MONSUN THEATER Als ich einmal das Fenster vom Großen Wagen öffnete 50.000 Jahre. Die Andromeda-Gala- den galaktischen Welten meines xie, unsere Nachbargalaxie mit der Denkapparates zu verknüpfen. Fik- wir eine kleine Galaxiengruppe bil- tion und Wirklichkeit durchmischt den, ist nur eben mal zweieinhalb sich. Ist Wirklichkeit wirklich wirk- Millionen Lichtjahre entfernt und so lich? Oder Fiktion nicht doch real? lange müssten wir mit der Ge- Als Kind las mir meine Mutter den Eine Reise durch die Weiten des Uni- schwindigkeit des Lichts reisen, bis kleinen Hävelmann von Theodor versums ist eine spannende Angele- unsere Taschenlampe dort gesehen Storm vor und ich konnte mich genheit. Die Reise des Lichts mit ei- werden kann. Das ganze sichtbare scheinbar ner Geschwindigkeit von knapp Universum erstreckt sich von uns in wenn der Hävelmann in seinem 300.000 km pro Sekunde erreicht in alle Richtungen über 13,5 Milliar- Bettchen dem Mond über das Ge- etwa einer Sekunde den Mond, in den dahinter sicht fuhr. Noch mal! Noch mal! Und knapp 8 Minuten die Sonne und kommt rast so schnell davon, dass als kleiner Junge bewunderte ich nach einem Tag hat man das Son- das Licht uns nicht mehr erreichen ein dickes Buch über die Natur des nensystem hinter sich gelassen. Zum kann. Universums. Mit Bildern vom riesi- Jochen Schramm Lichtjahre. Was unendlich amüsieren, gen 5m-Teleskop auf dem Mount nächsten Stern sind es immerhin schon locker 4 Jahre. Zum Zentrum Meine Gedanken jedoch sind - zack Palomar, von der gigantischen An- unserer Heimatgalaxie, der Milch- - schon da. Und problemlos bin ich dromeda Nebel und von schrägen straße, sind es aber gigantische dahinter. Im Reich der Philosophie Astronomen, die nachts mit solchen 25.000 Jahre bis unser Licht dort oder besser, der Phantasie. Ich kann Apparaten den Himmel durchfor- einschlägt und bis das Licht am an- mir vorstellen mit jeder Art Raum- steten. Das konnte ich mir gut vor- deren Ende aus der Milchstraße her- fahrzeug an jeden beliebigen Ort stellen. auskommt braucht es noch einmal vorzustoßen und das Sichtbare mit Später, als ich selber vor eben sol- Die Unendlichkeit, das Nichts, das zeigte es mir irgendwann einmal in chen Teleskopen saß, kam mir der Alles. Die Zeit, der Raum, die Di- einer sternklaren Nacht kurz bevor Kleine Hävelmann immer wieder in mensionen. Die Wirklichkeit. Die der Sputnik seine erste Reise durch Erinnerung. Das astrophysikalische Unwirklichkeit. den Messprogramm war eine Sache, Nachthimmel machte. Die Milchstraße lernte ich als helles wenn dann aber im Sommer auf Die Reise der Gedanken kennt keine Band am Himmel kennen und wun- den Höhen der Sierra Nevada in An- Grenzen. derte mich darüber, dass die Deich- dalusien Nachts um halb Zwei bei sel beim kleinen Wagen falsch he- lauen Temperaturen ein leichter Ne- Eine Reise zum Großen Wagen, rum gebogen war. Das „Reiterlein“ bel über den Berg zog und der wil- oder mit dem Großen Wagen zum oder „Augenprüfer“ war als kleiner de Thymian in der weiten Umge- Großen Wagen kann auch eine Ge- Begleiter des mittleren Deichsel- bung um die Teleskope durch die dankenreise in die Mythologie der sterns im Großen Wagen mühelos geöffnete Kuppelöffnung zog und Sternbilder sein. Für mich eine Erin- erkennbar. War es weil die Luft da- im Kassettenrekorder die Lieblings- nerung an Philosophie und Wissen- mals klarer war oder ich als kleiner musik lief, dann rauschten die Ge- schaftshistorie. Bewusst reisen wir Junge bessere Augen hatte? Egal, danken in ungeahnte Weiten. Dann zum Großen Wagen und nicht zu der Große Wagen faszinierte mich zog man im Reisebett mitten hinein den Sternbildern der Ekliptik, um immer – und mit ihm der nahe Po- in die Galaxien und Quasare und oft nicht in der Belanglosigkeit der larstern, um den sich alles dreht. auch einmal darüber hinaus, quer Astrologie zu versanden. durch das dicke Gesicht des lachenden Urknalls. Im späteren astronomischen BerufsDer Große Wagen war das erste leben wechselte ich 1988 in die Ar- Sternbild, welches ich bewusst ken- beitsgruppe des Norwegers Sjur nen gelernt hatte. Meine Mutter Refsdal, dessen Berechnungen zum Gravitationslinseneffekt zu dieser Zeit erhebliche Aufregung verursachte, hatte man doch erwartet, dass all seine Berechnungen rein theoretischer Natur bleiben würden. Ein halbes Jahr zuvor jedoch war die erste „reale“ Linse entdeckt worden: Der Doppelquasar. Und wo wurde er gefunden? Nahe am Hinterrad des Großen Wagen. Ha! Da war er wieder, der Große Wagen. Wissenschaft am Großen Wagen. Da wird einem Bewusst, Wissenschaft ist Flickwerk. Bruchstück an Bruchstück fügt sich irgendwann zu einem einigermaßen schlüssigem Bild. Gelegentlich muss umgestellt werden, bis es dann passt. Daher auch dieses Postkartenflickwerk. Allein machen sie keinen Sinn. Erst in der Gesamtheit fügt es sich zu einer Einheit. Und die Erklärung dazu ist ebenso stükkig. Zusammen ergeben sie diesen Text. Und die Gravitationslinse im Zentrum macht wieder Sinn. Dann wünschen wir uns dann mal Gute Reise! CARMEN OBERST - Imaginationsstäbe unterwegs & CLEMENS SCHRÖDER - Panorama Obscura Photographie Inszenierung im Turm der Immanuelkirche Wedel - Dokumentation CHRISTIAN ZUTHER