Leseprobe - Ferdinand Schöningh

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Helmut Mejcher
DER NAHE OSTEN IM ZWEITEN WELTKRIEG
HELMUT MEJCHER
DER NAHE OSTEN
IM ZWEITEN WELTKRIEG
2017
FERDINAND SCHÖNINGH
Umschlagabbildung:
Britische Militärstreife in Palästina am Vorabend des Zweiten Weltkrieges
(ullstein bild/TopFoto 80035944)
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© 2017 Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn
(Verlag Ferdinand Schöningh ist ein Imprint der Brill Deutschland GmbH, Jühenplatz 1,
D-33098 Paderborn)
Internet: www.schoeningh.de
Einbandgestaltung: Nora Krull, Bielefeld
Printed in Germany
Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn
ISBN 978-3-506-78645-6
INHALT
VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1. DAS KRIEGSGESCHEHEN: IMPERIALE UND
STRATEGISCHE DIMENSIONEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Nordafrika und Ägypten: Vom Kolonialkrieg zum Materialkrieg. . .
Irak: Zweifelhafte Unterstützung durch die Deutschen . . . . . . . . . . .
Syrien: Schicksalhafte Weltkriegswochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
21
27
2. DIE ALLIIERTE KRIEGSWIRTSCHAFT IM VORDEREN
ORIENT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
Das Middle East Supply Centre (MESC) in Kairo . . . . . . . . . . . . . . .
Die Leistungen des MESC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
40
3. DAS VORDRINGEN AMERIKANISCHER
HANDELSINTERESSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
Das Leih- und Pachtsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Amerikanische Wirtschaftsmissionen und Emissäre . . . . . . . . . . . . . .
Sondermissionen nach Saudi-Arabien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
70
78
4. AUSWIRKUNGEN DES KRIEGS AUF DIE LÄNDER
DES NAHEN OSTENS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
Baumwolle und Zucker – Ägypten zwischen Industrialisierung und
Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Getreidelieferant Irak – Sozialkonflikt und Sozialprotest. . . . . . . . . .
Syrien-Libanon – Ausbeutung und soziale Kluft. . . . . . . . . . . . . . . . .
Palästina – Ein Land zwischen Mangel und Entwicklung. . . . . . . . . .
Transjordanien – Zentrum des Schmuggels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Arabische Halbinsel – Perlen, Gold und Pilger. . . . . . . . . . . . . . .
87
114
138
174
208
223
6
Inhalt
5. AUF UMWEGEN ZUR ARABISCHEN LIGA. . . . . . . . . . . . . . . .
245
AUSKLANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
267
ANMERKUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
ANHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301
Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301
350
354
368
378
PERSONENREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379
IN MEMORIAM
Elizabeth Monroe, CMG
Traveller and Lecturer in Middle East History
St. Antony’s College, Oxford
VORWORT
Was lange währt, wird endlich fertig. Das Buch setzt den Schlussstein eines Projekts, das vor mehr als einem Vierteljahrhundert begann. Die damals angekündigte Reihe von Studien über den Nahen Osten in der Epoche des Zweiten
Weltkriegs begann mit zwei aufeinanderfolgenden Bänden unter dem Titel »Die
Politik und das Öl im Nahen Osten«. Der erste widmete sich dem Kampf der
Mächte und Konzerne am Vorabend des Weltkriegs, der zweite umfassendere
behandelte die Teilung der Welt von 1938 bis 1950 im Lichte vor allem der angloamerikanischen öl- und sicherheitspolitischen Nachkriegsplanungen. Der Zweite Weltkrieg hatte mehr noch als der Erste Weltkrieg auf dramatische Weise gezeigt, dass langfristig gesicherte und geregelte Verfügbarkeit des strategischen
Rohstoffs Erdöl ein Faustpfand im Bemühen der Großmächte um Selbstbehauptung in einem unsicheren Frieden war. Beide Bände erschienen in einer Zeit
erdölpolitischer Turbulenzen und kriegerischer Auseinandersetzungen über eine
neue Rollenverteilung im Arabisch-Persischen Golf, und sie wurden als hilfreiche historische Hintergrundinformation begrüßt.
Weil das Projekt aber ausdrücklich auch arabische Bestrebungen hinsichtlich
einer neuen Nachkriegsordnung berücksichtigen wollte, wurden die arabischen
Öl- und Erdöldurchgangsländer in beiden Bänden gemäß ihrer spezifisch ölwirtschaftlichen Profile abgehandelt. Ihre umfassendere wirtschaftliche, gesellschaftliche und herrschafts-immanente Beschaffenheit unter den Ausnahmebedingungen der alliierten Zwangsbewirtschaftung des gesamten Nahen Ostens während
des Zweiten Weltkriegs dagegen war für das jetzt vorgelegte Buch vorgesehen.
Nicht nur Wechselfälle des Lebens haben seine Niederschrift verzögert. Im Verlauf der langjährigen Forschungsarbeiten bei zumeist vollem Lehrdeputat und
zweimaliger Institutsleitung ergaben sich auch immer wieder günstige Gelegenheiten, Teilergebnisse auf Konferenzen einem Fachpublikum – mehr im Ausland
als im Inland – zur Diskussion zu stellen oder in thematisch nahen Publikationen
zu veröffentlichen. Auch die aktuellen Nahostkonflikte und der arabisch-israelische Dauerkonflikt forderten ihren Zoll, wenn wissenschaftliche Expertise gefragt war.
Panzerschrott, Schiffwracks auf dem Meeresboden, Flugzeugtrümmer und
Narben von Minenfeldern im Gelände, die militärischen Überbleibsel beider
Weltkriege, finden sich im Nahen Osten dieses Buches nur westlich des Suezkanals bis nach Tunesien sowie im östlichen und mittleren Teil des Mittelmeers.
Die Verluste im kurzen Krieg im Irak im Frühsommer 1941 hielten sich alles in
allem in Grenzen. Die großflächigen Zerstörungen ganzer Städte und Industrie-
10
Vorwort
regionen und die vielen Millionen an Toten und Verwundeten auf dem europäischen Kontinent und in Russland haben keine Entsprechungen im Nahen Osten.
Dort gab es keinen totalen Krieg, aber eine ziemlich totale Kriegsbewirtschaftung
durch die Alliierten. Die von vielfältigen Importen abhängigen Länder sollten
zur Selbstversorgung ertüchtigt werden, damit dringend benötigter Schiffsraum
für den militärischen Nachschub der Alliierten nach Europa, ins Mittelmeer, zum
Roten Meer und Arabisch-Persischen Golf zur Verfügung stand.
In der Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg wird der Nahe Osten gewöhnlich als Nebenkriegsschauplatz dargestellt. Auf dem habe der heißblütige italienische Faschistenführer Benito Mussolini einen Parallelkrieg zu
Adolf Hitlers Beutezug auf dem europäischen Kontinent vom Zaun gebrochen.
Als sich sein Angriff auf die britische Vormachtstellung in Ägypten schnell in ein
Desaster umkehrt und der Verlust der Cyrenaika droht, habe ihm sein großdeutscher Achsenpartner mit einem eilig aufgestellten Afrikakorps und einer Staffel
Jagdflieger unter die Arme gegriffen. Daraus habe sich dann eine deutsch-italienische Offensive in Richtung des britisch kontrollierten Suezkanals entwickelt,
die ihrem Ziel bedrohlich nahe kam, es aber nie erreichte.
Der zweite Brennpunkt befand sich im Irak. Dort forderten ein zorniges junges Offiziersquartett und der Putschist Rashid Ali al-Gailani die britische Vormacht heraus, in der illusorischen Erwartung auf zügige deutsche Militärhilfe.
Die aber ließ auf sich warten und kam letztendlich zu spät.
Abgesehen von einigen Heldengeschichten über den Wüstenfuchs Erwin
Rommel,1 über die Geheimagenten John W. Eppler2 und Oskar von Niedermayer, den sich wie ein Lawrence von Arabien gebärdenden Diplomaten Fritz Grobba3 oder die britische Arabien-Reisende Freya Stark4 weist die traditionelle Historie über diesen Krieg der offensichtlichen Improvisationen scheinbar wenig
Spektakuläres auf. Dass sich dies keinesfalls aus der geographischen Peripherie
erklärt, dafür steht Paul Kennedy’s neuestes Buch »Die Casablanca-Strategie«.5
Es dürfte also eher an der Perspektive liegen.
Die nahostbezogene Geschichtsforschung über den Zweiten Weltkrieg wiederholt sich seit längerem in der Abarbeitung stereotyper Thesen und Kontroversen zum engeren militärischen Geschehen als da sind: Die deutsche Zangenstrategie über den Kaukasus und den Suezkanal;6 oder Hitlers »Wasserscheu«
und die Probleme der »Achsen«-Kriegsführung im Mittelmeer;7 oder das schlecht
geölte Barbarossa Unternehmen,8 oder Flieger-General Hellmuth Felmy9 und
der umtriebige Großmufti Amin al-Husaini.
