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Otto Benkert · Martin Hautzinger · Mechthild Graf-Morgenstern
Psychopharmakologischer Leitfaden
für Psychologen und Psychotherapeuten
Unter Mitarbeit von
P. Heiser und E. Schulz
für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
und
C. Hiemke
für Arzneimittelinformationen und -interaktionen
Otto Benkert
Martin Hautzinger
Mechthild Graf-Morgenstern
Psychopharmakologischer
Leitfaden
für Psychologen und
Psychotherapeuten
Unter Mitarbeit von
P. Heiser und E. Schulz
für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
und
C. Hiemke
für Arzneimittelinformationen und -interaktionen
Mit Checkfragen und Antworten für Studierende
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Prof. Dr. med. Otto Benkert
Prof. Dr. rer. nat. Christoph Hiemke
Ehemals: Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität Mainz
Untere Zahlbacher Straße 8
55131 Mainz
www.ottobenkert.de
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität Mainz
Untere Zahlbacher Straße 8
55131 Mainz
Priv.-Doz. Dr. med. Philip Heiser
Prof. Dr. med. Eberhard Schulz
Prof. Dr. Dipl.-Psych.
Martin Hautzinger
Abt. für Klinische Psychologie und
Entwicklungspsychologie
Universität Tübingen
Christophstraße 2
72072 Tübingen
Universitätsklinik für Psychiatrie und
Psychosomatik
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
im Kindes- und Jugendalter
Universitätsklinikum Freiburg
Hauptstraße 8, 79104 Freiburg
Dr. med. Dipl.-Psych.
Mechthild Graf-Morgenstern
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Untere Zahlbacher Straße 8
55131 Mainz
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20
ISBN-13
978-3-540-47957-4
Springer Medizin Verlag Heidelberg
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung,
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Springer Medizin Verlag
springer.de
© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2008
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine
Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer
Literarturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Planung: Renate Scheddin
Projektmanagement: Renate Schulz
Lektorat: Dr. Astrid Horlacher, Dielheim
Layout und Einbandgestaltung: deblik Berlin
Satz: medionet Prepress Services Ltd.
SPIN: 11677833
Gedruckt auf säurefreiem Papier
2126 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort
Dieser Leitfaden ist aus der Idee heraus entstanden, Psychologen und Psychotherapeuten einen
kompakten und aktuellen Überblick über das psychopharmakologische Wissen anzubieten.
Die Darstellung ist etwas ausführlicher, als es für das Wissen im täglichen Umgang mit psychisch kranken Menschen für Psychologen und Psychotherapeuten notwendig ist, dafür kann der
Leitfaden aber auch als psychopharmakologisches Nachschlagewerk genutzt werden.
Die Autoren sind davon ausgegangen, dass bei dem Wunsch nach einer noch tieferen Kenntnis
der Psychopharmakologie auf vorhandene Werke zu diesen Themen zurückgegriffen wird, etwa bei
der Notwendigkeit, Details über Einzelpräparate oder Arzneimittelsicherheit zu erfahren (Benkert
u. Hippius 2007) oder bei dem Wunsch, sich in die Grundlagenforschung und die Literatur zur Psychopharmakologie einzuarbeiten (Holsboer et al. 2008).
Der Kern des psychopharmakologischen Wissens wird in Checkfragen und -antworten für
den (Kinder- und Jugend-)Psychotherapeuten und Psychologen zusammengefasst. Die Antworten
befinden sich am Ende des Buches. Ihnen wird auch in den »Grundlagen« ein ausführlicher Überblick über das in der Prüfungsordnung für psychologische Psychotherapeuten geforderte Grundlagenwissen über Arzneimittel und den Umgang mit Arzneimitteln bei psychisch kranken Patienten
angeboten. In der Sektion »Präparate« werden die einzelnen Psychopharmakagruppen wirkstoffspezifisch besprochen. Danach wird die Pharmakopsychiatrie von den Diagnosen geleitet und ist ab
dann störungsspezifisch. Der Leitfaden schließt mit speziellen Aspekten zur Pharmakopsychiatrie.
Dieses Ordnungsprinzip erlaubt dem Leser zwei verschiedene Einstiege in die psychiatrische
Pharmakotherapie: entweder über die Psychopharmakagruppen, mit deren Wirkungsweise und
möglicher Indikation bei den entsprechenden Diagnosen (7 Kap. 5–14) oder über die Krankheitsbilder entsprechend den ICD-10-Diagnosen (7 Kap. 15–33).
Ohne Psychopharmaka ist eine optimale Therapie bei den meisten psychischen Erkrankungen
nicht mehr vorstellbar, genauso wie eine Behandlung ohne Psychotherapie in der Psychiatrie heute nicht mehr zeitgemäß ist (7 Kap. 4). Über den Synergieeffekt beider Therapieformen ist sich die
Fachwelt weitgehend einig. Für jedes Krankheitsbild werden jeweils die durch Studien belegbaren
besten Möglichkeiten für die Pharmakotherapie, die Psychotherapie oder die Kombination beider
beschrieben.
Dieses Wissen übersichtlich darzustellen, ist den Autoren deswegen so wichtig, weil die Ergebnisse aus Studien für viele Therapien keineswegs eindeutig das Pro oder Contra einer Methode
belegen. So ist etwa das psychotherapeutische Vorgehen bei chronisch depressiven Störungen noch
nicht befriedigend evaluiert; ebenso wenig sind die immer neuen Therapievorschläge mit weiteren
Antidepressiva bei der therapieresistenten Depression empirisch abgesichert.
Die Darstellung des psychopharmakologischen klinischen Wissens geht mit dem Wunsch der
Autoren einher, immer auch die Bedeutung einer Psychotherapie oder einer Kombinationstherapie
herauszustellen. Diese Strategie nimmt in dem Leitfaden einen breiten Raum ein. Soweit Studien
zu diesem Thema in den klinischen Alltag Einlass gefunden haben, werden sie zitiert und entsprechend ihrer Wichtigkeit diskutiert. Basis unserer Empfehlungen sind die wissenschaftliche Literatur und die klinische Erfahrung der Autoren, nicht aber allein die Zulassung eines Präparates oder
die Zulassung einer Psychotherapiemethode oder aber die Zusammenfassung von evidenzbasierten Studien.
Sehr ausführlich werden die angebotenen Therapiemöglichkeiten bewertet. Bewährte Therapien
werden bewusst empfohlen, von anderen wird abgeraten.
Jedes Kapitel endet mit einem Beitrag aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. So kann schnell erkannt werden, wo mögliche Unterschiede im therapeutischen Vorgehen
bestehen. Störungen, die nur im Kindes- oder Jugendalter auftreten, werden in einem ergänzenden
Kapitel beschrieben (7 Kap. 33).
VI
Vorwort
19
Die Kapitel sind unterschiedlich lang. Ausführlicher werden jene psychischen Krankheiten und
deren Therapien beschrieben, mit denen es der Psychotherapeut bzw. Psychologe auch am häufigsten zu tun hat, z. B. die depressiven Störungen oder die Angststörungen.
Durch diesen Leitfaden erhoffen sich die Autoren über die Anwendung des aktuellen Wissens
hinaus auch einen Beitrag zur noch besseren Kommunikation zwischen Ärzten, Psychotherapeuten,
Psychologen und Psychopharmakologen. Das würde dem Ziel dieses Leitfadens näherkommen,
psychisch kranken Patienten die optimale Therapie anzubieten, damit die bestmögliche Lebensqualität erreicht werden kann.
Die intensive Grundlagenforschung und die klinische Forschung in dem Fachgebiet der psychiatrischen Pharmakotherapie haben der Therapie psychischer Störungen völlig neue Perspektiven
eröffnet. Die Entwicklung der modernen Psychopharmaka gehört mit zu den großen Fortschritten
der Medizin der letzten 50 Jahre. Wir sind heute in der Lage vielen Patienten mit einer Depression,
einer Angststörung oder einer Schizophrenie durch die Verordnung des richtigen Psychopharmakons und der Auswahl der adäquaten Psychotherapie eine hohe Lebensqualität zu garantieren. Auf
einer solchen Basis können auch sozialpsychiatrische Maßnahmen gut eingesetzt werden.
Dieser Gewinn für die Patienten wird in der Öffentlichkeit nicht ausreichend gewürdigt. Auch
in diesem Leitfaden werden oft die kritischen Befunde der neuesten Forschung bewusst in den Vordergrund gerückt, um dem Therapeuten einen Einblick in den langen Weg bis zur klinischen Etablierung eines Therapieverfahrens zu geben. Dieser methodenkritische Ansatz darf aber in keinem
Fall über die vielen Chancen, die sich durch die Psychopharmakotherapie für den einzelnen Patienten schon heute eröffnet haben, hinwegtäuschen.
Allerdings sind viele psychische Krankheiten sehr behandlungsresistent gegen neue Wirkansätze potentieller Psychopharmaka und auch die vorhandenen Medikamente stellen den Forscher
oder den Kliniker längst nicht zufrieden. Solange nicht die neurobiologischen Systeme, die den einzelnen Krankheiten zu Grunde liegen, identifiziert sind, wird es kein optimales Psychopharmakon
für eine bestimmte Störung geben. Wir befinden uns heute z. B. in der Depressionsforschung, etwa
auf dem Stand der Erforschung des Bluthochdrucks in der inneren Medizin. Auch die Ursachen der
Hypertonie sind nur in Ansätzen bekannt und so ähneln sich auch die Therapiestrategien: Es werden Medikamente gewählt, die im Sinne eine Mehrkomponententherapie viele Systeme gleichzeitig beeinflussen. Dies ist auch der derzeitige Weg in der Therapie der meisten Störungen in der Psychiatrie.
Ob es auf der Basis heutiger biomedizinischer Forschung in absehbarer Zeit eine maßgeschneiderte Therapie für jeden einzelnen Patienten geben wird – das zumindest wäre aus den bisherigen
molekulargenetischen Forschungen bei psychischen Krankheiten ableitbar –, ist aufgrund der
enormen Kosten, die auf die Gesellschaft zukommen werden, sehr fraglich. Darüber hinaus kennen
wir heute nicht einmal ansatzweise die Ursachen für das differenzierte, oft sogar fehlende Ansprechen des gleichen Psychopharmakons im Verlaufe einer depressiven oder schizophrenen Erkrankung bei einem Patienten. Hier gilt es also, die über die Genetik hinausgehenden Faktoren, die die
Plastizität der neurobiologischen Systeme beeinflussen, zu charakterisieren.
Zunächst aber soll das heutige Wissen um die optimale Anwendung der psychiatrischen Pharmakotherapie in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren in diesem Leitfaden gebündelt werden.
Dieser Leitfaden geht in Teilen immer wieder auf Texte und Tabellen des Kompendiums der
Psychiatrischen Pharmakotherapie, 6. Auflage, zurück. Somit sei auch an dieser Stelle den Koautoren dieses Kompendiums für ihre ständige Mitarbeit herzlich gedankt: I. Anghelescu, E. Davids,
C. Fehr, G. Gründer, C. Lange-Asschenfeldt, O. Möller, M.J. Müller und F. Regen. Durch die grundlegenden Artikel von C. Hiemke und die Beiträge zur Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie von P. Heiser und E. Schulz kann das Spektrum der psychiatrischen Pharmakotherapie deutlich erweitert werden.
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Mainz und Tübingen, im Herbst 2007
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Otto Benkert
Martin Hautzinger
Mechthild Graf-Morgenstern
VII
Inhaltsverzeichnis
I Grundlagen
1
Pharmakologische Grundlagen . . . . . . . .
1.1
1.1.1
1.1.2
1.1.3
1.1.4
1.2
Pharmaka. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pharmakologisch wirksame Stoffe . . . .
Wirkstoffentwicklung . . . . . . . . . . . .
Arzneimittelwirkung. . . . . . . . . . . . .
