198O-2OOO ZWANZIG JAHRE STUDIOBÜHNE DER UNIVERSITÄT - GESAMTHOCHSCHULE SIEGEN DOKUMENTATION EINES KAPITELS SIEGENER THEATERGESCHICHTE Siegen: Universität - Gesamthochschule, 2ooo Zusammengestellt und herausgegeben von Jürgen Kühnel Zwanzig Jahre STUDIOBÜHNE Lohkastenkatharsis: Hochsommer. Ein steifes Premierenpublikums droht in der Gluthitze des vollbesetzten Lohkastens zu ersticken. Schroffenstein letzter Akt. Auf dem Weg zum finalen Blutbad Santing (Heini, schweißüberströmt) und Rupert (Jürgen, ebenfalls schweißüberströmt): „Heiß ist mir, ...“ Ein unterdrückter Lacher. „ ... die Kehle trocken!“ Santing, völlig erstaunt: „Der Wind geht kühl doch übers Feld.“ Weiter kommt er nicht. Die Dämme brechen. Befreit prustet das Publikum los ... Dr. Stephan Becker. Eigentlich ist die Studiobühne immer das Gleiche. Denn es ist immer anders, und es ist immer Jürgen Kühnel - und das ist gut so. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum, auf daß sich nichts ändert. Thomas Brück. Studiobühne: eine Familie Schroffenstein, wie sie im Buche steht, deren Mitglieder nie ganz die Gerechten waren, und nicht immer spielten, Was Ihr wollt, Herr Prinzipal! Oft entlockten die Darsteller ihrem Regisseur nur das Lächeln einer Sommernacht oder die verzweifelte Bemerkung: „Wie es euch gefällt.“ MaMaLuJo!, waren das Erfolge − im Lohkasten − im Pelzmantel, − im Hochsommer, und seit geraumer Zeit das gleiche bewährte Drama, dieselbe Göttliche Komödie im LŸZ. Da capo!!! Katharina Feußner. Studiobühne. Erste Schritte - auf einer Bühne. Die richtige Rolle zur richtigen Zeit. Arbeit - viel Arbeit - Ideen - auch Fehler. Nie Gleichgültigkeit. Publikum ganz nah - fühlte das Herz schlagen. Fühle es heute noch. Jan Hütterott. WIE ES UNS GEFÄLLT. 20 Jahre Studiobühne - das sind: 30 Produktionen von traditionell bis avantgardistisch, unzählige Studentenzimmerspiegel, in denen sich Gestik und Mimik von Studierenden aller Fachrichtungen Textbruchstücken aus verschiedensten Epochen annäherten, das sind Dramen und Glückseligkeit bei der mit Spannung erwarteten Rollenvergabe, Verzweiflung und Inspiration während unzähliger Probewochenenden, desaströse Generalproben und brilliante Premieren, immer neue Rollenkonstellationen auf und hinter der Bühne, die auch schon mal mehrere Spielpläne lang überdauer(te)n (!), und nicht zuletzt die legendären After-hour-Parties bei Jürgen. 20 Jahre Studiobühne sind untrennbar verbunden mit Jürgen Kühnel, dem Marathon-Regisseur, der trotz gegenteiliger Schwüre vom Theater nicht lassen kann und - wie es ihm gefällt - die Siegener Gemüter mit immer neuen Überraschungen verzückt. Dr. Iris Korte-Klimach Dr. Michael Korte Für Klausuren und Prüfungen zu lernen ist nicht immer ganz leicht oder angenehm. Um so schöner ist es, wenn man aufgrund seiner Anstrengungen anschließend erfolgreich ist. Für eine Theaterinszenierung Text auswendig zu lernen, ein Bühnenbild zu gestalten oder ein Gesicht zu schminken ist ebenfalls nicht ganz leicht oder unkompliziert. Das Gefühl nach einer erfolgreichen Inszenierung ist allerdings intensiver als eine nackte Note auf dem Papier. So zu erleben bei der Studiobühne an der Uni Siegen. Markus Krczal. Was mich als Zuschauer immer beeindruckt hatte, konnte ich dann als Koregisseur selbst nachvollziehen: die phantasievolle Genauigkeit, mit der Jürgen Kühnel in Raum-Bildern, also theatralisch denkt. Die ‘Studiobühne’ unterscheidet sich von den meisten Laientheatern, weil sie seit 20 Jahren vor Augen führt, daß Theaterspielen von der Geste lebt, von Positionen und Bewegungen im Raum. Dr. Michael Lommel Daß Theater immer auch ein sozialer Ort ist, haben mir die zehn Jahre gezeigt, die ich im Ensemble der Studiobühne verbracht habe. Ein Ort, um Menschen kennen zu lernen und Freunde zu finden. Ein Ort aber auch, Texte zu entdecken. Zuerst für sich, während der Probenarbeit, dann mit dem Publikum. Die schöne Tradition der Studiobühne, Uraufführungen und Stücke zu zeigen, die selten auf den Spielplänen stehen, hat mir vielleicht mehr über Literatur beigebracht als manches Hauptseminar. Alles Gute zum Jubiläum! Dr. Sandra Nuy. Ich erinnere mich … an das vielleicht kleinste aller kleinen Theater: den Lohkasten. … an die Regiebücher von Jürgen Kühnel mit ihren exakten Skizzen. … an die Übungen zum ‘Lachen in sechs Stufen’. … an das Textlernen beim Abwasch. … an das Lampenfieber vor der Aufführung. … an das blaue Abendkleid der Herzogin. … an die Premierenfeiern beim Chinesen. … an die Produktionspartys im Hause Kühnel. … an tolles Essen im Plastikgeschirr. … an Diskussionen bis 5 Uhr morgens. … an die letzte Verbeugung nach dem letzten Vorhang. … an viele Menschen. Manche von ihnen sind immer noch meine Freunde. Dr. Sandra Nuy. Spielen und Inszenieren, Übersetzen und Adaptieren - quer durch die Jahrhunderte, quer durch die Kulturräume, Medien und Genres: Was für eine wunderbare Chance für Studenten und welche Bereicherung für die Uni! Meinen herzlichen Glückwunsch der Studiobühne zum 2oten und der Universität Siegen zu dieser vitalen und ambitionierten Einrichtung. Und vielen Dank für eine Menge anregender Theatererfahrungen. Ich vermisse sie. Götz Schmedes. Die Studiobühne, das war immer eine Herausforderung: Sich mit einem neuen Stück auseinanderzusetzen, mit jeweils neuen Menschen und für den, der’s wahrgenommen hat, auch mit sich selbst. So wie Theater eben sein sollte, selbst im Kleinen. Die Studiobühne war auch immer wieder Wegkreuzung: Wo sich Freundschaften fanden oder wo ein Impuls einem Leben ganz neue Dimensionen geben konnte. Sicher wird es den meisten gehen wie mir: Während etliche Erinnerungen aus dem Elfenbeinturm der Uni mehr und mehr verblassen, gehören die Bilder von den Proben und Aufführungen der Studiobühne zu dem, das sich eingeprägt hat: Vierfarbig und in 3-D. Peter Seel. Am 27. 11. 199o ist im Kleinen Theater im Lohkasten die jüngste Produktion der Studiobühne zu sehen, eine Theaterfassung von Ingmar Bergmans Wie in einem Spiegel. Eigentlich kann das nicht gut gehen: An der komplizierten Geschichte von Intellektualität, Wahnsinn, Inzest und religiöser Hoffnung werden sich, so ist zu befürchten, die Grenzen des Laienspiels zeigen, zumal in dem kleinen Theaterraum. Doch das Wunder gelingt: Die unprätentiöse Inszenierung stellt präzise die wechselseitige Reflexion der Figuren heraus, und ein homogenes Ensemble läßt die Enge des Lohkastens und alles Laientum vergessen. Gaby Loock in der Rolle der Karin spielt mit ungeheurem Mut und schlägt das Publikum in Bann. Könnte man doch auch zu denen gehören, die so unprätentiös, so wagemutig Theater machen. Kann man! Wenn man sich traut und den spröden Bescheid im kommentierten Vorlesungsverzeichnis („Wer die Unverbindlichkeit eines ‘workshops’ erwartet oder sich auf einen ‘Selbsterfahrungstrip’ begeben will, ist fehl am Platz“) nicht auf sich bezieht. Wie in einem Spiegel hat mich zur Studiobühne gebracht. Die Inszenierungen, bei denen ich in den folgenden Jahren mitwirken durfte, haben nicht nur mein Verständnis für Literatur und Theater verändert, sie gehören nicht nur zu den unvergeßlichen Ereignissen meines Studiums; die Studiobühne war durchaus Medium eines allerdings höchst verbindlichen ‘Selbsterfahrungstrips’. Jochen Venus. Jürgen Kühnel machte nie einen Hehl daraus, wen er lieber nicht auf der Studiobühne sehen wollte: „Wer eine unverbindliche ‘workshop’-Atmosphäre sucht oder sich auf einen Selbsterfahrungstrip begeben will, ist bei der STUDIOBÜHNE fehl am Platz“, beschied er vorab den üblichen Verdächtigen bei Laientheatern. Es erwies sich als Erfolgsrezept für die Studiobühne. Denn wer sich durch ein wenig Engagement unverdächtig machte, der konnte sehr wohl abenteuerliche Erfahrungsreisen machen und nicht nur die eigenen, sondern auch die Grenzen der anderen studieren. Das war superspannend und hat viel Spaß gemacht. Meine aufregendsten Zeiten in Siegen verdanke ich der Studiobühne. Lieber Jürgen, Toitoitoi für die nächsten 2o Jahre! Dr. Tilman Welther 198o Johann Nestroy: Frühere Verhältnisse. Posse mit Gesang in einem Akt. Herr von Scheitermann. Holzhändler: THOMAS GEISEN. Josephine. Dessen Frau: HANAH DÖHR / LEONORE GEORG. Anton Muffl. Hausknecht: JÖRG RODE. Peppi Amsel. Köchin: BRIGITTE SPIESS / CLAUDIA SCHADT. Musik: KLAUS ASCHOFF / SABINE SCHUTTE, Klavier. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 18. Juni 198o im Kleinen Theater Lohkasten. Eine weitere Aufführung am 19. Juni 198o. „Ohne mit großen akademischen Vorschu0lorbeeren bedacht zu werden, ohne Spektakel und Aufsehen hat sich an der Universität Siegen eine Studiobühne etabliert, die nach ihrem Debüt gestern abend im Lohkasten alle Aussichten hat, zu einem nicht zu übersehenden Aushängeschild zumindest des Fachbereichs Sprach- und Literaturwissenschaften zu werden. Unter dem Dozenten Dr. Jürgen Kühnel […] bildete sich ein kleines Amateurschauspielerteam, das mit ebensoviel Enthusiasmus wie undogmatischer Freude am Theaterspiel Johann Nestroys liebenswerte Posse mit Gesang ‘Frühere Verhältnisse’ einstudierte. Daß die Wahl dieses stets ironischen, skeptischen, entlarvenden und angriffslustigen Wiener Komödiendichters überaus prädestiniert war, um in Siegen eine werbende Visitenkarte für das Theater schlechthin zu offerieren, daran herrschte nach 9o Minuten Nestroy bei den über hundert Zuschauern kein Zweifel. Denn die vier Darsteller agierten mit soviel komödiantischer Spielfreude und barocker Lust am Wortwitz auf der unscheinbaren Minibühne, daß der unvergeßliche Menschen-Enthüller Nestroy in all seiner souveränen Weltverachtung und Sprachakrobatik in keiner Weise zu kurz kam. Jedenfalls bewies Dr. Jürgen Kühnel als Regisseur eine glückliche Hand, als er die leichtfüßige Posse einstudierte […]. Die philosophierenden Hausknechte spielen bei dem österreichischen Autor in fast allen seinen Stücken eine dominierende Rolle. Um so erfreulicher, daß mit Jörg Rode als Anton Muffl ein Akteur entdeckt worden war, der es meisterhaft verstand, den Siegerländer Zungenschlag mit dem raunzenden Wiener Dialekt zu vertauschen. Er stellte ein Faktotum von Hausdiener auf die Bühne, dem der Spaßmacher ebenso in den Knochen steckte wie der ironische Besserwisser im Jargon der Wiener Vorstadt. […] eine bravouröse Glanzleistung. Ihm ebenbürtig die wirklich kesse Brigitte Spiess, die als Köchin Peppi Amsel mit viel Koketterie und Grazie den Herren der Schöpfung zuzusetzen verstand. […] Hanah Döhr als standesbewußte Professorentochter und Thomas Geisen als Holzhändler Scheitermann mit zweifelhafter Vergangenheit mischten kräftig mit […]. Klaus Aschoff am Klavier begleitete die wenigen Couplets, die als musikalische Garnierung leider nur am Anfang zu hören waren. Kein Zweifel: Die erste hausgemachte Studiobühnen-Produktion der Universität Siegen erwies sich als ein glücklicher, hoffnungsvoller Start.“ [Ein Faktotum von Hausdiener und eine kesse Mieze. Studiobühne der Universität gab gestern abend ihr Debüt. Siegener Zeitung vom 19. 6. 198o.] 1981 Aleksandr Nikolajevi Ostrovskij: Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste. Komödie in fünf Akten. Deutsch von Johannes von Guenther. Jegor Dmitri Glumov: ROLAND KOCH. Glafira Klimovna Glumova. Seine Mutter: BRIGITTE PICHON. Nil Fedoseji Mamajev. Ein reicher Herr, entfernt mit den Glumovs verwandt: KLAUS TÖBERICH. Kleopatra Lvovna Mamajeva. Seine Gattin: LEONORE GEORG / CLAUDIA SCHADT. Exzellenz Krutickij. Ein alter, sehr bedeutender Herr: JÜRGEN KÜHNEL. Ivan Ivanovi Gorodulin. Ein junger, sehr bedeutender Herr: ULRICH VON FELBERT. Jegor Vasili Kur ajev. Husarenoffizier: JAN HÜTTEROTT. Golutvin. Ein Mann ohne Beschäftigung: HORST LANGER. Sof’a Ignatevna Turusina. Reiche vornehme Witwe aus dem Kaufmannsstand: HANAH DÖHR. Mašenka. Ihre Nichte: BIGITTE SPIESS. Manefa. Ein Weib, das sich mit Behexungen und Vorhersagen befaßt: CLAUDIA SCHADT / LEONORE GEORG. Zwei alte Weiber, die bei der Turusina schmarotzen: JAN HÜTTEROTT. HORST LANGER. Grigorij. Diener bei Turusins / Diener bei Mamajevs / Krutickijs Diener: THOMAS GEISEN. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 6. Juli 1981 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 7., 9. und 1o. Juli 1981. „Wenn auch bei der Premiere das Ensemble eine Anlaufzeit benötigte, so war es am Ende doch beeindruckend, wie die ‘Studiobühne’ das […] mit komplizierten Textpassagen versehene Stück darbot. […] Claudia Schadt spielte ihre Rolle als Kleopatra glänzend. Es war ein Genuß, ihr bei den subtilen Annäherungsversuchen und einem mitunter schmierigen Charme zuzuschauen. […] Die rhetorischen Mittel wurden von Kühnel und seinem Ensemble besonders sorgfältig und variantenreich eingesetzt. Es gab Bravourstücke: Zum Beispiel Ulrich von Felberts näselnder Gentleman-Tonfall in der Rolle des Gorodulin. Jürgen Kühnel als Krutickij bot eine herausragende Leistung. […] Alles in allem: […] Hochachtung vor der Leistung der Studiobühne der Siegener Universität […].“ [hajo: Studiobühne der Uni Siegen erfreute mit virtuosen Leistungen. Siegener Zeitung vom 8. 7. 1981.] 1982 / 1984 Jean Genet: Die Zofen. Tragödie. Deutsche Übersetzung auf der Grundlage der 1947 am Théâtre de L’Athénée uraufgeführten Fassung von Gerhard Hock. Claire: CLAUDIA SCHADT. Solange: BRIGITTE SPIESS. Die gnädige Frau: LEONORE GEORG-SHIRLEY. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 14. Juni 1982 in der Bühne der Volkshochschule, Bismarckstr., Hüttental-Weidenau. Weitere Aufführungen: 15., 17. und 18. Juni 1982. Wiederaufnahme 1984 im Kleinen Theater Lohkasten; Premiere: 3o. Januar 1984. Weitere Aufführungen: 2. und 3. Februar 1984. „Zwei Frauen stehen sich gegenüber. Die eine im weißen Unterrock, die andere im gemusterten Schürzenkleid mit Gummihandschuhen an ihren Händen, die sie vorstreckt. Minutenlang. Ein Standbild. Ein stummes Ritual zur Feierlichkeit der Musik von Verdi, aus dessen ‘Requiem’ ein Satz aus dem Lautsprecher dringt und die Bühne, angefüllt mit Sträußen weißer Blumen, in einen kultischen Totenraum verwandelt. Dazu die Mystik der Dinge: der Kerzenständer, das brennende Räucherstäbchen. Das Hintere der Bühne glänzt golden. Die beiden Frauen, Claire (Claudia Schadt) und Solange (Brigitte Spiess) sind Schwestern und Zofen, einander verhaßt, aber unzertrennlich. In Abwesenheit ihrer ‘gnädigen Frau’ spielen sie etwas Fürchterliches: Mord. Claire schlüpft in die Kleider der Herrin, und sie genießt es, ihre Zofe mit Worten zu malträtieren. (Es ist faszinierend, wie Claudia Schadt die Skala der Tonfälle beherrscht. Rasch wechseln sich Wollust und Hysterie, Arroganz und Zärtlichkeit in der Stimme ab.) Solange wehrt sich nicht, ja sie scheint die Demütigungen teilweise sogar zu genießen! Doch dann wird auch sie zum Wolf; ‘Ich habe es satt, ein Gegenstand des Abscheus zu sein. Auch ich hasse sie!’ (Auch die glänzende Vorstellung von Brigitte Spiess zeigt, daß Regisseur Jürgen Kühnel besonders an den stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten seiner Schauspieler arbeitete.) Mit einer Qual, die ihnen Lust macht, und einer Lust, die sie quält, spielen die beiden Schwestern den Mord an der Herrin, der ‘gnädigen Frau’, mit blutigem Ernst ... bis der Wecker klingelt. Die wirkliche ‘gnädige Frau’ muß gleich eintreffen. [...] In Anbetracht des baldigen Kommens der ‘gnädigen Frau’ nehmen Claire und Solange schnell ihre Rollen als Zofen an. (Die vielen Gesichter der Claudia Schadt und Brigitte Spiess!) Wir erfahren, daß sie den unschuldigen ‘gnädigen Herrn’ mittels anonymer Beschuldigungsbriefe ins Gefängnis gebracht haben. Warum? [...] Für die Schwestern ist der Gedanke, daß der Herr im Gefängnis ist, ein erotisches Faszinosum. Es hilft zugleich, das eigene Domestikendasein, das ihnen buchstäblich stinkt, zu verdrängen. Doch als sie über Telefon erfahren, daß der ‘gnädige Herr’ aus dem Gefängnis kommt, fürchten die Schwestern sich und planen, um nicht ihrer schändlichen Tat überführt zu werden, den echten Mord an der ‘gnädigen Frau’. In Pelzjacke und mit Goldschmuck an Ohren, Fingern und Arm betritt diese den Raum. Rote Lippen, grüne Lidschatten. (Von herrlich morbider Sinnlichkeit, im säuselnden Tonfall einer Berauschten: Leonore GeorgShirley). Eine weitere verrückte, in ihrer Ambivalenz vom Autor bewußt übertrieben gezeichnete Figur. Auch eine Figur, die, wie das Schwesternpaar, das Ineinander von Eros und Tod verkörpert. Die ‘gnädige Frau’ wird zum Lustobjekt der Schwestern, ist aber auch der Blitzableiter für die an das eigene Ich gerichteten Aggressionen. Die Mordtat mißlingt. Die Herrin trinkt die Schale mit dem vergifteten Tee nicht. Sie eilt zum ‘gnädigen Herrn’. [...] Die Schwestern wieder allein. Die Wiederholung des Rituals. Das grausam-lüsterne Mordspiel von Neuem, angeregt durch beißenden Selbsthaß: ‘Ich hasse die Domestiken. Sie sind wie Ausdünstungen, die durch unsere Zimmer streichen.’ Dann erlebt Solange in wollüstigen Visionen das bevorstehende Totenfest, eine prunkvolle Beerdigung in Begleitung des Henkers. Ein Höhepunkt des Stücks: Der lange Monolog der Brigitte Spiess! Jetzt läßt sich Claire von Solange den vergifteten Tee reichen und erhebt sie so zur Verbrecherin, die sie, in einer mystischen Verbindung, ins Gefängnis begleiten wird ... Ein weiterer Satz aus Verdis ‘Requiem’. Das Ende der Totenfeier. Genets doppeldeutiges Ineinander von Verdrängung und Ersatzhandlung, angesiedelt im Grenzbereich von perversem Traum und schrecklicher Realität, auf die Bühne zu bringen, bedeutet zweifellos Kühnheit, weiß man doch, daß ‘Die Zofen’ in ihrer Aufführungsgeschichte schon für reichlich Skandale gesorgt hatten. Jürgen Kühnel [...] hatte diesen Mut und brachte dieses Stück in einer sorgfältigen Inszenierung, die vom Publikum bei der Premiere mit frenetischem Beifall bedacht wurde. Ein wesentlicher Grund, warum Kühnel sich an dieses nicht nur gewagte, sondern auch spieltechnisch nicht gerade einfache Stück wagen konnte, liegt ganz einfach darin, daß er fähige, ja äußerst begabte Schauspielerinnen zur Verfügung hat. Claudia Schadt, Brigitte Spiess und Leonore Georg [...] boten auch gestern wieder Großartiges.“ [hajo: Das wollüstige Endspiel der schrecklichen Schwestern. Siegener Zeitung vom 15. 6. 1982.] „[...] eine herausragende Aufführung, die vom Stück gestellten Forderungen an die Akteurinnen wurden in jeder Phase erfüllt, Amateurtheater wäre da sicherlich ein unpassender Ausdruck. [...] hervorzuheben sind die Leistungen von Claudia Schadt, Brigitte Spiess und Leonore Georg, für deren mimische Zukunft hoffentlich folgendes Zofen-Zitat gilt: ‘Es bleibt uns nur übrig, das Spiel fortzuspielen!’“ [ab: „Die Zofen“: Haß und Sadismus im Schlafzimmer. Westfälische Rundschau vom 16. 6. 1982.] 1982 Federico García Lorca: Bluthochzeit. Lyrische Tragödie in drei Akten und sieben Bildern. Deutsch von Enrique Beck. Die Mutter: CLAUDIA SCHADT. Der Bräutigam: JAN HÜTTEROTT / ROLAND KOCH. Die Nachbarin: INGRID GÄNG. Die Braut: BRIGITTE SPIESS. Der Vater der Braut: THOMAS GEISEN. Die Magd: LEONORE GEORG-SHIRLEY. Leonardo: HERB RAY / JÜRGEN KÜHNEL. Die Frau Leonardos: ULRIKE MÜLLER-CHARLES. Die Schwiegermutter Leonardos: GUDRUN WURM. Erstes Mädchen: UTE SCHMIDT. Zweites Mädchen: MONIKA SCHWARZ. Das kleine Mädchen: AFRA JANOTA. Erster Bursche: THOMAS MÜLLER. Zweiter Bursche: MICHAEL GEHRKE. Der Mond: REINHARD PACZESNY. Der Tod als Bettlerin: CORNELIA WEBER. Erster Holzfäller: THOMAS MÜLLER. Zweiter Holzfäller: MICHAEL GEHRKE. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 11. Juli 1983 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 12., 14. und 15. Juli 1983. „Einen weiteren Höhepunkt des Sommertheaters in Siegen bot am Montag Abend die Studiobühne der Universität mit ihrer Inszenierung der ‘Bluthochzeit’, einer bisher selten aufgeführten lyrischen Tragödie des Dichters Federico García Lorca. [...] Die Inszenierung im ausverkauften Lohkasten, der am Premierenabend zum Brutkasten wurde [...] stand unter der Regie von Dr. Jürgen Kühnel. Seine Bühnenanordnung war ungewöhnlich, dem lyrischtragischen Charakter des Theaterstückes aber durchaus angemessen. Mit schlichten Mittel, und das war an diesem Ort erzwungen, erzielte er dennoch nachhaltige Effekte, die das Publikum beeindruckten. Sämtliche Aktionen fanden zwischen den beiden Publikumshälften, in der Mitte des eigentlichen Parketts statt. Ein Bühnenbild existierte nicht, es gab lediglich zwei Stellwände, Stühle und einen Tisch. Fast war die Fläche ein wenig zu klein für die zahlreichen Personen, die zeitweilig darauf Platz finden mußten. Zum einen ist da die Mutter des Bräutigams, dargestellt durch Claudia Schadt. Diese Rolle war sicher eine der schwierigsten, verlangt sie [...] doch Gefühl für den sehr strengen Charakter der Alten und zugleich eine Portion gehöriger Mobilität [...] [für] das einmalige, geradezu amorphe Temperament der Mutter [...]. Die Darstellerin löste dieses Problem mit bemerkenswertem Rollenverständnis. [...] Herb Ray [Leonardo] verkörperte als temperamentvoller und egozentrischer Hitzkopf das böse Element, den Widersacher zum treuen, gutgläubigen Bräutigam (Jan Hütterott) [...]. Stellte dieser einen eher besonnenen Charakter dar, so ist Leonardo der Inbegriff eines südländischen Mannes. Rasend vor Eifersucht stürzt er in den tödlichen Kampf mit dem [...] auf Blutrache sinnenden Bräutigam. Die alles übertönende Musik Richard Wagners verschärfte die ganze Szene und machte sie zur dramatischsten der Tragödie. Beide Schauspieler konnten mehr als nur die wesentlichen Charakterzüge herausstellen [...]. Die Braut, um die sich letztendlich doch alles abspielt, schwankt zwischen Selbstaufgabe und Vernunft. Dieser Gewissenskonflikt, den die Darstellerin Brigitte Spiess bis zur Pause leider nicht natürlich genug verdeutlichen konnte, ließ sie bis dahin ein wenig flach wirken. Ganz anders jedoch dann die Szene, als sie die beiden toten Verehrer beweint. Hier kommen ihre Gefühle, ihr Zwiespalt voll zum Ausdruck und gleichen sich der lebendigen Dramatik der Mutter des Bräutigams an. Bühneneffekte untermalten zum Teil die Nebenrollen, so den Mond, dargestellt von Reinhard Paczesny, der schemenhaft in einen schwarzen Umhang gehüllt war, welcher sich zeitweise öffnete und die silberne strahlende Mondscheibe den Blicken freigab. [...] Das Publikum honorierte die hervorragende Gesamtleistung aller Beteiligten mit lang anhaltendem Beifall.“ [Zwischen Forschritt und alten Bräuchen. Studiobühne der Universität zeigt García Lorcas „Bluthochzeit“. Siegener Zeitung vom 13. 7. 1983.] 1984 Pierre Augustin Caron de Beaumarchais: Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit. Komödie in fünf Akten. Deutsche Übersetzung von Gerda Scheffel. Graf Almaviva: RALF SCHMITT. Die Gräfin: CLAUDIA SCHADT-KRÄMER. Figaro: JAN HÜTTEROTT. Suzanne: BRIGITTE SPIESS. Cherubim: GUDRUN WURM. Marceline: BRITTA NEHLSEN. Dr. Bartholo / Bazile. Musiklehrer: JÜRGEN KÜHNEL. Antonio: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Fanchette. Seine Tochter: RIKE ALFES. Dorfrichter: THOMAS GEISEN. Musikalische Arrangements: RÜDIGER GANS. JAN HÜTTEROTT. GUDRUN WURM. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 14. November 1984 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 16., 23., 24. und 27. November 1984. „Noch nie ist Kühnel [...] so frei, so unbeschwert, aber eben auch so risikofreudig an einen Text herangegangen. Das fängt schon mit den umfangreichen Streichungen an. Für andere Regisseure bestand der Reiz des am Vorabend der französischen Revolution angesiedelten Intrigenspiels darin, die gesellschaftskritischen Akzente zu unterstreichen und darüber hinaus zu aktualisieren. Nichts von armstarker Verhöhnung des Adels in Kühnels Inszenierung! Er befreite das turbulente Geschehen am Schloß des Grafen Almaviva von seiner allenfalls noch von nimmersatten Geschichtshubern geforderten Emphase für das Recht des dritten Standes und den Sieg der Menschenrechte. Kühnel ist der alle gesellschaftlichen Stände sowohl auflösenden als auch bloßstellende Zyniker mit der Clownsmaske, der anstelle eines redlichen Parteienspiels (der Sieg des Dienerpaares über die Aristokraten) einen kunterbunten, geradezu anarchischen Tummelplatz in Szene setzt. Das eitle Spiel der Leidenschaften, Eifersüchteleien und Verkleidungen blüht wie Gänseblümchen und Dornrosen, Stiefmütterchen und Schwertlilien, alles durcheinander, im verwilderten Garten mit Namen: Gesellschaftszirkus. Grelle, ja kitschige Farben, ob der Kostüme oder der Requisiten, verschmäht die von der ersten bis zur letzten Minute flirrende und flatternde Aufführung nicht. Symbolisch dem Handlungsverlauf folgend, wird die Bühne mit all ihren liebevoll ausgesuchten Details in Gelb, dann in Blau, in Rot, dann in Grün getränkt. Pappbäume und pöttchen, Papiergirlanden und Popsongs, Protz und Pantomimen sind unabdingbare Bestandteile eines bewußt ‘schrägen’ Spiels. (Wie herrlich schief der Hochzeitsmarsch auf dem alten Harmonium klingt!). Indes: Die Sache wird da zum gefährlichsten Seiltanz, wo sich bei aller Liebe zu Slapstick und Karikatur in der Tiefe das Krokodil nicht übersehen läßt. In so mancher Szene nämlich sperrt es sein Maul auf und faucht: Klamauk! Klamotte! - Aber ‘Krokodile’ saßen bei der Premiere kaum im Publikum. Angesichts einer insgesamt feinen Schauspielerleistung entschied sich selbst der Kritischste im Publikum dafür, eine Metamorphose zum lustigen Lurch durchzumachen. Im Ernst: das Ensemble verstand es, die nicht gerade leichte Aufgabe, über die Distanz zum schlößlichen Treiben hinaus, eine gehörige Portion Selbstironie zum eigenen Spiel zu vermitteln, überzeugend zu lösen. Da ist zunächst einmal ein kecker Latzhosen-Figaro mit Walkman (Jan Hütterott), anfänglich ein wenig blaß, später aber bravourös, der bewiesen hat, daß Kühnel - bis dato weniger glücklich in der Besetzung männlicher Rollen - endlich einen talentierten Darsteller gefunden hat. Wieder einmal prachtvoll Claudia Schadt-Krämer. Diesmal in der Rolle der unter ihren stöhnenden Bedürfnissen ach so leidenden, nixenhaft-gravitätischen Gräfin in lachsrotem Fummel. Der knurrige Graf (Ralf Schmitt) blieb dagegen ein wenig hölzern. Nicht ganz einsichtig, warum er eher einen zackigen Zähnefletscher als den alten Charmeur ausspielte. Mal bockig, mal kokett, manchmal raffiniert, manchmal naiv: Dienstmädchen Suzanne (wieder einmal schön: Brigitte Spiess). In weiteren Rollen gefielen Kühnel selbst als Musiklehrer mit den überdimensionalen Ohren, damit er besser intrigieren kann, Britta Nehlsen als mondäne Marceline mit der knallroten Perücke, Thomas Geisen als stotternder Richter, Klaus-Heinrich Schmitz als täppischer Gärtner und Rike Alfes als dessen süßes Töchterchen im Mickeymaus-Hemd. Für die köstliche Rolle des Pagen Cherubim hatte Kühnel eine Trumpfkarte zur Hand. Gudrun Wurm (ja, eine Frau!) als bübischer Irrwisch in Jeans und Uniformjacke, Lüstling und Lustobjekt zugleich, ist die Entdeckung des Abends! Mimik, Gestik, Stimme: bei ihr stimmte alles. Herrlich, wie sie bei besonders pikanten Worten schielen kann. Als sie zu jenem berühmten Sprung aus dem Fenster ansetzte, blieb nicht nur dem Rezensenten das Herz stehen. Bei dieser Szene hatte sich nämlich Gudrun Wurm bei den Proben eine böse Fußverletzung zugezogen, weshalb sie für lange Zeit ins Krankenhaus kam und die heftig beklatschte Premiere sich um Monate verzögerte.“ [hajo: Figaros Hochzeit Tummelplatz eitler Leidenschaften. Siegener Zeitung vom 16. 11. 1984.] „In Jürgen Kühnels Inszenierung geht es zwar ‘nur’ noch darum, wer mit wem flirtet und wer wen mit wem erwischt, aber das turbulente Verwirrspiel der Liebeleien mit reichlich Frivolität auf der Bühne steckt voll von gekonnt gemachtem, herzhaftem Klamauk, der ohne Anspruch auf Hintersinnigkeit einige heftige Attacken auf die Lachmuskeln reitet. Jeder Anlaß zur Komik wird mit kräftiger Theatralik ausgekostet, alle Figuren sind ein bißchen überzeichnet, ein bißchen Karikatur. Zum Slapstick-Stil passen auch Kostüme und Bühnenbild: Kein bißchen Rokoko, sondern modische Alltagskleidung von heute in popigen Farben, wenig Requisiten und als Musik statt Mozarts ‘Figaro’ heiße Disco-Rhythmen. [...] Jan Hütterott spielt den Figaro gar nicht so patent und schlagfertig, wie man erwartet, er wirkt als ständig ins Stottern geratender Ausredenerfinder mit verlegenem oder schadenfrohem Grinsen viel komischer. Ralf Schmitt als Graf legt viel Emphase in die permanenten Wutausbrüche des unentwegt gelackmeierten Casanova-Almaviva, er wirkt bloß etwas hölzern. Claudia Schadt-Krämer als Gräfin: geziert, sentimental, schmollend und gar nicht so tugendhaft, wie man sich die verlassene Gattin denkt. Am flexibelsten zeigt sich Brigitte Spiess: Erfrischend natürlich verkörpert sie eine abwechselnd resolute, kokette, impertinente und zärtliche Suzanne. Überraschend gut besetzt sind die kleineren Rollen, die süße Fanchette zum Beispiel: Rike Alfes spielt sie entzückend naiv und spitzbübisch. Urkomisch ist auch Klaus-Heinrich Schmitz als dämlicher und besoffener Gärtner Antonio. [...] Eine echte Entdeckung als Schauspielertalent ist Gudrun Wurm. Sie spielt den kleinen Pagen Cherubim so herrlich kindisch patzig und burschikos, heftig pubertierend und liebestoll nach allem Weiblichen (schon ihr Mienenspiel ist ein Genuß), daß alle ihre Szenen zu Lachschlagern werden. Bestleistung! Fazit: Die Studiobühne bietet nicht das, was man sich unter einem Stück aus dem 18. Jahrhundert vorstellt. Aber das schadet nichts, man wird im Gegenteil zwei Stunden [...] bestens unterhalten. In die originelle Schlußszene, wo die Bühne zur Disco wird, mischt sich schon kräftiger Applaus.“ [la: „Ein toller Tag“ - ein toller Klamauk“. Westfälische Rundschau vom 26. 11. 1984.] 