Wenn die Quintessenz all dieser Expertisen demnach Abenteuertum, schlechte Planung und mangelhafte Logistik einer gewaltigen deutschen Kriegsmaschinerie ist, die in ihrer letzten Phase des totalen Kriegs ganze Kontinente erobern
wollte, so müsste die gegnerische zum Sieg führende Logistik weitaus spektakulärer sein. Und das war sie auch nicht zuletzt infolge der alliierten Kriegsbewirtschaftung des Nahen Ostens von 1941 bis 1945. Winston Churchills Diktum,
Vorwort
11
dass Hitler im Irak eine Chance vertan habe, zu niedrigen Kosten einen sehr
hohen Gewinn einzufahren, gehört in diesen Kontext.10 Die Alliierten und vor
ab das m a r i t i m e Britische Empire organisierten auch an anderen Ecken der
Welt wie in Afrika und vor allem östlich von Suez in Indien weitere zivile und
militärische Versorgungs- und Nachschubzentren. Aber das Middle East Supply
Centre in Kairo sticht darunter auf Grund einer noch tieferen und einzigartigen
Dimension hervor. Es begnügte sich nicht damit, die alliierte Kriegsmaschinerie
bis zum Sieg zu bedienen, sondern setzte auch unwillkürlich und immer gezielter Entwicklungsimpulse in Richtung einer Transformation des Nahen Ostens
und seiner in diesem Buch behandelten sieben Länder Ägypten, Irak, SyrienLibanon, Transjordanien, Palästina einschließlich des Jüdischen Nationalheims
und Saudi-Arabien. Das geschah vor allem auf wirtschaftlicher Ebene mit Nebeneffekten auf den Ebenen von Gesellschaft und Herrschaft sowie einer sich
verschärfenden Handels- und Machtkonkurrenz im anglo-amerikanischen Binnenverhältnis. Letzteres war nicht neu. Schon am Ende des Ersten Weltkriegs
hatten britische Empire-Anhänger, allen voran der Außenminister und ehemalige Vizekönig von Indien George Nathaniel Curzon aus blankem Jingoismus
gewarnt, dass die USA nicht denken sollten, dass sie im Nahen Osten mit ihren
»crude ideas« den Ton angeben könnten.
Die Quellen zum vorliegenden Buch über die Kriegsbewirtschaftung des Nahen Ostens und ihrer gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen stammen
vorwiegend aus den staatlichen britischen und amerikanischen Nationalarchiven
sowie einigen Presidential Libraries.11 Ausschlaggebend für die Forschungsarbeiten zum Projekt waren die über fünf Jahre vom Middle East Supply Centre
(MESC) verfassten sehr detaillierten Monats- und zuweilen auch Wochenberichte seiner diversen Tätigkeiten. Den Arbeiten kamen dabei zwei einzigartige Umstände zugute, dass erstens das MESC die Statistiken bezüglich der nahöstlichen
Länder vereinheitlichte und zweitens sich in den Berichten die Zusammenarbeit
mit arabischen Behörden niederschlug. Das betraf vor allem auch die vielen
Ausschuss-Sitzungen mit entsprechenden Namenslisten und Dienststellen.
Den militärischen Kriegsablauf mit seinen drei Kampfplätzen in Nordafrika,
im Irak und in Syrien schildert in einem kurzen Überblick das erste Kapitel.
Danach werden die Entstehung, das operative Management und Leistungen des
alliierten Middle East Supply Centre ausführlicher dargestellt. Ein besonderes
Augenmerk gilt dabei den entwicklungspolitischen Dimensionen für die Nachkriegszeit, dem Mitwirken arabischer Behörden sowie der nicht konfliktfreien
Zusammenarbeit zwischen Briten und Amerikanern. Letztere entwickelte sich
zu einer handfesten Konkurrenz, die sich zum handelspolitischen Vordringen
der USA im Nahen Osten steigerte. Das ist das Thema des dritten Kapitels.
Im vierten Kapitel werden die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und innenpolitischen Profile der Länder Ägypten, Irak, Syrien, Libanon, Palästina, Transjordanien und Saudi-Arabien dargestellt. Das soll nicht auf eine quantitative
12
Vorwort
Sprache reduziert, sondern mit Hilfe von Tabellen und Grafiken in einem gesonderten Anhang auch quantifiziert werden. Im abschließenden fünften Kapitel
werden die unterschiedlichen Bemühungen der arabischen Staaten und ihrer
einstigen Kolonialherren um eine Neuordnung des Nahen Ostens beleuchtet.
Behandelt werden die gescheiterten Versuche zu einer föderalen Einheit der
arabischen Staaten, die eine Revision des Sykes-Picot-Teilungsabkommens aus
dem Jahr 1916 hätten werden können. Es sind diese vergeblichen Umwege, nicht
die Arabische Liga als vermeintliches Ideal arabischer Einheit, die hier im Fokus
stehen.
In allen fünf Kapiteln erfährt die Rolle der traditionellen britischen Vormacht
im Nahen Osten auch deshalb besondere Beachtung, weil sie sich letztendlich,
wenn auch zeitweilig holprig, auf eine sicherheitspolitische Arbeitsteilung mit
den USA für die Nachkriegszeit zubewegte. Das volle Ausmaß dieses vor allem
im zweiten und dritten Kapitel deutlich werdenden Rollenwandels erschließt
sich jedoch erst bei der Berücksichtigung der erdölpolitischen Nachkriegsplanung, die im erwähnten zweiten Band meiner Erdölstudie ausführlich behandelt
ist.
Das Studium der Primärquellen zu diesem Buch hat über einen langen Zeitraum in wechselnden Abständen Aufenthalte in staatlichen Archiven, in Pressearchiven und Forschungsbibliotheken in Großbritannien, in den USA, in verschiedenen arabischen Staaten und in Deutschland erforderlich gemacht. Ich
bedanke mich für die finanzielle Unterstützung vor allem seitens der Volkswagenstiftung aber auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Eine sehr große Hilfe waren auch Einladungen zu Vorträgen, die ein »feed
back« eintrugen. Das gilt vor allem für arabische Länder, in denen es zwar kaum
Zugang zu politischen Archiven gibt, aber doch Institutionen mit einem zuweilen hochkarätigen Fachpublikum. Ich danke ganz besonders Herrn Dr. Sufyan
Al Hasan in Riyad, einen Freund und Promovenden der Universität Hamburg,
dessen Ko-Referent ich war, der einen Vortrag am Saudi Development Fund für
mich arrangierte, zu einer Zeit als dort über einheimischen Weizenanbau nachgedacht wurde und ich plötzlich wegen meiner Recherchen über die Agrarpolitik des MESC zum Experten geworden war. Im Gedenken bin ich bei meinem
langjährigen ägyptischen Freund und Kollegen Professor Raouf Abbas Hamed,
der mich wiederholt zu Vorträgen an der Universität Kairo einlud, um Zwischenerträge meiner Forschungen vorstellen zu können. Eine große Gastfreundschaft wurde mir auch seitens Professor Hassan Ahmed Ibrahim an der Universität Khartoum zuteil. Ein weiterer Dank geht an meinen Promovenden
Professor Abdelmajeed Shannag, der es mir ermöglichte, im Rahmen einer Konferenz an der Universität in Amman über die delikaten »Hoskins-Missionen«
nach Saudi-Arabien in den Jahren 1942 und 1943 vorzutragen. Aspekte deutscher
nahostpolitischer Improvisationen im Zweiten Weltkrieg konnte ich in Amilcar
(Tunesien), im schottischen Edinburgh sowie in Calgary (Kanada) und Salt Lake
13
Vorwort
City (USA) vortragen und zur Diskussion stellen. Ich danke in dieser Reihenfolge den Organisatoren und Freunden Professor Hussein Amin, Dr. Derek
Hopwood, Professor Tareq Y. Ismael sowie Professor Byron Cannon.
Einen großen Anteil daran, dass meine Forschungsarbeiten nie erlahmten,
haben die zahlreichen Studierenden, die ohne einschränkende Bachelor Module
den Weg in meine Lehrveranstaltungen zu »überseeischen« Themen fanden.
Ganz besonders danke ich dem »harten Kern« derjenigen, die sich von Seminar
zu Seminar selbstbestimmt und erfolgreich den Weg zum Nahostjournalismus
oder zu anderen nahostbezogenen Tätigkeiten bahnten.
Herzlich danke ich meinem Sohn Boris, der mit mir am Computer alle Varianten für eine leserfreundlichere graphische Umgestaltung der Tabellen durchspielte, bis wir uns wegen des Verschwindens vieler sehr geringer Zahlen oder
eines begrenzten Repertoires an lesbaren Schraffuren zur Beibehaltung der auch
authentischeren Zahlenreihen entschlossen. Dankbar bin ich auch Frau Dr.
Camilla Dawletschin-Linder dafür, dass sie mir den interessanten Knigge für den
Tornister des amerikanischen Soldaten im Irak aus dem Jahre 1943 schenkte und
mir lange Wege in die Hamburger Staatsbibliothek ersparte, wenn kurzfristig ein
Buch oder eine Zeitschrift eingesehen werden mussten.
Den allergrößten Dank möchte ich meiner lieben Frau Dr. Marianne SchmidtDumont aussprechen – als Orientalistin eine kritische Leserin und Bildschirmvirtuosin meiner vielen Kapitelentwürfe –, ohne deren Einsatz das Buch jetzt
vielleicht noch nicht fertig wäre.
Last but not least danke ich Herrn Dr. Diethard Sawicki und Frau Dr. Christiane Bacher vom Schöningh Verlag für Inspiration und ein sehr kompetentes
Lektorat.