Therapeutischer Einsatz von Pharmaka .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und
Interaktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.1
2.2
2.2.1
2.3
2.4
2.5
2.6
Pharmakokinetik und - dynamik im
Zusammenspiel . . . . . . . . . . . . .
Pharmakokinetik . . . . . . . . . . . .
Pharmakokinetische Phasen. . . . .
Pharmakodynamik . . . . . . . . . . .
Arzneimittelwechselwirkungen. . .
Therapeutisches Drug-Monitoring .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Arzneimittelinformation. . . . . . . . . . . . . 21
3.1
3.1.1
3.1.2
3.2
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
3.2.5
3.2.6
3.3
3.4
3.4.1
3.4.2
3.5
Information und Aufklärung . . . . . . . . . . . .
Informationen für Therapeuten . . . . . . . . . .
Informationen für Patienten und Angehörige .
Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wissenschaftlich überwachte Information . . .
Primärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tertiärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Institutionell überwachte Information . . . . .
Datenbankgestützte Information. . . . . . . . .
Bewertung von Informationen und
evidenzbasierter Medizin. . . . . . . . . . . . . .
Neue Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Neu beobachtete nützliche Wirkungen . . . . .
Neu beobachtete unerwünschte Wirkungen .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Psychopharmaka und Psychotherapie . . . . 29
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Grundsätzliche Probleme. . . . . . . . . . . . . .
Klinische Kompetenzen und Grundmerkmale.
Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5.2
5.3
5.4
5.5
5.13
Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . .
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kontraindikationen und Intoxikationen. . . . . .
Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva im höheren Lebensalter . . . . .
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
(SSRI). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer (SNRI). . . . . . . . . . . .
Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer
Noradrenerges/spezifisch serotonerges
ntidepressivum mit α2-Adrenozeptor
antagonistischer Wirkung . . . . . . . . . . . . . .
Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer
Trizyklische Antidepressiva (TZA). . . . . . . . . .
MAO-Hemmer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pflanzliche Präparate . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
Stimmungsstabilisierer . . . . . . . . . . . . . 61
6.1
6.1.1
6.2
6.3
6.4
6.4.1
6.4.2
6.13
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . .
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antikonvulsiva, Antipsychotika und
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antikonvulsiva und Antipsychotika . . . . . . . .
Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kontraindikationen und Intoxikationen. . . . . .
Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Routineuntersuchungen . . . . . . . . . . . . . . .
Stimmungsstabilisierer im höheren Lebensalter
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
7.1
7.2
7.3
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . .
5.6
5.7
5.8
5.9
5.10
5.11
5.11.1
5.11.2
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32
33
II Präparate
5
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.1
5.1.1
5.1.2
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . .
Ordnungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
38
39
5.11.3
5.11.4
5.11.5
5.11.6
5.11.7
5.11.8
5.12
6.5
6.5.1
6.5.2
6.6
6.7
6.8
6.9
6.10
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6.12
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72
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73
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14
15
16
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VIII
Inhaltsverzeichnis
7.4
7.5
7.13
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . .
Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . .
Kontraindikationen und Intoxikationen.
Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . .
Routineuntersuchungen . . . . . . . . . .
Antipsychotika im höheren Lebensalter
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . .
Antipsychotika in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Anxiolytika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
8.1
8.2
8.2.1
8.2.2
8.2.3
8.3
8.4
8.4.1
8.4.2
8.4.3
8.5
8.13
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Buspiron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andere Anxiolytika. . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . .
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Buspiron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andere Anxiolytika. . . . . . . . . . . . . . . . .
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer. . . . . . . . . . . . . . . . .
Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abhängigkeitsrisiko unter Benzodiazepinen
Absetzprobleme unter Benzodiazepinen. . .
Vorbeugung von Benzodiazepinentzugssymptomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kontraindikationen und Intoxikationen. . . .
Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . .
Routinehinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anxiolytika im höheren Lebensalter . . . . . .
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andere Anxiolytika. . . . . . . . . . . . . . . . .
Anxiolytika in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Hypnotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
9.1
9.2
9.2.1
9.2.2
9.2.3
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirkmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepinhypnotika . . . . . . . . . . . .
Non-Benzodiazepinhypnotika. . . . . . . . .
Andere Hypnotika und schlafinduzierende
Psychopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . .
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dosierung und Behandlungsdauer . . . . .
Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abhängigkeitsrisiko unter Hypnotika . . . .
Andere Nebenwirkungen unter Hypnotika
Kontraindikationen und Intoxikationen. . .
Wechselwirkungen. . . . . . . . . . . . . . . .
Routinehinweise . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.6
7.7
7.8
7.9
7.10
7.11
7.12
8.6
8.6.1
8.6.2
8.6.3
8.7
8.8
8.9
8.10
8.11
8.11.1
8.11.2
8.12
9.3
9.4
9.5
9.6
9.6.1
9.6.2
9.7
9.8
9.9
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73
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. 97
. 97
. 98
. 98
. 98
. 98
. 99
. 99
. 100
. 100
9.10
9.11
9.12
9.13
Hypnotika im höheren Lebensalter
Präparategruppen . . . . . . . . . . .
Hypnotika in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Antidementiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
10.1
10.2
10.3
10.4
10.5
10.6
10.7
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirkmechanismus . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . .
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . .
Dosierung und Behandlungsdauer
Präparategruppen . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Medikamente zur Behandlung von
Abhängigkeit und Entzug . . . . . . . . . . . . 109
11.1
11.2
11.2.1
. . . . . . . . 100
. . . . . . . . 101
. . . . . . . . 102
. . . . . . . . 103
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Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pharmakotherapie von Abhängigkeitserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.2 Gesamtbehandlungsplan bei Abhängigkeitserkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.3 Medikamente zur Behandlung von
Alkoholkrankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.4 Medikamente zur Rückfallprophylaxe bei
Alkoholabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.5 Medikamente zur Behandlung von
Benzodiazepinabhängigkeit . . . . . . . . . . . .
11.2.6 Medikamente zur Behandlung von
Opiatabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.7 Medikamente zur Behandlung von Kokainund Amphetamin-Abhängigkeit . . . . . . . . .
11.2.8 Medikamente zur Behandlung von Ecstasyund Eve-Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.9 Medikamente zur Behandlung von
Abhängigkeiten von Psychotomimetika
(LSD, Meskalin, Psilocybin) . . . . . . . . . . . . .
11.2.10 Medikamente zur Behandlung von
Cannabisabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . .
11.2.11 Medikamente zur Behandlung von
Nikotinabhängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . .
11.3
Medikamente zur Behandlung von
Abhängigkeit und Entzug in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11.4
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
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106
106
106
107
107
108
108
. 110
. 110
. 110
. 110
. 110
. 111
. 112
. 112
. 113
. 113
. 113
. 113
. 114
. 114
. 115
12
Medikamente zur Behandlung von
sexuellen Störungen . . . . . . . . . . . . . . . 117
12.1
12.2
12.2.1
12.2.2
12.3
12.4
12.4.1
12.4.2
12.4.3
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wirkungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . .
PDE-5-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Sexualhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Allgemeine Therapieprinzipien . . . . . . . . . . .
Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erektionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vermindertes sexuelles Verlangen . . . . . . . . .
Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau
118
118
118
119
119
120
120
120
120
IX
Inhaltsverzeichnis
12.4.4
12.4.5
12.7
Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen .
Gesteigertes sexuelles Verlangen und
Paraphilie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
PDE-5-Hemmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Medikamente zur Behandlung von sexuellen
Störungen im Kindes- und Jugendalter . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Antiadiposita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
13.1
13.2
13.3
Einteilung . . . . . . . . . . . . . .
Präparategruppen . . . . . . . . .
Antiadiposita in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . .
12.5
12.5.1
12.6
13.4
. 120
16
Panikstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
. 120
. 121
. 121
16.1
16.2
16.2.1
16.2.2
16.2.3
16.4
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
β-Rezeptorenblocker in der Therapie von
Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der Panikstörung im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Generalisierte Angststörung . . . . . . . . . . 161
17.1
17.2
17.2.1
17.2.2
17.2.3
17.2.4
17.2.5
17.3
17.4
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . .
Buspiron . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pregabalin . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der GAD im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
Phobische Störungen . . . . . . . . . . . . . . 167
18.1
18.2
18.2.1
18.2.2
18.3
18.4
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva und andere Medikamente .
Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der phobischen Störungen im
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
Zwangsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
19.1
19.2
19.2.1
19.2.2
19.2.3
19.3
19.4
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andere Medikamente . . . . . . . . . . . . . . .
Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der Zwangsstörung im Kindesund Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
Posttraumatische Belastungsstörung . . . . 177
20.1
20.2
20.2.1
20.2.2
20.2.3
20.3
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . .
Andere Psychopharmaka . . . . . . . . .
Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der PTSD im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 122
. 122
. . . . . . . . . . 124
. . . . . . . . . . 124
. . . . . . . . . . 124
. . . . . . . . . . 125
14
Medikamente zur Behandlung von ADHS,
Hypersomnien und Bewegungsstörungen 127
14.1
14.2
14.3
Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Präparategruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Medikamente zur Behandlung von ADHS,
Hypersomnien und Bewegungsstörungen in
der Kinder- und Jugendpsychiatrie . . . . . . .
ADHS in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. .
Hypersomnien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bewegungsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14.3.1
14.3.2
14.3.3
14.4
. 128
. 128
.
.
.
.
.
130
130
132
132
132
III Krankheitsbilder
15
Depressive Störungen . . . . . . . . . . . . . . 135
15.1
15.2
15.3
15.4
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva und Psychotherapie . . . . . . . .
Akuttherapie mit Antidepressiva . . . . . . . . . .
Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe
mit Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ungenügende Response, Therapieresistenz
und chronische Depression . . . . . . . . . . . . .
Andere Medikamente und Verfahren zur
Depressionsbehandlung . . . . . . . . . . . . . . .
Spezielle pharmakotherapeutische
Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Depressive Episode und rezidivierende
depressive Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dysthymie und Double Depression . . . . . . . .
Minor Depression und unterschwellige
Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rezidivierende kurze depressive Episoden . . .
Atypische Depression . . . . . . . . . . . . . . . . .
Saisonal abhängige affektive Störung . . . . . .
Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Depression bei körperlichen Erkrankungen . . .
Depression und Stress. . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung depressiver Störungen im Kindesund Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15.5
15.6
15.7
15.7.1
15.7.2
15.7.3
15.7.4
15.7.5
15.7.6
15.7.7
15.7.8
15.8
15.9
15.10
136
137
140
141
143
146
147
148
149
149
149
149
149
150
150
151
152
153
16.2.4
16.3
20.4
.
.
.
.
.
.
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.
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.
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.
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157
157
157
158
. 158
. 159
. 159
. 160
.
.
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.
.
.
.
162
162
162
163
163
163
163
. . . . . . 164
. . . . . . 165
.
.
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168
168
168
169
. . . 169
. . . 170
.
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.
.
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172
172
173
173
174
. . 174
. . 175
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
178
178
178
178
179
. . . . . . 179
. . . . . . 180
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
X
Inhaltsverzeichnis
21
Akute Belastungsstörung und
Anpassungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . 181
21.1
21.2
21.3
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Behandlung der akuten Belastungsstörung
und der Anpassungsstörung im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
22
Somatoforme Störungen . . . . . . . . . . . . 185
22.1
22.1.1
22.1.2
22.1.3
22.2
22.2.1
22.4
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Andere Medikamente . . . . . . . . . . . . . . .
Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Spezifische Syndrome . . . . . . . . . . . . . . .
Somatisierungsstörung und somatoforme
autonome Funktionsstörung . . . . . . . . . .
Hypochondrische Störung . . . . . . . . . . . .
Somatoforme Schmerzstörung . . . . . . . . .
Körperdysmorphe Störung. . . . . . . . . . . .
Chronisches Müdigkeitssyndrom. . . . . . . .
