 6.2.2.). reine Quint reine Quart r5 reine Prim reine Prim reine Quart reine Quint r5 reine Prim reine Prim Nbsp. 6.2.2.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 3-7 Typisch für die ersten sieben Takte sind stufenweise Bewegungen und die bevorzugten Intervalle Prim und Sekund. Die Melodie wird nur durch wenige Sprünge in Terzen, Quarten und Quinten unterbrochen. Auffallend ist auch, dass die Alt- und Bassstimme bis jetzt nur zwei Töne – nämlich g1/g und es1/es – aufscheinen ließen und somit bis auf einen einmaligen Terzsprung (Takt 2, 3) nur in Primen weitergingen. In den ersten sieben Takten kamen ohnehin nur Primen, Sekunden, Terzen, Quarten und Quinten vor und auch die Schlussakkorde der einzelnen Abschnitte zeigten lediglich leere Quinten auf. Ebenso spielte die Oktav in der bisherigen Analyse eine gewisse Rolle, denn aufgrund der Tatsache, dass Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass in Oktaven voranschreiten, ist auch dieses Intervall ständig präsent. Durch die häufige Verwendung von leeren Quinten in den ersten Takten will Kropfreiter vermutlich die Festlegung auf eine bestimmte Tonart vermeiden. In Takt 8 verwendet Kropfreiter das Prinzip der Imitation. Zunächst beginnen die beiden Männerstimmen im Einklang mit dem g. Der Bass behält diesen Ton von Takt 8 bis 13 bei und verwendet weiterhin keine neuen Töne. Somit ergibt sich auch in diesem Abschnitt erneut ein Orgelpunkt in dieser Stimme. Im Tenor erklingt währenddessen 60 eine bewegte Melodielinie, die mit drei Achtelnoten beginnt. Durch die Töne g – a – c1 – d1 erinnert der Anfang der Tenormelodie an die ersten beiden Takte der Motette mit den Tönen g – a – d1. Der einzige Unterschied liegt darin, dass nun in Takt 9 zusätzlich ein c erklingt. Das e1 (Takt 10) bildet den melodischen Höhepunkt dieser Tenormelodie und stellt gleichzeitig eine Spiegelachse dar, denn im darauffolgenden Takt steigt die Melodie umgekehrt zu Takt 9, 10 wieder ab (d1 – c1 – a). Die beiden Frauenstimmen setzen in Takt 9 mit dem g1 ein und bringen dieselben Töne wie die Männerstimmen eine Oktav höher. Auffallend ist auch, dass im Bass und im Alt eine liegende Tonfolge erklingt, während Tenor und Sopran für eine bewegte Gegenstimme sorgen. Dies war bereits in Teil B der Fall. C1 endet in Takt 13 mit den Tönen g – a – g1 – a1 und somit erstmals seit Beginn der Motette nicht mit leeren Quinten. Stattdessen bringt Kropfreiter die Intervalle große Sekund – kleine Septim – große Sekund zum Erklingen – zwei Komplementärintervalle, die sich zu einer Oktav ergänzen. Diese zwei Intervalle kommen vermutlich dadurch zustande, dass die beiden Frauenstimmen einen Takt verspätet einsetzen und dadurch einen Takt weniger Zeit zum Vorstellen dieses Motivs haben. In der Sopran- und Tenorstimme wird der Melodieumfang in diesem Abschnitt erweitert und somit liegt zwischen dem ersten Ton g1/g und dem höchsten Ton e2/e1 eine große Sext. Dieses Intervall bringt Kropfreiter in diesem Teil zum ersten Mal ein. Der Stimmumfang von Alt und Tenor bleibt weiterhin eine Prim (vgl. Nbsp. 6.2.3.). große Sext k3 k3 reine Prim große Sext k3 k3 reine Prim Nbsp. 6.2.3.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 8-13 61 Nachdem im Schlussakkord von Abschnitt C1 eine Septim vorkam, tritt dieses Intervall auch zu Beginn von Takt 14 auf – nämlich zwischen Bass und Tenor und diesmal als große Septim. Bass- und Altstimme beginnen in C2 mit schon bekannten Tönen – es im Bass und g1 im Alt. Die Tenorstimme gelangt durch einen Quartsprung zum d1 in Takt 14 und wiederholt somit die Töne a – d1 aus Takt 1 und 2, der Sopran geht um eine kleine Sekund vom a1 aufwärts zum b1. Nach zwei Viertelnoten b1 in Takt 14 springt die Sopranstimme anschließend eine Quart aufwärts zum es2. Über zwei Achtelnoten f2 geht es weiter zum g2 – dem bisherigen melodischen Höhepunkt der Motette. Dieser Ton erklingt zweimal und es folgt ein kleiner Terzsprung nach unten zum e2, das bis Takt 19 beibehalten wird (vgl. Nbsp. 6.2.4.). Die Altstimme bringt ab Takt 15 teilweise schon bekanntes Material. Die Töne as1 – b1 – c2 – d2 – c2 in den Takten 15 und 16 sind aus der Sopran- bzw. Tenorstimme in Takt 6 abgeleitet, erscheinen jetzt aber als Krebs. Ein weiterer kleiner Unterschied ist, dass das c2 in Takt 6 zweimal hintereinander erklang, in Takt 15 und 16 aber keine Tonwiederholungen vorkommen. Nach diesem bekannten Motiv geht der Alt zunächst in Sekundschritten weiter und springt am Übergang von Takt 17 zu 18 eine Quart nach oben und erreicht schließlich das h1. Von hier aus erklingen h1 – a1 – g1 – a1 und somit drei große Sekunden. Die Intervalle dieser Tonfolge können aus Takt 15 und 16 abgeleitet werden: umgekehrt zu b1 – c2 – d2 – c2 erklingen nun zwei große Sekunden abwärts und eine große Sekund aufwärts, allerdings auf anderer Tonhöhe (vgl. Nbsp. 6.2.4.). Der Tenor bewegt sich ab Takt 14 nur in Primen und Sekunden fort und teilt sich in den Takten 16 bis 19. Der 1. Tenor bringt in diesem Abschnitt drei Takte lang das e1 und endet mit d1. Im 2. Tenor erklingt in Takt 16 die große Terz darunter, in Takt 17 die kleine Terz und ab dem nächsten Takt folgt eine Achtelbewegung mit den Tönen h – a – g – a. Diese Achtelbewegung ist dieselbe wie jene in der Altstimme desselben Taktes, bloß eine Oktav tiefer. Die Tenorstimmen enden in Takt 19 mit einem Quartklang. Im Bass nimmt Kropfreiter nach der stufenweisen Fortschreitung in den Takten 14 und 15 eine Zweiteilung vor und lässt die beiden Bassstimmen im Abstand einer Quint erklingen. Der Bass beendet Abschnitt C2 mit den Tönen d und fis und somit mit einer großen Terz (vgl. Nbsp. 6.2.4.). 62 r4 k3 r4 r4 k3 k3 Nbsp. 6.2.4.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 14-19 Dieser Teil lässt sich nicht nur linear analysieren, sondern ermöglicht auch eine akkordische Analyse. Zu Beginn von Abschnitt C2 notiert Kropfreiter einen Es-DurDreiklang mit großer Septim, der auf der zweiten Viertel in Takt 14 beibehalten wird. Im nächsten Takt folgt ein f-moll-Septakkord, auf die zweite Viertel erklingen Durchgangsnoten: im Sopran zweimal die Oktav, im Alt Quart und Quint, in der Tenorstimme erscheint mit zwei Achtelnoten d1 die Sext und der Bass bleibt auf dem f. In Takt 16 folgt C-Dur mit Non, Oktav, großer Septim und Sext als Achteln in der Altstimme. Der nächste Takt bringt einen A-Dur-Dreiklang und ist dem vorangehenden Takt sehr ähnlich: denn auch jetzt erklingen im Alt Non, Oktav, große Septim und Sext als Achtelnoten, während die übrigen Stimmen Viertelnoten haben. In Takt 18 notiert Kropfreiter erneut C-Dur, diesmal erscheinen im Alt jedoch die große Septim, die Sext, die Quint als Wechselnote und erneut die Sext. Dieselben Töne erklingen auch im 2. Tenor eine Oktav tiefer als im Alt. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit einem DDur-Akkord mit großer Non. Auffallend in diesen Takten ist, dass die Harmonien taktweise wechseln und Sopran, Tenor (Ausnahme: Takt 18) und Bass den gleichen Rhythmus haben. Die Achtellinie in der Altstimme ergibt sich aus den Vorhalten, sowie aus den Durchgangs- bzw. Wechselnoten (vgl. Nbsp. 6.2.5.). 63 8 8 4 5 6 6 9 8 7 6 9 8 7 6 7 7 Ebmj7 Fm7 C9 8 mj7 6 A9 8 mj7 6 6 6 Cmj7 6 5 6 5 6 5 6 D9 Nbsp. 6.2.5.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 14-19 In den letzten beiden Takten von Abschnitt C bedient sich Kropfreiter eines Kompositionsmittels, das bereits in den Takten 1 bis 7 Verwendung gefunden hat: er lässt Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass in parallelen Oktaven fortschreiten. Die Sopran- und Tenorstimme bringen in Takt 20 viermal das a1/a und enden im nächsten Takt einen Halbton höher auf dem b1/b, das zweimal erklingt. Auch Alt und Bass beginnen mit dem a1/a, gehen aber auf die zweite Viertel in Takt 20 nach unten zum g1/g und anschließend zum f1/f. Diese beiden Stimmen enden in Takt 21 mit zwei Viertelnoten es1/es (vgl. Nbsp. 6.2.6.). In diesem Abschnitt kommen in der Melodiefolge nur Primen und Sekunden vor. Nachdem durch die Anfangstöne a1/a eine Oktav erklungen ist, ergeben sich am Ende von Teil C durch es – b – es1 – b1 leere Quinten. Dieser Akkord entspricht genau jenen aus den Takten 4 und 7. Von den Intervallen her gesehen überwinden Sopran und Tenor vom a1/a zum b1/b eine kleine Sekund aufwärts, die beiden anderen Stimmen gehen um eine übermäßige Quart nach unten zum es1/es. Dieses Intervall tritt hier zum ersten Mal auf (vgl. Nbsp. 6.2.6.). 64 kleine Sekund übermäßige Quart kleine Sekund übermäßige Quart Nbsp. 6.2.6.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 20-21 Ab Takt 22 lässt Kropfreiter erneut Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass in Oktaven gehen und verwendet abermals – nach Takt 8 bis 13 – die Imitation als bestimmende Technik dieses Abschnitts. Nun beginnen Sopran- und Tenorstimme mit einem schon bekannten Motiv: g1/g – g1/g – a1/a – d2/d1. Diese Abfolge von Prim, großer Sekund und Quartsprung kam bereits in Takt 1 und 2 auf derselben Tonhöhe vor. Geändert hat sich in Takt 22 und 23 bloß der Rhythmus, da mit zwei Achtelnoten g1/g begonnen wird und das abschließende d2/d1 als Viertelnote notiert ist. Auch die weitere Melodie in den Takten 23 bis 25 scheint ein Rückgriff auf schon bekanntes Material zu sein. Die genannten Takte haben starke Ähnlichkeit mit der Sopranstimme in den Takten 11 bis 13. Dort erklingen die Töne d2 – e2 – d2 – c2 – a1 – a1 und somit drei große Sekunden, eine kleine Terz und abschließend eine Prim. Auch in den Takten 23 bis 25 kommen nur diese Intervalle vor, es fällt lediglich die Prim am Schluss weg: d2/d1 – e2/e1 – d2/d1 – h1/h – a1/a – g1/g – a1/a. Abgesehen von den Intervallen gibt es einige kleine Änderungen: der Terzsprung in Takt 24 geht vom d2/d1 zum h1/h und findet somit eine Achtel früher statt als an der Originalstelle. Außerdem entfällt dadurch das c2/c1 – stattdessen erklingt nun das h1/h. Auf die zweite Viertelnote im selben Takt notiert Kropfreiter nun zwei Achtelnoten (statt einer Viertel a1/a) und baut somit das g1/g als Wechselnote ein. Beide Stellen enden mit einer halben Note auf dem a1/a. Die beiden anderen Stimmen (Alt und Bass) setzen einen Takt später ein (Takt 23) und bringen 65 dieselbe Tonfolge wie Sopran und Tenor. Lediglich in Takt 26 erklingen in Alt- und Bassstimme zwei Viertelnoten anstelle einer Halben. Im selben Takt endet D1 und somit erstmals ein Abschnitt mit dem gleichen Ton in allen Stimmen: a1 bzw. a. Dadurch ergibt sich an dieser Stelle mit der Oktav ein Intervall, das auch im bisherigen Verlauf der Motette immer wieder aufgetreten ist (vgl. Nbsp. 6.2.7.). k3 k3 k3 k3 Nbsp. 6.2.7.