KZ-Gedenkstätte Hailfingen / Tailfingen

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KZ-Gedenkstätte Hailfingen / Tailfingen
Von Volker Mall
1938 wurde auf den Gemarkungen Tailfingen, Hailfingen und Bondorf mit dem Bau eines
Militärflugplatzes begonnen. Auf dem Flugplatzgelände befand sich ab 1941 ein Arbeitslager für
Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die beim Bau eingesetzt wurden. Bis im Mai 1944 Teile der
I. Gruppe des Nachtjagdgeschwaders 6 (NJG 6) in Hailfingen stationiert wurden, nutzte die
Luftwaffe das Gelände als Ausweichflugplatz bzw. „Einsatzhafen“. Um den Platz und die auf ihm
stationierten Nachtjäger gegen die zunehmenden Angriffe der Alliierten zu schützen, plante das
Luftgaukommando VII im Frühjahr 1944 den Bau von zwei Rollwegen, splittersicheren
Flugzeugboxen und Hangars.
Da dazu weitere Arbeitskräfte dringend notwendig waren, wurde im Herbst 1944 ein
Außenkommando des KZs Natzweiler/Elsaß eingerichtet. 601 jüdische KZ-Häftlinge kamen am
19. November 1944 aus dem KZ Stutthof bei Danzig, die meisten waren kurz zuvor von Auschwitz
dorthin deportiert worden. Diese jüdischen Häftlinge stammten aus 16 Ländern und waren zwischen
15 und 60 Jahre alt. Sie wurden in einem Hangar untergebracht und mussten unter erbärmlichen
Bedingungen die Arbeit auf dem Flugplatz fortsetzen.
Bis Ende Januar 1945 wurden die Toten im Reutlinger (99) und Esslinger Krematorium (15)
verbrannt, danach 75 Opfer in einem Massengrab nahe der Landebahn verscharrt. Mitte Februar
1945 wurde der Flugplatz aufgelöst. Die überlebenden Häftlinge wurden deportiert, 111 Kranke
kamen in das Außenlager Vaihingen/Enz, wo etwa fünfzig kurz darauf starben. Knapp 300 Häftlinge
wurden mit der Bahn in das KZ-Außenlager Dautmergen gebracht, wo nachweislich zwanzig von
ihnen umkamen.
Vom 5. bis 7. April.1945 wurde ein Transport mit KZ-Häftlingen aus den sog. Wüste-Lagern
und Spaichingen nach Allach zusammengestellt, wo dieser wohl am 12. April.1945 eintraf. Der
größte Teil dieser Häftlinge – etwa 2.200 – wurde in den Dachauer Nummernbücher eingetragen.
Achtzig „Hailfinger“ Häftlingen sind dort registriert. Einige der mit diesem Transport nach Allach
gebrachten Häftlinge mussten Ende April 1945 Todesmärsche in Richtung Alpen antreten. Andere
kamen in Allach in einen Evakuierungszug und wurden bei Staltach (südlich des Starnberger Sees)
befreit. Weitere Häftlinge erlebten in Allach die Befreiung durch die Amerikaner.
Die „gehfähigen“ Häftlinge mussten Anfang April 1945 zu Fuß auf sog. Todesmärsche. Da die
Aussagen der Häftlinge z.T. sehr voneinander abweichen und die Märsche außerdem chaotisch
verliefen, wird es wohl nie gelingen, sie genau und in ihrer Gesamtheit zu rekonstruieren. Auch die
genaue Zahl der Häftlinge und ihre Namen können nicht festgestellt werden, da es im Gegensatz zu
den o.g. Zugtransporten keine Abganglisten gab bzw. keine erhalten sind. Wie viele Tote es gab
wird man nie erfahren.
Es ist anzunehmen, dass über hundert Hailfinger Häftlinge von Dautmergen aus auf den
Todesmarsch kamen; von 13 wissen wir aufgrund von Interviews und Aussagen Genaueres. Fünf
von ihnen gelang unterwegs die Flucht. Ihre Route könnte so gewesen sein:
Schömberg (das von den Nazis Dautmergen genannte KZ liegt auf der Gemarkung von Schömberg) ,
Deilingen, Bärenthal, Beuron/Fridingen, Meßkirch, Wald, Aach/Linz, Ostrach, Hosskirch,
Altshausen (Eichstegen/Ebenweiler).
Einige der Häftlinge blieben noch eine längere Zeit in Saulgau und Umgebung: Isidor Gilbert
arbeitete als Schreiner im DP-Lager Allmannsweiler (Kreis Saulgau), Sandor Piasek war Gärtner in
Herbertingen, Abraham Bravermann wohnte in Saulgau, Josef Szajman/Szeiman in Ebersbach bei
Saulgau.
