RASDORFER GESCHICHTSBLATT Herausgeber: Verein zur Förderung der Heimat- und Kulturpflege Rasdorf e.V. Ausgabe Nr. 30 Jahr 2012 Elsässer im I. Weltkrieg von Februar 1916 bis Dezember 1918 in Rasdorf evakuiert von Wendelin H. Priller Illfurth, ein Ort mit heute rund 2300 Einwohnern, im bis 1918 zum deutschen Reich gehörenden Elsass gelegen – 10 km südlich von Mühlhausen, früher Landkreis Altkirch – war in die Kriegsgeschehnisse des I. Weltkrieges mit einbezogen worden. Postkarte von Illfurth 1914 geschrieben von einem französischen Offizier; Illfurth war zu Beginn des I. Weltkriegs kurze Zeit von den Franzosen besetzt worden. Im Jahre 1915 plante die deutsche Wehrmacht eine große Offensive an der oberelsässischen Front und einen Truppenvorstoß in Richtung der 50 km südlich gelegenen französischen Stadt Belfort. Vorgesehen war die Inbetriebnahme zweier Kanonen mit größerer Schussweite, die eine sollte im benachbarten Zillisheim, die andere in Illfurth stationiert werden. Dazu waren umfangreiche Arbeiten notwendig. In Illfurth arbeiteten unter dem Siegel der Verschwiegenheit etwa 1000 Personen an dem Bau einer Eisenbahnlinie, die zum Standort der künftigen „großen Kanone“ führen sollte. Die deutsche Kommandantur beschloss aber, dass nur eine Kanone in Zillisheim aufgestellt werden sollte. In Illfurth sollte ein Mörser aufgestellt werden. Dazu kam es aber nicht, da im November 1915 die Arbeiten in Illfurth eingestellt wurden. Die Kanone schoss zum ersten Mal am 08.02.1916, dies war erst drei Tage danach, als die Illfurther bereits weg waren. Sie haben dies dann nicht mehr mitbekommen. Bei der „Großen Kanone“ handelt es sich um den „Langen Max“. Fälschlicherweise wird immer angenommen, dass es sich um die „Dicke Berta“ gehandelt habe. Während der Bauarbeiten, bereits im Jahre 1915, wurde die ganze Gegend, aber insbesondere Illfurth, von der französischen Armee Tag und Nacht bombardiert, es wurden Häuser und Scheunen zerstört, Soldaten als auch Zivilpersonen mussten ihr Leben lassen. Am 17. Januar 1916 ordnete die deutsche Wehrmacht die Evakuierung von Illfurth an. Bis zum 5. Februar 1916 musste Illfurth geräumt sein. Zuvor waren bereits andere Dörfer evakuiert worden. Der Beschluss lautete: „Wer nicht zu Verwandten gehen kann, soll sich beim Bürgermeister anmelden. Es wird ein extra Zug, der die Illfurther in Sicherheit bringen soll, zusammengestellt.“ Die deutsche Wehrmacht stellte den Kranken, Kindern und Frauen Gespannwagen, die von Pferden oder Ochsen gezogen wurden, zur Verfügung. Die Männer mussten zu Fuß gehen. Diese Gespannwagen brachten die Bevölkerung zum Bahnhof nach Zillisheim. 5. Februar 1916 – Die Illfurther verlassen ihre Heimat Der am 25. August 1902 geborene und am 18. Juni 1971 verstorbene Jesuitenpater Louis Betschart, berichtet in dem 1950 über Illfurth erschienenen Buch ausführlich über die Evakuierung und seine Zeit in Rasdorf. Louis Betschart war seit seiner Jugendzeit in Rasdorf befreundet mit Josef Flach, dem späteren Bürgermeister. In den Jahren 1952/1953 war Louis Betschart noch einmal zu Besuch bei der Familie Flach. Er vermittelte der Tochter Ruth Burghardt, geb. Flach, eine Stelle im Tessin, so dass diese dann später eine Reise, die sie über Basel und Zürich führte, in die Südschweiz antreten konnte. In seinem Buch über Illfurth schildert Louis Betschart den Auszug sowie die Zeit in Rasdorf wie folgt: „Ins Hessische geht’s, wusste der alte Fütsche Toni als Gemeinderatsmitglied zu erzählen. Am 30. Januar 1916 wurde in der Dorfkirche die letzte heilige Messe gefeiert. Darauf vernagelte man die Altäre mit Brettern und überliess die Kirche dem Schutz des hl. Martin. Ein unglücklicher Leutnant muss gesagt haben, „Schaut euch das Land nochmals an, jetzt geht es nach Ostpreussen. Hierher kommt keiner von euch mehr zurück.“. Dann rollte der Zug in die Nacht hinein, einem uns unbekannten Ziel entgegen. Mühlhausen, Strassburg, Worms, Frankfurt waren die Richtpunkte. In Frankfurt gabs eine rechte Verpflegung, aber schon bald gings weiter und weiter. Dann kam die Trennung. Nach einer guten Stunde wurden in Flieden die hintersten Wagen abgehängt, so auch wieder in Louis Betschart als Jesuitenpater, Neuhof. Die Hauptgruppe blieb in Fulda. Mit uns ging’s weiter bis Hünfeld. Einige reisten bis Bebra, Richtung Kassel. war später in Zürich und Basel tätig So kamen wir also ins „Hessische“. In Hünfeld stand ein gutes Frühstück bereit. Schöne grosse belegte Brote gabs und Kuchen. Das versöhnte die Übernächtler. Sie hätten zwar lieber ein Glas Wein gehabt, denn der „Tröster“ im Gütterle hat doch Durst gegeben. Und wieder ging es weiter. Diesmal standen Leiterwagen zur Verfügung. Zwei Stunden lang fuhren wir auf der winterlichen Landstrasse. Wir glaubten ans Ende der Welt zu fahren. Schliesslich lag Rasdorf vor uns, dem wir verschrieben waren. Flüchtlinge nannte man uns. Und wir mussten gleich erfahren, dass es so war. Denn viele Familien wurden auseinandergerissen. So kam mein Vater als Melker zu einem Grossbauer, meine Schwester zu zwei Jumpfern, meine Mutter mit dem kleinen Bruder zu einer Wittfrau, die so wie so mit ihren eigenen Kindern schwer durch musste, weil der älteste Sohn eingezogen war. Mich nahm der Bürgermeister zu sich, er brauchte einen Stallbuben und Weidjungen. (Bürgermeister war zur damaligen Zeit Adalbert Weber (Waenersch)). So erging es auch den anderen Familien. Die Eltern litten darunter. Uns Jungen kam die Sache romantisch