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 22-26 Auch D2 bringt kein neues Material, sondern wiederholt Abschnitt C1 mit einigen wenigen rhythmischen Veränderungen. Ebenso wie in Takt 8 beginnt nun auch der Bass mit einem Orgelpunkt auf g, allerdings durchgehend in halben Noten. Der Alt imitiert ab Takt 28 die Bassstimme, bringt neben Halben aber auch einen Takt mit Viertelnoten. Auch im Alt erklingt den ganzen Abschnitt über das g1 – wie zuvor schon in Takt 8 bis 13. Der Tenor setzt eine Achtel nach dem Bass in Takt 27 ein und es erscheinen dieselben Töne wie in Abschnitt C1. Die einzige Änderung findet in Takt 30 statt, in dem das d1 und c1 als Viertelnote erklingen (in Takt 11 waren es Achtelnoten) und somit das a entfällt. Dieses folgt aber im nächsten Takt als Halbe. Ab Takt 28 imitiert der Sopran die Tenorstimme ausgehend vom g1 und nimmt daher auch auf C1 Bezug. Dieser Abschnitt endet in Takt 31 – das a1 im Sopran aus Takt 32 eingeschlossen – mit demselben Akkord wie in Takt 13: g – a – g1 – a1. Dieser Akkord ergibt sich erneut aus dem um einen Takt verspäteten Einsatz der beiden Frauenstimmen (vgl. Nbsp. 6.2.8.). 66 k3 k3 k3 k3 Nbsp. 6.2.8.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 27-32 Ab Takt 32 gehen Alt und Bass bzw. Sopran und Tenor erneut in Oktaven. Zunächst beginnen Alt- und Bassstimme und bringen neues melodisches Material. Durch die Tonfolge g1/g – f1/f – as1/as – f1/f – es1/es – des1/des – es1/es ergeben sich folgende Intervalle: große Sekund – kleine Terz – kleine Terz – große Sekund – große Sekund – große Sekund. Auffallend bei dieser Abfolge ist, dass erstmals seit Beginn der Motette zwei Sprünge unmittelbar nacheinander auftreten. Am ehesten besteht dabei ein Zusammenhang mit der Bassstimme in den Takten 16 bis 18, denn auch an dieser Stelle gibt es zwei Sprünge im Umfang einer kleinen Terz, die nur durch eine Primfortschreitung getrennt sind. An dieser Stelle findet der erste Sprung abwärts und der zweite aufwärts statt, in den Takten 32 und 33 ist dies umgekehrt. Abgesehen von diesen zwei Sprüngen erklingt nur die große Sekund, die sich bereits im Laufe der Analyse als ein bevorzugtes Intervall herausgestellt hat. Interessant wird es wieder in Takt 34, wenn Sopran und Tenor mit ihrem Motiv einsetzen. Durch das a1/a in diesen beiden Stimmen ergibt sich im Zusammenklang zwischen den beiden oberen und den beiden unteren Stimmen zunächst eine übermäßige Quint und auf der zweiten Viertel desselben Taktes eine übermäßige Quart. Zwischen den beiden Mittelstimmen erklingt eine verminderte Quart und eine verminderte Quint. Von diesen Intervallen ist in der Motette bisher nur eines vorgekommen, nämlich die übermäßige Quart in den Takten 20 bis 21 (vgl. Nbsp. 6.2.9.). 67 k3 k3 k3 k3 Nbsp. 6.2.9.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 32-36, Alt und Bass Nachdem im Sopran und Tenor dreimal das a1/a erschienen ist, folgt ein kleiner Terzsprung nach oben auf das c2/c1. Von dort aus erklingt das d2/d1 als Wechselnote und vom c2/c1 schreitet die Melodie wieder um eine kleine Terz nach unten auf das a1/a. Auch in diesen beiden Stimmen erklingt zweimal die kleine Terz, zwischen diesen schreitet die Melodie aber in zwei großen Sekunden weiter. Dennoch handelt es sich bei diesem Motiv um bekannte Töne, die möglicherweise der Sopranstimme aus den Takten 9 bis 12 entnommen wurden. Ein Hinweis darauf sind zunächst die drei Achtelnoten, die in Takt 34 nicht als g1/g, sondern als a1/a erklingen. Dieser Ton kommt aber auch in C1 vor, nämlich in Takt 10 als Viertelnote. Auch die weiteren Töne aus Takt 35 (c2/c1 – d2/d1 – c2/c1 – a1/a) erinnern an die Stelle aus C1. In dieser Abfolge fehlt einzig das e2/e1 als melodischer Höhepunkt, die übrigen Töne wurden rhythmisch verändert (vgl. Nbsp. 6.2.10.) k3 k3 k3 k3 Nbsp. 6.2.10.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 32-36, Sopran und Tenor 68 In Takt 36 endet schließlich der Abschnitt D mit den Tönen es – a – es1 – a1. Aufgrund dieser Töne ergeben sich die Intervalle übermäßige Quart, verminderte Quint und eine weitere übermäßige Quart. Diese Töne und auch die Intervalle sind in genau dieser Anordnung bereits in Takt 34 aufgetreten. Dieser Takt kann daher als Ausgangspunkt für ein kurzes Motiv angesehen werden, das mit demselben Akkord, mit dem es auch begonnen hat, beendet wird (vgl. Nbsp. 6.2.11.). k3 k3 k3 k3 k3 k3 k3 k3 Nbsp. 6.2.11.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 32-36 Im abschließenden Teil E greift Kropfreiter auf bekanntes Tonmaterial zurück. Er wiederholt im letzten Abschnitt die Takte 14 bis 19, muss aber – vermutlich aufgrund des Textes – kleine Änderungen vornehmen. In Takt 37 beginnen alle Stimmen gleich wie in Takt 14, dadurch erklingt abermals die große Septim zwischen Tenor und Bass. Bereits im nächsten Takt muss er neues Material einfügen, geht aber in Takt 39 mit den gleichen Tönen weiter wie in Takt 15. Durch diesen neuen Takt 38 ergeben sich im Sopran gleich drei Sprünge nacheinander – bis jetzt waren es lediglich zwei Sprünge im Umfang einer kleinen Terz in Takt 32 und 33 im Bass. Auch nun sind es zwei kleine Terzsprünge, denen ein Quartsprung vorausgeht. Ebenso erscheinen im Alt (große Terz) und im Tenor (kleine Terz) durch die neu hinzugefügten Töne zwei Sprünge. Lediglich der Bass bleibt auf dem Ton f (vgl. Nbsp. 6.2.12.). Ab Takt 39 erklingt dieselbe Melodie wie in Takt 15 bis 18, nur vereinzelt sind rhythmische Veränderungen zu finden: in der Sopran- und Tenorstimme erscheint auf 69 die zweite Viertel in Takt 39 anstelle von zwei Achtelnoten eine Viertelnote, im selben Takt bringt der Bass eine Halbe (zuvor eine Viertel und zwei Achtel). Ebenso notiert Kropfreiter in Takt 42 im Sopran und Bass zwei Viertel anstatt einer Halben. Durch die Stimmteilung im Bass ab Takt 40 ergeben sich Quinten, die bis zum Ende der Motette beibehalten werden. Im Tenor erscheinen in den Takten 40 und 41 zunächst große und anschließend kleine Terzen. Mit Takt 43 fügt der Komponist erneut einen zusätzlichen Takt ein, endet aber in Takt 44 mit demselben Akkord wie an der Parallelstelle – diesmal sind die Töne anders geschichtet. Dadurch ergibt sich durch das a2 im 1. Sopran der melodische Höhepunkt der gesamten Motette (vgl. Nbsp. 6.2.12.). r4 k3 k3 k3 k3 r4 k3 k3 k3 Nbsp. 6.2.12.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 37-44 70 Auch dieser letzte Teil ermöglicht nochmals eine harmonische Analyse. In Takt 37 erklingt Es-Dur mit großer Septim und damit derselbe Akkord wie in Takt 14. Der neue Takt 38 lässt einen f-moll-Septakkord erscheinen sowie die Durchgangstöne Sext und Septim im Tenor. Die Altstimme bringt nach der Terz (as1) die Sekund und die Quart. F-moll bleibt auch im darauffolgenden Takt, erneut mit kleiner Septim, Quart und Quint im Alt sowie der Sext als Durchgangston zum nächsten Akkord in der Tenorstimme. In den nächsten drei Takten lässt Kropfreiter dieselben Akkorde wie schon zuvor in den Takten 16 bis 18 aufscheinen: C-Dur mit Non, Oktav, großer Septim und Sext, A-Dur mit Non, Oktav, großer Septim und Sext und nochmals C-Dur mit großer Septim, Sext, Quint und Sext. Auch im vorletzten Takt, der in der Parallelstelle nicht vorkommt, erklingt ein C-Dur-Dreiklang mit großer Septim, auf die zweite Viertel folgt die Sext in der Alt- und Tenorstimme. Am Schluss erklingt D-Dur mit der Non. Auch in diesem letzten Abschnitt bevorzugen Sopran, Tenor und Bass die Fortschreitung in Viertelnoten, während im Alt Achtelbewegungen erscheinen, die sich durch Vorhalte oder Durchgangstöne ergeben und somit zu einer eigenständigen Melodie führen (vgl. Nbsp. 6.2.13.). 71 7 2 6 Ebmj7 4 Fm7 7 7 Cmj7 4 5 7 8 5 6 6 8 7 6 9 C9 8 mj7 6 A9 8 7 8 mj7 6 6 Fm7 6 9 5 6 7 6 5 6 7 6 5 6 Cmj7 6 6 D9 Nbsp. 6.2.13.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 37-44 6.2.5. Zusammenfassung In Trachtet nach dem Reich Gottes verwendet Kropfreiter hauptsächlich stufenweise Fortschreitungen und stellt durch die bevorzugten Intervalle Prim und Sekund einen Bezug zur Textstelle her, da sich diese beiden Zahlen (1 und 2) im Kapitel 12 wiederfinden. Sofern Sprünge in der Melodie vorkommen, sind diese sehr oft im 72 Umfang einer Terz gehalten, aber auch Quarten und Quinten kommen vor. Auf größere Sprünge verzichtet er. Durch die Verwendung desselben Tones über mehrere Takte hindurch, erklingt im Bass mehrmals ein Orgelpunkt. Auch der Altstimme weist Kropfreiter in mehreren Passagen eine liegende Tonfolge zu, während die beiden anderen Stimmen (Sopran und Tenor) eine bewegte Melodie bringen. Sehr häufig schreiten Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass in Oktaven fort und auch das Prinzip der Imitation spielt bei der Konzeption dieser Motette eine Rolle. Im Laufe des Stückes verwendet Kropfreiter immer wieder bekanntes Tonmaterial und lässt sogar zweimal ganze Abschnitte annähernd originalgetreu wiederholen. Kropfreiter verwendet in den Schlussakkorden der einzelnen Abschnitte häufig leere Quinten oder Akkorde, die aus anderen Intervallen aufgebaut sind. Die Festlegung auf eine Tonart ist daher nicht möglich, dennoch sind einige Passagen vertikal konstruiert und ermöglichen eine akkordische Analyse. 6.3. Niemand zündet ein Licht an 6.3.1. Allgemeine Informationen Entstehungsdatum: 6.10.1999 Gewidmet: Silvia Kropfreiter Besetzung: Die Motette wurde für vierstimmigen gemischten a cappella-Chor komponiert. Auf Stimmteilungen wird in diesem Stück verzichtet. 6.3.2. Textliche Analyse Textlich bezieht sich Kropfreiter in dieser Motette erneut auf das Evangelium nach Lukas (11, 33-34) und innerhalb dessen auf zwei bestimmte Übersetzungen: die Luther Bibel und die Schlachter Bibel. Die Texte sind in Tab. 6.3.1. dargestellt. 