Fibromyalgiesyndrom . . . . . . . . . . . . . . .
Prämenstruelles Syndrom . . . . . . . . . . . .
Colon irritabile . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der somatoformen Störung im
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
23.1
23.1.1
23.2
23.2.1
23.3
23.4
23.5
23.6
Anorexia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Therapie der Anorexia nervosa . . . . . . . . . .
Bulimia nervosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Therapie der Bulimia nervosa . . . . . . . . . . .
Binge-eating-Störung . . . . . . . . . . . . . . . .
Adipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der Essstörungen im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
24.1
24.1.1
Primäre Insomnie. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gesamtbehandlungsplan der primären
Insomnie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Therapie der primären Insomnie . . . . . . . .
Therapie der Insomnie bei psychiatrischen
Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hypersomnie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Narkolepsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schlafapnoesyndrom . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der Schlafstörungen im Kindesund Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22.2.2
22.2.3
22.2.4
22.2.5
22.2.6
22.2.7
22.2.8
22.3
24.1.2
24.1.3
24.2
24.3
24.4
24.5
24.6
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
187
187
188
188
188
25.3
25.4
Behandlung von Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
26
Sexuelle Funktionsstörungen . . . . . . . . . 215
26.1
26.2
26.3
26.4
26.5
Erektionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Vermindertes sexuelles Verlangen . . . . . . . . .
Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau
Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen . .
Gesteigertes sexuelles Verlangen und
Paraphilie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Substanzinduzierte sexuelle
Funktionsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei
sexuellen Funktionsstörungen . . . . . . . . . . .
Behandlung sexueller Funktionsstörungen
im Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26.6
26.7
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
188
188
189
189
189
190
190
190
. . 191
. . 191
.
.
.
.
.
.
195
195
196
196
197
197
. 198
. 198
. . 200
. . 201
. . 202
.
.
.
.
.
.
.
.
203
204
204
205
. . 205
. . 206
26.8
26.9
20
25
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 207
25.1
25.2
25.2.1
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 208
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Spezifische Therapie bei Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
217
218
218
219
219
27
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
27.1
27.2
27.2.1
27.2.2
27.3
27.4
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychostimulanzien und andere Medikamente
Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung von ADHS im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
Abhängigkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . 225
28.1
28.1.1
28.1.2
28.1.3
28.1.4
28.1.5
28.1.6
28.1.7
28.1.8
28.2
28.3
Suchtmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Opiate/Opioide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kokain und Amphetamin. . . . . . . . . . . . . .
Ecstasy und Eve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychotomimetika (LSD, Meskalin, Psilocybin)
Cannabis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nikotin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der Abhängigkeitsstörungen im
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
Bipolare affektive Störungen . . . . . . . . . . 235
29.1
29.2
29.2.1
29.2.2
29.2.3
29.4
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Manische Episode . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bipolare affektive Störung . . . . . . . . . . . . . .
Psychotherapie bei bipolaren affektiven
Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Behandlung der Bipolaren Störung im Kindesund Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
30.1
30.2
Gesamtbehandlungsplan . . . . . . . . . . . . . . 245
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
29.3
19
216
217
217
217
.
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222
222
222
223
223
224
227
227
229
230
231
231
232
232
232
. 233
. 234
237
237
238
238
240
241
241
XI
Inhaltsverzeichnis
30.2.1
30.2.2
30.2.3
30.2.4
30.2.5
30.2.6
Akutphase/Positivsymptomatik. . . . . . . . . . .
Negativsymptomatik . . . . . . . . . . . . . . . . .
Depressive Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . .
Kognitive Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . .
Katatone Symptomatik . . . . . . . . . . . . . . . .
Komorbide psychiatrische Störungen bei
Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30.2.7 Schizoaffektive Störungen . . . . . . . . . . . . . .
30.2.8 Schwere Depression mit psychotischen
Symptomen (»wahnhafte Depression«). . . . . .
30.2.9 Schizotype Störungen, wahnhafte Störungen,
induzierte wahnhafte Störungen . . . . . . . . . .
30.2.10 Akute vorübergehende psychotische
Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30.2.11 Langzeittherapie, ungenügende Response und
Therapieresistenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30.2.12 Psychotherapie und psychosoziale
Interventionen bei Schizophrenie . . . . . . . . .
30.3
Behandlung der Schizophrenie im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30.4
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245
246
247
247
247
247
248
249
249
253
254
Gesamtbehandlungsplan . . . . . .
Medikamentöse Therapie . . . . . .
Nichtmedikamentöse Maßnahmen
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . .
32
Bewegungsstörungen in der Psychiatrie . . 261
32.1
32.2
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Behandlung von Bewegungsstörungen im
Kindes- und Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . 263
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
32.3
.
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258
258
259
260
33
Spezielle Störungen im Kindes- und
Jugendalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
33.1
33.1.1
33.2
33.2.1
33.3
33.3.1
33.4
33.4.1
33.5
Tief greifende Entwicklungsstörungen
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Trennungsangst . . . . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Enuresis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bindungsstörungen . . . . . . . . . . . .
Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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266
267
268
268
269
269
270
270
270
IV Spezielle Aspekte der
Psychopharmakotherapie
34
Notfallpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
34.1
34.2
34.3
34.4
34.5
Psychomotorische Erregungszustände . . . . .
Delirante Syndrome . . . . . . . . . . . . . . . . .
Stuporöse Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . .
Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Psychopharmaka als Ursache psychiatrischer
Notfallsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.
.
.
.
35
Psychopharmaka in Schwangerschaft und
Stillzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
35.1
35.2
35.3
35.4
35.5
35.6
Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lithium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antikonvulsiva . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Benzodiazepine und Non-Benzodiazepinhypnotika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit . . . . 287
36.1
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
251
Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
.
.
.
.
Notfallsituationen in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Checkliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
.
.
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282
283
283
283
. . . 284
. . . 285
249
31.1
31.2
31.3
31.4
.
.
.
.
34.7
249
31
.
.
.
.
34.6
275
276
276
277
. 278
Anhang
A1
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe
und die entsprechenden Präparate. . . . . . 292
A2
Antworten zu den Checkfragen . . . . . . . . 295
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
Diagnoseverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Pharmakaverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
XIII
Abkürzungsverzeichnis
AAP
ACh
AChE
AChE-I
AD
ADHS
AKdÄ
ASP
BLIPS
BPS
BPSD
BtM
cAMP
CRH
DA
DBT
EKB
EMDR
EPS
GAD
GHRH
HEE
HPA-Achse
HKS
HWZ
IPT
KVT
MAO
MCI
NA
NO
PLMS
PTSD
RLS
rTMS
SIADH
SNRI
SSRI
atypische Antipsychotika
Acetylcholin
Acetylcholinesterase
Acetylcholinesterasehemmer
Alzheimer-Demenz
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
alkoholismusspezifische Psychotherapie
brief limited intermittend psychotic
symptoms
Borderline-Persönlichkeitsstörung
behavioral and psychological symptoms in dementia
Betäubungsmittel
zyklisches Adenosinmonophosphat
Kortikotropin-releasing-Hormon
Dopamin
dialektisch-behaviorale Therapie
Elektrokrampfbehandlung
eye movement desensitization and
reprocessing
extrapyramidalmotorische Störungen
generalisierte Angststörung
Growth-hormone-releasing-Hormon
high expressed emotions
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
hyperkinetische Störungen
Halbwertszeit
Interpersonelle Psychotherapie
kognitive Verhaltenstherapie
Monoaminoxidase
mild cognitive impairment
Noradrenalin
Stickstoffmonoxid
periodic limb movements in sleep
posttraumatische Belastungsstörung
Restless-legs-Syndrom
repetitive transkranielle Magnetstimulation
Syndrom der inadäquaten ADHSekretion
selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer
selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
TRH
TZA
UAW
VD
VT
Thyreotropin-Releasing-Hormon
trizyklische(s) Antidepressiv(um/-a)
unerwünschte Arzneimittelwirkungen
vaskuläre Demenz
Verhaltenstherapie
1
1.1 · Pharmaka
Grundlagen
1
Pharmakologische Grundlagen
–3
2
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und
Interaktionen – 11
3
Arzneimittelinformation
4
Psychopharmaka und Psychotherapie
– 21
– 29
1I
3
1.1 · Pharmaka
Pharmakologische Grundlagen
1.1
Pharmaka
–4
1.1.1
1.1.2
1.1.3
1.1.4
Pharmakologisch wirksame Stoffe – 4
Wirkstoffentwicklung – 5
Arzneimittelwirkung – 6
Therapeutischer Einsatz von Pharmaka – 8
1.2
Checkliste
– 10
1
4
Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen
1.1
Pharmaka
1
Definition
2
3
4
5
6
7
Pharmakologie ist die Lehre von den Wechselwirkungen zwischen Stoffen und Lebewesen. Ein
Stoff, der Wechselwirkungseigenschaften besitzt,
ist im Sinn der Pharmakologie ein Pharmakon.
Psychopharmaka sind solche, die auf das Zentralnervensystem wirken und psychische Funktionen
verändern. Die Anwendung von Pharmaka am
Menschen ist die Pharmakotherapie. Sie erfolgt
heute in der Regel durch Einsatz von Fertigarzneimitteln.
1.1.1 Pharmakologisch wirksame
Stoffe
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Ein Stoff ist im Sinne der Pharmakologie dann ein
Pharmakon, wenn er auf den Organismus einwirkt
(Aktories et al. 2006; Brunton 2006). Die Wirkung
kann nützlich sein, also erwünscht, und ist so für eine
therapeutische Anwendung geeignet. Sie kann aber
auch schädlich, und damit unerwünscht sein, weil sie
toxisch auf den Organismus wirkt. Mit den Stoffen mit
erwünschter Wirkung, den Arzneistoffen, befasst sich
die experimentelle und klinische Pharmakologie, mit
den schädlichen Eigenschaften von Stoffen und Wirkungen die Toxikologie. Die Unterscheidung, ob ein
Stoff nützlich oder schädlich ist, hängt wesentlich
von der Konzentration ab, in der er eingesetzt wird.
Daher ist die Bewertung, ob ein Stoff als therapeutisch
oder toxisch einzuordnen ist, nicht nur von der Qualität des Stoffes, sondern ganz wesentlich auch von seiner Quantität abhängig. Ein Pharmakon kann ein chemisch reiner Stoff sein, aber auch ein Stoffgemisch. Es
kann ein chemisch präparativ hergestellter oder einer
aus der Natur, z. B. aus Pflanzenteilen, extrahierter
Stoff sein.
Während früher die meisten Arzneimittel aus
der Natur extrahierte Stoffe waren, sind die meisten
modernen Wirkstoffe das Ergebnis einer chemischpräparativen Darstellung im Labor. Als Ausgangstoffe
werden für die Synthese Vorläuferstoffe eingesetzt, die
dann chemisch modifiziert werden. Bei der Neusynthese eines potenziellen Arzneistoffes wird zunächst
vom Hersteller ein Code generiert. Wenn sich ein Stoff
bei pharmakologischen Tests als interessanter Kandidat darstellt, wird ein Name für den Wirkstoff erzeugt.
Er wird von der WHO als Freiname festgelegt, der
dann in der wissenschaftlichen Literatur für den Wirkstoff durchgängig verwendet wird. Wenn der Wirkstoff oder eine Wirkstoffmischung von einem pharmazeutischen Unternehmen zur Zulassung gebracht
wird, wird ein gesetzlich geschützter Markenname für
das Fertigarzneimittel (s. unten) neu erzeugt.