vor. Und da alles hoffte, in ein paar Wochen wird die Heimkehr kommen, fand man sich mit der Lage ab, zumal die Leute uns durchwegs sehr gut aufgenommen hatten. Ein Flüchtlingspfarrer kam uns bald besuchen und half etwas Kontakt Gymnasiast Louis Betschart im Gymnasium Zillisheim schaffen. Kaum waren wir etwas eingenistet, brachten die Zeitungen auch schon die große Sensation: „Belfort werde von einem schweren Geschütz beschossen. In Frankreich herrsche große Panik“. Jetzt wussten wir Bescheid, dass die Geschosse aus dem Hinteren Wald über Illfurth nach Belfort heulten. Die Franzosen sahen der Beschiessung natürlich nicht mit verschränkten Armen zu. Nach dem Krieg entdeckten wir die ungezählten grossen Granattrichter und den verwüsteten Wald. Wir sahen aber auch die imponierende Anlage mit ihren gewaltigen Bunkern, Munitionskammern und Aufzügen. Bald kamen Ostern und der Frühling. Und weil aus den prophezeiten sechs Wochen zehn geworden waren, sammelten sich die Familien wieder so weit wie möglich im eigenen Haushalt. Zwei Mark bezahlte ja der Staat pro Kopf, pro Kind eine Mark. Die meisten Mütter hatten nie so viel Haushaltsgeld zur Verfügung gehabt. Aber die Unterstützung ward bald auf die Hälfte herabgesetzt. Und es begann die Zeit der Rationierung, der Karten und Märklein, die man ja auch anderswo miterlebte. Auf die Dauer wurde die Belastung der Gemüter übergross. Da und dort stellte sich der „Flüchtlingskoller“ ein. Nichts war mehr recht. Wenn keine Nachrichten von den Bekannten kamen; wenn die Zensur einige Zeilen schwarz überstrichen hatte; wenn wieder junge Leute eingezogen und die älteren nicht entlassen wurden; wenn die allzu grossen Menschlichkeiten unter den Landsleuten schwüle Luft schufen; wenn die Jungen an den Sieg der Deutschen glaubten – sie hörten ja nichts anderes – und die Älteren am Sieg der Alliierten nicht zweifelten, entstanden Spannungen, die sich gar nicht leicht lösen liessen. Mit der Zeit bestätigten die Urlauber den „Glauben“ der Alten. Dieser Koller hatte auch jene befallen, die im Elsass geblieben waren. Es ging eben zu lange. Aufs Ganze gesehen darf man aber sagen, dass die Einheimischen mehr als recht waren zu uns Flüchtlingen. Das zeigte sich vor allem, wenn Unglück und Not einkehrten oder wenn gar der Schnitter Tod Ernte hielt. Eines schönen morgens gegen zwei Uhr hörte ich alle Glocken läuten. Wir waren kaum ein Monat im Dorf. Ich sprang auf und sah den roten Feuerschein durchs Fenster. Vor dem Haus merkte ich, dass ausgerechnet das Haus in Feuer stand, in dem mein Vater, meine Mutter und mein Brüderchen wohnten. Wie ein Windhund sauste ich durch die Nacht und sah gerade, wie alle heil zum Haus herauskamen nur ganz notdürftig gekleidet. Alles, was wir noch mitgenommen hatten, ist radikal verbrannt. Da waren die Leute wirklich gut zu uns, wie man es nicht schöner hätte erwarten können. Es boten sich mit der Zeit gute Arbeitsgelegenheiten für die heranwachsenden Kinder. Ich selbst konnte mein Studium (in Fulda) weiterführen und fand auch hier gute Menschen, nicht zuletzt im Pfarrhaus beim „Kaplan“. Das Klima war etwas rauh, aber gesund. Unser guter alter Fütsche Toni meinte zwar: „Acht Monate lang sei Winter und vier Monate sei’s kalt. Und der Boden sei so reich, dass sogar die Steine auf den Äckern wachsen, aber leider sonst nur Roggen und Wigge“. Das war eben die Rhön. Die in Rasdorf untergebrachten vier Familien: I. Die Familie BETSCHART 1. Betschart Aloyse, 42 Jahre 2. Betschart Mathilde geb. Kopf, 43 Jahre a) Betschart Louis, 14 Jahre b) Betschart Rose, 11 Jahre c) Betschart Paul, 4 Jahre II. Die Familie FIRMANN 1. Firmann Joseph, 40 Jahre 2. Firmann Eugénie geb. Ebtinger, 40 Jahre a) Firmann Armand, 12 Jahre b) Firmann Albert, 10 Jahre c) Firmann Maria, 7 Jahre d) Firmann Joseph, 2 Jahre III Die Familie FUTSCH 1. Futsch Antoine, 61 Jahre 2. Futsch Francoise geb. Ganser, 61 Jahre a) Futsch Antoine, 23 Jahre b) Futsch Marie, 18 Jahre IV. Die Familie MEYER 1. Meyer Julienne, Witwe, geb. Kieffer, 67 Jahre a) Meyer Martin, 42 Jahre b) Meyer Xavier, 24 Jahre „Mit dem Herbst 1918 wuchsen endlich die Hoffnungen auf baldige Heimkehr. Als die Nachrichten von den zusammenbrechenden Fronten eintrafen, kauften die Leute Reisekörbe und Koffer. Leider ging wieder die Parole durch: „Nehmt so wenig wie möglich mit, daheim wird gut für euch gesorgt.“. Die Pessimisten, die soviel mitnahmen, als sie konnten, waren die Schlaueren. Der Spatz in der Hand war ihnen mehr wert, als die Taube auf dem Dach.“ Als sie in ihre Heimat zurückkamen, fanden sie veränderte Verhältnisse vor. Das Elsass war nicht mehr deutsch, sondern französisch. Auch die Amtssprache und alles andere wurde in der Zeit danach französisch, so dass die älteren Leute später große Probleme hatten, da sie nur deutsch sprachen, was auch heute noch vielfach der Fall im Elsass ist. Durch die Zurverfügungstellung von Unterlagen durch Herrn Joseph Heusch aus Illfurth, der anlässlich des 90. Jahrestages der Räumung 2006 eine Broschüre herausgegeben hat, konnte die geschichtliche Aufarbeitung vorgenommen werden. Wie die Geschichte Rasdorfs durch den französischen Kaiser Napoleon I. Bonaparte beeinflusst wurde Gisela Falkenhahn - Klee Der französische Kaiser Napoleon I. Bonaparte kam in der Zeit von 1806-1813 auf seinen Reisen begleitet von seiner Leibgarde oder mit seinem gesamten Generalstab und seinen Armeen von Hünfeld oder Vacha kommend neun mal durch Rasdorf. Die