Fachbereich
Gedenkstättenarbeit
www.gedenkstaetten-bw.de
Aufarbeitung der Geschichte
Mehr als drei Jahrzehnte war das KZ-Außenlager Hailfingen / Tailfingen praktisch vergessen. Im
Jahr 1978 erschien ein von Monika Walter-Beckers als Zulassungsarbeit an der PH Ludwigsburg
verfasster Artikel mit dem Titel „Das Lager Hailfingen“ in einem Sammelband, welcher von
Herwart Vorländer herausgegeben wurde. Eine Projektgruppe des Ludwig-Uhland-Instituts der
Universität Tübingen unter der Leitung von Prof. Dr. Utz Jeggle widmete sich ab Mitte der
Achtzigerjahre dem Nationalsozialismus im Landkreis Tübingen und publizierte die Ergebnisse
unter dem Titel „Eine Heimatkunde“. Zehn Jahre später schrieb Thomas Meffert, Schüler am
Rottenburger Eugen-Bolz Gymnasium, eine Facharbeit, in der er sich ausführlich mit dem Lager
auseinandersetzte und eine Vielzahl von Quellen auswertete. Die Arbeit kann auf der Homepage der
Gedenkstätte Hailfingen / Tailfingen abgerufen werden.
Auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes wurde im Sommer 1986 vom Förderverein für die
Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des KZ-Außenlagers Hailfingen / Tailfingen e.V. eine
Informationstafel aufgestellt, die mehrfach beschmiert und demoliert wurde. Auf dem Tailfinger
Friedhof erinnert seit November 1986 ein Gedenkstein, den die Gemeinde Gäufelden und die Stadt
Rottenburg am Neckar im Zusammenwirken mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft
Württembergs errichten ließen, an die toten KZ-Häftlinge. 1982 fand die erste Gedenkveranstaltung
auf Böblinger Kreisseite statt, initiiert von Walter Fischer (SPD Herrenberg).
Die Gemeindeverwaltung Gäufelden ließ 2001 auf Grund von Luftaufnahmen der Alliierten
(1944/45) eine Karte des Militärflughafens Hailfingen / Tailfingen herstellen, die in einer
Ausstellung im November 2001 in Tailfingen präsentiert wurde. Dabei wurde die Geschichte des
Konzentrationslagers ausgespart bzw. verharmlost.
Nach einer Veranstaltung der Sektion Böblingen / Herrenberg / Tübingen des Vereins Gegen
Vergessen – Für Demokratie (GV/FD) mit Utz Jeggle im Mai 2002 in Tailfingen beschloss diese
Sektion, die Geschichte des Lagers vor und nach 1945 aufzuarbeiten. Die Aktiven – von dem
Überlebenden Mordechai Ciechanower später „Troika“ genannt – waren Birgit Kipfer (damals SPDMdL), Volker Mall und Harald Roth. Eine erste Dokumentation mit dem Titel „Spuren vom
Auschwitz ins Gäu“ erschien im Frühjahr 2007. Im gleichen Jahr gab GV/FD die aus dem Ivrit ins
Deutsche übersetzte Autobiografie von Mordechai Ciechanower unter dem Titel „Der Dachdecker
von Auschwitz“ heraus. 2008 wurde die Lebensgeschichte der Tochter des ersten Opfers im
KZ Hailfingen / Tailfingen, Marga Griesbach, geborene Steinhardt, veröffentlicht. Außerdem wurde
„multimediales“ Unterrichtsmaterial erstellt, das im Herbst 2007 in das Internetportal des
Kreismedienzentrums Böblingen www.zeitreise-bb.de gestellt wurde.
Von Johannes Kuhn (Herrenberg) wurde zusammen mit „Gegen Vergessen – Für Demokratie“
ein sechzigminütiger Dokumentarfilm gedreht, „Geschützter Grünbestand“, der im April 2006 zum
ersten Mal gezeigt wurde.
Im Tailfinger Rathaus entstand ein Ausstellungs- und Dokumentationszentrum konzipiert und
inhaltlich gestaltet von Harald Roth und Volker Mall zusammen mit Bernd Schlanderer und Martin
Tertelmann von Stoll & Fischbach bzw. brandplatform. Auf elf Monitoren sind u.a.
124 Videoausschnitte zu sehen, die von Johannes Kuhn und Thomas Orr hergestellt wurden. Ende
2008 wurde von Bernhard Koch ein weiterer Dokumentarfilm „Das KZ-Außenlager Hailfingen /
Tailfingen“ gedreht. Und ein Gedenkbuch entstand: Volker Mall/Harald Roth, „Jeder Mensch hat
einen Namen“ – Gedenkbuch für die 600 jüdischen Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen /
Tailfingen, Berlin 2009.