Arzneistoffe werden so gut wie nie als reiner Stoff
verabreicht. Sie werden zusammen mit sog. Hilfsstoffen in eine für den Menschen anwendbare Arzneiform gebracht. Bis vor gut 100 Jahren wurden Arzneimittel für den individuellen Patienten ad hoc vom
Apotheker zubereitet. Letzterer war damit auch verantwortlich für die Qualität des Präparates. Die heute
bei uns therapeutisch eingesetzten Pharmaka sind in
der Regel Arzneistoffe, die pharmazeutisch-technologisch hergestellt wurden. Man spricht dann von einem
Fertigarzneimittel. Sie werden im Voraus produziert
und in einer für den Verbraucher bestimmten Form in
den Verkehr gebracht. Den Verkehr mit Arzneimitteln
regelt das Arzneimittelgesetz. Fertigarzneimittel müssen zugelassen sein. Die in Deutschland dafür zuständige Behörde ist das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM). Für die Zulassung
müssen Daten über die pharmazeutische Qualität des
Fertigarzneimittels, seine therapeutische Wirksamkeit
und seine Sicherheit vorgelegt werden.
Definition
Bezeichnung von Stoffen oder Stoffgemischen mit
pharmakologischer Wirkung:
5 Pharmakon:
– Stoff oder Stoffgemisch mit Wirkung auf ein
Lebewesen.
5 Arzneistoff :
– Pharmakon mit therapeutisch nützlicher
Wirkung.
5 Arzneimittel = Medikament:
– Arzneistoff, der technisch mit Hilfsstoffen
durch galenische Zubereitung in eine für
den Menschen anwendbare Form gebracht
wurde.
5 Arzneiform:
– Zubereitung eines Arzneimittels mit pharmazeutischen Hilfsstoffen, z. B. als Tablette,
Injektionslösung, Tropfen oder Salbe.
6
1.1 · Pharmaka
5 Fertigarzneimittel:
– Arzneimittel aus industrieller Fertigung.
5 Freiname:
– Name eines chemisch definierten Wirkstoffs,
englisch als »generic name« oder »international non-propriatary name = INN« bezeichnet
und von der WHO festgelegt.
1.1.2 Wirkstoffentwicklung
Die Entwicklung eines Arzneimittels ist zeit-, personal- und kostenaufwändig. Dies gilt auch und besonders für Psychopharmaka. Für die Behandlung psychiatrischer Erkrankungen stehen derzeit etwa 120 Wirkstoffe zur Verfügung. Fast alle innovativen Psychopharmaka sind zufällig an Patienten entdeckt worden. Meilensteine waren Chlorpromazin zur Behandlung von Psychosen, Imipramin und Iproniazid zur
Behandlung der unipolaren Depression und Lithium
zur Behandlung von bipolaren Erkrankungen. Einzig
bei Benzodiazepinen schloss man vor der Anwendung
am Menschen bereits aus tierexperimentellen Befunden, dass sie zur Behandlung von Angsterkrankungen
geeignet sein könnten. Für die notwendige Entwicklung neuer Psychopharmaka mit verbesserter Wirkung
besteht das Problem, dass es für die meisten Erkrankungen keine guten Tiermodelle gibt. Daher sind die
Folgeentwicklungen der oben genannten Meilensteinmedikamente zunächst bevorzugt durch Abwandlung der chemischen Struktur (trizyklische Antidepressiva) entstanden. Nach Aufklärung, über welche
Zielstrukturen (Rezeptoren, abbauende Enzyme oder
Transporter für Neurotransmitter) die unterschiedlichen erwünschten und unerwünschten klinischen
Wirkungen zu Stande kommen, hat man gezielt nach
rezeptorselektiven Verbindungen gesucht. So wurden
z. B. selektive Serotoninrückaufnahmehemmer entwickelt, wobei der Fortschritt der Entwicklung in der
Hauptsache in der erhöhten Sicherheit und nicht in
einer verbesserten Wirkstärke bestand.
Für die Suche nach neuen Psychopharmaka
wird heute insbesondere die technische Möglichkeit
genutzt, Rezeptoren für humane Neurotransmitter in
Zellsystemen zu exprimieren. Durch sog. Bindungsstudien kann man an den Zellsystemen prüfen, ob ein
Stoff distinkte Rezeptoren erkennt und möglichst nur
einen bestimmten Subtyp. So ist es auch möglich, eine
Aussage über die Stärke und Selektivität der Bindung
5
1
5 Markenname:
– Bezeichnung eines gesetzlich geschützten
Fertigarzneimittels eines bestimmten
Herstellers.
5 Generikum:
– Bezeichnung eines Fertigarzneimittels,
welches unter dem Freinamen (generic
name) nach Ablauf des Patentschutzes auf
dem Markt gebracht wird.
zu untersuchen. Dies ist nützlich, um die Wirkstärke und die Wirkspezifität der geprüften Verbindung
einschätzen zu können. Mit den Bindungsassays kann
eine Vielzahl von Stoffen innerhalb kurzer Zeit charakterisiert werden, um Kandidaten zu bestimmen,
die in aufwändigen Tierexperimenten geprüft werden.
Nachdem erkannt wurde, dass pharmakokinetische
Arzneimittelwechselwirkungen bei der Anwendung
von Medikamenten von erheblicher Bedeutung sind,
insbesondere mit Blick auf die Sicherheit der Medikamente, müssen seit etwa 10 Jahren auch Daten zum
pharmakokinetischen Interaktionspotenzial erhoben
werden. Dazu stehen ebenfalls In-vitro-Testsysteme
zur Verfügung. Es sind Zellsysteme oder subzelluläre Fraktionen (z. B. Mikrosomen) mit definierter
Ausstattung arzneimittelmetabolisierender Enzyme.
Aus diesen Untersuchungen wird auf Substrat- und
Hemmeigenschaften geschlossen. Wenn bekannt ist,
welche Enzyme an der Metabolisierung der Medikamente beteiligt sind, können mögliche pharmakokinetische Wechselwirkungen für die In-vivo-Situation
am Menschen relativ sicher vorhergesagt werden.
Tierexperimente, die den In-vitro-Untersuchungen folgen, liefern Hinweise auf mögliche therapeutische Anwendungen, aber auch auf die Sicherheit
der Substanzen. Bei Psychopharmakaentwicklungen
sind die Tierexperimente auch informativ bezüglich
Hirngängigkeit der Testsubstanzen.
In diesem Stadium erfolgt in der Regel die
Patentanmeldung, wobei immer einer Reihe von Verbindungen eingebracht werden, um nicht nur auf
einen Wirkstoff festgelegt zu sein, um ähnliche potenzielle Wirkstoffe zu schützen und um die Herstellung von Nachahmungspräparaten (»me-too«) zu
erschweren. Bereits vor Abschluss der tierexperimentellen Testung beginnt in der Regel die Anwendung
am Menschen, die drei Phasen unterscheidet, Phase I
bis Phase III, die vor der Zulassung durchlaufen werden müssen (Kohnen u. Beneš 2007). Weitere laufende Tierexperimente prüfen derweilen die chronische
6
1
2
3
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5
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19
20
Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen
Toxizität und Effekte auf die Reproduktion und Keimentwicklung (Teratogenitätstest).
die Kosteneffizienz geführt. Eine Phase V der Medikamentenentwicklung kann sich anschließen, wenn für
den Wirkstoff eine neue Indikation gefunden wird.
Definition
Phasen der Medikamentenentwicklung am
Menschen, die vor Beantragung einer Zulassung
durchlaufen werden müssen:
5 Phase I
Überprüfung durch klinischen Pharmakologen, ob die Daten aus den Tiermodellen
auf den Menschen übertragbar sind. Erste
Hinweise bezüglich Sicherheit und biologischer Effekte, erste Daten zur Pharmakokinetik und Metabolisierung, Erstellung von
ersten Dosierrichtlinien (10–50 Probanden,
in der Regel »healthy male subjects«, keine
Risikogruppe).
5 Phase II
Offene Prüfung der Wirksamkeit und relativen Ungefährlichkeit an einigen selektionierten Patienten durch klinischen Pharmakologen und/oder Facharzt, Hinweise auf
therapeutische Wirksamkeit, Dosisbereich,
Pharmakokinetische Daten und Metabolisierung (20–100 Patienten).
5 Phase III
Kontrollierte klinische Prüfung (bevorzugt
randomisiert, doppelblind) zum Nachweis
der Wirksamkeit und Überprüfung der
Sicherheit an vielen Patienten mit gut definierten Einschluss- und Ausschlusskriterien
durch Facharzt mit Erfahrung in klinischen
Prüfungen, (meist über 1000 Patienten).
Wenn die Entwicklungsphasen erfolgreich abgeschlossen wurden, kann die Zulassung bei der Behörde beantragt werden.
Ein Medikament wird dann zugelassen, wenn
5 das Einsatzgebiet oder der Wirkmechanismus
neu sind, wenn
5 eine verbesserte Wirksamkeit im Vergleich zur
Standardbehandlung nachgewiesen wurde, wenn
5 eine bessere Verträglichkeit gezeigt wurde, z. B.
weniger Nebenwirkungen oder wenn
5 eine neue Darreichungsform entwickelt wurde.
Nach der Markteinführung ist die Erforschung eines
Medikaments noch nicht abgeschlossen. Es folgt die
Phase IV, in der die Patienten nach den zugelassenen
Indikationen behandelt werden. Es werden seltene
Nebenwirkungen entdeckt und Erfahrungen in Langzeitstudien gesammelt, oder es werden Nachweise über
1.1.3 Arzneimittelwirkung
Dosis-Wirkungs-Beziehung
Die Wirksamkeit eines Medikaments hängt ab von der
Konzentration am Ort der Wirkung (»effective concentration«, EC). Da die Konzentration am Wirkort
in der Regel nicht messbar ist, wird die Wirkung über
die Dosis gesteuert, die sich direkt proportional zur
Konzentration verhält. Am Menschen lässt sich die
Konzentration am Wirkort allerdings aus der Dosis
nur grob abschätzen (Hiemke et al. 2005). Die Konzentrations-Wirkungs-Beziehung entspricht einer
Sättigungsfunktion. Es gibt eine untere Konzentration, bei der keine Wirkung messbar ist, und eine Konzentration, mit der ein maximaler Wirkeffekt erzielt
wird. Viele Psychopharmaka sind nicht stimulierend,
sondern inhibierend wirksam. Auch dieser Zusammenhang unterliegt einer Sättigungsfunktion. Bei
der mathematischen Beschreibung der Konzentrations- bzw. Dosiswirkungs-Beziehungen geht man
davon aus, dass das Medikament durch Aktivierung
oder Hemmung eines Rezeptors wirkt. Ein maximaler
Effekt ist dann erreicht, wenn der Rezeptor zu 100%
mit dem Medikament beladen ist. Anfangs- und Endpunkte der Konzentrations-Wirkungs-Kurven sind
oft schwierig zu bestimmen. In der Praxis bewährt
haben sich als Kenngrößen für Medikamente, Konzentrationen bzw. Dosen, bei denen 50% des maximalen Effektes erzielt werden (EC50, ED50 IC50). Diese Größen kennzeichnen die Wirkstärke von Medikamenten (s. unten »Definition«).
Bei Kindern und Jugendlichen kann nicht davon
ausgegangen werden, dass ähnliche Dosierung wie
im Erwachsenenalter zu ähnlichen Wirkungen führen. Deshalb müssen entwicklungsabhängige physiologische und psychopathologischen Besonderheiten
berücksichtigt werden (7 Kap. 2; Schulz u. Fleischhaker 2005).
7
1.1 · Pharmaka
Definition
Definition
Die pharmakologische Wirkung eines Pharmakons
hängt ab von der Konzentration am Wirkort. Die
Konzentration am Wirkort ist proportional mit der
Dosis. Es gibt charakteristische Kenngrößen, die
die Wirkstärke eines Medikaments beschreiben:
5 EC50: Konzentration des Wirkstoffs, mit der
50% des maximalen Effektes erzielt wird.
5 IC50: Konzentration des Wirkstoffs, mit der
der Effekt um 50% gehemmt wird.
5 ED50: Dosis, mit der 50% des maximalen
Effektes erreicht wird.