73 Kropfreiter „Und er sprach zu ihnen: Niemand zündet ein Licht an und setzet es an einen heimlichen Ort, auch nicht unter einen Scheffel, sondern auf den Leuchter, auf daß, wer hinein gehet, das Licht sehe. Luther Bibel162 Schlachter Bibel163 „Niemand zündet ein Licht an und setzt es in einen Winkel, auch nicht unter einen Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit, wer hineingeht, das Licht sehe. Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn nun dein Auge lauter sein wird, so ist dein ganzer Leib Licht. So aber dein Auge ein Schalk sein wird, ist auch dein Leib finster.“ Dein Auge ist das Licht des Leibes. Wenn nun dein Auge lauter ist, so ist dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster.“ „Niemand aber zündet ein Licht an und setzt es an einen verborgenen Ort, auch nicht unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit die Hereinkommenden den Schein sehen. Das Auge ist die Leuchte des Leibes. Wenn nun dein Auge lauter ist, so ist auch dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster.“ Tab. 6.3.1.: Textvergleich Niemand zündet ein Licht an Diese beiden Bibelübersetzungen ähneln einander sehr stark und haben auch viele Gemeinsamkeiten mit dem Motettentext von Kropfreiter. Zunächst beginnt er jedoch mit den einleitenden Worten und er sprach zu ihnen, die in diesen beiden Übersetzungen nicht vorkommen und daher von Kropfreiter frei erfunden sein dürften. Vers 33 stimmt im Großen und Ganzen mit beiden Übersetzungen überein und lässt nur geringe Unterschiede erkennen. So schreibt Kropfreiter in seiner Motette statt setzt das Wort setzet, das zwar in keiner der beiden Bibelstellen vorkommt, sich aber für die Musik besser eignen dürfte. Bei der Wortwahl für heimlichen Ort hat er sich vermutlich an der Schlachter Bibel mit der Formulierung verborgenen Ort orientiert und die für ihn passendsten Wörter gefunden. Bei der Textpassage auf daß, wer hinein gehet, das Licht sehe hat er hingegen die Luther Bibel als Grundlage genommen und lediglich ein Wort geändert. Auch in Vers 34 hält sich Kropfreiter größtenteils an die Bibelformulierungen. Eine Ausnahme stellt jedoch die Phrase wenn es aber böse ist dar, die durch so aber dein Auge ein Schalk sein wird ersetzt wird. Auffallend ist weiters das Wort Licht, das 162 Deutsche Bibelgesellschaft, Das Evangelium nach Lukas. Bildworte vom Licht, Luther Bibel 1984, http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel1984/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/52/110001/119999/ch/d9d0c5284617f7cb0d01aa3ca471b061/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 163 Deutsche Bibelgesellschaft, Das Evangelium nach Lukas. Die Leuchte des Leibes, Schlachter Bibel 2000, http://www.die-bibel.de/online-bibeln/schlachterbibel/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/52/110001/119999/ch/d9d0c5284617f7cb0d01aa3ca471b061/, letzter Zugriff: 21.5.2013. 74 in beiden Übersetzungen als Adjektiv verwendet und daher klein geschrieben wird, bei Kropfreiter jedoch als Hauptwort auftritt. Grundsätzlich gilt zu sagen, dass sich der Komponist ziemlich genau an die Übersetzungen hält, gewisse Passagen jedoch umändert, um vermutlich den für ihn und für die Musik passendsten Text zusammenzustellen. Textwiederholungen einzelner Abschnitte kommen in dieser Motette nicht vor. 6.3.3. Formale Analyse Diese Motette lässt sich in fünf große Abschnitte unterteilen. Die Teile B, D und E untergliedern sich wiederum in kleinere Unterabschnitte. Zur Veranschaulichung dient Tab. 6.3.2. Takte 1-2 Hauptabschnitte A 3-17 18-20 B C 1 B (T. 3-9) 2 Unterabschnitte B (T. 9-11) 21-26 27-33 D E 1 E (T. 27-29) 2 E2 (T. 29-33) D (T. 21-24) D (T. 24-26) 1 B3 (T. 12-13) B4 (T. 13-17) Tab. 6.3.2.: Formale Gliederung Niemand zündet ein Licht an 6.3.4. Musikalische Analyse Die Motette beginnt in den ersten beiden Takten mit einem Unisono aller Stimmen auf dem f1/f und endet in Takt 2 ebenfalls mit diesem Ton. Dazwischen liegen die Töne g1/g – b1/b – a1/a – g1/g – es1/es und somit nur Sekunden und Terzen: große Sekund – kleine Terz – kleine Sekund – große Sekund – große Terz – große Sekund. Von den Intervallen her gesehen geht die Melodie ausgehend vom f1/f zum b1/b, das eine Quart höher liegt und der höchste Ton der ersten beiden Takte ist. Vom b1/b schreiten alle Stimmen um eine Quint tiefer zum es1/es und landen schließlich wieder auf dem f1/f. Somit treten in Abschnitt A die Intervalle Sekund, Terz, Quart und Quint auf, aber auch die Oktav erklingt zwischen Frauen- und Männerstimmen (vgl. Nbsp. 6.3.1.). 75 reine Quart reine Quint k3 g3 reine Quart reine Quint k3 g3 reine Quart reine Quint k3 g3 k3 reine Quart g3 reine Quint Nbsp. 6.3.1.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 1-2 Am Übergang von Takt 2 auf 3 bleibt die Sopranstimme auf dem f1 liegen, der Alt geht eine kleine Terz tiefer auf das d1, der Tenor beginnt mit dem a eine große Terz höher als er in Takt 2 geendet hat und die Bassstimme überwindet mit einer Quint nach unten zum B den größten Sprung. Die Sopranstimme beginnt in Takt 3 mit den gleichen Tönen wie in Takt 1 (f1 – g1 – b1) und somit mit den Intervallen große Sekund und kleine Terz. Im Gegensatz zu drei Achteln in Takt 1, notiert Kropfreiter nun zwei Viertel und eine Achtel. Dieselben Intervalle treten erneut in Takt 4 und 5 auf, diesmal aber zuerst die Terz und anschließend die Sekund. Mit dem g2 in Takt 5 ist der melodische Höhepunkt dieses Abschnitts erreicht und in weiterer Folge schreitet die Melodie wieder nach unten. Mit den Tönen f2 – d2 – c2 in Takt 6 treten erneut die kleine Terz und große Sekund auf, diesmal allerdings als Krebsumkehrung von Takt 1. Als Umkehrung auf anderer Tonhöhe erklingen g1 – f1 – d1 in den Takten 7 und 8. Das hier erreichte d1 wird bis zum Ende dieses Abschnitts in Takt 9 beibehalten. Die Altstimme beginnt in Takt 3 mit dem d1 und bringt mit dem darauffolgenden f1 und g1 erneut die Intervalle der kleinen Terz und großen Sekund – diese treten also umgekehrt zu Takt 1 auf. Diese Intervallabfolge scheint im Alt noch mehrere Male auf: in den Takten 4 und 5 erklingt das Anfangsmotiv einen Ganzton höher (g1 – a1 – c2), in Takt 7 und 8 findet durch die absteigende Linie f1 – es1 – c1 eine Umkehrung statt und im selben Takt erklingen ausgehend von a die Töne c1 und d1 und somit die kleine Terz mit anschließender großer Sekund. Der Rhythmus dieser Motive ist größtenteils in Achtelnoten gehalten, vereinzelt sind auch Viertelnoten zu finden (vgl. Nbsp. 6.3.2.). 76 k3 k3 k3 k3 Nbsp. 6.3.2.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 3-9, Sopran und Alt Die Tenorstimme bringt in Takt 3 zwei Achtelnoten b – c1, und lässt diese Töne somit eine Viertel früher erscheinen als der Sopran in Takt 4. Im Tenor überwiegen in diesem Abschnitt stufenweise Bewegungen und die Intervalle Prim und Sekund. Eine Ausnahme stellt ein großer Terzsprung in Takt 7 dar. Der Bass beginnt in Takt 3 mit zwei Sprüngen nacheinander – mit dem Sprung am Übergang von Takt 2 auf 3 sind es sogar drei Sprünge. Ausgehend vom B in Takt 3 springt diese Stimme eine Quart aufwärts zum es und anschließend um eine große Terz nach oben zum g. Von diesem Ton aus überwiegt die stufenweise Fortschreitung bis Takt 7. Mit den Tönen b – as – f in Takt 6 und 7 bringt der Bass die Intervalle große Sekund und kleine Terz – jedoch absteigend und rhythmisch verändert. Am Ende von Abschnitt B1 erklingen die Töne d – a – d1 und somit eine leere Quint mit darüberliegender Quart. Die Sopranstimme überwindet vom Ausgangston f1 bis zum höchsten Ton dieses Abschnitts g2 eine große Non, der Alt geht vom d1 eine Oktav nach oben zum d2, die Tenorstimme schreitet vom a zum e1 eine Quint nach oben und die Bassstimme hat mit einer großen Dezim zwischen B und d1 den größten Tonumfang in diesem Teil. Kropfreiter komponiert sehr textbezogen und bringt den melodischen Höhepunkt dieses Abschnitts rund um das Wort Licht und geht mit der Melodie anschließend wieder nach unten um bei den Worten heimlichen Ort mit tiefen Tönen zu enden (vgl. Nbsp. 6.3.3.). 77 große Non k3 reine Oktav k3 k3 reine Quint g3 r4 große Dezim k3 g3 Nbsp. 6.3.3.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 3-9 Abschnitt B1 ermöglicht neben der linearen Betrachtung auch eine vertikale Analyse nach Akkorden. In Takt 3 notiert Kropfreiter zunächst B-Dur mit großer Septim, bevor auf die zweite Viertel Es-Dur mit großer Septim und die Sext als Durchgangston auf die letzte Achtel dieses Taktes erklingen. In Takt 4 folgt ein g-moll-Septakkord und ein c2 als Vorwegnahme im Sopran auf die zweite Achtel. Anschließend erklingt As-Dur mit großer Septim. In Takt 5 notiert Kropfreiter Bbmj7 9 und Cmj7 9. Im nächsten Takt folgt ein d-moll-Septakkord mit Prim – Septim – Sext im Bass und Terz – Prim – Septim im Sopran als Durchgang. In Takt 7 erklingt As-Dur mit großer Septim und Sekund – Prim – großer Septim – Sext im Sopran, sowie großer Septim – Sext – Quint im Alt. Der Tenor springt von der Terz zur Prim, der Bass von der Prim zur Sext. Im 78 darauffolgenden Takt erklingt g-moll mit Quartvorhalt, der in die Terz aufgelöst wird, sowie einer darauffolgenden Sekund und Quart im Alt. In Takt 9 erscheint – wie oben erwähnt – eine leere Quint. Mit Ausnahme von Takt 8 bringt Kropfreiter in diesem Abschnitt bei allen Akkorden die Septim, die in den meisten Fällen groß ist (vgl. Nbsp. 6.3.4.). 3 4 7 5 9 7 1 7 6 7 9 6 1 Bbmj7 3 Ebmj7 2 7 Abmj7 g7 1 6 Abmj7 7 5 Bbmj7 9 Cmj7 9 d7 6 4 3 g4 3 2 2 4 4 Nbsp. 6.3.4.