Anstanvia, die Handelsstraße, die schon im Mittelalter eine Verbindung vom Rhein-Main Gebiet bis an die Elbe war, lief ursprünglich nördlich über den Stallberg an Rasdorf vorbei. Um 760 wird von einer fest ausgebauten Handelsstraße durch Rasdorf berichtet, die der Abt des Fuldaer Klosters ausbauen ließ, um zu den Besitzungen des Klosters im heutigen Thüringen zu gelangen. Von 1764 bis 1771 ließ Fürstbischof Heinrich VIII. von Bibra (1759-1789) die Straße von der Landesgrenze bei Vacha über Buttlar, Rasdorf, Hünfeld, Fulda, Neuhof und Flieden bis nach Schlüchtern und von 1773 bis 1774 bis zur fuldischen Exklave Salmünster zu einer Chaussee ausbauen. Diese Chaussee bildete ein Teilstück der Handelsstraße Frankfurt – Leipzig, der heutigen B 84. Auf dieser gut ausgebauten Straße zogen Kaiser und Könige mit ihren Armeen und Reiterheeren immer wieder durch Rasdorf. Noch lange Zeit danach wurde in Rasdorf von der so genannten „Heerstraße“ oder auch der „Franzosenstraße“ gesprochen. Quellen: Hünfelder Heimatkalender 1970, Unsere Straßen sind unser Schicksal, Alfons Frank, sowie Stadtarchiv Hünfeld Wer war Kaiser Napoleon I. Bonaparte? Napoleon I. Bonaparte (1769 – 1821) strebte als Kaiser von Frankreich die Errichtung eines abendländischen Großreichs nach dem Vorbild des karolingischen Frankenreiches unter Karl dem Großen, mit Frankreich als Mittelpunkt und Ordnungsmacht an. Er galt als maßlos in seiner kriegerischen, imperialistischen Außenpolitik. Seine Charakterzüge wurden als willensstark, ehrgeizig, kaltblütig und rücksichtslos beschrieben. Ab 1792 nahm Napoleon Bonaparte als Kommandant, ab 1796 als General an den Koalitionsund Befreiungskriegen teil. Von 1804 bis 1813 führte er die Koalitions- und Befreiungskriege als Kaiser von Frankreich. 1802 wurde Napoleon Bonaparte durch Volksabstimmung zum Konsul (1) gewählt, was ihm die alleinige Macht im Land sicherte. 1804 krönte sich Napoleon Bonaparte im Beisein des Papstes in der Kathedrale Notre Dame in Paris selbst zum Kaiser der Franzosen (2). (1) Er nannte sich Konsul „Imperator“. Wie im antiken römischen Kaiserreich wollte er als ein „Empereur“ über ein „Imperium“ herrschen. Mode und Symbole aus dem alten Rom ließ er wieder aufleben. (2) Grundlegend verändern wollte er die Justiz- und Staatsverwaltung, auch die Schulformen wollte er reformieren. Doch wegen seiner Gier nach Macht konnte er seine großen Ziele nicht verwirklichen. Trotzdem hat er die staatlichen Strukturen Frankreichs bis in die Gegenwart geprägt. Bereits zum Ende des 18. Jahrhunderts beginnt Napoleon die Geschichte der deutschen Fürstentümer sowie Fürstbistümer zu beeinflussen. Nach dem Sieg der Franzosen im 1. Koalitionskrieg kam es zwischen Frankreich und Österreich in dem Friedensvertrag von 1797, der so genannte „Friede zu Campo Formio“, zu Verschiebungen der französischen Ostgrenze bis an das linke Rheinufer. Auch nach dem 2. Koalitionskrieg, aus dem Frankreich gegen Österreich erneut als Sieger hervorging, wurde in dem Friedensvertrag von Luneville vom 9.2.1801 die seit 1797 bestehende Ostgrenze bestätigt. Das linke Rheinufer blieb französische Ostgrenze. Infolgedessen wurden zahlreiche deutsche, niederländische und belgische Fürsten um ihre links-rheinischen Gebiete gebracht. Im Reichsdeputationshauptschluss (3) 1803 wurden den weltlichen Fürsten als Entschädigung die kirchlichen Reichsstände (4) und freien Reichsstädte (5) durch Mediatisierung (6) zugestanden. Es kam zur Auflösung der Kurpfalz. Zwei der insgesamt acht Kurfürstentümer, die Kur Köln und die Kur Trier waren zu Frankreich gekommen und für das Deutsche Reich verloren. Säkularisiert und neuen Herrschern als Entschädigung zugestanden wurden die Fürstbistümer Fulda, Bamberg und Würzburg, um einige zu nennen. (3) Ein Beschluss der letzten Sitzung des Immerwährenden Reichstags vom 25.2.1803 in Regensburg, das letzte große Gesetz des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Gleichzeitig wurde unter § 35 die Säkularisierung der bestehenden Kirchengüter beschlossen. (4) Die kirchlichen Reichsstände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation waren die Erzbischöfe, Fürstbischöfe, Fürstäbte, Prälaten, die einen Sitz und Stimme im Reichstag besaßen. Allerdings hatten bereits Ende 1802 die meisten geistlichen Fürsten auf ihre Herrschaftsrechte (Sitz und Stimme) im Reichstag verzichtet, da sie nicht selbst über die Auflösung ihrer Herrschaftsgebiete abstimmen wollten. (5) Die freien Reichsstädte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen waren jene Stadtgemeinden, die keinem Reichsfürsten sondern direkt dem Kaiser unterstanden oder Städte, die dem Kaiser keine Heerfolge leisten mussten. Mit Auflösung des Kaiserreichs waren die Städte für die Reichsfürsten frei. (6) Mit der Mediatisierung (Mittelbarmachung) der Reichstände 1803 und Aufhebung der Reichsunmittelbarkeit eines Reichstandes konnte dessen territoriales Aufgehen in einen anderen Reichsstand erfolgen. 1803 wurden 45 der 51 freien Reichsstädte, die bis dahin nur dem Kaiser unterstellt waren, mediatisiert, d. h. einem Reichsfürsten zugestanden. Am 12. Juli 1806 wurde unter Federführung Napoleons die Rheinbundakte unterzeichnet. Damit war der Rheinbund gegründet. Napoleon ernannte sich selbst zum Protektor des Rheinbundes der bis 1813 Bestand hatte. Der Erzbischof von Mainz Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg, wurde zum Erzkanzler des Rheinbundes ernannt. Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurde nun formell besiegelt. Das Römisch - Deutsche Reich war eine Wahlmonarchie gewesen. Seit der Kaiserkrönung Otto I. im Jahr 962, dem Beginn des deutschen Kaisertums hatten alle Deutschen Kaiser fast 1.000 Jahre die gleiche Kaiserkrone getragen. Am 1.8.1806 erklärten eine Reihe von Reichsfürsten, die teilweise schon vor 1803 von Napoleon zu Königen ernannt worden waren, den Austritt aus dem Reich. Zunächst traten 16 süd- und westdeutsche Fürstenstaaten dem Rheinbund bei und kamen somit unter Napoleons Protektorat. Bis 1808 waren insgesamt 36 deutsche Fürstenstaaten unter die französische Vorherrschaft gekommen, darunter Sachsen, Baden, Württemberg, alle freien Hansestädte Hamburg, Bremen, Lübeck, Wismar, die Stadt Lüneburg. Napoleon gründete das Königreich Westphalen mit Königsitz in Kassel. Es erstreckte sich über Gebietsteile von sieben heutigen Bundesländern: Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Hamburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt und die vormals preußischen Provinzen westlich der Elbe. Die deutschen Fürsten waren Napoleon durch Heirat mit Stiefkindern und Geschwistern auch verwandtschaftlich verpflichtet. Dem Rheinbund nicht beigetreten waren Bayern, Preußen, Kurhessen, das Fürstentum Fulda und Braunschweig. Bayern war durch verwandtschaftliche Beziehungen mit Frankreich verbündet und durfte bei französischen Heeresdurchzügen nicht geplündert werden. Die unter französische Verwaltung gekommenen Länder mussten je nach ihrer Größe ein Kontingent an Soldaten für die französischen Heere stellen. Deutsche junge Männer mussten ihr Leben in den französischen Kriegen lassen. Napoleon forderte immer mehr Soldaten aus den Rheinbundstaaten um seine Armeen aufzufüllen. Ebenso forderte er immer größere Summen an Geldzahlungen für seine Kriege. 1812 musste Bayern für den Russlandfeldzug 330.000 Soldaten an Frankreich stellen, 30.000 kamen nicht zurück. Nach dem Russlandfeldzug 1812, in dem gerade die Rheinbundtruppen am schlimmsten gelitten hatten und große Verluste an gefallenen Soldaten hinnehmen mussten, kamen die ersten Ernüchterungen unter den deutschen Fürsten. Napoleon hatte im Russlandfeldzug von August bis November 1812 eine halbe Million Menschen auf den Eisfeldern in Russland verloren. Französische Soldaten zogen auf ihrem Rückzug von Russland plündernd und brandschatzend durch die von Napoleon besetzten Gebiete, auch durch Rasdorf. Die Zivilbevölkerung hatte die schlimmsten Zeiten zu bestehen. Von 1813 an begannen die Befreiungskriege gegen die französische Fremdherrschaft. Am 16., 18. und 19. Oktober war die große Völkerschlacht bei Leipzig. Außer dem Osmanischen Reich (Türkei) haben auf beiden Seiten alle Völker des alten Europa daran teilgenommen. Seit Erfindung der Feuerwaffen bis ins 20. Jahrhundert soll es eine solch große Feldschlacht in der Weltgeschichte noch nicht gegeben haben. Quellen: Lexikon der Geschichte 2005 Voltmedia GmbH Paderborn, Die deutschen Befreiungskriege Deutschlands von Hermann Müller-Bohn Was bedeutete die französische Fremdherrschaft für das Fürstbistum Fulda und für Rasdorf? Der Erbstatthalter der Vereinigten Niederlande Wilhelm V. von Oranien-Nassau wurde für den Verlust seiner Besitzungen mit dem Fürstbistum Fulda entschädigt. Seine liegenden Güter in den Niederlanden und Belgien hatte er an Frankreich verloren. Er überlies das Fürstbistum Fulda seinem Sohn Wilhelm Friedrich Prinz von Oranien-Nassau (9), der als Wilhelm VI. Prinz von Oranien, Fürst von Fulda wurde. Gestützt auf Vereinbarungen zwischen Preußen und Frankreich (10) und unter Vorwegnahme der Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses erfolgte die formale Besitzergreifung des Fürstbistums Fulda bereits am 2.11.1802. Am 22.11.1802 erfolgte mit dem Einmarsch eines preußischen Bataillons auch die tatsächliche Inbesitznahme. Am 6.12.1802 schließlich hielt der neue Fürst Wilhelm VI. Prinz von Oranien triumphierend Einzug in Fürstbistum Fulda. (9) als Wilhelm I. der spätere König der Niederlande (10) Preußen und Frankreich waren noch Verbündete Nach der Besetzung wurde der Fuldaer Fürstbischof Adalbert III. von Harstall gewaltsam aus dem Stadtschloss vertrieben und aller weltlicher Ämter enthoben. Er blieb Bischof von Fulda und wohnte in der Villa von Busek bis zu seinem Tod 1814. Für die Verwaltung des Bistums Fulda wurde das Bischöfliche Generalvikariat zuständig. Prinz Wilhelm VI. Prinz von Oranien säkularisierte das jetzt Fürstentum Fulda genannte Gebiet allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ihm wurde aber auch nachgesagt, dass er mit einem gewissen Gespür für die kirchlichen Kunstschätze ausgestattet war. Wohl deshalb ließ er nicht alle kirchlichen Kunstschätze vernichten, obwohl er protestantisch war. Das Benediktinerkloster, 744 von Bonifatius gegründet, dessen Abt Adalbert III. von Harstall war, wurde am 22.12.1802 aufgelöst, ebenso das Jesuitenkloster in Fulda. Das Kapuzinerkloster ließ er in das „Wilhelmhospital“ umbauen, das spätere Städtische Krankenhaus. Das Franziskanerkloster auf dem Frauenberg, das Benediktinerinnen Konvent und den Orden der Englischen Fräulein in Fulda ließ er bestehen. Nicht nur die Landeshoheit, sondern auch alle Güter des Domkapitels und der Propsteien, die fürstbischöflichen Domänen (Petersberg, Johannesberg um einige zu nennen) sowie die freie und volle Disposition über die Güter der fundierten Stifte und Klöster