Hamburg, im Sommer 2016
Helmut Mejcher
1. DAS KRIEGSGESCHEHEN: IMPERIALE UND
STRATEGISCHE DIMENSIONEN
Schon in der Antike galt der Nahe Osten als Brücke zwischen Europa und Asien. Die Griechen und Römer bauten strategische Heerstraßen für ihre Krieger
und Streitwagen in Richtung Persien und Ägypten. Diese sicherten ihre Herrschaft ab. Flottenrüstungen dagegen beschränkten sich eher auf Anlandungen
von Truppen und Kriegsmaterial und erst allmählich zur dauerhaften Durchsetzung von Handels- und Machtinteressen im Mittelmeerraum und darüber hinaus. Jahrhunderte später sollte Napoleons Ägyptenfeldzug gegen die britische
Vormacht an der Landbrücke nach Indien das gleiche Muster aufweisen. Die
Zerstörung seiner Flotte bei Abuqir 1798 schnitt die französischen Landungstruppen vom Nachschub und jeglicher Rückzugsmöglichkeit zur See ab. Auf
ihrer Flucht ins syrische Akko mit seinem getreidereichen Hinterland wurden
sie durch Epidemien und Hunger dezimiert.
Der ruhmreiche Admiral Nelson legte damals den Grundstein für die wichtigste militärische Etappe des britischen Seewegs nach Indien. Die Eröffnung des
Suezkanals sechs Jahrzehnte später und Londons Erwerb der Aktienmehrheit
machten die 2.000 Meilen lange Mittelmeerroute von Gibraltar nach Port Said
und Suez vollends zur neuralgischen maritimen Achse des Britischen Empires.
Der Seeweg vom südenglischen Plymouth nach Bombay verkürzte sich um 4.300
Meilen. Auch die Kolonien in Ost- und Südafrika waren schneller erreichbar.
Dessen ungeachtet behielt der 12.300 Meilen lange atlantische Seeweg nach Sydney und Wellington um das Kap der Guten Hoffnung weiterhin seine Bedeutung
für die Verbindung Großbritanniens mit Australien und Neuseeland.1
Im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert und bis zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs wandelten sich infolge technologischer Neuerungen und einer
neuen Phase imperialistischer Politik die Strategien maritimer imperialer Verbindungen. Der Mittelmeerraum und der Nahe Osten standen im Fokus europäischer Politik. Das Britische Weltreich hatte wegen der Insellage des englischen
Mutterlands stets auf die existenzielle Bedeutung überseeischer Verbindungen
für seinen Zusammenhalt gegenüber europäischen kontinentalen Küstenländern
wie Deutschland, Frankreich und Italien gepocht und für seine Flottenrüstung
den Rang einer maritimen Vormacht gegenüber den sogenannten naval powers
beansprucht. Dieser Anspruch setzte sich in den zumeist hartnäckigen Flottenverhandlungen Englands mit den europäischen Kontinentalmächten durch.
Ein weiterer strategischer Grundsatz des Britischen Empires war es, sich bei
der Sicherung seiner maritimen Verbindungswege außerhalb seiner kolonialen
16
1. Das Kriegsgeschehen
Besitzungen nicht in eine großflächige Beherrschung von Küstenanrainern zu
verzetteln oder zu überdehnen. Die bevorzugte Herrschaftstechnik bestand in
punktuellen Flottenstützpunkten wie Gibraltar, Malta, Zypern, Alexandria,
Aden, Bahrain und das omanische Muskat. Hinzutraten einseitige Schutzverträge mit Lokalherrschern im Arabisch-Persischen Golf. Deren Gegenleistung
bestand in der Übertragung ihrer diplomatischen und wirtschaftlichen Außenbeziehungen an das Britische Empire. Neben der Stationierung von Flotteneinheiten dienten die Stützpunkte auch als Bunkerstation für Kohle und Treibstoffe. Sie verfügten ferner über Reparaturwerften oder waren wie Gibraltar mit
weitreichenden Kanonen zur Kontrolle von Meerengen bestückt.
Dieses ausgefeilte maritime Kontrollsystem des Britischen Empires sollte sich
im 20. Jahrhundert gründlich verändern. Die Umstellung der Schifffahrtsantriebe von Kohle auf Erdöl sowie die Entwicklung und militärische Nutzung des
Luftverkehrs verstrickten die britische Kontrolle der Seerouten fortan auch in
die physische Beherrschung landeinwärts gelegener Ölfelder, Konzessionsgebiete und Pipeline-Trassen.
Das galt zuallererst für die neue Tankstelle der britischen Navy im persischen
Abadan, das dem Kohlehafen von Cardiff bald den Rang ablief. Aber auch die
zivile Nachfrage Englands nach iranischem Erdöl – ganz zu schweigen vom
Interesse des britischen Schatzamts an den opulenten Konzessionsgebühren –
stieg rasant an. Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs stellte iranisches Öl bereits
18 % aller britischen Öleinfuhren dar. Im Vergleich fielen die britischen Importe irakischen Öls über die Pipeline nach Haifa mit 4 % deutlich ab. Dagegen
bezog Frankreich über das zweite IPC-Pipeline-Terminal im nordlibanesischen
Tripoli die Hälfte seines Ölbedarfs. Das entsprach 80 % der irakischen Ölförderung.2
Dieses Verbundsystem mittelmeerischer Pipeline-Terminals mit den irakischen Ölfeldern stand in seiner militärstrategischen Bedeutung für den nahöstlichen Kriegsschauplatz – und Churchills Mittelmeerpolitik – dem Rang Abadans kaum nach. Es war jedoch verwundbarer, wie die deutsche Besetzung
Frankreichs im Sommer 1940 zeigte. Obwohl die französische Mandatsverwaltung in Syrien – ebenso wie die nordafrikanischen Besitzungen – in der Obhut
der mit Berlin kollaborierenden Vichy-Regierung verblieb, war die Bedrohung
durch die Achsenmächte derart gewachsen, dass London ab dem 25. Juni die
irakischen Ölexporte durch die nach Tripoli verlaufende Pipeline drastisch reduzierte. Syrien und die irakischen Ölfelder sollten für eine Treibstoffversorgung
feindlicher Seestreitkräfte gesperrt werden, während die Royal Navy ihren Zapfhahn in Haifa behielt. Die britische Vormacht im Nahen Osten hatte zwar nie
den zeitweilig erträumten Status einer Kronkolonie wie Britisch-Indien angenommen, aber dennoch viele ihrer zivilen und politischen Normen. Flankierend
zum Seeweg nach Indien war ein Luftverkehrsnetz entstanden, dessen Korridore und Überflugrechte in Zeiten internationaler Krisen oder Kriege großen Ri-
1. Das Kriegsgeschehen
17
siken ausgesetzt waren. So legte auf der Mittelmeerroute Imperial Airways von
London kommend Zwischenstopps in Marseille, Rom, Brindisi, Athen und Alexandria ein. Der Weiterflug nach Karachi erfolgte über Lydda in Palästina sowie
über die britischen Luftstützpunkte im irakischen Habbaniya bei Bagdad und
Shaiba bei Basra. Von dort ging der Flug über Bahrain, Oman und Gwador nach
Baluchistan. Der Umweg über den Arabisch-Persischen Golf war notwendig
geworden, nachdem der Iran 1932 aus politischem Anlass die Überflugrechte
aufgehoben hatte. Das sensible geopolitische Konfliktpotenzial der nahöstlichen
Brücke war auch einer der Gründe für die britische Ablehnung der Neutralitätsbestrebungen des Sa’dabad-Paktes, den Afghanistan, Irak, Iran und die Türkei
am 8. Juli 1937 abgeschlossen hatten.
Ein weiterer Aspekt der frühen Verschränkung des entstehenden nahöstlichen
Luftverkehrssystems mit Strukturen der britisch imperialen Vorherrschaft betrifft die alles überragende Rolle der Royal Air Force (RAF) in der Region. Als
Kolonialminister hatte Winston Churchill kurz nach dem Ersten Weltkrieg im
aufständischen Irak einige wenige Geschwader als kostensparendes effizientes
Kontroll- und Abschreckungsinstrument – alternativ zu teuren Garnisonen und
Bodentruppen – stationiert. Auf den Fliegerhorsten Habbaniya und Shaiba nahe
den unruhigen Stammesprovinzen Anbar und Muntafik wurden bisweilen auch
Zivilisten abgefertigt. Bemerkenswert sind auch Dienstleistungen seitens der
Pipeline-Pioniere. Zum Schutz der Pipeline aus dem Irak war eine transjordanische Desert Force unter britischem Kommando aufgestellt worden. Sie sollte sich
im Weltkrieg gegen die deutsche Einmischung im Irak bewähren. Einige der
Pump- und Wartungsstationen durften auch von Flugzeugen der zivilen Imperial Airways zu technischen Zwischenlandungen angeflogen werden.
Zu den verkehrstechnischen Neuerungen der Luftfahrt, der Erdöl-Pipelines
und schon seit längerem der Eisenbahn, die allesamt die maritime britische Vormachtstellung zur See vor völlig neue Herausforderungen stellten, trat noch die
Unterseeboot-Rüstung. Deren Bedeutung schien trotz der Erfahrungen aus dem
Ersten Weltkrieg in den britischen Flottenverhandlungen der 1930er Jahre vor
allem mit Italien, das damals mit 110 einsatzbereiten Einheiten die größte, wenn
auch nicht modernste U-Bootflotte der Welt besaß,3 unterschätzt worden zu sein.