Die toxische Wirkung eines Pharmakons hängt ab
von der Konzentration am Wirkort. Die Konzentration am Wirkort ist proportional mit der Dosis. Es
gibt charakteristische Kenngrößen, die die Wirkstärke eines Medikaments beschreiben:
5 LD50: Dosis des Wirkstoffs, bei der 50% der
behandelten Tiere sterben.
5 Therapeutische Breite: Quotient von
LD50/ED50.
5 Therapeutischer Index: Quotient von LD5/
ED95, d. h. das Verhältnis der Dosis, bei der
5% der Versuchstiere sterben zur Dosis, bei
der 95% des therapeutischen Effektes erzielt
werden.
Therapeutische Breite
Jeder Stoff, der mit dem Organismus Mensch in
Wechselwirkung steht und von therapeutischem Nutzen ist, kann auch schädigend, also toxisch, wirken.
Dies ist seit langer Zeit bekannt und wurde durch
den Arzt und Philosophen Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493–
1541), formuliert in dem Satz: »Alle Ding’ sind Gift
und nicht ohn’ Gift; allein die Dosis macht, dass ein
Ding kein Gift ist.« Entsprechend ist sogar das lebensnotwendige Wasser bei Überdosierung toxisch, weil
es zu Elektrolytentgleisungen führt. Daher müssen
bei der Anwendung eines Medikaments immer auch
die unerwünschten und toxischen Effekte beschrieben werden. Toxische Wirkungen gehorchen wie die
therapeutischen einer Sättigungsfunktion. Für Medikamente wird angestrebt, dass toxische Wirkungen
möglichst bei deutlich höheren Konzentrationen auftreten als therapeutische. Eine in der Entwicklung von
Medikamenten seit langem etablierte Methode ist die
Bestimmung der Letaldosis (LD). Die mittlere Dosis,
bei der 50% der Tiere nach einer Behandlung sterben,
ist die sog. LD50.
1
Als Kenngrößen, die die Sicherheit eines Wirkstoffs
beschreiben, haben sich die Größen therapeutische
Breite und therapeutischer Index bewährt, Quotienten,
die aus Kenngrößen zur therapeutischen Wirkstärke
und zur toxischen Wirkung gebildet werden (s. oben
»Definition«). Bei modernen Arzneistoffen wird ein
therapeutischer Index von mindestens 1000 angestrebt.
Toleranzbildung
5 Bei wiederholter Einnahme eines Medikaments
kann es durch adaptive Veränderungen zu einer
Abschwächung der Wirkstärke kommen. Um
wieder den gleichen Effekt zu erzielen wie zuvor,
muss die Dosis gesteigert werden. Dieses Phänomen wird als Entwicklung einer Toleranz
bezeichnet. Sie ist reversibel und kehrt nach
Absetzen des Medikaments wieder auf die Ausgangswirkstärke zurück. Toleranz kann durch
unterschiedliche Mechanismen zu Stande kommen. In einem Fall wird durch eine verstärkte
Synthese des inaktivierenden Enzyms (Enzyminduktion) der Abbau des Wirkstoffs beschleunigt.
Es steht dann für die Wirkung pro Zeiteinheit
weniger Substanz zur Verfügung. Diese Art von
Toleranz wird als pharmakokinetische Toleranz
bezeichnet. Sie besteht z. B. für das Antikonvulsivum Carbamazepin, eine Substanz, die auch für
die Behandlung bipolarer Störungen eingesetzt
wird (7 Kap. 29). Es ist daher 2–3 Wochen nach
Ersteinstellung auf Carbamazepin notwendig,
die Dosis heraufzusetzen. Die Entwicklung einer
pharmakokinetischen Toleranz kann sich auch
auf die Wirkung anderer Medikamente auswirken, wenn diese vom induzierten Enzym abge-
8
1
2
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4
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19
20
Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen
baut werden. So kann z. B. durch Einnahme von
Johanniskraut durch den Inhaltsstoff Hyperforin
ein Enzym der Cytochrom-P450 (CYP)-Familie induziert werden und den Abbau des Immunsuppressivums Cyclosporin A induzieren. Es gibt
Berichte von organtransplantierten Patienten, bei
denen es durch die Kombination mit Johanniskraut zu Abstoßungsreaktionen kam. Von einer
pharmakodynamischen Toleranz spricht man,
wenn der Rezeptor, über den das Medikament
wirkt, herunterreguliert wird und damit unempfindlicher reagiert. Dieser Effekt wird v. a. dann
beobachtet, wenn das Medikament stimulierend,
also agonistisch wirkt. Pharmakodynamische
Toleranz ist ausgeprägt bei Einnahme von Opioiden, wie Morphin oder Heroin. Sie ist auch möglich beim Einsatz von Benzodiazepinen. Bei therapeutischem Einsatz von Benzodiazepinen zur
Anxiolyse entwickelt sie sich in der Regel nicht.
Entsprechend ist keine Dosissteigerung notwendig (7 Kap. 8). Bei hypnotischer oder muskelrelaxierender Wirkung ist eher eine Dosissteigerung
bei wiederholter Gabe notwendig. Gegenüber
Antidepressiva oder Antipsychotika entwickelt
sich keine pharmakodynamische Toleranz.
1.1.4 Therapeutischer Einsatz von
Wichtig
Um ein bestmögliches Therapieansprechen zu erreichen und das Risiko des Auftretens von Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, sind vor
Beginn der Behandlung mit einem Psychopharmakon folgende Einzelheiten zu beachten:
5 Diagnosestellung;
5 Schweregrad der Erkrankung;
5 Dauer der Erkrankung;
5 Medikamentöse Vorbehandlungen;
5 Besonderheiten, die sich auf die Pharmakokinetik auswirken, z. B. eingeschränkte
Nierenfunktion oder hohes Alter;
5 Besonderheiten, die sich auf die Pharmakodynamik auswirken, z. B. Begleiterkrankungen oder hohes Alter;
5 Suchtanamnese;
5 Wirkprofil des Psychopharmakons;
5 Nebenwirkungen und Kontraindikationen
des Psychopharmakons;
5 mögliche Wechselwirkungen des Psychopharmakons mit anderen Medikamenten;
5 Aufklärung und Information des Patienten über Dosis, Wirkung und mögliche
Nebenwirkungen, bei Bedarf Hinweis auf
Wechselwirkung mit anderen Medikamenten
einschließlich Alkohol oder anderen Stoffen.
Pharmaka
Die Behandlung mit einem Pharmakon nennt man
Pharmakotherapie, die mit einem Psychopharmakon entsprechend Psychopharmakotherapie. Es ist zu
unterscheiden zwischen
5 Akuttherapie,
5 Erhaltungstherapie,
5 Langzeittherapie/Rezidivprophylaxe.
Akuttherapie
Eine Akuttherapie hat das Ziel, bestehende Krankheitssymptome zu heilen oder zu lindern. Eine Akutbehandlung mit einem Psychopharmakon setzt
voraus, dass eine Indikation besteht. Die Psychopharmakotherapie ist Teil eines Gesamtbehandlungsplans,
der auch andere Therapieformen einschließt, wie
Gespräche, Psychotherapie oder sozialpsychiatrische
und physikalische Maßnahmen (Benkert u. Hippius
2007).
Wenn eine Indikation für eine Behandlung mit einem
Psychopharmakon besteht, dann ist es das Ziel der
Behandlung für den Patienten den bestmöglichen
Funktionszustand – möglichst eine Remission – zu
erreichen. Ob letzteres erreichbar ist, hängt von der
Erkrankung und den individuellen Gegebenheiten des
Patienten ab. Bei einem Patienten mit einer Demenz
bei einer Alzheimer-Krankheit ist mit den derzeitig
verfügbaren Medikamenten selten mehr als eine Stabilisierung oder Verlangsamung des Verlaufs zu erreichen, während bei einem Patienten mit einer Depression eine vollständige Remission möglich ist. Bei den
meisten psychiatrischen Erkrankungen, so bei der
Behandlung depressiver oder schizophrener Erkrankungen, tritt eine klinisch relevante Besserung erst
mit einer Verzögerung von Wochen bis Monaten ein.
Es kommt oft vor, dass eine geplante medikamentöse Behandlung nicht oder unzureichend wirksam
ist und eine Änderung der Behandlung erforderlich
ist (. Abb. 1.1). Daher ist es wichtig, den Verlauf der
Behandlungen klinisch regelmäßig zu überprüfen. Bei
der Behandlung depressiver (Szegedi et al. 2003) und
schizophrener (Leucht et al. 2007) Patienten wurde
9
1.1 · Pharmaka
Patient, krank
Vorgeschichte
Diagnose
Symptome
Auswahl des Medikamentes und der Dosierung
Klinische Symptome
Änderung der Dosierung,
Wechsel der Medikation
Besserung,
Response
Klinische Symptome
Besserung,
Response
1
. Abb. 1.1. Schematische Darstellung des Verlaufs einer Psychopharmakotherapie. Ziel der
Behandlung ist das Erreichen einer Remission.
Wenn eine Remission nicht erzielt werden kann,
ist die Einstellung des bestmöglichen Funktionszustands das Behandlungsziel. Nach Feststellung
der Diagnose und des Schweregrads der Erkrankung und ihrer Vorgeschichte mit früheren Behandlungen (Medikation und Ansprechen bzw. Nichtansprechen) werden die Medikation und die Zieldosis
festgelegt. Die Besserung wird durch regelmäßige
klinische Kontrollen überwacht. Bei fehlender oder
unzureichender Besserung wird eine Änderung
der Dosierung oder Wechsel der Medikation vorgenommen. Oftmals ist die Behandlung mit einem
Medikament nicht ausreichend
Patient, remittiert
in den vergangen Jahren festgestellt, dass das spätere
Ansprechen oder Nichtansprechen schon zu einem
relativ frühen Zeitpunkt, nämlich 2 Wochen nach
Therapiebeginn durch eine frühere Besserung vorhergesagt werden kann. Daher ist für diese Patienten eine
objektive Symptomerfassung sinnvoll und offenbar
auch eine frühere Anpassung der medikamentösen
Therapie als bisher üblich.
Erhaltungstherapie und Langzeittherapie/
Rezidivprophylaxe
Psychiatrische Erkrankungen erfordern oft eine Therapie über Monate, oft auch Jahre (z. B. 7 Abschn. 15.4).
Während durch die Erhaltungstherapie in den ersten
4–6 Monaten versucht wird, das Wiederauftreten der
Symptome durch fortgesetzte medikamentöse Therapie zu verhindern, soll die Langzeittherapie bzw. die
Rezidivprophylaxe einen möglichst überdauernden,
oft lebenslangen Schutz bieten. Das Ziel der Rezidivprophylaxe ist das Verhindern von neuen möglichen
Phasen bei einer unipolaren oder bipolaren Depression oder bei einer in Schüben auftretenden Schizophrenie. Mit Ausnahme einer Behandlung mit Lithium sind die Dosen für die Erhaltungstherapien oftmals gleich hoch wie die bei der Akutbehandlung. In
der Langzeittherapie kann der Versuch einer minimal
effektiven Dosis versucht werden.
In Phasen der Erhaltungs- und Langzeittherapie ist eine regelmäßige klinische Überwachung der
Pharmakotherapie notwendig, um das Risiko des Auftretens von Rückfällen zu verringern. Die ärztliche
Überwachung beinhaltet auch regelmäßige Kontrollen von Laborparametern (Benkert u. Hippius 2007)
und ggf. auch die Messung von Medikamentenspiegeln im Blut (Hiemke et al. 2005), bei Lithium insbesondere aus Gründen der Sicherheit. Bei anderen Psychopharmaka ist eine Blutspiegeluntersuchung während der Erhaltungstherapiephase angezeigt, wenn
eine Symptomverschlechterung beobachtet wird. Die
Wirksamkeit einer antipsychotischen oder antidepressiven Behandlung lässt in der Regel nicht nach,
weil die Medikamente nicht mehr wirken, also eine
pharmakodynamische Toleranz eintritt, sondern weil
die Medikamente nicht mehr eingenommen werden.
