SALZBURGER FESTSPIELE 21. JULI – 30. AUGUST 2017 SPEZIAL Er läuft ja wie ein offenes Rasiermesser durch die Welt, man schneidet sich an Ihm!“ Hauptmann zu Wozzeck Workshop zu William Kentridges Inszenierung von Alban Bergs Wozzeck, William Kentridge Studio, Johannesburg, Jänner 2017 BILD: SN/STELLA OLIVIER SALZBURGER FESTSPIELE WOZZECK Alban Berg Der Südafrikaner William Kentridge (*1955) zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern. Er ist nicht nur ein Meister der poetisch bewegten Schatten, der verwehenden Zeichnung und der sich wie von Geisterhand auslöschenden Bilder. Er ist vor allem einer der betörendsten Erzähler unserer Zeit. Für die Salzburger Festspiele setzt er Alban Bergs Oper Wozzeck mit für ihn typischen Animationen in Szene. In wenigen Strichen nur zeichnet William Kentridge die Umrisse eine Pferdes. Dann zerschnipselt er sie in einzelne Linien und setzt diese in allen möglichen Strich-Kombinationen wieder zusammen . . . und wir sehen abermals: ein Pferd. Selbst wenn nur noch eine Linie auszumachen ist, rekonstruieren wir die Andeutung von einem Pferd. „Im Inneren ist die Empfindung eines Pferdes da, die nur darauf wartet, abgerufen zu werden“, erläutert William Kentridge in einer der berühmten Drawing Lessons seine Gedanken zu Wahrnehmung und Kunst. Ähnlich ergeht es uns mit jener Konstruktion, die William Kentridge aus Stangen und Lumpen gebaut hat. Wir erkennen darin ein Pferd. – Ist es das Steckenpferd von Maries und Wozzecks Sohn? Oder ist es eines jener Tiere, die auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs eingesetzt wurden? Genau dort nämlich, bei der sogenannten „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, setzt William Kentridge an. „Alban Berg wurde ganz sicher vom geistigen Klima im damaligen Wien beeinflusst, etwa von Karl Kraus’ Tragödie Die letzten Tage der Menschheit. All das fand in ihm ebenso Widerhall wie Büchners Drama Woyzeck, das er ein paar Jahre zuvor gesehen hatte. Die Figuren des Doktors und des Hauptmanns hat Büchner schon in den 1830er-Jahren erfunden, doch sie nehmen sehr viel von der Grausamkeit der Ärzte und Offiziere auf den Schlacht- feldern des Ersten Weltkriegs vorweg“, erzählt er. „Woyzecks Visionen wirken wie Vorahnungen der Explosionen und des unterirdischen Grollens, die wir aus Filmaufnahmen von den Kämpfen in Flandern kennen.“ Als visuelle Grundlage für seine Salzburger Inszenierung verwendet Kentridge berückend schöne, in Kohle getauchte Zeichnungen, die die emotionalen Ausbrüche und düsteren Vorahnungen erspüren lassen. „Alle Projektionen basieren auf Kohleskizzen, deren Grobkörnigkeit sehr gut zu Bergs Musik passt, aber auch zu jener Welt, die sie darstellt, mit all ihren Veränderungen und unterirdischen Geräuschen, in der aus einem Igel plötzlich ein Kopf in einer Landschaft werden kann“, sagt er. Aus seinem schier unerschöpflichen Reservoir an Formen und Figuren zitiert er etwa Baumstümpfe, die aus devastierten Landschaften ragen, Trichter, die sich zwischen Stacheldrähten verlieren, eine Taube, die einem Kriegsreporter gleich eine Kamera an der Brust trägt . . . Der Komponist Alban Berg skizzierte seine Oper mitten in den Wirren des Ersten Weltkriegs während eines Fronturlaubs. Im Zentrum des wegweisenden Musiktheaterwerks steht Wozzeck, ein an den Rand der Gesellschaft gedrücktes, isoliertes Individuum, das – seiner Würde beraubt – schließ- Giuseppe Verdi Die iranische Künstlerin Shirin Neshat wandelt sich ständig: von der Fotografin zur Videokünstlerin zur Filmregisseurin. Da erscheint es folgerichtig, dass sie sich nun auf eine weitere neue Kunstform einlässt. In Salzburg inszeniert sie zum ersten Mal eine Oper: Giuseppe Verdis Aida. Die Lebenssituation der Titelfigur in Giuseppe Verdis Aida – in einer fremden Kultur im Exil zu leben – kennt Neshat aus eigener Erfahrung seit Jahrzehnten. 1957 in Qazvin im Iran geboren, wächst sie in einer westlich orientierten Familie auf. Mit 17 Jahren verlässt sie den Iran, um in den USA Kunst zu studieren. Nach ihrem Abschluss geht sie nach New York, gründet eine Familie und arbeitet für die Organisation Storefront of Art and Architecture. Erst 1990, ein Jahr nach Ajatollah Khomeinis Tod, kehrt Shirin Neshat in einen durch die islamische Revolution völlig veränderten Iran zurück. Unter den Eindrücken dieses einst als Heimat bezeichneten Landes beginnt die Künstlerin mit der Fotoserie Women of Allah (1993–97), die sie in der westlichen Kunstszene berühmt macht: SchwarzWeiß-Fotografien von verschleierten, bewaffneten Frauen, deren unbedeckte Haut mit Kalligrafien überzogen ist. Es sind Texte zeitgenössischer iranischer Lyrikerinnen wie Tahereh Saffarzadeh in William Kentridge bei einem Workshop zu Alban Bergs Wozzeck lich an den Umständen zerbricht. „Wozzeck wird von allen gedemütigt, vom Doktor, vom Hauptmann, von Marie, vom Tambourmajor. Am Ende verwandelt sich diese Demütigung in Gewalt, gegen sich selbst und gegen die Menschen um ihn herum“, sagt Kentridge. Trotz der zeitlichen Verortung „haben das Drama und die Oper bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren“, meint William Kentridge, „denn der Titelheld ist ein einfacher Mann – kein Fürst, Baron oder Graf. Außerdem geht es in dieser Geschichte um das Gefühl extremer Verzweiflung, das es auch heute noch überall in der Welt gibt. Und es geht um Gewalt von Männern gegen Frauen – auch das ist ein sehr aktuelles Thema. Deshalb berühren uns die Themen und Gefühle dieser Geschichte bis heute.“ Dass es auf der Opernbühne möglich ist, die tiefen Emotionen ganz unverstellt vorzuführen, ohne sich in melodramatischem Pathos zu verlieren, darin sieht William Kentridge einen besonderen Zauber der Gattung. „In der Oper darf Liebe einfach nur Liebe sein und Wut einfach nur Wut. Alle Gefühle werden auf die Spitze getrieben und jede emotionale Verwerfung endet tödlich. Dass die Oper Gefühle so unverstellt, so prall zeigen kann, macht sie in meinen Augen zu einem absolut unwiderstehlichen Bühnenerlebnis.“ Margarethe Lasinger BILD: SN/STELLA OLIVIER Alban Berg Wozzeck Oper in drei Akten Vladimir Jurowski Musikalische Leitung William Kentridge Regie Luc De Wit Co-Regie Sabine Theunissen Bühne Greta Goiris Kostüme Matthias Goerne Wozzeck John Daszak Tambourmajor Mauro Peter Andres Gerhard Siegel Hauptmann Jens Larsen Doktor Heinz Göhrig Der Narr Asmik Grigorian Marie Frances Pappas Margret u. a. Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor Wiener Philharmoniker Koproduktion mit der Metropolitan Opera, New York, und der Canadian Opera Company, Toronto Neuinszenierung, Haus für Mozart 8. (Premiere), 14., 17., 24., 27. August Supported by Bank of America Merrill Lynch AIDA der Landessprache Farsi, die für den westlichen Betrachter wie Ornamente der alten persischen Kunst der Kalligrafie wirken. – Wer jemals Bilder von Shirin Neshat gesehen hat, wird sie nicht vergessen. Ihre bildmächtige Kunst lässt nie- Shirin Neshat, Untitled aus der Serie Women of Allah, 1996 BILD: SN/COURTESY GLADSTONE GALLERY, NEW YORK manden kalt, sondern weckt bei allen Betrachtern starke Gefühle. Seit Mitte der Neunzigerjahre entwickelt Shirin Neshat ihre intensive, faszinierende Bildsprache in Videoinstallationen weiter: genau komponierte, kontrastreiche und verrätselte Bilder von Frauen und Männern in der islamischen Welt, die in ihren Videos oft getrennt voneinander auftreten. Sie zeigen sehr pointiert die Trennung der Geschlechtersphären in der Gesellschaft ihres Heimatlandes und die Auswirkungen auf die Situation der Frau. Für ihren ersten Langspielfilm Women Without Men gewann Neshat 2009 bei den Filmfestspielen von Venedig gleich den Preis für die beste Regie. Ihr Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Shahrnush Parsipur, die seit den Neunzigerjahren im amerikanischen Exil lebt. In einem mystischen Garten vor den Toren Teherans kreuzen sich die ungleichen Lebenswege von vier Frauen auf der Flucht vor ihrem bisherigen Leben. Der Garten wird zu ihrer Zufluchtsstätte, wo eine Utopie für kurze Zeit lebbar scheint. Zuletzt drehte sie in Marokko Looking for Oum Kulthum: Darin erzählt sie von Mitra, einer ambitionierten Künstlerin. Diese versucht, ihren Traum zu verwirklichen und einen Film über Oum Kulthum, die legendäre Sängerin der arabischen Welt, zu drehen. Bettina Auer Giuseppe Verdi Aida Oper in vier Akten Riccardo Muti Musikalische Leitung Shirin Neshat Regie Christian Schmidt Bühne Tatyana van Walsum Kostüme Roberto Tagliavini Il Re Ekaterina Semenchuk Amneris Anna Netrebko Aida Vittoria Yeo Aida (22., 25. 8.) Francesco Meli Radamès Yusif Eyvazov Radamès (22., 25. 8.) Dmitry Belosselskiy Ramfis Luca Salsi Amonasro u. a. Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor Wiener Philharmoniker Neuinszenierung Großes Festspielhaus 6. (Premiere), 9., 12., 16., 19., 22., 25. August Supported by SWAROVSKI GALA-SOIREE Nach der Premiere am 6. August findet eine Gala-Soiree zu Ehren der Künstler in der Salzburger Residenz statt. Der Reinerlös fließt in die Jugendarbeit der Salzburger Festspiele. LADY MACBETH VON MZENSK Dmitri Schostakowitsch Sie sei die größte dramatische Sopranistin unserer Tage – so wird Nina Stemme von Publikum und Presse regelmäßig gefeiert. In Salzburg verkörpert die schwedische Sängerin Katerina Ismailowa, die Titelrolle in Schostakowitschs frühem Geniestreich Lady Macbeth von Mzensk. Im Interview beleuchtet Nina Stemme ihren Zugang zu dieser Figur und warum Katerina Anteilnahme herausfordert, obwohl sie eine Mörderin ist. Dmitri Schostakowitsch Lady Macbeth von Mzensk Oper in vier Akten Frau Stemme, Sie haben die Titelpartie in Lady Macbeth von Mzensk vor 16 Jahren schon einmal gesungen. Worin liegt für Sie der Reiz, sich nach so langer Zeit in Salzburg erneut mit dieser Rolle auseinanderzusetzen? Mariss Jansons Musikalische Leitung Andreas Kriegenburg Regie Harald B. Thor Bühne Tanja Hofmann Kostüme Schostakowitschs Lady Macbeth ist ein wunderbares Stück – tragisch, aber auch mit witzigen, satirischen Zügen –, und als ich es 2001 für Genf einstudiert habe, dachte ich, es würde ein Kernstück meines Repertoires werden. Weitere Angebote für die Rolle der Katerina blieben dann allerdings aus (die Oper wird ja auch nicht allzu oft aufgeführt) und meine Stimme entwickelte sich ins hochdramatische Fach, mit Wagners Isolde und Brünnhilde oder Strauss’ Salome und Elektra. Umso mehr freut es mich, die Katerina nun endlich ein zweites Mal zu singen, noch dazu unter Mariss Jansons, der diese Musik kennt wie kein anderer Dirigent. Die Rolle ist auch spielerisch eine riesige Herausforderung. Nina Stemme Katerina Lwowna Ismailowa Dmitry Ulyanov Boris Timofejewitsch Ismailow Maxim Paster Sinowi Borissowitsch Ismailow Maxim Aksenov Sergej Evgenia Muraveva Aksinja Andrei Popov Der Schäbige Stanislav Trofimov Pope Alexey Shishlyaev Polizeichef Ksenia Dudnikova Sonjetka Andrii Goniukov Alter Zwangsarbeiter u.a. Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor Wiener Philharmoniker Das Stück beginnt mit einer langen Arie Neuinszenierung Großes Festspielhaus 2. (Premiere), 5., 10., 15., 21. August der Katerina. In welcher Situation begegnen wir ihr? Katerina tut etwas, was Wagners Frauenfiguren völlig fremd ist: Sie langweilt sich, und zwar wahnsinnig – typisch russisch, man denke an Tschechow. Sie hat überhaupt nichts zu tun und sie ist verzweifelt. Katerina ist eine bodenständige Frau, sie kommt aus einfachen Verhältnissen, hat keine Schulbildung, ja sie kann nicht einmal lesen. Sie wurde mit einem Mann aus einer wohlhabenderen Familie verheiratet, dem Kaufmann und Mühlenbesitzer Sinowi Ismailow, den sie nicht liebt. Obwohl sie in der Hierarchie aufgestiegen ist und einen gewissen Status genießt, ist ihr Leben von Zwängen und Unterdrückung bestimmt. Katerina wünscht sich sehnlich ein Kind, und ihr patriarchalisches Umfeld macht natürlich sie dafür verantwortlich, dass keines kommt. Wie ihre konkrete Lebenssituation aussieht, ist letztlich auch davon abhängig, wie man das inszeniert. Der Text lässt beispielsweise offen, was für ein Interesse ihr tyrannischer Schwiegervater Boris an ihr hat, bis zu welchem Grad er sie bedrängt: Vielleicht hat er einen eigenen Weg im Sinn, um sich zu einem Enkel und Erben zu verhelfen? Grundsätzlich ist es immer schwierig, detailliert über einen Charakter zu reden, bevor man ihn im Rahmen einer Produktion mit dem Regisseur und den Kollegen erarbeitet hat. Ich komme nicht mit einem fertigen Bild von einer Figur zur ersten Probe: Natürlich bilden Musik und Text den Ausgangspunkt, Charakter und Handlung sind durch sie in den Grundzügen vorgegeben. Das Spannende ist für mich dann aber die Reise zwischen diesen Punkten. Fest steht, dass Katerina sich gefangen fühlt und es eigentlich nicht mehr aushält. In dieser Lage trifft sie Sergej, der von ihrem Mann gerade als Arbeiter in Dienst genommen wurde . . . Er wird für Katerina eine Möglichkeit, auszubrechen. Sie befreit sich durch etwas, was sie selbst als echte Liebe empfindet. Und das, obwohl sie Sergej gleich von seiner brutalsten Seite kennenlernt: bei einem Übergriff auf die Küchengehilfin Aksinja, vielleicht sogar einer Vergewaltigung. Katerina interveniert und hält ein erstaunliches Plädoyer für die Frauen und gegen deren Geringschätzung durch die Männer. Und dennoch fühlt sie sich ausgerechnet zu Sergej hingezogen. Nina Stemme Ja, alle hören der „Herrin“ zu, bloß Sergej reagiert herausfordernd. Klar, es gibt da auch eine erotische Spannung: Sergej sieht gut aus, ist jung . . . Warum geht Katerina überhaupt in den Hof zu den Arbeitern? Versucht sie bewusst, in Sergejs Nähe zu gelangen? Das sind Dinge, die ich erforschen möchte. Die Musik, die Schostakowitsch