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 3-9 Ab Takt 9 gehen Alt, Tenor und Bass stufenweise voran, im Sopran überwiegen die Terzschritte. In dieser Stimme erklingt in Takt 9 und 10 das Anfangsmotiv f1 – g1 – b1 mit der großen Sekund und kleinen Terz – diesmal auch rhythmisch wie zu Beginn der 79 Motette in Achtelnoten. Den weiteren Melodieverlauf bestimmen nun die Sprünge, die meisten davon haben den Umfang einer kleinen Terz. Bereits in Takt 10 sind zwei kleine Terzsprünge, im darauffolgenden Takt sind es sogar drei unmittelbar nacheinander. Zwei kleine Terzen kommen auch in Takt 12 vor, am Übergang zu Takt 13 springt der Sopran um eine Quart nach oben und anschließend erneut eine kleine Terz nach unten zum dis2. Die übrigen Stimmen schreiten in den Abschnitten B2 und B3 – wie bereits erwähnt – in Primen und Sekunden voran. In diesen Teilen spielt auch die Quint, die bisher fast nicht vorgekommen ist, eine bedeutende Rolle. In Takt 10 ergeben sich zwischen den Tönen von Alt und Tenor Quinten, in den Takten 11 bis 13 gehen Alt- und Bassstimme in parallelen Quinten aufwärts (vgl. Nbsp. 6.3.5.). k3 k3 k3 k3 k3 k3 r4 k3 Nbsp. 6.3.5.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 9-13 Wie schon in den Takten 3 bis 9 ist auch in den Abschnitten B2 und B3 eine akkordische Analyse möglich. Nach der leeren Quint in Takt 9 können die folgenden Töne in zweierlei Hinsicht betrachtet werden. Die erste Möglichkeit ist jene, das d im Bass als Orgelpunkt anzusehen, sodass die darüberliegenden Stimmen zunächst C-Dur und anschließend F-Dur bringen. Die zweite Variante fasst alle vier Stimmen zusammen und sieht einen d-moll-Septakkord mit Quartvorhalt im Tenor und Sekundvorhalt im Sopran. Die Besonderheit an diesem Quartvorhalt ist die Auflösung, die nicht in die Terz, sondern in die Quint führt. Die Verfasserin dieser Arbeit legt sich auf die zweite Möglichkeit fest, weil sich die Akkorde in den nächsten Takten aus den Tönen aller vier Stimmen ergeben und keine Orgelpunkte vorkommen. Weiters notiert Kropfreiter in der 80 Altstimme in Takt 11 erneut einen Quartvorhalt, der in die Quint führt. In Takt 10 folgt Es-Dur mit großer Septim und auf die zweite Viertel F-Dur mit großer Septim. Auf die letzte Achtelnote erklingt G-Dur mit großer Septim und Non, sodass die Melodie stufenweise zum nächsten Akkord übergeht. In den Takten 11 bis 13 bilden die drei Unterstimmen Durdreiklänge, während die Sopranstimme eigenständig geführt wird und mit einer Ausnahme (2. Viertel in Takt 11) die Akkorde mit der Septim und Non ergänzt. Dadurch ergeben sich ab Takt 11 nun folgende Harmonien: A-Dur mit großer Septim und großer Non – H-Dur mit großer Sext bzw. Oktav – C-Dur mit großer Septim und großer Non – D-Dur mit großer Non bzw. großer Septim – E-Dur mit großer Non und großer Septim – E-Dur mit großer Septim. In den Abschnitten B2 und B3 (Takt 9 bis 13) haben alle vier Stimmen große Tonumfänge. Der Sopran beginnt beim e1, bringt das fis2 als höchsten Ton in Takt 13 und legt somit eine große Non zurück. Die Altstimme überwindet vom c1 zum h1 eine große Septim, ein Intervall das sich auch im Schlussakkord in Takt 13 wiederfindet. Auch der Tenor mit einer übermäßigen Oktav und der Bass mit einer großen Non legen große Abstände zurück (vgl. Nbsp. 6.3.6.). große Non 2 3 große Septim 4 5 übermäßige Oktav 4 5 große Non d7 Ebmj7 Fmj7 Gmj7 9 Amj7 9 H64 8 Cmj7 9 D9 mj7 E9 mj7 Emj7 Nbsp. 6.3.6.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 9-13 Auch in Teil B4 halten Alt, Tenor und Bass an der vorwiegend stufenweisen Bewegung fest, während in der Sopranstimme mehrere Sprünge vorkommen. Zwei kleine Terzen bringt der Sopran in Takt 14, bevor in Takt 15 und 16 eine Wiederholung von Takt 12 81 und 13 erklingt: durch die Töne h1 – e2 – cis2 ergibt sich erneut eine reine Quart mit anschließender kleiner Terz – diesmal tritt das Motiv allerdings einen Ganzton tiefer auf als in den Takten davor. Durch das abschließende gis2 wird der bisherige melodische Höhepunkt in Takt 5 nochmals um einen Halbton übertroffen. In der Altstimme erscheint in den Takten 16 und 17 das bereits häufig verwendete Anfangsmotiv einer großen Sekund und kleinen Terz aufwärts, nun jedoch augmentiert (vorher waren es Achtelnoten) und eine übermäßige Terz höher als in Takt 1. Ausgehend von Takt 13 ist in allen Stimmen auffallend, dass die Melodie nach unten geht und ab Takt 15 bzw. im Bass Takt 16 ein erneuter Anstieg der Tonhöhe erfolgt. Diese Wendung ist auf den Text das Licht sehe zurückzuführen. Der Sopran schreitet zunächst um eine große Terz vom dis2 zum h1 und anschließend wieder um eine große Sext aufwärts. Die Altstimme beginnt und endet in Abschnitt B4 mit dem h1, geht zuerst eine Quart nach unten zum fis1 und anschließend wieder eine große Sext nach oben zum dis2, dem höchsten Ton dieser Stimme in Abschnitt B4. Der Tenor überwindet vom gis1 zunächst eine Quint abwärts zum cis1, danach nochmals eine große Terz aufwärts. Auch die Bassstimme bringt keine neuen Intervalle: es folgt eine Quint abwärts und anschließend geht diese Stimme um eine große Terz nach oben. Mit den Tönen cis1 – eis1 – his1 – gis2 erklingt zum Schluss von Abschnitt B ein Cis-Dur-Akkord mit großer Septim. Bereits die letzten beiden Unterabschnitte hörten mit Dur-Akkorden auf, einmal davon sogar mit großer Septim in Takt 13 (vgl. Nbsp. 6.3.7). große Terz große Sext k3 k3 reine Quart reine Quint reine Quint große Sext große Terz große Terz Nbsp. 6.3.7.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 13-17 82 In den Takten 18 bis 20 (Teil C) schreiten Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass in Oktaven und bringen eine bewegte bzw. liegende Melodiefolge. In der Alt- und Bassstimme erklingt drei Takte lang das a1/a – ein Takt in Viertelnoten, zwei Takte in Halben. Die beiden anderen Stimmen beginnen ebenfalls mit dem a1/a und gehen anschließend mit folgenden Tönen weiter: c2/c1 – d2/d1 – h1/h – c2/c1 – d2/d1 – fis2/fis1 – e2/e1. Dadurch ergeben sich nur Sekund- und Terzfortschreitungen, die bereits in den Takten 9 bis 17 in der Sopranstimme bevorzugt aufgetreten sind. Auch in diesem Abschnitt schreitet die Melodie entsprechend dem Text aufwärts und lässt das fis2/fis1 als höchsten Ton erklingen. Somit überwinden Sopran- und Tenorstimme in den Takten 18 und 19 eine große Sext aufwärts, während in den beiden anderen Stimmen eine Prim aufscheint. Teil C endet in Takt 20 mit den Tönen a – e1 – a1 – e2 und somit mit zwei leeren Quinten (vgl. Nbsp. 6.3.8.). große Sext k3 k3 g3 reine Prim große Sext k3 k3 g3 reine Prim Nbsp. 6.3.8.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 18-20 Ab Takt 21 bringt Kropfreiter drei Takte lang bereits vorgestelltes Material, das den Takten 9 bis 11 entnommen ist und in geringem Umfang geändert wurde. Erste rhythmische Veränderungen treten bereits in Takt 21 auf, da die Melodie jetzt mit einer Viertel und zwei Achteln beginnt. In den drei unteren Stimmen notiert Kropfreiter im darauffolgenden Takt anstelle von zwei Achteln eine Viertel und lässt erneut Quinten zwischen Alt und Tenor aufscheinen. Wie in Takt 11 treten auch in Takt 23 Quinten 83 zwischen der Alt- und Bassstimme auf. Der Rhythmus dieses Taktes wurde dem Text angepasst und so notiert Kropfreiter in den drei Unterstimmen nun zwei Achtel und eine Viertel. In diesen Stimmen treten wie bereits in Takt 9 bis 11 nur stufenweise Fortschreitungen auf, während der Sopran von Sprüngen geprägt ist und in Takt 21 und 22 das Anfangsmotiv (f1 – g1 – b1) bringt (vgl. Nbsp. 6.3.9.). k3 k3 k3 r4 Nbsp. 6.3.9.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 21-24 Abgesehen von der Untersuchung auf horizontaler Ebene lässt sich in den Takten 21 bis 24 erneut eine harmonische Analyse vornehmen. Auf die erste Viertel in Takt 21 notiert Kropfreiter durch die Töne d – a – d1 eine leere Quint und darüber eine Quart – es ist dies derselbe Akkord wie in Takt 9 (an dieser Stelle war es der Schlussakkord von B1). Ab der zweiten Viertel in Takt 21 bringt Kropfreiter dieselben Akkorde wie in den Takten 9 bis 11. Eine kleine Änderung ergibt sich durch die neuen Soprantöne cis2 und fis2 (in Takt 11: gis1 und h1) auf die zweite Viertel in Takt 23, sodass an dieser Stelle HDur mit großer Non erscheint. Am Ende dieses Abschnitts erklingt Cis-Dur mit großer Non, ein Akkord, der in den Takten 9 bis 11 nicht vorgekommen ist. Auch der Tonumfang dieses Abschnitts ist in allen Stimmen wieder groß: Die Sopranstimme geht vom d1 eine übermäßige Non zum eis2, der Alt überwindet in diesen wenigen Takten eine übermäßige Quint. Der Tenor schreitet vom g eine übermäßige Sext nach oben zum eis1 und der Tonumfang der Bassstimme beträgt eine große Septim (d – cis1) (vgl. Nbsp. 6.3.10.). 84 übermäßige Non 2 3 übermäßige Quint 4 übermäßige Sext 5 große Septim d7 Ebmj7 Fmj7 Amj7 9 H9 C#9 Nbsp. 6.3.10.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 21-24 In der zweiten Hälfte von Takt 24 gehen alle Stimmen unisono (d2/d1 – cis2/cis1 – ais1/ais), bevor im nächsten Takt wieder verschiedene Tonfolgen auftreten. In der Sopranstimme erscheinen ab Takt 24 fünf Sprünge nacheinander, was bisher noch nicht vorgekommen ist. Nach dem Anfangston d2 erklingen folgende Töne: cis2 – ais1 – cis2 – e2 – cis2 – gis2. Dadurch ergeben sich vier kleine Terzen und eine reine Quint in der Sopranmelodie. Weiters erscheint durch die Töne ais1 – cis2 – e2 ein verminderter Akkord, der womöglich durch Kropfreiters Vorliebe für kleine Terzen in dieser Motette entstanden ist. In der Altstimme hingegen zerlegt er durch die Töne cis2 – ais1 – fis1 in den Takten 24 und 25 einen Durdreiklang. Danach schreitet diese Stimme in Sekunden fort und bringt in Takt 26 nochmals zwei Sprünge im Umfang einer kleinen Terz. Am Übergang von Takt 25 zu 26 ergibt sich durch die Intervalle große Sekund und kleine Terz erneut das Anfangsmotiv auf anderer Tonhöhe (vgl. Nbsp. 6.3.11.). 85 k3 k3 k3 k3 k3 g3 r5 k3 k3 Nbsp. 6.3.11.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 24-26, Sopran und Alt Auch der Tenor bietet am Übergang von Takt 24 auf 25 eine Besonderheit, die es in der Motette bisher noch nicht gab: durch den Sprung vom ais zum d1 ergibt sich eine verminderte Quart. Dieses Intervall ist bisher nur in reiner Form vorgekommen, fügt sich aber gut in diese Passage ein, da auch Sopran und Alt mit ihrem verminderten bzw. Dur-Dreiklang neues Material einbringen. Nach diesem Sprung geht der Tenor in Sekunden weiter und endet auf dem eis1. Auch in der Bassstimme erscheint nach dem Unisono in Takt 24 ein neues Intervall, nämlich eine übermäßige Prim durch die Fortschreitung vom ais zum a. Diese bringt Kropfreiter erneut an jener Stelle, an der auch in den übrigen Stimmen Neues vorkommt. Anschließend schreitet der Bass in Primen und Sekunden bis zum cis1 fort (vgl. Nbsp. 6.3.12.). 