1985 Jean-Paul Sartre: Die Fliegen. Deutsche Übertragung von Gritta Baerlocher. Jupiter: REINHARD PACZESNY. Die Erinnyen: BRIGITTE SPIESS. INGRID GÄNG. GUDRUN WURM. Ägisth: CHRISTOPH LATOS. Klytämnestra: SUZANNE LEGG. Orest: JAN HÜTTEROTT. Elektra: CLAUDIA SCHADT-KRÄMER. Pädagoge: KARSTEN REINCKE. Oberpriester: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Eine Alte: GUDRUN WURM. Bühnenbild: LUTZ DRANSFELD. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG: Pier Paolo Pasolini: Pylades. Deutsch von Heinz Riedt. Pallas Athene: LEONORE GEORG-SHIRLEY. Die Eumeniden: BRIGITTE SPIESS. INGRID GÄNG. GUDRUN WURM. Orest: JAN HÜTTEROTT. Pylades: JÜRGEN KÜHNEL. Elektra: CLAUDIA SCHADT-KRÄMER. Eine Dienerin Elektras: INGRID GÄNG. Ein Bauer / Ein Bote: HERIBERT GIETZ. Ein Soldat: CHRISTOPH LATOS. Chor I: REINHARD PACZESNY. KARSTEN REINCKE. KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. SUZANNE LEGG. Chor II: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. SUZANNE LEGG. Bühnenbild: LUTZ DRANSFELD. Projektionen: ANDREAS TRESKE. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 25. Juni 1985 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 27. und 28. Juni, 9., 14. und 15. November 1985. „ ‘Zuerst wollte keiner in der Gruppe dieses Stück haben, und dann haben wir es doch genommen’ […] Gemeint ist Pier Paolo Pasolinis ‘Pylades’. Das Thema des nur anfänglich ungeliebten Spiels basiert auf der ‘Orestie’ des Äschylus, ebenso wie die ‘Fliegen’, das Sartre-Schauspiel, dessen Aufführung dem ‘Pylades’ vorangestellt wird. In dieser Kombination ist am 25. Juni eine Welturaufführung im Lohkasten zu erwarten. Eine deutsche Erstaufführung stellt die Präsentation des davor nur zweimal in Italien gezeigten ‘Pylades’ mit Kühnel in der Titelrolle - ohnehin dar. Angefügt an das Sartre-Stück, an dessen Ende die absolute Freiheit des vernunftbezogenen Menschen fern von jeglicher Gottesvorstellung steht, führt Pasolini, dessen herausfordernde Filme zu dem antiken Stoff weit bekannter sind als sein geschriebenes Werk, diese Aussage ad absurdum. Auch das moderne demokratische Rechtsbewußtsein, an die Stelle von Abhängigkeit, Angst und Aberglauben gestellt, muß im Versuch seiner Verwirklichung scheitern. Daß schwierige Stücke die Akteure nicht einschüchtern, wurde bereits mit Genets ‘Zofen’ und Lorcas ‘Bluthochzeit’ unter Beweis gestellt. Die Aufführung von Pasolinis an sich bühnenunwirksamem Worttheater - im Zusammenhang mit dem ideenbefrachteten philosophischen Debattierstück Sartres - stellte Regisseur Kühnel vor die Aufgabe, dem Publikum Brücken zu bauen, die verbindend über die hier philosophisch beleuchteten - in Konsumterror und Technisierung gipfelnden Zeitabschnitte führen. Die Pasoliniszenen werden verbunden durch Einblendungen von musikalisch untermalten Diaserien. Beispiel: Dem antiken Bild vom Kinderopfer im Schlachtkessel folgen Dias über KZ-Folter, dazu - als harter Appell an die Gleichgültigkeit die Musik: ‘Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.’“ [M.A.: Stücke nach antikem Modell als Deutsche Erstaufführung. Westfälische Rundschau vom 21. 6. 1985.] „Wahrscheinlich sind Jean Paul Sartres ‘Fliegen’ noch nie auf einer so kleinen Bühne vorgestellt worden, wie in dieser Woche […] im Lohkasten. Im Format radikal reduziert hatte Jürgen Kühnel auch den Text, ohne daß das Verständnis verloren ging. Und mit Sicherheit hat noch kein Ensemble einen so nahtlosen Übergang zu einer Fortsetzung der ‘Fliegen’ geschaffen wie die Uni-Truppe, die das Stück des italienischen Autors und Filmemachers Pier Paolo Pasolini dem Sartre-Drama anfügte. Das Publikum im […] dichtbesetzten Lohkasten zeigte sich hell begeistert und spendete Blumen. Vor kalter, weißer, blutbespritzter Kachelwand (Bühnenbild: Lutz Dransfeld) wird Sartres vorgefaßte Verkündigung seiner Freiheitsphilosophie abgehandelt, am Schicksal der Stadt Argos und ihrer Schuldigen. Claudia Schadt-Krämer war eine leidenschaftliche, von wandelbaren Gefühlen geschüttelte Elektra. Jan Hütterott spielte sensibel - vor allem mimisch sehr ausdrucksstark - den um seine Selbstverantwortlichkeit wissenden Orest. Perfekt und souverän Reinhard Paczesny, der schon mit Soloprogrammen auftrat, als Gott Jupiter. […] Elektra und Orest setzten das Spiel fort im ‘Pylades’, dem Pasolinistück, das die Idee der Sartreschen Freiheit fortführt und scheitern läßt. Großartig angelegt und besetzt die Furien, nicht abstoßende Ungeheuer, sondern faszinierende Geschöpfe zwischen Vamp und Sirene. Sehr wirkungsvoll im ‘Pylades’ die szenenverbindenden Diaserien, die Schlaglichter auf die Epochen bis zur Gegenwart werfen. Als Pylades gelang Jürgen Kühnel eine sehr verinnerlichte Charakterstudie. Gemeinsames Engagement, das manche Profis nicht bieten, schuf die Harmonie im Ensemblespiel.“ [M.A.: Neuer Erfolg für Studiobühne. Mehr Feuer als viele Profis. Westfälische Rundschau vom 29. 6. 1985.] „Eine besondere Magie versprühten die Auftritte der Fliegen (Brigitte Spiess, Ingrid Gäng, Gudrun Wurm), die Elektra umschwirren. Mit ihren tänzerischen und anmutigen Bewegungen schufen sie eine entspannte Atmosphäre, die Elektra fast dankbar für ihr Verbrechen büßen ließ.“ [Wissen über menschliche Freiheit wirkt ansteckend. Siegener Zeitung vom 28. 6. 1985.] 1985 - Fünf Jahre STUDIOBÜHNE. „‘In erster Linie das Niveau halten!’ Auf die Frage nach dem obersten Ziel für die Zukunft der ‘Studiobühne’ antwortet ihr Leiter gleichermaßen selbstbewußt und bescheiden. Aus seinem Stolz über das in fünfjähriger Theaterarbeit mit Studenten der hiesigen Universität Erreichte macht er keinen Hehl. Bei einem Gespräch mit der SZ auf dem sonnenüberfluteten Balkon seiner Wohnung in Anzhausen zeigen sich dennoch Sorgenfalten in seinem Gesicht. ‘Besser als wir zur Zeit sind, können wir in absehbarer Zeit nicht werden.’ Die Gründe für das zugegeben hohe Niveau der Laienbühne liegen auf der Hand. Jürgen Kühnel kann auf Schauspieler zurückgreifen, die von Anfang an dabei sind. Frauen wie Claudia SchadtKrämer oder Brigitte Spiess, von Beginn an herausragende Talente, verstehen es nicht nur, sich der Hand des Regisseurs zu fügen, sondern darüber hinaus dem Spiel einen unverwechselbaren Charakter zu geben. Zeitweise stand die ‘Studiobühne’ in dem Geruch, keine adäquaten männlichen Pendants in dem Ensemble aufzuweisen. Auf ‘Gaststars’ sozusagen war Kühnel angewiesen, auf Herb Ray etwa, der zurück in Kanada ist, oder den Anglisten Reinhard Paczesny, der gerade in Sartres ‘Fliegen’ wieder zum Einsatz kam. Zu den Entdeckungen zählt der Regisseur den Musikstudenten Jan Hütterott. In einer Nebenrolle debütierte er. 1984 spielte er die Titelrolle in Beaumarchais’ ‘Figaro’, und in Sartres Stück verkörperte er den Orest. Das Erstaunliche: Keiner der in fünf Jahren annähernd fünfzig Darsteller kann sich auf ein theaterwissenschaftliches Studium stützen. Einfach aus dem Grunde, daß die Universität Siegen einen solchen Studiengang nicht anbietet. Versuche, daran etwas zu ändern, schlugen fehl. Vielleicht ist es aber gerade die Unbefangenheit, ein gewisses Maß an Naivität, daß die Spielfreude der Akteure beflügelt. Karrieredenken liegt ihnen fern. Daß die Proben ordentlich über die Bühne gehen können, dafür sorgte in den vergangenen Jahren auch der ‘Kulturkreis Siegerland’, der dem einzigen kontinuierlich arbeitenden Ensemble in Siegen das Kleine Theater ‘Lohkasten’ zur Verfügung stellt. Er ist auch die Spielstätte für die bislang immer ausverkauften Stücke. Der ‘Kulturkreis’ hatte sogar ein Stück der ‘Studiobühne’, Jean Genets ‘Zofen’, in sein reguläres Programm aufgenommen. Irgendwelche Gelder, außer dem Eintrittsgeld, fließen Kühnels Truppe indes nicht zu. Ein gewiß nicht lobenswerter Zustand, der den Verwaltern des Universitätssäckels angesichts des wachsenden Erfolgs der Aufführungen zu denken geben müßte. Jürgen Kühnel räumt allerdings ein, daß der Zustand der Nichtsubvention künstlerische Unabhängigkeit garantiere. Anfänglich an ein reines Universitätspublikum gebunden, hat die ‘Studiobühne’ mittlerweile durchaus den Weg herausgefunden aus dem Ghetto. Sie hat einen festen Platz im Siegener Kulturleben. […]. Angefangen hat alles im November 1979. Drei Wissenschaftler fanden sich nicht mehr damit ab, daß an Siegens Uni kein hausgemachtes Theater gespielt wurde. Übrig blieb Jürgen Kühnel, der erst 1977 aus Stuttgart kam, wo er promoviert und als Assistent am Institut für Literaturwissenschaft gearbeitet hatte. Als Rezitator hatte er schon einige Erfahrungen gesammelt. Schauspielunterricht hatte er von Lilo Barth bekommen, einer renommierten Lehrerin und zeitweiligen Leiterin der Stuttgarter Schauspielschule.1 Eine Dialektkomödie stand am Beginn. Nestroys ‘Frühere Verhältnisse’, ein Stück für vier Personen, dem damaligen Umfang des Ensembles angemessen. Zweimal wurde es im Lohkasten aufgeführt. Die Existenz der Gruppe sprach sich herum. An stetigem Zuwachs 1 Die Schauspielerin und Theaterpädagogin Lilo Barth-van Buren (19o8-1994) lehrte seit 1956 an der Stuttgarter Schauspielschule und war von 1971 bis 1973 deren Leiterin; zu ihren Schülern gehören u.a. Johannes Schaaf, Klaus Michael Grüber und Klaus Maria Brandauer. sollte es Jürgen Kühnels Gruppe nicht mangeln. So war es dann auch nicht verwunderlich, daß im zweiten Stück, 1981, Ostrowskijs Komödie ‘Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste’, einfach zu viele Akteure sich auf der ohnehin schmal bemessenen Bühne des Lohkastens tummelten. Kühnel […] wollte möglichst vielen Spielfreudigen eine Chance geben. Mit dem Resultat, daß sich im folgenden die Spreu vom Weizen trennen sollte. Kühnel war jedenfalls gut beraten, es im folgenden Jahr mit einer Inszenierung zu versuchen, in der ausschließlich Platz für Akteure war, die sich in den von Jugendsünden nicht freien ersten Arbeiten bewährt hatten. Das waren nun einmal drei Studentinnen: Claudia Schadt, Brigitte Spiess und Leonore Georg. Und ein Stück für drei Frauen sind Jean Genets ‘Zofen’. Jürgen Kühnel inszenierte das, wie die SZ damals schrieb, ‘wollüstige Endspiel der schrecklichen Schwestern’ ganz auf eigene Faust. Die weniger kompromißbereite Haltung des Regisseurs führte das Ensemble gleichermaßen zu einer Wende und zu einem Höhepunkt. Kühnel fand in den ‘Zofen’ sozusagen zu seinem Stil. Mit dem Mut zu poetischen Überhöhungen, zu symbolträchtigen Aussagen auch im Bühnenbild verließ er das Terrain eher realistischer Interpretationen in den beiden ersten Inszenierungen. Was von der Siegener Theaterkritik und vom Publikum sehr begrüßt wurde. Die Bearbeitung von García Lorcas ‘Bluthochzeit’ im Jahre 1983 setzte Jürgen Kühnels an Wieland Wagner - aber auch an Zadek und Ciulli - gemahnendes archetypisches, mythisches Theater fort. Und wieder fand das blutige Ausmaße annehmende Verhältnis zwischen den Geschlechtern im Vordergrund. Nach zwei finsteren, schwermütigen Stücken dann ein großer Theaterspaß! Ein Spektakel geradezu. Ungemein bunt, frei von jedem Revolutionspathos sprudelte man in ‘Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit’ nach Beaumarchais’ seinerzeit skandalträchtigem Stück. Gern noch denkt man zurück an Jan Hütterotts fulminante Leistung in der Hauptrolle und an Gudrun Wurms kecken Einstieg als Cherubim. Intellektueller wurde es wieder in Sartres ‘Fliegen’, Ende Juni dieses Jubiläumsjahres aufgeführt. Allein, mit dem wahrlich nicht selten gespielten philosophischen Debattierstück begnügte sich Kühnel nicht. An die Seite von Sartre stellte er, für den Zuschauer eine ernste intellektuelle Herausforderung, in deutscher Erstauführung (!) Pasolinis Neubehandlung und Fortführung des Revolutionsstoffs. […] Wie der Kulturkreis Siegerland jetzt bekannt gab, werden Sartres ‘Fliegen’ und Pasolinis ‘Pylades’ aufgrund des großen Publikumserfolgs am 9., 14. und 15. November im Lohkasten wiederholt. [hajo: ‘Studiobühne hat einen festen Platz im Siegener Kulturleben. Fünf Jahre besteht das Ensemble der Universität unter Leitung von Jürgen Kühnel. Siegener Zeitung vom 23. 8. 1985.] 1986 Heinrich von Kleist: Die Familie Schroffenstein. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Textfassung nach Hans Neuenfels. Rupert Graf von Schroffenstein aus dem Hause Rossitz: JÜRGEN KÜHNEL. Eustache. Seine Gemahlin: INGRID GÄNG. Ottokar. Ihr Sohn: MARKUS LANGER. Johann. Ruperts natürlicher Sohn: KLAUS-PETER SPÄTH. Sylvius. Graf von Schroffenstein aus dem Hause Warwand: REINHARD PACZESNY / *STEPHAN BECKER. Sylvester. Sein Sohn. Regierender Graf: KLAUS TEXTOR. Gertrude. Sylvesters Gemahlin: SUZANNE LEGG / *DAGMAR WÜRTHEN. Agnes. Ihre Tochter: GUDRUN WURM. Jeronymus (Jerome) von Schroffenstein aus dem Hause Wyk: ANDREAS TRESKE. Vasallen Ruperts: Aldöbern: THOMAS GEISEN. Santing: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Ein Diener Sylvesters: LUDWIG REIDT / *HENRY LINDEMEIER. Ursula. Eine Totengräberswitwe: ANGELA MERTE. Barnabe. Ihre Tochter: KATHARINA BECKER. [* In den Vorstellungen am 5. und 6. Dezember 1986.] Bühnenbild: HUBERTUS HEUEL. Musik: JAN HÜTTEROTT, Klavier. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 25. Juni 1986 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Vorstellungen: 28. Juni, 4. Juli, am 5. und 6. Dezember 1986. „Beeindruckend ist die Einfachheit, aber dennoch die Wirkung des Bühnenbildes: Die Bühne ist hufeisenförmig aufgebaut, links und rechts türmen sich enorme Gitterwände auf, die einen sofort an Käfige erinnern. In der Mitte wird ein weißes Dreieck plaziert, an den Schenkeln eingegrenzt durch Leuchtstoffröhren, die bei Bedarf eingeschaltet werden können und dann ein grelles kaltes Licht verbreiten. Über der Bühne schwebt ein ‘blut’rotes Dreieck, mit der Spitze nach unten weisend, Assoziationen an ein Fallbeil erweckend. Gestalter des Ganzen ist Hubertus Heuel. So deutet sich schon durch das Bühnenbild der Grundkonflikt des Dramas an […]. Eine schicksalhafte Unentrinnbarkeit […] Teilweise in ‘Käfigen’ agierend, können sich die Personen des Stücks, trotz der angebotenen Möglichkeiten, nicht […] entwickeln.“ „Sehr frisch und überzeugend spielen Gudrun Wurm (Agnes) und Markus Langer (in der Rolle des Ottokar) - beide sind symbolhaft in Weiß gekleidet - die […] Liebenden, die […] hin und her gerissen werden zwischen Mißtrauen und Angst einerseits und der Hoffnung auf Glück andererseits. Diese Ambivalenz zeigt sich besonders in der Szene, wo sie einander erkennen: Ottokar bringt Agnes Wasser aus einem Bach, sie glaubt, er wolle sie vergiften. Dennoch trinkt sie, und während des Wartens auf den vermeintlichen Tod zeigt sie plötzlich alle Offenheit. Sie bekennt sich zu ihrer Liebe ohne Vorbehalte. Ebenso Ottokar, der als Liebesbeweis aus dem ‘Giftbecher’ trinkt. […] Diese Szene ist der eigentliche Höhepunkt des Geschehens. Hier können die beiden ihr schauspielerisches Talent voll entfalten.“ „Als Gegenpole werden die […] Ehepartner der Herrscherhäuser ausgespielt: […] Hervorragend wie immer spielt Jürgen Kühnel diesmal den haßverzerrten, unbelehrbaren Herrscher. Ganz im Gegensatz dazu […] Ingrid Gäng als seine Frau Eustache. Sie ist die Besonnene, sie will ihren Mann beschwichtigen, ihn von der Unrechtmäßigkeit seiner Mordgelüste abbringen mit schmerzerfülltem Gesicht, in Trauerkleidung, händeringend. Sie steigert ihre Ausdrucksfähigkeit von leisen Beschwichtigungstönen zu einem anklagenden Schrei: ‘Du bist ein Mörder’. Eine gegenteilge Rollenverteilung ergibt sich im Haus Warwand. Dort spielt Klaus Textor als Sylvester den friedliebenden, um Aussöhnung bemühten Part. Mit larmoyantem Timbre, manchmal schon priesterlich erhobener Stimme, verkörpert er den an der Welt leidenden, der sich stets im Bademantel, kränkelnd, zeigt. Aufgestachelt durch seien Ehefrau Gertrude (Suzanne Legg) entwickelt [dann] auch er Rachegefühle. […] Herausragend spielte auch Reinhard Paczesny Agnes’ Großvater Sylvius, der zwar blind ist, aber dennoch die Entwicklung und das tragische Ende ‘sieht’.“ „[…] ein gekonnter Versuch, ein bis vor einigen Jahren ‘verstaubtes’ Stück zu präsentieren.“ [ben: Spannungsfeld zwischen Feindschaft und Liebe. Siegener Zeitung vom 26. 6. 1986.] „Düstere Atmosphäre im ‘Lohkasten’; kaltes Neonlicht und Baustahlmatten in der Senkrechte machen aus der Bühne ein Gefängnis, symbolisieren das Gefängnis sinnloser Leidenschaft der Kleistschen ‘Familie Schroffenstein’. Ein blutrotes Dreieck über dem imaginären Bühnenhimmel nimmt das schreckliche Ende der Tragödie vorweg. Einmal mehr ist es Hubertus Heuel, der als Bühnenbildner eine Inszenierung der Uni-Studiobühne treffend in Szene setzt. Seit drei Jahren arbeitend er ehemalige Architekturstudent und die von Jürgen Kühnel geleitete Theatergruppe zusammen. Mit beachtlichem Erfolg, wie die durchweg positive Reaktion bei Presse und Publikum beweist. Heuel findet […] im kleinen ‘Lohkasten’ ideale Arbeitsbedingungen vor. ‘Ein unglaublich schönes Theater.’ Das intime Zusammenrücken von Bühnengeschehen und Publikum fasziniert ihn, ‘Nähe schafft Spannung’. […] ‘Ein Bühnenbildner ist immer auch Interpret des Stückes’, sagt Heuel und leistet das, was er die ‘innere Auseinandersetzung mit dem Thema’ nennt. Für die Produktionen der Studiobühne fertigt er, mit einfachsten Materialien improvisierend, mehr als nur ästhetische Untermalungen schauspielerischen Geschehens. Simpelste Mittel erzielen dabei große Wirkung. Sperrholzlatten, zu einem bizarren Gebilde vernagelt, über das ein Laken gespannt wird - ein ‘Gebirge’ nimmt Gestalt an. […] All dies schafft ein Mann, der von sich selbst sagt, nicht mit dem Theater groß geworden zu sein und noch keine dreißig Stücke gelesen zu haben. Ein Naturtalent? Der heute dreißigjährige Heuel schlug nach der üblichen Schulkarriere zunächst eine ebenso gewöhnliche Universitätslaufbahn ein. Er schrieb sich als Student der Architektur ein, lernte ‘begeistert, aber wenig’ und merkte schnell, daß das Ziel seiner Wünsche ganz woanders lag. Die Anregung, statt Häusern imaginäre Räume zu gestalten, lieferte ihm Jürgen Kühnel, den Heuel in einem von Architekten und Literaturwissenschaftlern gemeinsam besuchten Seminar kennenlernte. […] Noch ist er kein Profi, aber mit dem gesunden Selbstbewußtsein des begabten Amateurs will Heuel bald den Sprung ins kalte Wasser wagen […]. Große Ziele treiben Heuel, der von sich selbst sagt, daß ‘die Bilder schon beim Lesen des Textes im Kopf entstehen, ich habe sie ganz deutlich vor mir’.“ [ts: Ehemaliger Architekturstudent schafft Atmosphäre im Lohkasten. Westfälische Rundschau vom 25. 7. 1987.] 1986 August Strindberg: Fräulein Julie. Ein naturalistisches Trauerspiel. Deutsche Übertragung: Peter Weiss. Fräulein Julie: CLAUDIA SCHADT-KRÄMER. Jean: JAN HÜTTEROTT. Kristin: LEONORE GEORG-SHIRLEY. Bühnenbild: LUDWIG DRANSFELD / FRANK WITTHOEFT. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 9. Oktober 1986 im Kleinen Theater Lohkasten. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Kultur NRW vor Ort Weitere Aufführungen: 24. und 25. Oktober 1986. „Jürgen Kühnel, Akademischer Rat und Mediävist an der Universität Siegen, passionierter Theatermann ohne Imponiergehabe und vielleicht deshalb ein überaus einfühlsamer Regisseur, beschert den Siegener Kammerspielfans zur Zeit […] einen Theaterabend, der gleich mehrere Lektionen Psychoanalyse ersetzt. Das geschockte, tief beeindruckte Publikum im ‘Lohkasten’ gestern abend ließ außerdem keinen Zweifel daran: ‘Fräulein Julie’ ist alles andere als ein blutleeres Geschöpf verstaubter naturalistischer Theaterhistorie. Im Gegenteil, die tragische Liaison zwischen den von emotionalen Irritationen hin und her gerissenen, standesbewußten Grafentochter Julie und dem karrieresüchtigen Diener Jean beleuchtete in dieser Aufführung eindrucksstark und intensiv: Die Begegnung zwischen den Geschlechtern kann zu einem von Haß, Macht, Unterdrückungsgelüsten, Aggressionen und Unterwerfungsbereitschaft bestimmten Kampf entarten. Wobei die Sexualität als unheilvolle, pervertierte Triebkraft bis zum Selbstmord führt. Daß diese subtile Aufführung so unter die Haut geht, im gebannt lauschenden Publikum Assoziationen weckt, liegt sicher mit an der eminenten schauspielerischen Begabung von Claudia Schadt-Krämer. Ein Glücksfall für diese Strindberginterpretation, bei der die vordergründige Frage des sozialen Standesunterschieds schnell zurücktritt hinter den Akt psychoanalytischer Selbstdemaskierung Julies. Erlebte man zu Anfang ein verwöhntes, launisches Töchterchen mit der Lust, kapriziös Verführungskünste an dem nicht uneitlen Diener Jean auszuprobieren, so enthüllte diese Julie nach der Verführung in der schwülen Mittsommernacht das totale Dilemma einer neurotischen Persönlichkeit, die an sich selbst zerbricht. Dabei wirkte der Diener Jean streckenweise wie ein brutaler Psychoanalytiker, ein seelischer Folterknecht, der bei dieser Prozedur eine schaurige Henkersrolle übernimmt. Das Rasiermesser, aus seiner Hand zynisch der Grafentochter gereicht, symbolisiert das eindeutig. Kühnel siedelte diesen Akt der Selbstzerstörung nicht allein vordergründig und plakativ nach dem Motto Kampf der Geschlechter an. Auch die Unverträglichkeit, der Konflikt der Charaktere, ist nicht der letzte Schlüssel zum letzten Verständnis der persönlichen Katastrophe der Julie. Der Regisseur lotete dieses Trauerspiel des Frauenverächters Strindberg noch tiefer aus. Da scheint denn durchzuschimmern, daß mit dem biblischen Menschen- und Gottesbild bereits eine verhängnisvolle Dissoziation zwischen den Geschlechtern vorprogrammiert wurde: Eva als rein sexuelle Verführerin ohne Liebe, die Mutter Maria als Inkarnation von Liebe ohne Geschlechtlichkeit. Seitdem wirkt dieser Gegensatz nach Auffassung moderner Psychologie unbewußt auf dem weiten Feld der erotischen Partnerbeziehungen. Neben der Glanzleistung von Claudia Schadt-Krämer, ein Naturtalent, das Mimik, Gesten und Sprache brillant als Vehikel für ihre Gefühle einsetzt, imponierte Jan Hütterott als Diener Jean vor allem durch den Wechsel von serviler Gesinnung, Kraftmeierei und dem Triumphgefühl, das ihn erfüllt, als die einstige Herrin bettelnd und bittend vor ihm im Staube kriecht. Leonore GeorgShirley als Köchin, die am Herd in tiefen Schlummer fällt, hatte auf diesem Schauplatz entgleister Emotionen sicher nicht nur eine Statistenrolle. Denn diese bieder aufgemachte, loyale Vertreterin des Gesindes auf dem gräflichen Gut zeigte vor allem nach dem Dilemma der adeligen Tochter zunehmend Züge in Richtung auf ein emanzipatorisch erwachtes Selbstbewußtsein. Alles in allem eine Aufführung, die nicht nur das erstaunliche komödiantische Talent der Siegener Studenten und die sensible Regie ihres bewährten Regisseurs verrät! Ein Aushängeschild für das erfreuliche Niveau der Studiobühne an der Universität Siegen, die längst professionelles Format erreicht hat.“ [Gr.: Uni-Studiobühne bot professionelles Theater. Ein zartes Fräulein Julie und ein brutaler Psychoanalytiker. Großer Erfolg für Jürgen Kühnel und sein Ensemble. Siegener Zeitung vom 1o. 1o. 1986.] „Die ‘Mittsommernacht’ wird ihrer Schwüle beraubt, eine metallisch schimmernde Hintergrundkulisse, das vorgebaute schwarze Podest, die ferne Musik suggerieren TotentanzStimmung. Gesichtspunkte des Regisseurs: Noch dominierender, als es in dem gesellschaftsund sozialkritischen Einakter des Frauenhassers Strindberg zum Ausdruck kommt, soll die Inszenierung den Kampf der Geschlechter [...] in den Vordergrund bringen. Schon das fast abstrakte, auf bedeutungsschwangere Requisiten verzichtende Bühnenbild (Lutz Dransfeld und Frank Witthoeft) lenkt die Aufmerksamkeit auf die Konfliktstellung der Charaktere und ihre im Dialog entwickelten sprunghaften Wandlungen. In der Küche des Herrschaftssitzes, dessen bröckelnde Fassade im Seelenstrip der mannstollen Grafentochter Julie sichtbar wird, beginnt die lust- und qualvolle Konfrontation männlicher und weiblicher Begierde und Verachtung gegenüber dem Geschlecht und dem sozialen Stand des Gegenübers. Und das ist einfach großartig, wie die Studio-Spieler dieses Seelenduell realisieren und fühlbar machen. Claudia Schadt-Krämer, auf der Lohkastenbühne schon Stammgast, zeigt eindringlich die hochmütige, aufreizende Verführerin. Die Wandlung: Nach der von ihr selbst provozierten Liebesnacht liegt die Frau auf den Knien, die sich zuvor den Fuß küssen ließ, der auf alles Männliche und Untergebene tritt. Das ist eine Julie, die - weit intensiver als traditionelle Vorbilder - im Triebwerk der Gefühle gefangen ist und sich machtlos treten läßt. Ihrem Aufschrei ‘Knecht bleibt Knecht’ begegnet der Mann mit dem gnadenlosen ‘Hure bleibt Hure’. Wie Claudia Schadt-Krämer […] Verzweiflung bis an die Grenzen des Wahnsinns sichtbar macht, bis sie das Rasiermesser ergreift, das ihr Jean in die Hand gibt, damit sie sich ihm aus dem Weg schafft, das geht unter die Haut. Die Zerstörung, fast ließe sich sagen: die Hinrichtung Julies durch den Knecht, der ihre Existenz nur noch da registriert, wo er Gefühle foltern kann, macht Jan Hütterott mit brutaler Kraft deutlich. […] Leonore Georg-Shirley als Magd, die dem Mann und der Herrschaft dumpf ergeben ist, spielt die Rolle nach innen gekehrt und […]. Die Szenerie - hinter mattrosa Fensterstäben, die ein Pendant in den Stäben des Vogelkäfigs finden, den Julie auf der nicht realisierbaren Flucht mit Jean mitnehmen will - symbolisiert Ausweglosigkeit. Der Vogel stirbt wie Julie durch das Messer des Dieners. Eine Inszenierung der Studiobühne, der es gelingt, die zeitlosen Konturen dieses vor mehr als einem Jahrhundert geschriebenen Charakterdramas durch Abstrahieren noch sichtbarer zu machen.“ [M.A.: Brillante Generalprobe von ‘Fräulein Julie’. Westfälische Rundschau vom 9. 1o. 1986.] 1987 DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG: Franz-Josef Weber: ALLES GUTE, Georg Trakl! Ein Ende in ... Augenblicken. Georg Trakl: JÜRGEN KÜHNEL. Der Tod: BRIGITTE SPIESS. Bühnenbild: HUBERTUS HEUEL. Die Robe des Todes: SHERÈ. Schlagzeugsolo: RÜDIGER GANS. Regieassistenz: STEPHAN BECKER. Regie: HANS ULRICH KAEGI / JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 4. Februar 1987 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 7. und 13. Februar 1987. „Das Beklemmende an der szenischen Collage, die der Eiserfelder Franz-Josef Weber aus Texten Georg Trakls montierte und die ihre deutsche Erstaufführung im Lohkasten erlebte, ist die totale Bloßlegung einer chaotischen Dichterseele in der unversöhnlichen Disharmonie zwischen Leben und Tod - und von beiden berührt. Das Atemberaubende an der Inszenierung von Hans Ulrich Kaegi und Jürgen Kühnel für die Studiobühne der Uni Siegen ist die Verwirklichung dieser Seelenenthüllung - die Kunst, die Polarität zwischen Verfall und Verzückung sichtbar und greifbar zu machen. Das Faszinierende schließlich an der Idee, Texte Trakls - nichts anderes - in bestimmter Szenenfolge zum ‘Stück’ aneinanderzureihen, ist die Folgerung, daß so - über sieben Jahrzehnte nach dem Drogen-Freitod des österreichischen Dichters - aus seiner eigenen Dichtung ein Stück übers eine letzten Augenblicke entstanden ist: Eine Würdigung zu seinem 1oo. Geburtstag in diesem Februar. Das Erregende am Spiel von Jürgen Kühnel ist die gnadenlose Bloßlegung von Seelenschächten, die rücksichtslose Hingabe an ein Spiel im Todes-Rausch. Die Mittel der Lautsymbolik, der Akzentuierung, der Vokal- und Konsonantenbindung, auf denen Fluß und Klangfarbe der Trakldichtung beruht, sind auch die Mittel Jürgen Kühnels. Hingestreckt von Verzweiflung oder hochgerissen von Erinnerung - ‘damals war mir, als gehörte das Leben noch mir’ - gestaltet Kühnel suggestiv in Spiel und Sprache, im restlos demakierten Gesicht, im gefühlsberstenden Pathos den langen Abschied einer zerstörten Menschenseele.“ „Als Genieblitz von Franz-Josef Weber darf die Einführung der ‘Tödin’ gesehen werden, Schwester, Geliebte und leibhaftiger Tod. ‘Stille begegnet in feuchter Bläue das schlummernde Antlitz der Schwester, vergraben in ihr scharlachfarbenes Haar.’ Scharlachfarben war das Kleid der jungen, schönen Brigitte Spiess, die als Tödin mit stummer Kraft betörend und bezwingend auf den Dichter einwirkt, ihn immer enger umkreist, schließlich ganz umfängt, eine verhaltene, intensive und starke Leistung. Das Bühnenbild Hubertus Heuels, schwarz und weiß ausgeschlagen, ganz auf Licht und Dunkel angelegt, dazu die Untermalung der Todes-Rhythmen durch Schlagzeug-Solo (Rüdiger Gans) schaffen diesem ‘Ende in Augenblicken’ sein begrenztes Szenarium.“ [MA: Studiobühne und Kulturkreis mit Trakl-Collage. Faszinierend: Stück und Spiel. Westfälische Rundschau vom 6. 2. 1987.] „Auf dem Tisch vor ihm steht eine Flasche Wein, eine Kerze brennt; heiser flüstert der Mann: ‘Es lebe - Barrabas! der Nazarener ist tot!’ Plötzlich reißt er die Arme auseinander und es schreit aus ihm heraus: ‘Es lebe Barrabas!’ Wahnsinn und Leidenschaft funkeln in seinen Augen. Erschrocken hebt die junge Frau, deren Oberkörper gerade noch auf einer Lagerstatt ruhte, ihren Kopf und starrt den Mann an. Ein Ausschnitt aus einer Theaterprobe, einer von 6o ‘Augenblicken’, aus denen sich das Theaterstück ‘ALLES GUTE, Georg Trakl!’ zusammensetzt. Die Probe wird unterbrochen: der Mann, Georg Trakl, gespielt von Jürgen Kühnel, und die Frau, die Tödin (Brigitte Spiess), setzen sich auf die Lohkastenbühne und sprechen die Szene noch einmal durch. Ebenfalls anwesend: Hans Ulrich Kaegi, Geschäftsführer des Kulturkreises Siegerland, der das Stück gemeinsam mit Jürgen Kühnel, d.h. der Studiobühne der Uni Siegen, inszeniert. Im Dunkel des Zuschauerraums sitzt, konzentriert beobachtend, gelegentlich um Erklärungen gebeten, der Autor, Franz-Josef Weber. Weber […], als ‘Konkreter KLEIN-Künstler’ und ‘ChmalKunst-Chelm’ inner- und außerhalb des Siegerlandes bekannt geworden, hat dieses, sein erstes Theaterstück Ende ’82/Anfang ’83 geschrieben. den Anstoß dafür gab die Lektüre von Trakls Prosa, die durchdrungen ist von der Faszination des Morbiden, des Leidens an der Welt und des Grauens. Franz-Josef Weber beschloß, das mitunter qualvolle Sterben eines am Leben gescheiterten Menschen zum Thema des Stückes zu machen […]. Das Besondere […] an dem Stück ist, daß Weber seinen Trakl mit dessen eigenen Worten sprechen, den Dichter in seinen letzten Lebensstunden seine eigene Dichtung sprechen läßt. Trakl gegenüber steht die fast gänzlich stumme Tödin, als weibliche Figur auch die Mutter und Schwester Trakls, Eros und Leidenschaft verkörpernd. Sie wird, so Franz-Josef Weber, zum letzten Weggefährten des vereinsamten Dichters: ‘Er wird von ihr in seinem Todesrausch beobachtet, verfolgt, umworben, bedrängt, verhöhnt und schließlich erlöst, wenn sie ihm den Todeskuß auf seine Lippen drückt.’ Seine Uraufführung erlebte ‘ALLES GUTE, Georg Trakl!’ im November 1984 in Salzburg, anläßlich des 7o. Todestages des dort geborenen Dichters. […] Anläßlich des 1oo. Geburtstages wird die Siegener Inszenierung aufgeführt. […] Anfang Januar trafen sich Franz-Josef Weber, Jürgen Kühnel und Hans Ulrich Kaegi zu einem gemeinsamen Gespräch. Kurz darauf begannen die Proben. […] Am 4., 7. und 13. Februar erlebt ‘ALLES GUTE, Georg Trakl!’ seine Siegener Erstaufführung. […] Dem Autor ist vor der Aufführung nicht bange: ‘Was für ein Elend, daß Georg Trakl in die Mozart-Stadt Salzburg hineingeboren worden ist. Gottlob ist Siegen nicht Salzburg. […].’“ [Jochen Manderbach: ‘ALLES GUTE, Georg Trakl!’ In einer Inszenierung der Studiobühne Siegen und des Kulturkreises Siegerland. Der TIPP, Jg. 1987, H. 2, S. 2o.] 1987 Albert Camus: Die Gerechten. Schauspiel in fünf Akten. Ins Deutsche übertragen von Guido G. Meister. Dora Duljebow: INGRID GÄNG / *ANGELA MERTE. Iwan Kaljajew: MARKUS LANGER / *KRISCHAN SCHULTE. Stepan Fjodorow: MARTIN CUNO. Boris Annenkow: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Alexis Woinow: STEPHAN BECKER. Die Großfürstin: KATHARINA BECKER. Skuratow: PACO D’ALOISIO. Foka: KLAUS-PETER SPÄTH. Der Wärter: JÜRGEN KÜHNEL. [* In den Vorstellungen am 17. und 18.November 1987.] Bühnenbild: HUBERTUS HEUEL. Regie: STEPHAN BECKER / JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 8. Juli 1987 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 1o. und 11. Juli, 17. und 18. November 1987. „Die Regie von Jürgen Kühnel und Stephan Becker betont die klare Durchsichtigkeit des Stücks, läßt das Wort über lange Passagen alles beherrschen, um dann mit plötzlichen dramatischen Einsätzen Gefühle zum explosiven Durchbruch zu bringen. Die Darsteller: Sonderlob für Ingrid Gäng, die gerade erst als ‘Polly Peachum’ in der ‘Dreigroschenoper’ Hervorragendes leistete. Anfänglich noch etwas verhärtet, steuerte sie sich zu einer spröden, stark verinnerlichten Charaktergestaltung zwischen Frauenliebe und Hingabe an die Idee. Markus Langer spielte den Iwan konsequent mit innerer Leidenschaft. Zurückhaltender, aber nicht weniger sensitiv Stephan Becker als Alexis. [...] Martin Cuno als Stepan traf den Typ des von Haß getriebenen, verbitterten Rächers recht genau. Als eisgekühlte Kirchenchristin beeindruckte Katharina Becker in der Rolle der Großfürstin. […] Hubertus Heuels sparsam realistisches, doppeltes Bühnenbild - mit Kerkerszene im Zuschauerraum - meisterte optimal die Schwierigkeiten der Minibühne. Das […] Lohkastenpublikum applaudierte begeistert.“ [MA: „Tod als Protest gegen eine Welt der Tränen.“ Studiobühne: Die Gerechten. Westfälische Rundschau vom 1o. 7. 1987.] „Was dem Premierenpublikum im Kleinen Theater ‘Lohkasten’ am Mittwoch abend zuerst auffiel, war das Bühnenbild. Mit geringem Aufwand und sorgfältig ausgewählten Requisiten hat Hubertus Heuel die Zimmertheaterbühne in einen konspirativen Wohnkeller verwandelt. Die Farben Oliv, Grau und Schwarz wirken düster und erdrückend, die Einrichtung beschränkt sich auf das Nötigste - kein Schmuck, nur Funktionalität. Gewehre an der Wand verweisen auf den Ernst der Situation. Nie zuvor paßte die eiserne Bühnentür glaubhafter zum Bühnenbild als bei dieser Inszenierung.“ [J.H.: Camus oder die Moral der Revolution. Uni-Studiobühne führte ‘Die Gerechten’ im Lohkasten auf. Siegener Zeitung vom 1o. 7. 1987.] 1987 Peter Handke: Kaspar. Kaspar: JAN HÜTTEROTT. Die Einsager: STEPHAN BECKER. JAN HÜTTEROTT. JÜRGEN KÜHNEL. Tonband- und Videoaufnahmen: WOLF KUHN. Regieassistenz: STEPHAN BECKER. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 21. Oktober 1987 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 22. Oktober 1987, 24. und 25. Januar 1988. Gastspiele: Aula des Gymnasiums Bad Lasphe: 28. Januar 1988. Theater der Stadt Marl: 25. Januar 1989. Theater Der Keller Köln: 2o. April 1989. „Eine Gestalt sitzt gebückt und allein auf der Bühne des Lohkastens. Sie wirkt verloren, verlassen, nahezu hilflos. Da plötzlich setzt Musik aus einem Lautsprecher ein. Die Figur wird lebendig, wie eine aufgezogene Puppe springt und tanzt sie zu den Takten der Musik. ‘Stopp, noch einmal das Ganze.’ Die Stimme von Studiobühnen-Regisseur Jürgen Kühnel unterbricht […]. Die Musik aus dem Lautsprecher ist verstummt. Spielleiter und Assistent Stephan Becker sind mit dieser Szene, die Jan Hütterott in der Rolle von Peter Handkes ‘Kaspar’ zeigt, noch nicht zufrieden. ‘Das war einfach zu tollpatschig’, kommentiert Becker. […] Also noch einmal das Ganze: Die stumme Figur auf der Bühne, die Musik und die damit einsetzende Bewegung. Diesmal gefällt’s den Herren schon besser, aber auszusetzen haben sie immer noch etwas. Erst seit 14 Tagen probt das Drei-Mann-Team der Siegener Studiobühne ihren ‘Kaspar’. Wenig Zeit bleibt bis zum Auftritt vor Publikum […]. Das heißt also noch intensives Arbeiten, vor allem für den Solodarsteller Jan Hütterott. Denn die Studiobühne gestaltete Handkes ‘Kaspar’ in ein ‘Ein-Personen-Stück’ um. Einzige Partner Hütterotts werden technische Geräte sein: Lautsprecher und Video. Während die Lautsprecher als ‘Einsager’ in Handkes Konzept vorgesehen sind, ist der Einsatz des Videos, das als Doppelgänger des Siegener ‘Kaspars’ fungiert, eine eigene Idee des Teams.“ [nja: Mit Lautsprecher und Video zum Ein-Personen-Stück. Studiobühne präsentiert in der nächsten Woche Handkes ‘Kaspar’. Westfälische Rundschau vom 17. 1o. 1987.] „Eine Hand sucht sich einen Weg. Gleitet zögernd am schwarzen Vorhang entlang. Ein Gesicht erscheint: weißgeschminkte Clownsmaske, aufgerissene Kinderaugen. Dann stolpert jemand auf die Bühne des Lohkastens, so als käme er aus langem Dunkel zum ersten Mal ins Helle. Grenzenlose, stumme Verwunderung. Und dann ringt sich der rote, breite Mund den ersten Sprachlaut ab, fast widerwillig, gewaltsam. Langsam wird ein Satz geboren. Vom Sprechenlernen und von der Gewalt der Sprache handelt Peter Handkes Theaterstück ‘Kaspar’. […] Der Titel spielt auf die historische, legendenumrankte Figur des Findlings Kaspar Hauser an, obwohl Handke nichts weniger als eine biographische Darstellung beabsichtigt. Denn nicht um das Einmalige, um das Typische geht es in ‘Kaspar’: Wie einer, der nichts von Konventionen weiß und nichts von Ordnungen, nichts auch von sich selbst, durch Sprache zugerichtet, normiert wird. Indem er lernt, zu sprechen, wie alle sprechen, lernt er auch zu sein, wie alle sind. […] er lernt, daß das Wichtigste im Leben Ordnung, Arbeit und Erfolg sind. Handkes Stück zeigt in erschreckender Weise die Floskelhaftigkeit, die Formelhaftigkeit alltäglichen Sprechens auf. Der, dem diese Entwicklung zum ‘vernünftigen Menschen’ angetan wird, bleibt in der Inszenierung der Studiobühne der Universität Gesamthochschule Siegen 9o Minuten lang allein. Über Lautsprecher verfolgen ihn anonyme Stimmen, die ‘Einsager’. Jan Hütterott bot als Kaspar eine […] fulminante Leistung. Mit ausgeprägter pantomimischer Begabung überspielte er mühelos die Längen, die Handkes Stück zweifellos besitzt, wenngleich der Text in weiser Entscheidung schon wesentlich gekürzt wurde. Probleme, die sich aus den bedrängten räumlichen Verhältnissen des ‘Lohkastens’ ergeben, wurden von Regisseur Jürgen Kühnel geschickt gelöst. Wo sich im Stück Kaspar - zur Verdeutlichung seines Wegs in die menschliche Konfektion versechsfacht, taucht in der Inszenierung Kühnels, durchaus zeitgemäß, ein Fernsehapparat mit digitaler Fernbedienung auf. Der Doppelgänger erscheint mit freundlich-gewinnendem Werbegesicht auf der Matscheibe. Kaspars Identifikation mit der schönen glatten Welt des medial manipulierten Jedermann geht so weit, daß er schließlich selbst, gestylt mit einer Sonnenbrille, die in der Werbung jedem die individuelle Note verheißt, zum medialen Wesen wird. Zur schneidenden Gewalt der ‘Einsager’-Stimmen - mit artikulatorischer Variationsbreite von Stephan Becker, Jan Hütterott und Jürgen Kühnel auf Band gesprochen gesellt sich in Kühnels Inszenierung die sanfte Gewalt locker-flockiger Musik, die Kaspars Aufräumaktionen begleitet wie die süßlich-kitschigen Klänge die Werbefamilie am Frühstückstisch. So gut diese ‘Auflockerung’ dem strengen Litanei-Charakter des HandkeTextes bekam, entging sie doch stellenweise der Verharmlosung nicht; wie auch das komische Talent, über das Jan Hütterott reichlich verfügt, die Figur des Kaspar manchmal ein wenig zu souverän, zu reflexiv wirken ließ. Dies ändert freilich nichts an der Tatsache, daß es dem jungen Darsteller gelungen ist, die Zuschauer im vollbesetzten Lohkasten eineinhalb Stunden lang ohne Pause allein durch die Präsenz seiner Person zu fesseln, daß der von Handke bewußt vollzogene Verzicht auf jede Art dramatischer Aktion niemandem als Manko erscheine dürfte.“ [beschu: Wie einer schon beim ersten Satz in die Falle geriet. Bemerkenswerte Aufführung des Handke-Stücks ‘Kaspar’ von der Uni-Studiobühne. Siegener Zeitung vom 23. 12o. 1987.] „Schon nach der ersten Szene ist ein Zwischenapplaus hörbar. Konzentriert verfolgt das Publikum im Lohkasten das Spiel von Jan Hütterott in der Rolle des ‘Kaspar’. Jede Bewegung des Solodarstellers wird mit Entsetzen oder Lachen quittiert […]. Jan Hütterott beherrscht seine Rolle in Handkes Theaterstück […] und hat damit das Publikum von Anfang an in der Hand. Bedrückend die erste Szene, in der er als unschuldiger, unwissender Tölpel auf die Bühne stolpert, mühsam Laute hervorstößt und schließlich einen Satz formt. Beklemmend und schockierend zugleich die Erziehung durch die ‘Einsager’: Lautsprecher, die dem ungeformten Kaspar in einer Art Exorzismus Sprache und richtiges Betragen beibringen. Endlich die Auflösung des Spuks mittels einer spritzigen Musik, die den armen Kaspar wieder aufleben läßt. Allmählich macht er Fortschritte. Ihm passieren nur noch kleine Schnitzer. Als Kaspar mit der Zeitung auf der Toilette sitzend spießbürgerliche Phrasen drischt, scheint er erzogen, der Gesellschaft angepaßt zu sein. Den letzten Schliff aber holt sich Kaspar noch durch das Fernsehen. […] Doch das Hochgefühl, das sich durch Lernen peu à peu einstellt, ist nicht von Dauer. Als er dem ‘Fernseh-Kaspar’ die Worte ‘Ich bin frei’ nachplappert, kommt er ins Stottern. Er merkt plötzlich, daß er durch den allmählichen Sprach- und Lernprozeß zu einem unfreien, willenlosen Menschen geworden ist. Und bricht zusammen. Das Bühnenlicht verlischt, das Publikum atmet tief durch und applaudiert. Das ausdrucksstarke Spiel Jan Hütterotts ist zuende. Sein weißgeschminktes Gesicht zeigt Furchen der Anstrengung. Die Studiobühne der Uni-GH Siegen hat überzeugt [...]. Der Beifall vor ausverkauftem Lohkasten ist mehr als verdient.“ [nja: Beifall für die Studiobühne. Handkes ‘Kaspar’ - bedrückend und schockierend. Westfälische Rundschau vom 23. 1o. 1987.] „Es ist ein Stück für alle, die mit Sprache umgehen, für Menschen also, und besonders für Germanisten: Peter Handkes ‘Kaspar’ […] wurde jetzt von der ‘universitären’ ‘Studiobühne’ im ‘Kleinen Theater Lohkasten’ aufgeführt. Die ‘Studiobühne’ ist ‘nur’ eine Laienspieltruppe um den Siegener Philologen Jürgen Kühnel, die schon seit Jahren mit anspruchsvollen und ungewöhnlich professionell erarbeiteten Inszenierungen im Siegerland für Furore sorgt - ein echter Geheimtip also für Schauspielfreunde, die gern einmal abseits vom konventionellen (Tournee-)Theaterbetrieb auf ihre Kosten kommen wollen. Zentralbegriff in Handkes ‘Kaspar’ ist Ordnung. Das Stück demonstriert die Domestizierung des ‘wilden Tieres’ Kaspar […] mittels Sprache. Denn erst die Möglichkeit zu differenzierender Kommunikation schafft die Voraussetzung für Zivilisation: nur wer Menschen und Gegenstände benennen kann, kann sie auch beherrschen, in eine abstrakte Ordnung zwingen. […] Jürgen Kühnels HandkeInszenierung kostet diese Aspekte weidlich aus - sprachtheoretisches Hintergrundwissen von de Saussure bis Watzlawick wird von dem Germanisten und Linguisten behutsam in die Praxis umgesetzt. Dies gelingt nicht zuletzt dank einer großartigen darstellerischen Leistung Jan Hütterotts als Kaspar, der - einziger Akteur auf der Bühne - souverän gestaltet und im pantomimischen Ausdruck brilliert.“ [Wolfgang Hirsch: Wie man mit der Sprache Wildheit ausrotten kann. Die ‘Studiobühne’ beeindruckte mit Peter Handkes ‘Kaspar’. Rheinzeitung vom 29. 1o. 1987.] „‘In einem aufgeräumten Raum wird auch die Seele aufgeräumt’. So suggerieren es die ‘Einsager’ dem Handke-Kaspar, und dahin zielt auch Kaspars Entwicklung, die am Mittwoch abend in der Interpretation von Jan Hütterott im TM faszinierend dargeboten wurde. Vor ausverkaufter Studiobühne gastierte die ‘Studiobühne der Universität GH Siegen’ im Rahmen der Kasparwoche in Marl. […] Beeindruckend, wie der Solodarsteller Jan Hütterott mit seiner Gestik das Publikum beherrschte. […] Die ausgefeilte Handke-Vorlage, die eine gewisse ‘Komik im Unsinn’ - wie Karl Riha es bezeichnete - aufweist, scheint für die Inszenierung Jürgen Kühnels prädestiniert. Er kostet die sprachlichen Aspekte bis ins Detail aus, und dank der pantomimischen und ausdrucksstarken Darstellung seines Solo-Akteurs Jan Hütterott wurde die Aufführung zu einem beeindruckenden Theatererlebnis.“ [aw: Vom naiven Tölpel zum seelenlosen Menschen. WAZ vom 27. 1. 1989.] „Das Licht im Zuschauerraum des TM-Studios verlischt. Schritte sind zu hören - schwer und tapsig. Eine Hand sucht sich vorsichtig den Weg durch den Vorhang. Dann stolpert eine Gestalt tolpatschig auf die Bühne - ‘Kaspar’ blinzelt unsicher ins gleißende Rampenlicht. Mühsam stammelt er Wortfetzen, versucht, die fremde Umgebung in sich aufzunehmen, zu begreifen. Erst allmählich reiht er Laute aneinander, bis schließlich ein ‘verständlicher’ Satz entsteht. Vom Sprechenlernen und von der Gewalt der Sprache handelt Peter Handkes Theaterstück ‘Kaspar’, in Szene gesetzt von einer Schauspielgruppe der Uni Siegen, die am Mittwoch abend ihr Publikum begeistern konnte. […] Jan Hütterott in der Rolle des Kaspar wußte zu überzeugen, glänzend in Szene gesetzt von Regisseur Jürgen Kühnel und seinem Assistenten Stephan Becker.“ [Handkes ‘Kaspar’: Ein Gefangener der Zivilisation. Eine Inszenierung der Uni-Bühne Siegen. Marler Zeitung vom 27. 1. 1989.] 1988 William Shakespeare: Was ihr wollt. Komödie in fünf Akten. Übersetzung nach August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck sowie Norbert-H. Platz und Elke Platz-Waury. Bühnenbearbeitung: STEPHAN BECKER. Orsino: MARTIN CUNO / KRISCHAN SCHULTE. Olivia: ANGELA MERTE. Viola / Sebastian: GUDRUN BRANDENBUSCH. Malvolio: CHRISTOPH LATOS. Sir Toby Rülps: JÜRGEN KÜHNEL. Sir Andrew Bleichenwang: MICHAEL KORTE. Maria: KATHARINA BECKER / HEIKE ALBERS. Der Narr: KLAUS-PETER SPÄTH. Antonio: KRISCHAN SCHULTE / MARTIN CUNO. Kapitän / Wache / Priester: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Bühnenbild: LUDWIG DRANSFELD / GÜNTER BRAUN. Regie: STEPHAN BECKER. Premiere: 28. Juni 1988 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 1., 2., 6., 7. und 9. Juli 1988. „Es ist kein Geheimnis: Die Studiobühne an der Universität - Gesamthochschule - Siegen ist mehr als ein dubioser Tummelplatz verhinderter junger Schauspieler. Und Siegens Zimmer theater ‘Lohkasten’ hat sich längst vom bloßen Talentschuppen zum Kleinkunstformat und zur intimen Minibühne gemausert. Seit Jürgen Kühnel, in dessen Adern zuweilen das Blut eines Vollblutschauspielers pulsiert, vor Jahren in Siegen ein studentisches Amateurensemble aus der Taufe hob, gibt es immer wieder schauspielerische Kabinettstückchen zu bewundern. Theater, bei dem Improvisationskunst und ein erfreulicher Teamgeist kostspieligen Aufwand ersetzen! Bei dem dafür jugendlicher Enthusiasmus um so mehr im Spiel ist! Und der ist in Shakespeares ausgelassenen Komödien immer wieder gefragt. Zumal wenn es sich um ein so delikates Schmunzelstück, eine so turbulente Verwechslungskomödie wie ‘Was ihr wollt’ handelt. […] Akademisches Sommertheater verlangt leichte Kost, die die Laune zum Semesterschluß nach überstandenen Examensängsten nicht trübt. Und sicher nicht nur aus diesem Grunde hatte Kühnel diese amüsante, poetisch zarte und wieder handfeste Komödie um eine insgeheim liebestolle Prinzessin mit Contenance und einen grazilen weiblichen Pagen voller störrischer Anmut gewählt. Ein Verwechslungsscherz der Zwillinge und der Geschlechter mit dem erotischen Flair solcher Begegnungen. Und natürlich mit gefälligen Randfiguren angereichert. Von dem fülligen Falstaff-Berserker über einen zwischen Sarkasmus und Wehmut goutierenden Hofnarren bis zu einem Diener mit Namen Malvolio, dessen Name zum Synonym wurde für herrlich gestelzte, manirierte Wichtigtuerei. Für die großen schauspielerischen Profis eine begehrte Glanzrolle! Ob da ein Mime in die Haut dieser großartig kreierten Figur zu schlüpfen vermag - das kann die Nagelprobe für den Erfolg sein. Stephan Becker, Regisseur der neuesten Inszenierung der Studiobühne, wußte darum. Und so ließ er denn seinen Star, den in eitlen Allüren nur so schwelgenden Christoph Latos, mit Elan sein schauspielerisches Talent voll zur Geltung bringen. Ließ ihn ganze Kaskaden von Wortwitz abbrennen, erlaubte ihm süffisante Kapriolen en suite. Und Latos zauberte auf die allzu enge Bühne einen Kosmos köstlichen Humors, in dem puritanische Scheinheiligkeit bravourös ins Visier einer treffsicheren Ironie genommen wurde. Kein Zweifel: Der hochtalentierte junge Darsteller lieferte die geniale Parodie, die einem städtischen Schauspielhaus zur Ehre gereicht hätte! Natürlich fehlt bei Shakespeare niemals die aristokratische Kulisse eines noblen Hofstaates. In ‘Was ihr wollt’ wird sie durch den Herzog Orsino, die Gräfin Olivia und in diesem Fall ausnehmend sympathische Hofschranzen dargestellt. Den Herzog, rot-weiß kostümiert mit einem Hauch von güldener Garnierung, hatte man mitten im Publikum auf einem Podest plaziert. Martin Cuno verlieh ihm angemessene Würde. Das signalisierte gleich zu Anfang: Hautnahes Theater ohne Vorhang, ohne falsche Illusionstricks und konventionelle Effekte! Statt dessen erklangen melancholisch gefärbte Sehnsuchtsgesänge, für alle, die an unerfüllter Liebe leiden, sich nach Glück sehnen. So wie die Figuren dieser Komödie, die wie von Phantomen genarrt in einem Labyrinth im Kreise stolzieren. Unter ihnen an hervorragender Stelle die Viola von Gudrun Brandenbusch. Vom Habitus, von der knabenhaften Grazie, dem selbstbewußten Männerschritt und von der Freude an der Pagenverkleidung sicher fast eine ideale Besetzung. Da gelangen köstliche Szenen, wenn sie mit ihrem Attrappen-Konterfei Zwiesprache hält oder als aussichtslos verliebtes Geschöpf Wehmut durchschimmern läßt. Angela Merte als Olivia hatte es da schwerer, hinter der Maske distanzierter gräflicher Noblesse die darunter schlummernde Leidenschaft glaubhaft zu machen. […] Herzerfrischend unkompliziert stach Katharina Becker als Kammerzofe ab. Wie gut, daß es als Kontrast zu rührseligen Passagen solche spritzigen Muntermacher gibt! Jürgen Kühnel fehlte nicht im Team. Der Impresario persönlich als Sir Toby Rülps, als trunkener, spielfreudiger Rüpel, voller sprühender Einfälle der Lebenslust, und Michael Korte als possenhaft-eitler Bleichenwang ergaben ein prächtiges Gespann. […] Groß in Form […] der Narr von Klaus-Peter Späth. Mit zwei Handpuppen ausstaffiert war er mehr als der fidele Clown, posierte energisch vor einer redenden GebrüderOtto-Mülltonne, die als zweckentfremdetes Requisit so zu Theaterehren kam. Ein philosophischer Kommentator, aalglatter Wortverdreher, dem letztlich doch noch ein persönliches Lebensglück winkt. Wen wundert es, daß der ausverkaufte ‘Lohkasten’ […] in jubelnden Beifall ausbrach.“ [Gr.: Brillanter Malvolio bot mehr als eine Puritaner-Parodie. Uni-Studiobühne spielte Shakespeares ‘Was ihr wollt - Christoph Latos mit professionellem Format - Verkleidungsspuk und Schmunzeldialoge. Siegener Zeitung vom 29. 6. 1988.] „Es ging rund im Lohkasten mit der Studiobühne der Uni Siegen und mit Shakespeares ‘Was ihr wollt’, mit Turbulenz, die sich in mehrfachen Saltos überschlug: Haushofmeister Malvolio sitzt im Mülleimer und beklagt sein Schicksal, Sir Bleichenwang poltert sternhagelblau über die Lohkastenbretter, nein über die Stahlplatten, die zum Bühnenbild gehören, Sir Toby Rülps würgt rülpsend einen Brocken aus dem Hals. […] Das große Finale mit einem Zwilling aus Pappe und einem bayrischen Schmachtfetzen vom Kassettenrecorder zeigt geballt, was an diesem Konzept mit amüsanten Stilbrüchen locker, frech, verfremdend und verrückt ist. Umwerfend tragikomisch Christoph Latos als Malvolio, der durch eine Täuschung seiner Peiniger glaubt, daß die schöne Gräfin in ihn und sein Lächeln verliebt ist. Im schwarzen Turntrikot mit nackter Heldenbrust und blanken Beinen trägt er sein erstarrtes Lächeln durchs geschehen. Eine glückliche Wahl. Profi Jürgen Kühnel brilliert als unförmig ausgestopfter, rülpsender Rülps, ein Säufer mit bösartigem Charme, der schließlich doch im späten Mitleid mit Malvolio ein Stück Herz zeigt. Das temperamentsprühende Team […] hat über fünf Monate geprobt. Es gerät alles locker, lustig, liebenswert, mit ganz leichter Molltönung. […] Allerhand ist neu bei der Studiobühne. Viele neue Gesichter sind dabei, weil es in der Natur der Sache liegt, daß Studenten nach Beendigung des Studiums die Universität verlassen. Erstmalig führt nicht […] Jürgen Kühnel allein oder mit Assistenz Regie, sondern ein Student aus seinem Team. Und nach langer Zeit kommt mal wieder ein rein komödiantisches Stück auf die Lohkastenbühne, kein Sartre, kein Trakl, kein Handke, kein Kleist. ‘Schlag nach bei Shakespeare’, dem Komödien-Weltmeister, sagte sich das Team, und Stephan Becker schlug für seine erste Alleinregie gleich in zwei Übersetzungen nach, mischte gestrafft die klassische Schlegel/Tieck-Fassung mit den Stilelementen einer anderen Übertragung (Platz/PlatzWaury). Stephan Becker, seit Jahren im Team dabei, immer mit dem Wunschziel ‘Regie’, sagt zu seiner Inszenierung: ‘Die heimliche Hauptfigur ist der Malvolio. Die Figuren um ihn herum erhalten ihre Konturen durch die Position, die sie ihm gegenüber einnehmen.’ So setzte er die Akzente. […] Das Bühnenbild von Ludwig Dransfeld und Günter Braun - […] ein Glücksfall. Stahlplatten sind montiert, überall, seitlich, am Boden, am vorgelagerten Podest und suggerieren Tiefe. Die Spiegelungen im Stahl geben dem Spiel bei aller Derbheit etwas Schwebendes, Traumtänzerisches. Ein Rollo - hinter dem sich die höfische Meute versteckt ist fast einziges Requisit und ersetzt allen Tand. […] Begeisterter Beifall des Premierenpublikums.“ [MA: Shakespeares ‘Was ihr wollt’ - turbulent und amüsant. Studiobühne der Uni hatte Premiere im Lohkasten. Westfälische Rundschau vom 3o. 6. 1988.] „An einem unverwüstlichen, zeitlos aktuellen Klassiker wie William Shakespeare kommt […] kein Theaterensemble vorbei. Natürlich auch nicht die ‘Studiobühne’, die hochrangige studentische Schauspielgruppe der Siegener Hochschule. In ihrer neuesten Produktion stellte die ambitionierte Truppe um […] Jürgen Kühnel die turbulente Komödie ‘Was ihr wollt’ […] vor. Wer zuvor noch zweifelte, daß das personalintensive Werk überhaupt auf der nur wohnwagengroßen Bühne des ‘Kleinen Theaters’ im Lohkasten Raum finden würde, mußte sich schnell durch die Inszenierung Stephan Beckers eines Besseren belehren lassen. Das einfache, aber einfallsreiche Bühnenbild des Gespanns Ludwig Dransfeld/Günter Braun beschränkte sich auf Andeutungen des Szenariums: Ein Tisch und zwei Stühle für die ‘gute Stube’, ein Plumeau für den herzoglichen Thronsaal, eine einfache Jalousie als Raumteiler. Dazu, ein besonderer Gag, eine Mülltonne als improvisiertes, aber platzsparendes Gefängnis Malvolios. […] Ohne Frage: Die Inszenierung hat Volksbühnencharakter. Das verrät schon allein das Kostüm Sir Tobys, den Jürgen Kühnel in Lederhosen mit rotgepunktetem Hemd, ausgestopftem Wanst und Säufernase verkörpert. In seiner fulminanten Interpretation des burschikosen Toby bildet er ein köstliches Gespann mit Michael Korte als tumber Bleichenwang, dessen sinnentleertes Mienenspiel an Marty Feldman erinnert. Entzückend auch Klaus-Peter Späth als Narr und Christoph Latos als blasierter Malvolio, beachtlich Gudrun Brandenbuschs Viola. […] eine unbedingt sehenswerte Aufführung.“ [Wolfgang Hirsch: Lederhose und Säufernase. Shakespeare mal anders. Akteure der Studiobühne brillierten in ‘Was ihr wollt’. Rheinzeitung vom 2. 7. 1988.] „Ich bin doch immer wieder überrascht und begeistert von den hervorragenden Leistungen aller Beteiligten ihrer Studiobühne. Und wie diese komplizierte Komödie auf die Lohkastenbühne gezaubert wurde, ist für Regisseur und alle Darsteller erstaunlich und kann gar nicht genug gelobt werden. […] Alles in Allem: Darsteller, Inszenierung, Kostüme, Maske, Bühnenbild, Musik (!! Ausgezeichnet !!), Personenregie, Beleuchtung, auch die Auswahl der richtigen Darsteller, und nicht zuletzt Ihre eigene äußerst beeindruckende Darstellung waren in einem Guß und sicherlich auch für alle anderen Genießer dieses Abends eine helle Freude. […] Wollen Sie meinen Dank und meine Komplimente auch allen anderen Mitwirkenden weitergeben? Danke!“ [Generalmusikdirektor Professor Rolf Agop an Jürgen Kühnel; Brief vom 29. 6. 1988.] 1988 Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie in Tauris. Ein Schauspiel. (Iphigenie auf Tauris. Erste Prosafassung. 1779.) Iphigenie: INGRID GÄNG. Orest: JAN HÜTTEROTT. Pylades: KRISCHAN SCHULTE. Thoas: CHRISTOPH LATOS. Arkas: MICHAEL KORTE. Bühnenbild: STEPHAN BECKER / HEIKE DIEDERICHS. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 6. Dezember 1988 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 8., 9. und 1o. Dezember 1988. „Ein Tarnnetz als Dach und Wand des Tempels, Obstkistenbretter als Tor zum Heiligtum der Göttin Diana, Protagonisten in Kampfanzügen, wie finstere Desperados das Maschinengewehr geschultert. Schwer zu glauben, daß diese Szenerie den Rahmen bieten soll für das Schicksal einer so zarten Figur wie der sagenumwobenen und zugleich klassischen Iphigenie. Die neue Inszenierung der Studiobühne der Uni-GH zeigt Goethes ‘Iphigenie in Tauris’ als Stück von andauernder Aktualität. Das ferne Tauris, jenseits der großen Kultur der alten Griechen -, unter der Regie von Jürgen Kühnel und mit dem - übrigens hervorragenden Bühnenbild von Stephan Becker, ähnelt eher einem mittelamerikanischen Staat. Mit Absicht. Iphigenie, Orest und Pylades werden zu Protagonisten der Zivilisation, die in die Welt der ‘Barbaren’ eingedrungen sind. ‘Barbaren sind sie lediglich aus unserer Sicht’, […] so Jürgen Kühnel […]. Abgesehen von Bühnenbild, Requisiten und Kleidung lehnt sich die Inszenierung […] eng an das Vorbild an. Gezeigt wird aber nicht die ‘Vers-Iphigenie’, das Schauspiel in Blankversform, sondern die Prosafassung von 1779 […], die […] ‘weniger geglättet’ erscheint.“ [tze: Iphigenies Humanität in ‘barbarischer’ Szenerie. Studiobühne der Uni zeigt Goethe-Schauspiel Inszenierung betont Aktualitätsbezug. Siegener Zeitung vom 7. 12. 1988.] „‘Ich habe ganz bewußt gegen den Strich inszeniert’, sagt Jürgen Kühnel, Leiter der Studiobühne und Regisseur der Inszenierung von Goethes ‘Iphigenie auf Tauris’, die gestern im Lohkasten Premiere hatte. Kühnel kämmt im Finale so radikal und zeitnah gegen den Strich, daß Betroffenheit aufkommt. Der überraschende Schluß soll hier nicht vorweggenomen werden.2 […] Gewählt wurde die spröde Prosaform des Werks, die Kühnels Regiekonzept näher kommt als die Versfassung in ihrer erhabenen Makellosigkeit. Die Erinnyen, die den Muttermörder Orest in ihrer Rache verfolgen, in der Urform des Euripides noch präsent, sind ganz hineingenommen in das Gewissen des Orest. Die Konfrontation zweier Kulturen wird klar herausgearbeitet. Für Kühnel spielt das Geschehen ‘in einem aus europäischer Sicht barbarischen Land.’ Orest und Pylades erscheinen in soldatischen Kampfanzügen. Gewehre ersetzen das Schwert. Kühnel […]: ‘Die Grenze zur Barbarei liegt in uns. Sie ist dünn und kann leicht zerbrechen.’ Ingrid Gäng in der Rolle der Priesterin Iphigenie - aus dem fluchbeladenen Geschlecht der Atriden - realisiert die ‘weibliche Gegenkraft’ zur Barbarei. Fast zerbrechlich, fern von jedem Pathos, steigert sie sich zu anrührender Intensität, als sie - unfähig den Barbarenkönig zu betrügen - den Fluchtplan ihres Bruders Orest und seines Freundes Pylades offenbart. Jan Hütterott, bereits in Köln als Profi unter Vertrag, spielt den Orest, gejagt und geläutert, leidenschaftlich und verinnerlicht. Überzeugend der innere Kampf, den Christoph Latos transparent macht - als König der Taurier, der sich dazu durchringt, auf Menschenopfer zu verzichten. Krischan Schulte gibt dem Part des Pylades die Wärme des Freundes und die Beherrschung der Vernunft. Michael Korte als Tempelwächter Arkas: wendig und bedrohlich […]. Das Bühnenbild von Stephan Becker und Heike Diederichs - mit Sandboden, Busch-Kulisse, subtilen Details und einem Schreckbild hinter dem Götterbild im Tempel - scheint der Inszenierung atmosphärisch in Maßarbeit angepaßt.