für Katerina schreibt, ist ganz geradeaus und stark, die Musik für Sergej etwas gewundener, schlangenhafter: Er weiß genau, wie er Katerina manipulieren kann – und sie lässt sich auch manipulieren. Vielleicht handelt Sergej von Anfang an aus reiner Berechnung, für Katerina jedenfalls ist er wie eine Befreiung. Alle wissen, dass Sergej ein Schürzenjäger ist und von seinem vorigen Arbeitgeber gefeuert wurde, weil er ein Verhältnis mit dessen Frau hatte. Katerina aber will nicht sehen, wer er eigentlich ist. Deshalb geht alles zu weit und sie wird zur Mörderin, erst an ihrem Schwiegervater, dann – gemeinsam mit Sergej – an ihrem Mann. Hinzu kommt ihre große Angst, dass Sergej sie verlassen könnte . . . Er hat damit alle Mittel der Macht in der Hand und zwingt Katerina geradezu, ihn zu heiraten. Dennoch durchlebt sie an seiner Seite auch Momente unbeschwerten Glücks, etwa am Beginn der letzten Szene des zweiten Akts, wo wir eine sehr lyrische Musik hören. Musikalisch ist das Werk äußerst kontrastreich: einerseits ungemein energiegeladene Passagen, in denen Schostakowitsch die gesamten Kräfte des Orchesters bündelt, andererseits weite Strecken mit einer kammermusikalischen Faktur. Im vierten Akt – Katerina und Sergej sind auf dem Weg in die Zwangsarbeit – drückt Katerina ihren Schmerz darüber, dass Sergej sich von ihr abwendet, in einer Arie aus, die zunächst nur vom Englischhorn bzw. einer Oboe begleitet wird. Erlauben Ihnen solche Stellen, gesanglich noch feinere Nuancen zu machen als sonst? Prinzipiell versuche ich natürlich immer, möglichst nuancenreich zu gestalten. Im Fall von Katerina ist es vielleicht ein Glück, dass ich die Partie gesungen habe, als meine Stimme noch ein bisschen lyrischer war, BILD: SN/NEDA NAVAEE und ich diese Erinnerung stimmlich zurückbringen kann. Dabei hilft, dass Schostakowitschs vokale Schreibweise genial ist: Die leiseren Stellen liegen im Allgemeinen auch tiefer. Die dramatischen hingegen liegen sehr hoch, sind also wirklich dramatisch, oft mit viel Blech im Orchester. Wie üben Sie solche dramatischen Rollen, die ja nicht nur vokale, sondern meist auch emotionale Extreme bedeuten? Elektra mit voller Stimme in den eigenen vier Wänden? Das ist tatsächlich schwierig: Derzeit muss ich Wagners Kundry üben, inklusive ihrer Schreie, und die Nachbarn wundern sich bestimmt . . . Man kann in einem kleinen Zimmer eigentlich nicht voll aussingen, man braucht die Bühne, um die Stimme und alle Emotionen richtig entfalten zu können. Die Arbeit zu Hause ist zu einem Gutteil auch „mind training“: Ich lese viel – den Text und die Musik – und überlege, welche Emotionen an welcher Stelle gebraucht werden; bei der Umsetzung ist es dann natürlich wichtig, die Emotionen nicht auf die Stimme gehen zu lassen, die immer frei ausschwingen muss. Gerade auf eine dramatische Partie muss man sich wie auf einen Marathon vorbereiten: Wo ist die nächste Kurve, wo muss ich hin? Wie stelle ich mein Instrument auf das emotionale Niveau ein? Das sind Dinge, die man mit jedem Atemzug wissen muss. Nochmals zurück zu zentralen Themen, die Schostakowitschs Oper aufwirft: das Gefühl, nicht selbst über sein Leben bestimmen zu können, das Aufbegehren gegen Fremdbestimmung, die Eskalation in Gewalt. Wie nahe sind wir diesen Themen in unserer westlichen, liberalen Welt? Auch heute gibt es rund um uns Gesellschaften, die ähnlich repressiv oder ähnlich patriarchalisch sind wie Katerinas Umfeld. Ich denke aber auch an die Situation der Flüchtlinge, die in ein neues, fremdes Milieu gelangen, ohne von diesem aufgenommen zu werden, und die ein ähnliches Gefühl von Frustration und Machtlosigkeit, ja von Ausweglosigkeit erfahren wie Katerina. Supported by Bank of America Merrill Lynch Mit der gleichen Möglichkeit, dass dieses Gefühl in Aggression und (Selbst-)Zerstörung umschlägt? Katerina scheint alles sehr spontan, wie aus einem Instinkt heraus zu tun . . . Auch ich glaube, dass Katerina nicht reflektiert oder bewusst handelt. Sie ist intelligent, aber im Gegensatz zu Shakespeares Lady Macbeth, mit der sie nur das Begriffspaar „Frau und Kriminalität“ verbindet, ist sie ein sehr emotionaler, keineswegs berechnender Mensch. Überlegung und Reflexion sind ihr fremd. Vielleicht zeigt sich hier auch ihre fehlende Bildung. Kennt Katerina Schuldbewusstsein? Ich glaube nicht – und das ist einer der Züge, die sie so interessant machen. Nach der Beseitigung ihres Schwiegervaters und ihres Gatten kommt ihr nichts zu Bewusstsein, was sie als ethische Bedenken empfindet. Natürlich beeinflusst die Situation ihren Kopf und ihre Sinne: Bereits nach dem ersten Mord sieht sie Gespenster, kämpft fast physisch mit ihnen; sie hat Angst. Aber Gewissensbisse? Nein. Klar, ich spreche jetzt als jemand, der die Rolle schon einmal gesungen hat, und würde Katerina vielleicht anders beurteilen, wenn ich sie von außen betrachten sollte. Als Darstellerin muss ich die Figur von innen heraus formen, sodass sie eine eigene Aura bekommt, d. h. für mich muss alles an ihr menschlich und logisch sein. Und ich habe eine große Sympathie für Katerina, auch wenn sie falsche Dinge macht. In diesem Licht ist auch das Ende der Geschichte interessant. Ein weiterer Mord, der zugleich Selbstmord ist? Das Spannende an diesem Stück ist für mich auch, dass es verrückter und verrückter wird, sozusagen abhebt. Der letzte Akt lässt sich heute kaum realistisch spielen, auch seine Musik ist ganz anders als in den Akten davor. Ich kann noch nicht sagen, wohin mich die Arbeit mit Andreas Kriegenburg und den Kollegen führen wird, aber ich glaube, dass Katerina selbst nach den Demütigungen durch Sergej und seine Geliebte Sonjetka noch nicht ganz aufgegeben hat. Das Interview führte Christian Arseni. SALZBURGER FESTSPIELE LA CLEMENZA DI TITO Wolfgang Amadeus Mozart Ähnlich wie die szenischen Mozart-Interpretationen des kalifornischen Regisseurs Peter Sellars erregten die musikalischen Deutungen des in Perm residierenden Dirigenten Teodor Currentzis weltweit Aufsehen. Nun treffen der Regiealtmeister und der Jungstar unter den Dirigenten in Salzburg zur Arbeit an Mozarts letzter Oper, La clemenza di Tito, zusammen. Mozarts letzte Worte La clemenza di Tito, das letzte Werk, das Mozart vollendete, ist eine seltsame Oper, und zwar insofern, als er sie für eine Krönung in Prag schrieb und sehr angespannt war, da die Herrscher Oper eigentlich hassten. Zugleich wollte Mozart der Menschheit mit seinem letzten Atemzug eine echte Vision davon geben, wie Zusammenleben möglich sei. Diese Oper ist ein großes Stück über Wahrheit und Versöhnung und nimmt sich aktueller Fragen an: Wie können wir in einer Zeit des Konflikts zusammenleben? Wie können sich Menschen miteinander versöhnen? Wie können wir gemeinsam wieder Gerechtigkeit schaffen? Der erste Akt von Mozarts La clemenza di Tito endet mit einer in Flammen stehenden „Hauptstadt“ und dem Plan zur Ermordung des „Präsidenten“. Wie reagieren wir darauf in einer Zeit, in der Europa seinen eigenen Kampf gegen den Terrorismus beginnt . . . La clemenza di Tito erzählt von Europas höchstem Ideal, der Gewalt Milde und Aussöhnung entgegenzustellen. Das stellt sich aber als großer Kampf dar. Mozarts Oper ist auch deshalb so stark, weil er bereits mit einem Fuß in einer an- Peter Sellars BILD: SN/RUTH WALZ deren Welt steht und sich dennoch dieser Welt zuwendet und fragt: Wie ist es möglich, sie wiederherzustellen? Wie ist es in einer Zeit, die voller Zorn ist, möglich, eine heilende Geste anzubieten? – Ich denke, dass Mozart über die Jahrhunderte hinweg zu uns sprechen und Europa einladen kann, ein neuer Ort der Aufklärung zu werden. Peter Sellars ARIODANTE Georg Friedrich Händel In Georg Friedrich Händels Ariodante hat es Regisseur Christof Loy mit drei verschiedenen Zeitebenen zu tun: einer Ritterwelt der mittelalterlichen Vorlage von Ariosts Orlando furioso, dem Barock der Entstehungszeit und unserem Heute. Die Neuinszenierung für die Salzburger Pfingstfestspiele mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle wird im Sommer wiederaufgenommen. Cecilia Bartoli BILD: SN/ULI WEBER/DECCA Für den Regisseur Christof Loy ist das Händel’sche Meisterwerk ein Stück über Identitätskrisen und Persönlichkeitsfindung. Der Titelheld personifiziert dabei das Träumerische einer Figur, die auf der Suche nach sich selbst ist und ihre Position innerhalb eines Machtsystems, in das sie selbst nicht gehört, erst finden muss. Dabei spielt Loy bewusst mit der Idee, dass der männliche Protagonist von einer Frau (Cecilia Bartoli) gesungen wird. Ariodante verhält sich durchaus auch unhel- disch und versucht, sich in den Charakter einer Frau hineinzudenken, um deren Handlungsweise besser zu begreifen. Ginevra ist diese weibliche Hauptfigur, der in dem Stück übel mitgespielt wird. Frei von Schuld und ohne eigenes Zutun ist sie in die Rolle einer Betrügerin gedrängt, was ihr beinahe den Tod bringt. Ariodante und Ginevra drohen beide Opfer einer Gesellschaft zu werden, die eigentlich nicht die ihre ist. Dabei beginnt die Geschichte zunächst positiv und der erste Akt schließt mit einem Happy End. Die Vorstellung könnte hier zu Ende sein, gäbe es nicht den Schurken Polinesso, der durch eine Intrige das Glück des Paares zunichtemacht. Auch er ist auf der Suche nach Bestätigung und findet seinen Platz im Leben nicht. Polinesso jedoch erdreistet sich, sich diesen Platz mit unrechtmäßigen Mitteln zu verschaffen. Christof Loy und sein Bühnenbildner Johannes Leiacker lassen in einem geschlossenen, historisch anmutenden Raum spielen, der sich mehrfach öffnet, um den Blick in die Natur freizugeben. Dieses Bild entspricht aber eher einer Sehnsucht oder einer Illusion als der Wirklichkeit, die für die Protagonisten immer undeutlich bleibt, bis sie sich von jenen Zwängen befreien, in die sie sich selbst begeben haben. Das Finale bildet schließlich wieder ein „lieto fine“, weil es dem Paar Ginevra und Ariodante gelingt, aus der sie umgebenden Enge auszubrechen. Nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch wird Ariodante klar, dass er nicht in die aristokratische Welt passt, in die er hineinheiraten wollte, und das Paar versucht eine utopische Liebe zu realisieren, in der jeder er selbst bleiben darf. Klaus Bertisch Teodor Currentzis BILD: SN/ANTON ZAVJYALOV Alles Entscheidende steht in der Partitur Mozart hat mich die Hälfte meines Lebens begleitet. Ich habe seine Werke immer wieder neu erforscht und fast schon laborartig an ihnen gearbeitet, um das Geheimnis Mozarts zu entschlüsseln. Sagen wir so: Die Komponisten, die wir zu kennen glauben, sind doch in Wirklichkeit diejenigen, die immer unbekannt bleiben. Alles Entscheidende steht in der Partitur. Wir müssen nur ein Auge dafür entwickeln, die enthaltenen Nachrichten zu sehen, und die Fähigkeit, diese dem Publikum zu vermitteln. Mozarts Musik steckt voller Überraschungen. Er schafft es, aktuell und jung zu bleiben. Seine Werke sind und bleiben modern. Ich dirigiere La clemenza di Tito zum ersten Mal. Es ist kein ganz ungefährliches Stück. Gerade bei diesem Werk kommt es sehr darauf an, mit dem richtigen Regisseur zu arbeiten und zu denken. Ich hätte bei keinem anderen Regisseur als Peter Sellars zugesagt. Wir haben ja oft das Gefühl, dass alles schon erzählt wurde. Peter Sellars aber kehrt zurück zum Zentrum, er findet neue Dimensionen, die das Herz der Menschen ansprechen. Er ist einer, der es versteht, den Subtext eines Stücks zu erzählen. Ein Regisseur, der diesen Subtext außer Acht lässt, läuft Gefahr, zu narrativ zu sein. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe es zu experimentieren! Vorher sollte allerdings die Basis geklärt sein: Man muss den Kern der Oper begreifen, erst dann kann das Experiment beginnen. Teodor Currentzis Wolfgang Amadeus Mozart La clemenza di Tito Opera seria in zwei Akten Teodor Currentzis Musikalische Leitung | Peter Sellars Regie | George Tsypin Bühne | Robby Duiveman Kostüme Russell Thomas Tito Vespasiano | Golda Schultz Vitellia | Christina Gansch Servilia | Marianne Crebassa Sesto | Jeanine De Bique Annio | Willard White Publio musicAeterna Choir | musicAeterna Koproduktion mit De Nationale Opera, Amsterdam, und der Deutschen Oper Berlin Neuinszenierung, Felsenreitschule, 27. (Premiere), 30. Juli, 4., 13., 17., 19., 21. August Orchestra sponsor NOVATEK | Production sponsor Solway Investment Group SALZBURGER FESTSPIELE PFINGSTEN 2.