Es ist auch die Rede von einem Verständnis für Roms Kolonisierungsambitionen
angesichts seines Bevölkerungswachstums. Vermutlich hielt die britische Admiralität jedoch Italien auf Grund seiner seestrategisch unvorteilhaften Mittelmeerlage für gezähmt. War doch das von Mussolini postulierte mare nostrum gewissermaßen ein Binnenmeer, das bei Gibraltar und Port Said geschlossen werden
konnte. Zudem waren Italiens lange Küsten verwundbar. Auch die von Mussolini angefeuerte Kolonisierung über Libyen hinaus in Richtung Eritrea, Somalia
und Abessinien und die dazu flankierende Flottenvermehrung im Roten Meer4
nebst dem Erwerb einiger strategischer Inseln waren durch die britische Riegelstellung am Tor der Tränen bzw. vom südjemenitischen Aden aus eingehegt.
18
1. Das Kriegsgeschehen
Zugleich konnte dieser zweite Riegel am Golf von Aden jede feindliche Durchfahrt des Suezkanals mit Ziel Arabisches Meer/Indischer Ozean und umgekehrt
blockieren.
Wie sich nach Kriegsausbruch schon bald zeigen sollte, befanden sich die italienischen Seestreitkräfte im Roten Meer tatsächlich in einer Falle, aus der es kein
Entkommen gab. Die wenigen Bomben, die eine in Eritrea stationierte italienische Fliegerstaffel auf britische Einrichtungen im Arabisch-Persischen Golf abwarf, beeindruckten allenfalls einige Beduinen und blieben eher eine Demonstration italienischer Ohnmacht in diesem Winkel des Nahen Ostens. Im Frühjahr
1941 wurden die italienischen Seestreitkräfte im Roten Meer von den Briten
vollständig zerstört. Nur wenige Schiffsmannschaften – etwa 800 Mann und einige dutzend deutsche Matrosen – konnten sich an die saudische Küste retten,
wo sie an die Briten überstellt oder interniert wurden. Am 11. April folgte dann
die Erklärung des amerikanischen Präsidenten Roosevelt, dass das Rote Meer
und der Golf von Aden im Sinne der Neutralitätsakte keine Kriegszone mehr
darstellten. US-Versorgungsschiffe liefen jetzt in großer Zahl den Hafen von
Suez an, um die in Nordafrika zeitweilig in Bedrängnis geratenen britischen
Streitkräfte mit Kriegsmaterial zu versorgen.5 Dieser massive Rüstungsnachschub begann acht Monate vor der amerikanischen Kriegserklärung an Deutschland und Italien.
Die militärischen Einsätze der europäischen Mächte im Nahen Osten zielten
auf Ägypten mit seinem nordafrikanischen Vorfeld, auf das Erdölland Irak sowie
auf Syrien. Sie waren nicht von langer Dauer, zeitweilig improvisatorisch aber
dennoch mit kriegsentscheidend.
NORDAFRIKA UND ÄGYPTEN: VOM KOLONIALKRIEG ZUM
MATERIALKRIEG
Benito Mussolini war stolz auf seine libysche Kolonie mit ihren kolossalen, dem
Mittelmeer zugewandten römischen Amphitheatern. Sie war die vierte Küste in
seiner Vision eines mittelmeerischen italienischen Binnensees. Sein Überfall auf
Albanien im April 1939 und dessen Annexion zielte mit gleicher Intention auf
das Adriatische Meer. Dem bald darauf großspurig angekündigten »Vierten Punischen Krieg« folgte der Marschbefehl an seine Streitkräfte zur Konsolidierung
der Cyrenaika und der Eroberung Ägyptens. Dieser Alleingang des Duce vom
September 1940 beruhte auf der Illusion, dass sein im Mai des Vorjahrs geschlossener »Stahlpakt« mit Hitler, dessen Hinwendung zum slawischen Osten, die
Nordafrika und Ägypten: Vom Kolonialkrieg zum Materialkrieg
19
überraschend frühe Kapitulation Frankreichs sowie die als unausweichlich erscheinende Niederlage Großbritanniens beste Voraussetzungen für grandiose
Siege im Land der Pyramiden boten.
Ein weiteres Motiv für Mussolinis Abenteuer in Nordafrika soll eine Trotzreaktion darauf gewesen sein, dass Hitler wenig Neigung zu einer Verständigung
über seine Absichten in Südosteuropa zeigte. An der Nahtstelle zwischen dem
Balkan und Kleinasien sollte die Aufteilung in Interessensphären Attribute einer
»brutalen Freundschaft« zwischen beiden Diktatoren annehmen. Diese ersten
Etappen in Mussolinis Vorwärtsstrategie im östlichen Mittelmeer sind denn auch
als Beginn eines italienischen »Parallelkriegs« zu Hitlers europäischem Kontinentalkrieg gedeutet worden. Allerdings war Italiens Blickrichtung auf den
Nahen Osten in Berlin keinesfalls unwillkommen. Churchills Strategie einer
zweiten Mittelmeerfront gegen die Achsenmächte, wie sie sich in der Sicherheitsgarantie für Griechenland niederschlug, könnte in Bedrängnis gebracht werden.
Roms Abkehr vom westlichen Mittelmeer, von seinen territorialen Begehrlichkeiten entlang der französischen Riviera, auf Korsika sowie in Tunesien, wo
italienische Siedler die Oberhand über die französischen colons suchten, würden
die Kollaboration des französischen Vichy-Regimes mit der deutschen Besatzungsmacht erleichtern.
Dies war umso dringlicher, als es der deutschen Politik nicht gelungen war, das
von General Franco geführte neutrale Spanien auf die Seite der Achsenmächte
zu ziehen. Das Scheitern dieses von Hitler persönlich forcierten Unternehmens
»Felix« hatte in der Tat schwerwiegende Folgen für den Kriegsverlauf im Mittelmeer und im Nahen Osten. Denn die stark befestigte britische Riegelstellung
in Gibraltar sperrte fortan für italienische Flottenunternehmungen und U-BootEinsätze den atlantischen Zugang. Der deutschen Seekriegsleitung war umgekehrt der Zugang zum Mittelmeer erschwert, wenn nicht verschlossen. Stattdessen konnten britische Schiffkonvoys über Gibraltar – wenn auch nicht gefahrlos
– militärischen Nachschub ins mittlere und östliche Mittelmeer, insbesondere
zur strategisch überragenden Inselfestung Malta liefern. Diese östliche Verlagerung des Kriegsgeschehens im Mittelmeer trug erheblich zum späteren Erfolg
des amerikanischen Landungsunternehmens in Marokko und dem Vormarsch
der Alliierten nach Tunesien bei. Auch de Gaulles senegalesische »Frei-Franzosen« profitierten davon.
Mussolinis Alleingang gegen die britischen Stellungen vor und in Ägypten
drohte dennoch ein militärisches Fiasko. Nur das Scheitern der groß angelegten
deutschen Operation »Seelöwe«, mit dem Görings Luftwaffe England unterwerfen wollte, sowie Churchills kühner Befehl, noch während des Infernos über
Coventry und London die britischen Streitkräfte im Mittelmeer und in Ägypten
massiv mit indischen Empire-Truppen zu verstärken, zwangen Berlin und Rom
zu einem Strategiewechsel und Schulterschluss in Nordafrika. Nach der mühsamen Vertreibung der britischen Garnisonen aus Griechenland und Kreta – unter
20
1. Das Kriegsgeschehen
hohen Verlusten – wurden die Bastionen des Britischen Empires in Malta, Sollum, Tobruk, El Alamein, Alexandria und Port Said ins Visier genommen. Hier
wollten Berlins Mittelmeer- und Nahoststrategen den Sieg über England erzwingen, der an der Themse misslungen war. Und hier wollte auch Mussolini sich ein
Denkmal setzen.
Allerdings musste dafür dessen drohende Niederlage in Nordafrika abgewendet werden. Neue gemeinsame deutsch-italienische Offensiven mit starken Panzerkräften und zusätzlichen Luftgeschwadern waren nötig. Sie setzten wiederum
eine umfassende Sicherung der Nachschublinien vor allem auch für Treibstoff
durch das Nadelöhr südlich von Sizilien und entlang der langen libyschen Küste voraus. Daneben mussten die britischen Nachschub-Konvoys aus Gibraltar
nach Malta bekämpft, britische Störangriffe zur See und aus der Luft sowie der
Beschuss italienischer Kriegshäfen abgewehrt werden. Dramatisch war dieser
Strategiewechsel aus zwei Gründen: Erstens überschnitten sich der Zusammenbruch der italienischen Offensive in Nordafrika und die dringend erforderlichen
deutschen Stützungsmaßnahmen mit Hitlers Vorbereitungen für das Unternehmen »Barbarossa«, den für Juni 1941 terminierten Überfall auf Russland. Zweitens hatten Hitlers kontinental ausgerichtete Blitzkriegsplanungen die Erfordernisse einer Flottenrüstung geschweige denn jegliche maritime Strategie
vernachlässigt. Das Heer und die Luftwaffe hatten in der allgemeinen Kriegsvorbereitung deshalb Vorrang gegenüber der Kriegsmarine erhalten. Diese Lücke in
der deutschen Rüstungspolitik war den Briten nicht entgangen. Laut den Memoiren des britischen Außenministers Sir Samuel Hoare bestand »die deutsche
Flotte lediglich aus zwei alten Linienschiffen, zwei Schlachtkreuzern, drei Taschenkreuzern, acht kleinen Kreuzern, zwanzig Zerstörern und fünfundsiebzig
Unterseebooten, von denen nur sechsundzwanzig in der Lage waren, im Atlantik zu operieren.«6
Vor diesem Hintergrund entwickelten sich die deutschen Verstärkungen und
Entlastungsoffensiven für den in Nordafrika in Bedrängnis geratenen italienischen Verbündeten notgedrungen zu einem Nebenkrieg der Improvisationen.