24 k3 v4 k3 ü1 Nbsp. 6.3.12.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 24-26, Tenor und Bass Die letzten zwei Viertel aus Takt 25 und auch der letzte Takt in Abschnitt D (Takt 26) sind ein Rückgriff auf eine frühere Stelle, nämlich auf Takt 16 und 17. Nun bringen alle Stimmen dieselben Töne wie in den genannten Takten, geändert hat sich lediglich der Rhythmus. Waren in Takt 16 noch eine Halbe und eine Viertelnote zu finden, so tauchen jetzt in Takt 25 zwei Viertel auf. In der Tenor- und Bassstimme ergibt sich in Takt 26 eine Änderung in ganze Noten. Im Sopran sind zwar auch jetzt zwei Halbe 86 notiert, diese ergeben aber aufgrund des Haltebogens eine ganze Note. Abgeschlossen wird dieser Teil von einem Cis-Dur-Akkord mit großer Septim. Auch in diesem Abschnitt gibt es einen melodischen Anstieg zum Ende hin, sodass das Wort Licht den Höhepunkt der Melodie darstellt (vgl. Nbsp. 6.3.13.). k3 k3 k3 g3 k3 v4 k3 ü1 k3 k3 r5 k3 k3 Nbsp. 6.3.13.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 24-26 In Takt 27 beginnt der letzte große Abschnitt E, in dem Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass erneut in Oktaven fortschreiten. In den Takten 27 bis 29 greift Kropfreiter auf bekanntes Material aus Teil C zurück und bringt in der Alt- und Bassstimme eine liegende Melodie in Viertel- und Achtelnoten, während im Sopran und Tenor eine bewegte Tonfolge erklingt. Im Alt und Bass dominiert zunächst das a1/a, bevor diese beiden Stimmen von Takt 28 zu 29 eine übermäßige Prim zum as1/as gehen. Dieses Intervall ist zuvor zwischen Takt 24 und 25 im Bass aufgetaucht. Auch Sopran und Tenor bringen ab Takt 27 eine in Takt 18 und 19 bereits aufgetretene Melodie. Ab der zweiten Viertel in Takt 27 erscheinen folgende Töne: c2/c1 – d2/d1 – h1/h – c2/c1 – d2/d1 – diese sind in Originalgestalt übernommen. Die weitere Melodie in diesen beiden Stimmen ergibt sich aus Sekund- und Terzschritten und lässt in Takt 29 nochmals bekannte Töne aufscheinen, die aus der Sopranstimme in Takt 25 abzuleiten sind, jetzt allerdings einen Ganzton höher: durch es2/es1 – ges2/ges1 – es2/es1 folgen zwei kleine Terzen nacheinander. Eine Besonderheit an dieser Stelle sind die Staccati, die hier zum einzigen Mal in der Motette vorkommen und passend zum Text Schalk sein wird gesetzt 87 sind. E1 endet wie auch Teil C mit leeren Quinten, allerdings einen Halbton tiefer auf as – es1 – as1 – es2 (vgl. Nbsp. 6.3.14.). k3 k3 k3 k3 k3 k3 ü1 k3 k3 ü1 Nbsp. 6.3.14.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 27-29 Ab der letzten Viertel in Takt 29 beginnt Teil E2 und Kropfreiter behält die beiden Stimmpaare in Oktaven bei. Weiterhin treten bewegte und liegende Melodiefolgen auf, allerdings bringen nun Sopran und Tenor die liegende und die beiden anderen Stimmen die bewegte Melodie. Die Sopran- und Tenorstimme springen vom vorletzten zum letzten Ton in Takt 29 um eine verminderte Quart nach unten, um das h1/h zu erreichen. Dieses Intervall ist bereits im Tenor in den Takten 24, 25 aufgetreten – damals jedoch aufwärts. Der Ausgangston h1/h in diesen beiden Stimmen wird beibehalten und erst im letzten Takt erklingt zweimal das c2/c1. Auch die beiden anderen Stimmen beginnen auf die letzte Viertel in Takt 29 mit dem h1/h, von dem aus die Melodie – dem Text entsprechend – stufenweise absteigt. In Takt 32 endet die parallele Fortschreitung in Oktaven für diese beiden Stimmen und im Übergang zum letzten Takt bringt der Bass durch die Töne f – cis nochmals eine verminderte Quart. Es ist dies auch der einzige Sprung dieses Abschnitts in allen vier Stimmen. Ein vermindertes Intervall tritt ebenso im letzten Takt auf – und zwar im Schlussakkord der Motette. Hier ergeben sich durch die Töne cis – c1 – cis1 – c2 eine verminderte Oktav, eine übermäßige Prim und nochmals eine verminderte Oktav. Vielleicht verwendet Kropfreiter gerade deshalb in den vorangehenden Takten mehrmals ein vermindertes Intervall, um bereits auf den letzten Akkord vorzubereiten. Der Tonumfang der Sopran- und Tenorstimme 88 beschränkt sich in den letzten Takten auf eine kleine Sekund, die beiden anderen Stimmen gehen vom h1/h zum cis1/cis und überwinden somit eine kleine Septim (vgl. Nbsp. 6.3.15.). kleine Sekund v4 kleine Septim kleine Sekund v4 v4 kleine Septim Nbsp. 6.3.15.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 29-33 6.3.5. Zusammenfassung Kropfreiter konzentriert sich in dieser Motette erneut auf stufenweise Fortschreitungen und favorisiert neben der Sekund die Prim. Anlass dazu könnte das Kapitel 11 gegeben haben: 1 steht für die Prim, die Summe aus 1 + 1 ergibt 2 und steht somit für die Sekund. Ebenso spielt die Terz in diesem Stück eine wichtige Rolle. Diese ist nämlich das wichtigste Intervall bei Sprüngen und ist in den meisten Fällen klein. Auch die Zahl 3 kommt durch die Verse 33 und 34 im Lukasevangelium vor und somit bezieht sich Kropfreiter durch die häufige Verwendung der Terz darauf. Darüberhinaus erklingen vereinzelt auch Quart- und Quintsprünge. Die Melodieführung orientiert sich durch ihre auf- bzw. absteigenden Linien in allen Stimmen am Text und bringt diesen somit noch mehr zum Ausdruck. Kropfreiter lässt Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass in mehreren Abschnitten der Motette in Oktaven gehen und stellt liegende gegen bewegte Linien. Auch die Fortschreitung in Quinten zwischen zwei Stimmen kommt mehrmals vor. Ebenso sind Rückgriffe auf bekannte Motive immer wieder feststellbar. Auffallend an der Melodieführung innerhalb gewisser Abschnitte sind die großen Tonumfänge, die die 89 einzelnen Stimmen zu bewältigen haben. Von der Harmonik her gesehen vermeidet Kropfreiter bereits am Anfang die Bestätigung einer bestimmten Tonart und endet im Laufe des Stückes immer wieder mit leeren Quinten. Dennoch ist die akkordische Analyse in einzelnen Abschnitten der Motette durchführbar, lässt aber schlussendlich keine Rückschlüsse auf eine Haupttonart zu. 6.4. Zusammenfassung Die Motetten Augustinus Franz Kropfreiters lassen sich eindeutig in formale Abschnitte untergliedern und sind in ihrer Konzeption sehr genau durchdacht. Ausgangsbasis für die Komposition stellen die Texte dar, die in den hier analysierten Motetten der Bibel entnommen wurden. Die Motettentexte bei Kropfreiter sind eine Zusammenstellung verschiedener Übersetzungen der Heiligen Schrift, die durch eigene Formulierungen ergänzt werden. Bei der musikalischen Umsetzung sind immer wieder starke Bezüge zum Text feststellbar. Auch die Zahlensymbolik spielt in Kropfreiters Motetten eine wichtige Rolle, da er sich musikalisch – zum Beispiel durch die Verwendung bestimmter Intervalle – immer wieder auf die Textquellen bezieht. Augustinus Franz Kropfreiter arbeitet in seinen Motetten häufig mit stufenweisen Bewegungen, seltener kommen Sprünge in der Melodie vor. Zu seinen bevorzugten Intervallen gehören in erster Linie Prim und Sekund, weiters Terz, Quart und Quint. Größere Sprünge kommen nur vereinzelt vor und werden vor allem dann eingesetzt, wenn die Aussage des Textes musikalisch unterstrichen werden soll. An den Enden der einzelnen formalen Abschnitte bringt Kropfreiter nur selten vollständige Akkorde, häufig sind hingegen leere Quinten oder der gleiche Ton in allen Stimmen. Er vermeidet dadurch bewusst die Festlegung auf eine bestimmte Tonart. Trotz der vorwiegend linearen Konzeption, gibt es mehrere Abschnitte, die vertikal konstruiert sind und somit eine akkordische Analyse ermöglichen. Dennoch können in diesen Passagen keine Rückschlüsse auf die Tonalität gezogen werden. Alle analysierten Motetten enthalten Abschnitte, in denen jeweils zwei Stimmen in Oktaven oder Quinten geführt werden. Gerne bringt Kropfreiter liegende Melodien, 90 stellt diesen eine bewegte Linie gegenüber und erzeugt auf diese Weise musikalische Gegensätze. Kontrapunktische Techniken, wie etwa das Prinzip der Imitation, finden in den Motetten ebenso Berücksichtigung wie die Verwendung von Orgelpunkten. Kropfreiter greift immer wieder auf bekanntes Tonmaterial zurück und verändert es je nach Notwendigkeit. Die Motetten erwecken den Eindruck, dass sich Kropfreiter sehr genaue Gedanken zur Komposition gemacht hat und nichts dem Zufall überlassen wollte. Er war scheinbar stets um ein bestmögliches Ergebnis bemüht. 91 7. Die Kompositionstechnik Kropfreiters 7.1. Musikalische Vorbilder und Stileinflüsse Im Jahr 2000 erschien in der Zeitschrift Singende Kirche ein Interview mit Augustinus Franz Kropfreiter, in dem er unter anderem auf seine musikalischen Vorbilder zu sprechen kam. Zunächst nannte er darin die Improvisationen von Anton Heiller als wegweisend für die Entwicklung seines eigenen Stils.164 Heiller war für Kropfreiter aber mehr als nur musikalisches Vorbild, denn die beiden verband eine tiefe Freundschaft. Kropfreiter lernte Anton Heiller während seines Studiums an der Musikhochschule in Wien kennen,165 wo Heiller ab 1945 als Orgellehrer tätig war.166 Obwohl Kropfreiter nie von ihm unterrichtet wurde, beeinflusste diese Musikerpersönlichkeit seine Kompositionen und seine musikalische Entwicklung. Durch das Singen im AkademieKirchenchor lernte Kropfreiter viele Werke Heillers kennen und zeigte sich von dessen Musik beeindruckt. Heiller stand Kropfreiter als kompositorischer Berater zur Seite und war an der Drucklegung seiner ersten Orgelwerke beteiligt. Durch Anton Heiller bekam Kropfreiter auch Kontakt zum Verlag Doblinger.167 Kropfreiters Worte „[…] auch nur kleinste Hinweise waren mir Gebot. Tiefste Verehrung und edelste Freundschaft bis zu seinem allzufrühen Tod ergaben sich daraus.“ verdeutlichen, wie sehr er diesen Musiker schätzte.168 Heillers Schaffen war sehr von der französischen Musik rund um Frank Martin beeinflusst, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass auch Kropfreiters Werk Anleihen an Frank Martin aufweist und er diesen ausdrücklich als eines seiner Vorbilder nannte.169 Durch die Werke Martins erkannte Heiller, dass sich Zwölftontechnik 164 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 154. 