–5. JUNI 2017 Oper Georg Friedrich Händel Ariodante Gianluca Capuano Musikalische Leitung Christof Loy Regie Johannes Leiacker Bühne Ursula Renzenbrink Kostüme Nathan Berg Der König von Schottland Kathryn Lewek Ginevra Cecilia Bartoli Ariodante Norman Reinhardt Lurcanio / Rolando Villazón Lurcanio (August) Sandrine Piau Dalinda Christophe Dumaux Polinesso u. a. Les Musiciens du Prince – Monaco Salzburger Bachchor Haus für Mozart, 2. , 5. Juni Wiederaufnahme: 16., 18., 22., 25., 28. August Jubiläumskonzert Anne-Sophie Mutter Schubert, Vivaldi Mutter’s Virtuosi, Daniil Trifonov u. a. Großes Festspielhaus, 4. Juni Charity Lunch zugunsten der Jugendarbeit der Salzburger Festspiele und der Anne-Sophie Mutter Stiftung Es kochen Johanna Maier & Söhne Karl-Böhm-Saal, 4. Juni Oper konzertant Gioachino Rossini La donna del lago Orchesterkonzert Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia Mendelssohn, Wagner, Verdi Antonio Pappano Musikalische Leitung Tatiana Serjan, Bryn Terfel Solisten Großes Festspielhaus, 3. Juni Gianluca Capuano Musikalische Leitung Edgardo Rocha Giacomo V (Uberto) Nathan Berg Douglas d’Angus Norman Reinhardt Rodrigo di Dhu Cecilia Bartoli Elena Vivica Genaux Malcom Les Musiciens du Prince – Monaco Salzburger Bachchor Haus für Mozart, 4. Juni Ballett Arienmatinee La Sylphide Max Emanuel Cencic Valery Ovsianikov Musikalische Leitung Vyacheslav Okunev Bühne Ballett des Mariinski-Theaters, Sankt Petersburg Mozarteumorchester Salzburg Großes Festspielhaus, 3. Juni Porpora, Vivaldi, Händel George Petrou Musikalische Leitung Armonia Atenea Stiftung Mozarteum, 5. Juni Sponsored by ROLEX „Ich suche eine Gegenwärtigkeit, vor der Martin Wuttke, Caroline Peters, Max Rothbart und Nicola Kirsch in Simon Stones Inszenierung von Ibsens John Gabriel Borkman, Burgtheater (Akademietheater), Wien, 2016 BILD: SN/REINHARD WERNER/BURGTHEATER Aribert Reimann Die Zahlen sprechen für sich: Aribert Reimanns Oper Lear, 1978 in München uraufgeführt, erlebt diesen Sommer bei den Salzburger Festspielen ihre 27. Neuproduktion. Lear bescherte dem 1936 geborenen Komponisten den internationalen Durchbruch und hat sich wie nur wenige weitere zeitgenössische Musiktheaterwerke einen festen Platz im Repertoire erobert. Warum, das wird man in der Salzburger Produktion in der Regie von Simon Stone mit Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker eindrücklich erfahren können. Am Ende der zweiten Szene von Reimanns Lear merkt der König, wie ihm der Boden unter den Füßen wankt: Haben Goneril und Regan die Liebesbekundungen, die er von seinen drei Töchtern eingefordert hatte, um im Gegenzug Macht und Reich unter ihnen aufzuteilen, also nur geheuchelt? Und irrte Lear, als er Cordelia, die ihm solche Schmeichelei verweigerte, verstieß? So scheint es, denn Goneril und Regan empfinden ihren Vater, der sie weiter bevormunden will, nun bloß noch als Last. Nach einer heftigen Auseinandersetzung sperren sie den alten Mann aus dem Haus und überlassen ihn dem heraufziehenden Sturm. Ein orchestrales Zwischenspiel leitet zur Szene auf der Heide über: komponiertes Chaos, das nicht nur das Aufbäumen der Elemente, sondern vor allem Lears innere Erschütterung verdeutlicht, das Schwinden der existenziellen Sicherheiten. Schon vor Beginn des Zwischenspiels bauen sich in den Streichern 48 Töne – einige vierteltönig erniedrigt oder erhöht – sieben Oktaven hoch zu einem stehenden Akkord auf, der von unten herauf wie ein Erdbeben zu vibrieren beginnt; zu diesem Dröhnen treten raumgreifende Äußerungen der Bläsergruppen und gewitternde Akzente des Schlagwerks. „Alles beginnt zu rotieren, weicht vom gewohnten Platz“, notierte der Komponist. „Der Orchesterapparat, den Reimann verwendet, ist riesig, sodass wir in Salzburg das Schlagwerk aus dem Orchestergraben der Felsenreitschule auf die Seite der Bühne auslagern werden“, verrät Franz Welser-Möst. Gerd Albrecht, der 1978 die Uraufführung leitete, berichtete, Lear bedeute für einen Dirigenten, nach dem ersten Teil mit Puls 190 in die Pause zu gehen und 25 Minuten später immer noch 180 Schläge zu fühlen. LEAR Und für das Publikum? „Das Hörerlebnis ist ein intensives, unter die Haut gehendes“, so Welser-Möst, „ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Musik irgendjemanden kalt lässt. Der erhöhte Puls ist mitkomponiert.“ Reimanns hochdifferenzierte musikalische Sprache ist ebenso fortschrittlich wie individuell. In einer Zeit, in der viele Komponisten der Avantgarde es allerdings tunlichst vermieden, ihre Musiktheaterwerke mit dem „reaktionären“ Etikett „Oper“ zu versehen, ordnete Reimann Lear ausdrücklich dieser Gattung zu – mit Recht, wie Franz Welser-Möst meint: „Reimanns Sprache ist eine total aus dem Medium Oper entwickelte. Das heißt, er kennt die Gesetze, wie man eine Oper schreibt, genau und verlangt dem Orchester und den Sängern nicht zuletzt auch deswegen neue Klänge ab. Ein Wiener Philharmoniker hat einmal nach einer Vorstellung von Reimanns Medea an der Wiener Staatsoper gesagt, diese Musik sei moderner Verismo. Da ist ein Körnchen Wahrheit darin.“ Neben dem Sinn für dramaturgischen Aufbau verrate sich Reimanns „Opernpranke“ aber auch darin, dass die Stimmtypen in Lear aus der Tradition heraus entwickelt seien: „Darauf haben die Salzburger Festspiele und ich Bedacht genommen, und viel gedankliche Arbeit ist in dieses Thema eingeflossen.“ Unter den drei Sopranistinnen etwa, die Lears Töchter singen, erfordert Goneril die dramatischste, Cordelia hingegen die lyrischste Stimme. Reimanns umfassendes Gespür für Gesang und die Möglichkeiten der menschlichen Stimme verdankte sich damals wie heute seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Liedbegleiter bedeutender Sänger, darunter Dietrich Fischer-Dieskau: Der Bariton war es auch, der Reimann zu einer Oper nach Shakespeares King Lear anregte und dem die Titelpartie sozusagen auf die Stimme geschrieben wurde. Während Shakespeares Tragödie in ihrem immensen gedanklichen Reichtum ein hohes Maß an geistiger Konzentration verlangt, fordert die Oper das Publikum in anderer Hinsicht: „Reimanns Lear ist nichts für schwache Nerven“, ist Franz WelserMöst überzeugt, „die Oper trifft einen mitten in die Magengrube und damit in den Bereich des eigenen Seins. Die Charaktere werden schonungslos wie auf einem Röntgenbild bis in ihr innerstes Wesen gezeigt.“ Christian Arseni es kein Entkommen gibt“: Der junge Regiestar Simon Stone spielt nicht bloß auf das Hier und Jetzt von Theater an, sondern vor allem auf die Radikalität, mit der er Klassiker der Dramenliteratur ins Heute holt. „Überschreiben“ nennt der in Basel geborene Australier das Verfahren, mit dem er sich diese Werke auf die kreativste Weise interpretatorisch aneignet und sie im aktuellen Alltag zwischen Medienübersättigung und Wohlstandsverwahrlosung neu verortet. Dabei scheut er weder Soaphaftes noch Melodramatisches, weder Drastik noch Poesie. Die Resultate sind berührend und mitreißend, erhellend oder auch beängstigend: so etwa Stones Version von Ibsens John Gabriel Borkman (Abb. links), die 2016 zum Berliner Theatertreffen eingeladen und in der Kritikerumfrage von Theater heute zur Inszenierung des Jahres gekürt wurde. Auf nicht weniger Begeisterung stieß Stone mit seinem von Ibsens Wildente inspirierten Kinodebüt, The Daughter (2015). Auch seine erste Opernregie, Erich Korngolds Die tote Stadt am Theater Basel, erntete im September 2016 Jubel: Ohne die textliche und musikalische Substanz anzutasten, gelang es Stone, das von Fin-desiècle-Symbolismus durchtränkte Stück mit psychologischer Hellhörigkeit, realistischer Unmittelbarkeit und erfrischender Gegenwärtigkeit neu zu erzählen. Auf Stones zweite Opernarbeit, Aribert Reimanns Lear bei den Salzburger Festspielen 2017, darf man höchst gespannt sein. Aribert Reimann Lear Oper in zwei Teilen Franz Welser-Möst Musikalische Leitung | Simon Stone Regie | Bob Cousins Bühne | Mel Page Kostüme Gerald Finley König Lear | Tilmann Rönnebeck König von Frankreich | Derek Welton Herzog von Albany | Michael Colvin Herzog von Cornwall | Matthias Klink Graf von Kent | Lauri Vasar Graf von Gloster | Kai Wessel Edgar | Charles Workman Edmund | Evelyn Herlitzius Goneril | Gun-Brit Barkmin Regan | Anna Prohaska Cordelia | Michael Maertens Narr Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor | Wiener Philharmoniker Neuinszenierung, Felsenreitschule, 20. (Premiere), 23., 26., 29. August Mit Unterstützung der Freunde der Salzburger Festspiele e. V. Bad Reichenhall SALZBURGER FESTSPIELE Harold Pinter Andrea Breth entdeckt ein neues Werk für Salzburg und bringt Harold Pinters Die Geburtstagsfeier auf die Bühne des Landestheaters. Harold Pinter – 2005 mit dem Nobelpreis für Literatur geadelt – lässt darin sein Figurenpersonal an der Grenze zum Absurden agieren. Gerhart Hauptmann Das aufwühlende Verfahren um eine Kindsmörderin inspirierte den deutschen Dramatiker Gerhart Hauptmann zu seinem Drama Rose Bernd. Karin Henkel inszeniert das Schauspiel auf der Pernerinsel in Hallein. Bei der Bauprobe gewährte sie erste Einblicke in ihre Regiearbeit. Frank Wedekind Die griechische Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari, die für Filme wie Attenberg und Chevalier ausgezeichnet wurde, gibt bei den Salzburger Festspielen ihr Theaterdebüt. Auf der Pernerinsel in Hallein inszeniert sie Frank Wedekinds „Monstretragödie“ Lulu. DIE GEBURTSTAGSFEIER Ein älteres Ehepaar – Meg und Petey – führt eine Strandpension, in der der scheue Stanley der einzige Gast ist. Unvermutet mieten sich zwei Fremde ein, Goldberg und McCann. Sie scheinen Stanley aus früheren Zeiten zu kennen und helfen Meg bei den Vorbereitungen zu Stanleys Geburtstagsfeier. Doch schwer zu definierende Ängste und ein unterschwelliges Klima der Gewalt provozieren eine Atmosphäre, die aus dem Ruder läuft. Die Party artet zu einem subtilen Ritual der Vernichtung aus. Andrea Breth erzählt im Interview über das Unheimliche bei Harold Pinter und ihre Arbeit mit dem Schauspielerensemble, bestehend aus Martin Reinke, Andrea Clausen, Max Simonischek, Andrea Wenzl, Roland Koch und Oliver Stokowski. Sie haben sich bereits 2014 mit Ihrer Inszenierung des Stücks Der Hausmeister mit Harold Pinter beschäftigt. Was hat Sie dazu veranlasst, bei den Salzburger Festspielen erneut ein Stück von ihm zu inszenieren? Meiner Meinung nach ist Harold Pinter zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Für mich ist er ein besonders wichtiger Dramatiker geworden. Seine Dramen sind sehr unterschiedlich und man muss für jedes eine andere Umsetzung finden. Man spürt genau, dass er viel über das Theater gewusst hat und selbst inszenierte. Er hat wunderbare Rollen für Schauspieler erfunden. Man muss allerdings sehr genau besetzen, denn die Charaktere sind schwer zu spielen. Pinter gibt keine genauen Auskünfte über seine Menschen. Deshalb müssen wir in der Probenarbeit viel erfinden, um die Tiefe der Menschen zu erwischen, ihnen eine ausführliche Biografie zu geben. Ich denke, dass es für das Publikum interessant ist, diesen Dramatiker kennenzulernen beziehungsweise seine Theaterstücke wieder zu erleben. zum Absurden. Welche Seite ist für Sie entscheidender? Man möchte Pinter gern einordnen: politisch, absurd . . . Das mag ja alles sein, aber in erster Linie gefällt mir bei ihm das Unheimliche, das Rätselhafte. Er entführt uns in eine beunruhigende Welt, die diffuse Ängste in uns auslöst. Wir erleben dasselbe wie die Menschen in seinen Stücken. Die Gewalt oder Bedrohlichkeit, die in der Sprache liegt oder manchmal sogar physisch Ich möchte angstfreie Schauspieler sehen und keine Vollstrecker von den Ideen der Regie. Harold Pinter gilt einerseits als politischer Autor, um ein weitreichendes Schlagwort zu benutzen, zum anderen als Autor mit Hang Andrea Breth Martin Reinke BILD: SN/REINHARD WERNER Andrea Clausen BILD: SN/REINHARD WERNER Max Simonischek BILD: SN/JEANNE DEGRAA Andrea Wenzl BILD: SN/REINHARD WERNER ausgeübt wird, erzeugt ein Klima aus Angst und Unruhe. – Es wird nur nicht erklärt. Ich empfinde, dass wir, unsere Gesellschaft, ebenfalls von einer diffusen Angst erfasst sind. Es ist eine beunruhigende Zeit. Keiner weiß, wie es weitergeht, die Welt ist, wie Kleist sagt, aus den Fugen. Das Ungewisse, das Gefühl, verloren zu sein, spiegeln Pinters Stücke auf das Sinnlichste wider. Wer allerdings eine klare, eindeutige Botschaft erwartet, wird unter Umständen enttäuscht. Pinter bietet viel Projektionsfläche für den Zuschauer, er entmündigt das Publikum aber nicht. Er überlässt dem Publikum vielmehr die Freiheit, seine Werke zu erleben. Eines meine ich aber zum jetzigen Zeitpunkt schon sagen zu können: Eine Komödie ist es für mich nicht. Sie pflegen langjährige Arbeitsbeziehungen mit gewissen Schauspielerinnen und Schauspielern. Was macht für Sie die Qualität dieser Verbindungen aus? Und wie begegnen Sie Kollegen, mit denen Sie, wie etwa in der Geburtstagsfeier, zum ersten Mal zusammenarbeiten? Michael Prelle Markus John Ich arbeite mit manchen Schauspielern schon über 20 Jahre, das macht Freude, solange man sich nicht gegenseitig langweilt. Oder der Schauspieler durch meine Besetzung keine Weiterentwicklung mehr erfahren kann. Wenn man so lang miteinander arbeitet, ist das Vertrauen groß; die Angst, sich auf der Probe zu blamieren, ist auf ein Minimum reduziert. Für mich sind Schauspieler Partner. Mich interessiert es sehr, wie sie ihre Rolle sehen Roland Koch BILD: SN/REINHARD WERNER Oliver Stokowski Andrea Breth BILD: SN/BERND UHLIG BILD: SN/JIM RAKETE und was sie mit ihrer „Figur“ erzählen wollen. Ich möchte angstfreie Schauspieler sehen und keine Vollstrecker von den Ideen der Regie. Die Begegnung mit „neuen“ Schauspielern ist aufregend und macht auf eine andere Art neugierig. Ich bilde mir ein, dass ich ihnen nicht anders begegne. Sie sollen auch spielen wie die Kinder, ohne Selbstzensur. Es gibt in den Proben nur Richtig oder Falsch. Und das entscheidet der Text oder die Situation, die im Stück vorgegeben ist. Um Befindlichkeiten kann und darf es nicht gehen, Stars und Genies habe ich wunderbarerweise noch nicht kennengelernt. Die Fragen stellte Bettina Hering. Harold Pinter Die Geburtstagsfeier Schauspiel Andrea Breth Regie Martin Zehetgruber Bühne Jacques Reynaud Kostüme Martin Reinke Petey Andrea Clausen Meg Max Simonischek Stanley Andrea Wenzl Lulu Roland Koch Goldberg Oliver Stokowski McCann Koproduktion mit dem Burgtheater Wien Neuinszenierung, Landestheater 28. (Premiere), 30., 31. Juli, 2., 3., 5., 7., 10., 12., 13. August ROSE BERND Noch erfüllt die Kälte des vergangenen Winters jeden Winkel der ehemaligen Sudhalle der Saline auf der Pernerinsel in Hallein. Dabei ist der klamme Theaterraum bereits mit quirligem Leben erfüllt. Gerüste werden aufgebaut, Praktikabel hin und her geschoben und Sichtverhältnisse überprüft. Gemeinsam mit den technischen Abteilungen begeht die Regisseurin Karin Henkel die Bühne, kontrolliert den Grundriss der bloß markierten Wände und bespricht die Aufbauten. „Es ist sehr kalt hier“, sagt Karin Henkel lachend, „was eigentlich sehr gut zu dem Stück passt, denn der emotionale Aggregatzustand der Figuren untereinander ist wirklich sehr kühl.