Daher sollten Patienten, die an einer Depression, Schizophrenie oder bipolaren Störung leiden, nachdrücklich darin bestärkt werden, ihre Medikamente kontinuierlich einzunehmen.
10
Kapitel 1 · Pharmakologische Grundlagen
1.2
Checkliste
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20
Was versteht man unter dem Begriff Arzneimittel?
Was versteht man unter einem Fertigarzneimittel?
Was bedeutet der Begriff »therapeutische
Breite«?
Welche Art von Untersuchung wird in der
Phase III angestellt?
Was versteht man unter pharmakokinetischer Toleranz?
Bei welchen Psychopharmaka besteht kein
Risiko der Entwicklung einer pharmakodynamischen Toleranz?
Welche Aspekte müssen vor Einstellung auf
ein Psychopharmakon beachtet werden?
Warum ist bei vielen Patienten nach Ansprechen auf die Akuttherapie eine Weiterführung der medikamentösen Einstellung
notwendig?
Warum scheint es bei der Behandlung mit
einem Antidepressivum sinnvoll, den Verlauf
der Besserung in einer frühen Phase durch
objektive Symptomerfassung zu analysieren?
2
11
2.1 ·
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik
und Interaktionen
2.1
Pharmakokinetik und - dynamik im Zusammenspiel
2.2
Pharmakokinetik
2.2.1
Pharmakokinetische Phasen
2.3
Pharmakodynamik
2.4
Arzneimittelwechselwirkungen
2.5
Therapeutisches Drug-Monitoring
2.6
Checkliste
– 20
– 13
– 14
– 16
– 18
– 19
– 12
1
2
3
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Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen
2.1
Pharmakokinetik und
- dynamik im Zusammenspiel
Definition
Der Begriff der Pharmakokinetik umfasst die
Absorption, Distribution, Metabolisierung und
Exkretion von Pharmaka. Die Pharmakodynamik
beschreibt die Wirkungen der Pharmaka auf den
Organismus und deren Wirkmechanismen. Pharmakokinetik und Pharmakodynamik eines Medikamentes können bei Patienten sehr variabel sein.
Ursache hierfür kann eine unterschiedliche genetische Ausstattung mit Arzneimittel abbauenden
Enzymen oder mit unterschiedlichen Wirkrezeptoren sein. Bei Kombination von Medikamenten
kann es zu pharmakokinetischen oder pharmakodynamischen Wechselwirkungen kommen, die
beachtet werden müssen.
Die meisten Psychopharmaka werden oral verabreicht. Nach der Einnahme werden sie vom Körper
aufgenommen (Absorption), über den Blutstrom verteilt (Distribution) und gelangen so an ihren Wirkort.
11
Applikation
12
Absorption
13
Distribution
Metabolisierung
Akkumulation
14
Rezeptor-Bindung
15
16
Durch Bindung an »Rezeptoren« entfalten sie ihre
Wirkungen, erwünschte ebenso wie unerwünschte.
Die Wirkungen werden in der Regel durch Abbau der
Medikamente (Metabolisierung) und anschließende
Ausscheidung (Exkretion) über die Niere oder die
Galle beendet. Dieser als Pharmakokinetik bezeichnete Vorgang steht im Zusammenspiel mit der Pharmakodynamik, der Wirkung von Pharmaka auf den
Organismus. Um einen pharmakologischen Effekt
zu erzielen, wird ein Medikament in der Regel nicht
direkt an den Ort der Wirkung appliziert. In den meisten Fällen wird es appliziert und erreicht dann über
die Blutbahn den Wirkort (. Abb. 2.1). Welche Konzentration ankommt, hängt von der Dosis, aber darüber hinaus von den Gegebenheiten des Organismus
ab. Das Medikament muss Barrieren überwinden,
den First-pass-Effekt in der Leber überstehen und im
Körper verteilt werden. Erst dann bindet es an seinen
Zielrezeptor und entfaltet seine Wirkungen. Die Bindung an den Rezeptor ist nicht dauerhaft anhaltend.
Das Medikament löst sich wieder vom Rezeptor und
wird schließlich unverändert oder nach Biotransformation über die verfügbaren Wege ausgeschieden, im
Wesentlichen über Niere und Galle.
erwünschte und
unerwünschte
Wirkungen
Metabolisierung
Exkretion
17
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19
20
. Abb. 2.1. Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. Ein
Stoff tritt mit einem Individuum in Kontakt, indem er z. B.
geschluckt oder injiziert wird (Applikation). Wenn er geschluckt
wird, wird er im Magen-Darm-Trakt in die Blutbahn aufgenommen (Absorption). Mit dem Blutstrom wird er verteilt (Distribution) und gelangt dann entweder mit oder ohne chemische
Umwandlung (Metabolisierung) an seine Zielstruktur (Rezeptorbindung). Über einen Rezeptor im weiteren Sinne entfaltet
das Pharmakon seine Wirkung unmittelbar oder zeitlich verzögert. Manche Arzneimittel werden im Gewebe gespeichert
(Akkumulation), z. B. in Gehirn oder Fettgewebe, und verzögert wieder freigesetzt und verteilt. Pharmaka und ihre Metaboliten werden entweder unverändert oder nach Metabolisierung ausgeschieden (Exkretion). Metabolisierung und Exkretion zusammengenommen werden als Elimination bezeichnet. Absorption, Distribution, Metabolisierung und Exkretion
(ADME) sind die wesentlichen Prozesse der Pharmakokinetik,
über die der Organismus auf den Fremdstoff wirkt. Prozesse,
über die der Stoff auf den Organismus wirkt, gehören zur Pharmakodynamik
13
2.2 · Pharmakokinetik
Pharmakokinetische Prozesse bestimmen wesentlich Intensität und Dauer von pharmakodynamischen
Prozessen. Eine seltene aber häufig gefürchtete Veränderung ist bei Dauermedikation die Entwicklung
einer Toleranz. Sie ist in der Praxis für Benzodiazepine, Psychostimulanzien oder Opiate bedeutsam. Bei
Kombination von Medikamenten kann es zu pharmakokinetischen oder pharmakodynamsichen Wechselwirkungen kommen, die beachtet werden müssen.
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie muss auch
der jeweilige Entwicklungsstand des Kindes bzw. Adoleszenten bei der Behandlung mit Psychopharmaka
berücksichtigt werden. Dabei werden entwicklungsabhängige physiologische und psychopathologische
Besonderheiten berücksichtigt. Sowohl die Pharmakokinetik als auch die Pharamkodynamik unterliegen von der Neonatalperiode, über das Kindesalter
und die Pubertät hinweg bis hinein in die Adoleszenz,
bedeutenden Entwicklungsprozessen. Unter Zugrundelegen von Plasmaspiegelbestimmmungen ist für die
psychotropen Substanzen eine deutliche Altersabhängigkeit der auf die Medikamtendosis bezogenen Plasmakonzentrationen dokumentiert. Ursachen hierfür sind u. a. Veränderungen der Hormone, des autonomen Nervensystems, der Fettmasse und der Proteinbindung. Zusätzlich bestehen noch alterstypische
Veränderungen im ZNS, wie z. B. unterschiedliche
Rezeptordichten und -affinitäten (Schulz u. Fleischhaker 2005).
2.2
Pharmakokinetik
Die Pharmakokinetik beschreibt und erklärt insbesondere den zeitlichen Konzentrationsverlauf der
Medikamente und ihrer Metabolite in Flüssigkeiten
und Geweben des Körpers. Medikamente und so auch
Psychopharmaka werden vom Organismus in der
Regel als Fremdstoffe erkannt. Viele Mechanismen
sorgen dafür, dass unser Körper mit diesen Fremdstoffen nicht oder nur wenig belastet wird. Psychopharmaka müssen nach meist oraler Einnahme im
Magen oder Darm freigesetzt werden (Liberation).
Während der Passage durch den Magen-Darm-Trakt
werden sie aufgenommen (Absorption). In der Leber
werden sie chemisch modifiziert (Metabolismus) und
schließlich während der Verteilung im Körper (Distribution) die Blut-Hirn-Schranke überwinden, um
im Gehirn wirksam zu werden, bevor sie dann wieder ausgeschieden werden (Exkretion). Absorption,
Distribution, Metabolisierung und Exkretion werden
unter der Abkürzung ADME zusammengefasst.
2
Definition
Die drei wichtigsten physiologischen Variablen,
die den zeitabhängigen Verlauf der Arzneimittelkonzentrationen im Blut bestimmen, sind
5 Bioverfügbarkeit (F) Anteil des applizierten
Medikamentes, welcher den Wirkort erreicht.
5 Verteilungsvolumen (V) Quotient der
Pharmakonkonzentration im Körper zur
Konzentration im Plasma.
5 Clearance (CL) Blut- oder Plasmavolumen,
aus dem ein Pharmakon in einer definierten
Zeit eliminiert wird.
Für die Praxis ist außerdem relevant:
5 Eliminationshalbwertszeit (t1/2) Zeit, innerhalb derer die Konzentration des Pharmakons im Plasma um die Hälfte abnimmt.
Bioverfügbarkeit
Unter Bioverfügbarkeit (F) wird die Verfügbarkeit
eines Pharmakons für systemische Wirkungen verstanden. Nach dieser Definition ist ein Pharmakon
nach i.v.-Gabe zu 100% bioverfügbar. Aus dem Vergleich der Flächen unter den Konzentrations-ZeitKurven nach intravenöser und extravasaler Gabe
errechnet sich die relative Bioverfügbarkeit. Für die
meisten Psychopharmaka liegt sie über 50%. Sie kann
jedoch nach oraler Einnahme bei der ersten Passage
durch die Leber individuell sehr unterschiedlich sein
und durch enzymatischen Abbau erheblich eingeschränkt werden, durch den sog. First-pass-Effekt. Bei
eingeschränkter Leberfunktion oder im Alter kann
die Bioverfügbarkeit erhöht sein.
Verteilungsvolumen
Das Verteilungsvolumen (V) ist ein Maß für die Verteilung der Plasmakonzentration (C) und der im
Organismus vorhandenen Gesamtmenge (M) des
Pharmakons:
V = M/C
Die meisten Psychopharmaka weisen wegen ihrer
guten Fettlöslichkeit hohe Verteilungsvolumina auf.
Für Amitriptylin beträgt z. B. das Verteilungsvolumen
15 l/kg. Daraus ist abzulesen, dass Amitriptylin bevorzugt im Gewebe gebunden wird. Aus dem Verteilungsvolumen kann allerdings nicht geschlossen werden, wie hoch die Konzentrationen im Gehirn oder in
anderen Organen sind.
14
Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen
Clearance
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14
Die Clearance ist ein Maß für die Fähigkeit des Organismus, ein Pharmakon zu eliminieren. Die Clearance
umfasst die Exkretionsleistung der Niere und andere
Prozesse, etwa die Metabolisierung in der Leber oder
die Ausscheidung über die Galle. Die totale Clearance
(CL) ist die Summe aus renaler Clearance (CLR) und
extrarenaler Clearance (CLNR) und lässt sich nach
i.v.-Gabe einer Einzeldosis eines Medikaments durch
Messung der Plasmakonzentrationen nach folgender
Beziehung ermitteln:
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20
Css = (F×D)/τ×1/CL
CL = M/AUC
Dabei ist M die in den systemischen Kreislauf
gelangte Menge des Pharmakons und AUC die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve. In der Praxis wird die Clearance unter Einbeziehung der Bioverfügbarkeit (F) berechnet:
CL = F × Dosis/AUC
Eliminationshalbwertszeit
Die Eliminationshalbwertszeit (t1/2), auch terminale
oder dominierende Halbwertszeit genannt, gibt die
Zeit an, in der die Konzentration des Medikaments
im Plasma um die Hälfte abgenommen hat. Die Eliminationshalbwertszeit ergibt sich aus dem zeitlichen
Verlauf der Konzentration im Plasma nach Abschluss
einer Verteilungsphase aus der Eliminationskonstante ke:
ke = ln2/t1/2
demnach ist:
t1/2 = ln2/ke = 0,693/ke
Gleichgewichtszustand (Steady State)
15
Tages zu hohe toxische oder zu niedrige unwirksame
Konzentrationen eingestellt werden. Die Amplitude
ist abhängig von der Halbwertszeit und vom Verteilungsvolumen.