»Barbarossas« Strategen in Berlin beharrten auf der Priorität der Unterwerfung
Russlands. Auf diesem Umweg sei sogar die Kapitulation des Britischen Empires
zwangsläufig. Es bedürfe nur noch der Überschreitung des Kaukasus und der
Besetzung des britischen Öl-Dorados im Irak und im südpersischen Abadan.
Sogar imperiale Träume blühten auf von einer Destabilisierung Britisch-Indiens
und – nach Pearl Harbor im Dezember 1941– von einem Deal mit der asiatischen
Vormacht Japan im ölreichen Arabisch-Persischen Golf.7
Die als heroisch gefeierten Einsätze der zeitweilig auf Sizilien stationierten
deutschen Kampfflieger,8 die nicht unbeachtliche Versenkungsrate erfolgreich
operierender italienischer U-Boote im Mittelmeer9 und auch die Panzeroffensiven des Wüstenfuchses Erwin Rommel bescherten den Briten zwar enorme
Verluste und erzwangen sogar eine Neubesetzung des Oberkommandos, doch
Irak: Zweifelhafte Unterstützung durch die Deutschen
21
sie brachten die britischen Bastionen in Malta und in Ägypten nicht wirklich ins
Wanken. Stattdessen offenbarten sie auf Seiten der Achsenmächte chaotische
Planungsvorgaben, geographische Unkenntnisse, enorme logistische Engpässe,
Materialbeschaffungsprobleme und einen verhängnisvollen Treibstoffmangel,
der schließlich die Niederlage von Rommels letzter Offensive bei El Alamein am
31. August 1942 besiegelte. Von da an bewegte sich Rommel nur noch in der
Defensive. Der britischen Offensive sieben Wochen später konnte er nicht mehr
standhalten. Der Rückzug der Reste seiner Streitmacht aus Nordafrika wurde
unumkehrbar. »War der Krieg in Nordafrika vormals eine Art von »Kolonialkrieg gewesen« – zumindest aus der italienischen Perspektive – »so war er seit
El Alamein zum Materialkrieg geworden«. Laut diesem späteren historischen
Urteil des an den Kämpfen beteiligten deutschen Admirals Weichhold kam es
»nicht mehr so sehr auf taktische Führungskunst und Tapferkeit der Truppe,
sondern auf Überlegenheit der Ausrüstung und gesicherte Versorgung an. Hier
konnte die »Achse« nicht mehr mithalten, selbst wenn ihre oberste Führung den
Schauplatz ernster genommen hätte.«10 Die ausschlaggebende Rolle des amerikanischen Nachschubs über Suez ebenso wie die operativen Leistungen des
MESC zeigten Wirkung. Ein Zitat aus einer Spezialstudie über die militärische
Logistik von Montgomerys 8. Armee ist aufschlussreich: »Die Briten waren
inzwischen im Besitz neuer überlegener amerikanischer Sherman-Panzer und
neuer panzerbrechender Waffen der Amerikaner. 400 Panzer der Achse standen
gegen 1000 der Briten. Die Desert Air Force konnte sich praktisch ohne Gegenwehr bewegen. Die Briten hatten außerdem neue ausgeruhte Truppen und riesige Vorräte. Die Überlegenheit der Briten wird mit 2:1 kalkuliert. Für eine Materialschlacht waren die Deutschen alles andere als vorbereitet. Ihnen fehlte so gut
wie alles. Vor allem hatten sie Treibstoffschwierigkeiten.«11
IRAK: ZWEIFELHAFTE UNTERSTÜTZUNG DURCH DIE DEUTSCHEN
Am frühen Morgen des 12. Mai 1941 startete Major Axel von Blomberg von
Mossul aus zu einem Demonstrationsflug nach Bagdad. Er sollte dort als Vorhut
der dringend erwarteten deutschen Luftunterstützung eine Ehrenrunde drehen
und die Moral der in Bedrängnis geratenen anti-britischen irakischen Putschisten
stärken. Während des dröhnenden Tiefflugs über der Hauptstadt geschah das
Unerwartete. Durch Kopfschuss von einem der Dächer aus wurde v. Blomberg
getötet. Ob das Geschoss in feindlicher Absicht, aus Irrtum über die Nationalität des Fliegers oder aus einem Freudentaumel heraus abgefeuert wurde, sei
22
1. Das Kriegsgeschehen
dahingestellt. Den Flugbegleitern gelang es, das nicht für einen Kampf ausgerüstete Kurierflugzeug zu landen. Dessen ungeachtet funkte der Gestapo-Mann in
der deutschen Botschaft nach Berlin, dass v. Blomberg im Luftkampf gefallen
sei!12
Ähnlich wie in Ägypten13 gehörte auch im Irak ein aufgezwungener Regierungswechsel zum politischen Vorlauf des militärischen Geschehens. Allerdings
waren die Ausgangsbedingungen in Bagdad verwickelter. Zur kolonialen Hinterlassenschaft der Briten im Irak – wie auch in Ägypten – gehörten als Freundschafts- und Beistandsverträge kaschierte Abmachungen, die britischen Streitkräften genau festgelegte Stationierungsrechte und im Falle von Kriegen
militärische Sondervollmachten einräumten. Anders als in Ägypten war im Irak
dieser Vertrag noch vor der Unabhängigkeit des Landes oktroyiert worden. Es
handelte sich um einen sogenannten einseitigen Vertrag zur Sicherung dauerhafter imperialer Vormacht. Irakische Oppositionelle und nationalistische Militärs
sahen darin eine Einschränkung der Souveränität und eine koloniale Demütigung. Im bereits erwähnten Sa’dabad-Pakt14 vom 8. Juli 1937 hatten sie sich eine
Befreiung von derartigen Knebelverträgen erhofft. Stattdessen mussten sie nach
Ausbruch des Weltkriegs feststellen, dass dieser Pakt die Neutralitätsbestrebungen und souveränen Handlungsspielräume weder in Afghanistan noch im Iran
schützte. Beide Länder wurden unter dem Vorwand besetzt, subversive Spionagenester, sogenannte Fünfte Kolonnen der Achsenmächte, vertreiben zu wollen.
Lediglich der Türkei gelang es, durch ein riskantes Lavieren zwischen den Weltkriegsmächten und dank des Kriegsverlaufs ihre Neutralität zu behaupten. Das
lähmte jedoch im Frühjahr 1941 den türkischen Vermittlungsversuch im irakisch-britischen Konflikt, der sich folglich in einen regelrechten Krieg unter
Einbeziehung der Achsenmächte und indirekt auch Amerikas entlud.15
Wie im Falle des Roten Meeres und Nordafrikas hatten Washingtons und
Londons Strategen auch im Arabisch-Persischen Golf frühzeitig die Wichtigkeit
eines mesopotamisch-iranischen Transitwegs für militärischen Nachschub nach
Russland erkannt, das sich im Fadenkreuz der Eroberungspläne Hitlers befand,
das dem Tyrannen aber auch den Todesstoß versetzen könnte. Schon im Mai 1940
wies Washington seinen Geschäftsträger in Bagdad, Paul Knabenshue, an, die
Verbindungen sowohl zur Britischen Botschaft als auch zu den politischen Kreisen um den anglophilen Premier und oftmaligen Außenminister Nuri as-Said zu
festigen. Den konspirativen Umtrieben einer von vier Obristen angeführten
putschbereiten Gruppe nationalistischer Offiziere – sie wurden als »Goldenes
Viereck« bezeichnet – und ihren Mentoren in den Botschaften der Achsenmächte, allen voran der deutsche Botschafter Fritz Grobba16 sowie der aus Jerusalem
geflohene Großmufti Amin al-Husaini, sollte Paroli geboten und Voraussetzungen für einer politische und notfalls militärischen Intervention geschaffen werden. Eben weil diese Absichten und Planungen Londons und Washingtons nicht
durch die Bestimmungen des anglo-irakischen Vertrags17 von 1930/32 gedeckt
Irak: Zweifelhafte Unterstützung durch die Deutschen
23
waren, konnte die am 3. Februar 1941 eingesetzte neue Regierung des königstreuen Generals Taha al-Hashimi nicht einfach nach der Pfeife der Briten und
Amerikaner tanzen. Zuerst musste die irakische Opposition, also das sogenannte Offiziers-Quartett mitsamt seinem Arabischen Komitee und patriotischen
Ziehvater Rashid Ali al-Gailani in eine Unrechtposition gebracht werden.