“ Im Zentrum von Hauptmanns Stück steht eine junge Frau: Rose Bernd, die eine starke sexuelle Anziehungskraft auf die Männer in ihrer Umgebung ausübt und ein heimliches Verhältnis mit ihrem Arbeitgeber Christoph Flamm hat, einem älteren verheirateten Mann. Sie wird von ihm schwanger. Da ihr Geliebter seine kranke Frau nicht verlassen will, sieht Rose Bernd nur einen Ausweg, um der Ächtung in einer wertkonservativen Gesellschaft zu entgehen. „Sie willigt in die Heirat mit einem körperlich versehrten Mann ein, den sie nicht liebt“, erzählt Karin Henkel. Doch der brutale Alkoholiker Streckmann – auch ihm ist sie Objekt sexuellen Begehrens – weiß von der heimlichen Liaison zwischen Rose Bernd und Christoph Flamm und erpresst die junge Frau, womit das Unglück seinen Lauf nimmt. „Letzten Endes zerbricht Rose Bernd an dieser moralisch sehr engstirnigen Gesellschaft. Sie wird zur Kindsmörderin und verfällt dem Wahnsinn. Die Unausweichlichkeit der Tragödie in dieser chauvinistischen Welt, in der die Frau keine Entscheidungsfreiheit hat, wird von Hauptmann sehr berührend und zugleich erschreckend erzählt.“ Im April 1903 war Gerhart Hauptmann zu einer Verhandlung im Landesgericht Hirschberg in Schlesien als Geschworener berufen. Vor Gericht stand eine ledige Landarbeiterin, die wegen Meineids und Kindsmordes angeklagt war. Ganz auf die Lebenswirklichkeit der jungen Frau fixiert, schildert Hauptmann in Rose Bernd ihren Kampf inmitten einer starren Konvention, die der Frau keinerlei Rechte zugesteht und sie – obzwar Opfer der männlichen Begierde – als Verführerin stigmatisiert. Die ungeschönte Betrachtung des sozialen Milieus und die detaillierte Charakterisierung der Figuren bestimmen die dramatische Handlung, wobei Hauptmann auf wertende Urteile verzichtet. „Es ist sehr schwierig, ein- sterbenden Vater die Vorkehrungen für danach zu treffen. Marina hat auch eine Definition des Menschen. Sie sieht ihn als Mängelwesen, das für seinen Fortbestand als Gattung auf die Beschäftigung mit Feuchtgebieten angewiesen ist, vor denen sie sich ekelt. Die erste Szene von Attenberg ist berühmt geworden, weil sie von einem sehr methodischen Versuch der Überwindung dieses Ekels erzählt: Zwei Mädchen treten einander vor einer weißen Wand gegenüber, strecken ihre Zunge heraus und versenken sie jeweils in der Mundhöhle der Freundin. Der Gedanke, dass ihr Vater einen Penis hat, wird Marina dadurch nicht gleich weniger ungeheuer, aber es ist ein erster Schritt zu ihrer Lockerung. Ein spielerischer Umgang mit großen Konzepten wie Evolution, Sprache, Gattung hat wesentlich dazu beigetragen, dass Athina Rachel Tsangari nach Attenberg und ihrem zweiten Spielfilm Chevalier zu den großen Hoffnungen des Weltkinos zählt. Zugleich sind deutliche Verbindungen zu anderen Arbeiten jüngerer griechischer Filmemacher zu erkennen, etwa zu Dogtooth von Yorgos Lanthimos, ein Film, den Tsangari produziert hat und in dem die Theater darf laut sein, grell, brutal, widersprüchlich! Karin Henkel BILD: SN/MATTHIAS BAUS Lina Beckmann BILD: SN/MARIE KÖHLER BILD: SN/CHRISTIAN SPIELMANN Julia Wieninger BILD: SN/MATTHIAS BAUS Maik Solbach BILD: SN/MARVIN ZILM Gregor Bloéb Karin Henkel BILD: SN/SF BILD: SN/ GÜNTHER EGGER zelne Figuren zu verurteilen, weil sie alle Unschuldige sind, die sich schuldig machen. Weil sie alle versuchen, im Kampf ums Überleben nicht unterzugehen. Dass sie dabei zu solchen Bestien werden, das ist ganz toll geschrieben und ganz fein gezeichnet – in einer sehr eigenen Sprache“, erläutert die Regisseurin. „Das Schlesische – der Dialekt, der zu dieser Zeit gesprochen wurde – ist unglaublich kraftvoll. Es ist mehr eine Kunstsprache als ein Dialekt. Es ist ungemein theatral und sehr archaisch. Es ist fast so, als würde man oftmals schreiende Tiere hören . . .“ Auf der Bühne surren Bohrer, die Stahlkonstruktion mit den Scheinwerfern wird behutsam von der Bühnendecke abgesenkt und auf transparente Folien werden Videos zu Probezwecken projiziert. Der Raum wirkt roh, fast brutal, ganz wie die Atmosphäre in Hauptmanns Drama. „Das ist eine Welt ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Gnade“, schildert Karin Henkel die Grundstimmung, die der Theaterraum akkurat widerspiegelt. Womit auch die Relevanz für das Hier und Heute angesprochen ist: „Jeder schaut egomanisch auf sein Ziel, sein Glück, ist nicht zur Gemeinschaft fähig. Habgier und Besitz kennzeichnen die eiskalte Warenwelt.“ Noch ist die ästhetische Welt, die Karin Henkel auf der Bühne erschaffen wird, bloß zu erahnen. Die eindrücklichen Bilder entstehen dann erst während der Proben mit den Schauspielern, wobei der Regisseurin ein grandioses Ensemble um Lina Beckmann in der Titelrolle zur Verfügung steht. „Einerseits ist Lina Beckmann virtuos in ihren Ausdrucksmitteln, andererseits – und das prädestiniert sie besonders für die Rolle der Rose Bernd – spielt sie immer mit einer unglaublich radikalen Emotionalität.“ Mit verstörender Intensität überzeugte Lina Beckmann schon 2013 in Henkels fulminanter Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Die Ratten, die zum Berliner Theatertreffen eingeladen war. Ein ähnlich kraftvoller und vielschichtiger Theaterabend ist auch für den kommenden Sommer auf der Pernerinsel zu erwarten. Denn, so die Regisseurin: „Theater darf laut sein, grell, brutal, widersprüchlich! Es geht nicht darum, ein Maß einzuhalten, sondern Grenzen zu überschreiten.“ Margarethe Lasinger Gerhart Hauptmann Rose Bernd Ein Schauspiel in fünf Akten Karin Henkel Regie Volker Hintermeier Bühne Adriana Braga Peretzki Kostüme Michael Prelle Vater Bernd Lina Beckmann Rose Bernd Markus John Christoph Flamm Julia Wieninger Henriette Flamm Maik Solbach August Keil Gregor Bloéb Arthur Streckmann Martin Pawlowsky Kleinert Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg Neuinszenierung, Pernerinsel, Hallein 29. (Premiere), 31. Juli, 1., 4., 5., 6., 8., 9. August Rainer Bock Isolda Dychauk Philipp Hauß Athina Rachel Tsangari LULU Was ist der Mensch? Das ist eine so große Frage, dass es dafür zahlreiche Zuständigkeiten gibt. Die philosophische Anthropologie beschäftigt sich mit diesem Thema, die Biologie hat eine Menge zu sagen und auch die Religionen wollen gehört werden. Im Grunde gibt auch jede Erzählung eine Antwort auf diese Frage. Doch relativ selten kommt es vor, dass etwa ein Film mehr oder weniger vollständig dieser Frage gewidmet ist: Was ist der Mensch? Attenberg von Athina Rachel Tsangari ist so ein Fall. Eine der Antworten darin variiert ein klassisches Motiv. Der Mensch ist das Wesen, das am Ende die Würmer fressen. Der Mann, der dies gern vermeiden würde, heißt Spyros. Er leidet an Krebs, Hilfe ist nicht mehr zu erwarten, zudem ist er selbst viel zu vernünftig, um sich gegen den Lauf der Natur zu sträuben. Er will nur nicht unter die Erde. Lieber wäre ihm eine Leichenverbrennung. Doch diese Form der Bestattung ist in Griechenland nicht erlaubt. So obliegt es seiner Tochter Marina, für ihren Lulu ist Begehren, Horror, Gier, Sittenlosigkeit, Verletzbarkeit, Widerstandskraft, Freiheit, Zerstörung. Sie ist alles und nichts! Athina Rachel Tsangari BILD: SN/STEFAN KLÜTER Anna Drexler BILD: SN/STEFAN KLÜTER Familie ebenfalls so etwas wie ein Gesellschaftsexperiment unter verschärften Bedingungen darstellt. Bei Chevalier arbeitete sie mit dem Drehbuchautor Efthymis Filippou zusammen. Die filmische Herausforderung liegt für Tsangari darin, ihre intellektuellen Überlegungen nicht an die Stelle der Erzählung treten zu lassen, sondern sie plausibel aus Figuren heraus entstehen zu lassen, deren Darstellung allerdings durch den „ethnologischen“ Blick der Regisseurin stark geprägt ist. Sie blickt gleichsam naturwissenschaftlich auf die Figuren, und diese agieren ihrerseits so, als wären sie Teil eines Experiments. Für die Schauspieler bedeutet das eine beträchtliche Herausforderung, denn sie BILD: SN/HANNES CASPAR Martin Wuttke BILD: SN/REINHARD WERNER spielen nicht so sehr aus sich heraus, wie das die klassische Form vor allem der Bühnendarstellung war. Sie spielen an einer Grenze zwischen Subjektivität und Objektivität, geprägt von dieser spezifischen intellektuellen Ironie, dass niemand sich selbst durchschauen kann. Reflexivität fügt der ohnehin schon befremdlichen Arbeit von Schauspielern an Figuren eine Dimension hinzu, die bei Tsangari vor allem komisch wirksam wird. Das zeigt sich etwa an dem Wettbewerb, den die Männer auf einer Jacht in Chevalier ausrufen. Sie wollen herausfinden, wer „der Beste“ ist, und zwar nicht einfach in irgendeiner Disziplin, sondern „in allem“. Tsangari zeigt sie uns, als wären sie Vertreter einer seltsamen Spezies, doch die Männer neh- BILD: SN/STEFAN KLÜTER Fritzi Haberlandt BILD: SN/JASMIN WALTER BILD: SN/NADJA KLIER men sich sehr ernst und die Regisseurin macht nicht den Fehler, sie auch nur im Geringsten ins Lächerliche zu ziehen. Das müssen sie schon selbst tun. Schauspiel ist für Tsangari eines jener Spiele, mit dem sich die Menschen an die Grenzen ihres Daseins herantasten. In den erotischen Spielen zwischen Marina und ihrer Freundin in Attenberg, in den Balzspielen der Männer auf dem Boot in Chevalier zeigt sich, dass Kultur aus einer immer neuen Erprobung des ungewissen Abstands von der Instinktgebundenheit entsteht. Der Mensch ist bei Tsangari ein Wesen, das sich mit todernster Miene gegen die Komik seiner Versuche wehrt, kein Hampelmann zu sein. Oder eine Hampelfrau. Bert Rebhandl Frank Wedekind Lulu Eine Monstretragödie (Urfassung 1894) Athina Rachel Tsangari Regie Florian Lösche Bühne Beatrix von Pilgrim Kostüme Rainer Bock Schigolch / Dr. Goll Anna Drexler, Isolda Dychauk, Ariane Labed Lulu Martin Wuttke Dr. Franz Schöning Christian Friedel Alwa Schöning Philipp Hauß Eduard Schwarz / Casti Piani Fritzi Haberlandt Gräfin Geschwitz Benny Claessens Rodrigo Quast Ariane Labed Jack Neuinszenierung, Pernerinsel, Hallein 17. (Premiere), 19., 20., 22., 24., 25., 27., 28. August SALZBURGER FESTSPIELE Harold Pinter Andrea Breth entdeckt ein neues Werk für Salzburg und bringt Harold Pinters Die Geburtstagsfeier auf die Bühne des Landestheaters. Harold Pinter – 2005 mit dem Nobelpreis für Literatur geadelt – lässt darin sein Figurenpersonal an der Grenze zum Absurden agieren. Gerhart Hauptmann Das aufwühlende Verfahren um eine Kindsmörderin inspirierte den deutschen Dramatiker Gerhart Hauptmann zu seinem Drama Rose Bernd. Karin Henkel inszeniert das Schauspiel auf der Pernerinsel in Hallein. Bei der Bauprobe gewährte sie erste Einblicke in ihre Regiearbeit. Frank Wedekind Die griechische Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari, die für Filme wie Attenberg und Chevalier ausgezeichnet wurde, gibt bei den Salzburger Festspielen ihr Theaterdebüt. Auf der Pernerinsel in Hallein inszeniert sie Frank Wedekinds „Monstretragödie“ Lulu. DIE GEBURTSTAGSFEIER Ein älteres Ehepaar – Meg und Petey – führt eine Strandpension, in der der scheue Stanley der einzige Gast ist. Unvermutet mieten sich zwei Fremde ein, Goldberg und McCann. Sie scheinen Stanley aus früheren Zeiten zu kennen und helfen Meg bei den Vorbereitungen zu Stanleys Geburtstagsfeier. Doch schwer zu definierende Ängste und ein unterschwelliges Klima der Gewalt provozieren eine Atmosphäre, die aus dem Ruder läuft. Die Party artet zu einem subtilen Ritual der Vernichtung aus. Andrea Breth erzählt im Interview über das Unheimliche bei Harold Pinter und ihre Arbeit mit dem Schauspielerensemble, bestehend aus Martin Reinke, Andrea Clausen, Max Simonischek, Andrea Wenzl, Roland Koch und Oliver Stokowski. Sie haben sich bereits 2014 mit Ihrer Inszenierung des Stücks Der Hausmeister mit Harold Pinter beschäftigt. Was hat Sie dazu veranlasst, bei den Salzburger Festspielen erneut ein Stück von ihm zu inszenieren? Meiner Meinung nach ist Harold Pinter zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Für mich ist er ein besonders wichtiger Dramatiker geworden. Seine Dramen sind sehr unterschiedlich und man muss für jedes eine andere Umsetzung finden. Man spürt genau, dass er viel über das Theater gewusst hat und selbst inszenierte. Er hat wunderbare Rollen für Schauspieler erfunden. Man muss allerdings sehr genau besetzen, denn die Charaktere sind schwer zu spielen. Pinter gibt keine genauen Auskünfte über seine Menschen. Deshalb müssen wir in der Probenarbeit viel erfinden, um die Tiefe der Menschen zu erwischen, ihnen eine ausführliche Biografie zu geben. Ich denke, dass es für das Publikum interessant ist, diesen Dramatiker kennenzulernen beziehungsweise seine Theaterstücke wieder zu erleben. zum Absurden. Welche Seite ist für Sie entscheidender? Man möchte Pinter gern einordnen: politisch, absurd . . . Das mag ja alles sein, aber in erster Linie gefällt mir bei ihm das Unheimliche, das Rätselhafte. Er entführt uns in eine beunruhigende Welt, die diffuse Ängste in uns auslöst. Wir erleben dasselbe wie die Menschen in seinen Stücken. Die Gewalt oder Bedrohlichkeit, die in der Sprache liegt oder manchmal sogar physisch Ich möchte angstfreie Schauspieler sehen und keine Vollstrecker von den Ideen der Regie. Harold Pinter gilt einerseits als politischer Autor, um ein weitreichendes Schlagwort zu benutzen, zum anderen als Autor mit Hang Andrea Breth Martin Reinke BILD: SN/REINHARD WERNER Andrea Clausen BILD: SN/REINHARD WERNER Max Simonischek BILD: SN/JEANNE DEGRAA Andrea Wenzl BILD: SN/REINHARD WERNER ausgeübt wird, erzeugt ein Klima aus Angst und Unruhe. – Es wird nur nicht erklärt. Ich empfinde, dass wir, unsere Gesellschaft, ebenfalls