165 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 31. 166 Elisabeth Th. Hilscher, Heiller, Anton, in: Oesterreichisches Musiklexikon, hrsg. v. Rudolf Flotzinger (Band 2: Gaal-Kluger), Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2003, S. 724725, hier S. 724. 167 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 31f. 168 Kropfreiter, Ich über mich, S.8. 169 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 154. 92 durchaus im tonalen Rahmen abspielen konnte und setzte sich ab 1949 selbst mit dieser Technik auseinander. In seinen Zwölftonwerken versuchte er daher stets den tonalen Zusammenhang nicht zu verlieren. Auch die Werke von Olivier Messiaen mit ihrer Harmonik hinterließen ihren Eindruck bei Anton Heiller. Neben der französischen Musik zeigte sich vor allem der junge Heiller (in den 1940er-Jahren) beeindruckt vom Kontrapunkt Johann Nepomuk Davids.170 Anton Heiller konzentrierte sich in seinem Schaffen vorwiegend auf die Kirchenmusik und versuchte durch „die Verbindung von neuer Tonsprache und einer aus der frühen Polyphonie inspirierten Metrik und Stimmführung der Kirchenmusik einen zeitgemäßen Ausdruck zu verleihen.“ Weiters wollte er einen Kirchenmusikstil kreieren, der auf die Vorgaben des zweiten Vatikanischen Konzils Rücksicht nimmt.171 Wichtige Anregungen für seine Kompositionen erhielt Augustinus Franz Kropfreiter durch zeitgenössische Komponisten.172 Aufgrund der engen Freundschaft mit Anton Heiller und dessen Tätigkeit als kompositorischer Berater Kropfreiters (siehe Kapitel 7, S. 92) ist es daher nicht verwunderlich, dass die beiden von denselben Musikern beeinflusst wurden. So äußerte sich Kropfreiter im Interview in Singende Kirche weiter über seine Vorbilder und nannte darin Frank Martin ebenso wie Johann Nepomuk David und Paul Hindemith.173 An der Musik Frank Martins waren es vor allem Harmonik und Klangfarben, von denen sich Kropfreiter beeindruckt zeigte. Nachdem er sich eine Zeit lang daran orientiert hatte, begann ab etwa 1968 die Loslösung von diesen Vorbildern, dennoch behielt er in seinen Werken eine farbige und abwechslungsreiche Harmonik bei.174 Auch von Olivier Messiaen blieb Kropfreiter nicht unbeeindruckt und so sagte er 1985 in einem Interview für die Oberösterreichischen Nachrichten: „Der 170 Thomas Schmögner, In memoriam Anton Heiller, in: Music Information Center Austria, Anton Heiller. Stilbeschreibung, http://db.musicaustria.at/node/55690, letzter Zugriff: 21.5.2013. 171 Hilscher, Heiller, S. 725. 172 Harald Pill, Augustinus Franz Kropfreiter. Musik und Kultur während seiner Zeit im Stift St. Florian, Diplomarbeit, Salzburg: 1977, S. 49. 173 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 154. 174 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 37. 93 Franzose liebt die große Farbigkeit. Die alleine aber hat mir selten genügt. Mein Motto: Farbigkeit in Verbindung mit stark linearer Schreibweise.“175 Trotz des Einflusses der französischen Musik verwendete Kropfreiter im Gegensatz zu Anton Heiller und Frank Martin die lineare Schreibweise nach dem Vorbild Johann Nepomuk Davids.176 Dieser lernte als Sängerknabe im Stift St. Florian den Gregorianischen Gesang kennen und machte ihn zum Ausgangspunkt seiner musikalischen Sprache, in der sich die Polyphonie als ein wichtiger Bestandteil erwies. Als musikalische Vorbilder Davids sind sowohl Josquin Desprez als auch Johann Sebastian Bach zu nennen. Er bevorzugte die Linearität, die für ihn ein Abbild des Göttlichen darstellte. Obwohl er sich der Zwölftontechnik annäherte und die tonalen Grenzen ausnutzte, verließ er die Tonalität nicht.177 Kropfreiter meinte einmal über sein Vorbild Johann Nepomuk David: „Ich bin kein ausgesprochener Davidianer, aber ich habe mir von ihm geholt, was ich brauchte.“178 Ebenso wie Anton Heiller179 hatte auch Augustinus Franz Kropfreiter persönlichen Kontakt zu Paul Hindemith und wurde von dessen Musik beeinflusst.180 Der Einfluss dieses Musikers auf das Schaffen Kropfreiters bezieht sich laut Harald Pill auf den klaren ductus, den klaren Aufbau und die Quartenharmonik.181 Kropfreiters Werke weisen immer wieder polyphone Passagen auf und sind linear durchkonstruiert (siehe Kapitel 7, S. 102). Auch in dieser Hinsicht dürften die Kompositionen Hindemiths als 175 Herbert Vogg, Ein wenig über Augustinus Franz Kropfreiter, in: Musikalische Dokumentation. Augustinus Franz Kropfreiter, hrsg. v. Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Institut für Österreichische Musikdokumentation, Wien: 1999, S. 11-15, hier S. 13. 176 Pill, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 49. 177 Bernhard Albert Kohl, David, - 1) Johann Nepomuk, in: Musiklexikon, hrsg. v. Harald Hassler (Band 1: A bis E), Stuttgart und Weimar: Verlag J.B. Metzler 2005, S. 634-636, hier S. 634f. 178 Neuhauser, Laudatio, S. 17. 179 Konrad Klek, Heiller, Anton, in: Lexikon der Orgel. Orgelbau – Orgelspiel – Komponisten und ihre Werke – Interpreten, hrsg. v. Hermann J. Busch und Matthias Geutig, Laaber: Labber-Verlag 2007, S. 313-314, hier S. 314. 180 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 154. 181 Pill, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 49. 94 Impuls gedient haben, da auch in dessen Schaffen die Polyphonie und eine lineare Satzgestaltung eine wichtige Rolle spielten.182 In Anlehnung an die genannten Vorbilder orientierte sich Kropfreiter zunächst harmonisch an der französischen Musik rund um Frank Martin und verband diese mit der von ihm bevorzugten linearen Schreibweise.183 Ab 1967 begann die Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik, wodurch er sich langsam von seinen Vorbildern lösen konnte.184 Kropfreiters Zwölftonkompositionen sind aber keineswegs nach den strengen Regeln der Dodekaphonie konzipiert, sondern er benutzte diese Technik, um harmonisch neue Wege zu finden.185 Bereits 1961 wiesen einige seiner Kompositionen polytonale Akkordfolgen auf und stellten somit den Anfangspunkt einer kontinuierlichen Entwicklung hin zur Polytonalität dar. Im Jahr 2000 sagte Kropfreiter: „[…] meine stilistischen Mittel sind die Polytonalität und die Kontrapunktik, die zum Teil bis in eine gregorianische Einfachheit zurückgehen kann, soll und muss. […] die Polytonalität ist eine Folge von Verdichtungen. Das endet letztendlich in Polytonalität.“186 Er strebte in seinen Werken „nach größtmöglicher Farbe in Homophonie und Polyphonie.“187 Hohe Priorität in Kropfreiters Schaffen hatten die Form des Werkes und der Klang, der sowohl in der Ein- als auch in der Mehrstimmigkeit möglichst farbig sein sollte.188 Auch Kurt Neuhauser nannte diese farbenreichen Harmonien als charakteristisches Merkmal in Kropfreiters Werken. Weiters bezog er sich auf keine bestimmte Tonalität, verwendete aber aufgrund der intensiven Beschäftigung mit der Gregorianik und mittelalterlichen Liedern modale Strukturen in seinen Werken. Kropfreiter überließ in seinen Kompositionen nichts dem Zufall und so waren auch Clusterbildungen genau 182 Dieter Rexroth, Hindemith, Paul, in: Musiklexikon, hrsg. v. Harald Hassler (Band 2: F bis K), Stuttgart und Weimar: Verlag J.B. Metzler 2005, S. 459-460, hier: S. 460. 183 Pill, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 49. 184 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 154. 185 Pill, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 52. 186 Kreuzhuber, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 154. 187 Kropfreiter, Ich über mich, S. 9. 188 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 37. 95 durchdacht. Dazu meinte Kropfreiter: „Kein Ton zuviel oder zu wenig!“ Auch der Kontrapunkt war ein wichtiges Kompositionsmittel Kropfreiters, das mit dem farbreichen Klang verbunden und weniger als Konstruktions-, sondern mehr als Klangmittel eingesetzt wurde.189 Die folgenden Worte Augustinus Franz Kropfreiters aus dem Jahr 1994 fassen seine wichtigsten musikalischen Einflüsse noch einmal zusammen: „Seit Schaffensbeginn bzw. seit der Drucklegung meiner Werke eine gewisse Abhängigkeit einerseits von Paul Hindemith, andererseits von Frank Martin und Jehan Alain, also von "deutscher" Polyphonie und "französischem" Kolorit. Nach dem "Abstreifen" dieser Vorbilder spielen Farbigkeit und ein starker Hang zu polyphoner Sprache eine große Rolle in meinem Schaffen. Die Polytonalität tritt in reichem Maße in Erscheinung. Die in den letzten Jahren bevorzugte Beschäftigung mit Kammermusik und dem Orchester brachte neue Möglichkeiten des Ausdrucks in meine musikalische Sprache.“190 7.2. Die Kompositionstechnik in den Motetten Auf Grundlage der Analysen in Kapitel 6 erfolgt in diesem Abschnitt nun eine Besprechung wichtiger Kompositionsmerkmale in den Motetten von Augustinus Franz Kropfreiter. Den Ausgangspunkt für die Komposition seiner Motetten stellt zweifelsohne der Text dar. Der Komponist war sehr auf eine sorgsame Auswahl der Textstellen bedacht und machte sich anscheinend viele Gedanken dazu. Denn wie die analysierten Texte in Kapitel 6 zeigen, wurden die Texte aus der Bibel nicht einfach übernommen, ohne darüber nachzudenken. Stattdessen nahm er mehrere Bibelübersetzungen zur Hand um zu vergleichen und auf diese Weise seine Texte auszuwählen. Kropfreiters Motetten basieren also auf zusammengestellten Texten verschiedener Übersetzungen der Heiligen Schrift. Es fällt jedoch auch auf, dass manche Formulierungen – oft nur einzelne Wörter – nicht der Bibel entnommen sind, 189 190 Neuhauser, Laudatio, S. 17. Music Information Center Austria, Augustinus Franz http://db.musicaustria.at/node/58328, letzter Zugriff: 21.5.2013 Kropfreiter. Stilbeschreibung, 96 sondern von Kropfreiter selbst stammen dürften. Dadurch war ihm vermutlich eine noch präzisere Textzusammenstellung möglich, die sich gut für die Vertonung eignete (siehe Kapitel 6, S. 38f., 56f., 74f.). Auch nach der erfolgten Zusammenstellung der Motettentexte bezieht sich Kropfreiter während des Komponierens sehr stark auf diese Worte. Durch auf- bzw. absteigende Melodielinien versucht er, die Textinhalte musikalisch zu unterstützen. Ein gutes Beispiel für dieses Kompositionsmittel sind die Takte 5 bis 9 der Motette Niemand zündet ein Licht an, in denen Kropfreiter durch die absteigende Linie mit einem decrescendo Ruhe und Spannung erzeugt und somit den Text heimlichen Ort optimal vertont (vgl. Nbsp. 7.2.1.). Nbsp. 7.2.1.