“ [MA: Eindrucksvoll ‘gegen den Strich inszeniert’. Studiobühne der Uni mit zeitnaher Aufführung der ‘Iphigenie’. Westfälische Rundschau vom 7. 12. 1988.] 2 Am Ende der Siegener Inszenierung der Iphigenie stand - in Übereinstimmung mit der Gesamtkonzeption - ein Massaker unter den Skythen: Nachdem die Griechen in Sicherheit sind, erschießt Pylades, der Rationalist und Taktiker, den Skythenkönig und seinen Gefolgsmann ... Die Idee für diese ‘Lösung’ der Schlußszene wurde n einem Gespräch entwickelt, das am 25. Oktober 1988 zwischen der Siegener Anglistin und Theaterwissenschaftlerin Ruth Freifrau von Ledebur, dem Berliner Dramaturgen Alexander Weigel (Deutsches Theater Berlin/DDR) und Jürgen Kühnel stattfand. 1989 URAUFFÜHRUNGEN DREIER EINAKTER SIEGENER AUTOREN: Ingo Porschien: Rot und Blau. Das Rot, gespielt von Erika: SANDRA NUY. Das Blau, gespielt von Klaus: MARKUS LANGER. Karo, gespielt von Karl: KRISCHAN SCHULTE. Erster Bühnenarbeiter, gespielt von Franz: KLAUS-PETER SPÄTH. Zweiter Bühnenarbeiter, gespielt von Arthur: MICHAEL HOF. Bühnenbild: HUBERTUS HEUEL. Regie: STEPHAN BECKER. Franz-Josef Weber: Zur Nacht. Der Mann: JÜRGEN KÜHNEL. Die Frau: INGRID GÄNG. Bühnenbild: HUBERTUS HEUEL. Musik: BARBARA HOHLFELD, Querflöte. Regie: STEPHAN BECKER / JÜRGEN KÜHNEL. Dieter H. Stündel: MAMALUJO. Tristan: CHRISTOPH LATOS / PETER SEEL. Isolde: GABY LOOCK / MARGARITA FERNANDEZ. Matthäus: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Markus: MICHAEL KORTE. Lukas: HEIKE ALBERS. Johannes: GUDRUN BRANDENBUSCH. Echo: KATHARINA BECKER. Bühnenbild: HUBERTUS HEUEL. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 27. Juni 1989 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 29. und 3o. Juni, 1. Juli 1989. „Nach dem Sommerfestival des Kulturamts nun das erste Siegener Uraufführungsfestival: Drei Einakter von Siegener Autoren, zu einem Theaterabend zusammengefaßt, stellte die Studiobühne der Universität Siegen vor. […] Gemeinsam ist allen drei Stücken eigentlich nur ein Merkmal: Das Überraschende. Ingo Porschien, Student im Studiengang Magister, nennt seinen Erstling ‘Rot und Blau’. Ein doppelbödiges Spiel auf mehreren Ebenen, Spiel mit Farben, Symbolen, auch mit dem Publikum, das auf Glatteis geführt wird. Wer kommt schon auf den Gedanken, daß der Inhalt des Gebotenen Theater im Theater ist, wenn zum Start die Bühnenarbeiter ihre Requisiten rücken, ein Akteur zum Finale mit Strick um den Hals vor der Truppe am Boden liegt. Schwarz und weiß sind das Bühnenbild und das bemalte Gesicht von ‘Karo’, dem Akteur mit Schlinge, der aufsteht und verkündet, das ‘alles Theater’ ist. Das jedenfalls kam bei allen an. Das Jonglieren mit Schein, Sein und Symbolen überforderte vermutlich die Mehrzahl der Zuschauer. Das Spielerquintett unter einfühlsamer Regie von Stephan Becker brachte zusätzliche frische Farben ins Spiel. Franz-Josef Weber, vielen bekannt durch sein Theaterdebüt ‘ALLES GUTE, Georg Trakl!’, noch bekannter durch O-Ton- und andere Aktionen, schuf einen düsteren Reigen poetischer Monologe, die jenseits des Lebendigen stehen. Auf einer Bergspitze Mann und Frau, großartig gespielt von Jürgen Kühnel und Ingrid Gäng, sprechen nebeneinander, kaum miteinander. Ein Hauch von Beckett, Fragen ohne Antworten: Warum Gewalt, Krieg, Gier, Grausamkeit, Einsamkeit? Wenn die beiden schweigen, ist über Tonband der ‘große Atem’ zu hören, der Atem des Lebens, das den Mann und die Frau nicht mehr betrifft. Tod und Verwesung beherrschen in einer pantomimisch ausgefeilten Vision des Mannes das Finale. Sehr schön, sehr traurig, sehr destruktiv. Und so soll es auch sein für den Autor. Der sublimen Regie von Kühnel und Becker gelang es, das reine Sprechstück aufführbar zu machen. Schließlich von Profi Dieter H. Stündel ‘MaMaLuJo’, sicher der ‘Schocker des Abends’, wenn das Uraufführungsfestival in der Stadtbühne vor Kulturkreispublikum gezeigt würde. Das brisante, verrückte Thema stammt aus dem bisher unübersetzbaren James-JoyceWerk ‘Finnegans Wake’. Ein Füllhorn von neuen Wortfindungen, respektlosen und herrlich komischen Parodien, sprudelndem Intellekt und Frivolitäten. Es ist Originalton Stündel, wo Joyce mit Worten, die es nicht gibt, unübersetzbar ist. MaMaLuJo, die Anfangsbuchstaben der Evangelisten stecken in diesen Namen. In dem von Stündel umgesetzten, demnächst bei Suhrkamp veröffentlichten Joyce-Kapitel stecken sie die Nasen in die Intimsphäre von Tristan und Isolde, als Voyeure. Der große Bogen führt von der Evolution zum Liebestod. Eine Glanzleistung der Regiephantasie von Jürgen Kühnel, die der Lohkastenbühne Letztes abzwang. Prächtig die Darsteller mit enormer Spontaneität und mitreißender Spielfreude. Ein unverschämt vergnügliches, intelligentes Experiment. Applaus, Applaus. Der Umbau der variablen, wirkungsvollen Kulissen von Hubertus Heuel ermöglicht Verschnaufpausen zwischen den Ur-Einaktern. Das Ganze: Ein totales Novum für Siegen.“ [MA: Uraufführungsfestival: Verrückt, brisant, poetisch. Westfälische Rundschau vom 17. 6. 1989.] „Eine Frau, ein Mann, irgendwann, irgendwo. Endzeit im Niemandsland. Von fern tönt die Melodie, die Leben (ver)heißt. Erreichen kann sie die beiden Menschen auf dem Gipfel nicht mehr. An der Schwelle zum Tod zählt nur der nackte Atem. Kommunikation findet nicht mehr statt. Jeder angesichts der Vergänglichkeit allein. Ingrid Gäng und Jürgen Kühnel liegen, kriechen, hocken, erstarren, winden sich auf zwei sarkophagähnlichen Podesten. Wer bin ich, warum wurde ich geboren, warum atme ich - quälende Fragen einer bis auf die Knochen entblößten Existenz. Antwort ist keine. Die Sehnsucht nach Wärme, Glück, Geborgenheit, Nähe bleibt unerfüllt. Barbara Hohlfeld bringt auf der Querflöte den Atem in musikalische Schwingung, die immer wieder ins Leere verhallt. Der Atem - er strukturiert Franz Josef Webers Zwei-Personen-Stück ‘Zur Nacht’, das jetzt im Rahmen des ‘Ersten Siegener Uraufführungsfestvals’ der Uni-Studiobühne seine Premiere erlebte. ‘Zur Nacht’ war Höhe- und Mittelpunkt des mehr als dreistündigen Theatermarathons, mit dem Studiobühnenleiter Jürgen Kühnel und seine Truppe nicht nur eine bemerkenswerte Energieleistung zustande brachten, sondern auch Mut zum Wagnis des Neuen, Unkanonisierten zeigten. Daß der Abend zwiespältige Eindrücke hinterließ, lag zum einen an der unterschiedlichen Qualität der drei vorgeführten Stücke, zum anderen an den schwierigen räumlichen Bedingungen der Inszenierung. Wirklich geglückt war die Umsetzung […] bei ‘Zur Nacht’, einer im Umkreis der Trakl-Beschäftigung entstandenen Arbeit des Siegener Autors Weber, den man sonst eher mit dadaistischen Sprachspielereien und Aktionen in Zusammenhang bringt. Daß Weber auch anders kann, stellt sein in Beckett-Nähe angesiedeltes Stück auf hohem sprachlichem Niveau eindrucksvoll unter Beweis. Großen Anteil an der nachhaltigen Bühnenwirkung hatte die Eindringlichkeit der Darstellung […].“ [beschu: Der Atem im Niemandsland zwischen Leben und Tod. […] Studiobühne mit Stücken von Weber, Porschien und Stündel. Siegener Zeitung vom 3. 7. 1989.] 199o ERSTAUFFÜHRUNG DER ÜBERSETZUNG VON GEORG FORSTER: Kālidāsa: Śakuntalā oder Der entscheidende Ring. Nach der englischen Übersetzung von Sir William Jones ins Deutsche übersetzt von Georg Forster. Der Brahmane / Der Schauspieldirektor: JÜRGEN KÜHNEL. Die Schauspielerin: KATHARINA BECKER. Śakuntalā: MARGARITA FERNANDEZ. Kan. va. Ihr Ziehvater. CHRISTOPH LATOS. Gautam ī . Seine Gattin. KATHARINA BECKER. Die Freundinnen der Śakuntalā: Priyam. vadā: GABY LOOCK. Anasūyā: SANDRA NUY. Śārn. garava. Einsiedler. PETER SEEL. Dus. yanta. König in Hastināpura. KRISCHAN SCHULTE. Der Wagenlenker des Königs: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Der Kämmerer des Königs: CHRISTOPH LATOS. Mād. havya. Der vidūs. aka (Narr) des Königs: MICHAEL KORTE. Der Stadtaufseher: KLAUS-HEINRICH SCHMITZ. Ein Wächter: CHRISTOPH LATOS. Ein Fischer: KLAUS-PETER SPÄTH. Zwei Mädchen im Dienste des Liebesgottes: Parabhr. tikā: HEIKE ALBERS. Madhukarikā: Birgit SCHLENTHER. Mātali. Der Wagenlenker Indras: PETER SEEL. Der mahars. i Kas. yapa. Lehrer der Himmlischen: JÜRGEN KÜHNEL. Der Knabe Sarvadamana (Bharata): EVA LOOCK. Eine Einsiedlerin: HEIKE ALBERS. Die Stimme der Königin Ham. sapadikā: ISABEL LIPPITZ. Die Stimme des mahars. i Durvāsas: JÜRGEN KÜHNEL. Bühnenbild: STEPHAN BECKER. Kostüme: ROSIE MÄRZHEUSER. Musik: CHRISTOPH LATOS. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 12. Juni 199o im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen am 15., 16., 2o. und 21. Juni 199o. Zur Siegener Inszenierung der Śakuntalā: 1. GOETHE war von der Śakuntalā des Kālidāsa tief beeindruckt. Er entnahm dem indischen Stück die Idee des ‘Vorspiels auf dem Theater’ für seinen ‘Faust’; doch hielt ihn seine Einsicht in die Gesetze des europäischen Dramas und Theaters davon ab, die Ś akuntalā für die Weimarer Bühne zu bearbeiten. Es hat gleichwohl an späteren Versuchen nicht gefehlt, dieses berühmteste Werk des indischen Theaters auf den europäischen Bühnen heimisch zu machen. Fast alle diese Versuche (die deutschsprachige Erstaufführung in der Regie Heinrich LAUBEs am Wiener Burgtheater 185o eingeschlossen) scheiterten. Sie scheiterten notwendigerweise an der unaufhebbaren Diskrepanz zwischen den Konventionen des europäischen Theaters, denen der indische Vorwurf mehr oder weniger gewaltsam unterworfen wurde (ein Extrem bezeichnet dabei Leopold VON SCHROEDERS Wiener Bearbeitung aus dem Jahre 19o2), und der ganz anderen Traditionen Dramaturgie des Originals. HERDER hat zurecht gefordert, die Śakuntalā müsse im ‘indischen, nicht im europäischen Geist’ gelesen werden. Man darf hinzufügen: auch die Inszenierung der die Ś akuntalā muß ‘im indischen Geist’ erfolgen. 2. Wir haben versucht, dieser Forderung (zugleich eine große Herausforderung für unser Ensemble) gerecht zu werden und für die Siegener Inszenierung der Śakuntalā einen Aufführungsstil zu entwickeln, der sich an die Konventionen des klassischen indischen Theaters anschließt. Das hieß zunächst: kein Eingriff in die (so HERDER) ‘epische’ Dramaturgie des Stückes (abgesehen von den im Sinne einer angemessenen Aufführungsdauer notwendigen Textkürzungen), Verzicht auf ein Bühnenbild und auf Dekorationen im herkömmlichen Sinne, weitgehender Verzicht auf Requisiten. Statt dessen: Konzentration auf die ‘Poesie’ der Sprache und, vor allem, auf die mimischen und gestischen Mittel der Darstellung; sparsamer Einsatz möglichst authentischer Musik; möglichst authentische Kostüme. 3. Der Schwerpunkt der Probenarbeit lag im Sinne dieser Konzeption auf der Entwicklung eines Repertoires mimischer und gestischer Ausdrucks- und Darstellungsmittel, wobei wir uns so eng wie möglich auf die indische Tradition bezogen haben. Wichtigste Grundlage unserer Arbeit waren die mimischen und gestischen Vorschriften des Bhārat ī ya Nāt. yaśāstra, des ‘klassischen’ Lehrbuchs der indischen Dramaturgie, das, im 3. oder 4. Jahrhundert entstanden, bereits zur Zeit Kālidāsas kanonische Geltung besaß und uns in der vorzüglichen englischen Übersetzung Monomohan GHOSHs (2 Bände, Kalkutta 195o/51) zur Verfügung stand. 4. Allerdings: ein Theater ist kein Museum. Es konnte uns nicht um eine historischphilologisch und ethnologisch exakte Rekonstruktion des klassischen indischen Theaters gehen. Wir spielen indisches Theater für ein europäisches Publikum. Wir haben uns daher auf eine begrenzte Auswahl der traditionell festgelegten mimischen und gestischen Ausdrucksmittel des indischen Theaters beschränkt. Bei dieser Auswahl haben wir uns von zwei Gesichtspunkten leiten lassen: unmittelbare Verständlichkeit oder ‘Lesbarkeit’ aufgrund häufiger Repetition on vergleichbaren Ko(n)texten. 5. Ein besonderes Problem stellt die Übersetzung dar. Das Original der Śakuntalā ist in einem doppelten Sinne mehrsprachig. Zum einen ist es durch den ständigen Wechsel von Prosa und Vers charakterisiert; die die Handlung vorwärts treibenden Abschnitte des Textes sind in Prosa, Abschnitte, in denen ‘Stimmungen’ festgehalten werden, dagegen in komplizierten Vers- und Strophenmaßen abgefaßt. (Der Wechsel von Prosa und Vers ist mithin vergleichbar dem Wechsel von Rezitativ und Arie in der italienischen Gesangsoper). Zum anderen gibt es einen ‘ständisch’ festgelegten Wechsel zwischen Textpassagen in Sanskrit, der klassischen (alt)indischen Literatursprache, und solche in den Prakrit genannten (mittelindischen) Umgangssprachen. Der Wechsel zwischen Sanskrit und Prakrit ist im Deutschen grundsätzlich nicht nachbildbar; Leopold VON SCHROEDERs Versuch, den vid. ūs. aka, die ‘lustige Person’ des indischen Theaters, und den Fischer eine Wiener Vorstadtmundart sprechen zu lassen, nähert die Śakuntalā in unangemessener Weise dem Wiener Volkstheater (Moisasurs Zauberfluch) an. Aber auch der Wechsle von Vers- und Prosapartien läßt sich im Deutschen kaum adäquat wiedergeben. Die meisten ŚakuntalāÜbersetzungen des 19. und 2o. Jahrhunderts (und es gibt deren mehr als ein Dutzend) sind aus der Feder zweifellos bedeutender Indologen geflossen, deren sprachliche Möglichkeiten jedoch der klassischen Sprache Kālidāsas auch nicht annähernd gewachsen sind (wie hölzern nimmt sich etwa die 1983 bei Reclam in Leipzig erschienene Übersetzung durch Johannes MEHLIG aus, deren Verdienste mit dieser Kritik - es handelt sich um eine einem breiteren Publikum zugängliche Übersetzung - gewiß nicht geschmälert werden sollen), und die in den versifizierten Teilen ihrer Übersetzung ganz in den Konventionen der trivialisierten Verssprache der ‘Goldschnittpoesie’ des ausgehenden 19. Jahrhunderts befangen sind. Gewiß gibt es hier eine große Ausnahme, die Übersetzung durch Friedrich RÜCKERT (zuerst 1867, aus RÜCKERTs Nachlaß, veröffentlicht); aber die ist so sehr ‘im indischen Geist’ geschrieben, daß sie, etwa in der exakten Wiedergabe der für das Sanskrit charakteristischen Mehrfachkomposita, aber auch in der Wiedergabe der ungewöhnlichen Metren, für ein indologisch nicht vorgebildetes Publikum nur schwer rezipierbar wäre. Wir haben uns angesichts dieser Schwierigkeiten für die Übersetzung Georg FORSTERs entschieden, gewiß eine Übersetzung aus ‘zweiter Hand’ (sie basiert auf der englischen Übersetzung durch Sir William JONES), die darüberhinaus - es handelt sich um eine Prosaübersetzung - die sprachlichen Ebenen des Originals zwar nivelliert, deren sprachliche Brillanz jedoch von keiner späteren Übersetzung auch nur annähernd erreicht wird. „Bis jetzt aber ist er [FORSTER] in den wesentlichsten Eigenschaften eines klassischen Prosaisten noch nicht übertroffen“, urteilte Friedrich SCHLEGEL n seinem FORSTER-Essay von 1797 nicht zu unrecht, und er meint damit nicht zuletzt die ‘Weltbürgerlichkeit’ der FORSTERschen Prosa. 6. Die Entscheidung für FORSTERs Übersetzung fiel auch, weil sie die rezeptionsgeschichtlich bedeutendste deutsche Śakuntalā-Übersetzung darstellt. „Man weiß, was dieses Gedicht für Goethe bedeutete, man weiß, das die ganze indische Literatur mit diesem Werke erst für uns eröffnet ward, das die vielen Hände zuerst anregte, die sich seitdem der Erforschung indischer Sprache, Literatur und Altertümer angenommen haben.“ So schon Georg GERVINUS in seinem epochalen FORSTER-Aufsatz von 1843. 7. Der Rückgriff auf die FORSTERsche Übersetzung bringt einige philologische Probleme mit sich. Sie (bzw. ihre englische Vorlage) beruht auf einer bengalischen ‘Vulgata’ der Śakuntalā. Die Indologen und Übersetzer des 19. und 2o. Jahrhunderts haben demgegenüber meistens einer etwas kürzeren zentralindischen Textfassung (der ‘Devanāgar ī -Rezension’) als dem ‘besseren’ Text den Vorzug gegeben. Wir haben daher FORSTERs Text mit späteren Texten verglichen und gelegentliche ‘Mißverständnisse’ FORSTERs bzw. seiner Vorlage behutsam korrigiert. Abweichungen im Textbestand der verschiedenen Ausgaben und Übersetzungen wurden durch die notwendigen Striche unserer Spielfassung ohnehin ausgeglichen. Was die indischen Namensformen angeht, so haben wir die bengalischen Namensformen FORSTERs durchweg durch diejenigen der kritischen Ausgaben durch BOEHTLINGK (1842) und CAPELLER (19o9) ersetzt (also Dus. yanta, Kan. va etc. statt Duschmanta, Kanna usw.). 8. FORSTERs ‘klassische’ und rezeptionsgeschichtlich so bedeutende Übersetzung der Śakuntalā ist bisher nie aufgeführt worden. Insofern handelt es sich bei der Siegener Inszenierung um die heute sicher seltene Erstaufführung eines dramatischen Textes der klassischen deutschen Literatur. Die STUDIOBÜHNE begeht mit dieser Erstaufführung ihr zehnjähriges Jubiläum. [Jürgen Kühnel im Programmheft der Siegener Śakuntalā-Aufführung.] „Morgen ist […] Studiobühnen-Jubiläumspremiere. Gestern war Generalprobe zu ‘Sakuntala’ von Kalidasa, dem kostbaren Juwel aus dem indischen Altertum, eine brillante Übersetzung Georg Forsters (1791/18o3) in Erstaufführung. ‘Bei Ihren erprobten Regiekünsten dürfte nichts schiefgehen’, sagt die Schauspielerin (Katharina Becker) auf den als Mittelbühne umgestalteten Lohkastenbrettern zum Theaterdirektor ([…] Jürgen Kühnel). Kein Eigenlob, nur der Einstieg ins Spiel, der Goethe zu seinem dem ‘Faust’ vorangestellten ‘Vorspiel auf dem Theater’ anregte. Die Spanierin Margarita Fernandez als schöne, kindhafte Nymphentochter Sakuntala und der junge König (Krischan Schulte, ein glänzender Sprecher, mit leidenschaftlicher Ausstrahlungskraft) machen ‘das Feuer, das der Gott der Liebe auf sie niederschüttet’, hautnah spürbar. Sandra Nuy und Gaby Loock gestalten überzeugendes Mitfühlen der Höhen und Tiefen der Liebe ihrer Freundin. Peter Seel im Doppelpart als weiser Einsiedler und als Wagenlenker beeindruckt gemeinsam mit Krischan Schulte in einer phantastisch sichtbar gemachten Reise in den ‘Luftkreis’ der Himmlischen. Großartig auch Michael Korte im Part des temperamentgeladenen Part des Königsfreundes und Christoph Latos als Kämmerer und gierig-brutaler Wächter. Prägnant in kleinen Rollen Klaus-Peter Späth, Katharina Becker, Heike Albers, Birgit Schlenther, Klaus-Heinrich Schmitz. Bezaubernd die kleine Eva Loock als Kind der Liebe. Kühnels Regie, die die Sprache der Dichtung und des Körpers seismographisch erfühlte, zeigt die gleiche Bravour wie ein Spiel in mehreren Rollen. Dann das enorm wirkungsvolle, Glanz und Farbe reflektierende Bühnenbild von Stephan Becker (mit einem einzigen, bemerkenswerten Requisit) und altindische Kostüme (Rosemarie Märzheuser). Dazu die den Inhalt farbig begleitende Musik von Christoph Latos. In der Tat, da kann (siehe oben) ‘nichts schiefgehen’. […]. [MA: Generalprobe zu ‘Sakuntala’: Studiobühne zeigt zum Jubiläum den Glücksfall einer Inszenierung. Westfälische Rundschau vom 11. 6. 199o.] „Ein Schauspiel besonderer Art bietet die Studiobühne der Universität Siegen im ‘Lohkasten’: ‘Śakuntalá’ von Kálidása. Ein indischer Klassiker. Ungewöhnlich daran ist Manches: die Anordnung der Bühne, die Musik, die Sprache und Gestik. Zum zehnjährigen Bestehen der Studiobühne inszenierte Jürgen Kühnel erstmalig das Stück nach der Übersetzung von Georg Forster. Beim Betreten des Zimmertheaters stellt man verdutzt fest, daß die gewohnten Stuhlreihen aufgelöst sind. Statt dessen befindet sich die Bühne in der Mitte des Raumes, umgeben von den Zuschauerrängen. Denkbar einfach das ‘Bühnenbild’: ausgelegte Matten und eine kugelige Lampe auf einem Sockel als Opferfeuer in der Mitte. Obertonklänge - das brahmanische ‘Om’ - erleichtern den Einstieg in eine fernöstliche Welt, bringen zur Ruhe. Für die Atmosphäre wurde viel getan. Mildes, indirektes Licht, indische Gesänge und Musik verstärken die Exotik. Gar nicht exotisch und uns allen wohlvertraut das Thema - die Liebe. Aber eben auf indisch - und ziemlich altertümlich. Das Stück stammt immerhin vermutlich aus dem 4. oder 5. Jahrhundert. Auf der Jagd lernt König Dusyanta die schöne Śakuntalá kennen, die von einem Weisen und einer Nymphe abstammt. Das Mädchen und der König verlieben sich ineinander und heiraten ohne alle Formalitäten nach dem Gandharvenritus. Bevor der König in seine Residenz zurückkehrt, übergibt er seiner Geliebten einen Ring. Ein Fluch verhindert jedoch, daß er seine inzwischen schwangere Frau wiedererkennt, als diese ihm nachreist. Den Ring, der sie ausweisen könnte, hat sie in einem heilgen See verloren. Nachdem ein Fischer den Ring gefunden und abgeliefert hat, klären sich die Irrtümer. Der König findet schließlich seinen Sohn und seine Frau wieder, und die Liebesgeschichte nimmt ein gutes Ende. Soweit die Geschichte. Aber es steckt weit mehr darin. Ein ganzes Universum: Himmel und Erde, Götter und Nymphen, die Welt der Brahmanen, asketisch rein, in Abgeschiedenheit und Einklang mit der Natur, die Elemente Feuer, Wasser, Luft, indische Philosophie und tiefempfundene Religiosität. Gewiß keine leichte Aufgabe, das alles in den ‘Lohkasten’ zu bekommen. Aber es kam hinein - und es paßte. Anfangs etwas zögerlich, was weniger an der Inszenierung lag als daran, daß die Umstellung vom Siegener Alltag in diese fremde, märchenhafte Welt nicht ganz leicht ist. Jürgen Kühnel und seine Mimen haben das Schauspiel bewußt im ‘indischen Geist’ inszeniert. Die Dramaturgie des in sieben Akte gegliederten Stückes blieb (von notwendigen Kürzungen abgesehen) unangetastet. Mit dem weitgehenden Verzicht auf Bühnenbild, Dekoration und Requisiten war die ‘Konzentration auf die Poesie der Sprache und, vor allem, auf die mimischen und gestischen Mittel der Darstellung’ gegeben. Schwierigkeit, aber auch Herausforderung. Daß aus altertümlichen, fremd klingenden Versen und manirierter Gestik dichte Szenen wurden, ist der durchdachten Inszenierung, aber auch der beachtlichen schauspielerischen Leistung der Laiendarsteller zuzuschreiben. Geradezu packend gelang es in einigen Szenen, durch einfühlsamen Einsatz von Licht, atmosphärischen Klängen, fast schon pantomimischer Gestik und Mimik und großer Sprachkraft verdichtete Räume mit einer Sogkraft zu schaffen, denen sich kaum jemand entziehen konnte. Wie sehr die Zuschauer im Bann des Schauspiels standen, zeigte sich, als der Pausenapplaus ausblieb. Die Atmosphäre ließ ihn nicht zu. Um so kräftiger dann der Schlußapplaus. Krönung des Abends: Margarita Fernandez, die graziöse Darstellerin der Śakuntalá, erfuhr nach der Premiere, daß sie am Theater ‘Der Keller’ in Köln ein Engagement bekommt.“ [ick: Indische Poesie liebevoll inszeniert. Studiobühne Siegen feiert zehnjähriges Bestehen mit ‘Śakuntalá’. Siegener Zeitung vom 13. 6. 199o.] 199o - Zehn Jahre STUDIOBÜHNE. „Zehn Jahre sind es in diesem Sommer her, daß die ‘Studiobühne’ der Universität Siegen zum ersten Mal im ‘Kleinen Theater’ Lohkasten ins Rampenlicht der Öffentlichkeit trat. Seit der ersten Inszenierung - damals stand Johann Nepomuk Nestroy auf dem Programm - hat sich die studentische Schauspieltruppe mit ihrem erfahrenen Leiter Dr. Jürgen Kühnel zu einer echten Kulturinstitution in der ‘Provinz voll Leben’ gemausert. Vergangene Theatertaten läßt Peter Seel Revue passieren. Der eigentliche Stil der ‘Studiobühne’ begann sich mit der dritten Aufführung auszubilden: Kühnels Theaterkonzept setzte sich unter den Akteuren durch und sorgte von nun an bei jedem neuen Stück für Überraschungen. Ist es doch eine Maxime des Regisseurs, jeder seiner szenischen Interpretationen neue Nuancen abzugewinnen und möglichst nicht auf bereits verwendete Muster zurückzugreifen. Von klassischen Tragödien bis zu überdrehten Komödien, von eher traditionellen Formen bis hin zum Experiment und von der Antike bis zum (post)modernen ‘Uraufführungs-Festival’ einheimischer Autoren reichte bislang die Palette: Jean Genets ‘Zofen’ 1982, eine spezielle Fassung von […] Beaumarchais’ ‘Hochzeit des Figaro’ 1984 oder die Doppel-Inszenierung von Jean-Paul Sartres ‘Fliegen’ und Pier Paolo Pasolinis ‘Pylades’ 1985 markieren die ersten Meilensteine der ‘Studiobühne’. Eine erste Annäherung an einen deutschen Klassiker versuchte man 1986 mit Kleists selten gespielter ‘Familie Schroffenstein’; ebenfalls 1986 kam Strindbergs ‘Fräulein Julie’ auf die Bretter. Das Jahr 1987 begann für die Studentenbühne mit einer Collage nach Texten von Georg Trakl. Der Einakter des Eiserfelder Autors Franz-Josef Weber war ein ‘brandneues’ Stück, dessen Uraufführung zwar bereits zwei Jahre zuvor am Salzburger Landestheater stattgefunden hatte; für die Bundesrepublik aber war ‘ALLES GUTE, Georg Trakl!’ eine echte Erstaufführung. Nach Albert Camus’ ‘Gerechten’ - von Jürgen Kühnel und Stephan Becker gemeinsam inszeniert - kam noch im Herbst desselben Jahres eine Produktion von Peter Handkes ‘Kaspar’ heraus. Eine Übung im puncto Minimalismus, denn Kühnel arbeitete das Werk kühn zum Ein-Personen-Stück um. Unter seiner Regie spielte Jan Hütterott die Titelrolle - mit umwerfendem Erfolg. Erstmals ging eine Produktion der Siegener Studentenbühne auch auf Gastspielreisen und wurde in Bad Laasphe und Köln sowie in einer Kaspar-Hauser-Reihe in Marl gezeigt. Dort stand Kühnels ‘Kaspar’Interpretation in einer Reihe mit der Roberto Ciullis, des Star-Regisseurs vom Mülheimer Theater an der Ruhr. Bei Shakespeares Komödie ‘Was ihr wollt’ ging das Ensemble der ‘Studiobühne’ 1988 frech und unverfroren mit Stilbrüchen um und versprühte bösartigen Charme. Ebenfalls 1988 erinnerte Goethes ‘Iphigenie in Tauris’ an US-amerikanische Interventionen in Mittel- und Südamerika. Zum ‘Ersten Siegener Uraufführungs-Festival’ lud man schließlich 1989 ins ‘Kleine Theater’ Lohkasten. Drei experimentelle Stücke einheimischer Autoren standen auf dem Programm. Besonders das von James Joyce inspirierte ‘MaMaLuJo’ sorgte für Gelächter. Es war eine überzogene Mischung aus ‘Tristan und Isolde’-Motiven, irischen Volksliedern, einem Schnelldurchgang durch die literarische wie biologische Evolution und die vier Evangelien. Die inzwischen auf zwanzig Mitglieder angewachsene Truppe teilte sich wieder die Arbeit vor und hinter der Bühne. Mit ‘Sakuntala oder Der entscheidende Ring’, dem siebenaktigen Drama des Inders Kalidasa, brachte man jüngst zum Jubiläum das krasse Gegenteil: streng stilisiertes, mehr als eineinhalbtausend Jahre altes Theater. Beinahe volle zwölf Monate hatte sich die Truppe für die Erarbeitung des Klassikers Zeit gelassen - um so ausgereifter zeigte sich die Inszenierung, in der indische Mythologie und europäische Tradition eine fruchtbare Symbiose eingingen. Nicht nur eigens angereiste Indologen waren begeistert […]. Für Margarita Fernandez, die Sakuntala-Darstellerin, brachte diese Produktion zudem einen besonderen persönlichen Erfolg: Noch vor der Premiere konnte sie einen Ausbildungsvertrag bei dem Kölner Theater ‘Der Keller’ unterschreiben. Damit wechselte sie - nach Jan Hütterott alias ‘Kaspar’ - als zweites Studiobühnen-Mitglied zu einem professionellen Ensemble: ein wohl signifikantes Schlaglicht auf das schauspielerische Vermögen der Kühnel-Truppe. Während der zurückliegenden zehn Jahre durchliefen rund achtzig Studenten die verschiedenen Inszenierungen. Alle prägten das Bild der ‘Studiobühne’ mit. Und seit Jahr und Tag funktioniert die ganze Theaterunternehmung ohne Gagen und Zuschüsse: Von der Uni oder aus der Öffentlichen Hand gibt es keinen Pfennig; alle Kosten, die durch Kostüme, Requisiten oder Bühnenausstattung entstehen, müssen durch die Eintrittspreise wieder eingenommen werden. Einzig die Nutzung des ‘Lohkasten’ gewähren Stadt und Kulturkreis Siegerland unentgeltlich. Und wie sehen die Perspektiven für die nächsten Jahre aus? Vor allem wollen Kühnel und seine theaterbegeisterten Studenten auch weiterhin ihre Haupteigenschaft beibehalten: Sich nicht in die Karten gucken lassen und für Überraschungen gut bleiben. Was auch immer die Truppe in den kommenden Semestern auf die Bretter zaubert […]: man darf gespannt sein und eine hohe künstlerische Qualität wie eine konzentrierte geistige Auseinandersetzung erwarten.“ [Peter Seel: Von antiken bis zu heimischen Autoren: Jubiläum im Licht strahlender Erfolge. Rheinzeitung vom 14. 7. 199o.] 199o ERSTAUFFÜHRUNG: Ingmar Bergman: Wie in einem Spiegel. Nach der synchronisierten deutschen Fassung des gleichnamigen Filmes aus dem Jahre 1962. Karin: GABY LOOCK. David. Ihr Vater. Schriftsteller: KRISCHAN SCHULTE. Martin. Ihr Mann. Arzt: CHRISTOPH LATOS. Fredrik. Ihr Bruder: PETER SEEL. Bühnenbild: STEPHAN BECKER. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 27. November 199o im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 28. November, 1. und 3. Dezember 199o. „‘Die Linsensuppe schmeckt scheußlich, bei der Premiere bitte etwas anderes.’ Ein Darstellerwunsch nach der Generalprobe des Stücks ‘Wie in einem Spiegel’, einer Welturaufführung der Studiobühne der Uni Siegen im Lohkasten. […] Jürgen Kühnel hat das Wagnis unternommen, den Film des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman, den ersten Teil einer Trilogie, als Bühnen-Kammerspiel umzusetzen. […] Die vier Akteure sind startbereit in der von Stephan Becker entworfenen Szenerie. Ein Bootssteg, bläulich und schimmernd beleuchtet ein Streifen Meer, Bühnenhintergrund das Ufer, ein Tisch (für die Suppe), vier Stühle. Sommerurlaub am Meer. Im Badedress Vater und Tochter, deren Ehemann und ihr Bruder. Eine scheinbar ganz normale Familie. Langsam schleichend - die Inszenierung läßt dieses Kriechen fröstelnd herüberkommen - deutet sich die Katastrophe an. Karin leidet an Schizophrenie. Der Ehemann ist Arzt. Seine aus Hilflosigkeit geborene Kälte, der Egoismus des Vaters, der seine Schriftstellerkarriere mit einer Studie über die Krankheit der Tochter begründen will, und die pubertäre Verstricktheit des introvertierten Bruders lassen Karin keinen Fluchtweg aus dem Wahnsinn offen. Nach angedeutetem Inzest mit dem Bruder dann der Zusammenbruch. Statt der in Visionen angedeuteten Gott-Erscheinung eine Horrorvision: Karin wird in die geschlossene Anstalt gebracht. Die Zurückbleibenden erkennen ‘wie in einem Spiegel’ einen Teil ihres Ichs in der Krankheit Karins und spüren in aufkeimender Selbsterfahrung, ‘daß Gott die Liebe ist.’ Zu spät für Karin, die Liebe gebraucht hätte. Das Stück ist von Jürgen Kühnel durch und durch beklemmend inszeniert. Der Text des Films ist bis auf drei Sätze übernommen. Die Inszenierung ist unabhängig vom Vorbild. Ein wesentlicher Faktor ist die Beleuchtung. Ein blutroter Lichtkegel umgibt Karin wie eine Zelle, in der sie ihre visionäre Welt erlebt. Das Meeresrauschen verstärkt sich beim Übergang in Traumzonen. […] Gaby Loock […] spielt die Karin erschreckend suggestiv, macht die verzweifelte Suche nach Verstehen, die Wechselbäder zwischen Wahn und Wirklichkeit spürbar, zeigt als einzige der Akteure Gefühlsausbrüche. Krischan Schulte spielt den Vater, kühl, distanziert, den erhofften Erfolg starr im Auge. Zum Finale macht er aufdämmernde Einsicht transparent. Christoph Latos, marionettenhaft steif in der Begegnung mit der Kranken, tastet sich ebenfalls langsam an diesen fast versöhnlichen Schluß heran, von dem sich Bergman wieder distanziert hat. In seinem Film ‘Das Schweigen’, dem Abschluß der Trilogie, steht die absolute Negation. Peter Seel als 18jähriger Fredrik macht die totale Eingeschlossenheit im eigenen Problemfeld sichtbar. Von ihm kommen die Worte: ‘Jeder von uns ist in einem Glaskasten.’ Ein schwieriges Stück, enorm sensibel eingefangen.“ [MA: Studiobühne heute: Berühmter Filmstoff erstmalig als Stück. Westfälische Rundschau vom 27. 11. 199o.] „Die Darstellung menschlichen Dramas in Gestalt einer an Schizophrenie erkrankten Frau, die Frage nach der Existenz Gottes und die Bedeutung der Liebe für den Menschen - das sind die zentralen Inhalte des Films ‘Wie in einem Spiegel’ von Ingmar Bergman aus dem Jahre 1962. Die synchronisierte deutsche Fassung nahm Jürgen Kühnel […] als Vorlage für sein gleichnamiges Bühnenstück, das zur Zeit im Kleinen Theater Lohkasten aufgeführt wird. Einfallsreichtum bei der Kreation des Bühnenbilds und der Beleuchtung kann man Stephan bescheinigen. Auf mehreren durch den Publikumsraum führenden Stegen […] vollziehen sich einzelne Szenen in Hautnähe vor den Augen der Zuschauer, die so das Geschehen ohne hemmende Distanz zur Bühne erleben. Meeresrauschen, Regenprasseln und Donnergrollen vom Band. […] Die so entstehende große Unmittelbarkeit der Darbietung geht einher mit dem Ziel Bergmanscher Filmtechnik, nämlich dem Zuschauer so nahe wie möglich zu kommen und ihn so wirksam wie möglich zu treffen. […] Gaby Loock [… als] erblich vorbelastete, schizophrene Karin […]: Eine Bravourleistung, die eine enorme Konzentrations- und Identifikationsfähigkeit voraussetzt. […] Gaby Loock lebt diese Frau glaubwürdig, verausgabt sich, man entdeckt förmlich das Flackern in ihren Augen. […] Die Umsetzung des diffizilen Themas gelang der Studiobühne unter der […] Regie von Jürgen Kühnel mit viel Einfühlung und Blick für die seelischen Tiefentöne des Stücks.“ [cat: Uni-Studiobühne: Bravourleistung Gaby Loocks im Lohkasten. ‘Wie in einem Spiegel’ nach Ingmar Bergman. Viel Einfühlung der Darsteller. Siegener Zeitung vom 29. 11. 199o.] „Die Premiere im Kleinen Theater Lohkasten war zugleich eine Welturaufführung. Die Studio- bühne unter der Leitung von […] Jürgen Kühnel setzte den ersten Teil einer FilmTrilogie des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman in ein Bühnenstück um. ‘Wie in einem Spiegel’, so der Titel des Beziehungsstückes. Akteure sind die Mitglieder einer oberflächlich gesehen normalen Familie auf einer Insel in der Ostsee. Die scheinbare Familienidylle zerbricht mit zunehmender Geisteskrankheit der Tochter Karin. Gaby Loock in der Rolle der schizophrenen jungen Frau überzeugte durch die Bandbreite ihrer Gefühlslagen: von ruhigen, depressiven Stimmungen bis zu gehetzten Angst- und Haßausbrüchen, […]. Gelungen das Bühnenbild von Stephan Becker, die geschickte Ausnutzung des minimalen Platzes im Lohkasten: Ein Bootssteg, das blaue Meer, angedeutet durch schimmernde Kunststoff-Folie, das Haus der Familie, der Eßtisch. Doch trotz gemeinsamer Lebensräume ‘lebt jeder in einem Glaskasten’ […]. Subtil und unheimlich der Einsatz der Geräusche: Tosender Wind, Möwenschreie als akustische Verdeutlichung der rauhen, unwirtlichen Beziehung der Familienmitglieder zueinander wechseln mit plötzlicher Stille, Beziehungslosigkeit. Eine Inszenierung, die unter die Haut geht.“ [aba: Bergman-Film auf Lohkasten-Bühne. Premiere der Studiobühne. Westfalenpost vom 29. 11. 199o.] „‘Wie in einem Spiegel’, den ersten Teil einer Filmtrilogie Ingmar Bergmans, ließ die ‘Studiobühne’ der Universität Siegen unter der Regie Jürgen Kühnels […] jetzt als Theaterstück neu erstehen. Aber weniger die Frage nach Gott als die eines menschlichen Miteinanders in der Extremsituation des Alltags bestimmt die Inszenierung. Vier Menschen, der Schriftsteller David (Krischan Schulte), sein pubertierender Sohn Fredrik (Peter Seel), seine an Schizophrenie erkrankte Tochter Karin (Gaby Loock) und deren Ehemann Martin (Christoph Latos), Arzt von Beruf, verbringen einige Tage in der Isolation eines einsamen Ferienhauses an der See. Hoffnungslos überspielt wirken die ersten Aktionen auf der Bühne, jeder Geste, jedem Wort wird symbolische Bedeutung zuerkannt, jede marternde Belanglosigkeit scheint von existenzieller Funktion. Ein karges, nur von dürrem Scheinwerferlicht erhelltes Bühnenbild (Stephan Becker) verstärkt diesen Eindruck noch. Erst allmählich wird deutlich: Die vier Personen unternehmen stumm verzweifelt den Versuch, eine äußere Lebensordnung aufrechtzuerhalten, da unter der Oberfläche längst das Krebsgeschwür des Wahnsinns nagt. Endlich reißt der Vorhang. Karins Krankheit kommt zum Ausbruch, und wie in einem Spiegel offenbaren sich die Seinsfragen des ganzen Quartetts. An religiösen Wahnvorstellungen leidet die junge Frau, sie sehnt einen Gott herbei, der ihrem geistigen Auge schließlich als gräßliche Spinne erscheint und angeblich in sie hineinzukriechen versucht - ohne Frage eine von verklemmter Sexualität motivierte Vision. Ihr Gatte Martin beobachtet den ‘Fall’ mit dem lieblos-kühlen Interesse des Mediziners. Der Zwiespalt zwischen gefühlter Liebe und auszulebender Sexualität bestimmt auch Karins Bruder Fedrik. Trotzig, verdrossen sucht er einen Weg zum Erwachsenwerden, zur (Geschlechts-)Reife. Einen Ausweg aus dem Dilemma scheint nur der Vater gefunden zu haben, der, sein Scheitern als Schriftsteller längst erkennend, auf eine göttliche Liebe vertraut. Hier - Silberstreif am Horizont - offenbart sich die Möglichkeit einer Lösung und die eigentliche Botschaft an den Zuschauer. Aus einem konzentriert und mit äußerster Präzision agierenden Ensemble ragt Gaby Loock heraus. […] Diese neue ‘Studiobühnen’-Inszenierung verdient das Prädikat ‘unbedingt sehenswert’.“ [Wolfgang Hirsch: Liebe als einzige Hoffnung. ‘Studiobühne’ inszenierte Ingmar Bergmans ‘Wie in einem Spiegel’. Rheinzeitung vom 29. 11. 199o.] 1991 William Shakespeare: Wie es euch gefällt. Deutsche Übersetzung nach Christoph Martin Wieland. Bühnenbearbeitung: STEPHAN BECKER. Der Herzog in der Verbannung / Friedrich. Bruder des Herzogs. Unrechtmäßiger Inhaber seines Herzogtums: KRISCHAN SCHULTE. Rosalinde: PAMELA DUBE / BIRGIT KOWALSKI. Celia: IRIS KLIMACH. Olivier: TILMAN WELTHER. Orlando: MARTIN HEINZEL. Amiens: PETER SEEL. Jacques: GÖTZ SCHMEDES. Probstein. Ein Pickelhäring: JOCHEN VENUS. Le Beau. Höfling: SOEKE KRANICH. Carl. Ein Ringer: PETER SEEL. Sylvius. Ein Schäfer: MICHAEL KORTE. Phöbe. Eine Schäferin: KATHARINA BECKER. Audrey. Ein Bauermensch: SANDRA NUY. Ein Gefährte des Herzogs in der Verbannung / Leibwache Friedrichs: GERHARD WEBER. Bühnenbild: STEPHAN BECKER. Vertonung der Song-Texte: PETER SEEL. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 11. Juni 1991 im Kleinen Theater Lohkasten Weitere Aufführungen: 12., 14., 16., 18. und 19. Juni 1991. „Traum und Wirklichkeit, Sein und Schein - diese Gegensätze bestimmen William Shakespeares Stück ‘As you like it - Wie es euch gefällt’. Gestern Abend feierte die Studiobühne im ausverkauften Lohkasten […] Premiere. Und was die Laienschauspieler der Universität-Gesamthochschule Siegen unter ihrem Regisseur […] Jürgen Kühnel auf die Beine gestellt hatten, konnte sich wahrlich sehen und hören lassen. Tosender, langanhaltender Beifall war der 18köpfigen Truppe zum Schluß der Shakespeare-Komödie in der klassischen deutschen Übersetzung durch Christoph Martin Wieland denn auch sicher.“ [Premiere der Uni-Studiobühne im Lohkasten: Sein und Schein, Traum und Wirklichkeit. Gelungene Inszenierung der Shakespeare-Komödie ‘As you like ist’. Siegener Zeitung vom 12. 6. 1991.] „’Wie es euch gefällt’ - dieser verpflichtende Titel von Shakespeares zauberhaftem, schwerelos-musikalischem Lustspiel erfüllte sich vollkommen in der Premierenaufführung der Studio-bühne der Universität Siegen. Es gefiel, und wie! Ekstatische Ovationen im Lohkasten stellten das unter Beweis. Die szenische, gestische, atmosphärische Instrumentierung des Spiels in Jürgen Kühnels Regie ist mit ausgefallenen Einfällen gespickt. Erfrischend die Selbstverständlicheit, mit der Jeans und Turnschuhe, Zigarettenrauch und stilisiertes Plastik-Lagerfeuer Grenzverwischungen zwischen einst und jetzt schaffen. Unübersehbar läßt eine aus Folie entwickelte Statue das ‘Zepter’ des Eros, der das Spiel dirigiert, ins Geschehen ragen. Der Charme des nicht Perfektionierten liegt über Stephan Beckers lichtdurchwirktem Torbogen-Bühnenbild, über dem ganzen wunderbaren Getümmel im ‘Ardennerwald’, in dem sich Vertriebene, vom Hof Verbannte, begegnen. Die treffende, zugleich total individuelle Typisierung der Figuren bot keinen Raum für Entgleisungen. Im Detail: Pamela Dube spielte die Rosalinde, die den edlen Orlando liebt, mit allen Schattierungen der Seligkeit und Melancholie. Ungetrübt heiter die Lektionen, die Rosalinde - als Bauernjunge verkleidet - mit Lausbubencharme in Sachen Liebe erteilt. Martin Heinzel im Part des Orlando zeigt die bezwingende Lauterkeit des ‘Jünglings’, für den die Liebe noch ein Wunder ist. Erstaunlich die Wandlungsfähigkeit Krischan Schultes, der ebenso überzeugend den vertriebenen, guten und weisen Herzog spielt wie den bösen Vertreiber, der schließlich im Ardennerwald geläutert wird. Iris Klimach als übersprudelnd fröhliche Gefährtin der Rosalinde macht voll Natürlichkeit und praller Sinnenfreude begreifbar, daß der Bruder des Orlando an ihrer Seite seine bisherige, unschöne Vergangenheit vergessen will. Auch dieser junge Edelmann (Tilman Welther) wandelt sich mit Bravour - wie der ‘böse’ Herzog vom Saulus zum Paulus. Das dritte und vierte Paar schoß - hinsichtlich umwerfender Komik - im Wald der Verbindungen den Vogel ab. Die Schäferin Phöbe (Katharina Becker) wirbt mit Inbrunst um die Gunst des Jünglings, den sie in der verkleideten Rosalinde zu sehen glaubt. Angebetet wird sie von Schäfer Sylvius (Michael Korte, in geschneiderten Hirtenteppich-Hosen), den sie vorerst verschmäht, bis das Verwechselspiel sich löst. Faunisch und faustdick sinnlich geht es zu zwischen den beiden, die schon rein optisch - er mit Hörnchen, sie mit zu Berge stehendem Haarstietz - das Zwerchfell strapazieren. Schließlich finden sich noch deftig, kräftig und innig der ironisch-bissige Narr Probstein (Jochen Venus) und die bäuerliche Audrey (Sandra Nuy), die anrührend naiv durch Himmel und Hölle von Sinnenlust und Leid stapft. Soeke Kranich, aalglatt intrigierender Höfling, Götz Schmedes als herzoglicher Philosoph sowie Peter Seel und Gerhard Weber - ebenfalls Bediente der Herzöge am Hof und in der Verbannung - wurden ihrer komödiantischen Rolle ebenso gerecht wie dem Regiekonzept, das keinen an der Wand stehen läßt. Was noch? Tanz, Pantomime, Akrobatik ‘im Ring’ - hautnah am Publikum.“ [MA: Studiobühne: Ein Spiel - wie es euch gefällt - und uns gefiel. Westfälische Rundschau vom 13. 6. 1991.] 1991 - Die zwanzigste Inszenierung. „Das Theater und das Mittelalter sind seine Welt. Die Begeisterung für beides wurde in dem 47jährigen Germanisten schon sehr früh geweckt. Er erinnert sich genau: Als er neun war, sah er auf der berühmten Freitreppe von St. Michael in Schwäbisch Hall eine Aufführung von Hebbels ‘Nibelungen’, in der die Stuttgarter Schauspielerin Lilo Barth als Brunhild auftrat. Wie das Schicksal so spielt: Jahre später, als Kühnel in Stuttgart über seiner Promotion brütete - er studierte Germanistik, Indogermanistik, Geschichte und Politikwissenschaft -, nahm er selbst Privatunterricht bei dem Schauspiel-Idol seiner Kindheit. Das Mittelalter ‘fand’ der gebürtige Göppinger endgültig 1977, als er an die Uni Siegen kam. In seinen Vorlesungen und Seminaren analysiert er seither mittelhochdeutsche Literatur. Mit dem Theater war das anders. Zwar kam der Theaterbesucher Kühnel nicht zuletzt durch häufige Besuche in der Frankfurter Oper doch noch auf seine Kosten; nicht so der Schauspieler Kühnel. Ein Glück für die Siegener Kulturszene, denn sonst gäbe es heute nicht die Studiobühne der Uni Siegen, die am vergangenen Dienstag mit ihrem 2o. Stück [Shakespeares ‘Was ihr wollt’] im Kleinen Theater Lohkasten Premiere und zugleich einen runden Geburtstag feierte. Denn, so gesteht Dr. Jürgen Kühnel, mit der Gründung der Studiobühne habe er vor allem selber wieder hautnahen oder besser: fußsohlennahen Kontakt aufnehmen wollen mit den Brettern, die die Welt bedeuten. Längst ist die Studiobühne, die Dr. Jürgen Kühnel 1979 ins Leben rief, zu einem nicht zu übersehenden Aushängeschild für die Universität geworden. Denn das Amateurschauspielerteam, das sich in wechselnder Besetzung, aber mit hartem Kern, aus Studentinnen und Studenten der Literaturwissenschaft, der Musik und der Kunst, neuerdings auch der Medienwissenschaft zusammensetzt, hat in seinen durchschnittlich zwei Inszenierungen pro Jahr ein beachtliches Niveau erreicht. 2oo bis 5oo Zuschauer sahen jeweils die verschiedenen Bühnenstücke. Besonders stolz ist Kühnel darauf, daß inzwischen rund die Hälfte der Besucher nicht aus dem Hochschulmilieu, sondern aus der Siegener Bürgerschaft stammen. Die Stücke der Studiobühne spielen nicht nur im Mittelalter, es geht vielmehr quer durch die Jahrhunderte. Bereits die erste Produktion der Studiobühne im Sommer 198o, Johann Nestroys Posse ‘Frühere Verhältnisse’, war ein vielversprechender Erfolg. Stücke von Sartre, Camus, Strindberg, ja selbst der altindische Klassiker ‘Sakuntalá’ sowie Aufführungen heimischer Autoren standen schon auf dem Programm. Nach jeder Premiere überfällt Kühnel das bekannte ‘Nie wieder’-Gefühl - ‘doch dann geht es munter weiter.’ Und er hat auch schon wieder Wünsche für die Zukunft, etwa die ‘Katze auf dem heißen Blechdach’ oder Kleists Kleistischstes Werk ‘Penthesilea’. Wenn die Regiearbeit es zuläßt, spielt der Studiobühnenleiter selbst mit; am stärksten faszinieren den Schauspieler Kühnel die ‘bösen’, die intriganten Charaktere. In Kleists ‘Familie Schroffenstein’ schlüpfte er zum Beispiel in die Rolle des Familienvaters, der seinen eigenen Sohn umbringt. Was bedeutet die Bühne für Kühnel? ‘Theater öffnet ein ganzes Spektrum verdrängter Möglichkeiten’, und es ist ‘Leben in konzentrierter Form’. Durch die Theaterarbeit lerne man auch den Umgang mit den eigenen Gefühlen, ohne daß er selbst allerdings - hier zieht Kühnel eine klare Trennungslinie - auch im wirklichen Leben (nur) ‘Rollen spiele’. Zu hoffen bleibt nur, daß Jürgen Kühnel in der Kulturszene Siegens weiterhin seine Rolle spielt.“ [bwe: Initiator der Uni-Studiobühne blickt zurück: Theater ist Leben in konzentrierter Form. Dr. Jürgen Kühnel feiert mit seinen Mimen Premiere und runden Geburtstag. Siegener Zeitung vom 22. 6. 1991.] 1992 Paul Kornfeld: Jud Süß. Tragödie in drei Akten und einem Epilog. Bühnenbearbeitung: GÖTZ SCHMEDES / TILMAN WELTHER. Joseph Süß Oppenheimer: KRISCHAN SCHULTE. Karl Alexander. Herzog von Württemberg: GÖTZ SCHMEDES. Die Herzogin: SANDRA NUY. Minister Remchingen: JÜRGEN KÜHNEL. General Speckenschwardt: PETER SEEL. Vertreter der Landstände: Stein: AXEL RUF. Ulbrich: ACHIM WEHRLE. Prinzessin Lichtenstein: IRIS KLIMACH. Gräfin Lichtenau: CLAUDINE KLAPPERT. Zeremonienmeisterin: KATRIN HEINRICH. Rollmann. Lakai: GERHARD WEBER. Diener bei Remchingen: CLAUDIA MERTENS. Der Regent: TILMAN WELTHER. Professor Hilprecht: LUDWIG STECHER. Frau Götz: KATHARINA BECKER. Anna, Ihre Tochter: MIGNON FUCHS. Der Schmied Rottach (blind): JOCHEN VENUS. Fränkel. Süßens Onkel: MICHAEL GRETHLER. Bühnenbild: STEPHAN BECKER. Kostüme: SUSANNE FISCHER. Ton: GÖTZ SCHMEDES / JOCHEN VENUS / TILMAN WELTHER. Regie: JOCHEN VENUS / TILMAN WELTHER. Premiere: 26. Mai 1992 im Kleinen Theater Lohkasten. Weitere Aufführungen: 28., 29. und 31. Mai, 2., 3. und 5. Juni 1992. „‘Der Jud ist tot, der Jud ist tot, / Das ist für uns das Morgenrot.’ Die Beklemmung ist total bei dem Szenario im Lohkasten, wenn sich diese Worte im Stimmengewirr rhythmisch artikulieren, während an die Bühnenwand projizierte Flammen zu hämmernden Geräuschen zwingend die Krematorien von Auschwitz ins Gedächtnis bringen. Generalprobe der Studiobühne im Lohkasten. ‘Jud Süß’, ein Stück, das - obgleich sein Inhalt im 18. Jahrhundert spielt - schon durch seinen Autor in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verbrechen des Naziregimes steht -, die Studio-Truppe hat dieses Stück 199o - drei Jahre nach seiner Wiederentdeckung - für ihr Programm ausgewählt. Der Text galt 5o Jahre als verschollen und wurde 1987 in einem Antiquariat aufgestöbert. Der Autor Paul Kornfeld, 1889 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in Prag geboren, starb 1942 im Konzentrationslager Lodz. ‘Jud Süß’ - der Titel bringt den von Veit Harlan 194o gedrehten antisemitischen Hetzfilm in Erinnerung, mit dem der Inhalt des Stückes außer rein historischen Parallelen nichts gemein hat. Der vom Volk gehaßte Finanzienrat Joseph Süß Oppenheimer wurde - kurz nach dem Tod seines Herzogs und Gönners - am 4. Februar 1738 am höchsten Galgen der Stadt Stuttgart aufgehängt. Sühne für Verbrechen, die ihm nicht nachgewiesen werden konnten. Der Jude erscheint als Sündenbock, der für die Untaten vieler Christen die Zeche mitbezahlt. Das ist Historie. Die Inszenierung des ‘harten Brockens’, dessen Behandlung viel Fingerspitzengefühl erfordert, lag in den Händen von zwei Mitspielern: Jochen Venus und Tilman Welther. Die Jungregisseure versuchten nicht, neue Aspekte einzubringen, sie blieben den Charakteren auf der Spur, den Umrissen der Figuren, und erreichten eine atemberaubende Dichte der Bilder. Krischan Schulte gelingt in der Gestaltung der Titelrolle eine verhaltene Zeichnung dieser schillernden Persönlichkeit auf dem steilen Weg nach oben, auf dem die Fallen schon bereit stehen. Sein Gegenpart, Götz Schmedes, ist ein stürmischer, vehementer Herzog von hoher Ausstrahlungskraft und bewahrt dieser Rolle eine vermutlich nicht ganz authentische Sympathie. Eine großartige Leistung bietet Sandra Nuy als Herzogin, die in Süß Oppenheimer Hoffnungen setzt und sich getäuscht sieht. Da offenbart sich Gefühl ganz subtil und zurückgenommen. […] Jürgen Kühnel als Minister Remchingen gibt der von Neid und Racheplänen gejagten Figur eindringliche Züge zwischen aufflackernder Dämonie und feiger Angst. Peter Seel überzeugt als skrupelloser, Mordpläne schmiedender General. Der Flor der Damen, die Vertreter der ausgebeuteten Landstände, die Bittsteller am Hof, die Bediensteten, das alles fügt sich zu homogenem Ensemblespiel. Trotz beklemmender Atmosphäre kein durchweg düsteres Stück. Die geistvollen, ironischen Dialoge, die Dialektik von Rede und Gegenrede, die innere Spannung und das furios entfaltete szenische Temperament lassen in Passagen Entspannung und Genießen zu. Stephan Beckers Bühnenbild beschränkt sich auf Lichtschranken als Raumteiler, sehr sparsam, sehr wirkungsvoll. Eine rundum perfekte Generalprobe! Und heute ist Premiere.“ [MA: Studiobühne mit Kornfelds Drama ‘Jud Süß’ -heute Premiere. Inszenierung geht unter die Haut. Zwei Ensemblemitglieder als Regisseure profiliert. Westfälische Rundschau vom 26. 5. 1992.] „Vielleicht werden Sie es schon allmählich als langweilig empfinden, wenn ich bei jeder neuen Produktion, die Sie im Lohkasten vorstellen, immer behaupte, ‘die war die beste der bisherigen Leistungen’. […] Krischan Schulte, den Darsteller der Titelpartie, möchte ich als einen vollendeten Schauspieler einstufen. Vom ersten Auftritt an faszinierte er durch Ton, Mimik und Gesten die scharf umrissene Persönlichkeit des Jud Süß, wie er durch seine sich übersteigernde Lebenshaltung sich selbst in den Abgrund reißt - um dann wegen eines unbegründeten Verdachtes sozusagen völlig unschuldig in den Tod gerissen zu werden. Götz Schmedes als Herzog von Württemberg hat mich in erster Linie durch seine außerordentliche ergreifende Todesszene beeindruckt. […] Die Meisterleistung war für mich die Verkörperung der zwielichtigen Gestalt des Ministers Remchingen. Ihre Sprache, Ihr wechselnder Gesichtsausdruck und Ihre jeweilige Körperhaltung, lieber Freund Kühnel, war wieder einmal eine schauspielerische Glanzleistung. […] Ich möchte Ihnen und allen Beteiligten wünschen, daß die in der Premiere erzeugte Spannung durch alle Vorstellungen erhalten bleibt. Mit herzlichen Grüßen für Sie und Ihr großartiges Team bin ich stets Ihr Rolf Agop.“ Rolf Agop an Jürgen Kühnel; Brief vom 27. 5. 1992.] 1992 - Abschied vom Lohkasten. „Ein prüfender Blick, dann rückt Dr. Jürgen Kühnel den Tisch und die beiden Stühle auf der Bühne des Lohkastens zurecht. Der Leiter der Studiobühne der Uni-GH Siegen ist mitten in den Vorbereitungen für die Probe. An diesem Abend soll der zweite Akt des ‘Groß-Cophta’ einstudiert werden. Die Komödie von Johann Wolfgang von Goethe ist die letzte Inszenierung der Studiobühne im Lohkasten. Ende des Jahres läuft bekanntlich der Mietvertrag zwischen der Stadt Siegen und den Lokasten-Eigentümern aus. Seit ihrer Gründung vor zwölf Jahren war die Studiobühne in dem kleinen Theater zu Hause. Kein anderer hat den Raum und seine Gegebenheiten so intensiv genutzt wie Jürgen Kühnel, keiner hat im Laufe der Zeit so viele verschiedene Spielmöglichkeiten entdeckt wie er. Als Bühnenbildner standen ihm zunächst Lutz Dransfeld und Hubertus Heuel zur Seite, die aber den Raum nicht so intensiv einbezogen haben wie später Stephan Becker. Der Gedanke, künftig nicht mehr in der vertrauten Umgebung arbeiten zu können, sei ihm zunächst schwergefallen, so Kühnel. Aber Selbstmitleid liegt ihm nicht: ‘Es wird weitergehen. Die Alternative wäre Aufgeben.’ Doch daran denkt er im Moment nicht, auch wenn er sich vorstellen kann, sich langfristig die Rolle eines ‘Intendanten’ anzueignen und die Regie anderen zu überlassen; wie Stephan Becker bei Shakespeares ‘Was ihr wollt’ und Jochen Venus und Tilman Welther bei Kornfelds ‘Jud Süss’. Bei der Suche nach einem neuen Spielort kam nur einer in städtischer Lage in Frage. ‘Ich sehe die Studiobühne als einen Beitrag der Universität zum kulturellen Leben in dieser Stadt’, begründet Kühnel. Also werde er das Angebot von Kreiskulturreferent Wolfgang Suttner, daß die Studiobühne künftig im ‘Alten Lyzeum’ auftreten kann, annehmen. Der dort vom Kreis zum Theater ausgebaute Raum ist großzügiger angelegt als der Lohkasten und hat trotzdem intime Atmosphäre. Während der Probe bleiben die Probleme der Zukunft außen vor: Kurz und präzise legt Regisseur Kühnel seinen Schauspielern dar, wie die Szene ablaufen soll, erläutert Sprache, Gestik und Bewegung. Konzentriert folgen die Studenten seinen Anweisungen, spielen eine Szene dreimal, viermal - so lange, bis alle Details stimmen. Von Nostalgie keine Spur, die Arbeit am Stück steht für die Studenten im Vordergrund. Krischan Schulte: ‘So etwas wie Wehmut kommt wahrscheinlich erst bei den Aufführungen.’“ [sn: Studiobühne probt: ‘Letzter Akt’ im Lohkasten. Westfälische Rundschau vom 29. 1o. 1992.] 1992 Johann Wolfgang Goethe: Der Groß-Cophta. Lustspiel in fünf Aufzügen. Textfassung unter Einbeziehung der Fragmente Die Mystifizierten und Der Kophta, als Oper angelegt: GÖTZ SCHMEDES / JOCHEN VENUS / TILMAN WELTHER. Der Abbé: ACHIM WEHRLE. Der Graf: KRISCHAN SCHULTE. Der Chevalier: GÖTZ SCHMEDES. Der Marquis: MARTIN HEINZEL. Die Marquise: KATHARINA BECKER. Die Nièce: CLAUDIA SCHADT-KRÄMER. Der Oberste der Schweizergarde: HANS-ULRICH GANSER. Saint Jean. Bedienter des Abbé: JOCHEN VENUS. Lisette. Bediente der Marquise: KATRIN HEINRICH. Der Hofjuwelier: TILMAN WELTHER. Bühnenbild: STEPHAN BECKER. Ton: JOCHEN VENUS: Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 7. Dezember 1992 im Kleinen Theater Lohkasten Weitere Aufführungen: 8., 1o. und 11. Dezember 1992. „Licht hat er zwar ins Dunkel gebracht, am Ende aber alles verloren. Nur noch Verzweiflung und Trauer in den letzten Worten: ‘Nichts werde ich mehr genießen können.’ Manche Chimäre hatte sich zuvor in Luft aufgelöst. Das Seelchen vom Lande besaß keineswegs mehr die Unschuld, die sie in ihrem Gesicht spazieren getragen hatte. Ursache war der Marquis, womit für die Marquise die letzte sicher geglaubte Ehe-Konvention verpuffte. Und der Abbé: Alles ersehnt und nur Luftblasen erschnappt. Es wurde ganz schön abgeräumt beim letzten Auftritt der Studiobühne im Lohkasten. Mit Goethes Lustspiel ‘Der Groß-Cophta’ hatten sich die Studenten um Jürgen Kühnel mal wieder ein seltener gespieltes Stück ausgesucht, um es zu neuer Entdeckung aufzubereiten. Goethe ging es um die Verfallserscheinungen des Absolutismus. Alles ist falsch in dieser Gesellschaft. Aber auf eine bloß historische Perspektive ließ sich die Studiobühne nicht ein. Jürgen Kühnels Inszenierung wurde zu einer echten Entdeckungsreise in die Gegenwart. Polizeisirenen, Autos, elektronische Spieluhren heulten, brummten und klingelten ins Revolutionszeitalter hinein. Unmißverständlich machte die Inszenierung klar: Die Illusionen, denen die Figuren verfallen, sind unsere eigenen. Die Studiobühne bot ein immer unterhaltsames Plädoyer für Aufklärung. Alle gehen sie dem geheimnisvollen Grafen, dem vermeintlichen Heilsbringer, auf den Leim. Krischan Schulte gibt ihm überzeugend Dämonisches. Die Sympathie gehört den Betrogenen, und es ist immer wieder köstlich zu sehen, wie der Graf ihnen die Zweifel nimmt. Publikumsliebling war der Abbé, von Achim Wehrle ungeheuer komisch als liebeshungriger Kleriker ohne jeden Realitätssinn präsentiert. Ein Wort des Grafen genügte, schon geriet der Geistliche ins Schwelgen. Schwerer hatte es der Guru mit dem wahrheitsbesessenen Chevalier. Götz Schmedes lieferte mit dieser Rolle ein kleines Meisterstück ab. Der Chevalier, in Soldatenuniform gekleidet, klebte mit jeder Geste, mit jedem Wort an seinem Tugendkatalog, der sich so als eine nur weitere Illusion erwies. Der Untergang war absehbar, aber es war der des von allen bedauerten standhaften Zinnsoldaten. Jede Szene war ein Kleinod für sich. Besonders geglückt der große Auftritt des Gurus, eine Geisterbeschwörung. Claudia Schadt-Krämer, zuvor das niedliche Unschuldslamm, liest Kommendes aus der Kugel, die übrigen geben der Szene als geheimnisvoll raunender Chor suggestive Kraft. Der letzte Auftritt der Studiobühne im Lohkasten: unbedingt sehenswert.“ [uv: Studiobühne: Goethes ‘Cophta’. Die Sympathie gehört immer den Betrogenen. Westfälische Rundschau vom 1o. 12. 1992.] „Ein letztes Mal ging gestern der nur im bildlichen Sinne vorhandene Vorhang im Kleinen Theater Lohkasten für eine neue Premiere der Uni-Studiobühne auf. ‘Der Groß-Cophta’ stand auf dem Programm, ein recht unbekanntes Lustspiel von Johann Wolfgang von Goethe. […] Unter der Leitung von Dr. Jürgen Kühnel haben die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler der Siegener Uni Goethes Posse lebendig inszeniert. Über die Auswahl des […] Stückes mag man streiten, in der Ausführung überzeugten alle Darsteller, allen voran der blondgelockte Abbé (Achim Wehrle). Ob er in schwarzem, rotbebordetem Talar, mit gefalteten Händen sehnsüchtig seiner Erhebung in den ‘dritten Grad’ entgegenfieberte oder neben seinem Kruzifix in weißer Turnhose und roten Wollsocken eine urkomischen Liebhaber abgab, Achim Wehrle blieb seiner Rolle treu. […] Konsequent durchgestylt gab sich auch der Marquis (Martin Heinzel), dessen Gesichtsakrobatik einfach köstlich war.“ [bwe: ‘Der Groß-Cophta’: Falsche Liebesbriefe und eine echtes Halsband. Letzte Premiere der UniStudiobühne mit Goethe-Lustspiel im Kleinen Theater Lohkasten. Siegener Zeitung vom 8. 12. 1992.] „Sehr herzlichen Glückwunsch […] zu der außerordentlich ideenreichen, spritziglebendigen Groß-Cophta-Inszenierung, die vom ersten bis zum letzten Moment spannungsgeladen und logisch durchdacht war und arg viel Vergnügen bereitete. Auch die Reduzierung auf die Lohkasten-Bühnenverhältnisse war glänzend gelöst. Hoffentlich finden Sie ein geeignetes und passendes Domizil für Ihre so erfolgreiche und intensive Arbeit. […] Alles Gute für die folgenden Cophta-Aufführungen und für Ihre weitere glückliche Tätigkeit mit so gutem Darsteller-Personal!“ [p.s.] „Die Musik war hervorragend gut.“ [Rolf Agop an Jürgen Kühnel. Brief vom 8. 12. 1992.] 1993 URAUFFÜHRUNG / SZENISCHE LESUNG: Jean-Paul Sartre: Freud. Szenario. Sprecher: KONRAD SCHERFER. Freud: TILMAN WELTHER. Meynert. / Herr von Schroeh. / Arzt (Geburtshelfer). / Gärtner. / Hofrat. / Jakob Freud. / Stimme am Telefon. / Friseur: JÜRGEN KÜHNEL. Breuer. / Erster Arzt. / Diener bei Herrn von Schroeh: KRISCHAN SCHULTE. Fließ. / Krankenträger. / Straßenhändler. / Diener bei Breuers. / Vorsitzender der Gesellschaft der Ärzte. / Zweiter Arzt. / Karl von Schroeh: JOCHEN VENUS. Martha Freud. / Krankenschwester. / Magda. / Postbeamtin. / Erste Prostituierte: MIGNON FUCHS. Cäcilie Körtner: SANDRA NUY. Mathilde Breuer. / Hysterische Alte. / Zweite Prostituierte. / Junge Frau (Verwandte der Freuds): CLAUDINE KLAPPERT. Die Mutter. / Dora Wassermann. / Dienstmädchen bei Freuds. / Frau Körtner: ANNE MÜLLER. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 23. November 1993 im Kleinen Theater im Alten LÿZ. Weitere Aufführungen: 3o. November und 1. Dezember 1993. „Eine Weltpremiere stand am Dienstag Abend im Kleinen Theater im Alten Lyz auf dem Programm: Die Uni-Studiobühne hatte sich das nie realisierte Drehbuch Jean-Paul Sartres über den Psychoanalytiker Freud vorgeknöpft. Ein Mammutunterfangen, denn dieses Drehbuch, das erst im Frühjahr dieses Jahres in deutscher Sprache erschien, hätte ein Siebenstundenepos (!) auf der Leinwand ergeben. Die szenische Lesung, die Dr. Jürgen Kühnel und seine Studentinnen und Studenten aus der Textvorlage erstellten, währte immerhin fast vier Stunden und stellte die Zuschauer auf eine harte Probe. Dabei hätte man nicht für möglich gehalten, daß eine szenische Lesung so spannend sein kann. Konrad Scherfer verliest souverän die sehr detaillierten, oft amüsant entlarvenden Regieanweisungen. Die übrigen Mitglieder der Uni-Studiobühne übernehmen einzelne, manche bis zu acht verschiedenen Rollen. Obwohl alle ganz ruhig am Tisch sitzen, werden die einzelnen Charaktere so lebendig, daß man sich mitunter wundert, warum Freud nicht tatsächlich seiner Frau Martha die Hand auf die Schulter legt oder warum Martha in ein Manuskript schaut, während Freud ihr ein enthusiastisches ‘Ich liebe dich’ zuwirft. Mit großer Überzeugungskraft spielt Tilman Welther die Rolle des Wissenschaftlers. Mignon Fuchs erweist Vielseitigkeit, anfangs als kokette Verlobte Freuds, später als treusorgende Ehefrau, die einen diffusen Stolz auf ihren Gatten entwickelt, ohne auch nur im geringsten dessen Theorien zu verstehen, zwischendurch auch als Prostituierte. Sartre hat sich in seinem 1959 verfaßten Drehbuch bewußt nicht dem erfolgreichen Analytiker Freud zugewandt. Ihn interessiert der Weg des jüdischen Arztes von ersten Ausbruchsversuchen aus der konservativen Medizin über immer neue Irrweg bis hin zur Entdeckung des Ödipuskomplexes. Soviel auch an Freudschen Kenntnissen heute überholt sein mag, welch ungeheuren Schritt er vollzog, verdeutlicht Sartre, indem er zunächst die Ansichten und Methoden der Zeitgenossen darstellt: Hysterie galt als weiblich, als nur eingebildete Krankheit, die man(n) (Durchschschnittsalter über 5o, Vollbart, Lorgnon) bestenfalls mit Bädern, Massagen und Elektroschocks behandelte. Glaubwürdig skizziert Sartre Freud als Suchenden, der sich selbst kennen möchte. Stellenweise läuft der Film tatsächlich vor dem inneren Auge ab, sogar einige regelrechte Gags hat Sartre eingebaut, derer sich besonders Jürgen Kühnel in seinen Rollen annimmt. Die acht Darsteller/innen der Uni-Studiobühne - denn Darsteller sind sie, auch wenn sie ‘nur’ mit Sprache, Mimik und sehr beschränkten Gesten arbeiten - entwickeln ein FreudScenario, an dem Sartre sicher mehr Freude gehabt hätte als an dem Film, der schließlich ohne sein viel zu langes Drehbuch in Amerika gedreht wurde (und den er sich womöglich nicht einmal angeschaut hat). Alle Rolle sind sehr passend besetzt, die naiv-trotzige Dora mit Anne Müller, die stolze Mathilde mit Claudine Klappert, der alkoholisierte geistige Vater Freuds mit Jürgen Kühnel, der hackenschlagende Dämon Fließ mit Jochen Venus und der sanfte Breuer mit Krischan Schulte. Sandra Nuy hatte als neurotische Patientin Cäcilie Körtner sicherlich einen äußerst schwierigen Part übernommen, bewies aber ihre Stärke auch beim analytischen ‘Kaminfegen’ im Unterbewußten.“ [bwe: Sigmund Freuds langer Weg zu Ödipus. Die Uni-Studiobühne gastiert mit szenischer Lesung nach SartreDrehbuch im Alten Lyz. Siegener Zeitung vom 25. 11. 1993.] „Eine ‘Premiere’ in dreifacher Hinsicht erlebte das Publikum im neuen Kleinen Theater im ‘Alten Lyz’. Erstmalig trat die Studiobühne der Universität hier - und nicht mehr im ‘Lohkasten’ - auf, erstmalig war eine szenische Lesung und nicht eine Theateraufführung angesagt, und es wurde eine Welturaufführung vorgestellt: Jean Paul Sartres Drehbuch ‘Freud’, in einer Bearbeitung von Studiobühnen-Leiter Dr. Jürgen Kühnel. In seiner Textfassung geriet das Drehbuch, das in der Urform von 1958 - schon aus Gründen des Umfangs - nie verfilmt wurde, zum komplexen, verständlichen und voller dramatischer Spannung steckenden Scenario. Der Beginn der Psychoanalyse - als es nur Bäder, Schocks und Massagen für gestörtes Innenleben gab - und ihr Begründer in seinem problematischen Umfeld erhalten plastische Konturen. Zu diesem Umfeld gehören - auf dem Weg zur Entwicklung der Neurosenlehre und zu den Urgründen der Hysterie bis zur Entdeckung des Ödipuskomplexes und der gnadenlosen Selbstanalyse - die Wissenschaftler Breuer, Fließ und Meynert. Eine ebenfalls authentische Schlüsselfigur ist die Patientin, die Freud beim Erschließen ihres Seelenlabyrinths in Sackgassen führt. In der facettenreichen Dialogführung entstehen die Bilder. Unter Jürgen Kühnels Regie erhält das ‘Scenario’ stellenweise atemberaubende Spannung. Acht Personen finden ihren Autor im Leseforum auf der Lyz-Bühne: Tilman Welther als Freud, emotional verhalten, Verletzbarkeit spürbar machend; Jürgen Kühnel glänzend als zynischer Meynert; Krischan Schulte im Part des Förderers Breuer, der auf Freuds Weg zur Psychoanalyse Meilensteine setzt, ein Opfer seiner eigenen Methode; und Jochen Venus als in seine Thesen verliebter Fließ (Sexualität ist alles). Die Frau bleibt bei Sartre trotz der Bedeutung des Weiblichen für Freud unterrepräsentiert. Mignon Fuchs liest und spricht Freuds liebende ‘Martha’, Claudine Klappert die vernachlässigte Ehefrau Breuers, Anne Müller die ungeliebte Mutter der Patientin Cäcilie. Die unter Zwängen lebende Cäcilie wird von Sandra Nuy anrührend gespielt, viel mehr als ‘gelesen’. Konrad Scherfer ist der Sprecher, der Zusammenhänge herstellt.“ [MA: Studiobühne mit Erstaufführung - neu im Alten Lyz: Sartres ‘Freud’ - viel mehr als eine szenische Lesung. Westfälische Rundschau vom 25. 11. 1992.] „Freud - heute gefeiert als Entdecker der Psychoanalyse - mußte zu seiner Zeit um Anerkennung kämpfen. In das Leben des 3ojährigen, der sich von der herkömmlichen Heilmethode der Psychiatrie - vornehmlich durch Elektroschocks - ebenso abzugrenzen hatte wie von seinen direkten Konkurrenten auf dem Gebiet der Gesprächstherapie und ‘Hypnose’, blendete sich jetzt die ‘Weltpremiere’ von Sartres Drehbuch zu ‘Freud’ durch die Studiobühne der Uni-GH-Siegen ein. […] Jean-Paul Sartres ursprünglich für ein Filmdrehbuch geschriebene Dialoge aus Freuds Biographie durch die Studenten darzustellen, ist dem Leiter der Studiobühne, Dr. Jürgen Kühnel, mit der […] szenischen Lesung gelungen: Volle drei Stunden vermochte die Runde von insgesamt fünf Sprechern und vier Sprecherinnen ihre Zuhörer im vollbesetzten Lyzeum zu fesseln. Durch Gesten und hervorragende Typisierungen kamen in dialogischer Auseinandersetzung grundlegende Erkenntnisse der Psychoanalyse […] zur Sprache. Die Überzeugungskraft der Aufführung […] zweifellos in der Überlagerung von Theorie und Realitätsebene: Der Prototyp der traditionellen Wissenschaft, der Gehirnantom und Psychiater Meynert (Jürgen Kühnel), die Ärzte Freud (Tilman Welther), Breuer (Krischan Schulte), Fließ (Jochen Venus) und ihre Patientinnen Cäcilie (Sandra Nuy) und Dora (Anna Müller) fungierten nicht nur als Vehikel für Theorien, sondern agierten in ihren lebendigen Beziehungen in einer Art, welche auf die Theorien zurückwirkte. […] Um wieviel aussagekräftiger eine solche szenische Lesung doch gegenüber der Theorieerkenntnis ist, bewiesen vor allem die Dialoge zwischen den Ärzten und den Patientinnen. Emphatische Stimmfärbung, teilnahmsvoller Fragegestus, mütterliche Fürsorglichkeit führten sinnlich ins Zentrum einer Heilmethode, die stark auf die Signale achtet, die als beziehungsstiftende die inhaltliche Ebene des Sprechens überlagert.“ [Ingeborg Längsfeld: Therapeuten sind keine ‘Engel’. Studenten der Uni Siegen stellten in einer ‘szenischen’ Lesung Biographie Freuds dar. Rheinzeitung vom 4. 12. 1992.] 1994 URAUFFÜHRUNG: Michael Lommel: Satanstango. Ein Stück in zwei Akten nach dem gleichnamigen Roman von László Krasznohorkai. Futaki: GERHARD WEBER. Frau Schmidt: SANDRA NUY. Kráner: VOLKER BUNSE. Frau Kráner: ANNE MÜLLER. Wirt: MARTIN HEINZEL. Arzt: KRISCHAN SCHULTE. Estike: CLAUDIA SAAR. Irimiás: ACHIM WEHRLE. Petrina: MARCIN KROL. Die Majorin: ANNE RISCHMÜLLER. Der Adjutant: CHRISTOPH SEIFENER. Der Herr mit Schirm: ACHIM KUHN. Bühnenbild: JOCHEN GRINGMUTH. Regie: JÜRGEN KÜHNEL / MICHAEL LOMMEL. Premiere: 6. Dezember 1994 im Kleinen Theater im Alten LÿZ. Weitere Aufführungen: 7., 13. und 14. Dezember 1994. „‘Satanstango’ ist sein erstes Theaterstück: Michael Lommel hat aus dem gleichnamigen Roman von László Krasznohorkai ein Schauspiel entwickelt. ‘Es ist ein Stück für die Studiobühne’, erklärt der 28jährige, der an der Siegener Hochschule Allgemeine Literaturwissenschaft, Germanistik und Philosophie studiert. Schon bei der Konzeption habe er sich an den Möglichkeiten der Uni-Theatergruppe orientiert. Am 6. Dezember hat ‘Satanstango’ Premiere im Kleinen Theater Altes Lyz - eine Welturaufführung. Die Story: In einer heruntergekommenen Ansiedlung in Südost-Ungarn lebt eine Handvoll Menschen. Sie schmieden große Aufbruchspläne, können sich aber aus der Atmosphäre des Verfalls nicht lösen und machen sich gegenseitig das Leben schwer. Plötzlich taucht ein ehemaliger Dorfbewohner wieder auf: Irimiás, ein redegewandter und charismatischer Mann. Mit ihm kommt die Hoffnung auf, daß sich da Los der Dorfbewohner zum Besseren wendet. Aber wie ernst meint es Irimiás? Ist er wirklich ein Gauner und Rattenfänger, als der er erscheint, oder sind hier andere Kräfte am Werk? ‘Es war viel schwieriger und zeitaufwendiger, Krsznohorkais Text zu kürzen, als selbst etwas zu erfinden’, erzählt Michael Lommel. Gerade bei einer langen Rede von Irimiás habe der ‘kreative Anteil in der Kunst der Kürzens bestanden.’ ‘Satanstango’ ist für Michael Lommel Symbol und konkretes Tun gleichzeitig - ‘ein makabres Wortspiel des endgültigen Niedergangs’ nennt er es. ‘Krasznohorkais Roman hat mich von Anfang an begeistert, weil er so vielschichtig ist’, sagt Michael Lommel und blickt dabei, wie so oft im Gespräch, über den Rand seiner runden Brille. Durch seine klare Struktur eigne sich der Roman sehr gut für eine Bühnenbearbeitung. Allerdings: ‘Mir war klar, daß sich der epische Reichtum des Romans durch den Medienwechsel nicht bewahren läßt.’ Doch die Vielschichtigkeit, die sich in der Figur des Irimiás bündelt, wollte Lommel unbedingt erhalten: ‘Das war das Schwierigste.’ Das übrige Personal wurde stark reduziert, theatereigene Mittel rückten in den Vordergrund. In einem ersten Skript hat Michael Lommel den szenischen Ablauf, das Bühnenbild, die Beleuchtung und die Choreographie festgehalten. Die Dialoge kamen im zweiten Schritt. Elemente aus dem absurden Theater sollten den realistischen Handlungsablauf auf brechen und dem Ganzen etwas Surreales verleihen. Die Bühne wird dabei bis in den Zuschauerraum erweitert. Lommel hat das Stück nicht nur geschrieben, er führt auch Regie, gemeinsam mit dem Leiter der Studiobühne, […] Jürgen Kühnel. ‘Die ersten drei Probentage haben mich ziemlich aufgewühlt, auch wenn das pathetisch klingt’, beschreibt Michael Lommel seine Gefühle bei der Inszenierung des eigenen Textes. Zu Beginn fehlte die Distanz. ‘Jetzt habe ich sie’, sagt er und lächelt. Daß er nervös ist, gibt er trotzdem gerne zu. Wurde bisher doch nur quasi trocken geprobt, in einem Raum der Hochschule. Erst kurz vor der Premiere können sich die Studierenden im Alten Lyz einrichten. Mit Spannung sieht Michael Lommel […] dem Zusammenspiel von Bühnenbild, Lichteffekten, Ton und Darstellern entgegen.“ [sn: Wenn der ‘Satan’ in der Studiobühne seinen Tango tanzt. Westfälische Rundschau vom 16. 11. 1994.] „Die studentische Theatergruppe Studiobühne hat von Goethe bis Camus, von Shakespeare bis Ingmar Bergman immer wieder interessante Stücke aufgeführt. Die neue Produktion ist eine besondere Überraschung: Der Siegener Student Michael Lommel hat den 199o auf Deutsch erschienenen Roman ‘Satanstango’ des ungarischen Schriftstellers László Krasznohorkai für die Theaterbühne bearbeitet. Ort der Handlung ist eine heruntergekommene Ansiedlung in Südostungarn. Dort gibt es keine Arbeit, keine Hoffnung und keine Zukunft. Ringsum Verfall, von strömendem Oktoberregen in tiefe Trostlosigkeit getaucht (Analogien zum Siegener Klima sind rein zufällig!). Nur eine Handvoll Menschen sind geblieben und warten auf ein Wunder, das ihr Los zum Besseren wenden könnte. Eines Tages kommt einer und verheißt Erlösung: Irimiás, ein ehemaliger Dorfbewohner und wortgewaltiger Mann mit dem Charisma eines Propheten. Er verspricht anderswo einen neuen Anfang, ein besseres Leben - gegen gute Bezahlung. Die Dorfbewohner können sich der Suggestionskraft seiner Verheißungen nicht entziehen. Irimiás scheint ein Rattenfänger, ein Gaukler und Gauner zu sein, der die Übriggebliebenen in ein noch größeres Unglück führen wird. Doch er ist seinerseits den Zwängen eines übermächtigen Systems ausgeliefert ... Gegen den falschen Propheten regt sich kaum Widerstand. Der einzige unbeeindruckte Dorfbewohner, der Doktor, sitzt stets betrunken ans einem Kneipentisch und ist stiller Beobachter und Chronist eines Niedergangs, den er nicht aufhalten kann (oder will?). Während überall Spinnweben wuchern, ohne daß eine Spinne zu sehen ist, tanzen die Dorfbewohner zur Feier ihrer bevorstehenden ‘Befreiung’ einen infernalischen Tango ... Doch Vorsicht: der Handlungsablauf sagt eigentlich nur wenig über das Stück aus. Der vermeintliche Realismus der Handlung wird in eine visionäre, surreale Atmosphäre gehüllt. Nichts scheint sicher, niemand verläßlich; die greifbare reale Welt unter den Spinnweben erweist sich als die eigentlich trügerische. Daher spielen Beleuchtungswechsel, Töne, Geräusche, Musik, Choreographie und eine äußerst originelle Bühnengestaltung […] eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie die Handlung. Es wäre jedoch ein Mißverständnis, einen düsteren, pessimistischen Theaterabend zu erwarten: dem Autor Michael Lommel kam es darauf an, Elemente des Absurden Theaters, die humorvollen und grotesken Einsprengsel der Vorlage deutlich in Szene zu setzen. Die politische Dimension der Inszenierung reduziert sich nicht, wie man auf den ersten Blick glauben könnte, auf die jüngere Geschichte OstEuropas; vielmehr werden hier grundsätzliche Überlegungen zu den Themen Macht und Ohnmacht, Hoffnung und Verzweiflung verhandelt. Dem Autor war es wichtig, dem Stück unterschiedliche, zum Teil sogar widersprüchliche Ebenen zu unterlegen - im Sinne einer ‘fruchtbaren Irritation’ -, um so den Zuschauern mehrere mögliche Perspektiven anzubieten, anstatt ihnen eine klare Lösung aufdrängen zu wollen.“ [Jochen Venus: Das neue Theaterstück der Studiobühne: „Satanstango“. Siegener, Jg. 1994, H. 12.] „Abgestandenes Bier in halbleeren Gläsern. Eine schäbige Kneipe in einem heruntergekommenen Dorf. Rülpsend räumt der Wirt die Gläser vom Tisch, wischt die Hände an dem schmutzigen Lappen ab, den er immer wieder in seine Schürze stopft. Schlurft zum Fenster. Die Zeit dehnt sich. Der Regen fällt. Ja, dieser endlos prasselnde Regen! […] Michael Lommel, der den Roman ‘Satanstango’ von László Krasznohorkai für die Bühne bearbeitet hat, kann mit der gestrigen Uraufführung der Uni-Studiobühne im Kleinen Theater im Alten Lyz zufrieden sein: Dieser Regen kroch dem überwiegend studentischen Publikum geradezu physisch in alle Glieder. […] Die Tristesse im schlammigen Nest irgendwo in Ungarn ist wirklich gottserbärmlich. Aber die Sehnsucht nach einem besseren Leben treibt bei den Bewohnern bunte Blüten: Der fette Wirt, von Martin Heinzel hervorragend typisiert […], träumt vom Spezialitätenrestaurant. Was für den fußkranken Futaki (Gerhard Weber, absolut überzeugend in Ausdruck und Äußerem) der Job als Pförtner in einer Schokoladenfabrik und das warme Fußbad, das ist für die bigotte Frau Kráner, von Anne Müller in ihrer trotzigsturen Frömmigkeit konsequent gespielt, das Heil des Erlösers. Ihr Mann (Volker Bunse) denkt eher an diesseitige Güter. Die aufgeputzte, doch bäuerliche Frau Schmidt (Sandra Nuy) weiß nur eines: sie will weg. Nur der Doktor, mit dessen Rolle Krischan Schulte den schweigsamsten Part erwischt hat, schreibt unbeirrt. Gott erbarmt sich nicht, aber anders als in Becketts ‘Warten auf Godot’ naht ein anderer Erlöser. Die Sektkorken knallen, sogar Frau Kráner tanzt den ‘Satanstango’ […]. Aalglatt, nicht zufällig im grünen Jackett, kassiert Irimiás Gelder und trommelt zum Aufbruch. Achim Wehrle gelingt auf dem schmalen Grad der Überhöhung die Ironisierung des eigenen Pathos. Farbe bringt auch Marcin Krol als sein Diener Petrina in das keineswegs humorlose Stück. Wunderbar kurz und engelsgleich huscht Estike - großartig: Claudia Saar - über die Bühne. Ihr Selbstmord kommt dem Heilsverkünder gerade recht. Doch auch der Erlöser ist nur eine Marionette, die auf das schneidende Kommando der Majorin (gute Stimme: Anne Rischmüller) funktioniert. Geblendet vom grellen Licht, die Stiefel vor der Nase, erlebt das Publikum hautnah die zwei Seiten des Lebens: die schwarze, elende, und die rote, blutrünstige. Die raffinierte Bühnenkonstruktion ragt als Kneipentisch und Laufsteg mitten in den Zuschauerraum. Doch was passiert eigentlich, wenn Godot tatsächlich kommt? Die dicken Spinnweben bleiben weiterhin unbewohnt, nur der Doktor kann schreibend den Lauf der Welt neu bestimmen. Oder auch wieder ganz genau so. Als qualvolle Wiedergeburt.“ [bwe: Wenn Godot tatsächlich kommt. Apokalypse im ‘Satanstango’: Uraufführung der Studiobühne. Siegener Zeitung vom 7. 12. 1994.] „Das Besondere an der neuen Produktion der Studiobühne der Uni-GH Siegen ist diesmal wie schon berichtet - unter anderem der Umstand, daß der Autor aus den eigenen Reihen kommt. Der Germanistikstudent Michael Lommel hat aus dem ‘Satanstango’, dem Roman des ungarischen Schriftstellers Lázló Krasznohorkai, ein teuflisch gutes Bühnenstück geschaffen; somit gab es eine Welturaufführung im alten Lyz. Jürgen Kühnel war begeistert, als nach knapp drei Wochen die Bühnenfassung vorlag. Die atmosphärisch dichte Regie ist Teamarbeit des Autors mit dem Studiobühnen-Leiter. Die Bühne ist erweitert durch ein Podest, das den Zuschauerraum teilt, Laufsteg für gierige Traumtänzer und Kneipentisch für dumpfe Stunden. Ein feuchtes Gespinst aus Trauer und Tostlosigkeit scheint greifbar. der Regen rauscht so überzeugend, daß Besucher sich an ihren Schirm erinnern. Beim Wirt, den Martin Heinzel im Outfit und mit dem Charme eines Glöckners von Notre Dame - einfach umwerfend verkörpert, trifft sich ein Häufchen gescheiterter ungarischer Siedlungsbewohner: der maßlos traurige Futaki (Gerhard Weber), der mit starrem Blick über die Kneipenstufen schlurft, ohnehin zum Stolpern verurteilt; die nach Liebe, Lust und Leben schmachtende Frau Schmidt (Sandra Nuy), herrlich vulgär und hüftenschaukelnd, in einem grotesk aufgedonnerten Karnevalskostüm; Anne Müller als bigotte Sektiererin mit Halleluja-Zwiebel, beim Teufelstango in Verzückung geratend; Volker Bunse überzeugend als ihr Mann, ein gesichtslos vor sich hin tappernder Trottel. Sie alle werden vom Seelenverkäufer ‘Irimiás’ mit Wortgewalt und Charisma - und um den Preis ihres armseligen Besitzes - in den Abgrund gelotst. Der ‘falsche Prophet’ verspricht ihnen den Himmel und gibt ihnen fingierte Adressen in die Hölle. Irimiás - selbst in den Fängen eines zerstörerischen Systems, dessen Direktiven er folgt - ist die Zentralfigur des Stücks. Die Besetzung mit Achim Wehrle mephistophelisch geschmeidig in Gestik und Timbre - ist ein Glücksgriff. Sein Diener Petrina (Marcin Krol) bleibt als tumber Tor von ständiger Angst geschüttelt im Gefolge des ‘Verfolgers der Verfolgten’. Eine zerbrechlich zarte Rolle hat Claudia Saar als debiles vernachlässigtes Mädchen, das sich selbst und ihre Katze mit Rattengift tötet. Der gestiefelte Auftritt der Majorin (Anne Rischmüller), die mit peitschender Stimme und Maskengesicht von Irimiás fordert, ihr hörige Schergen zu besorgen, erinnert an Auschwitz-Aufseherinnen. Christoph Seifener als ihr Adjutant hat eine große Szene im Dialog mit Irimiás, der - als einzigen Triumph gegenüber der Majorin - das Häufchen der Verlorenen in Verbalinjurien als das vorstellt, was sei wirklich sind. Der absolute Höhepunkt - höllisches Vergnügen für das Publikum - ist der Satanstango, zu dem sich die Meute auf dem Kneipentisch - bis zur körperlichen Erstarrung hinreißen läßt. Anfang und Ende - von Michael Lommel als poetisches Inferno entworfen - verschmelzen symbolisch zu einer Einheit im Epilog, den der ‘Doktor’ (Krischan Schulte), stummer Protokollführer der Trostlosigkeit, in der verlassenen Kaschemme am Biertusch hält. Die Regie Lommel/Kühnel hält die Aufführung wie ein unsichtbares Gitter umspannt. In der Pause ein überraschendes Solo des ‘Herrn mit Schirm’ (Achim Kuhn). [MA: Welt-Uraufführung der Studiobühne im Alten Lyz: Satanstango - Gespinst der Trostlosigkeit. Westfälische Rundschau vom 8. 12. 1994.] 1995 DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG: David Hare: Geheime Verzückung (The Secret Rapture). Deutsche Übersetzung von Götz Schmedes. Bühnenbearbeitung: GÖTZ SCHMEDES in Zusammenarbeit mit KRISCHAN SCHULTE und JOCHEN VENUS. Isobel Glass: KATRIN HEINRICH. Marion French: SANDRA NUY. Tom French: KRISCHAN SCHULTE. Katherine Glass: PATRICIA TEICHERT. Irwin Posner: ACHIM WEHRLE. Rhonda Milne: INGA APEL. Bühnenbild: JOCHEN GRINGMUTH / SABINE REIBOLDT. Musik und Ton: SABINE REIBOLDT. Regie: GÖTZ SCHMEDES. Premiere: 25. Juni 1995 im Alten Feuerwehrhaus Kreuztal. Weitere Aufführungen: 26., 28. und 29. Juni 1995. „Marion ist eine erfolgsbewußte Frau. Sie strebt nach Karriere und Geld. dabei geht sie über Leichen. jedenfalls ignoriert sie dieselben. Als ihr Vater sehr krank war, hatte sie ihm einen Ring geschenkt. Nun ist der Vater gestorben - was gibt es Wichtigeres zu tun, als diesen Ring zurückzufordern? Marion (Sandra Nuy) ist einer der Charaktere aus dem England der Thatcher-Ära, die David Hare zu seinem Theaterstück ‘Geheime Verzückung’ (Originaltitel: ‘The Secret Rapture’) bewogen haben. Am Sonntag präsentierte die Studiobühne der Uni-GH Siegen die deutsche Erstaufführung […]. Genau das Gegenteil von Marion ist ihre Schwester Isobel (Katrin Heinrich). Sei versucht, Gutes zu tun, auf andere Rücksicht zu nehmen, statt nur an den eigenen Erfolg zu denken. Sie hat den Vater bis zu seinem Tod gepflegt, sie nimmt die alkoholkranke Frau des Vaters, Katherine (Patricia Teichert), nach dessen Tod in ihre Firma auf. Marion hingegen kraxelt in einem Ministerium die Karriereleiter empor. […] Doch bald schon zeigt sich, daß Isobel sich übernommen hat. Denn als Inhaberin einer Firma - von der auch ihr Freund Irwin (Achim Wehrle) profitieren möchte - muß auch sie sich auf marktwirtschaftliche Spielregeln einlassen; und da ist eine Mitarbeiterin, die sich um gesellschaftliche Konventionen und Spielregeln nicht schert, kein besonders gutes Aushängeschild. Kein Wunder also, daß Irwin ohne Isobels Wissen der Geschäftsübernahme durch Marions ach so christlichen Ehemann Tom (Krischan Schulte) - Präsident der ‘Christen im Geschäftsleben’ - zustimmt. Daß dieser Irwin ein Verhältnis mit Rhonda Milne (Inga Apel) eingeht, kommt erschwerend hinzu. Grund genug für Isobel, ihre Beziehung zu Irwin zu lösen. Damit wiederum kann Irwin nicht leben - und so endet ihre Liebe, wie so oft im Theater (und in der Wirklichkeit), mit Isobels Tod. Und ihr Ableben löst aus, was beim Tod des Vaters ausblieb: Marion ist eine andere geworden. Doch die Reue kommt zu spät. Ihr Rufen ‘Isobel, warum kommst du nicht nach Hause’ verhallt ungehört auf der dunkel werdenden Bühne. Das Stück ‘Geheime Verzückung’ spiegelt nicht nur gesellschaftliche Verhältnisse, sondern geht ins Private, unter die Haut. Die Spieler agierten professionell und fühlten sich in der Regie von Götz Schmedes - er hatte das Stück übersetzt und bearbeitet spürbar wohl. Das Publikum bedankte sich mit viel Applaus für den gelungenen Abend.“ [CP: Charakter oder Karriere? Todernste Beziehungsspiele. Studiobühne präsentierte ‘Geheime Verzückungen’. Westfälische Rundschau vom 28. 6. 1995.] „Was ist es heutzutage ‘schicker’: reich zu sein oder ein gutes Helferherz zu haben? Um diese Frage und um die Beziehungen und Konflikte, die in unserer modernen (Ellenbogen-) Gesellschaft auftreten können, geht es in ‘Geheime Verzückung’ (orig. ‘The Secret Rapture’). Gestern präsentierte die Studiobühne der Universität-Gesamthochschule Siegen das englische Theaterstück von David Hare im Alten Feuerwehrhaus […]. Resignation bestimmt das überzeugend gespielte zeitgenössische Stück, das in der Übersetzung von Götz Schmedes und unter dessen Regie seine deutsche Erstaufführung erlebte.“ [Resignation bestimmt die ‘Geheime Verzückung’. Studiobühne der Uni im Feuerwehrhaus mit deutscher Erstaufführung. Siegener Zeitung vom 26.6. 1995.] „Vor ausverkauftem Haus überzeugte die Studentenbühne mit der deutschen Erstaufführung dieses Zweiakters. […] Da paßte jeder Akteur richtig in die ihm zugedachte Rolle, wie sie das Leben schreibt: Menschen in ihrer Alltäglichkeit mit allen ihren Schwächen, Gewohnheiten und allzu menschlichen Masken. Da wurden Typen dargestellt, in die sich auch die Theaterbesucher hineindenken und hineinfühlen konnte. Vielleicht ein Spiegelbild?“ [Jürgen E. Arndt: Geheime Verzückung: Typen zum Nachfühlen. Westfalenpost vom 27. 6. 1995.] Was löst an einem Theaterstück das Interesse aus, es inszenieren zu wollen? Die Faszination an einer Geschichte, an der Art, wie sie gebaut ist, wie sie erzählt. Oder ganz einfach Rührung, emotionale Betroffenheit. Oftmals ist es wohl beides, und so war es auch für mich mit David Hares The Secret Rapture. Ich begegnete dem Stück über dessen Verfilmung. Ich war fasziniert von der vermeintlichen Alltäglichkeit der Problematik bei der gleichzeitigen Vielschichtigkeit der Konflikte. Mit all den Bildern des Films im Kopf machte ich mich an die Lektüre der nackten Bühnenvorlage. Die Bilder haben sich nach und nach verflüchtigt, die Faszination des dramatischen Textes und seiner Charaktere ist geblieben. Da sind zunächst einmal die einzelnen Personen für sich genommen. Im Mittelpunkt steht Isobel. Sie lebt im inneren Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch eines rücksichtsvollen Miteinanders der Menschen ihres persönlichen Umfelds einerseits und der Machtlosigkeit gegenüber eben deren Selbstbezogenheit und Skrupellosigkeit andererseits. Mit dem ständigen Gefühl, mißverstanden zu werden, lebt sie eine über ihre Kräfte gehende Hilfsbereitschaft, durch die sie letztlich immer zur Gebenden wird. Zunehmende Resignation und die gleichzeitige Besinnung auf ihre eigenen Bedürfnisse, die Verhärtung der Fronten, sobald sie den Erwartungen ihres Umfeldes nicht mehr gerecht wird, endet für den tragischen Charakter schließlich in der Katastrophe. Ihre direkte Antagonistin ist ihre Schwester Marion. Skrupellos und nur am eigenen Vorteil orientiert, läßt sie kein gutes Wort an all ihren Gegnern. Ihr Erfolg scheint ihr dabei Recht zu geben, alle anderen machen es schließlich genauso - nur der Stärkere überlebt, und der Zweck heiligt die Mittel. Ihr Ehemann Tom ist dabei nichts als ein opportunistisches Anhängsel, der an den Worten seiner Frau ebenso hängt wie an denen Gottes, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Sollte nämlich das Wort seiner Frau dem Gottes widersprechen, entscheidet er sich immer für das erstere, wodurch er das gefährliche Potential passiven Mitläufertums in sich trägt. Daß Tom am Ende des Stücks den Kontakt zu Gott verliert, mag als Bewußtseinsveränderung und Tendenz zu mehr Aufrichtigkeit gewertet werden. Katherine ist das Opfer des kapitalistischen Darwinismus der Thatcher-Ära, wie er von Charakteren des Typus Marion (und an deren rechter Seite Rhonda) gelebt wird. Ohne das lebensnotwendige Rüstzeug von Konventionen und Spielregeln eckt sie an und wird zur Außenseiterin der Gesellschaft. Durch den Tod ihres Ehemanns fällt sie zurück in die früherer Halt- und Hilflosigkeit, bedarf der Unterstützung, um in den gesellschaftlich vorgegebenen Rahmen eingepaßt zu werden. Ohne diese würde sie vielleicht gar zu denen gehören, die auf den Straßen englischer Großstädte leben und über die John Major sagte: ‘It is not acceptable to be out of the streets. There is no justification for it these days’ […]. Irwin erscheint angepaßt. Ehemalige Ambitionen freier Kunstausübung sind dem Druck ökonomischer Verwertbarkeit gewichen. Er hat sich mit den Verhältnissen arrangiert, abgefunden mit einer Situation, die ihn eigentlich nicht glücklich macht, für die er aber keinerlei Veränderung mehr erwartet. Seine Liebe zu Isobel, der einzigen Person, die seinem Leben Profil und Halt zu verleihen vermag, leidet darunter massiv, so massiv, daß das Glück gemeinsamer Partnerschaft mehr und mehr zur einseitigen Belastung für Isobel wird. Sein Handeln wird bestimmt durch Ausweglosigkeit. Die einzelnen Charaktere sind nur teilweise selbstbestimmt zusammengetroffen. Wie sie nun damit umgehen, sich miteinander arrangieren zu müssen, ist die zweite Qualität dieses Stückes. Die Konflikte, die sich dem Zuschauer präsentieren, sind dabei nicht nur die Folge jeweiliger Sozialisationsprozesse, sondern haben ihre Ursache beispielsweise auch in Marions und Isobels gemeinsamer Kindheit. The Secret Rapture ist ein Stück aus unserer Zeit, ohne davon viel Aufhebens zu machen. Ein weiterer, möglicherweise der entscheidende Inszenierungsgrund. [Götz Schmedes im Programmheft der Siegener Inszenierung.] 