von einer diffusen Angst erfasst sind. Es ist eine beunruhigende Zeit. Keiner weiß, wie es weitergeht, die Welt ist, wie Kleist sagt, aus den Fugen. Das Ungewisse, das Gefühl, verloren zu sein, spiegeln Pinters Stücke auf das Sinnlichste wider. Wer allerdings eine klare, eindeutige Botschaft erwartet, wird unter Umständen enttäuscht. Pinter bietet viel Projektionsfläche für den Zuschauer, er entmündigt das Publikum aber nicht. Er überlässt dem Publikum vielmehr die Freiheit, seine Werke zu erleben. Eines meine ich aber zum jetzigen Zeitpunkt schon sagen zu können: Eine Komödie ist es für mich nicht. Sie pflegen langjährige Arbeitsbeziehungen mit gewissen Schauspielerinnen und Schauspielern. Was macht für Sie die Qualität dieser Verbindungen aus? Und wie begegnen Sie Kollegen, mit denen Sie, wie etwa in der Geburtstagsfeier, zum ersten Mal zusammenarbeiten? Michael Prelle Markus John Ich arbeite mit manchen Schauspielern schon über 20 Jahre, das macht Freude, solange man sich nicht gegenseitig langweilt. Oder der Schauspieler durch meine Besetzung keine Weiterentwicklung mehr erfahren kann. Wenn man so lang miteinander arbeitet, ist das Vertrauen groß; die Angst, sich auf der Probe zu blamieren, ist auf ein Minimum reduziert. Für mich sind Schauspieler Partner. Mich interessiert es sehr, wie sie ihre Rolle sehen Roland Koch BILD: SN/REINHARD WERNER Oliver Stokowski Andrea Breth BILD: SN/BERND UHLIG BILD: SN/JIM RAKETE und was sie mit ihrer „Figur“ erzählen wollen. Ich möchte angstfreie Schauspieler sehen und keine Vollstrecker von den Ideen der Regie. Die Begegnung mit „neuen“ Schauspielern ist aufregend und macht auf eine andere Art neugierig. Ich bilde mir ein, dass ich ihnen nicht anders begegne. Sie sollen auch spielen wie die Kinder, ohne Selbstzensur. Es gibt in den Proben nur Richtig oder Falsch. Und das entscheidet der Text oder die Situation, die im Stück vorgegeben ist. Um Befindlichkeiten kann und darf es nicht gehen, Stars und Genies habe ich wunderbarerweise noch nicht kennengelernt. Die Fragen stellte Bettina Hering. Harold Pinter Die Geburtstagsfeier Schauspiel Andrea Breth Regie Martin Zehetgruber Bühne Jacques Reynaud Kostüme Martin Reinke Petey Andrea Clausen Meg Max Simonischek Stanley Andrea Wenzl Lulu Roland Koch Goldberg Oliver Stokowski McCann Koproduktion mit dem Burgtheater Wien Neuinszenierung, Landestheater 28. (Premiere), 30., 31. Juli, 2., 3., 5., 7., 10., 12., 13. August ROSE BERND Noch erfüllt die Kälte des vergangenen Winters jeden Winkel der ehemaligen Sudhalle der Saline auf der Pernerinsel in Hallein. Dabei ist der klamme Theaterraum bereits mit quirligem Leben erfüllt. Gerüste werden aufgebaut, Praktikabel hin und her geschoben und Sichtverhältnisse überprüft. Gemeinsam mit den technischen Abteilungen begeht die Regisseurin Karin Henkel die Bühne, kontrolliert den Grundriss der bloß markierten Wände und bespricht die Aufbauten. „Es ist sehr kalt hier“, sagt Karin Henkel lachend, „was eigentlich sehr gut zu dem Stück passt, denn der emotionale Aggregatzustand der Figuren untereinander ist wirklich sehr kühl.“ Im Zentrum von Hauptmanns Stück steht eine junge Frau: Rose Bernd, die eine starke sexuelle Anziehungskraft auf die Männer in ihrer Umgebung ausübt und ein heimliches Verhältnis mit ihrem Arbeitgeber Christoph Flamm hat, einem älteren verheirateten Mann. Sie wird von ihm schwanger. Da ihr Geliebter seine kranke Frau nicht verlassen will, sieht Rose Bernd nur einen Ausweg, um der Ächtung in einer wertkonservativen Gesellschaft zu entgehen. „Sie willigt in die Heirat mit einem körperlich versehrten Mann ein, den sie nicht liebt“, erzählt Karin Henkel. Doch der brutale Alkoholiker Streckmann – auch ihm ist sie Objekt sexuellen Begehrens – weiß von der heimlichen Liaison zwischen Rose Bernd und Christoph Flamm und erpresst die junge Frau, womit das Unglück seinen Lauf nimmt. „Letzten Endes zerbricht Rose Bernd an dieser moralisch sehr engstirnigen Gesellschaft. Sie wird zur Kindsmörderin und verfällt dem Wahnsinn. Die Unausweichlichkeit der Tragödie in dieser chauvinistischen Welt, in der die Frau keine Entscheidungsfreiheit hat, wird von Hauptmann sehr berührend und zugleich erschreckend erzählt.“ Im April 1903 war Gerhart Hauptmann zu einer Verhandlung im Landesgericht Hirschberg in Schlesien als Geschworener berufen. Vor Gericht stand eine ledige Landarbeiterin, die wegen Meineids und Kindsmordes angeklagt war. Ganz auf die Lebenswirklichkeit der jungen Frau fixiert, schildert Hauptmann in Rose Bernd ihren Kampf inmitten einer starren Konvention, die der Frau keinerlei Rechte zugesteht und sie – obzwar Opfer der männlichen Begierde – als Verführerin stigmatisiert. Die ungeschönte Betrachtung des sozialen Milieus und die detaillierte Charakterisierung der Figuren bestimmen die dramatische Handlung, wobei Hauptmann auf wertende Urteile verzichtet. „Es ist sehr schwierig, ein- sterbenden Vater die Vorkehrungen für danach zu treffen. Marina hat auch eine Definition des Menschen. Sie sieht ihn als Mängelwesen, das für seinen Fortbestand als Gattung auf die Beschäftigung mit Feuchtgebieten angewiesen ist, vor denen sie sich ekelt. Die erste Szene von Attenberg ist berühmt geworden, weil sie von einem sehr methodischen Versuch der Überwindung dieses Ekels erzählt: Zwei Mädchen treten einander vor einer weißen Wand gegenüber, strecken ihre Zunge heraus und versenken sie jeweils in der Mundhöhle der Freundin. Der Gedanke, dass ihr Vater einen Penis hat, wird Marina dadurch nicht gleich weniger ungeheuer, aber es ist ein erster Schritt zu ihrer Lockerung. Ein spielerischer Umgang mit großen Konzepten wie Evolution, Sprache, Gattung hat wesentlich dazu beigetragen, dass Athina Rachel Tsangari nach Attenberg und ihrem zweiten Spielfilm Chevalier zu den großen Hoffnungen des Weltkinos zählt. Zugleich sind deutliche Verbindungen zu anderen Arbeiten jüngerer griechischer Filmemacher zu erkennen, etwa zu Dogtooth von Yorgos Lanthimos, ein Film, den Tsangari produziert hat und in dem die Theater darf laut sein, grell, brutal, widersprüchlich! Karin Henkel BILD: SN/MATTHIAS BAUS Lina Beckmann BILD: SN/MARIE KÖHLER BILD: SN/CHRISTIAN SPIELMANN Julia Wieninger BILD: SN/MATTHIAS BAUS Maik Solbach BILD: SN/MARVIN ZILM Gregor Bloéb Karin Henkel BILD: SN/SF BILD: SN/ GÜNTHER EGGER zelne Figuren zu verurteilen, weil sie alle Unschuldige sind, die sich schuldig machen. Weil sie alle versuchen, im Kampf ums Überleben nicht unterzugehen. Dass sie dabei zu solchen Bestien werden, das ist ganz toll geschrieben und ganz fein gezeichnet – in einer sehr eigenen Sprache“, erläutert die Regisseurin. „Das Schlesische – der Dialekt, der zu dieser Zeit gesprochen wurde – ist unglaublich kraftvoll. Es ist mehr eine Kunstsprache als ein Dialekt. Es ist ungemein theatral und sehr archaisch. Es ist fast so, als würde man oftmals schreiende Tiere hören . . .“ Auf der Bühne surren Bohrer, die Stahlkonstruktion mit den Scheinwerfern wird behutsam von der Bühnendecke abgesenkt und auf transparente Folien werden Videos zu Probezwecken projiziert. Der Raum wirkt roh, fast brutal, ganz wie die Atmosphäre in Hauptmanns Drama. „Das ist eine Welt ohne Liebe, ohne Mitleid, ohne Gnade“, schildert Karin Henkel die Grundstimmung, die der Theaterraum akkurat widerspiegelt. Womit auch die Relevanz für das Hier und Heute angesprochen ist: „Jeder schaut egomanisch auf sein Ziel, sein Glück, ist nicht zur Gemeinschaft fähig. Habgier und Besitz kennzeichnen die eiskalte Warenwelt.“ Noch ist die ästhetische Welt, die Karin Henkel auf der Bühne erschaffen wird, bloß zu erahnen. Die eindrücklichen Bilder entstehen dann erst während der Proben mit den Schauspielern, wobei der Regisseurin ein grandioses Ensemble um Lina Beckmann in der Titelrolle zur Verfügung steht. „Einerseits ist Lina Beckmann virtuos in ihren Ausdrucksmitteln, andererseits – und das prädestiniert sie besonders für die Rolle der Rose Bernd – spielt sie immer mit einer unglaublich radikalen Emotionalität.“ Mit verstörender Intensität überzeugte Lina Beckmann schon 2013 in Henkels fulminanter Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Die Ratten, die zum Berliner Theatertreffen eingeladen war. Ein ähnlich kraftvoller und vielschichtiger Theaterabend ist auch für den kommenden Sommer auf der Pernerinsel zu erwarten. Denn, so die Regisseurin: „Theater darf laut sein, grell, brutal, widersprüchlich! Es geht nicht darum, ein Maß einzuhalten, sondern Grenzen zu überschreiten.“ Margarethe Lasinger Gerhart Hauptmann Rose Bernd Ein Schauspiel in fünf Akten Karin Henkel Regie Volker Hintermeier Bühne Adriana Braga Peretzki Kostüme Michael Prelle Vater Bernd Lina Beckmann Rose Bernd Markus John Christoph Flamm Julia Wieninger Henriette Flamm Maik Solbach August Keil Gregor Bloéb Arthur Streckmann Martin Pawlowsky Kleinert Koproduktion mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg Neuinszenierung, Pernerinsel, Hallein 29. (Premiere), 31. Juli, 1., 4., 5., 6., 8., 9. August Rainer Bock Isolda Dychauk Philipp Hauß Athina Rachel Tsangari LULU Was ist der Mensch? Das ist eine so große Frage, dass es dafür zahlreiche Zuständigkeiten gibt. Die philosophische Anthropologie beschäftigt sich mit diesem Thema, die Biologie hat eine Menge zu sagen und auch die Religionen wollen gehört werden. Im Grunde gibt auch jede Erzählung eine Antwort auf diese Frage. Doch relativ selten kommt es vor, dass etwa ein Film mehr oder weniger vollständig dieser Frage gewidmet ist: Was ist der Mensch? Attenberg von Athina Rachel Tsangari ist so ein Fall. Eine der Antworten darin variiert ein klassisches Motiv. Der Mensch ist das Wesen, das am Ende die Würmer fressen. Der Mann, der dies gern vermeiden würde, heißt Spyros. Er leidet an Krebs, Hilfe ist nicht mehr zu erwarten, zudem ist er selbst viel zu vernünftig, um sich gegen den Lauf der Natur zu sträuben. Er will nur nicht unter die Erde. Lieber wäre ihm eine Leichenverbrennung. Doch diese Form der Bestattung ist in Griechenland nicht erlaubt. So obliegt es seiner Tochter Marina, für ihren Lulu ist Begehren, Horror, Gier, Sittenlosigkeit, Verletzbarkeit, Widerstandskraft, Freiheit, Zerstörung. Sie ist alles und nichts! Athina Rachel Tsangari BILD: SN/STEFAN KLÜTER Anna Drexler BILD: SN/STEFAN KLÜTER Familie ebenfalls so etwas wie ein Gesellschaftsexperiment unter verschärften Bedingungen darstellt. Bei Chevalier arbeitete sie mit dem Drehbuchautor Efthymis Filippou zusammen. Die filmische Herausforderung liegt für Tsangari darin, ihre intellektuellen Überlegungen nicht an die Stelle der Erzählung treten zu lassen, sondern sie plausibel aus Figuren heraus entstehen zu lassen, deren Darstellung allerdings durch den „ethnologischen“ Blick der Regisseurin stark geprägt ist. Sie blickt gleichsam naturwissenschaftlich auf die Figuren, und diese agieren ihrerseits so, als wären sie Teil eines Experiments. Für die Schauspieler bedeutet das eine beträchtliche Herausforderung, denn sie BILD: SN/HANNES CASPAR Martin Wuttke BILD: SN/REINHARD WERNER spielen nicht so sehr aus sich heraus, wie das die klassische Form vor allem der Bühnendarstellung war. Sie spielen an einer Grenze zwischen Subjektivität und Objektivität, geprägt von dieser spezifischen intellektuellen Ironie, dass niemand sich selbst durchschauen kann. Reflexivität fügt der ohnehin schon befremdlichen Arbeit von Schauspielern an Figuren eine Dimension hinzu, die bei Tsangari vor allem komisch wirksam wird. Das zeigt sich etwa an dem Wettbewerb, den die Männer auf einer Jacht in Chevalier ausrufen. Sie wollen herausfinden, wer „der Beste“ ist, und zwar nicht einfach in irgendeiner Disziplin, sondern „in allem“. Tsangari zeigt sie uns, als wären sie Vertreter einer seltsamen Spezies, doch die Männer neh- BILD: SN/STEFAN KLÜTER Fritzi Haberlandt BILD: SN/JASMIN WALTER BILD: SN/NADJA KLIER men sich sehr ernst und die Regisseurin macht nicht den Fehler, sie auch nur im Geringsten ins Lächerliche zu ziehen. Das müssen sie schon selbst tun. Schauspiel ist für Tsangari eines jener Spiele, mit dem sich die Menschen an die Grenzen ihres Daseins herantasten. In den erotischen Spielen zwischen Marina und ihrer Freundin in Attenberg, in den Balzspielen der Männer auf dem Boot in Chevalier zeigt sich, dass Kultur aus einer immer neuen Erprobung des ungewissen Abstands von der Instinktgebundenheit entsteht. Der Mensch ist bei Tsangari ein Wesen, das sich mit todernster Miene gegen die Komik seiner Versuche wehrt, kein Hampelmann zu sein. Oder eine Hampelfrau. Bert Rebhandl Frank Wedekind Lulu Eine Monstretragödie (Urfassung 1894) Athina Rachel Tsangari Regie Florian Lösche Bühne Beatrix von Pilgrim Kostüme Rainer Bock Schigolch / Dr. Goll Anna Drexler, Isolda Dychauk, Ariane Labed Lulu Martin Wuttke Dr. Franz Schöning Christian Friedel Alwa Schöning Philipp Hauß Eduard Schwarz / Casti Piani Fritzi Haberlandt Gräfin Geschwitz Benny Claessens Rodrigo Quast Ariane Labed Jack Neuinszenierung, Pernerinsel, Hallein 17. (Premiere), 19., 20., 22., 24., 25., 27., 28. August SALZBURGER FESTSPIELE DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN Robert Musil Edith Clever reiche Konvolut wirklich gelesen hat. Diesem Umstand wollen wir mit einer Marathonlesung, in der viele der großen Schauspielerinnen und Schauspieler der diesjährigen Festspielproduktionen zu erleben sind, entgegenwirken. Thomas Mann prophezeite Robert Musil 1939: „Es gibt keinen anderen lebenden deutschen Schriftsteller, dessen Nachruhm mir so gewiss ist.