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 5-9 Den Inhalt des Textes bringt er aber auch durch bestimmte Intervalle und deren Zusammenklang musikalisch zum Ausdruck. Dies ist etwa in Es ist unmöglich in den Takten 12 bis 16 der Fall, in denen durch die anfängliche verminderte Oktav – klanglich ja eine große Septim – und die darauffolgenden Intervalle zwischen Sopran bzw. Tenor und Alt bzw. Bass die Bedrohlichkeit des Textes musikalisch unterstrichen wird (vgl. Nbsp. 7.2.2.). 97 Nbsp. 7.2.2.: Es ist unmöglich, Takt 12-16 Nun wird das Augenmerk auf formale Aspekte in Kropfreiters Werken gelegt. Beim Betrachten des Notenbildes der analysierten Motetten und beim Versuch herauszufinden, in welcher Tonart die Stücke stehen, kann festgestellt werden, dass der Komponist auf die Setzung von Generalvorzeichen verzichtet. Zu diesem Ergebnis kam bereits Maria Helfgott in Bezug auf das Orgelwerk Augustinus Franz Kropfreiters.191 Durch diesen Verzicht auf Vorzeichen zu Beginn der Werke vermeidet Kropfreiter die Festlegung auf eine bestimmte Tonart, kann sich während des Stückes harmonisch frei bewegen und so schreiben, wie es der Text verlangt. Helfgott hat in ihrer Arbeit weiters festgestellt, dass Beginn und Schluss, aber auch die Akkorde am Ende von einzelnen Abschnitten tonale Zentren erkennbar machen.192 In gewisser Hinsicht kann diese Ansicht auch für die analysierten Motetten übernommen werden. Doch auch wenn Akkorde aufgrund der notierten Töne eine harmonische Richtung vermuten lassen, so wird diese in den meisten Fällen nicht bestätigt. An Stelle von vollständigen Akkorden bevorzugt Kropfreiter an den Phrasenenden in vielen Fällen leere Quinten (vgl. Nbsp. 7.2.3.). Daneben lässt er häufig alle vier Stimmen auf demselben Ton enden, sodass zwischen Frauen- und Männerstimmen eine Oktav erklingt (vgl. Nbsp. 7.2.4.). In den 191 Maria R. Helfgott, Das Orgelwerk von Augustinus Franz Kropfreiter, Diplomarbeit, Wien: 1999, S. 33. 192 Ebd., S. 33. 98 Motetten kommen aber auch Quartenakkorde vor, deren Gestalt durch die Umschichtung der Töne auf den ersten Blick unerkannt bleibt (vgl. Nbsp. 7.2.5.). Nbsp.7. 2.3.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 1-2, leere Quinten Nbsp. 7.2.4.: Niemand zündet ein Licht an, Takt 1-2, Oktav Nbsp. 7.2.5.: Es ist unmöglich, Takt 3-5, Quartenakkord Neben dem Verzicht auf Vorzeichen zu Beginn der Motetten stechen beim Hinsehen auf das Notenbild aber auch die vielen Taktwechsel ins Auge. Auffallend dabei ist, dass die Wechsel des Metrums an manchen Stellen sogar taktweise vor sich gehen und somit innerhalb kürzester Zeit mehrere Taktwechsel stattfinden. Dies ist zum Beispiel in der Motette Es ist unmöglich der Fall, bei der in den Takten 9 bis 18 acht Mal ein Taktwechsel stattfindet (vgl. Nbsp. 7.2.6.). Ein möglicher Grund dafür liegt wahrscheinlich in der sorgfältigen Auswahl und Zusammenstellung der Texte und im Vorhaben, diese auch schwerpunktmäßig bestmöglich zu vertonen. Dieses Stilmittel verwendet Kropfreiter nicht nur in vokalen Werken, sondern ist auch wichtiger Bestandteil seiner Orgelwerke193 und wurde bereits 1964 in Ave regina coelorum und Ach wie nichtig, ach wie flüchtig eingesetzt.194 193 Helfgott, Das Orgelwerk, S. 42. 194 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 37. 99 Nbsp. 7.2.6.: Es ist unmöglich, Takt 9-18 Kropfreiter konzipiert seine Motetten sehr linear und besinnt sich somit auf Johann Nepomuk David, der mit seiner linearen Schreibweise als Vorbild agierte.195 Zum Vorschein kommt dieses Merkmal vor allem dadurch, dass eine vertikale Analyse größtenteils nicht möglich ist und die einzelnen Stimmen in eigenständigen Linien voranschreiten. Dabei greift Augustinus Franz Kropfreiter immer wieder auf bereits vorgestelltes Material zurück. Dieses bringt er sowohl in Originalgestalt als auch in Umkehrungen, Krebsform oder mit geänderten Notenwerten. 195 Szeless, Augustinus Franz Kropfreiter, S. 37. 100 Die Grundlage für Kropfreiters lineare Melodielinien ist seine Arbeit mit bevorzugten Intervallen, die auch Kurt Neuhauser in seiner Laudatio für Augustinus Franz Kropfeiter als kennzeichnend für dessen Kompositionsstil nannte.196 In Kropfreiters Motetten überwiegen stufenweise Bewegungen und somit die Intervalle Prim und Sekund. Daneben kommen auch Sprünge vor, die nur in den seltensten Fällen (z.B. Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 32 und 33 im Alt und Bass) mehrmals unmittelbar nacheinander auftreten und im Gegensatz zu den Primen und Sekunden nur eine untergeordnete Rolle spielen. Sofern in der Melodie größere Intervalle als Prim und Sekund vorkommen, erscheinen diese in den meisten Fällen als Terzen, Quarten und Quinten, größere Sprünge sind eher die Ausnahme. Das beliebteste Intervall nach der Prim und der Sekund ist die Terz, die sowohl groß als auch klein in der Melodie oft vorkommt. Die Vorliebe für die Terz hängt vermutlich mit der bevorzugten Verwendung von Prim und Sekund zusammen, da die Summe aus den beiden die Terz ergibt (1 + 2 = 3). In Verbindung damit sei ebenfalls erwähnt, dass Augustinus Franz Kropfreiters Kompositionsstil auch sehr von der Zahlensymbolik beeinflusst war. In den untersuchten Motetten lassen sich durch die verwendeten Intervalle immer wieder Bezüge zu den Textquellen herstellen, die häufig jene Zahlen enthalten, die musikalisch in der Motette als Intervalle vielfach berücksichtigt werden. So notiert Kropfreiter in der Motette Es ist unmöglich in Takt 12 eine verminderte Oktav und stellt somit einen Zusammenhang mit dem Kapital 17 des Lukasevangeliums her: die Summe aus 1 und 7 ergibt 8 und steht somit für die Oktav. Der Kontrapunkt als eine der Kompositionstechniken innerhalb Kropfreiters Stil findet auch in seinen Motetten Berücksichtigung. Darin tritt vor allem das Prinzip der Imitation als eine der kontrapunktischen Formen an mehreren Stellen auf. Ein Beispiel dafür sind die Takte 8 bis 13 der Motette Trachtet nach dem Reich Gottes (vgl. Nbsp. 7.2.7.). In diesem Abschnitt beginnen Tenor- und Bassstimme und werden vom Sopran und Alt ab dem nächsten Takt imitiert. 196 Neuhauser, Laudatio, S. 17. 101 Nbsp. 7.2.7.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 8-13 Durch Kropfreiters Tendenz zur linearen Schreibweise ergeben sich in den Stimmen eigenständige Melodien und unterschiedliche Rhythmen, sodass zahlreiche Abschnitte in den Motetten polyphon konstruiert sind. Dennoch existieren neben dieser Polyphonie auch homophone Passagen, die Kropfreiter in gewissen Abschnitten der Motetten anwendet und somit auf ein vertikales Denken verweist. In Trachtet nach dem Reich Gottes (Takt 14 bis 19 bzw. 37 bis 44) und Niemand zündet ein Licht an (Takt 9 bis 13 bzw. 21 bis 24) weicht er sogar so weit von der polyphonen Konstruktion ab, dass die genannten Phrasen eine akkordische Analyse ermöglichen. Das trifft jedoch keinesfalls auf alle homophonen Abschnitte zu, sondern tritt in den untersuchten Motetten nur selten auf. Da Augustinus Franz Kropfreiter ein weltweit gefeierter Organist war und sich zu Beginn seines musikalischen Schaffens auf die Orgelmusik konzentrierte (siehe Kapitel 5, S. 28), ist es nicht verwunderlich, dass auch in seiner Vokalmusik – und in diesem Fall in den Motetten – Anleihen an dieses Instrument zu finden sind. Kropfreiter fasst jeweils zwei Stimmen – Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass – zusammen und lässt diese in Oktaven dieselbe Melodie singen. Dieses paarweise Fortschreiten entstammt dem Koppelprinzip der Orgel. Darunter ist eine Technik zu verstehen, „die es dem Organisten ermöglicht, die Register eines Werkes auf der Klaviatur eines anderen zu spielen.“ Dabei werden also die Tasten des bespielten Manuals an ein zweites Manual 102 bzw. an das Pedal gekoppelt, sodass diese beim Spielen mitklingen.197 In Anlehnung an diese Technik notiert Kropfreiter jeweils zwei Stimmen in Oktaven. Zu finden ist eine solche Stelle in den Takten 3 bis 7 von Trachtet nach dem Reich Gottes, in denen Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass parallel fortschreiten (vgl. Nbsp. 7.2.8.). Nbsp. 7.2.8.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 3-7 Neben Oktaven erklingen aber auch immer wieder Quinten zwischen zwei Stimmen, so zum Beispiel in der Sopranstimme der Takte 17 bis 19 in der Motette Es ist unmöglich (vgl. Nbsp. 7.2.9.). Nbsp. 7.2.9.: Es ist unmöglich, Takt 17-19 197 Anja Rohlf, Koppel, in: Lexikon der Orgel. Orgelbau – Orgelspiel – Komponisten und ihre Werke – Interpreten, hrsg. v. Hermann J. Busch und Matthias Geutig, Laaber: Laaber-Verlag 2007, S. 394-395, hier S. 394. 103 In Trachtet nach dem Reich Gottes (vgl. Nbsp. 7.2.10.) bringt Kropfreiter an mehreren Stellen einen Orgelpunkt ein. Ein Orgelpunkt ist ein Ton in der Bassstimme, der lange ausgehalten wird und zu den anderen Stimmen ein Spannungsverhältnis erzeugt. Dieselbe Wirkung kann aber auch von einem Ton, der in regelmäßiger Abfolge immer wieder erklingt, erzeugt werden. Darüber hinaus können Orgelpunkte auch in Form von liegenden Tönen in Mittel- oder Oberstimmen auftreten.198 Bei Kropfreiter kommen Orgelpunkte in der oben genannten Motette sowohl in der Bass- als auch in der Altstimme vor und bestehen ebenso aus Halben wie aus Vierteln (z.B. Takt 3 bis 7, 8 bis 13, 27 bis 31). Nbsp. 7.2.10.: Trachtet nach dem Reich Gottes, Takt 3-7 Die Takte 3 bis 7 von Trachtet nach dem Reich Gottes sind ein guter Ansatzpunkt, um auf ein weiteres Merkmal von Kropfreiters Kompositionsstil in den Motetten zu sprechen zu kommen. Vor allem in Zusammenhang mit der Oktavfortschreitung zweier Stimmen (Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass) schafft Kropfreiter häufig einen Gegensatz durch liegende und bewegte Melodielinien. Während das eine Stimmpaar über mehrere Takte hinweg denselben oder maximal zwei verschiedene Töne bringt, führen die beiden anderen Stimmen eine bewegtere Melodie aus. Dies ist zum Beispiel auch der Fall in Es ist unmöglich (Takt 28 bis 31), wo im 2. Sopran und im Bass eine 198 N.N., Orgelpunkt, in: Riemann Musiklexikon, hrsg. v. Wolfgang Ruf und Annette van Dyck-Hemming (Band 4: Niss-Schw), Mainz: Schott 2012, S. 76. 