gingen auf den neuen Landesherrn über. Die Kollegiatstifte Rasdorf, Hünfeld und Fulda (Stift Wallenstein) wurden aufgehoben. Alle fuldischen Propsteien: Neuenberg, Johannesberg, Petersberg, Michaelsberg mit der Michaelskirche, Andreasberg, sowie die Propstei Zella würden aufgelöst und in staatliche Domänen umgewandelt. Der neue Landesherr von Fulda kam den verbrieften Verpflichtungen nach, die aus den säkularisierten Gütern zugefallenen Einkünfte zum öffentlichen Wohl zu verwenden, zur Dotation (7) der Pfarreien, des Lyzeums, des Priesterseminars, des Gymnasiums und des neuen Krankenhauses. Auch hielt er sein Wort, angemessene Pensionen an die Kapitulare, Pröpste und Konventuale (8) zu zahlen. Das weltliche Dienstpersonal der Klöster sowie die unmittelbar von den Klöstern abhängigen Handwerker und Gewerbetreibenden verloren jedoch ihre Arbeitsplätze und gerieten in bedrohliche Armut. (7) Schenkungen oder Stiftungen (8) Ordensgemeinschaften der römisch-kath. Kirche Quellen: Buch: Fulda - Entwicklung eines Wirtschaftsraums. Artikel Fulda im Sog des 19. und 20. Jahrhundert. In Rasdorf ging mit der Aufhebung des Stiftes durch den Fürsten Wilhelm VI. von Oranien eine über tausendjährige kirchliche Institution zu Ende. 1803 wurde das Kollegiatstift in Rasdorf aufgehoben, das gesamte Eigentum wurde eingezogen und entsprechend der Urkunde vom 22.10.1805 zur Dotation des neu gegründeten Fuldaer Lyzeums und des Gymnasiums verwendet. Der Wert der Gesamteinkünfte des Rasdorfer Stiftes soll sich bei der Aufhebung jährlich auf 7.061 fl (florentinische Gulden, ca. 30 Gulden waren ein Monatslohn) und 13 ½ Kreuzer belaufen haben. An Kapital waren 13.852 fl vorhanden, die mit 5% Zinsen an Bürger und Geschäftsleute ausgeliehen waren. Die Klosterbibliothek kam an die Landesbibliothek in Fulda. Das Klosterarchiv ist heute im Staatsarchiv in Marburg untergebracht. Die Rasdorfer Klosterbibliothek besaß wertvolle Bücher, einige waren handgeschrieben. Die Stiftsgebäude wurden nach und nach abgerissen, der Klosterfriedhof wurde eingeebnet. Die kirchlichen Pfründe mit ihren Ländereien und dem Waldbesitz des Kollegiatstiftes wurden in das Lyzeum umgewandelt und von einem Beamten, dem Rentdiener, in Rasdorf verwaltet. Wilhelm Ignaz Schild, ehemals Kanonikus und Stiftsherr im Kollegiatstift zu Rasdorf, wurde Pfarrer in Rasdorf. Auf Befehl des Fürsten Wilhelm VI. von Oranien vom 5.4.1806 sollten der Wehrfriedhof, die Pfarrkirche St. Michael und die Schule auf dem Friedhof dem Meistbietenden verkauft und geschleift werden. Aus dem Erlös sollte der Friedhof außerhalb des Ortes angesiedelt und eine neue Schule gebaut werden. Die Stiftskirche wurde als Pfarrkirche bestimmt. In diesem Zug sollte die seitherige Baulast der Pfarrkirche St. Michael nunmehr auf die Stiftskirche übertragen werden. Obwohl alle Besitztümer des Kollegiatstiftes auf den Fürsten übergegangen waren, sollte die Pfarrgemeinde die Stiftskirche mit allen Rechten und Pflichten, insbesondere Unterhaltung und Renovierungen, übernehmen. Nach langen zähen Verhandlungen der Bürgermeister von Rasdorf, Grüsselbach und Setzelbach musste das Lyzeum den Unterhalt der Stiftskirche garantieren. Auch den Wehrfriedhof konnten sie retten, die Michaelskirche aber wurde meist bietend verkauft und abgerissen. Quellen: Buch 1200 Jahre Rasdorf Das Ende der Herrschaft von Wilhelm VI. Im Vorfeld der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz kam es bei den Durchmärschen französischer Truppen durch das damals preußische Ansbach in Bayern zu Neutralitätsverletzungen preußischen Gebietes. Daraufhin erklärte Preußen im Oktober 1806 Frankreich den Krieg. Der Fürst von Fulda, Wilhelm VI. Prinz von Oranien, war als preußischer General dem preußischen König, der zugleich sein Schwiegervater war, verpflichtet. Er erhielt das Kommando über eine preußische Division in der Schlacht am 14. Oktober bei Jena gegen die Franzosen. Er kapitulierte am 15. Oktober 1806 mit 10.000 Mann in Erfurt vor dem Feind. Nach der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstätt besetzten die Franzosen Berlin. Preußen verlor große Gebiete an Napoleon und verkleinerte sich fast auf die Hälfte seiner Besitzungen. Kaiser Napoleon I. Bonaparte hatte den Fuldaer Fürsten mehrfach aufgefordert sich mit seinem Fuldaer Territorium dem Rheinbund anzuschließen. Dies hatte Wilhelm VI. wegen seiner Verwandtschaft mit dem preußischen König stets abgelehnt. Das Fürstentum Fulda wurde von Kaiser Napoleon I. Bonaparte dem Fürsten Wilhelm VI. als verlustig erklärt. Bereits am 20.11.1806 endete die Regentschaft des Fürsten Wilhelm VI. Prinz von Oranien in Fulda wieder. Die französische Besatzungszeit. Das Fürstentum Fulda hatte keine Chance zum Widerstand gegen die Franzosen. Es wurde kurzerhand von französischen Truppen besetzt. Fulda wurde zur „provisorischen Provinz“ gemacht und dem französischen Kaiser unmittelbar unterstellt. Ein französischer Gouverneur blieb mit Besatzungstruppen in Fulda um sicherzustellen, dass die neue „provisorische Provinz“ ihren Anforderungen auch nachkam. Die Franzosen forderten hohe Summen als Kriegskontribution (Zwangszahlungen), dazu kam die Besoldung der französischen Beamten und der Besatzungstruppen. Der Holzeinschlag in den Wäldern des früheren Fürstbistums durch die Franzosen führte zu erheblichen Einbußen der öffentlichen Einnahmen. Die Domänen, „Fuldas heiligstes Kind“, kamen unter französische Verwaltung. Französische Marschälle