Im selben Monat traf Oberst William J. Donovan vom US-Geheimdienst OSS,
dem Vorläufer des späteren CIA, in Bagdad ein, um mit den amerikanischen und
britischen Botschaftern die entscheidenden konspirativen Aktionen einzuleiten:
die Flucht des für den vierjährigen König verfassungsmäßig eingesetzten Thronverwalters Abd al- Ilah und britisch-loyaler Politiker wie Nuri as-Said, und nicht
zuletzt die logistische Unterstützung einer britischen militärischen Intervention
im Irak. Ein ähnliches Komplott sollte sich in den frühen 1950er Jahren im Iran
wiederholen!18
Die kurze Amtsperiode des Kabinetts al-Hashimi dauerte bis zum 13. April
1941. Auf Weisung des Regenten versetzte al-Hashimi General Kamil Shabib,
ein Mitglied der »Goldenen Vier«, von Habbaniya in das entlegene südirakische
Diwaniya. Das Oberkommando der irakischen Streitkräfte widersetzte sich dieser Maßnahme und ließ die wichtigsten strategischen Punkte Bagdads besetzen.
Es erzwang den Rücktritt al-Hashimis, die Bildung einer neuen Regierung der
Nationalen Verteidigung unter dessen Vorgänger Rashid Ali al-Gailani und
schnürte die Stadt von der Außenwelt ab. Abd al-Ilah entzog sich einer Unterwerfung durch die vorbereitete Flucht in einem amerikanischen Botschaftswagen. Um den Makel der Illegalität abzuschütteln, setzte das von al-Gailani zu
einer außerordentlichen Sitzung einberufene Parlament mit den Stimmen von 94
der 108 Abgeordneten Sharif Sharaf Ibn Rajah, ein Mitglied der Königsfamilie,
als neues Staatsoberhaupt ein. Und diese Randfigur des haschemitischen Königshauses beauftragte dann al-Gailani, der islamischem Adel angehörte, patriotisch
war und in der Vergangenheit hohe politische Ämter bekleidet hatte, mit der
Fortsetzung der Regierungsgeschäfte.19
Der Putsch erhielt damit einen fast perfekten Anstrich von Legitimität. Zudem
beteuerte al-Gailani gegenüber den missliebigen Briten Vertragstreue, was bei
Winston Churchill und seinen amerikanischen Unterstützern jedoch nicht verfing. Nach ihrer Überzeugung spielte das neue Regime auf Zeitgewinn bis zum
Eintreffen deutscher militärischer Unterstützung. Sie reagierten schnell und
kompromisslos: keine Anerkennung der Regierung al-Gailani, kein Gesuch zur
Akkreditierung des neuen britischen Botschafters Sir Kinahan Cornwallis, massive Landungen anglo-indischer Truppen in Basra; Ablehnung eines türkischen
Vermittlungsangebots und stattdessen Aufforderung zu einer türkischen Machtdemonstration an Iraks Nordgrenze, wobei Mossul als Köder ausgelegt wurde.20
Das irakische Oberkommando antwortete mit dem Abschnüren des britischen
Luftstützpunktes Habbaniya westlich von Bagdad. London ermächtigte daraufhin seinen nicht akkreditierten hartgesottenen Botschafter, der sich – wie zu
24
1. Das Kriegsgeschehen
Mandatszeiten – in der Rolle eines Hochkommissars wähnte, den Belagerungsring bombardieren zu lassen, was erstmals am 2. Mai geschah. Am nächsten Tag
sagte Hitler deutsche Hilfe für den Irak zu – neun Tage vor v. Blombergs Todesflug über Bagdad und eine Woche vor dem dringlichen Treffen einer irakischen
Abordnung mit dem deutschen Botschaftsrat Kroll in Ankara, bei dem dieser
ohne Umschweife erklärte, dass Irak noch zwei Wochen aushalten müsse, bis
deutsche Kräfte einträfen. Die im Mittelmeer vorhandenen Kräfte waren sämtlich
in Nordafrika sowie in Griechenland und Kreta gebunden. Und Hitlers Priorität
war das Unternehmen »Barbarossa« gegen Russland, er sprach gegenüber Rommel von einem Blitzkrieg von drei Monaten.21
Ein Blick auf das militärische Kräfteverhältnis22 zwischen den Irakern und
Briten verrät nicht nur die aussichtslose Lage der Ersteren, sondern wirft auch
die Frage auf, wie ernsthaft denn in diesen kritischen Wochen Hitlers Beistand
überhaupt gemeint war, ob er nicht längst alles auf die Zeit nach der Unterwerfung Russlands und dem Überschreiten des Kaukasus verschob? Offensichtlich
schien ihn die erdrückende Überlegenheit der britischen Streitkräfte im Irak
Anfang Mai wenig zu bekümmern, wenn denn Berlin überhaupt von seinem
übereifrigen Botschafter Grobba in Bagdad und dem Hasardeur Ribbentrop
umfassend informiert wurde.
Die britische RAF hatte in Habbaniya 80, in Shaiba 48 Kampfflugzeuge stationiert. Aus Jordanien und Palästina konnten weitere 60 einsatzbereite Maschinen mobilisiert werden. Ende April wurde aus Ägypten eine weitere Staffel mit
12 Maschinen nach Habbaniya verlegt. Ihr folgte von dort eine Woche später
eine zweite Staffel mit 16 Hurricans. Ferner wurde am 3. Mai eine Staffel aus
Indien nach Shaiba verlegt. Des Weiteren kreuzte seit Ende April der britische
Flugzeugträger Hermes mit 20 Maschinen des Typs Gloster Gladiator im oberen
Golf. Für Nachschub sorgten außer einigen britischen Maschinen 20 amerikanische Boeing Verkehrsmaschinen, die sich angeblich zufällig in Indien befanden
und von den USA als Geschenk überlassen wurden.
Das ständige Militärpersonal auf den beiden Stützpunkten sowie bei einigen
Pipeline-Stationen zählte insgesamt 3.550 Mann; darunter in Habbaniya ein
Luftwaffen-Panzerbataillon mit acht Panzern und zwei Bataillonen assyrischer,
kurdischer sowie arabischer Hilfstruppen sowie 1.000 Mann Luftwaffenpersonal; in Shaiba zwei Bataillone Hilfstruppen und 500 Mann Luftwaffenpersonal
sowie in Rutba 50 Pioniere.
Bei der Entladung von Bodentruppen in Basra handelte es sich um die gesamte 10. indische motorisierte Infanterie-Division mit insgesamt 14.000 Mann.
Habbaniya wurde zwischen dem 29. April und 1. Mai aus der Luft um weitere
1.600 Soldaten verstärkt. Dabei handelte es sich um Elitekämpfer des First King’s
Own Regiment sowie um ein Gurkha Regiment.
Zu diesen Kräften müssen die insgesamt 5.800 Mann starke britisch befehligte
Eingreiftruppe mit dem Codenahmen »Habforce« (Hab für Habbaniya) sowie
Irak: Zweifelhafte Unterstützung durch die Deutschen
25
die Arabische Legion aus Transjordanien hinzugezählt werden. Sie war eigens
für die Entsetzung des eingeschlossenen Stützpunkts Habbaniya aufgestellt worden und befand sich am 12. Mai bei der IPC Pipeline Pumpstation H4 etwa 80
km vor der irakischen Grenze. Die Briten sollen sogar die jüdische Irgun in
Palästina um militärische Unterstützung gebeten haben.23 Vermutlich hatten die
Briten auch schon Einheiten einer exil-polnischen Division im Irak stationiert.
Ihre Anwesenheit wird zumindest für das darauffolgende Jahr 1942 erwähnt.24
Insgesamt zählten die im Irak-Krieg von britischer Seite eingesetzten Bodentruppen also 23.450 Mann. Ihnen gegenüber standen nominell fünf größtenteils
aus Infanterie und Kavallerie bestehende und zum Teil noch in Ausbildung befindliche irakische Heeresdivisionen. Die als Elitetruppe geltende 3. Division
bestand aus zwei Bataillonen mit 16 Panzern, zwei Panzergrenadierbataillonen
mit 14 Maschinengewehrbestückten LKWs sowie zwei motorisierten Infanteriebataillonen. Die insgesamt aus 56 Flugzeugen verschiedenster Bauart und Alters
bestehende und nicht voll einsatzfähige irakische Luftwaffe verteilte sich auf
mehrere Fliegerhorste in und um Bagdad. Die einzige moderne Einheit war eine
kurz vor dem Krieg aus Italien erworbene Staffel von Fiat G 50 Freccia-Jägern.
Eine spezielle Flugabwehr-Waffe gab es nicht. Die Luftwaffe verfügte über eine
Personalstärke von 1.000 Mann. Die Marine bestand aus nur vier Flusskanonenbooten.
Die Entscheidung im Irak-Krieg fiel im Grunde bereits kurz nach Ausbruch
der Kämpfe in den ersten Maitagen vor v. Blombergs Ehrenrunde, vor Hitlers
halbherzigen Versprechungen und vor Krolls absurden Durchhalteparolen. Am
3. Mai waren auf dem Fliegerhorst Rashid 20 irakische Maschinen, also ein Drittel der irakischen Luftwaffe, am Boden zerstört worden. Bis zum 15. Mai hatten
die Briten auch die restlichen Zweidrittel vernichtet. Schon am 6. Mai hatten die
Iraker die Belagerung des wichtigsten britischen Luftstützpunktes Habbaniya
abgebrochen und sich nach Falluja und Ramadi zurückgezogen, um dort den
britischen Hilfstruppen aus Jordanien den Übergang über den Euphrat zu versperren. Weitere im Süden des Landes massierte Einheiten zerstörten die dortigen
Eisenbahnanlagen und fluteten Deiche entlang des Tigris und in den ausgedehnten Sümpfen, um den anglo-indischen Vormarsch aus Basra zu erschweren. Auf
den nordirakischen Ölfeldern wurden Vorbereitungen zur Zerstörung der Förderanlagen getroffen. Die Militärhilfe aus Deutschland lief eher stockend an.