“ Robert Musil, geboren am 6. November 1880 in Klagenfurt, gestorben am 15. April 1942 im Schweizer Exil, galt zeitlebens als der bedeutendste deutsch schreibende Romancier der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig als der unbekannteste. „Seiner Zeit so weit voraus zu sein, daß man nicht bemerkt wird von ihr“, notierte er in seinem Tagebuch. Musil reagierte in seinem literarischen und publizistischen Werk auf die epochalen Umwälzungen in Europa im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und rieb sich über Jahrzehnte an der Fertigstellung seines Opus magnum Der Mann ohne Eigenschaften auf. Fragmentarisch, bruchstückhaft, assoziativ führt uns Musil mit seinem Helden Ulrich in den Jahren 1913 und 1914 nach „Kakanien“, in jenes Land, das er nach der kaiserlich und königlichen österreichisch-ungarischen Monarchie benennt. Entstanden ist ein visionärer Roman, der Sinnbild einer in Auflösung befindlichen Gesellschaft und Inbegriff der literarischen Moderne ist. Der Mann ohne Eigenschaften hat sich fest in das österreichische Bewusstsein eingeschrieben und gehört zum literarischen Kanon, wobei kaum jemand das umfang- Lesung Robert Musil Der Mann ohne Eigenschaften Eine Marathonlesung von Robert Musils Opus magnum Mit Benny Claessens, Andrea Clausen, Anna Drexler, Isolda Dychauk, Christoph Franken, Christian Friedel, Philipp Hauß, Eva Herzig, Mavie Hörbiger, Roland Koch, Stephan Kreiss, Peter Lohmeyer, Martin Reinke, Sigrid Maria Schnückel, Johannes Silberschneider und anderen Landestheater, 1. August (bis 2. August, ca. 2:00 Uhr morgens) Robert Musil, um 1930 BILD: SN/AKG-IMAGES / IMAGNO Lesung Ich liebe nicht den Hundetrab Balladen, Gedichte, Galgen- und Bänkellieder von Frank Wedekind und Zeitgenossen Mit Maria Happel und Thomas Thieme Landestheater, 18. August BILD: SN/MARCUS LIEBERENZ FRÄULEIN ELSE Die Schauspielerin und Regisseurin Edith Clever hat als langjähriges Mitglied der legendären und wegweisenden Berliner Schaubühne das deutsche Theater wie kaum eine andere geprägt. Für Jahre hatte sie sich dann vom Theater abgewendet; bei den Salzburger Festspielen war sie zuletzt 1998 in Dantons Tod zu sehen. Im kommenden Sommer kehrt sie auf die Festspielbühne zurück und übernimmt die Rolle von Jedermanns Mutter. Zudem gibt sie im Landestheater eine Lesung von Arthur Schnitzlers 1924 veröffentlichter Novelle Fräulein Else – die Schnitzler’sche Figur spielte Clever bereits 1987 in Syberbergs Verfilmung. Arthur Schnitzler zeigt in Fräulein Else männliches Dominanzgebahren und zaghafte emanzipatorische Ideen auf und eröffnet damit vielerlei Querverbindungen zu Hauptmanns Rose Bernd und Wedekinds Lulu. Lesung Arthur Schnitzler Fräulein Else Mit Edith Clever Landestheater, 9. August KASIMIR UND KAROLINE Ödön von Horváth Die New Yorker Theaterkompagnie 600 Highwaymen nimmt Ödön von Horváths Volksstück Kasimir und Karoline wörtlich. Sie bringt den Klassiker in einem partizipativen Theaterprojekt auf die Bühne. Im Februar 2017 stellte das Regieteam Abigail Browde und Michael Silverstone bei einem Casting in Salzburg ein großes Ensemble zusammen, das aus Schauspielern und Laien unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher beruflicher Laufbahn und unterschiedlichen Alters besteht. Ein Kopfdrehen, eine Armbewegung, eine bloß angedeutete Geste, ein Sprung, eine kurze Phrase: Es sind simple Bewegungsabläufe und wenige Worte, die Abigail Browde und Michael Silverstone den vielen Interessierten, die der Einladung zum Casting gefolgt sind, abverlangen. In nicht einmal einer Stunde entwickelt sich daraus aber eine komplexe Choreografie von zufällig Zusammengewürfelten, die eine mitreißende Kraft entfaltet. Casting für Kasimir und Karoline, Februar 2017 In unkonventionell spielerischer Atmosphäre gewinnt das Regieteam einen stimmlichen und darstellerischen Eindruck von der Wirkung der Teilnehmenden. Dabei liegt das Augenmerk weniger auf einer perfekt einstudierten Darbietung als vielmehr auf der Vielfalt, die sich in gesanglicher, tänzerischer, sportlicher oder schlichtweg ausdrucksstarker Bühnenpräsenz manifestiert. Denn Browde und Silverstone geht es darum, die Individualität der einzelnen Mitwirkenden zum Leuchten zu bringen. Sie sind an deren persönlichen Lesarten des Stücks und der sich daraus entwickelnden Energie des Zusammenspiels interessiert. Die möglichst reale Abbildung der Gegenwartsgesellschaft verbindet das Volksstück Horváths aus dem Jahr 1932 auf diese Weise mit den dringlichen Themen der Generationen unserer Zeit – die durch jede und jeden von uns dargestellt und zugänglich gemacht werden kann. Ödön von Horváth Kasimir und Karoline Volksstück In einer Textfassung von 600 Highwaymen in Zusammenarbeit mit Saša Čelecki 600 Highwaymen Regie Anneliese Neudecker Bühne, Kostüme Brandon Wolcott Musik Ein partizipatives Theaterstück mit einem Ensemble aus Laien sowie Schauspielerinnen und Schauspielern Neuinszenierung Universität Mozarteum, Großes Studio 11. (Premiere), 13., 14., 15., 16., 18. August Mit freundlicher Unterstützung der Universität Mozarteum Salzburg und der Internationalen Sommerakademie Universität Mozarteum Salzburg BILD: SN/ALEXI PELEKANOS Christian Friedel in Searching for William? BILD: SN/KLAUS GIGGA SEARCHING FOR WILLIAM? Christian Friedel ist ein vielseitiger Schauspieler und Musiker. Für die gefeierte Hamlet-Inszenierung von Roger Vontobel am Staatsschauspiel Dresden verarbeitete er mit seiner Band Woods of Birnam Shakespeare’sche Texte zu rockigen Popsongs. Diese ShakespeareSongs bilden nun die Grundlage für einen genreübergreifenden Abend, in dem sich Christian Friedel zudem in Sonetten, Monologen und Dramentexten der Musik, dem Rhythmus und der Sprache Shakespeares nähert. Hamlet und Macbeth kommen ebenso zu Wort wie Hexen, Geister und Narren – allesamt der Welt des berühmten Theaterdichters entsprungen. „Was dieser Abend auf eindrucksvolle Weise kann, ist Spannung erzeugen und halten“, war in der FAZ über Searching for William? zu lesen. „Er ist so reich an Witz, Weltschmerz, Verwechslung und Traurigkeit, wie Shakespeares Stücke reich daran sind.“ Konzertperformance Searching for William? Texte von William Shakespeare Mit Christian Friedel, Woods of Birnam Landestheater, 21. August Bernard Haitink BILD: SN/CLIVE BARDA Andris Nelsons BILD: SN/MARCO BORGGREVE Riccardo Muti BILD: SN/TODD ROSENBERG Herbert Blomstedt BILD: SN/M. LENGEMANN Daniel Barenboim BILD: SN/PETER ADAMIK BY COURTESY OF WWW.RICCARDOMUTI.COM 28., 30. Juli, Gr. Festspielhaus Gustav Mahler Symphonie Nr. 9 6., 7. August, Gr. Festspielhaus Sergej Prokofjew Klavierkonzert Nr. 2 (Daniil Trifonov Klavier) D. Schostakowitsch Symphonie Nr. 7 13., 14., 15. August, Gr. Festspielhaus Johannes Brahms Klavierkonzert Nr. 2 (Yefim Bronfman Klavier) P. I. Tschaikowski Symphonie Nr. 4 19., 20. August, Gr. Festspielhaus Richard Strauss Metamorphosen Anton Bruckner Symphonie Nr. 7 26., 27. August, Gr. Festspielhaus Gustav Mahler Symphonie Nr. 7 WIENER PHILHARMONIKER Welchen Stellenwert nehmen die Salzburger Festspiele im Selbstverständnis der Wiener Philharmoniker ein? Gerade das Programm des kommenden Festspielsommers drückt die enge künstlerische Partnerschaft der Wiener Philharmoniker mit den Salzburger Festspielen aus. Markus Hinterhäuser hat in seinem ersten Jahr als Intendant ein fulminantes Programm gestaltet, fordernd und spannend für das Publikum und die Wiener Philharmoniker zugleich. Mit kaum einem anderen großen Komponisten verband die Wiener Philharmoniker eine vergleichbar enge Beziehung wie mit Richard Strauss, der auch den Festspielen eng verbunden war. In einem der philharmonischen Konzerte stehen Strauss’ Metamorphosen auf dem Programm. Was für eine Bedeutung hat diese „Studie für 23 Solostreicher“ für den Geiger Andreas Großbauer? Wenn ich ein Teil der 23 Streicher sein darf, die eine derart bewegende Komposition zum Erklingen bringen, dann erfüllt mich das mit Dankbarkeit und Demut. Dafür habe ich mich ein Leben lang mit Musik beschäftigt. Richard Strauss hat dieses Stück in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Das lässt niemanden kalt. Vielleicht ist es eine Flucht in die Gedankenwelt in einer schrecklichen Zeit. Ein Zeitdokument, das sich tief in die Seele bohrt – vor allem, wenn man heute viel mehr noch als damals weiß und versteht, was passiert ist. Am Ende läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken. Ähnlich eng war die Verbindung des Orchesters mit einem zweiten großen Komponisten: Gustav Mahler. Gustav Mahler wird mit seinen monumentalen Symphonien Nr. 7 und Nr. 9 vertreten sein. Die Neunte Symphonie wurde von den Wiener Philharmonikern im Juni 1912, ein Jahr nach Mahlers Tod, uraufgeführt, dirigiert von Bruno Walter. Beide Symphonien haben einen hohen Stellenwert in der philharmonischen Geschichte. Für mich persönlich ist es immer wieder etwas Besonderes, die Werke dieses Komponisten in Salzburg zu spielen, aber auch zu hören. Mahlers Bezug zur Natur als Kraftquelle der Kreativität ist im Sommer in Salzburg nachvollziehbar und spürbar. Die Salzburger Festspiele setzen in diesem Jahr einen großen Schwerpunkt mit Dmitri Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk; auf dem philharmonischen Konzertprogramm steht auch Schostakowitschs Siebente Symphonie. Wie viel Mahler steckt in Schostakowitschs Siebenter? Schostakowitsch hat sich auf Mahler berufen. Die Beschäftigung mit Mahler hat seinen Geschmack verändert, Mahler und Berg zählten zu von ihm bevorzugten Komponisten. In seiner Siebenten Symphonie zitiert er übrigens auch Lady Macbeth von Mzensk. Das Anklingen an die Vergangenheit, verbunden mit einer sich stets steigernden Bedrohlichkeit, das Zitieren von Militärmärschen – da kann man schon an Mahler denken. Mahlers Witwe Alma hat ja auch versucht, Schostakowitsch für eine Vollendung von Mahlers Zehnter Symphonie zu gewinnen, allerdings vergeblich . . . Welche Bedeutung hat Schostakowitschs Oper Lady Macbeth von Mzensk für die Wiener Philharmoniker? Die Wiener Philharmoniker sind mit Lady Macbeth von Mzensk sehr vertraut, da diese Oper auch auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper steht. Das ist ein technisch und musikalisch sehr aufwendiges Werk. Hier profitieren die Salzburger Festspiele ganz besonders von der Arbeit im Orchester graben in Wien. Wir freuen uns sehr, dass Markus Hinterhäuser Mariss Jansons, der ein profunder Kenner Schostakowitschs ist, für diese Produktion eingeladen hat. Wozzeck von Alban Berg ist ein weiteres Schlüsselwerk für das Musiktheater des 20. Jahrhunderts. Ist es auch eines für das Staatsopernorchester? Wozzeck ist seit den 1930er-Jahren an der Wiener Staatsoper und seit den 1950erJahren regelmäßig in Salzburg aufgeführt worden und ein fester Bestandteil des österreichischen Kulturguts. Das Werk stellt für die Orchestermusiker eine große, vor allem auch schöne Herausforderung dar. Die Aufführungen unter Karl Böhm [1951, 1971 und 1972] und Claudio Abbado [1997] bei den Salzburger Festspielen haben Rezeptionsgeschichte geschrieben, sie sind ein großes Vorbild. Und dann spielen die Wiener Philharmoniker noch Aribert Reimanns Lear unter der musikalischen Leitung von Franz Welser-Möst: ebenfalls ein herausragender Beitrag zur Opernliteratur des 20. Jahrhunderts . . . Lear von Aribert Reimann wird eine komplette Neueinstudierung für uns. Ein archaisch anmutendes Meisterwerk, das den Zuhörer packt und nicht mehr loslässt. Ängste, Zweifel und die Frage nach dem Sinn bestimmen den Ton. Diese Komposition fordert uns heraus, diese Seelenwelt zuzulassen und dabei nicht selbst darin zu ertrinken. Präsentieren sich die Wiener Philharmoniker damit beim Auftakt der Intendanz von Markus Hinterhäuser mit einem besonderen Profil, als Spezialisten für Musik des 20. Jahrhunderts? Inwieweit entspricht das dem heutigen Selbstbild des Orchesters – und hat das Zukunftspotenzial? Es gefällt mir, die Wiener Philharmoniker im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation zu sehen. Und das ganz besonders im Zusammenhang mit unserem Jubiläum 175 Jahre Wiener Philharmoniker. Dennoch lassen wir uns nicht auf ein bestimmtes Repertoire festlegen. Auch wenn wir bei den heurigen Festspielen gerne einen Schwerpunkt für Kompositionen des 20. Jahrhunderts setzen, werden wir uns in den nächsten Jahren mit genauso viel Leidenschaft den Meisterwerken der Klassik und Romantik widmen. Das Interview führte Helga Rabl-Stadler. In der Geschichte der Wiener Philharmoniker, die heuer ihr 175-jähriges Bestehen feiern, nimmt Salzburg einen besonderen Rang ein: Hier traten sie 1877 erstmals außerhalb Wiens auf. Die Teilnahme an den Salzburger Musikfesten ergab eine erste Kontinuität. 