und Prinzen bekamen sie als Dotation. Das bedeutete, dass sie alle Einkünfte aus den Ernten für sich behalten durften. Die Franzosen beuteten die Felder unter ihrer vier jährigen Besatzungszeit durch Salzstreuungen (um noch größere Erträge herauszuholen) so aus, dass sie nachher über Jahre keine Erträge mehr abwarfen. Die größten Verpflichtungen aller Städte und Dörfer rechts und links der Heerstraße im Fürstentum Fulda bestanden darin, die durch das Land ziehenden kaiserlichen Heere zu versorgen, Naturallieferungen für Menschen und Futter für das Vieh zu erbringen sowie Einquartierungen von Soldaten und Offizieren zu gewährleisten. Ein Beispiel für die Stadt Fulda: Von Oktober 1806-1807 musste Fulda über 5.000 Offiziere, 110.000 Soldaten und 71.000 Gefangene unterbringen und verpflegen. Fulda selbst hatte zu dieser Zeit etwa 7.000 Einwohner. Quellen: Buch: Fulda – Entwicklung eines Wirtschaftsraums. Artikel Fulda im Sog des 19. und 20. Jahrhundert. Die Besatzungszeit durch die Franzosen im ehemaligen Fürstbistum Fulda dauerte bis 1814 an. Rasdorf war in den Jahren von 1806 bis 1815 starken Beeinträchtigungen durch die Durchzüge der französischen und alliierten Armeen ausgesetzt. Über fünf Generationen hinweg wurde noch durch mündliche Überlieferungen über die große Armut in Rasdorf, die nach der französischen Besatzung in unserem Dorf herrschte, berichtet. Der Zeitzeuge Valentin Gutberlet aus der Ulstermühle in Borsch hat in seinem Tagebuch beschrieben wie er diese drangvollen Jahre erlebt hat. Einige Auszüge aus dem Tagebuch sind hier in gekürzter Form aber wortgetreu wiedergegeben: Da das Fürstentum Fulda nun von den Franzosen beherrscht wurde, musste man bald nach der Besitznahme, welche im Oktober 1806 geschah, sehr viel Tafelgelder und Brandschatzung bezahlen. Dies war der Anfang des Krieges in unserer Gegend. Nachdem der Kaiser Napoleon vom Jahre 1806 an, mit den Preußen und mit Rußland Krieg geführt, so man in den folgenden Jahren hier so viele Durchmärsche hatte, auch zur Zeit mehrere Monate Einquartierungen hatte. Im Oktober und November des Jahres 1806, trieben die Franzosen (nach der Schlacht bei Jena) viele Gefangene Preußen auf der Chaussee, der Frankfurt-Leipziger Straße, vorbei. Diese wurden nachts in die Kirchen getrieben und von hier (Borsch) mußte man viel Brot nach Buttlar liefern. Den folgenden Herbst 1807 gingen die vielen Einquartierungen, Lieferungen, Fuhren und dergleichen erst recht an. Die Franzosen waren auf dem Rückzug von Rußland nach Frankreich. Quellen: Fuldaer Geschichtsblätter von 1911 Band 9, FD unter franz. Herrschaft, von Dr. Georg Richter, Auszüge aus dem Tagebuch des Zeitzeugen Valentin Gutberlet, Klammerzusätze vom Verfasser. Aus Rasdorf berichtete Pfarrer Schild 1807 an das Bischöfliche Generalvikariat in Fulda, die Rasdorfer Stiftskirche sei durch die Unterbringung gefangener Preußen entweiht worden. Die Rasdorfer Bauern mussten Brot und Kartoffeln für die Verpflegung der gefangenen Preußen und der französischen Soldaten in die Stiftskirche bringen. Quellen: Buch 1200 Jahre Rasdorf Nicht nur seine Feldzüge sondern auch andere politische Entscheidungen Napoleons auf europäischer Ebene wirkten sich bis in das Fuldaer Land aus: Die Kontinentalsperre, die durch Napoleon am 24.11.1806 gegen England verhängt worden war, hatte zur Folge, dass keinerlei Handel mit England geführt werden durfte. England war zu dieser Zeit Hauptimporteur von deutschem Leinen. Der gesamte Leinenhandel im Hünfelder Land war zum Erliegen gekommen, denn Hünfeld lieferte seine gesamte Leinenproduktion nach England. Die Rasdorfer Leinweber wiederum verkauften ihre Leinenproduktion nach Hünfeld. In Rasdorf standen damals in mehreren Häusern Webstühle, an denen Leinen für den Export gewebt wurde. Ihnen wurde die Existenzgrundlage entzogen. Hart getroffen waren die Hüttner, zugezogene Rasdorfer, die sog. Beisassen und die nachgeborenen Söhne von Bauern, die die Leinenweberei als Hauptbroterwerb betrieben. Der Beruf des Leinwebers verschwand aus dem Dorf und die Männer mussten sich ihr Brot als Tagelöhner verdienen. Die Webstühle in den Bauernhäusern wurden nur noch für den Eigenbedarf gebraucht. England entwickelte in Windeseile mechanische Webstühle, die das Leinen in viel besserer Qualität webten. Quellen: Heimatkalender für den Landkreis Hünfeld Jahrgang 1968, mündliche Überlieferungen In Rasdorf sowie in vielen Dörfern des ehemaligen Fürstbistums entstanden die Armenhäuser. Die Rasdorfer Bauern wurden verpflichtet, Bedürftigen täglich eine warme Mahlzeit zu spenden, sowie sie auch alleinstehenden, pflegebedürftigen Alten in ihre eigenen Stuben zu bringen. Zur Auswirkung der französischen Herrschaft in Fulda bemerkte ein Zeitzeuge: Drangvolle Jahre haben die Anstrengungen und mühevollen Ersparnisse einer ganzen Generation vernichtet, sie haben der Provinz all ihre Blutadern geöffnet, und sie wird daran verbluten. Die finanziellen Belastungen des ehemaligen Fürstentums Fulda während der vierjährigen französischen Besatzung beliefen sich auf weit über 2,6 Millionen Gulden. Napoleon hatte 1806 in der besetzten „ provisorischen Provinz“ Fulda, sowie in den besetzten deutschen Gebieten den Frondienst und die Unfreiheit der Bauern aufgehoben sowie den „Code Civil Napoleon“, eine Art Bürgerliches Gesetzbuch, eingeführt. Dieser garantierte die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Adelsvorrechte, Zunftzwang, die Zensur der