Erste Lieferungen trafen am 13. Mai per Bagdadbahn in Tell Kochek im türkischsyrisch-irakischen Grenzdreieck ein. Es waren grössten Teils veraltete Infanteriewaffen mit entsprechender Munition aus französischen Beständen in Syrien.
Die Vorbereitungen zur Verlegung von zunächst zwei Fliegerstaffeln mit je zwölf
Messerschnitt-Zerstörern und Heikel-Bombern nach Mossul erfolgte zur selben
Zeit. Zum Hauptquartier der Luft-Operationen im Mittleren Osten wurde Rhodos bestimmt. Eine Transportstaffel von 16 Junkers Maschinen stand in Bereitschaft, die ständige Verbindung zwischen Griechenland, Syrien und dem Irak
26
1. Das Kriegsgeschehen
aufrechtzuerhalten. Zusätzlich sollten auf dem Seeweg Treibstoff und Versorgungsgüter nach Rhodos gebracht werden. Die Einsatzfähigkeit der deutschen
Luftwaffe war von Anfang an durch technische Schwierigkeiten beeinträchtigt.
Ausfälle durch Motorschäden waren an der Tagesordnung. Die Wartung auf den
für Zwischenstopps genutzten Flugplätzen in Syrien war trotz deutscher Techniker unzureichend. Vor allem mangelte es an Tropenausrüstung und besonders
an Sandfiltern. Lokale Treibstoffprodukte waren wegen geringer Oktanzahlen
minderwertig. Für zusätzliche Raffinerieoptimierung musste entsprechendes
Gerät aus Deutschland herbeigeschafft werden. Die britische RAF war dagegen
tropenerfahren und in einwandfreiem technischen Zustand. Ihr hochwertiger
Treibstoff, der aus Burma bezogen wurde, verlieh den Maschinen größere Wendigkeit. Beim Eintreffen der deutschen Flugzeuge zählte die irakische Luftwaffe
nur noch sechs Jäger. Bis zum 20. Mai stiegen die deutschen Verluste auf fünf
Bomber und elf Zerstörer. Am Ende kehrten zwei Heinkel-Bomber (He 111)
und eine Ju 52 aus dem Irak zurück. Diese Zahlen waren umso bemerkenswerter,
als es sich bei den Piloten um hocherfahrene Jagdflieger und Luftwaffenoffiziere
wie General Felmy, Oberst Junck, von Manteuffel, auch von Blomberg und
andere mehr handelte.
Der mehrwöchige Planungs- und Einsatzvorsprung der von Churchill angefeuerten britischen Empire-Streitkräfte war auch aus politischen und strategischen Gründen nicht einzuholen. Bereits am 22. Mai waren der irakische Thronverwalter Abd al-Ilah und Nuri as-Said mit einem englischen Flugzeug von
Jerusalem nach Habbaniya zurückgekehrt. Am 30. Mai übernahmen britische
Truppen wieder die Kontrolle in Bagdad, und drei Tage später wurde eine neue
Regierung unter Jamil al-Midfa’i eingesetzt. Ihr folgte fünf Monate später ein
neues Kabinett unter dem bis Juni 1944 regierenden britisch-loyalen Nuri asSaid. Die deutschen Bündnispartner al-Gailani und das »Goldene Viereck« befanden sich dagegen auf der Flucht in Teheran oder bereits im Exil in Berlin und
Rom.
Für Winston Churchill und die Briten hatte der Irak-Krieg einen doppelten
operativen und existenziellen Stellenwert: Der Irak war ein unerlässlicher Pfeiler
für das in Entwicklung befindliche gewaltige alliierte Nachschubunternehmen
»Paiforce«,25 mit dem die Sowjetunion in die Lage versetzt werden sollte, Hitlers
Unternehmen »Barbarossa« bzw. seine Kaukasus-Pläne zum Scheitern zu bringen, wie es schließlich in Stalingrad geschah. Eine zweite übergeordnete imperiale Dimension erschließt sich aus den Doktrinen maritimer Macht und ihren
geopolitischen Fallstudien, wie sie traditionell zur Erprobung und Analyse im
»Committee of Imperial Defence« (CID) gehörten.26 Danach wurden die spezifischen materiellen und bündnisstrategischen Bedingungen und Interdependenzen für potenzielle Konflikt- und Kriegsszenarien westlich und östlich von Suez
aktualisiert und hinsichtlich ihrer komparativen Bedeutung für die Sicherheit des
Britischen Empires evaluiert. Auf die überragende sicherheitspolitische Bedeu-
Syrien: Schicksalhafte Weltkriegswochen
27
tung des strategischen Rohstoffs Erdöl und seiner unbedingten geographischen
Verfügbarkeit westlich und östlich der neuralgischen Achse des Empires ist bereits hingewiesen worden. Die nationalsozialistische Orient- und Irakpolitik
dagegen blieb letztendlich der zentraleuropäisch-kontinentalen Lebensraumpolitik untergeordnet. Dennoch musste die britische Nahostpolitik auf der Hut
sein. Denn die schlecht koordinierten und improvisierten militärischen Interventionen der Achsenmächte in Nordafrika und im Irak waren unwägbar. Gefahren
einer politischen Umwälzung des Nahen Ostens drohten vor allem in Syrien,
dem strategischen Bindeglied zwischen beiden Schauplätzen.
SYRIEN: SCHICKSALHAFTE WELTKRIEGSWOCHEN
Die frühe Kapitulation Frankreichs und die Kollaboration des Vichy-Regimes
hatten Deutschland die Möglichkeit eröffnet, in Syrien einen strategisch bedeutsamen nahöstlichen Brückenkopf zu errichten. In London und sogar in der
südafrikanischen Kronkolonie schrillten die Alarmglocken. Aufschlussreich ist
eine hochgeheime Lageeinschätzung von General Smuts, die das Foreign Office
am 21. Mai 1941erhielt.27 Darin wurde die Situation als äußerst ernst bezeichnet.
Sollten die Deutschen Syrien mit Luft- und Bodenstreitkräften besetzen, dann
würde es sehr schwer sein, sie wieder hinauszuwerfen. Sie würden eine sichere
Ausgangsbasis sowohl für eine großangelegte Invasion Ägyptens als auch für
ihre östliche Ausdehnung nach Irak und Iran gewinnen. Smuts schätzte diese
Bedrohung Ägyptens als gefährlicher ein, als sie von Libyen ausging, wo die
physisch-geographischen Bedingungen gegen einen großangelegten erfolgreichen Angriff sprächen. Man müsse einer deutschen Besetzung Syriens rasch
zuvorkommen und sich dabei der Frei-Franzosen als Fassade bedienen. Es könnte notwendig sein, sie mit mehr als aus der Luft und zu Lande zu unterstützen.
Die Aktion müsse auf jeden Fall erfolgreich sein und eine Wiederholung von de
Gaulles Fiasko in Dakar vermieden werden. Er hoffe, dass britische Streitkräfte
für eine robuste Unterstützung des französischen Generals Georges Catroux zur
Verfügung stünden.28 Ferner würden sich die Türken höchstwahrscheinlich
standfester gegen deutsche Schmeicheleien und Drohungen verhalten, wenn die
Briten nebenan in Syrien stünden und sie notfalls unterstützten. Smuts drängte
auf ein schnelles Handeln.
Dem Telegramm zufolge waren Smuts schon ähnliche Überlegungen Londons
bekannt. Tatsächlich hatte das Problem Syrien den Briten seit dem deutschen Sieg
über Frankreich auf den Nägeln gebrannt. Folglich hatte Winston Churchill nach
28
1. Das Kriegsgeschehen
der erfolgreichen »Rückeroberung« Bagdads sofort Tempo gemacht, um den
Deutschen und ihrem Vichy-Vasallen Syrien zu entreißen.29
Berlin beeilte sich, Syrien als Nachschub-Basis zu nutzen. Das hatte nicht nur
mit den Waffenlieferungen an den Irak zu tun, sondern jetzt auch mit dem widerspenstigen italienischen Achsenpartner. Denn Mussolini, der die Deutschen
bereits in ein nordafrikanisches Abenteuer verwickelt hatte, pochte mehr denn
je auf einen politischen Führungsanspruch in der Levante. Und dafür hatte er
zum Ärger von Berlins Orientdiplomaten die Rückendeckung Hitlers.30 Unbedacht war den Italienern die alleinige Kontrolle über die Waffenstillstandsauflagen für das von Vichy verwaltete Syrien überlassen worden. Eine Kurskorrektur
erschien Berlins Orient-Diplomaten unumgänglich. Hinter vorgehaltener Hand,
aber gelegentlich auch offen, wurde von der Wiederherstellung Großsyriens in
den Grenzen vor dem britisch-französischen Sykes-Picot-Teilungsabkommen
von 1916 gesprochen.31 Ein arabischer Kongress wurde vorgeschlagen. Zugleich
musste ein modus vivendi mit dem eigenwilligen General Henri-Fernand Dentz,
dem neuen Statthalter Vichys in Damaskus gefunden werden. Zwar hatte der
weder für die Italiener und die Deutschen, noch für de Gaulles »senegalesische«
Frei-Franzosen und Legionäre Sympathien. Er hielt jedoch nach den ersten
Blitzsiegen Hitlers in Europa einen deutschen Endsieg für unausweichlich und
sah in dem deutsch-französischen Arrangement für das Kollaborationsregime
von Vichy die einzige Möglichkeit, das französische Überseeimperium und vor
allem die von französischer Kultur geprägte Levante intakt zu halten. Diese
patriotische Mission bestimmte seine Loyalität zu Vichy.32 Deshalb auch sein
Versuch, Syrien aus jeglicher Verwicklung im Irak herauszuhalten. Denn er mißtraute der imperialen britischen Nahostpolitik – zu Recht, wie sich bald herausstellen sollte.