1922 gastierte das Orchester erstmals bei den Salzburger Festspielen, seit 1925 ist die Residenz in Salzburg ein Fixpunkt im Jahreskalender des Orchesters. Ein Interview mit dem Vorstand der Wiener Philharmoniker, Andreas Großbauer, über das philharmonische Festspielprogramm. SALZBURGER FESTSPIELE OUVERTURE SPIRITUELLE Transfiguration In den vielfältigen Programmen der Ouverture spirituelle erzählen Sakralkompositionen, religiös inspirierte Werke und über das rein Weltliche hinausweisende Klänge vom „Überschreiten der Schwelle“. „Ich weiß beim besten Willen nicht, ob Blick in die Vierung der Kollegienkirche BILD: SN/STEFAN ZENZMAIER „Transfiguration“ meint die Verklärung Jesu, eine der rätselhaftesten Wunderszenen im Neuen Testament: Sie erlaubte den Aposteln eine Ahnung von seiner göttlichen, die Grenzen des Diesseits sprengenden Natur. ich eine Ästhetik habe. Aber ich kann wohl sagen, dass meine Vorliebe einer farblich schillernden, verfeinerten, ja wollüstigen Musik gehört; einer Musik, die Zartheit und Heftigkeit, Liebe und Ungestüm kennt; einer Musik, die den Hörer hin und her wiegt, die sich aussingt . . . einer Musik, die die Begrenzung der Zeit und ihre Allgegenwart spürbar werden lässt; einer Musik, die einem theologischen Regenbogen gleicht“: So antwortete Olivier Messiaen auf die Frage nach seiner Ästhetik, seinem Begriff von Musik. Diese Beschreibung trifft zunächst einmal auf die Eröffnung der diesjährigen Ouverture spirituelle zu: Mit Messiaens groß angelegtem Werk La Transfiguration de Notre Seigneur Jésus-Christ (für gemischten Chor, sieben Instrumentalsolisten und Orchester nach Bibeltexten und nach Thomas von Aquins Summa Theologica) nimmt der Festspielsommer in prominenter Besetzung seinen prächtigen und bewegenden Auftakt (mit Kent Nagano am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks). Messiaens Musikverständnis spiegelt sich aber auch im beziehungsreich schillernden Gesamtprogramm der Ouverture spirituelle wider – düstere Schatten inklusive. Mit „Transfiguration“ ist sie überschrieben, einem Begriff, der vom Theologischen ins Weltliche hinüberspielt und damit dem Festspielbeginn neue Assoziationsräume eröffnet. Schließlich ist die Transfiguration (griech. metamorphosis), die Verklärung Jesu, eine der rätselhaftesten Wunderszenen im Neuen Testament: Sie erlaubte den Aposteln eine Ahnung von seiner göttlichen, die Grenzen des Diesseits sprengenden Natur – und damit auch von der Auferstehung. Das passt zu Musik, denn unter allen Künsten ist es doch die Musik, die am überzeugendsten Erfahrungen zu vermitteln vermag, die unsere Sinnenwelt überschreiten: Verheißung eines besseren Zustands, Offenbarung unseres von irdischen Zwängen befreiten Wesens. Von Vokalpolyphonie der Renaissance über barockes und klassisch-romantisches Repertoire bis hin zu Kompositionen des 20. Jahrhunderts reicht die Werkauswahl. Epochen, Stile und Besetzungen bilden viele überraschende, das Erlebnis vertiefende Kombinationen: etwa Messiaens Visions de l’Amen für zwei Klaviere (mit Igor Levit und Markus Hinterhäuser) und Haydns Sieben letzte Worte unseres Erlösers am Kreuze oder die älteste erhaltene polyphone RequiemKomposition des 1497 verstorbenen Frankoflamen Johannes Ockeghem (mit den Tallis Scholars). Auch das bewegende letzte Werk von Gérard Grisey, der Orchesterliederzyklus Quatre Chants pour franchir le seuil (Lieder zum Überschreiten der Schwelle), zeugt von dem Übergang vom Leben zum Tod und ist ein spätes, verwandeltes Echo auf Mozarts Requiem, das wiederum Teodor Currentzis mit dem musicAeterna Orchestra & Choir in der Felsenreitschule aufführt. Vom Ende des irdischen Daseins erzählt auch Gustav Mahlers Neunte Symphonie: ein grandioses Loslassen, Abschiednehmen, Verlöschen (Wiener Philharmoniker unter Bernard Haitink). Zwei Konzerte im Mozarteum verknüpfen facettenreiche Werke Schuberts und Bruckners einmal mit Mozarts verklärtem Ave verum, das andere Mal mit Frank Martin, Arthur Honegger und Alfred Schnittke. Dabei erklingt nicht nur Sakralmusik, sondern kommt auch das Spirituelle im weltlichen Gewand zu seinem Recht: In Honeggers düsterer Zweiter Symphonie für Streichorchester, während des Zweiten Weltkriegs angesichts des von den Nazis besetzten Paris entstanden, weist im Finale plötzlich eine Trompete mit einer Choralmelodie den Weg zum Licht einer besseren Zukunft. Walter Weidringer MONTEVERDI 450 „Seine Musik ist für mich eine Art Leitstern, und sie hat auf mich immer eine geradezu magische Anziehungskraft ausgeübt.“ Das sagt der Dirigent Sir John Eliot Gardiner über Claudio Monteverdi, jenen Komponisten, dem Gardiners eigenes Ensemble, der Monteverdi Choir, seinen Namen verdankt und mit dessen Marienvesper sich dieses Ensemble 1964 erstmals dem Publikum präsentierte – ein Konzert, das die damalige Alte-MusikSzene in den Grundfesten erschütterte. Mehr als ein halbes Jahrhundert später startet Gardiner ein höchst ambitioniertes Projekt, ebenfalls im Zeichen Claudio Monteverdis: Ein ganzes Jahr lang widmet er sich aus Anlass von Monteverdis 450. Geburtstag dessen drei erhaltenen Meisteropern L’Orfeo, L’incoronazione di Poppea und Il ritorno d’Ulisse in patria. Gardiner erarbeitet diese Werke, die auch bei Aufführungen im Konzertsaal nichts von ihrer packenden Dramatik verlieren, mit einem handverlesenen Sängerensemble. „Eigentlich sind es Kammeropern“, so Gardiner, „weswegen man ohne Probleme auf einen Orchestergraben und eine Guckkastenbühne verzichten kann. Man muss nur die Möglichkeit haben, Sänger und Instrumentalisten deutlich voneinander zu trennen und einander gegenüberzustellen. Ich bin davon überzeugt, dass die Fantasie der Zuhörer allein durch die Musik genug angeregt wird, und ich glaube zudem, dass diese Fantasie unendlich viel mehr leisten kann als jeder noch so schlaue Regisseur oder Bühnenbildner. Wir müssen Ausdrucksformen und Bühnenkonventionen finden, mit denen wir die Fantasie beflügeln.“ Doch was ist so einmalig an Monteverdis Musik, dass es den Dirigenten erneut zu diesen Werken zieht? „Ich empfinde Monteverdis Opern als unglaublich mo- dern. Geradezu schonungslos sezieren sie die gesamte Palette und Bandbreite menschlicher Leidenschaften und Gefühle. Wie Monteverdi diese Emotionen in Musik überträgt, ist unerreicht. Es gibt Ähnliches bei Gesualdo, Marenzio und bis zu einem gewissen Grad auch bei Caccini, aber bei Monteverdi ist alles noch eine Spur besser und intelligenter gemacht. Ihm geht es immer darum, ein bestimmtes Gefühl herauszuarbeiten und ins Bewusstsein zu rücken.“ „Auf der zwischenmenschlichen Ebene gibt es in diesen Opern dieselbe Spannung zwischen Oben und Unten, denselben Zusammenprall verschiedener Welten wie bei Caravaggio oder Shakespeare, und die Wirkung ist genauso packend. Denken Sie nur an die beiden Soldaten in Poppea, die über Neros Affäre mit Poppea schimpfen und diese Liebschaft aus der Perspektive des einfachen Mannes aus dem Volk kommentieren. Oder an die beiden Dienstboten Valletto und Damigella, die dem Leben bei Hofe auf unvergleichliche Weise die nötige Bodenhaftung geben. Die Ironie dabei ist natürlich, dass es ausgerechnet den beiden Aristokraten Poppea und Nero ganz offensichtlich nur um Fleischeslust und die Befriedigung niederer Instinkte geht – wobei sie sich über alle Regeln hinwegsetzen, angetrieben von politischem Ehrgeiz und schlichter Skrupellosigkeit. Das Erstaunlichste an dieser Oper ist, wie sehr wir uns trotzdem zu diesem Paar hingezogen fühlen. Wenn die beiden am Ende ihr letztes Liebesduett singen, möchte man ihnen so gerne jedes Wort glauben, obwohl man weiß, dass sie aus reinem Opportunismus handeln.“ Man spürt, dass Gardiners Begeisterung für diese Werke im Laufe seiner Karriere noch gewachsen ist, genährt und bekräftigt durch eine lange Liste von Auffüh- rungen und seine maßstabsetzenden Einspielungen von Poppea und L’Orfeo. Hat sich seine Sicht auf Monteverdi seit seiner ersten Begegnung mit diesem Komponisten verändert? „Ich denke und hoffe“, so der Dirigent, „dass sich alles organisch weiterentwickelt hat, auch wenn ich das wohl kaum objektiv beurteilen kann. Auf keinen Fall geht es mir darum, etwas grundsätzlich anderes zu machen als früher. Mir ist es wichtig, die einmalige Palette der Klangfarben und Gefühle in Monteverdis Musik zur Geltung zu bringen. Die Sänger, die ich für dieses Projekt ausgewählt habe, können diese Vielfalt nur mit ihren Stimmen ausdrücken, und für die Instrumentalisten gilt dasselbe. Es genügt nicht, die Harmonik und den Kontrapunkt zu begreifen; man muss auch den Fluss der musikalischen Rede verstehen und verfolgen. Wenn das Orchester sich nur als Begleitung sieht, kommt man nicht weit. Darum sitzen die Instrumentalisten bei uns mit auf der Bühne und sind dadurch auch optisch sehr präsent.“ Gardiner und seine Musiker werden in diesem Sommer alle drei MonteverdiOpern zur Aufführung bringen, und obwohl jedes dieser Werke für sich allein stehen kann, rät der Dirigent, sie als Teile eines dramatischen und musikalischen Ganzen zu begreifen. „Wenn man diese Opern als Trilogie auffasst, als Triptychon, schärft das den Blick für Monteverdis Genialität insgesamt. Es gibt keine logische Fortschreitung oder stilistische Weiterentwicklung über die drei Opern hinweg, aber sie ergänzen einander, indem sie drei sehr unterschiedliche Sichtweisen auf fundamentale Themen menschlicher Existenz anbieten: auf Liebe, Ergebenheit, Treue, Untreue, Sexualität und Spiritualität.“ Alexandra Coghlan Übersetzung: Eva Reisinger John Eliot Gardiner BILD: SN/SIM CANETTY-CLARKE Monteverdi 450 Claudio Monteverdi L’Orfeo Felsenreitschule, 26. Juli Il ritorno d’Ulisse in patria Felsenreitschule, 28. Juli L’incoronazione di Poppea Felsenreitschule, 29. Juli Halbszenische Aufführungen John Eliot Gardiner Musikalische Leitung Elsa Rooke, John Eliot Gardiner Regie Mit Krystian Adam, Francesca Biliotti, Hana Blažíková, Francesca Boncompagni, Gianluca Buratto, Robert Burt, Michal Czerniawski, Anna Dennis, Francisco Fernández-Rueda, Silvia Frigato, Kangmin Justin Kim, Marianna Pizzolato, Lucile Richardot, Gareth Treseder, Carlo Vistoli, John Taylor Ward, Zachary Wilder, Furio Zanasi Monteverdi Choir | English Baroque Soloists Anne Teresa De Keersmaeker / Gérard Grisey: Vortex Temporum Zeit mit BILD: SN/HERMAN SORGELOOS Igor Levit BILD: SN/ROBBIE LAWRENCE Daniil Trifonov BILD: SN/DARIO ACOSTA/DG GRISEY / SCHOSTAKOWITSCH „Zeit mit Grisey“ bringt die schillernden Farben der Musique spectrale zum Klingen. Wie sich Kunst über politische Hürden hinweg ihren Weg bahnt, erkundet „Zeit mit Schostakowitsch“. Dort wie da stellen sich existenzielle Fragen des Daseins und wird konzentriertes Hören zur intensiven Zeit-Wahrnehmung. „Wir sind Musiker, und unser Modell ist der Klang und nicht die Literatur, der Klang und nicht die Mathematik, der Klang und nicht das Theater, die bildenden Künste, die Quantenphysik, die Geologie, die Astrologie, die Akupunktur!“ Mit diesen flammenden Worten stiftete Gérard Grisey die Identität jener „Groupe L’Itinéraire“, zu der sich 1973 ehemalige Studenten von Olivier Messiaen zusammenschlossen: Neben Grisey waren das Michaël Levinas, Tristan Murail und Roger Tessier, zu denen etwas später auch noch Hugues Dufourt stieß. Als „Reisende“ schlugen sie damit auch im wörtlichen Sinn einen Weg ein, der sie von außermusikalischen Einflüssen weg- und zum Klang selbst zurückbringen sollte: Dessen wissenschaftlich erkundete physikalischakustische Charakteristika allein erklärten sie zur Grundlage ihres neuen Komponierens einer Musique spectrale, das sich vorrangig auf nuancierte Modifikationen der Klangfarben stützte. Die Basis bildete die Erforschung des Teiltonspektrums einzelner Klänge mit damals neuen computertechnischen Möglichkeiten. Was in technischen Beschreibungen trocken wirken könnte, entfacht im klingenden Ergebnis eine schillernde Sinnlichkeit, die die Musique spectrale nicht von ungefähr in stilistische Nachfolge des französischen Impressionismus rückt. Klang, so sagte Grisey, sei ein lebendiger Organismus, der Geburt, Leben und Tod durchlaufe, eine pulsierende Form wie der menschliche Atem. In diesem Sinne lädt „Zeit mit Grisey“ das Publikum auf Expeditionen in besondere Klangwelten ein, wobei das Klangforum Wien und das Vokalensemble Solistes XXI die exzellenten Reiseführer durch Zeiten und Stile sind, denn Ockeghem und Monteverdi fungieren als Referenzpunkte aus ferner, aber lebendiger Vergangenheit. Zum Finale werden sogar wörtlich die Türen in immer größere akustische Räume aufgestoßen: Les Espaces acoustiques nannte Grisey sein magnum opus, ein fesselnder Zyklus aus sechs Stücken für wachsende Besetzungen. In Spielfilmlänge entwickelt er sich von einem Prolog für Viola solo bis zu einem Epilog, bei dem vier konzertierende Hörner aus dem großen Orchester fulminant hervorragen. Humorvolle szenische Elemente, vor allem aber die sich immer weiter entfaltende, faszinierende Musik machen das Werk, das Grisey ursprünglich als „Versuchsanordnung“ konzipiert hatte, zu einem mitreißenden Erlebnis. Der Bratscher Mario Gheorghiu und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung des Komponisten und Dirigenten Matthias Pintscher sind dafür ideale Interpreten. Mit Cornelius Meister legt das RSO Wien auch Verbindungen zwischen Wagner, Strauss, Giacinto Scelsi und Claude Vivier frei – ein Abend im Zeichen der Vereinigung von Liebe und Tod. Die Sehnsuchts- Gérard Grisey, Paris 1993 BILD: SN/GUY VIVIEN Wir sind Musiker, und unser Modell ist der Klang und nicht die Literatur, der Klang und nicht die Mathematik, der Klang und nicht das Theater . . . Gérard Grisey klänge von Vorspiel und Liebestod aus Tristan und Isolde verweisen dabei auf das mit fast klinisch kühlem Blick in Musik gesetzte Sterben in Strauss’ Tondichtung Tod und Verklärung. Von da ist es gedanklich nicht weit zum tragisch frühen Ende des kanadischen Komponisten Claude Vivier, der der Musique spectrale nahestand: Er wurde 1983, mit knapp 35 Jahren, ermordet. Auf dem Tisch lag die Partitur einer Oper, die in jenem Moment abbricht, in dem der Protagonist Claude von einem Unbekannten erstochen wird . . . Ans Unfassbare rühren auch Griseys Quatre Chants pour franchir le seuil: 1998 hatte sich der 52-Jährige in diesen vier Orchesterliedern auf ebenso packende wie subtile Weise mit dem Übergang zum Tod auseinandergesetzt – und war bald darauf, noch vor deren Uraufführung, überraschend gestorben. In der Kollegienkirche verknüpft sich das zu später Stunde mit der ältesten erhaltenen polyphonen RequiemKomposition, Ockeghems Missa pro defunctis, gesungen von den Tallis Scholars. Walter Weidringer Was ist das für eine Musik, von der ihr Autor wünscht, sie solle so gespielt werden, „dass die Fliegen in der Luft tot herunterfallen“? In seinem 15. Streichquartett, komponiert ein Jahr vor seinem Tod (1975), lässt der schwer kranke Dmitri