Die Gedenkstätte KZ-Außenlager Hailfingen / Tailfingen wurde am 6. Juni 2010 feierlich
eröffnet. Neben dem o.g. Dokumentationszentrum wurde auf dem Flugplatzgelände von der Stadt
Rottenburg ein Mahnmal aufgestellt. Zur Einweihung kamen Überlebende und Angehörige aus
Israel, den USA, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. Gleichzeitig wurde ein
Gedenkpfad erstellt: Unter anderem wurden Erinnerungstafeln am Ort des Lagers, am ehemaligen
Massengrab und am Reustener Steinbruch aufgestellt. Auch an der Stelle im Grab im Reutlinger
Friedhof, wo die Asche von 99 Opfern liegt, wurde im Juni 2010 eine Tafel mit deren Namen
angebracht.
Im April 2011 wurde die CD „ ...un er singt derbay a lid, Mordechaj Ciechanower singt
jiddische Lieder“ vorgestellt. In einer Lesung in der Alten Turnhalle im November 2011 hat Walter
Sittler das von GV/FD herausgegebene Kinderbuch Froim – Der Junge aus dem Warschauer Ghetto
vorgestellt. Froim Baum ist ein Überlebender das KZ Hailfingen.
Die Ausstellung im Tailfinger Rathaus ist sonntags von 15 bis 17 Uhr geöffnet, Gruppen und
Schulklassen, die von Jugendguides geführt werden, können unter der Woche Termine ausmachen.
Bisher haben knapp 7000 Besucher die Ausstellung besucht, darunter über 70 Schulklassen.
Publikationen
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Monika Walter-Beckers: Das Lager Hailfingen, S.149 ff., in: Herwart Vorländer (Hrsg.):
Nationalsozialistische Konzentrationslager im Dienst der totalen Kriegsführung,
Stuttgart/Kohlhammer 1978.
Utz Jeggle: Nationalsozialismus im Landkreis Tübingen. Eine Heimatkunde, Tübingen 1988.
Thomas Meffert: Nachtjägerflugplatz und KZ Außenlager Hailfingen-Tailfingen in den
Jahren 1944/1945, Facharbeit Eugen Bolz-Gymnasium Rottenburg o.J. (1999).
Dorothee Wein, Volker Mall, Harald Roth (Hrsg.): Spuren von Auschwitz ins Gäu,
Filderstadt 2007.
Mordechaj Ciechanower: Der Dachdecker von Auschwitz-Birkenau, Berlin 2007.
Marga Griesbach: „... ich kann immer noch das Elend spüren...” – Ein jüdisches Kind in
Deutschland 1927 bis 1945, Schriftenreihe der Mahn- und Gedenkstätte Ahlem Bd. 7,
Hannover 2008.
Volker Mall, Harald Roth: „Jeder Mensch hat einen Namen“, Gedenkbuch für die 600
jüdischen Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen, mit DVD, Metropol Verlag
Berlin 2009.
David A. Adler, Karen Ritz: Froim – der Junge aus dem Warschauer Ghetto, Berlin 2011.
Volker Mall, Harald Roth: La promesse est tenue ... Nach 65 Jahren des Schweigens,
Recherchen und Begegnungen – Auf der Suche nach Überlebenden und Angehörigen des
KZ-Außenlagers Hailfingen / Tailfingen, Schriftenreihe des Vereins KZ Gedenkstätte
Hailfingen / Tailfingen e. V. Heft 2, Tailfingen 2012.
Immo Opfermann: Porträts und Glückwunschkarten im KZ Erzingen, Schriftenreihe des
Vereins KZ Gedenkstätte Hailfingen / Tailfingen e. V., Heft 3, Tailfingen 2012.
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Volker Mall, Harald Roth: Flugplatz und KZ-Außenlager Hailfingen / Tailfingen –
Recherchen und Begegnungen, Schriftenreihe des Vereins KZ Gedenkstätte Hailfingen /
Tailfingen e. V., Heft 4, Tailfingen 2013.
Digitale Medien
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Dokumentarfilm von Johannes Kuhn, Tom Orr: Jugend-Guides vermitteln NS-Geschichte,
Tailfingen/Berlin 2012/13.
Dokumentarfilm von Johannes Kuhn: Geschützter Grünbestand, Film über das KZAußenlager Hailfingen-Tailfingen.
Dokumentarfilm von Johannes Kuhn: Der Dachdecker von Birkenau, Film über Mordechai
Ciechanower (mit GV/FD).
Dokumentarfilm von Bernhard Koch: Das KZ-Außenlager Hailfingen-Tailfingen.
Audio-CD: ... un er singt derbaj a lid. Mordechaj Ciechanower singt jiddische Lieder und
erzählt aus seinem Leben, mit Mordechaj Ciechanower, Volker Mall, Iris Berben,
Tailfingen 2011.
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