Kultur christlich Nummer 35 · 1. September 2013 BB/GL/SO Extra I „Kultur christlich“ Erster Aufzug Die drei Schwestern Die drei Schwestern sind in die Jahre gekommen. Die eine lästert über die andere: Die Kunst meint, wer sie wäre, und zieht sich immer zu jugendlich an. Die Kirche gibt sich matronenhaft, ein bisschen Schwung täte der gut. Die Kultur lässt sich mit jedem ein, mal heißt sie Event-Kultur, mal HochKultur, mal Streit-Kultur. Die drei Schwestern wissen aber doch, was sie aneinander haben. Die eine kann ganz schlecht ohne die anderen. Die Kirche gibt das gerne zu, mittlerweile. Die Kunst hält lieber Distanz. Und die Kultur erfindet sich eh ständig neu. Heute haben die drei zu einer Party eingeladen. Es kommen das Theater, leuchtend gekleidet, ein Ehrengast. Das Buch hat’s arg im Rücken, schleppt sich aber her: Was wären Kunst, Kirche und Kultur schon ohne das Buch? Leichtfüßig wie immer schaut der Tanz herein, der Film bringt seine Sterne mit, die Architektur sorgt für die nötige Bodenhaftung. Museum, Galerie und Akademie hängen wie immer zusammen. Die Musik ist unverzichtbar, und die Fotografie hält alles fest. Malerei und Bildhauerei sind Stammgäste. Auch die Kinder sind gekommen: E-Book, Face-Book und AirBook kriegen von der Party nicht viel mit, weil sie auf ihre Bildschirme starren. Auf acht Extra-Seiten lässt die Redaktion Sie heute an der Party teilnehmen. Zwei Intendanten erklären, was das Theater mit dem Christentum zu tun hat (diese Seite). Als religiös inspirierten Frankfurter Schriftsteller entdecken wir für Sie – nein, nicht Martin Mosebach, sondern Bodo Kirchhoff (Seite III). Der neue Papst, ein Argentinier aus der Hauptstadt des Tango: Hier lesen Sie, was den Tango so katholisch macht (Seite V). Kirche und Kunst finden zueinander in der Idee, eine mittelalterliche Klosterkirche von Künstlern ausstatten zu lassen, die Behinderungen haben (Seite II). Richard Wagner wollte den „Ersatzgottesdienst“ auf der Bühne: Wir erinnern an sein kompliziertes Verhältnis zum christlichen Glauben (Seite VII). Damit die Party gelingt, braucht es auch nahrhafte Häppchen: Wir fragten Menschen an der Schnittstelle von Kirche und Kultur nach Tipps für die nächste Zeit. Kommen auch Sie zur Party der drei Schwestern. Es wird lustiger als bei Tschechow. Kirche, Kunst und Kultur warten auf Sie. Herzliche Einladung! Ihre Redaktion Inszenierung der Johannes-Passion am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden Foto: dpa/PA Seelische Reinigung durch Mitleid Was hat das Theater mit dem Christentum zu tun? – Antworten von Uwe Eric Laufenberg und Markus Müller In seiner ältesten uns bekannten Form, dem griechischen Theater von 500 vor Christi Geburt hat das Theater nichts mit dem Christentum zu tun – mit der mitteleuropäischen Tradition des Theaters, das sich im Mittelalter aus den Mysterienspielen entwickelte: alles. Natürlich ist dieses Statement eine Verkürzung und birgt nicht die ganze Wahrheit. Denn das Christentum hat sich viele heidnische oder vorchristliche Gebräuche einverleibt und christianisiert, so auch das Theater. Und das Theater hat in seiner 500-jährigen mitteleuropäischen Tradition immer wieder versucht, sich aus dieser Vereinnahmung zu lösen. Eines der bekanntesten Beispiele und in Deutschland mit der nachhaltigsten Wirkung einer Ablösung ist Goethes „Faust“. Die Kirche hat Aufführungen, wo sie konnte, untersagt. Erst 1829 wurde die Uraufführung zu Goethes 80. Geburtstag gewagt, die aber weit entfernt vom Originaltext lag. Zensurbedingte Streichungen betrafen vor allem als anzüglich empfundene und kirchenkritische Passagen; auch alle Verweise auf Gott mussten entfallen. Das Auftreten des Teufels und der Pakt von Faust mit dem Teufel, auch die Wette von Uwe Eric Laufenberg war zuletzt Intendant an der Kölner Staatsoper. In Potsdam inszenierte er 2008 die „Satanischen Verse“ Foto: dpa/PA Gott mit dem Teufel um Fausts Seele, waren Szenen, die dem christlichen Verständnis von Gott und dem Menschen allzu heftig widersprachen. Die Kirche hat das Theater oft gegängelt, wenn das Theater sich der christlichen Lehre scheinbar entgegenstellte. Und das Theater hat oft vergessen, dass es selbst in seiner Urwurzel des vorchristlichen griechischen Theaters ein bewegendes Gemeinsames mit dem Christentum hat: Katharsis und Empathie. Seelische Reinigung durch großes Erleben und Mitleid. Immer wenn das Theater diese seine Urquellen vergisst oder gar bekämpft, wird es zynisch, oberflächlich und unwesentlich. Wenn es diese Urquellen als Ausgangspunkt seiner spielenden Weltuntersuchung nimmt, kann es religiöse Erlebnisse gebären. Richard Wagner hat sein letztes Werk „Parsifal“ Bühnenweihfestspiel genannt und somit geradezu einen Kirchenersatz