Schostakowitsch hinter jene Maske blicken, die sein wahres Gesicht so oft und lange verborgen hat. Zum Vorschein kommen Trostlosigkeit und Depression, denen er in sechs durchwegs langsamen, miteinander verbundenen Sätzen Ausdruck verleiht. Auf die Interpretation durch das Hagen Quartett bei den diesjährigen Salzburger Festspielen folgt das Konzert für Chor von Alfred Schnittke, gesungen von den vereinten Vokalkräften des Salzburger Bachchores und des Chores von musicAeterna unter dem elektrisierenden Teodor Currentzis. In diesem Werk stellt sich Schostakowitschs Landsmann Alfred Schnittke auf seine Weise gegen die kommunistische Diktatur, indem er die archaischen Elemente orthodoxer Kirchenmusik neu interpretiert – plötzlich antwortet dem hoffnungslosen Streichquartett eine Glaubensgewissheit, die selbst jene berührt, die sie nicht ohne Weiteres teilen können. Es sind eben solche Beziehungen aus Analogien und Kontrasten, die die „Zeit mit Schostakowitsch“ so anregend machen. Rund um die Neuproduktion von Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk beleuchtet und kommentiert diese Konzertreihe Facetten eines von der Diktatur geförderten und zugleich behinderten, letztlich ständig bedrohten Komponistenlebens und lässt seine Musik mit jener von Vorbildern und Kollegen reagieren. Etwa mit Johann Sebastian Bach: In einem Zyklus von 24 Präludien und Fugen für Klavier hat Schostakowitsch dessen Klangsprache schrittweise und in zum Teil stilistisch ganz unterschiedlichen Stücken mit seiner eigenen Welt verbunden. Sie stellen eine pianistische Herausforderung dar, wie geschaffen für den klugen Pianisten Igor Levit. Auch Schostakowitschs Streichquartette sollten 24 an der Zahl werden und durch alle Tonarten führen. Aus den 15 entstandenen Stücken spielt das Hagen Quartett noch das Achte Quartett, in dem ein unheimliches Dreitonmotiv ertönt, ein geheimes Klopfzeichen unter Oppositionellen, das vor einem anwesenden Spitzel warnen sollte. Diese beklemmende Enge parieren die epische Weite von Schuberts Streichquintett (mit Sol Gabetta) und Auszüge aus Bachs Kunst der Fuge. Acht Monate vor Schostakowitschs Tod wurde seine Suite auf Verse von Michelangelo uraufgeführt: Drei Lieder aus diesem autobiografisch düsteren Zyklus bilden den Kern jenes Liederabends, bei dem der große Liedersänger Matthias Goerne gemeinsam mit Daniil Trifonov auch Seelenabgründe bei Schumann, Brahms, Wolf und Berg auslotet. Der umjubelte Pianist Daniil Trifonov Sponsored by Roche Dmitri Schostakowitsch, um 1940 BILD: SN/AKG-IMAGES Das Warten auf die Exekution ist eines der Themen, die mich mein Leben lang gemartert haben, viele Seiten meiner Musik sprechen davon. Dmitri Schostakowitsch ist auch Solist im Zweiten Klavierkonzert von Sergej Prokofjew, der trotz Stalin die Notwendigkeit fühlte, in seine Heimat zurückzukehren – so wie Schostakowitsch sie nicht verlassen konnte. Drei seiner Symphonien beleuchten Schostakowitsch auf unterschiedliche Weise: Unter Simon Rattle spielen die Berliner Philharmoniker den jugendlichen Geniestreich der Ersten und die gespenstische Letzte, die 15. Symphonie. Mit Andris Nelsons am Pult steuern die Wiener Philharmoniker die Siebente bei, die „Leningrader“, teilweise entstanden in der zur Aushungerung belagerten Stadt. Berühmt-berüchtigt ist vor allem der Mittelteil des monströsen Kopfsatzes: Über unaufhörlich sich steigerndem Maschinengewehrfeuer des Schlagzeugs bläht sich ein vulgäres Marschthema zu barbarisch lärmender Bedrohung auf – im zeitgenössischen Verständnis die anrückende Wehrmacht. Glaubt man jedoch Schostakowitschs geheimen Memoiren, porträtierte er hier die stalinistische Fratze. In jedem Fall wird die Banalität des Bösen zu Klang. Walter Weidringer SALZBURGER FESTSPIELE DER SCHAUSPIELDIREKTOR Nach W. A. Mozart keiten zu befriedigen: nämlich um jenen Zauber, den die Oper durch die Beanspruchung aller Sinne und durch das Zusammenspiel aller Künste entfachen kann! Erst als der Schauspieldirektor droht, die Premiere und damit die gesamte Produktion abzublasen, besinnen sich die Mitwirkenden auf das Wesentliche: gemeinsam und unter größtmöglichem Einsatz aller künstlerischen Qualitäten eine wunderbare Premiere auf die Bühne zu bringen! Die auf Kinderproduktionen spezialisierte deutsche Opernregisseurin Elena Tzavara unternimmt mit dem Schauspieldirektor Frank eine Reise durch den Kosmos Theater. Gemeinsam mit Henrik Albrecht, der für das Musikarrangement verantwortlich ist, und mit dem jungen Publikum sucht sie nach Antworten auf die Grundsatzfragen, warum es Theater überhaupt gibt und wie der Zauber der Bühne entsteht. Die Reaktion der jungen Gäste ist bestimmt die ehrlichste Antwort darauf. Die diesjährige Kinderoper der Salzburger Festspiele, Der Schauspieldirektor, lässt das junge Publikum in die Welt des Theaters und des Theatermachens eintauchen. Dass die Schwierigkeiten am Theater heute noch immer dieselben sind wie zu Mozarts Zeit, tritt in dem komödiantischen Singspiel nur allzu deutlich zutage. Das Leben des Schauspieldirektors Frank ist alles andere als einfach: Um sein neues Stück auf die Bühne zu bringen, benötigt er noch Solisten und hat dafür ein Vorsingen angesetzt. Immer mehr Sängerinnen und Sänger präsentieren ihre musikalischen und darstellerischen Fähigkeiten auf der Bühne. Da ist Streit vorprogrammiert, denn jeder möchte für die größte Rolle besetzt werden. In dem immer heftiger geführten Sänger-Wettstreit ist es dem Schauspieldirektor Frank unmöglich, den Darstellern etwas vom Inhalt der Oper oder über die Rollen zu vermitteln. Dabei sollte es doch am Theater um mehr gehen, als persönliche Eitel- Figurinen von Elisabeth Vogetseder Der Schauspieldirektor Neuproduktion der Salzburger Festspiele für Kinder (ab 6 Jahren) Musikarrangement von Henrik Albrecht | Elena Tzavara, Henrik Albrecht Spielfassung | Elena Tzavara Regie | Elisabeth Vogetseder Bühne und Kostüme | Erina Yashima Dirigentin | Teilnehmer des Young Singers Project | Salzburg Orchester Solisten Große Universitätsaula, 28., 30. Juli, 8., 11., 12., 15., 22., 27. August Mit Unterstützung von Uniqa KARTENBÜRO der SALZBURGER FESTSPIELE • 5010 Salzburg • Postfach 140 • Telefon +43 662/8045-500 • Telefax +43-662/8045-555 • [email protected] • www.salzburgfestival.at IMPRESSUM • Herausgeber: Salzburger Nachrichten • Redaktion und Gestaltung: Salzburger Festspiele – Margarethe Lasinger, Christian Arseni, Christiane Klammer Grafik: Walter Brand • Druck: Druckzentrum Salzburg • Redaktionsschluss: 3. April 2017 • Änderungen vorbehalten SALZBURGER FESTSPIELE · 21. JULI — 30. AUGUST 2017 DOMPLATZ RESIDENZ [RZ] OUVERTURE SPIRITUELLE GROSSES FESTSPIELHAUS FR 21. Jedermann SA 22. SO 23. HAUS FÜR MOZART · FELSENREITSCHULE [F] • 21:00 Jedermann MO 24. Symphonieorchester des BR Nagano (ZmG) 21:00 musicAeterna 1 Currentzis MI 26. L’Orfeo DO 27. La clemenza di Tito FR 28. Wiener Philharmoniker Haitink SA 29. 21:00 Jedermann 17:00 Il ritorno d’Ulisse in patria SO 30. Wiener Philharmoniker Haitink 11:00 Jedermann 21:00 L’incoronazione di Poppea MO 31. MI 1. SK Sokolov • 18:00 SK Kissin 19:30 Lady Macbeth von Mzensk 19:30 SA 5. SO 6. Wiener Philharmoniker Nelsons (ZmS) Aida DI LA Gerhaher · Huber Jedermann [F] 19:00 La clemenza di Tito YCA Preisträgerkonzert · ORF RadioSymphonieorchester Wien Shokhakimov 21:00 Jedermann 8. 19:00 DO 10. Lady Macbeth von Mzensk FR 11. I due Foscari (konzertant) SA 12. Aida Jedermann 19:30 15:00 Wiener Philharmoniker Muti MO 14. Wiener Philharmoniker Muti I due Foscari (konzertant) DI 15. Wiener Philharmoniker Muti Lady Macbeth von Mzensk MI 16. Aida DO 17. SK Pollini FR 18. West-Eastern Divan Orchestra 1 Barenboim SA 19. Wiener Philharmoniker Blomstedt Jedermann 19:30 11:00 15:30 Jedermann 11:00 19:00 20:00 21:00 Jedermann 11:00 19:00 DI 22. Aida 21:00 Aida SA 26. Wiener Philharmoniker Barenboim SK Mutter · Orkis 19:30 11:00 21:00 Jedermann SO 27. Wiener Philharmoniker Barenboim Lucrezia Borgia (konzertant) Berliner Philharmoniker 1 Rattle MO 28. Berliner Philharmoniker 2 Rattle (ZmS) DI 29. Pittsburgh Symphony Orchestra Honeck LA Goerne · Trifonov (ZmS) ORF Radio21:00 Symphonieorchester Wien Meister (ZmG) La clemenza di Tito 21:00 Wozzeck SK Uchida 17:00 Ariodante La clemenza di Tito KK Frang · Altstaedt · Lonquich · Schmidinger · Grubinger · Goerne · Hinterhäuser (ZmS) 21:00 Lear La clemenza di Tito Ariodante 19:30 MI 23. SK Argerich · Barenboim DO 24. FR 25. 21:00 Wozzeck Ariodante La clemenza di Tito Wozzeck 19:30 Aida 19:30 11:00 SO 20. Wiener Philharmoniker Blomstedt West-Eastern Divan Orchestra 2 Barenboim (ZmS) 17:00 Jedermann MO 21. Lady Macbeth von Mzensk 17:00 musicAeterna 2 Currentzis 20:00 SO 13. ZmG Zeit mit Grisey ZmS Zeit mit Schostakowitsch YSP Young Singers Project [F] 19:30 Mozart-Matinee Gražinytė-Tyla [F] 19:00 Mozart-Matinee Bolton [F] 19:00 SK András Schiff 2 Mozart-Matinee Bolton [F] 19:00 Camerata Salzburg Viotti 19:30 Jedermann 11:00 15:00 20:30 21:00 Jedermann 20:00 19:00 YCA Young Conductors Award KKKammerkonzert SKSolistenkonzert Global Sponsors of the Salzburg Festival Lear 17:00 Wozzeck Ariodante Gustav Mahler Jugendorchester Metzmacher 17:00 Lear Blasmusikkonzert *** Wozzeck 17:00 Ariodante Lear LALiederabend LELesung RERecherchen SA 11:00 SO KK Tetzlaff · Andsnes (ZmS) SK András Schiff 3 MI KK Hagen Quartett · Gabetta (ZmS) • 20:00 LA Crebassa · Say [F] 19:30 SK Levit 1 (ZmS) 20:30 Mozart-Matinee Luks [F] 20:30 SK Levit 2 Mozart-Matinee Luks [F] 19:00 LA Yoncheva · Academia Montis Regalis FR 11:00 SA 19:30 11:00 SO 19:30 19:30 MI 11:00 SO 15:00 19:30 19:30 MO 19:30 DI 19:30 MI 28. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor 29. 30. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor 1. 2. 3. Klangforum Wien Rundel (ZmG) 4. 6. 11:00 SO 19:30 YSP Meisterklasse Martineau 8. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor 9. 13. YSP Meisterklasse Goerne MO 14. DI 15. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor MI 16. ORF RadioSymphonieorchester Wien Pintscher (ZmG) DO 17. YSP Meisterklasse Piau • 19:00 [F] 15:00 20:30 19:30 LA Stoyanova · Springer [F] 15:00 Mozart-Matinee Carydis Mozart-Matinee Carydis [F] 18:30 Camerata Salzburg Norrington 19:00 SK Gringolts [F] 19:30 20:00 KK Trio Zimmermann 15:00 20:00 Preisträgerkonzert Sommerakademie ** YSP Abschlusskonzert · [F] 19:00 Mozarteumorchester Salzburg Kelly [F] 11:30 20:00 19:30 FR 11:00 SA 11:00 SO MI [U] 15:00 RE Die neue Liebesordnung Die Geburtstagsfeier 20:30 Die Geburtstagsfeier LE Der Mann ohne Eigenschaften Die Geburtstagsfeier 20:30 Die Geburtstagsfeier RE Film- und Bühnenkunst · [U] 17:00 Neshat · Tsangari [U] 15:00 27. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor RE Zertretene Rosen [U] 15:00 Die Geburtstagsfeier Kasimir und Karoline [F] 19:00 • Premiere Stand: 3. April 2017 19:30 Rose Bernd 19:00 Rose Bernd 19:30 19:30 Abschluss Aida-Camp 2 [R] 16:00 Rose Bernd 19:30 19:30 Rose Bernd [SZ] 11:00 19:30 19:30 Rose Bernd Rose Bernd 19:30 Abschluss • [SM] 20:00 Wozzeck-Camp 19:30 19:30 19:30 19:30 [R] 16:30 19:30 [SZ] 11:00 19:30 [SM] 20:00 Kasimir und Karoline [SM] 20:00 Vortex Temporum (ZmG) [R] 19:30 Kasimir und Karoline [SM] 20:00 20:30 Kasimir und Karoline [U] 15:00 [SM] 20:00 [U] 15:00 [U] 15:00 Searching for William? [U] 15:00 MO 28. 19:00 Rose Bernd • 19:30 [SZ] 17:00 Abschluss Aida-Camp 1 [R] 11:00 19:30 20:00 Rose Bernd 19:30 DO 24. FR 25. 19:30 SA 26. 19:30 SO • 19:30 LE Fräulein Else 19. Schlussmarathon Angelika-Prokopp- Sommerakademie der Wiener Philharmoniker [U] 16:00 / 18:00 / 20:00 20. RE Die Abstiegsgesellschaft 23. [HT] 18:15 19:30 LE Ich liebe nicht den Hundetrab Kasimir und Karoline 22. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor [HT] 18:15 Die Geburtstagsfeier Die Geburtstagsfeier [U] 15:00 20:30 Kasimir und Karoline [U] 15:00 Die Geburtstagsfeier 18. 19:30 MO 21. 19:30 DI • [U] 15:00 Die Geburtstagsfeier Die Geburtstagsfeier 7. PERNER-INSEL · REPUBLIC [R] 21:00 5. DO 10. FR 11. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor Grubinger · Percussive Planet · œnm Rundel (ZmG) 11:00 SA 12. Oper für Kinder · Der Schauspieldirektor 19:30 19:30 • [F] 19:30 26. MO 31. Solistes XXI Safir (ZmG) 19:30 DI 20:30 20:00 25. La Capella Reial · Le Concert des Nations Savall 19:30 DO 27. 19:30 c-Moll-Messe * · Mozarteumorchester Bolton [SP] 19:30 DO YCA Award Concert Weekend 1 15:00 FR [F] 19:00 Mozart-Matinee Antonini 11:00 SA [F] 20:00 YCA Award Concert Weekend 2 15:00 Mozart-Matinee Antonini YCA Award Concert Weekend 3 KK Wiener Philharmoniker 21. 22. YSP Meisterklasse Ludwig [U] 15:00 Abschluss Jedermann-Camp 23. KK Hagen Quartett · musicAeterna Choir · Salzburger Bachchor Currentzis (ZmS) 21:30 Abschluss Jedermann-Camp MO 24. The Tallis Scholars · Klangforum Wien Pomàrico (ZmG) 21:00 18:00 The Tallis Scholars Phillips 23:30 Camerata Salzburg · BR Chor Arman · Tamestit · Viotti 18:00 DI • [F] 18:30 SK András Schiff 1 • 18:00 Gala-Soiree [RZ] 22:00 9. Aida MI 30. Lucrezia Borgia (konzertant) 21:00 LA Garanča · Martineau 11:00 MO 7. Wiener Philharmoniker Nelsons (ZmS) MI La clemenza di Tito 21:00 2. Lady Macbeth von Mzensk DO 3. FR 4. [F] 19:00 LANDESTHEATER · HECKENTHEATER [HT] STEFAN ZWEIG CENTRE [SZ] STUDIO UNIVERSITÄT MOZARTEUM [SM] KOLLEGIENKIRCHE · UNIVERSITÄTSAULA [U] FR KK Cuarteto Casals · Levit · Hinterhäuser DI 25. DI STIFTUNG MOZARTEUM · STIFTSKIRCHE ST. PETER [SP] 20:00 [SM] 20:00 [SZ] 11:00 20:00 Lulu • 19:30 Lulu 19:30 Lulu 19:30 Lulu 19:30 Lulu 19:30 Lulu 19:30 Lulu Lulu * In Zusammenarbeit mit der Stiftung Mozarteum Salzburg ** In Zusammenarbeit mit der Universität Mozarteum Salzburg *** Mit jungen Blasmusiktalenten unter Mitwirkung der Wiener Philharmoniker 19:30 19:30