Und schließlich musste die deutsche Politik schon zu Propagandazwecken
Rücksicht auf die in der arabischen Welt hochgeschätzte syrische Unabhängigkeitsbewegung nehmen. Für diese waren Italiener die bestgehassten Europäer
und de Gaulles Kolonialtruppen schwarze Söldner.
Ribbentrop, der ebenso wie Rosenberg vom Außenpolitischen Amt mit Blick
auf die italienischen Rückschläge in der Cyrenaika und die gelungene deutsche
Besetzung Griechenlands plötzlich große Chancen für eine »nationalsozialistische Hegemonie«33 im östlichen Mittelmeerraum und im Nahen Osten witterte,
forcierte seit dem Frühjahr 1941 die Verhandlungen mit Vichy. Es ging mittlerweile um die Einrichtung einer syrischen Etappe für die Verlegung deutscher
Flugstaffeln nach Mossul. Italienische Flieger wurden in der Erdölstadt Kirkuk
stationiert. Die Zwischenlandungen auf den syrischen Fliegerhorsten bei Damaskus, Aleppo, Rayak, Palmyra und auf entlegeneren Wüstenpisten sollten den
Briten möglichst verborgen bleiben. Nationalitätszeichen wurden unkenntlich
gemacht oder mit den Farben der französischen Trikolore übermalt. Etwa 100
deutsche und eine geringere Zahl von italienischen Flugzeugen passierten in je-
Syrien: Schicksalhafte Weltkriegswochen
29
nen Wochen Syrien, was britischen Agenten nicht verborgen blieb. Die britischen
Bombardements der Munitionstransporte auf der Eisenbahnstrecke von Aleppo
nach Mossul wurden seit Mitte Mai auf die Flugplätze ausgedehnt. Dabei sollten
anfänglich noch französische Verluste vermieden werden, um Vichy nicht vollends in die Arme Hitlers zu treiben. Vor der libanesisch-syrischen Küste errichteten die Briten eine Seeblockade. Am 8. Juni folgte die Invasion Libanons und
Syriens durch hauptsächlich australische, britische und indische Truppen, einige
gaullistische Einheiten34 sowie ein kleines Kontingent jüdischer Hilfstruppen der
Palmach,35 unter ihnen der spätere israelische Verteidigungsminister Moshe Dajan, der bei diesem Einsatz sein linkes Auge verlor. Vichy’s mehrere zehntausend
Mann zählende Levante-Armee aus Fremdenlegionären, Kolonialtruppen, einer
syrisch-alawitischen Sondertruppe, der sich eine kleine vom palästinensischen
War-Lord Fawzi Kaukji geführte gemischt arabische Guerilla inklusive einiger
Palästinadeutscher36 anschloss, kämpfte jetzt verbissen gegen annähernd gleich
starke aber besser ausgerüstete gaullistische und britische Empire-Truppen.
Dieser Krieg, der wegen seiner präventiven strategischen Bedeutung für de
Gaulle und mehr noch für Churchill keinesfalls ein nebensächlicher Feldzug war,
endete bereits fünf Wochen später mit der Kapitulation des französischen Gouverneurs Dentz am 12. bzw. 15. Juli. Die 35.000 Mann starke Levante-Armee
zählte 1.000 Tote, ihre aus mehr als 250 Maschinen bestehende aber nur teilweise einsatzfähige Luftwaffe war zerstört. Mehr als 5.000 Mann sollen sich zu den
Frei-Franzosen bekannt haben.
Es handelte sich insgesamt um schicksalhafte Weltkriegswochen. Die Schuld
für die Tragik, dass in der Levante Franzosen gegen Franzosen gekämpft hatten,
sah de Gaulle bei Hitler. Am 22. Juni begann die Operation »Barbarossa«, mit
der Hitler Russland in drei Monaten besiegen wollte. In Nordafrika wurde eine
sehr erfolgreich gegen britische Geleitzüge operierende deutsche Flugstaffel von
Sizilien an die russische Front verlegt, wodurch sich trotz der Erfolge Rommels
bei Tobruk dessen wachsende Nachschubprobleme für weitere Offensiven abzuzeichnen begannen. Denn die RAF konnte jetzt ungestörter mit Treibstoff
beladene deutsche Tankschiffe versenken. In Syrien-Libanon suchte sich das
neue Regime der Frei-Franzosen durch halbherzige Unabhängigkeitsversprechungen Sympathien zu erkaufen.37 Und sei es auch nur, weil der britische Außenminister Sir Anthony Eden bereits am 29. Mai – mit Blick auf den Irak und
nicht ohne Wagnis – in seiner Mansion House Speech die arabische Karte gezogen hatte. Trotz Bedenken im Kabinett entwarf er darin für die Nachkriegszeit
eine arabische Föderation.38 Da die Bedrohung seitens der Achsenmächte aus
dem Norden über den Kaukasus oder über Bulgarien und die Türkei längst nicht
gebannt war, beharrte Churchill gegenüber dem wutschnaubenden de Gaulle auf
Britanniens de facto militärische Vormachtstellung in Syrien und installierte dort
als Verbindungsstelle zur französischen Verwaltung (und der syrischen politischen Elite) sowie zum Middle East Supply Centre in Kairo seinen General
30
1. Das Kriegsgeschehen
Edward Spears.39 »Only Britain« so urteilt auch der französische Militärhistoriker Henri Wailly, »derived clear profits from the campaign: the occupation of the
buffer zone north of Suez, domination of the French mandate and – this was not
the least of them – that of having strengthened Turkey in its neutrality«.40 Die in
einer Interessensphärenteilung mit Moskau am 25. August erfolgte Besetzung
des Iran verstärkte die alliierte Nachschubroute (Paiforce) nach Russland und
konsolidierte auch den wieder britisch besetzten Irak.
In der Literatur über den Zweiten Weltkrieg und über die Kriegsziele der
Achsenmächte im Nahen Osten wird in vielerlei Variationen die Strategie einer
nahezu gigantischen und im Voraus geplanten Zangenbewegung der Offensiven
in Nordafrika und des Kaukasusfeldzugs in Richtung der irakischen Ölfelder
und des Suezkanals suggeriert. In Grobbas Memoiren geschieht das eher beiläufig. Die russische Einkesselung der deutschen 6. Armee bei Stalingrad habe
den Plan al-Gailanis, über den Kaukasus nach dem Irak zu gelangen, sowie die
Pläne der Italiener und des Großmuftis, mit den deutschen Truppen nach Kairo
zu kommen, hinfällig gemacht.41 Hitler dagegen, so vermutet ein Historiker,
glaubte Anfang Juli 1942 sogar, – darin durchaus mit Rommel übereinstimmend
–, dass die deutschen und italienischen Verbände nach der Eroberung Ägyptens
auch über den Suezkanal und möglicherweise bis zum Persischen Golf vorstoßen
könnten, ohne dass dazu die Mithilfe einer nationalistischen Erhebung notwendig war. Zu einer Vereinigung mit den in Russland heranrückenden Kräften
mussten diese dann lediglich noch aus dem iranischen Hochland nach Mesopotamien hinabsteigen.42 Ein weiterer Historiker hat jüngst die klassische Variante
der Zangenbewegung über den Kaukasus und Nordafrika anhand eines Vorschlags der Seekriegsleitung vom 25. Februar 1942 nachgezeichnet und dabei eine
andere ebenfalls auf Quellen basierende aufschlussreiche Variante zur Rolle der
Türkei nicht kommentiert.43 Heinz Tillmann schreibt hier zu: »Die gigantischen
Schlachten im Don- und Wolga-Bogen und im Kaukasus vernichteten auch den
größten Teil der für den Vormarsch nach dem Iran, dem Irak sowie durch die
Türkei für die Gewinnung des Persischen Golfs und das Aufrollen des Suezkanals vom Osten her vorgesehenen deutschen Angriffsdivisionen.«44 Hier ist sozusagen die nordafrikanische Backe der Zange weggebrochen, was tatsächlich
auch von den Quellen bestätigt wird. In einer vom 12. März 1942 datierten
Aufzeichnung seiner Berichterstattung über die Türkei und die arabische Frage
machte der deutsche Botschafter von Papen die folgenden brisanten Aussagen,
die ein längeres Zitat verdienen: »Ein Unternehmen »Vorderer Orient« verfolgt
in erster Linie große strategische Ziele im Kampf gegen England (Angriff gegen
Ägypten von Osten, Vorstoß zum Persischen Golf, Verbindung mit den Japanern), stellt uns und Italien aber gleichzeitig vor die Aufgabe, die Ordnung im
arabischen Raum in die Hand zu nehmen. Die Rolle, die der Türkei dabei zufällt,
ist nach militärischen und nach politischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Ein
Unternehmen »Vorderer Orient« kann nur mit einer großen, mit modernsten
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