1996 Fernando Arrabal: Der Architekt und der Kaiser von Assyrien. Zwei Akte in fünf Bildern. Deutsch von Kurt Klinger. Textfassung: JOCHEN VENUS / TILMAN WELTHER / MARTIN HEINZEL / KRISCHAN SCHULTE. Der Kaiser: ACHIM WEHRLE. Der Architekt: GERHARD WEBER. Bühnenbild: JOCHEN GRINGMUTH. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 31. Januar 1996 im Kleinen Theater LÿZ. Weitere Aufführungen: 1., 6. und 7. Februar 1996. „Halbdunkel. Eine Figur liegt auf dem Boden, zusammengerollt. Immer dezidierter in foetaler Position (Freud läßt grüßen!). Plötzlich eine Erscheinung am Himmel. Die Gestalt krümmt sich vor Angst. Dann wieder Dunkelheit. Ein weiterer Typ taucht auf: ‘Monsieur, eilen Sie mir zu Hilfe. Ich bin der einzige Überlebende eines Unglücks ...’ Großwildjägergehabe: Der panische Mensch, der ‘Wilde’, robbt in bester Eingeborenenmanier auf dem Bauch vor seinem ‘Bezwinger’ herum, bemüht sich, Laute auszustoßen (‘Fi, fi, figa, fi, fi …’) und hört erst auf, als ihm der ‘Herrscher’ […] den Fuß auf den Kopf stellt und in den Sand drückt. Mit der gleichen Szene endet das Stück, nur mit umgekehrten Rollen - der ehemals ‘Wilde’, der im Verlauf des Stückes zum ‘Architekten’ avanciert, übernimmt am Ende die Rolle des ‘Kaisers’, der ehemalige ‘Kaiser’ robbt unterwürfig am Boden und das Spiel beginnt von vorne. Formal angelehnt an die klassische Tragödie - zwei Akte in fünf Bildern -, benutzt das Drama ‘Der Architekt und der Kaiser von Assyrien’ (1967) aus der Phase des ‘théâtre panique’ von Ferdinand Arrabal eine literarische Konvention, die altbewährt ist: das Leben auf einer einsamen Insel. Man erinnert sich an Robinson Crusoe? Dazu kommt eine weitere Dimension: der ‘Zivilisierte’, der dort gestrandet bzw. abgestürzt ist, lehrt einen ‘Wilden’ die Zivilisation. Prospero und andere lassen grüßen. […] Das Ergebnis dieses Prozesses, das auf der Bühne vorgeführt wird, ist allerdings nur noch ein Spiel. Der ‘Zivilisierte’, der Kaiser von Assyrien, und der ‘Wilde’, sein Architekt (‘Wie, du hast dir den Titel des Architekten des Kaisers und kennst die Grundlagen der Architektur nicht?’) spielen das Spiel der Zivilisation. Motto: Stichwort genügt. Dann spielen die beiden ihre ‘zivilisatorischen’ Rollen ab, von Sadomaso über Familienbande und inzestuöse Begierden, Jagd- und Dominanztriebe, Kannibalismus und atavistisches Beschwörungsverhalten zu Herr-Diener-Beziehungen, Lehrer-Schüler-Rollen, christlichen Heilsvorstellungen und ihren Ursprüngen … Alles ist Spiel, bis auf den Tod. Und worum geht es bei dem Ganzen? Um Ordnung? Eher um Verarbeitung. Um die Wahrheitsfindung: Wie verschwand die Mutter des Kaisers? Um eine Beziehungskiste? Panisches ‘Laß mich nicht allein’ steht immer neben zufriedenem ‘Endlich allein - jetzt werde ich bestimmt glücklich’. Freudianer und Jungianer sind aufgerufen, sich an dem Stück abzuarbeiten. Der Autor zieht sich durch die zyklisch angelegte Form des Dramas aus der Angelegenheit zurück. Alles beginnt wieder von vorne. Eine Lösung gibt es nicht. Für welches Problem auch? Hegt es um die Entwicklung eines zivilisatorischen Prozesses, der sich letztlich nur als Abspulen von austauschbaren Versatzstücken herausstellt? Im Stil von: ‘Spielen wir Krieg?’ - ‘Au ja!’ oder: ‘Mama!’ - ‘Ja. Ich bin ja bei dir. Du mußt keine Angst haben!’ Das einzige, das nicht Spiel bleibt, ist der Tod: Aufgefordert, den Angeklagten/Kaiser, der des Mordes an seiner Mutter überführt wurde, zu töten (Gerechtigkeit muß sein), weicht der Richter/Architekt entsetzt zurück. ‘Nein, nein. Sterben ist kein Spiel wie die anderen alle. Es ist unwiderruflich.’ Und tötet den Kaiser dann doch!? Auch ein Stück, das zirkelförmig angelegt ist, wie der ‘Architekt und der Kaiser von Assyrien’ […] braucht eine Mitte. Und die setzte der Autor bewußt ins Spiel. […]. Fazit der gestrigen Premiere: Brillant gespielt von Achim Wehrle (Kaiser) und Gerhard Weber (Architekt), raffiniertes Bühnenbild (Jochen Gringmuth), karg, aber effektvoll, und gute Regie von Jürgen Kühnel.“ [gmz: ‘Ich brauche Ordnung - keine Nachlässigkeit!’ Studiobühne der Uni feierte gestern abend mit ‘Der Architekt und der Kaiser von Assyrien’ Premiere. Siegener Zeitung vom 1. 2. 1996.] „Die Studiobühne der Uni-GH Siegen, unter der bewährten Regie von Jürgen Kühnel, hat Arrabals Zweiakter in eine fast dreistündige Bühnenperformance transponiert […]. Auf einer einsamen Insel, wo niemand als der Architekt beheimatet ist, kommt es zu einem Flugzeugabsturz, dessen einziger Überlebender der Kaiser von Assyrien ist. Die beiden treffen aufeinander; der Architekt - gespielt von Gerhard Weber - kann nur tierische Laute von sich geben. Der Kaiser - Achim Wehrle - bringt ihm in den nächsten zwei Jahren Sprache, Kultur und Zivilisation bei. […] Doch die Rollen vermischen sich im Laufe des Dramas, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zwischen Wahrheit und Spiel werden immer unschärfer. Die beiden Protagonisten wechseln von einer Rolle in die nächste. Sie spielen Pferd und Reiter, Herr und Diener, Mutter und Kind, gebärende und Arzt. Sadomasochistische Triebe, dominante oder devote Begierden dürfen ausgelebt werden. Spielend gelingt es den beiden Akteuren, von einer Identität in die nächste zu schlüpfen. Die gesamte Bandbreite schauspielerischen Könnens - von traurig bis heiter, von brutal und aggressiv bis liebevoll und verführerisch - wird ausgeschöpft. Neben der Sexualität ist die Religion zentrales Thema des Stückes. Die Kreuzigung wird nachgespielt; durch ein Flipperspiel kommt der Kaiser zu dem Ergebnis, daß Gott nicht existiere. Eine Anspielung auf das Ödipusdrama durchzieht die Handlung: bei einem Gerichtsprozeß im Zweiten Akt stellt sich heraus, daß der Kaiser seine Mutter umgebracht und einem Wolfshund zum Fraß vorgeworfen hat. Er bereut sein Tat zutiefst und wünscht sich, vom Architekten getötet und aufgegessen zu werden. Zwischen Spiel und Nichtspiel kann nicht mehr differenziert werden. Beide Personen verschmelzen zu einer, aus dem Architekten wird der Kaiser, ein Kreislauf beginnt ... […]. Die Studiobühne fordert mit ihrer Inszenierung die ganze Vorstellungskraft des Publikums. Es gibt nur ein einziges Requisit […]. Doch leicht schaffen es die Schauspieler, die Zuschauer mit auf die Reise durch die Jahrhunderte zu nehmen.“ [jöb: Kleines Theater Lyz: Arrabals ‘Der Architekt und der Kaiser von Assyrien’. Hinter dem Absurden lauert Wahrheit - ein abgründiges Menschenspiel. Westfälische Rundschau vom 2. 2. 1996.] „Unsere Zivilisation als eine Summe von Rollenspielen darstellen, den in Vergessenheit geratenen sinnentleerten Ursprung ihres ‘Als-ob’ begreifbar machen will das Theaterstück Fernando Arrabals ‘Der Architekt und der Kaiser von Assyrien’, welches die Studiobühne der Universität Siegen […] auf die Bühne des Alten Lyz brachte. Nur zwei Personen, Achim Wehrle als Kaiser und Gerhard Weber als Architekt, vollzogen Begriffliches im wahrsten Sinne auf jede handgreifliche Weise. Was in gesellschaftlicher Realität Distanzen zur Welt und zu sich selbst schafft wie Herrschaft und die vielgepriesene ‘Ordnung’ der Welt, ist - so die Botschaft des absurden Theaters Arrabals - vordergründig sprachlich legitimiert und hintergründig erschütternd boshaft, voller Perversion und verdorbener Lust. Deren Offenbarung diente eine Kette von Spielen, die sprachlich entmythisierend überlieferte Sinngehalte im Assoziationsbereich von Mutter, Sexualität und Glaube parodierten und verstümmelten. Durch überzeugend ausdrucksvolles Rollenspiel gelang es den beiden jungen Schauspielern, die Kernaussage dieser Spiele […] zu extrapolieren […]. Das Ego, das sich immer wieder im ‘Alter Ego’ in irgendeiner Rolle zu spiegeln und zu entdecken versucht, als Herr und Knecht, als Tyrann und Sklave, als Philosoph und Schüler, als Blinder und Hund -, das Ego kann sein eigenes Glück, als größtmögliches gedacht, immer nur teilweise erreichen, selbst das kannibalistisch dargestellte Auffressen des anderen Ich führt nur zur Illusion einzigartiger Größe, indem das Rollenspiel sich umkehrt und der vorherige Täter nun das Opfer geworden ist. Aber die ersehnte Identifikation findet wahre Erfüllung erst in dem Moment, in dem nicht mehr gespielt wird: auf der Bühne dargestellt durch den kulinarischen Liebesakt: ‘Ich möchte, daß du und ich in dir vereint sind’ - das ist die endgültige Erfüllung aller Träume und Spiel-Versuche. Das Stück in der Regie von Jürgen Kühnel ist keine leichte Kost, zumal bei einer Spieldauer von knapp drei stunden, aber selten ist eine seiner Aufführungen so unter die Haut gegangen, indem sie unverblümt schonungslos an gesellschaftliche Tabus herantritt.“ [Ingeborg Längsfeld: Unsere Zivilisation als Summe von Rollenspielen dargestellt. Studiobühne mit ‘Der Architekt und der Kaiser von Assyrien’. Rheinzeitung vom 6. 2. 1996.] 1997 Christopher Marlowe: Edward II. Nach der Übersetzung von Hanno Bolte und Dieter Hamblock. Bühnenbearbeitung: ACHIM WEHRLE. König Edward II. von England: GÖTZ SCHMEDES. Königin Isabella: SANDRA NUY. Graf von Kent. Bruder des Königs: THOMAS BRÜCK. Mortimer: JÜRGEN KÜHNEL. Lancaster: VOLKER BUNSE. Gaveston: ACHIM WEHRLE. Spencer: CHRISTOPH SEIFENER. Erzbischof von Canterbury: PETER SEEL. Lightborn: MARKUS KRCZAL. Bühnenbild: ANSGAR CZIBA / MARTIN KALFF. Maske und Kostüme: MANFRED PATT / Haar-Design Patt, Siegen. Regie: ACHIM WEHRLE. Mit freundlicher Unterstützung des Autonomen Schwulenreferats der Universität - Gesamthochschule - Siegen. Premiere: 22. Januar 1997 im Kleinen Theater LÿZ. Weitere Aufführungen: 23., 28. und 29. Januar 1997. „König Edward II. von England hat an seinem Hof nicht viel zu lachen: Die Regierungsgeschäfte wachsen ihm über den Kopf, und mit der Liebe zu seinem französischen Günstling Gaveston beleidigt er nicht nur seine stolze Frau Isabella, sondern bringt auch die mächtigen Barone gegen sich auf. Alle zusammen verschwören sich gegen den König und bringen ihn schließlich auf grausame weise ums Leben. Diese Tragödie, die die Geschichte selbst schrieb, verwandelte der Shakespeare-Zeitgenosse Christopher Marlowe in ein blutrünstiges Schauspiel. Lange verstaubte es in den Archiven. Jetzt, 4oo Jahre später, machte Achim Wehrle, Medien-Student an der Siegener Universität, den Stoff zum Gegenstand seiner Diplomarbeit. Von einer Verfilmung des Schauspiels beeindruckt, rückte er die Liebesbeziehung von Edward und Gaveston in den Mittelpunkt und fand in der Gewalt gegen Schwule ein immer noch aktuelles Thema. Seine Inszenierung von Marlowes ‘Edward II.’ mit der Studiobühne der Universität wird heute […] im Kleinen Theater Lyz in Siegen aufgeführt. ‘Niemals war Jupiter so sehr in Ganymed vernarrt wie Edward in den verfluchten Gaveston’, schäumt Königin Isabella (Sandra Nuy) und verliert für einen Augenblick die Contenance. Nicht ist für eine stolze Ehefrau so kränkend, verschmäht zu werden - und dann auch noch zugunsten eines unwürdigen Jünglings, dem der träumerische Gatte verfallen ist. Von ganz anderem Schlage scheint ihr da der aufstrebende Baron Mortimer (Jürgen Kühnel) zu sein, ein echter Mann in schwarzer Lederkleidung, mit einem rauchenden Colt im Gürtel und der grenzenlosen Bereitschaft, ihr aus der Patsche zu helfen. Kühnel, der die Regie für diese Aufführung an Wehrle abgegeben hat, spielt den Bösewicht mit großer Überzeugungskraft. Edward (Götz Schmedes) ist eigentlich ein Schöngeist. ‘Musik und Dichtung sind sein ganzes Glück’, beschreibt ihn Gaveston (Achim Wehrle). Er scheitert an der Vorstellung, seine hohe Stellung würde ihm das Ausleben der Homosexualität ermöglichen. Als die Barone beginnen, mit den Waffen zu rasseln, stellt sich bald heraus, daß der Regent als Kriegsherr keine Chance hat. Er muß mit ansehen, wie ihm die Liebsten genommen werden, wird vertrieben, gedemütigt und schließlich dem geübten Mörder Lightborn (Markus Krczal) überantwortet. Erst nach Edwards Tod gelingt es dem Grafen von Kent (Thomas Brück), seinem Bruder, das Verbrechen zu rächen. Er läßt Mortimer umbringen und sperrt Isabella in den Tower von London. Die Aufführung der Studiobühne fasziniert in mehrere Hinsicht: Zum einem sind die schauspielerischen Qualitäten der Akteure von erstaunlich hohem Niveau, zum anderen steckt Wehrles Inszenierung trotz spärlicher Kulisse voller Symbolkraft. Stimmungen und Gedanken versteht er mit einfachen Mitteln nachzuzeichnen und verständlich zu machen. Götz Schmedes erweist sich in der Rolle des Edward als überragender Schauspieler. Den Regenten, der sich zwischen seiner Stellung als Herrscher und seiner Liebesbeziehung aufreibt, spielt er mit der gleichen Ausdrucksstärke wie den gefallenen, unendlich leidenden König im Angesicht des Todes. Er verkörpert einen Menschen, dessen Schicksal den Zuschauer zu jeder Zeit nahegeht.“ [avb: Die Liebe bringt König Edward das Verderben. Studiobühne inszeniert Tragödie von Marlowe im Kleinen Theater LÿZ - Überragende Schauspieler. Siegener Zeitung vom 22. 1. 1997.] „Edward ist ein Weichei. Ein verwöhntes Jüngelchen, dem immer dann der Kamm schwillt, wenn er sich in Sachen Liebe obenauf wähnt. Geht es nicht so gut, dann flüchtet er sich in greinende Hysterie. Ein echter Nervtöter - und ein König von England. Der Typ wäre wahrhaftig kein Theaterstück wert, liebte dieser Edward II. nicht einen Mann, seinen Günstling Gaveston. Für den stürzt er sich mächtig in Unkosten - bis zur Staatspleite. Den überhäuft er mit Titeln und Ehren. Edward glaubt, daß er diese ‘Verletzung’ der gesellschaftlichen Konventionen kraft seines Königtums durchsetzen kann. Was sich als folgenschwerer Irrtum herausstellt: seine ungeliebte, vernachlässigte Gattin wendet sich gegen ihn und verbündet sich mit seinen Feinden. Adel und Kirche lösen das Problem durch Mord - Gaveston wird gehenkt. Dem nächsten Liebhaber ergeht es nicht besser. Edward sinnt auf Rache und verstrickt sich immer mehr im politischen Ränkespiel. Am Ende - nach bitteren Niederlagen zur Abdankung gezwungen - wird er selbst umgebracht. Aber die ‘Gerechtigkeit’ siegt: Sein Sohn […] läßt Mutter und Kompagnons festnehmen und aburteilen: Tod auf der ganzen Linie. Die Uni-Studiobühne hat ‘Edward II.’, ein Stück des wenig bekannten Christopher Marlowe, imponierend in Szene gesetzt. Das Bühnenbild besteht aus einem rot-goldenen Thron, dessen Teppich bis weit in den Zuschauerraum des Kleinen Lyz Theaters hineinreicht. Darauf und auf den Thronstufen läuft das Spiel ab, schnell und aktionsreich. Götz Schmedes zeichnet die Labilität des schwulen Königs mit eindrucksvollen gestischen und vokalen Mitteln (wenn Edward versucht, ‘männlich hart zu sein’, kippt ihm fast die Stimme). Vor allem aber findet Schmedes einen berührenden Ton, um den Sturz, die Tragödie dieses von seinem Amt und der Gesellschaft Überforderten sichtbar zu machen. Gaveston wird von Achim Wehrle verkörpert, dem Regisseur der Inszenierung. Eine Figur im Zwielicht, sinnlich, attraktiv und arrogant, bei der nie klar wird, ob da Liebe oder nur Berechnung im Spiel ist. Die einzige weibliche Rolle, die Königin Isabella, gestaltet Sandra Nuy: Kalt bis in die Haarspitzen, zerfressen von Demütigungen, eine tragische, boshafte, majestätische Callas. Ihre Darstellung wurde vom Kostüm wunderbar unterstützt: Diese Frau trägt Panzer, außen wie innen. Nur Mortimer gegenüber wird sie weich. Den gab Jürgen Kühnel als Lederkerl mit Pistole und schneidender Stimme, ein mörderischer Recht- und Ordnung-Fanatiker, der mit dem brutalen Lancaster (Volker Bunse) perfekt harmonierte. Dagegen zeigte der Vertreter des Papstes (Peter Seel) diplomatische Glätte und intellektuelle Lust an Intrigen. Spencer, der Freund und Nachfolger Gavestons, wurde von Christoph Seifener mit wirksamer Naivität ausgestattet.“ [ng: Drama eines schwulen Königs. Uni-Studiobühne zeigt Christopher Marlowes ‘Edward II’ im Kleinen Lyz Theater. Westfälische Rundschau vom 24. Januar 1997.] 1991 adaptiert der englische Filmemacher Derek Jarman den Stoff für den Film. er übernimmt im wesentlichen die Textvorlage Marlowes und konzentriert sich in der Bearbeitung vor allem auf die Liebesbeziehung zwischen Edward und Gaveston, die er in den Mittelpunkt seines Films rückt. Jarmans rücksichtslose Enttabuisierung von Homosexualität und seine Thematisierung von Gewalt gegen Schwule hinterließen bei mir nachhaltigen Eindruck. *** Königin Isabella ist die einzige weibliche Figur in diesem Stück. Marlowe zeigt dem Leser eine Isabella, die in gleicher Weise in Edward vernarrt ist wie dieser in Gaveston. Aus enttäuschter Liebe sucht sie Trost in den Armen Mortimers. Jarman behält das Thema bei, zeigt Isabella aber in ausgesprochen kühlem Licht, leidenschaftslos wie Maggie Thatcher, unnahbar schön wie Audrey Hepburn oder Jackie Onassis. Ich versuche, noch einen Schritt weiter zu gehen, ihr eine veränderte Grundlage ihres Handelns zu verschaffen. Für mich ist Isabella keine Liebende und vor Eifersucht Hassende. Sie fürchtet vielmehr um ihre Position, die sie sich durch ihre Vernunftheirat verdient hat. Dies ist der entscheidende Beweggrund ihrer Tatkraft. Ich versuche, sie als ihrem männlichen Umfeld ebenbürtig darzustellen, sie entwickelt im Verlauf des Stückes Energie und Kampfkraft wie Mortimer - eine starke Frau mit starkem Willen, ihre Machtposition zu behalten und sich für deren Mißachtung zu rächen. *** Fast 3oo Jahre lag Marlowes Sück in den Archiven. Bis 19o3 ist in den Annalen des englischen Theaters keine Aufführung von Edward II verzeichnet. Auf den ersten Blick will dies nichts heißen. Betrachtet man jedoch die lange Rezeptionsgeschichte von William Shakespeares Werken oder Marlowes anderer Stücke über die Jahrhunderte hinweg, muß man sich die Frage stellen, warum Edward II., nach Meinung der meisten Kritiker sein ausgereiftestes Stück und mit der Qualität Shakespearescher Dramen durchaus vergleichbar, so wenig Beachtung fand. Ich behaupte, weil es einen schwulen König zeigt, der trotz aller Widerstände und Anfeindungen seine Homosexualität ausleben will und glaubt, sein hohe Stellung würde dies ermöglichen. *** Ist Gavestons Liebe zu Edward aufrichtig? Eine Frage, die ich nicht beantworten konnte und wollte. Im Gegensatz dazu ist Edwards Liebe zu Gaveston mehr als aufrichtig. Sie ist für ihn lebensnotwendig. Nach Gavestons Tod ist nichts wie vorher. Edward ist unfähig, die grauen Wolken der Gefahr zu erkennen, die sich über ihm zusammenziehen. Seine Liebe und sein Leben scheitern an seinem tradierten Ehrgefühl. „Ich, König Edward, Englands Herrscher, Sohn der lieblichen Eleonore von Spanien, des großen Edward Longshanks Sproß …“ werde meine Liebe nicht aufgeben, nur weil alle mich dazu zwingen. [Achim Wehrle im Programmheft der Siegener Inszenierung.] 1997 ERSTAUFFÜHRUNG: Ingmar Bergman: Das Lächeln einer Sommernacht. Komödie in drei Akten. Nach der englischen Fassung des Drehbuchs zu Ingmar Bergmans gleichnamigem Spielfilm (1955). Fredrik Egerman. Rechtsanwalt: CHRISTOPH DIEL / GÖTZ SCHMEDES. Anne Egerman. Seine Frau: ULRIKE KOCHEMS. Henrik Egerman. Sein Sohn aus erster Ehe: CHRISTOPH SEIFENER. Carl-Magnus Graf Malcolm. Offizier: THOMAS BRÜCK. Charlotte Gräfin Malcolm. Seine Frau: PATRICIA TEICHERT. Desirée Armfeldt. Schauspielerin: SANDRA NUY. Die alte Frau Armfeldt auf Ryarp. Ihre Mutter: KATHARINA FEUSSNER. Petra: Dienstmädchen bei Egermans: ULRIKE STAHL. Malla. Desirée Armfeldts Zofe: CLAUDINE KLAPPERT. Frid. Stallbursche bei Frau Armfeldt auf Ryarp: ELMAR F. WULFF. Bühnenbild nach einer Idee von JOCHEN GRINGMUTH: TANJA BABYLON / MARKUS KRCZAL / ANGELA WOLFFF. Kostüme: ANASTASIJA NIMMER. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 18. November 1997 im Kleinen Theater LÿZ. Weitere Aufführungen: 2o., 24., 25., 26., 27. und 3o. November 1997. „Es ist nicht Shakespeares ‘Sommernachtstraum’ und ist doch thematisch damit verwandt: Ingmar Bergmans Film ‘Das Lächeln einer Sommernacht’, inszeniert durch die Studiobühne der Universität-Gesamthochschule Siegen unter der Regie von Jürgen Kühnel. […] Nach der englischen Fassung des Drehbuchs zu Bergmans Film von 1955 hat Kühnel die Komödie ins Deutsche übersetzt. Die Generalprobe [auf die sich dieser Bericht bezieht] - zum ersten Mal mit kompletter Ausrüstung - sei mit noch einigen technischen Pannen durchsetzt gewesen, kommentiert er. Dem Kritiker fallen diese kaum auf - dafür sticht die schauspielerische Leistung der Studentinnen und Studenten um so mehr ins Auge.“ „Das Ensemble der Studiobühne überzeugt mit schauspielerischen Glanzleistungen.“ [R.atz: Amüsantes Schauspiel um Leidenschaftlichkeiten und Sinnlichkeiten. Studiobühne zeigt im Kleinen Theater Lyz ‘Das Lächeln einer Sommernacht’. Westfälische Rundschau vom 2o. 11. 1997.] „Vier mal zwei ist acht. Eine simple Rechnung. Nur in Sachen Liebe versagt die Logik der Mathematik. Allein unter dramatischen Mühen und vielerlei Irrungen und Wirrungen geht die Gleichung auf. Erst das heiter-gewogene ‘Lächeln’ einer lauen Sommernacht fügt die ‘richtigen’ Paare zusammen. Jedes ‘Töpfchen’ findet sein ‘Deckelchen’, obschon letztlich offenbleibt, ob der Zustand solchen Glücks anhalten wird. Die Studiobühne der Uni-GH Siegen feierte am Dienstag abend mit dem ‘Lächeln einer Sommernacht’ eine beachtenswerte Premiere. Nach ‘Wie in einem Spiegel’ (199o) ist dies ihre zweite Bühnenadaption eines Ingmar-Bergman-Streifens. Eine überaus gelungene dazu. Denn was die zehn Schauspieler/innen unter der bewährten Regie von Jürgen Kühnel im Kleinen Theater LÿZ boten, war wirklich sehenswerte Bühnenkost. Unterhaltsam und zugleich spannend inszeniert. Ganz allmählich entwickeln sich die Beziehungskisten von Egermans und ‘Grafens’ zu einem undurchsichtigen Knäuel von Liebe, Haß und Intrige. Allein die Frau im roten Satin, die Schauspielerin Desirée Armfeldt (Sandra Nuy), bewahrt - zumindest anfangs - ein kühlen Kopf. Sie spielt mit den Leidenschaften, bis sie um ein Haar selbst deren Opfer wird. Zu unberechenbar sind die Emotionen, zu schwankend die Gemüter. Rechtsanwalt Fredrik Egerman (Christoph Diel) lebt mit seiner mädchenhaften Ehefrau Anne (Ulrike Kochems) in einer platonischen Beziehung. Er ist der ‘Märchenonkel’ ihrer Kindheit - immer noch. Sie drängt es zu Fredriks tugendhaft-bigottem Sohn Henrik (Christoph Seifener), ihn zu seiner alten Liebe Desirée. Die indes nutzt die Schwäche des einstigen Liebhabers für ihre eigenen Pläne, gibt ihn vollends der Lächerlichkeit preis. In Schlafrock und langer Unterhose muß Fredrik seinem Rivalen, dem schneidigen Offizier Carl-Magnus Graf Malcolm (Thomas Brück) entgegentreten. Er zieht - zunächst - den kürzeren, schleicht wie ein geprügelter Hund davon. Wenig besser geht es kurz darauf dem Grafen. Und als beide Ehefrauen - Patricia Teichert als Gräfin Malcolm ist neben Christoph Diel die Entdeckung des Stücks - von der Untreue ihrer Gatten erfahren, kulminiert die übermächtige Frustration in erbarmungslosen Rachegelüsten. Das ist die Stunde der Armfeldt: ‘Ich beabsichtige, eine gute Tat zu tun’, sagt sie zur hochbetagten Frau Mama (Katharina Feussner) und bittet diese, eine Landpartie für die unglücklich Liebenden auszurichten. Hier endlich finden Herz und Herz zusammen. Freilich nicht ohne allerlei Turbulenzen: den Beinahesuizid des Tugendbolds Henrik (erst kurz vor dem Exitus rettet ihn Anne), dem rußigen Russisch-Roulette der Kontrahenten Fredrik und Carl-Magnus, bei dem letzterer mit dem sprichwörtlich blauen Auge davonkommt und das die bislang so coole Desirée zu nervösem Warten verdammt. Nur auf der Dienstboten-Ebene liebt es sich leichter: Von den Höhen und Tiefen des ‘grande amore’ bleiben Petra (Ulrike Stahl) und Frid (Elmar F. Wulff) ‘verschont’. Und Malla (Claudine Klappert) scheint nichts aus ihrer stoischen Ruhe zu locken. Stärke beweisen in dieser Komödie ohnehin die Frauen. Sie wissen. Die Männer glauben zu wissen - und wissen nichts. Sie sind Spielbälle ihrer Triebe, weichliche Typen, deren Fassade allzu rasch bröckelt. ‘Männer sind wie Tiere: dumm, eitel und mit Haaren am ganzen Körper’, sagt Charlotte Gräfin Malcolm über ihren Carl-Magnus. Aber: ‘Trotz allem, ich liebe ihn.’ Am Ende des rund zweieinhalbstündigen Stückes gab es viel wohlverdienten Beifall für die ‘Studiobühne’. Neben der schauspielerischen Leistung des Ensembles, dem es gelang, starke, präsente Charaktere zu formen, galt der Beifall auch der ‘äußeren’ Inszenierung, dem sparsamen und zugleich effektvoll arrangierten Bühnenbild, der leicht verfremdenden Beleuchtung, der atmosphärischen Musik.“ [ciu: In Sachen Liebe versagt mathematische Logik. ‘Studiobühne’ der Universität spielt Bergmans ‘Lächeln einer Sommernacht’ im Kleinen Theater LÿZ. Siegener Zeitung vom 2o. 11. 1997.] 1999 Ludwig Tieck: Die verkehrte Welt. Ein historisches Schauspiel in fünf Aufzügen. Mitglieder eines Theaterensembles: Der Theaterdirektor: CHRISTOPH DIEL. Erster Schauspieler: DOMINIK HOEPFNER. Zweiter Schauspieler: JÜRGEN KÜHNEL. Erste Schauspielerin (Karoline. Tocher eines Hofrats): ULRIKE STAHL. Zweite Schauspielerin: CLAUDINE KLAPPERT. Dritte Schauspielern: JULIA BONNEMEIER. Scaramuccia: THOMAS BRÜCK. Pierrot: THOMAS MATENA. Colombina (ehemals Karolines Zofe und Vertraute): ULRIKE KOCHEMS. Das Orchester: ANASTASIJA NIMMER. Solovioline: ULRIKE STAHL. Maschinistin: ALEXANDRA LÜBBREN. Unter den Zuschauern: Mme Scaevola: PATRICIA TEICHERT. Herr Grünhelm: MARKUS KRCZAL. Von außerhalb kommt hinzu: Ein Fremder (Friedrich. Ein junger Arzt): ELMAR F. WULFF. Dabei agieren: In einem Stück: Der Theaterdirektor als: Apollo. Die erste Schauspielerin als: Melpomene. Die Muse der Tragödie. Colombina als: Thalia. Die Muse der Komödie. Die zweite Schauspielerin als: Mopsa Eine Hirtin. Der erste Schauspieler als: Ein Bote. / Schatzmeister./ Stallmeister. / Zeremonienmeister. / General. Nicht vorgesehen in diesem Stück: Scaramuccia als: Ursupator der Rolle des Apollo. Herr Grünhelm als: Pierrot, da dieser sich weigert zu spielen. In einer ebenfalls nicht vorgesehenen Wirtshausszene: Der zweite Schauspieler als: Wirt. Die dritte Schauspielerin als: Anne. Seine Tochter. In einem Puppenspiel: Herr Grünhelm als: ‘Arlecchino’. Admiral der Flotte des Usurpators. Thalia als: ‘Pantalone’. Admiral der feindlichen Flotte. In einer eingeschobenen Komödie: Herr Grünhelm als: ‘Prologus’ und ‘Narr’. Der Wirt als: ‘Vater’. Melpomene als: ‘Emilie’. Der Fremde als: ‘Der junge Mensch’. Thalia als: ‘Lisette’. Anne als ‘Graf Sternheim’. In einer Tragödie innerhalb dieser Komödie: ‘Emilie’ als: „Laura“. ‘Der junge Mensch’ als: „Fernando“. ‘Lisette’ als: „Claudio“. Bühnenbild nach einer Idee von JOCHEN GRINGMUTH unter Mitarbeit von MIRIAM CRAMER und ROSIE MÄRZHEUSER. Kostüme: ANASTASIJA NIMMER. Frisuren: MANFRED PATT. Handpuppen: JULIA BONNEMEIER. Regie: JÜRGEN KÜHNEL. Premiere: 27. Januar 1999 im Kleinen Theater LÿZ. Weitere Aufführungen: 1., 2., 8. und 9. Februar 1999. „Die Studiobühne Siegen stellt vor: ‘Die verkehrte Welt’ von Ludwig Tieck. 2oo Jahre nach der Drucklegung erst die zweite belegbare Inszenierung. Was für eine Komödie ist das, die bislang niemand aufführen oder sehen wollte? Im ‘Kleinen Theater Lyz’ wird am Abend vor der Generalprobe die Bühne aufgeschlagen: ein Podest, ein paar Stühle. Die Embleme der Theaterkunst werden angebracht. Denn: Die Bühne wird diesmal zum Theater umgebaut, nicht in Fausts Studierzimmer verwandelt oder in den Venusberg, sondern in ein normales Theater. Wenn die Akteure gefragt werden, was die Zuschauer am Mittwochabend erwarte, kommen die Antworten etwas verhalten: Das könne man so nicht sagen, die Handlung könne man so kurz nicht berichten, eine Hauptperson gebe es eigentlich nicht. Es sei […] ein Stück in einem Stück in einem Stück (manche fügen noch ein Stück hinzu). Ein Mitspieler will, daß die Zuschauer sich überraschen lassen; aber vielleicht darf etwas mehr verraten werden, ohne daß die Spannung verloren geht. Es gibt keine durchgehende Handlung und keine Charaktere, mit denen sich die Spieler und Zuschauer solidarisch erklären oder gegen die sie Partei ergreifen könnten. Aber es gibt Theater und Szenen, es gibt Spiel und Turbulenzen: ein impressionistisches Szenario, das lebhaft und nachdenklich stimmt. Und wer doch gern eine Handlung hätte, dem wird sie geboten: Nach wenigen Minuten wird jeder Zuschauer überlegen, ob er nicht lieber gehen soll, um mit dem angebrochenen Abend noch etwas vernünftiges anzufangen; denn in diesem Theater wird in den nächsten Stunden keine Komödie oder sonst Erfreuliches mehr zustande kommen. Aber er bleibt, weil er bezahlt hat, und merkt, daß diese Theaterkatastrophen eigentlich Widerspiegelungen der Welt sind, in der er sich auskennt: daß einer seinen Job leid ist und daß ein anderer endlich mal etwas vom Leben haben; daß niemand sich auf ein Drehbuch verlassen sollte und daß nicht alles, was einer anfängt, auch zu Ende kommen muß. Und er kann sich den Spaß machen, die Akteure dabei zu beobachten, wie sie Spiel und Leben, Rolle und Ich dauernd verwechseln, wovon das meiste Durcheinander im Leben kommt. Und das Schöne daran: Er weiß in jedem Augenblick: Das bin nicht ich selbst, das ist ein Schauspieler, dem es so weh ums Herz ist. Bis zu dem Moment, wo er sich plötzlich auf der Bühne findet, weil der Regisseur (er heißt Jürgen Kühnel) ihn mit einem Schauspieler verwechselt hat. Dann muß er Herzweh spielen, und aus ist es mit dem angenehmen Zuschauen aus dem sicheren Sessel heraus. Das Stück heißt nämlich ‘Die verkehrte Welt’ […].