104 absteigende Melodie erklingt, während die anderen Stimmen auf einem Ton liegen bleiben und erst in Takt 31 ein neuer Ton erscheint (vgl. Nbsp. 7.2.11.). Nbsp. 7.2.11.: Es ist unmöglich, Takt 28-31 7.3. Zusammenfassung Augustinus Franz Kropfreiters musikalische Vorbilder deckten sich im Großen und Ganzen mit jenen von Anton Heiller, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband und der auch als sein kompositorischer Berater tätig war. Durch Heiller kam Kropfreiter mit der französischen Musik rund um Frank Martin in Berührung und zeigte sich vor allem von der farbenreichen Harmonik beeindruckt. Diese nahm er sich anfangs als Vorbild für sein eigenes Schaffen und verband sie mit der linearen Schreibweise von Johann Nepomuk David. Wie sein Berater Anton Heiller hatte auch Kropfreiter persönlichen Kontakt zu Paul Hindemith, den er ebenfalls ausdrücklich als eines seiner musikalischen Vorbilder – vor allem in Bezug auf die Polyphonie – nannte. Nachdem sich Kropfreiter zunächst an seinen Komponistenkollegen orientiert hatte, begann in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre die Auseinandersetzung mit der Zwölftonmusik. Er komponierte jedoch nicht nach deren strengen Regeln, sondern 105 versuchte durch die Beschäftigung mit dieser Technik neue harmonische Wege zu finden und sich so von seinen Vorbildern zu lösen. Mehr und mehr nahm die Polytonalität in seinen Kompositionen Gestalt an und entwickelte sich neben der Kontrapunktik zu einem seiner kompositorischen Stilmittel. Er behielt seine farbenreiche Harmonik bei, überließ in seinen Kompositionen aber dennoch nichts dem Zufall und wählte seine Töne sorgfältig aus. In seinen Motetten stellt der Text die Ausgangsbasis für die Komposition dar. Kropfreiter wählte seine Texte sehr sorgsam aus und stellte sie aus verschiedenen Übersetzungen der Bibel zusammen, sodass sie den musikalischen Fluss bestmöglich unterstützen konnten. Die Musik zu seinen Motetten schreibt er sehr textbezogen und bringt entsprechend dem Text auf- bzw. absteigende Melodielinien. Mit der Vertonung des Textes dürften auch die häufigen Taktwechsel in Kropfreiters Motetten zusammenhängen, sodass auf diese Weise optimale Schwerpunkte im Text gesetzt werden können. Durch den Verzicht auf Generalvorzeichen vermeidet er die Festlegung auf eine Tonart. Die untersuchten Motetten weisen im Großen und Ganzen dieselben stilistischen Merkmale auf und vermeiden weitgehend tonale Festlegungen. Anstelle von vollständigen Akkorden an den Enden einzelner Abschnitte bringt Kropfreiter gerne leere Quinten oder lässt alle Stimmen auf demselben Ton enden. Kennzeichnend für seine Motetten ist auch die lineare Konzeption der Stücke und die damit einhergehende polyphone Denkweise. Dennoch treten immer wieder homophone Abschnitte auf. In seiner linearen Anlage arbeitet Kropfreiter mit den bevorzugten Intervallen Prim und Sekund, bei Sprüngen steht die Terz an erster Stelle. Durch diese Intervalle stellt er häufig einen Bezug zur Textquelle her, da sich diese Intervalle (1, 2, 3) durch die Kapitel- und Versnummerierungen in den Textstellen wiederfinden. Somit spielt auch die Zahlensymbolik eine besondere Rolle in Kropfreiters Motettenschaffen. Ausgehend von seiner Tätigkeit als Organist und Komponist von Orgelmusik, überträgt er gewisse Techniken auch auf die Vokalmusik. Häufig fasst er Sopran und Tenor bzw. Alt und Bass zu Stimmpaaren zusammen und lässt diese in Oktaven fortschreiten. Ihren Ausgang nahm diese Idee vom Koppelungsprinzip der Orgel, bei dem ein Manual mit einem weiteren oder mit dem Pedal gekoppelt werden kann. Auch Quinten zwischen 106 zwei Stimmen treten immer wieder auf. Darüberhinaus findet die Technik des Orgelpunkts – sowohl in der Bass- als auch in der Altstimme – in den Motetten Kropfreiters Verwendung. Weiters schafft er durch das Nebeneinander von bewegten und liegenden Melodielinien Gegensätze. 107 8. Resümee Die Motette ist eine Gattung mit langer Tradition. Seit ihren Anfängen um 1200 in Frankreich kam es zu einer Verbreitung in vielen Ländern. War sie anfänglich noch eine weltliche Gattung, so konnte sie sich spätestens seit der Renaissance als kirchenmusikalisches Werk im Gottesdienst etablieren. Obwohl ihre Entwicklung mit einem ständigen Auf- und Abschwung verbunden war, wurden dennoch über die gesamte Musikgeschichte hinweg Motetten komponiert. So hielt sich diese Gattung bis in die Gegenwart. Auch Augustinus Franz Kropfreiter nahm sich ihrer an und machte sie zu einer zentralen Gattung seines Schaffens. Nachdem Kropfreiter sein musikalisches Schaffen zunächst eher der Orgelmusik verschrieben hatte, beschäftigte er sich vermutlich durch seine beruflichen Tätigkeiten als Leiter der Sängerknaben und als Regens Chori im Stift St. Florian mehr und mehr mit der Motette. Vor allem gegen Ende seines Lebens – besonders in den 1990er-Jahren – arbeitete er vermehrt auf diesem Gebiet. Obwohl diese Gattung einen zentralen Stellenwert in Kropfreiters Werk einnimmt, lässt die Verbreitung seiner Motetten zu wünschen übrig. Die meisten Stücke sind lediglich als Manuskripte vorhanden und nur wenige wurden vom Verlag Doblinger herausgegeben. Ebenso ist die Suche nach Aufnahmen von Kropfreiter-Motetten leider vergeblich. Aufgrund dieses geringen Angebots an herausgegebenen Motetten ist die Verfasserin dieser Arbeit der Meinung, dass weitere Forschungen unerlässlich sind, damit Kropfreiters Musik einen größeren Bekanntheitsgrad erlangt und Motetten neu herausgegeben werden. Zu einer weiteren Verbreitung in der Bevölkerung würden sicherlich auch CD-Aufnahmen einen wichtigen Beitrag leisten. Kropfreiters Kompositionstechnik Komponistenkollegen. Neben zeigt seinem viele Vorbild Einflüsse Anton Heiller, zeitgenössischer der ihm als kompositorischer Berater zur Seite stand, war es die französische Musik von Frank Martin, die ihn durch seine farbenreiche Harmonik inspirierte. In Bezug auf die Polyphonie orientierte sich Kropfreiter an Paul Hindemith und von Johann Nepomuk David übernahm er die lineare Schreibweise. Durch die Beschäftigung mit der 108 Zwölftontechnik fand Kropfreiter neue harmonische Wege, die ihn bis zur Polytonalität führten. Durch die Analysen konnten wichtige Merkmale der Kompositionstechnik Kropfreiters in den späten Motetten herausgearbeitet werden. Dazu gehören durch fehlende Generalvorzeichen die Vermeidung, sich auf eine bestimmte Tonalität festzulegen und nur eher selten vollständige Akkorde zu bringen. Sehr beliebt sind hingegen leere Quinten an den Enden einzelner Phrasen. In den Stücken sind polyphone Abschnitte ebenso zu finden wie Homophonie, jedoch überwiegt die lineare Konzeption. Für die Melodieführung verwendet Kropfreiter in erster Linie Primen und Sekunden und bevorzugt stufenweise Bewegungen. Auch die Zahlensymbolik spielt für Kropfreiter zu dieser Zeit eine bedeutende Rolle und so stellt er durch die Verwendung bestimmter Intervalle immer wieder musikalische Bezüge zu den Textquellen her. In den Motetten legt er ohnehin eine sehr textbezogene Kompositionsweise an den Tag. Der Text stellt für seine Werke die Ausgangsbasis dar und muss die musikalische Umsetzung bestmöglich unterstützen. Auch die Orgelmusik dient Kropfreiter als Inspirationsquelle für seine Motetten, indem er das Koppelungsprinzip der Orgel vokal umsetzt. Zu diesem Zweck lässt er jeweils zwei Stimmen in Oktaven oder Quinten fortschreiten. Die Ergebnisse aus den Analysen verdeutlichen, dass Kropfreiter in seinen letzten Lebensjahren gewisse kompositorische Mittel verwendet hat, die in verschiedenen Motetten dieser Zeit immer wieder auftreten. Er hat sich also gegen Ende seines Lebens – zumindest in Bezug auf die Motetten – auf einen gewissen Stil festgesetzt, den er zielstrebig verfolgte. In dieser Hinsicht konnten die einleitenden Fragen zufriedenstellend beantwortet werden. Durch die Konzentration auf Werke der letzten Jahre bleibt hier allerdings die Frage offen, welche Entwicklung sein Kompositionsstil in den Motetten von den Anfängen bis zum Ende seines Lebens durchlaufen hat. Daher wären auf diesem Gebiet weitere Untersuchungen notwendig, um die Frage zu beantworten, ob sich sein Stil in den frühen und späten Motetten unterscheidet und wenn ja, in welcher Art und Weise dies ersichtlich wird. 109 9. Quellenverzeichnis Bibliographie: Amon, Reinhard, Lexikon der musikalischen Form, Wien: Doblinger 2011. Busch, Hermann J. und Geutig, Matthias (Hrsg.), Lexikon der Orgel. Orgelbau – Orgelspiel – Komponisten und ihre Werke – Interpreten, Laaber: Laaber-Verlag 2007. Dahlhaus, Carl (Hrsg.), Neues Handbuch der Musikwissenschaft (Band 4), Wiesbaden: Laaber-Verlag 1981. Fellerer, Karl Gustav (Hrsg.), Das Musikwerk. 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Klaus Sonnleitner, e-mail vom 10.05.2013. 114 10. Anhang Auszug aus dem e-mail von MMag. Klaus Sonnleitner vom 10.5.2013: „[…] em. Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Reisinger ist Augustiner Chorherr des Stiftes St. Florian und war von 1986 – 2004 und nochmals von 2005 – 2011 Stiftsdechant (das ist der Vertreter des Propstes – in unserem Orden heißen die Leitungsämter Propst und Stiftsdechant, bei anderen Orden meist Abt und Prior). Dr. Reisinger (geb. 1946) war Professor für Gesellschaftslehre und Pastoralsoziologie an der Katholisch- Theologischen Privatuniversität Linz. Er ist auch im Bereich der bildenden Kunst tätig und als Musikkenner und –liebhaber stets an der Arbeit Kropfreiters interessiert und dafür aufgeschlossen. Prälat Wilhelm Neuwirth (geb. 1941), war von 1977 – 2005 Propst des Augustiner Chorherrenstiftes St. Florian und ist ebenso ein kunstinteressierter Mensch, der die Arbeit Kropfreiters gefördert hat.“ 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124