Die im Steady State zu erwartende mittlere Plasmakonzentration (Css) eines Medikaments lässt sich
aus den pharmakokinetischen Kenndaten Bioverfügbarkeit (F), Clearance (CL) sowie der Dosis (D) und
dem Dosierungsintervall (τ) berechnen:
Bei Kenntnis der pharmakokinetischen Kenngrößen
lässt sich der zeitliche Verlauf einer Medikamentenkonzentration im Blut berechnen. Ist der therapeutische Bereich bekannt, so lassen sich daraus die für
eine Wirkung notwendige Dosis und die Wirkdauer ermitteln. Dies ist für eine Einmalgabe möglich.
Noch wichtiger als Berechnungen nach Einmaldosen
sind in der Psychiatrie pharmakokinetische Berechnungen für wiederholte Dosierungen, da die meisten
Psychopharmaka über lange Zeiträume verabreicht
werden. Nach etwa 5 Halbwertszeiten eines Medikaments wird ein Gleichgewichtszustand (Steady State)
erreicht. Auch in dieser Phase sind die Konzentrationen im Blut nicht konstant, sondern mehr oder
weniger fluktuierend. Fluktuationen können für den
Patienten problematisch sein, wenn im Verlauf des
2.2.1 Pharmakokinetische Phasen
Die meisten Psychopharmaka werden oral als Tabletten eingenommen. Bei dieser Darreichungsform kann
die Freisetzung (Liberation) für die Pharmakokinetik
bedeutsam sein, während sie bei i.v.- oder i.m.-Gabe in
der Regel keine Rolle spielt, da das Medikament nach
der Verabreichung zu 100% verfügbar ist. Tablettenformulierungen können den Verlauf der Konzentrationen im Blut und, daraus resultierend, auch den Wirkeintritt und die Wirkdauer beeinflussen. Bei Darreichung der Wirksubstanz als Lösung ist die orale Verfügbarkeit rasch, da das Medikament vor der Resorption nicht gelöst werden muss.
Es gibt auch retardierte Psychopharmakapräparate, z. B. von Clomipramin oder Venlafaxin, bei
denen durch galenische Zubereitung eine langsame
Freisetzung des Wirkstoffs erreicht wurde. Dies kann
bei Substanzen mit kurzer Halbwertszeit (<4 h) vorteilhaft sein; es muss dann weniger oft dosiert werden
als bei Gabe einer nichtretardierten Form.
Eine weitere Möglichkeit, die Freisetzung eines
Medikaments zu verzögern und lange Zeit anhaltende,
wirksame Konzentrationen im Blut aufzubauen, ist
die Verwendung von chemisch gebundenen Depotpräparaten (z. B. Haloperidol- oder Fluphenazindekanoat). Bei diesen Depotpräparaten sind Antipsychotika mit Dekansäure oder anderen langkettigen Fettsäuren über eine obligate Hydroxygruppe verestert. Nach
Gabe des Depots wird die Esterbindung enzymatisch gespalten. Dadurch wird eine über 1–4 Wochen
anhaltende Wirkung erreicht. Depotformen, die als
Erhaltungstherapie oder für die Rezidivprophylaxe in
der Psychopharmakotherapie sehr sinnvoll sein können, dürfen aber nur angewandt werden, wenn vorher
die Verträglichkeit und Wirksamkeit der oralen Therapie gesichert wurden.
2.2 · Pharmakokinetik
Absorption
Die erste pharmakokinetische Phase im engeren Sinne
ist die Absorption. Bei einem oral eingenommenen
Psychopharmakon ist dies die enterale Resorption.
Diese hängt ab von der Molekülgröße und von physikochemischen Eigenschaften des Pharmakons, insbesondere Ionisierbarkeit und Fettlöslichkeit. Die meisten Psychopharmaka passieren die Magen-DarmWand und müssen dabei, ebenso wie bei der späteren Wanderung zum Erfolgsorgan, viele biologische
Membranen überwinden.
Distribution
Nachdem Psychopharmaka in die systemische Zirkulation gelangt sind, werden sie mit dem Blutstrom
im Körper verteilt. Im Blut werden die meisten Psychopharmaka nicht frei, sondern an Proteine gebunden transportiert. Das Gehirn ist gut durchblutet,
und ein dichtes Netzwerk feinster Kapillaren sorgt
für einen raschen Stoffaustausch zwischen Blut- und
Hirnmilieu (Graff u. Pollack 2004). Die meisten Psychopharmaka sind lipophil, daher gelangen sie rasch
in ihr Zielgewebe, wahrscheinlich über passive Diffusion. Der Übertritt in das Zentralnervensystem ist
allerdings erschwert, da das Gehirn durch sehr effektive Barrieren – die Blut-Hirn-Schranke und die BlutLiquor-Schranke – vor dem Eindringen von Fremdstoffen geschützt ist.
Metabolisierung
Bis auf wenige Ausnahmen, z. B. Lithium oder Amisulprid, die im Wesentlichen unverändert über die
Niere ausgeschieden werden, werden die meisten
Psychopharmaka umfangreich metabolisiert. Dabei
werden Phase-I- und Phase-II-Reaktionen durchlaufen. Wichtigster Ort der Metabolisierung ist die
Leber.
In Phase-I werden die meist lipophilen Psychopharmaka chemisch »funktionalisiert«, indem z. B.
eine Hydroxylgruppe eingeführt oder eine Sauerstoffgruppe freigesetzt wird. In der Leber können auch
Metabolite entstehen, die pharmakologisch aktiv sind.
Es gibt auch sog. Prodrugs, bei denen die Muttersubstanz nur eine Vorstufe darstellt, die durch Metabolisierung in der Leber aktiviert werden. So werden
aus dem pharmakologisch inaktiven Amitriptylin-NOxid die aktiven Metabolite Amitriptylin und Nortriptylin.
Durch Phase-I-Reaktionen werden Psychopharmaka in der Regel hydrophiler, sind aber oft noch
nicht nierengängig und damit ausscheidbar. Phase-IReaktionen sind häufig die Vorbereitung für Phase-IIReaktionen, bei denen Moleküle konjugiert werden.
15
2
Psychotrope Medikamente, die eine geeignete funktionelle Gruppe für eine Konjugationsreaktion besitzen, gehen in der Regel ohne Umweg über eine PhaseI-Reaktion in eine Phase-II-Reaktion, so z. B. Oxazepam oder Lorazepam durch O-Glucuronidierung.
Eine besonders wichtige Phase der Metabolisierung ist die bereits erwähnte erste Passage durch die
Leber, der sog. First-pass-Effekt. Über den Pfortaderkreislauf fluten aus dem Darm hohe Konzentrationen
der Medikamente an. Wenn das Medikament über
Enzyme abgebaut wird, die in der Leber in großer
Menge vorhanden sind, kann dies zu einer sehr effektiven Elimination und damit einer geringen systemischen Bioverfügbarkeit führen.
Am Abbau von Psychopharmaka sind zahlreiche
Enzyme beteiligt:
5 Enzyme der Cytochrom-P450-Familie,
5 Aldehydoxidasen,
5 Alkoholdehydrogenasen,
5 Epoxidhydrolasen,
5 Esterasen,
5 Flavinmonooxygenasen oder Monooxygenasen
bei Phase-I-Reaktionen und
5 UDP-Glucuronyltransferasen, Sulfotransferasen
oder Katechol-O-Methyltransferase bei Phase-IIReaktionen.
Von besonderer Relevanz für den Metabolismus von
Psychopharmaka sind Isoenzyme von Cytochrom-P450
(CYP), die insgesamt eine große Familie von Enzymen darstellen (Ingelman-Sundberg 2004). Mittlerweile sind mehr als 1000 verschiedene Gene im Tierund Pflanzenreich bekannt, die für distinkte CYP-Isoenzyme kodieren. Der Mensch besitzt 39 funktionelle
Isoenzyme (Nelson et al. 2004). Die Enzyme der CYPFamilie sind nicht nur für den Ab- und Umbau von
Fremdstoffen, sondern auch für die Verwertung und
den Metabolismus von fettlöslichen physiologischen
Substraten verantwortlich. Die einzelnen Isoenzyme
werden CYP-Familien (arabische Ziffern) und -Unterfamilien (großer Buchstabe) zugeordnet. Am Abbau
von Psychopharmaka sind im Wesentlichen die Isoenzyme CYP1A2, CYP2C9, CYP2C19, CYP3A4,
CYP2D6 beteiligt. Sie werden zu 90–95% in der Leber
exprimiert. Das in der menschlichen Leber am stärksten exprimierte Isoenzym ist CYP3A4. Es macht
im Durchschnitt 30% der CYP-Isoenzyme aus. Die
Expression der einzelnen CYP-Isoenzyme kann interund intraindividuell stark variieren. Dies hängt einerseits von der genetischen Ausstattung (Genotyp) des
Patienten ab (Kirchheiner et al. 2005), variiert aber
auch in Abhängigkeit von Alter, Lebensgewohnheiten,
Erkrankung, Medikation oder anderen Faktoren. Rau-
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20
Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen
cher können z. B. eine höhere CYP1A2-Aktivität in
der Leber aufweisen als Nichtraucher.
Die meisten Psychopharmaka werden von mehr
als einem Isoenzym abgebaut, denn CYP-Enzyme
besitzen eine breite und überlappende Substratspezifität, und die Rolle der einzelnen Isoenzyme kann mit
der Konzentration variieren. Es gibt allerdings auch
Medikamente, die so gut wie ausschließlich über ein
einziges Isoenzym abgebaut werden, z. B. Nortriptylin über CYP2D6.
Wichtig
Alle Psychopharmaka, die Substrate von CYP-Isoenzymen sind, sind auch mögliche Inhibitoren dieser Enzyme und können so pharmakokinetische
Arzneimittelwechselwirkungen verursachen. Einige neue Antidepressiva sind hochpotente Inhibitoren von CYP-Enzymen. Fluvoxamin hemmt z. B.
CYP1A2 und CYP2C19 und Fluoxetin und Paroxetin hemmen CYP2D6. Diese Antidepressiva sind
daher bei gleichzeitiger Anwendung mehrerer
Medikamente vorsichtig einzusetzen.
Alle Enzyme, die an der Metabolisierung von Psychopharmaka oder anderen Fremdstoffen beteiligt sind,
werden genetisch und epigenetisch reguliert. Da die
Umwelt sehr variabel ist, ist es nicht erstaunlich, dass
sich im Verlauf der Evolution viele fremdstoffmetabolisierende Enzyme entwickelt haben und eine hohe
genetische Variabilität in der Ausstattung der Leber
mit diesen Enzymen vorliegt (Evans u. Relling 1999).
Genetische Unterschiede sind daher eine Ursache für
die hohe interindividuelle Variabilität, die sich für
Plasmakonzentrationen verschiedener Patienten bei
gleicher Dosis findet, und letztendlich auch ein Grund
für die Heterogenität im Ansprechen auf Psychopharmaka oder andere Medikamente. Kommen genetische
Varianten in einer Häufigkeit von mindestens 1% in
der Population vor, so spricht man definitionsgemäß
von einem genetischen Polymorphismus. Als klinisch
relevant wird er für ein Medikament dann angesehen,
wenn mindestens 30% der Dosis durch das betreffende Enzym metabolisiert werden (Griese et al. 1998).