schaffen wollen, der „Erlösung dem Erlöser“ bringen sollte: Parsifal schließt am Ende die blutenden Wunden von Gottes Stellvertreter auf Erden. Diese Religionsablösung ist übrigens nie in einer Aufführung zu sehen. Es scheint unsichtbare Kontrollmechanismen zu geben, die das Theater vor dem letzten Gang in religiöse Bereiche zurückhalten. Aber so gibt es eine spannungsvolle, reiche und wechselhafte Beziehung zwischen Theater und Christentum, zwischen Kirche und Kunst, zwischen Religion und Spiel. Und in dem sich bedingungslos dem Mitmenschen Zuwendenden sind sich Christentum und Theater sehr nahe. Uwe Eric Laufenberg wird mit Beginn der Spielzeit 2013/2014 neuer Intendant am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden. Seit der Aufklärung hat sich die Bühne, haben sich die Künste von ihrer religiösen Inanspruchnahme durch die Kirche befreit – was dieser naturgemäß nicht immer gefallen hat. Viele Dramaturgen, Intendanten und Künstler haben, zurückhaltend formuliert, ein ambivalentes Verhältnis zur Kirche – und auf der anderen Seite stehen manche Kirchenvertreter dem Theater, von dem sie sich angegriffen und respektlos behandelt fühlen, eher distanziert gegenüber. Und doch bewegen sich gerade in jüngster Zeit beide aufeinander zu. Und das ist gut so, denn Theater und Kirche haben vielleicht mehr miteinander zu tun, als man angesichts mancher Konflikte denken könnte. Zum einen ist beiden eine gewisse Liebe zum Ritual, zur sinnlich-ästhetischen Wahrnehmung und zur Lust am Wort, am Gesang und an der Philosophie zueigen – die Liturgie eines Gottesdienstes vermag auch einen nicht religiösen, aber ästhetisch empfindenden Menschen tief zu beeindrucken. Vor allem aber stellen Theater und Kirche die Grundfragen des Menschen, setzen sich auseinander mit unserer Schwäche, unserer existenziellen Verlorenheit, unserer Vergänglichkeit, unseren Ängsten und Mehr als Fußnoten Unbedingt anschauen: Playmobil-Faust Ausstellungen: Das Städel zeigt ab dem 23. Oktober eine Dürer-Ausstellung. Sie präsentiert das Schaffen des Künstlers in seiner ganzen Breite und in der ganzen Vielfalt seiner malerischen Ausdrucksmöglichkeiten. In der Gestalt und in dem künstlerischen Werk Albrecht Dürers verschmelzen die beiden Renaissancen südlich wie nördlich der Alpen. Die Veranstaltungstrilogie „Kunst & Religion Markus Müller ist designierter Intendant des Staatstheaters in Mainz ab der Spielzeit 2014. Derzeit arbeitet er in Oldenburg. Foto: privat Versuchungen. Beide wagen Utopien, werden umgetrieben von der Frage, wie wir Menschen mit all unseren Fehlern vielleicht doch gut zusammen leben könnten. Und beide denken über den Menschen hinaus – mit dem großen Unterschied allerdings, dass dieses Darüberhinausdenken in der Kirche religiöse Transzendenz meint, also das Aufgehobensein des Menschen in Gott, während das Theater eine Auflösung im Jenseits in der Regel ablehnt und sich deutlich für die diesseitigen Grenzerfahrungen und -überschreitungen und deren dramatischen Ausdruck interessiert. Eckenbrüller spezial“ der Katholischen Erwachsenenbildung zusammen mit dem Akademischen Zentrum Rabanus Maurus widmet sich den Themenkomplexen „Dürers Blick auf den Menschen und auf die Welt, Raum und Zeit“. Kunst&Religion spezial im Städel Museum Frankfurt (Schaumainkai 63): Donnerstag 14. November, 19.15 Uhr Theater: „Playmobil-Faust“. Dagmar Borrmann erzählt die Abenteuer von Faust und Mephisto mit Hilfe von Playmobilfiguren. Unterstützt wird sie von der Schauspielerin Jasaman Roushanaei, dem Musiker Frank Rosenberger und von Olaf Hermann, der die Kleindarsteller per Livecam auf die Leinwand beamt. „Faust II“ sozusagen kinderleicht. Anschließend gibt es eine Diskussionsrunde. So, 6. Oktober, 18 Uhr, Hessisches Staatstheater Wiesbaden – Studio (Einheitspreis: 6,50 Euro, Theatergemeinde Wiesbaden) Kultur kostenlos: Kirchenbau der Moderne in Wiesbaden. Von der Mitte der 50-er Jahre, beispielsweise der Kirche Heilige Familie an der Lessingstraße über in strahlendem weißen Sichtbeton gegossenen Gotteshäusern wie St. Mauritius im Wiesbadener Komponistenviertel bis hin zur jüngst eröffneten Feldkapelle in den Streuobstwiesen Sonnenbergs: Die Stadt des Historismus hat mehr erlebenswerten Sakralraum zu bieten als die schönen Kirchen der Jahrhundertwendezeit. Die „Staurothek“ im Dommuseum Limburg Dr. Simone Husemann leitet das Projekt „Kirche und Kunst“ in Wiesbaden. Foto: privat Im Limburger Diözesanmuseum ist eine Lade mit Holzpartikeln vom Kreuz Jesu aus dem zehnten Jahrhundert zu bewundern, die „Staurothek“. Mein Favorit: „Dernbacher Beweinung“ von 1400. Die Figurengruppe zeigt Maria, in deren Schoß der Leichnam Jesu liegt. Mit Johannes weint sie um ihren Sohn. (thb) staurothek.bistumlimburg.de