Pressefreiheit, Folter und Prügelstrafen bei Gerichten wurden unter Strafe verboten. Jedoch herrschten die Franzosen in den besetzten Gebieten regelmäßig mit harter Hand. Deshalb wurde die Besetzung durchweg als Fremdherrschaft empfunden. Während der Besatzungszeit durch die Franzosen wurden die Hausnummern in den Städten und Dörfern eingeführt. Auch in Rasdorf wurden die Häuser durchnummeriert. Zahlreiche französische Worte sind während der französischen Besatzungszeit in die deutsche Sprache eingeflossen. Quellen: Fulda – Entwicklung eines Wirtschaftsraums. Artikel Fulda im Sog des 19. und 20. Jahrhundert. Aus: Brennpunkte der neuen Geschichte. Autoren Otto Berge, Klaus Prummer. Fortsetzung folgt Die Fleischbeschau bei der Hausschlachtung Von Erika Gutberlet Die Hausschlachtung war über Jahrhunderte hinweg ein winterlicher Höhepunkt in fast jedem Haushalt auf dem Lande. In den letzten Jahren ist diese Art der selbstversorgten „Nahrungsaufbereitung“ so gut wie ausgestorben. Teilweise wird heute noch zu Hause zerlegt und Wurst gemacht, der komplette Schlachtvorgang, wie hier im Bild dargestellt, findet aber kaum noch auf dem Hof statt. Meistens werden die Tiere, vorwiegend Schweine, im Schlachthof getötet, veterinärgerecht untersucht, und dann zerteilt in zwei Hälften angeliefert bzw. selbst abgeholt. Die Schweine wurden zu Hausschlachtungszeiten noch älter als heute. Mindesten ein Jahr lang durften sie wachsen und Fett ansetzen. Bevor es früher mit dem Schlachten losgehen konnte, wurde der Fleischbeschauer bestellt, der Schlachtfest bei Adam Wieber, Am Angerrain 3 das lebende Schwein im Stall begutachten musste. in 1982 Diese Lebendbeschau musste mindestens 48 Stunden vor der eigentlichen Schlachtung erfolgen. Danach wurde der Schlachttermin abgesprochen. Zu dem Zeitpunkt war der Hausmetzger bereits bestellt. Konnte diese Frist von 48 Stunden, aus welchen Gründen auch immer, nicht eingehalten werden, musste eine neue Lebendbeschau anberaumt und der Schlachttermin entsprechend geändert werden. Vor 1900 nahmen die Hausmetzger selbst lediglich eine optische Begutachtung des Schlachttieres vor. Nun wurde das Schwein geschlachtet und zur erneuten Begutachtung durch den Fleischbeschauer bereitgehalten. Nach Besichtigung des in zwei Hälften geteilten Schlachtkörpers, der auf der Leiter hing, wurde eine Trichinenprobe aus dem Zwerchfell und aus den Drüsen entnommen. Aus dieser Probe wurden 24 weitere Proben in der Größe eines Haferkorns geschnitten und auf einem Quetschglas einzeln aufgebracht, gequetscht und unterm Mikroskop vom Beschauer sehr konzentriert auf Befall von Trichinen untersucht. Albert Laibach beim Beschauen Die mikroskopische Untersuchung war besonders für Kinder faszinierend, die diese Tätigkeit des Beschauers neugierig verfolgten. Spannend für sie war es natürlich, wenn sie selbst einmal einen Blick durch das Mikroskop werfen durften und sich ihnen dadurch eine ganz neue Welt mit gelb/roten Farben und seltsamen Mustern auftat. Erst nach der abgeschlossenen Trichinenuntersuchung mit dem Ergebnis „frei von Trichinen“ wurde mit einem runden Fleischbeschaustempel, das war das Dienstsiegel des Fleischkontrolleurs, und mit blauer Lebensmittelfarbe der Schlachtkörper abgestempelt und als genusstauglich beurkundet und somit für jeden erkennbar gekennzeichnet. Erst mit dem Stempeln des Schlachtkörpers durch den Beschauer wurde die Zerlegung und die Weiterverarbeitung gestattet .Die Aussage, dass alles in Ordnung sei, wurde mit großer Erleichterung der Bauern aufgenommen, und es wurde nun ein Glas Schnaps auf das gute Ergebnis getrunken oder es hieß auch: „Ist die Sau dann aufgehängt, wir sich einer eingeschenkt“. Rinder und Schweine wurden an fünf Stellen je Schlachtkörperhälfte außen gestempelt: auf der Schulter, zweimal am Rücken, auf der Keule und am Bauch. Durch diese Art der Kennzeichnung sollte auch nach einer erfolgten Grobzerlegung des Schlachtkörpers erkennbar sein, dass der Schlachtkörper beschaut wurde, d.h. dass eine amtliche Schlachttierund Fleischuntersuchung erfolgt war. Wurde im Rahmen einer Fleischuntersuchung der Schlachtkörper als „genussuntauglich“ befunden, wurde er mit einem dreieckigen Fleischbeschaustempel an den vorgeschriebenen Stellen gekennzeichnet. Anschließend mussten der Schlachtkörper und die dazugehörigen Organe über die Tierkörperbeseitigungsanstalt entsorgt und vernichtet werden. Das war natürlich ein großer Schaden für die Leute und das Jammern war groß und es war nicht selten, dass die Schlachtenden mit der Entscheidung des Beschauers nicht einverstanden waren. Gelegentlich wurde der Beschauer gefragt: „Was passiert, wenn ich doch davon esse und sind davon schon Leute krank geworden oder gar gestorben?