“ [Loh: Studiobühne: Heute Lyz-Premiere mit merkwürdigem Stück von Ludwig Tieck. ‘Verkehrte Welt’ - die zweite Auflage in 2oo Jahren. Westfälische Rundschau vom 27. 1. 1999.] „Es lebt, das Spiel mit der Illusion, das Spiel mit der Wirklichkeit. Und das aus der Zeit vor Brecht und den anderen Theater-Theoretikern. Gestern abend führte die Studiobühne der Universität-Gesamthochschule Siegen im Lÿz Ludwig Tiecks ‘Verkehrte Welt’ auf. Eine Erstaufführung, denn Tiecks ‘historisches Schauspiel’ von 1798 galt als unaufführbar: ein Text voll poetologischer Reflexionen, dramatischer Anspielungen, Illusionsdurchbrechungen, Witz und mit einer jederzeit durchbrechbaren Handlung. Ein ahistorisch-allgemeingültiges Stück. Wie gültig und spielbar, das beweist die Truppe um Inszenator […] Jürgen Kühnel seit gestern abend mit einer höchst vergnüglichen Aufführung, die die Zuschauer - ganz aktuell zu spontanen Reaktionen auffordert, sie nicht ganz ernst nimmt, um ihnen einen Spiegel vorzuhalten. Doch der ist nicht moralisch: ‘Sie vergessen in Ihrem Enthusiasmus ganz, daß wir alle nur Schauspieler sind und daß das Ganze nichts als Spiel ist’, sagt am Ende der entthronte und wiedereingesetzte Theaterdirektor Apollo besänftigend. Schließlich ist es der Beifall, der zählt, nicht der Ernst der Verwicklungen. Jedenfalls ist die sprachlich geschaffene Wirklichkeit des Stückes genauso real wie die nicht zu hörende Musik, die in den Zwischenspielen kommentiert wird! Apollo (Theaterdirektor Christoph Diel) streckt sein lorbeerumkränztes Haupt vorsichtig durch den Vorhang. Die Zuschauer sind da. Sogar die Dame (exaltiert-involviert: Patricia Teichert), die mit großem Getöse zu spät kommt, hat noch einen Platz gefunden. Der direktorale Apollo stellt geschäftsmäßig fest, daß er das Stück einleiten kann. Er tritt vor den Vorhang, deklamiert, stellt fest, daß er den falschen Text hat, den für den Epilog, bricht ab, das Kinn zittert, die Souffleuse kann nicht helfen, er fängt sich und resümiert, daß es egal ist, ob man das Stück schon gesehen hat. Unter ‘gebildeten Leuten’ kann man schließlich auch nicht Gesehenes beurteilen. Der erste Seitenhieb - und der Strom, der auch den Manager mitreißen wird, bemächtigt sich der Zuschauer wie der Schauspieler gleichermaßen. Folgerichtig überstürzen sich die Ereignisse. Scaramuccia (Thomas Brück) will endlich mal den Apollo geben, die Zuschauer sind dafür, Zuschauer Grünhelm (Markus Krczal) gibt den Pierrot (Thomas Matena), der endlich mal Zuschauer sein will, und Apollo regiert. Seine Regierungsanweisungen klingen wie aus einem Schrempp-Handbuch zur Unternehmensführung. Die Musen Melpomene (Ulrike Stahl) und Thalia (Ulrike Kochems) haben auf dem Parnaß jetzt einen Mietvertrag mit dreimonatiger Kündigungsfrist. Zu Apollos Geburtstag wird ihm ein Theaterstück dargeboten, in dem sich Liebespaare finden und später lieben lernen. Paare, die gar nicht wissen, daß sie ein Schauspiel sind für Apoll. Es kommt zu den üblichen Trennungen, zu komischen Einlagen (ein ungeheuer mobiles Gesicht: Julia Bonnemeier; trockene Unverschämtheiten: Elmar F. Wulff), zu einer wunderbar gespielten Seeschlacht mit wogenden Wellen und tosendem Meer (Maschinistin Alexandra Lübbren beherrscht ihr Handwerk!), zum Kampf, zum Ausstieg der Zuschauer-Schauspieler und zum guten Ende: ‘In dem Stück ist viel Moral - ich fühle mich schon viel besser!’ Doch ist es nicht ‘sehr aristokratisch’ zu denken, im Theater müsse ‘alles zu etwas dienen’? Schließlich gilt frei nach Shakespeare: Die Welt ist eine Bühne!“ „Der poetisch-poetologisch firme Wirt (ein seine Begeisterung und Servilität genau dosierender Jürgen Kühnel) und der standesbwußt-scheiternde Theaterdirektor (Christoph Diel) planen die Verschwörung, die die Welt wieder in Ordnung bringt. Zumindest die Theaterwelt.“ [gmz: Im Stück ist viel Moral - Ich fühle mich schon viel besser. ‘Studiobühne’ mit Erstaufführung von Tiecks ‘Verkehrter Welt’. Siegener Zeitung vom 28. 1. 1999.] „Mit ‘Die verkehrte Welt’ feierte die Studiobühne der Universität-Gesamthochschule Siegen am Mittwoch vor einem begeisterten Publikum im Kleinen Theater Lyz seine Premiere. Im 2o. Jahr nach der Gründung des Theaterensembles hatten sich die Darsteller um Jürgen Kühnel an eine ‘romantische’ Komödie von Ludwig Tieck aus dem Jahre 1799 herangewagt, die nicht zuletzt wegen ihrer zahllosen Verwirrungen und Beziehungen den Ruf des Unaufführbaren hatte. Doch das Siegener Publikum honorierte diese Theater-Idee von der ersten Szene an […]. Das Publikum, da besonders an Jürgen Kühnel in der Rolle des Wirtes Gefallen fand, spendete am Ende stehend Ovationen.“ [Christian Janusch: ‘Die verkehrte Welt’ erntete im Lyz ‘richtigen’ Beifall. Studiobühne mit erfolgreicher Premiere der Tieck-Komödie. Westfalenpost vom 29. 1. 1999.] 2ooo ERSTAUFFÜHRUNG: Klaus Fehling / Anastasija Nimmer: Die unendliche Bibliothek. Nach Jorge Luis Borges. Bibliothekare: I: JÜRGEN KÜHNEL. II (Bibliotheksvorsteher) : ELMAR F: WULFF. III: DOMINIK HOEPFNER. IV: WALDEMAR KOBUS a.G. V: CHRISTOPH DIEL. VI: CHRISTOPH SEIFENER. VII: MANFRED LULÉ. Aufzählung (Videoprojektion): TRAUTE HOESS a.G. Aufzählung / Die Besucherin: JULIA BONNEMEIER. Die Inquisition / Frau: ULRIKE KOCHEMS. Enzyklopaedia: HEATHER WHITE. Bühne: HANS ROSOLSKI / FLORIAN HANDRICK. Kostüme: FRAUKE HOFFMANN. Musik: LEMP / *PELETON. Bild: MATTHIAS BÜHLER / MICHAEL SCHLAPPA UEBERHAGEN. Ton: MALTE ZURBONSEN. Licht: STEFAN KINDER. Photographie: ANDREA DINGELDEIN / KATHRIN GOLDMANN. Dramaturgie: KLAUS FEHLING. Regie- und Produktionsassistenz: SABINE WERNICKE. / MARK Regie / Produktion: ANASTASIJA NIMMER. Premiere am 26. Januar 2ooo im Kleinen Theater LÿZ. Weitere Aufführungen: 7., 8., 9. und 1o. Februar 2ooo. „Eine Art Denkanstoß liefern, das will Anastasija Nimmer mit ihrer Produktion ‘Die unendliche Bibliothek’. Das Theaterstück reflektiert über den ‘Informationswust’ in der heutigen Zeit, und die Jung-Regisseurin würde sich wünschen, dass die Besucher sich im Anschluss einmal Gedanken über das Thema machen, beispielsweise übers Fernsehen oder übers Internet. ‘Die unendliche Bibliothek’ - ein Stück über die Bedeutung von Information, von Unendlichkeit und über die Sinnfrage von ‘Realitäten’ im Medienzeitalter. Nimmer hat die Produktion als Abschlussarbeit an der Uni-GH Siegen im Studiengang Medienplanung-, entwicklung und -beratung auf die Beine gestellt. Auf der Themensuche stieß die 26jährige auf die Bearbeitung einer Textvorlage von Jorge Luis Borges (‘Die Bibliothek von Babel’) durch den freien Dramaturgen Klaus Fehling. Diese überarbeitete Nimmer nochmals und erstellte eines Fassung, bei der sie sich auf das für sie Wesentliche konzentrierte. Die Inszenierung der Studiobühne der Siegener Uni unter Nimmers Regie verbindet ‘theaterfremde’ Medien wie Klangcollagen, Bildprojektionen und Videosequenzen mit klassischen Ausdrucksformen. Neben den Schauspielern der Studiobühne arbeiten noch andere Kräfte mit: ein Komponist, die Gruppe ‘Freiraum 13’ - junge Bochumer Dramaturgen, Musiker, Regieassistenten, Bühnenbildner und Schauspielschüler, sie entwickelten gemeinsam mit dem tontechnischen Leiter des Schauspielhauses das Bühnenbild - und Studenten der FH Düsseldorf, die die Video- und Dia-Einspielungen erstellten. Bei den Videosequenzen wirkten renommierte Schauspieler wie Traute Hoess und Waldemar Kobus mit. Regionale Pluspunkte bei der Entstehung des multi-medialen Stücks waren vor allem die mehrjährige Zusammenarbeit mit der Studiobühne Siegen bzw. ihrem künstlerischen Leiter, Jürgen Kühnel, und die idealen Produktionsbedingungen im Medien- und Kulturhaus Lÿz. Wie der Kultur!Büro.-Leiter und Kreis-Kulturreferent Wolfgang Suttner beim Pressegespräch erklärte, trete bei dem Projekt der Zusammenhang zwischen Medien und Kultur zutage. Ein Stück also, das zum Aufführungsort passt. Denn die Synergieeffekte zwischen klassischer Kultur und Medien seien auch ein Hauptthema im Lÿz. Zudem verstehe sich das Lÿz auch als ein Haus der Hochschulkultur.“ [sz: Informationswust reflektiert. Anastasija Nimmer bringt ‘Die unendliche Bibliothek’ ins Lÿz. Siegener Zeitung vom 25. 1. 2ooo.] „‘Ich bin fasziniert von dem, was da auf uns zukommt’, schwärmte Kreiskulturreferent Wolfgang Suttner. Und Jürgen Kühnel, Leiter der Studiobühne der Universität Siegen, prophezeite ‘etwas Ungeheuerliches’. Beide meinten die neue Produktion, die morgen […] im Kleinen Theater Lyz Premiere hat: ‘Die unendliche Bibliothek.’ Die Frau, die dafür verantwortlich ist, heißt Anastasija Nimmer. Die Inszenierung ist Teil ihrer Diplomarbeit für den Siegener Medienstudiengang. Den Stoff lieferte die Erzählung von Jorge Luis Borges ‘Die Bibliothek von Babel’. Die Basis für die Inszenierung stammt von dem Dramaturgen Klaus Fehling. Umgesetzt hat das alles Anastasija Nimmer. Die zierliche Regisseurin, die neben dem Studium ein Volontariat in der Dramaturgie am Bochumer Theater absolvierte, aktivierte ein ‘westfalenweites Netzwerk bekannter und unbekannter Theaterleute, Techniker und Theoretiker’. […] Die Technik spielt in der Inszenierung eine große Rolle: ‘Aber es ist dennoch Theater - und da lebt von seinen Darstellern’, sagte sie bei der gestrigen Pressekonferenz im Lyz. Für die Video-Sequenzen engagierte sie so bekannte TheaterSchauspieler wie Traute Hoess und Waldemar Kobus. Die ‘echten’ Akteure sind die Mitglieder der Studiobühne - inklusive Chef Jürgen Kühnel. Von Anastasija Nimmer bekamen sie ein großes Lob: ‘Es ist ein abstrakter Text - ich bin begeistert, was die Schauspieler geleistet haben.’ Und worum geht es? Die Inszenierung erzählt die Geschichte einer Bibliothek von unendlichen Dimensionen. Eine Gruppe von Bibliothekaren sucht das ‘Buch der Bücher’. Es sei eine Machtfrage, meinte die Regisseurin: ‘Wer es erkennt, hat die Pool-Position.’ Bei der Suche zerstören sich die Bibliothekare selbst - oder sie sterben geläutert. Anastasija Nimmers Fazit: Die Menschen gehen zu Grunde - aber die Bibliothek als Metapher für das Leben bleibt.’“ [bw: Die Suche der Bibliothekare nach dem ‘Buch der Bücher’. neue Inszenierung der Studiobühne hat morgen im Kleinen Theater Lyz Premiere. Westfälische Rundschau vom 15. 1. 2ooo.] „Die Bibliothek als Metapher für das Leben oder die Suche nach dem Sinn des Seins. […] ‘Die unendliche Bibliothek’ heißt das neue Stück der Studiobühne Siegen. Es will versuchen, einen kleinen Einblick in die Verstrickungen von Realität und Vision zu geben. […] Die junge Regisseurin Anastasija Nimmer hat […] ‘Die Bibliothek von Babel’ von Jorge Luis Borges als Thema für ihre Abschlussarbeit an der Uni-GH Siegen im Studiengang Medienplanung, -entwicklung und -beratung als Grundlage gewählt. Der freie Dramaturg Klaus Fehling lieferte gemeinsam mit der Regisseurin eine zeitgemäße Interpretation. Da sich die Ausführung auf der kleinen Bühne im Medien- und Kulturhaus Lyz sehr schwierig gestaltete, wuchs die Vorstellung zu einem Medien-Theater heran. Etliche Projektoren und 12o Quadratmeter Stoff ersetzen jetzt eine Bibliothek oder gar eine Drehbühne.“ [Miriam Cramer: Kleines Theater im Lyz wächst zur Großbühne. ‘Unendliche Bibliothek’ wird zum Medienspektakel. Westfalenpost vom 25. 1. 2ooo.] „Kunstnebel wabert wie beim unmöglich nicht fesselnden Edgar. Gestalten in schwarzen Kutten murmeln eco-mäßig Formeln wie eine geheime Bruderschaft. Elektronische Musik bohrt sich ständig wiederholt eingängig in Gehörgänge. Der monolithische Sound erinnert an die triumphalen Klänge, mit denen heutzutage Profi-Boxkämpfen der 1. Kategorie das Feld bereitet wird. Hören, sehen, riechen. Der Nebel aus der Büchse steigt kratzbürstig in so manche Nase. Gewollt unangenehm, fast schon ein wenig beklemmend. Herzschlagtöne aus den Lautsprechern. Die Angst des Sich-ausgeliefert-Seins am eigenen Leibe spürend. Die Bibliothek als sechseckiges Monster. Musik, Sprache, Mimik, Film, Dia-Projektionen, Bandwurm-Satzgefüge, Zahlenkolonnen. Medialer Overkill oder Aufbruch in die neue Zeit? So wie bei der gestrigen Premiere von ‘Die unendliche Bibliothek’ hat man/frau die Studiobühne der Universität-Gesamthochschule Siegen noch nie erlebt. Mit dem Stück nach der Textvorlage des Argentiniers Jorge Luis Borges, das die 26jährige Anastasija Nimmer als Abschlussarbeit an der Uni-GH Siegen im Studiengang Medienplanung, -entwicklung und beratung inszeniert hat, betritt die Truppe um den künstlerischen Leiter Jürgen Kühnel Neuland. Nimmers Regiearbeit hinterfragt, sich des ganzen Instrumentariums bedienend, die aktuelle Medienlandschaft. Dabei ist mit Hilfe eines nordrhein-westfälischen Künstlernetzwerks (die SZ stellte das Projekt […] ausführlich vor) ein spannendes 9oMinuten-Opus entstanden, eine Expedition in die (Un)Tiefen der vernetzten Informationsgesellschaft. So eine Inszenierung passt natürlich ins Medien- und Kulturhaus Lÿz wie die Faust aufs Auge. Zumal Anastasija Nimmer mit ihrer Inszenierung die möglichen Gefahren an die Wand schreibt. Im Gestrüpp von Elektro-Klimg-Klang, ständig wechselnden Dia-Projektionen und Filmsequenzen gehen im konsequent sechseckig gestylten Bühnenbild die Worte der Darsteller des gut organisierten Ensembles oft ein wenig unter. Das Auge triumphiert über den Ort. Zurücklehnen, hingucken ist bequem. Bequemer als hören, nachdenken, verarbeiten. Nir starke optische Reizen rücken die Schauspieler/innen in den Focus. Wen etwa die Inquisition in Gestalt zweier lackgelederter Sado-Maso-Ladies einen der sieben Bibliothekare auf die ultrabrutale Tour abledert oder Lewis Caroll seine Gewaltfantasien masturbierend auslebt. Aber auch die Bibliotheken-Welt in ihrer gefühllos wirkenden Unendlichkeit ist keine Insel, auf die man/frau sich mit dem Lieblingsbuch zurückziehen möchte. Was zählt, sind die Regeln, der Kodex, die sich ständig wiederholende Alltäglichkeit. Die vermeintliche Sinnsuche ist längst zum banalen, schablonisierten Zeitvertreib verkommen. Wenn sich ein Bibliothekar mit schwarzgetönter Brille durch die sechseckigen Labyrinthe tastet, dann signalisiert das dem Zuschauer, das selbst die Wächter, Kontrolleure, Herren (?) der Medien eher Zauberlehrlinge als Meister sind. Die Anspielungen auf Umberto Ecos ‘Name der Rose’ sind nicht zu übersehen. Bereits im Mittelalter waren Buch und Schrift als ‘das’ Medium nicht nur ein Kommunikationsfaktor, sondern auch ein schlagkräftiges Mittel zum Machterhalt. Um die Warnung bodenständig zu formulieren: Holzauge, sei wachsam! Denn die ‘unendliche Bibliothek’ erinnert mit ihren rigorosen Regeln an ein totalitäres Regime, in der Reizüberflutung liegt die Gefahr des Vorbeirauschens, des Übersehens und Überhörens des Wichtigen. Auch damit geht Nimmers Inszenierung gekonnt um, denn anchdem der letzte Beifall verklungen ist, hat man/frau das Gefühl, im technisch-gekonnt inszenierten Medien- Trommelfeuer etwas verpasst zu haben.“ [bö: Die Bibliothek - ein sechseckige Monster. Gestern abend Premiere im Lÿz: Uni-Studiobühne verbindet Theaterstrukturen mit modernen Medien. Siegener Zeitung vom 27. 1. 2ooo.] „[…] in dem Stück wird der Zusammenhang von Medien und Kultur thematisiert. Durch den vernebelten Flur müssen sich die Zuschauer den Weg in den ‘Vorführraum’ suchen. Im Theatersaal empfängt sie eine monotone Folge sonorer Klänge mit minimalen melodischen Bewegungen. Das wird andauern. Die Videoinstallation zeichnet Wabenmuster auf die Bühnenwände. Es ist, als sollten alle in den Zustand von Orientierungslosigkeit versetzt werden, der seinen symbolischen Ausdruck in dem Zeichen des Sechsecks findet, das in unendlicher Wiederholung die Architektur der Bibliothek bestimmt. Der so eingestimmte Besucher erwartet nicht mehr die Dramaturgie einer Handlung, die sich auf ein Ziel hin bewegt. Er kann sich fast widerstandslos damit einverstanden erklären, dass er Zeuge einer Choreographie von Sentenzen über Bücher und ihre Ordnung wird. Überraschunsgeffekte entstehen aus dem Wechsel der Präsentationsebenen. Dem Prolog des blinden AltBibliothekars folgt eine Vorstellung des numerischen Ordnungssystems, teils als Videoclip, teils als direkte Aktion. Ein Vortrag des Direktors informiert über die Anlage der Bibliothek. In einem Statement über die Bibliotheksbesucher kommen die alten Damen und die Arbeitslosen nicht gut weg. Ein Bewerber mit verblüffenden Berufsmaximen wird per Video vorgeführt. Die Erzählung eines Bibliothekars verliert sich in Mystisches. Sichtbar werden die geheimen Freuden eines Bibliothekars bei der Lektüre merkwürdiger Briefstellen. Und augenfällig wird die lustnahe Angst eines anderen, der in unsagbar schwermütiger Erinnerung über das Leben und die Vergänglichkeit im Banne der Bücherwelt Auskunft geben soll: zugleich Totengräber und Bücherpfleger - absurder Repräsentant des Sinnverlustes. Auch ein Mord geschieht in dieser Bibliothek - gegen jede Ordnung, aber nicht ohne innere Logik. Zum hellen Ausklang bei heiterem Jazz wird eine Biographie des Dichters nachgeliefert. Die atmet den Geist des Alkohols und der Buchferne: Es sind ja Menschen, die Bücher schreiben. Danach gab es Ovationen für die junge Regisseurin und das Ensemble um Jürgen Kühnel.“ [Loh: Die Ordnung der Bücherwelt gegen Unordnungen im Menschenleben. Gelungenes Theaterexperiment der Uni-Studio-Bühne: ‘Die unendliche Bibliothek’. Westfälsiche Rundschau vom 28. 1. 2ooo.] „Das Kleine Theater im Lyz war ausverkauft. Die zahlreichen Besucher zeigten sich nach der Vorstellung begeistert. Langanhaltender Applaus […]. Die Regisseurin wurde für ihre Premiere mit Blumen beglückwünscht.“ [bor: Phantasie erforderlich. Anastasija Nimmer mit Regie-Debut im Lyz-Theater. Westfalenpost vom 29. 1. 2ooo.] 2ooo Georg Büchner: Karl Emil Franzos / Paul Landau: LOUIS. WOYZECK. WOZZECK. Zwei Fragmente. 1836/37. Ein Trauerspiel von Georg Büchner. Rekonstruierte Fassung der Uraufführung von 1913. Premiere: 29. 11. 2ooo im Kleinen Theater LÿZ. Weitere Aufführungen: 3., 4., 5. und 6. 12. 2ooo Mitwirkende: JULIA BONNEMEIER / CHRISTOPH DIEL / CLAUDINE KLAPPERT / JÜRGEN KÜHNEL / NORMAN LIPKE / CHRISTIAN RÜHL / CHRISTOPH SEIFENER / KLAUS-PETER SPÄTH / ULRIKE STAHL / PATRICIA TEICHERT / WALBURGA THIERY / ROBERT WÖRNLE / ELMAR F. WULFF. Georg Büchners unvollendetes Drama Woyzeck - erhalten sind tatsächlich nur mehrere, obendrein schwer zu entziffernde Entwürfe - erzählt, auf der Basis mehrerer authentischer Kriminalfälle, unter sozialkritischem Aspekt die Geschichte eines Mordes aus Eifersucht und entfaltet zugleich die Psychopathologie eines Mörders: Der Soldat Franz Woyzeck, Objekt der Demütigungen seines Hauptmanns und der medizinischen Experimente des Doktors, von Halluzinationen heimgesucht, ersticht seine Geliebte Marie, die Mutter seines unehelichen Kindes, als diese ihn mit dem eitlen Tambourmajor betrügt. - Büchners Fragmente, entstanden 1836/37, wurden im Vorfeld des Naturalismus wiederentdeckt und durch den österreichischen Schriftsteller Karl Emil Franzos unter dem Titel Wozzeck 1875 erstmals publiziert; die Uraufführung erfolgte 1913 im Kontext des expressionistischen Theaters, in einer Bearbeitung der Fassung von Franzos durch Paul Landau. Die Woyzeck-Produktion der STUDIOBÜHNE (unter der Leitung von Jürgen KÜHNEL) basiert nicht auf einer der gängigen Bühnenfassungen der Büchnerschen Fragmente; sie stellt vielmehr drei höchst unterschiedliche Fassungen des Stückes zur Diskussion: LOUIS: Büchners ersten Entwurf, der die Geschichte des Mordes erzählt und in dem die Protagonisten noch Louis und Margreth heißen; WOYZECK: Büchners letzten Entwurf, der die Vorgeschichte des Mordes thematisiert und in dem die Protagonisten die Namen Woyzeck und Marie tragen; und WOZZECK: die (rekonstruierte) Fassung der Uraufführung von 1913 auf der Grundlage der Textfassungen von Karl Emil Franzos und Paul Landau. Louis. Woyzeck. Wozzeck ist die 3o. Produktion der STUDIOBÜHNE; die STUDIOBÜHNE feiert mit dieser Produktion zugleich ihr 2ojähriges Jubiläum. Mitwirkende 198o-2ooo. Leitung: Jürgen KÜHNEL (seit 198o). Ensemble: Heike ALBERS (1988-199o). Rike ALFES (1984). Inga APEL (1995). Katharina BECKER [Katharina FEUßNER] (1986-1997). Julia BONNEMEIER (seit 1999). Gudrun BRANDENBUSCH (1988/89). Hanah DÖHR (198o/81). Pamela DUBE (1991). Margarita FERNANDEZ (1989/9o). Mignon FUCHS (1992/93). Ingrid GÄNG (1983-1989). Leonore GEORG[-SHIRLEY] (198o-1986). Katrin HEINRICH (1992-1995). Afra JANOTA (1983). Claudine KLAPPERT (seit 1992). Iris KLIMACH (1991/92). Ulrike KOCHEMS (19972ooo). Birgit KOWALSKI (1991). Suzanne LEGG (1985/86). Eva LOOCK (199o). Gaby LOOCK (1989/9o). Alexandra LÜBBREN (1999). Angela MERTE (1986-1988). Claudia MERTENS (1992). Anne MÜLLER (1993/94). Ulrike MÜLLER-CHARLES (1983.) Britta NEHLSEN (1984). Anastasija NIMMER (1999). Sandra NUY (1989-1997). Brigitte PICHON (1981). Anne RISCHMÜLLER (1994). Claudia SAAR (1994). Claudia SCHADT[KRÄMER] (198o-1986; 1992). Birgit SCHLENTHER (199o). Ute SCHMIDT (1983). Monika SCHWARZ (1983). Brigitte SPIESS (198o-1987). Ulrike STAHL (seit 1997). Patricia TEICHERT (seit 1995). Walburga THIERY (2ooo). Cornelia WEBER (1983). Heather WHITE (2ooo). Dagmar WÜRTHEN (1986). Gudrun WURM (1983-1986). Stephan BECKER (1986/87). Thomas BRÜCK (1997-1999). Volker BUNSE (1994-1997). Martin CUNO (1987/88). Paco D’ALOISIO (1987). Christoph DIEL (seit 1997). Ulrich VON FELBERT (1981). Michael GEHRKE (1983). Thomas GEISEN (198o-1986). Heribert GIETZ (1985). Michael GRETHLER (1992). Martin HEINZEL (1991-1994). Dominik HOEPFNER (1999/2ooo). Michael HOF (1989). Jan HÜTTEROTT (1981-1988). Roland KOCH (1981-1983). Michael KORTE (1988-1991). Soeke KRANICH (1991). Marcin KROL (1994). Markus KRCZAL (1997-1999). Jürgen KÜHNEL (seit 1981). Achim KUHN (1994). Horst LANGER (1981). Markus LANGER (1986-1989). Christoph LATOS (1985-1991). Henry LINDEMEYER (1986). Norman LIPKE (2ooo). Manfred LULÉ (2ooo). Thomas MATENA (1999). Thomas MÜLLER (1983). Reinhard PACZESNY (1983-1986). Herb RAY (1983). Karsten REINCKE (1985). Ludwig REIDT (1986). Jörg RODE (198o). Christian RÜHL (2ooo). Axel RUF (1992). Konrad SCHERFER (1993). Götz SCHMEDES (1991-1997). Ralf SCHMITT (1984). Klaus-Heinrich SCHMITZ (1984-199o). Krischan SCHULTE (1987-1995). Peter SEEL (1989-1997). Christoph SEIFENER (seit 1994). KlausPeter SPÄTH (1986-199o; 2ooo). Ludwig STECHER (1992). Klaus TEXTOR (1986). Klaus TÖBERICH (1981). Andreas TRESKE (1986). Jochen VENUS (1991-1993). Gerhard WEBER (1991-1996). Achim WEHRLE (1992-1997). Tilman WELTHER (1991-1993). Elmar F. WULFF (seit 1997). Traute HOESS und Waldemar KOBUS - Schauspielhaus Bochum - als Gäste (2ooo). Regie: Stephan BECKER (1987-1989). Hans Ulrich KAEGI (1987). Jürgen KÜHNEL (seit 198o). Michael LOMMEL (1994). Anastasija NIMMER (2ooo). Götz SCHMEDES (1995). Jochen VENUS (1992). Achim WEHRLE (1997). Tilman WELTHER (1992). Elmar F. WULFF (2ooo). Regieassistenz: Stephan BECKER (1987). Sabine WERNICKE (2ooo). Dramaturgie: Bühnenbearbeitungen der Texte: STEPHAN BECKER (Was ihr wollt. 1987; Wie es euch gefällt. 1991). Götz SCHMEDES / Tilman WELTHER (Jud Süß. 1992). Götz SCHMEDES / Jochen VENUS / Tilman WELTHER (Der Groß-Cophta. 1992). Götz SCHMEDES in Zusammenarbeit mit Krischan SCHULTE und Jochen VENUS (Geheime Verzückung. 1995). Jochen VENUS / Tilman WELTHER / Martin HEINZEL / Krischan SCHULTE (Der Architekt und der Kaiser von Assyrien. 1996). Achim WEHRLE (Edward II. 1997). Klaus FEHLING / Anastasija NIMMER (Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Gestaltung der Programmhefte: Peter SEEL (Wie in einem Spiegel. 199o; Wie es euch gefällt. 1991; Jud Süß. 1992). Peter SEEL / Mignon FUCHS (Der Groß-Cophta. 1992). Michael LOMMEL (Freud. 1993). Jochen VENUS (Satanstango. 1994). Jochen GRINGMUTH / Jochen VENUS (Der Architekt und der Kaiser von Assyrien. 1996). Götz SCHMEDES (Geheime Verzückung. 1995). Anastasija NIMMER / Kerstin RÖßLER (Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Originalbeiträge zu Programmheften: Jens Malte FISCHER (Die Familie Schroffenstein. 1986). Franz-Josef WEBER (ALLES GUTE, Georg Trakl! 1987). Markus LANGER (Die Gerechten. 1987). Stephan BECKER (Wie in einem Spiegel. 199o). Michael LOMMEL (Freud. 1993; Satanstango. 1994). Jochen VENUS (Satanstango. 1994). Götz SCHMEDES (Geheime Verzückung. 1995). Achim WEHRLE (Edward II. 1997). Anastasija NIMMER (Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Bühnenbild: Stephan BECKER (1988-1992). Günter BRAUN (1988, in Zusammenarbeit mit Ludwig DRANSFELD). Miriam CRAMER (Mitarbeit / 1999). Ansgar CZIBA (1997). Heike DIEDERICHS (1988, in Zusammenarbeit mit Stephan BECKER). Ludwig (Lutz) DRANSFELD (1985-1988). Jochen GRINGMUTH (1994-1997). Florian HANDRICK (in Zusammenarbeit mit Hans ROSOLSKI, 2ooo). Hubertus (Bert) HEUEL (1986-1989). Martin KALFF (1997, in Zusammenarbeit mit Ansgar CZIBA). Rosemarie MÄRZHEUSER (Mitarbeit / 1999). Sabine REIBOLDT (1995, in Zusammenarbeit mit Jochen GRINGMUTH). Hans ROSOLSKI (2ooo). Frank WITTHÖFT (1986, in Zusammenarbeit mit Ludwig DRANSFELD). Technik und Beleuchtung: Götz von ARNIM (1984-1988). Tanja BABYLON (1997). Elisabeth BACH (1989). Stephan BECKER (1988-1992). Miriam CRAMER (1999). Guido GEIMER (1989). Jochen GRINGMUTH (1994-1996). Martin HOHENBERGER (1981). Oliver KAEGI (1983). Stefan KINDER (2ooo). Markus KRCZAL (1997). Alexandra LÜBBREN (1999). Ralf MATALLA (1989). Claudia MERTENS (1997). Thorsten MESECK (1994, in Zusammenarbeit mit Jochen GRINGMUTH). Sandra NUY (199o-1992). Sabine REIBOLDT (1994, in Zusammenarbeit mit Jochen GRINGMUTH). Michael SCHULTHEIß (1994, in Zusammenarbeit mit Jochen GRINGMUTH). Sabine VOGT (1997). Robert WÖRNLE (2ooo). Angela WOLFF (1997). Kostüme: SHERÈ (ALLES GUTE, Georg Trakl! 1987). Rosemarie (Rosie) MÄRZHEUSER (Śakuntalā. 199o). Susanne FISCHER (Jud Süß. 1992). Manfred PATT (Edward II. 1997). Anastasija NIMMER (Das Lächeln einer Sommernacht. 1997; Die verkehrte Welt. 1999). Frauke HOFFMANN (Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Maske / Frisuren: Manfred PATT (Edward II. 1997; Die verkehrte Welt. 1999). Handpuppen: Stephan BECKER (Was ihr wollt. 1988). Julia BONNEMEIER (Die verkehrte Welt. 1999). Plakate: Jan HÜTTEROTT / Christoph LATOS (Die Fliegen + Pylades. 1985; Kaspar. 1987). Christoph LATOS (Die Familie Schroffenstein. 1986; Was ihr wollt. 1988; Rot und Blau / Zur Nacht / MaMaLuJo. 1989). Stephan BECKER / Heike DIEDERICHS (Iphigenie in Tauris. 1988). Heike DIEDERICHS (Śakuntalā. 199o; Wie in einem Spiegel. 199o; Wie es euch gefällt. 1991). Peter SEEL (Jud Süß. 1992). Peter SEEL / Mignon FUCHS (Der GroßCophta. 1992). Michael LOMMEL (Freud. 1993). Jochen VENUS (Satanstango. 1994; Geheime Verzückung. 1995). Anastasija NIMMER (Die verkehrte Welt. 1999; Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Musik: Rüdiger GANS / Jan HÜTTEROTT / Gudrun WURM (Der tolle Tag. 1984). Christoph LATOS (Śakuntalā. 199o). Peter SEEL (Wie es euch gefällt. 1991). LEMP / *PELETON (Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Klaus ASCHOFF / Sabine SCHUTTE, Klavier (Frühere Verhältnisse. 198o). Jan HÜTTEROTT, Klavier (Die Familie Schroffenstein. 1986). Rüdiger GANS, Schlagzeug (ALLES GUTE, Georg Trakl! 1987). Barbara HOHLFELD, Querflöte (Zur Nacht. 1989). Isabel LIPPITZ, Sopran (Śakuntalā. 199o). Photographie / Videoaufnahmen / Projektionen: Andreas TRESKE / Jürgen HALFAR (Die Fliegen + Pylades. 1985). Wolf KUHN unter Mitarbeit von Harald BECKER, Werner GREITEN und Stephan SCHOPP (Kaspar. 1987). Katharina BECKER (MamaLuJo. 1989). Götz SCHMEDES / Jochen VENUS / Tilman WELTHER (Jud Süß. 1992). Matthias BÜHLER / Michael SCHLAPPA / Mark UEBERHAGEN . Andrea DINGELDEIN / Kathrin GOLDMANN (Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Ton / Tonbandaufnahmen: Wolf KUHN unter Mitarbeit von Harald BECKER, Werner GREITEN und Stephan SCHOPP (Kaspar. 1987). Harald BECKER / Stephan BECKER (Zur Nacht. 1989). Guido GEIMER (MamaLuJo. 1989). Götz SCHMEDES / Jochen VENUS / Tilman WELTHER (Jud Süß. 1992). Jochen VENUS (Der Groß-Cophta. 1992). Sabine REIBOLDT (Geheime Verzückung. 1995). Harald BECKER (Die verkehrte Welt. 1999). Malte ZURBONSEN (Die unendliche Bibliothek. 2ooo). Es soufflierten: Katharina BECKER. Stephan BECKER. Gudrun BRANDENBUSCH. Margarita FERNANDEZ. Mignon FUCHS. Heribert GIETZ. Ilsedore HENNECKE. Claudine KLAPPERT. Stephanie KLEIN-BERGER. Iris KLIMACH. Natja KOUKOULLI. Christoph LATOS. Bettina LEIFELS. Gaby LOOCK. Dominika MACHA. Ulrike MÜLLERCHARLES. Sandra NUY. Lucie PEETZ. Klaus TEXTOR. Waltraud WENDE[HOHENBERGER]. Gudrun WURM. Kartenvorverkauf: Bis 1995: Christa SCHLENTHER. Seit 1996: Kultur!Büro Kreis Siegen Wittgenstein. Abendkasse: Bis 1995 Mitglieder des Ensembles. Seit 1996: Kultur!Büro Kreis Siegen Wittgenstein - Christel HELLERMANN / Ina MARINOLLI. Die STUDIOBÜHNE dankt allen, die in zwanzig Jahren ihre Arbeit ermöglicht, gefördert und unterstützt haben: dem Fachbereich 3 der Universität - Gesamthochschule Siegen, seinen Dekanen sowie GERTRUD KÖHLER. BIRGIT WEYLAND. BIRGIT KÖLSCH und insbesondere CHRISTA SCHLENTHER dem Kulturkreis Siegerland, seinen Geschäftsführern HANS-ULRICH KAEGI und VOLKER BIEDENKAPP und insbesondere RENATE WALLE dem Kultur!Büro. Kreis Siegen-Wittgenstein und dem medien- und kulturhaus LŸZ, seinem Leiter WOLFGANG SUTTNER sowie CHRISTEL HELLERMANN RALF GERECHT. GEORG KLEIN. ANDREAS SCHMIDT. DIRK SCHMIDT und insbesondere INA MARINOLLI dem Audiovisuellem Medienzentrum der Universität - Gesamthochschule Siegen, insbesondere WOLFGANG KUHN. STEPHAN SCHOPP. HARALD BECKER. WERNER GREITEN dem Autonomen Schwulenreferat der Universität - Gesamthochschule - Siegen ANASTASIJA NIMMER und HANS ROSOLSKI vom Schauspielhaus Bochum sowie ROLF AGOP NICO BATTISTINI. MARCO DILLMANN. BETTINA KAPPLER HANS BELZ. ROSEMARIE MÄRZHEUSER. MANFRED PATT HELGA DÜCHTING. CLAUDIA IRLE-UTSCH. OLIVER HAUPT KATHARINA und FRANK FEUSSNER ERWIN KNIPP. ILSE und FERDINAND MANNER SIGRID WIESMANN und vielen anderen.