“. In besonders uneinsichtigen Fällen war es notwendig, dass der Beschauer die unschädliche Beseitigung des beanstandeten und als untauglich beurteilten Fleisches gegen den Protest der Schlachtenden einleiten und überwachen musste. Für beide Seiten war das jedoch äußerst unangenehm. Was sind Trichinen und was können sie beim Menschen auslösen? Trichine = parasitärer Fadenwurm, den Schwein, Dachs, Ratte, Hund, Fuchs u. a. Tiere in eingekapseltem Zustand in ihrer Muskulatur beherbergen. Bei Genuss dieses Fleisches gelangen die Trichinen in eingekapseltem Zustand in Magen und Darm des Menschen oder eines anderen Wirtes, werden dort von ihrer Kapsel befreit und entwickeln sich zu geschlechtsreifen DarmTrichinen. Nach der Begattung geht das Männchen zugrunde, während das Weibchen sein Hinterende durch die Darmwand bohrt und rund 1000 oder mehr lebend geborene Junge in den Blut- und Lymphkreislauf absetzt. Diese gelangen schließlich in die Muskeln. Starker Befall von Muskeltrichinen verursacht beim Menschen hohes Fieber, Ödeme, Muskelschmerzen, Atemstörungen. In 50 % der Fälle tritt der Tod durch Lähmung der Atemmuskulatur ein. Im Ruhestadium kommt es zur Anämie, rheumatischen Beschwerden und allgemeinem Kräfteverfall. Es ist kein wirksames Gegenmittel bekannt. Durch die gesetzliche Trichinenbeschau gibt es in den meisten Ländern Europas kaum noch Trichinenerkrankungen. Maßgeblich für die Einführung der Trichinenschau waren mehrere Trichinenepidemien 1863/64. Daraufhin wurde erstmals 1886 in Preußen eine obligatorische Trichinenschau eingeführt. Erstes Gesetz, das ca. 4 weitere Verfügungen erfuhr Erstes Gesetz, das ca. 4 weitere Verfügungen erfuhr Vor Einführung des „Reichsfleischbeschaugesetzes“ unter der Federführung von Rudolf Virchow um 1900 gab es in Deutschland nach Schätzungen jährlich etwa 15.000 Erkrankungen. Durch die Fleischbeschau sank diese Zahl in 50 Jahren auf nahezu Null. Trotzdem bleibt sie notwendig. Nach neueren Untersuchungen tragen immer noch 20 % der Füchse den Erreger, die ihn dann auf Wildschweine oder schlimmstenfalls auch auf Hausschweine übertragen können. Bei den zwischen dem Jahr 2000 und 2009 in Deutschland durchgeführten Trichinenuntersuchungen wurden lediglich bei 4 von etwa 453 Millionen Hausschweinen Trichinen nachgewiesen. Die eigentliche trichinoskopische Untersuchungsmethode von 28 - 56 Quetschpräparaten in einem Kompressorium bei 80 – 100facher Vergrößerung ist nur noch bei Hausschlachtungen zulässig. Mit dieser Methode können nur verkapselte Trichinen identifiziert werden. Die Personen, die die Fleischbeschau ausüben, werden als Beschauer bezeichnet. Als Beschauer werden entweder Tierärzte oder solche Personen bestellt, die die vorschriftsmäßige Prüfung als Fleischbeschauer bestanden haben. Hieraus ergibt sich eine Unterscheidung zwischen Tierärzten als Beschautierärzte und nichttierärztlichen Beschauern oder Fleischbeschauern im eigentlichen Sinne. Die Befugnisse des Fleischbeschauers zur Ausübung der Schlachtvieh- und Fleischbeschau sind an die Kenntnisse angepasst, die er sich im Rahmen der Prüfung angeeignet haben musste. Der Fleischbeschauer hatte sich vor einem Prüfungsausschuss für Fleischbeschauer dieser Prüfung zu unterziehen. (Quelle: Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde von Anne-Katrin Eder, München). Häufig kam es früher vor, dass größere Bauern gleichzeitig ein Rind mitschlachteten, zum Teil des Fleisches wegen und auch wegen der Verfeinerung der Dauerwurst. Seit Dezember 2000 wird von jedem älteren Rind und stichprobenweise auch von jedem älteren Schaf und Ziege im Rahmen der Fleischuntersuchung vom Beschauer eine Stammhirnprobe entnommen und zu einem staatlich zugelassenen Untersuchungslabor versandt. Dort wird die Gehirnprobe auf BSE untersucht und nach Abschluss der Untersuchung ein Befund erstellt und dem Beschauer zugeleitet. Erst wenn der Befund mit dem Ergebnis „BSE negativ“ vorliegt, gibt dieser den Schlachtkörper und die dazugehörigen Organe zur Verwertung frei. In den 60er Jahren waren die Hausschlachtungsquoten noch hoch. Es wurde aber weniger Fleisch verwurstet, sondern auch viel eingefroren, um es später zu braten oder zu kochen. Zum Teil ging das zu Lasten der Wurstqualität. 1955 wurden in den nordhessischen Landkreisen noch durchschnittlich 253 Tiere pro 1000 Einwohner geschlachtet (97 % davon Schweine). 1987 kamen auf 1000 Landkreisbewohner nur noch 141 hausgeschlachtete Tiere. Die Hausschlachtungen waren Segmente einer Kultur, die einst zum Überleben half. Die moderne Industriegesellschaft macht das zunehmend überflüssig. (Quelle: Thomas Fuchs, Gesamthochschule Kassel, Nr. 16, Okt. 1991). Fleischbeschauer in Rasdorf Der erste Beschauer in Rasdorf war Ludwig Stark, geb. 1856, gest. 1931. Ihm folgten: Jakob Falkenhahn, (Handidderichs) geb. 1866, gest. 1945 Josef Herget (Banse), geb. 1882, gest. 1955, Beschauer bis ca. 1950 Albert Laibach, geb. 1923 gest. 2008, Beschauer bis 1987 Danach bis ca. 1991 wurde teilweise von Hermann Vögler, Soisdorf beschaut. Ludwig Stark jun., geb. 1962, war der bisher Letzte aus Rasdorf, der die Tätigkeit des Fleischbeschauers von 1991 bis 1995 ausübte. Sein Urgroßvater Ludwig Stark war fast 100 Jahre vor ihm der erste Fleischbeschauer In unserem Dorf. Jakob Falkenhahn Ludwig Stark sen. Erster Rasdorfer Fleischbeschauer Josef Herget Ludwig Stark jun. letzter Rasdorfer Fleischbeschauer Rasdorf hat seit 1996 keinen einheimischen Fleischbeschauer mehr. Der Fleischbeschaubezirk Rasdorf, Grüsselbach, Setzelbach wurde zusammengefasst und wird jetzt von dem Tierarzt Dr. Kunz aus Hünfeld betreut. Quellen: fachliche Angaben wurden zum größten Teil von Ludwig Stark jun. zur Verfügung gestellt. Fotoleihgaben von Karl-Heinz Lenz, Gisela Falkenhahn-Klee, Susanne Schmitt, Leo Herget und Ludwig Stark. Impressum: Herausgeber: Abteilung: Abteilungsleiter: Mitwirkende: Technische Bearbeitung: Verein zur Förderung der Heimat- und Kulturpflege Rasdorf e.V. Aufarbeitung und Dokumentation der Heimatgeschichte Wendelin Priller Ruth Burghardt, Gisela Falkenhahn-Klee, Erika Gutberlet, Irene Hahn, Marita Heere, Christa Herber, Karl-Heinz Lenz, Matthias Radics, Rüdiger Stark Gaby Hohmann