Exkretion
Die Ausscheidung oder Exkretion umfasst alle Prozesse, durch die Fremdstoffe und ihre Metabolite nach
außen befördert werden. Ausscheidungsorgane sind
die Niere, die Leber im Verbund mit der Galle, die
Lunge, die Haut und der Speichel. Für mehr als 90%
der Psychopharmaka stellt die Niere das Hauptexkretionsorgan dar. An der renalen und biliären Exkreti-
on sind in der Regel Transportproteine beteiligt, über
die die Psychopharmaka bzw. ihre Metabolite unter
Energieverbrauch entsorgt werden. Psychopharmaka, die mit Glucuronsäure konjugiert sind, werden im
proximalen Tubulus unter Energieverbrauch ausgeschleust.
2.3
Pharmakodynamik
Pharmakodynamik umfasst Wirkungen und Wirkmechanismen von Medikamenten auf den Organismus.
Das Konzept geht auf Überlegungen von Paul Ehrlich und John Newport Langley zurück. Es geht davon
aus, dass jedes Medikament an einen Rezeptor binden muss, um zu wirken. Pharmakarezeptoren in diesem Sinne können unterschiedlichster funktioneller
Natur sein, z. B. Enzyme, Hormonrezeptoren, Neurotransmitterrezeptoren, Transportproteine, Ionenkanäle oder DNA. Die meisten Psychopharmaka greifen direkt oder indirekt in die Neurotransmission ein,
im Wesentlichen in die neuro-neuronale Übertragung
(. Abb. 2.2).
Psychopharmaka modulieren somit die Signalübertragung innerhalb der Synapse durch Aktivierung
oder Hemmung, was zu unterschiedlichen Effekten
führt (. Tab. 2.1).
Rezeptorbindung
Nach dem Konzept, dass jedes Medikament über einen
Rezeptor wirkt, unterscheidet man zwei Arten von
Wirkungen: eine stimulierende und eine hemmende.
Dabei wird eine Substanz als stimulierend angesehen, wenn sie die Wirkung des endogenen Liganden
imitiert und als inhibitorisch, wenn sie die Wirkung
hemmt. Substanzen, die die Rezeptorfunktion aktivieren, werden als Agonisten bezeichnet. Eine Substanz,
welche am Rezeptor die Bindungsstelle für den endogenen Transmitter blockiert, aber selbst keine Aktivierung auslöst, ist ein Antagonist, genauer ein kompetitiver Antagonist.
Die Wirkstärke von Agonisten und Antagonisten
ist abhängig von der Bindung an den Rezeptor. Eine
Kennzahl, die dies umschreibt, ist die Affinität des
Pharmakons zum Rezeptor, die Gleichgewichtsdissoziationskonstante KD. Sie kann experimentell durch
Bindungsstudien mit radioaktiv markierten Liganden
einfach ermittelt werden kann. Der Wert von KD entspricht der Konzentration, die notwendig ist, um die
Hälfte der Rezeptoren mit dem Pharmakon zu besetzen. Die Dimension ist mol/l. Wirksame Psychopharmaka haben KD-Werte im Bereich von wenigen
nmol/ l.
17
2.3 · Pharmakodynamik
2
NT-Metaboliten
4
4
NT
Präsynaptisches
Neuron
NT
3
Postsynaptisches
Neuron
NT
2
1
NT
. Abb. 2.2. Schematische Darstellung einer Kontaktstelle
zwischen einem präsynaptischen und postsynaptischen Neuron. Solche Kontaktstellen (Synapsen) im Gehirn sind der wichtigste Angriffsort von Psychopharmaka. Im präsynaptischen
Neuron wird Neurotransmitter (NT) gebildet und vesikulär
gespeichert. Nach Reizung des Neurons wird der NT in den
synaptischen Spalt freigesetzt. Der NT bindet an postsynaptische (1) und präsynaptische (2) Rezeptoren, letztere (2) werden auch Autorezeptoren genannt. Der NT wird durch Transporter (3) unter Verbrauch von Energie wieder in das präsynaptische Neuron aufgenommen. Dies ist für die meisten NT der
Definition
Agonist: Substanz, die an einen Rezeptor bindet
und diesen stimuliert.
Antagonist: Substanz, die an einen Rezeptor bindet, ohne diesen zu stimulieren, die jedoch die
Stimulation durch einen Agonisten hemmt.
Intrinsische Aktivität: stimulierende Wirkung
eines Agonisten.
wichtigste Inaktiverungsmechanismus. Ein weiterer Inaktivierungsmechanismus ist enzymatischer Abbau durch z. B. Monoaminoxidase in der äußeren Mitochondrienmembran (4). Viele
Antidepressiva wirken durch Hemmung der Wiederaufnahme
(3) oder durch Hemmung des NT-Abbaus (4), Antipsychotika
durch Hemmung von post- und präsynaptischen Rezeptoren
(1 und 2), anxiolytisch oder hypnotisch wirksame Benzodiazepine fördern die Aktivierung postsynaptischer Rezeptoren
durch den inhibitorischen Neurotransmitter Gammaaminobuttersäure (GABA), Lithium wahrscheinlich durch Angriff von
Signalkaskaden, die Rezeptoren nachgeschaltet (1) sind
makawirkungen wird über metabotrope Rezeptoren
vermittelt, die auch G-Protein-gekoppelte-Rezeptoren genannt werden. G-Proteine sind Bestandteile
einer den Rezeptoren nachgeschalteten Signalkaskade. Durch Aktivierung von G-Proteinen kommt es in
der Zelle zu einer Veränderung des Stoffwechsels mit
An- oder Abschalten von verschiedenen Effektorsystemen, z. B. der Bildung von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP).
Irreversible Wirkungen
Rezeptor-Signal-Transduktion
Es gibt zwei große Klassen von NeurotransmitterRezeptoren, ionotrope Rezeptoren und metabotrope Rezeptoren. Zu den ionotropen Rezeptoren, auch
Ionenkanal-gekoppelte-Rezeptoren genannt, mit psychopharmakologischer Relevanz gehören GABAARezeptoren, über die Benzodiazepine wirken, oder
Acetylcholin-Rezeptoren. Sie bilden einen Ionenkanal, der bei Aktivierung durch einen Agonisten geöffnet wird, bei GABAA-Rezeptoren führt der vermehrte Einstrom von Chlorid-Ionen zu einer Hyperpolarisation der Zelle und damit zu einer Hemmung der
Reizweiterleitung. Die Mehrzahl der Psychophar-
Normalerweise ist die Bindung eines Medikamentes
an seinen Rezeptor reversibel. Die Wirkung lässt nach,
indem das Pharmakon vom Rezeptor dissoziiert. Es
gibt jedoch Wirkstoffe, die mit ihrem »Rezeptor« eine
kovalente Bindung eingehen und diesen damit in seiner Funktion lahm legen. Meist handelt es sich dabei
um Giftstoffe. Ein Pschopharmakon mit einem solchen Wirkprinzip ist der Monoaminoxidasehemmer
Tranylcypromin. Es bindet im aktiven Zentrum des
Enzyms und inaktiviert damit das Enzym. Die messbare Hemmwirkung lässt erst nach, indem neues
Enzym gebildet wird.
18
Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen
. Tab. 2.1. Beispielhafte Zielstrukturen von Psychopharmaka und deren Wirkung
1
Zielstrukturen
2
Medikament und pharmakologischer
Effekt in der Synapse
Klinische Effekte
Acetylcholinesterase
Donepezil (Antidementivum) wirkt hemmend; Anstieg der Konzentration des Neurotransmitters Acetylcholin
Gesteigerte Vigilanz
NW: Schwindel, Übelkeit, Erbrechen,
Diarrhö, Tremor, Schlaflosigkeit, Verwirrtheit, Delir, Muskelkrämpfe
Monoaminoxidase
Tranylcypromin (Antidepressivum); Anstieg
der Konzentrationen der Monoamine Noradrenalin, Serotonin und ggf. Dopamin
Langfristig depressionslösend
NW: Kurzfristig Übelkeit, Schlafstörungen
Dopamin-Transporter
Cocain (Suchtmittel) wirkt hemmend; Anstieg der Konzentrationen von Dopamin
Gesteigerte Aufmerksamkeit, Euphorie
NW: Schlaflosigkeit, Appetitminderung
NoradrenalinTransporter
Reboxetin (Antidepressivum) wirkt hemmend; Anstieg der Konzentration von Noradrenalin
Langfristig depressionslösend
NW: Kurzfristig Tremor, Unruhe, Kopfschmerzen, Miktionsstörungen, Schwindel, Schwitzen
Serotonin-Transporter
Fluoxetin (Antidepressivum) wirkt hemmend; Anstieg der Konzentration von
Serotonin
Langfristig depressionslösend
NW: Kurzfristig Appetitminderung, Übelkeit, Diarrhö, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Unruhe, Schwitzen, sexuelle
Funktionsstörung
Dopamin-Rezeptoren
Haloperidol (Antipsychotikum) wirkt hemmend; blockiert die Rezeptorstimulation
Antipsychotische Wirkung
NW: Extrapyramidal-motorische Störungen, Prolaktinanstieg, antiemetisch,
sexuelle Funktionsstörungen, Störungen
der Thermoregulation, neuroleptisches
Syndrom
GABAA-Rezeptoren
Diazepam (Anxiolytikum); wirkt funktionell agonistisch auf den GABA-induzierten
Chlorid-Ionenstrom
Stimulation wirkt angstlösend, schlafinduzierend, muskelrelaxierend
NW: Dysarthrie, Ataxie, Apathie, Schwäche
Enzyme
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6
Transporter
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Rezeptoren
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16
Unerwünschte Effekte treten in Abhängigkeit von der Dosis und von der individuellen Disposition in unterschiedlicher Häufigkeit auf.
NW Nebenwirkungen
Arzneimittelwechselwirkungen
17
2.4
18
Wenn sich die Wirkung eines Medikaments durch
die Zugabe eines zweiten Medikaments ändert, liegt
eine Wechselwirkung vor. Diese kann pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Natur sein (Jefferson 1998).
Pharmakokinetische Wechselwirkungen sind in
allen Phasen möglich, während der Resorption, der
Verteilung, der Metabolisierung und der Exkretion.
19
20
Die meisten pharmakokinetischen Interaktionen von
Psychopharmaka betreffen nach derzeitiger Kenntnis die Metabolisierung in der Leber. Enzyme der
Biotransformation werden gehemmt oder induziert.
Dadurch steigen oder fallen die Wirkspiegel des Medikaments ab. Wenn das Medikament einen engen therapeutischen Bereich hat und die Hemm- oder Induktionseffekte ausgeprägt sind, kann es bei therapeutisch
üblichen Dosen zu einer Intoxikation oder zum Wirkverlust kommen. Pharmakokinetische Arzneimittelwechselwirkungen sind in der Psychopharmakothera-
2.5 · Therapeutisches Drug-Monitoring
pie relevant. Es gibt eine Reihe von Psychopharmaka,
die Enzyme der Biotransformation hemmen. Von den
6 auf dem Markt befindlichen selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) sind 3 potente Hemmstoffe von CYP-Enzymen: Fluoxetin und Paroxetin
hemmen CYP2D6, Fluvoxamin hemmt CYP1A2 und
CYP2C19. Weil es viele Patienten gibt, die auf eine
Monotherapie nicht ansprechen, sind Kombinationsbehandlungen in der Praxis der Psychopharmakotherapie nicht zu vermeiden. Um bei einer vorgesehenen
Medikamentenkombination abzuschätzen, ob mit
Wechselwirkungen zu rechnen ist, sind mehrere Faktoren zu beachten.
Wesentliche Faktoren, die bei Medikamentenkombinationen zu beachten sind
5 Metabolisierende Enzyme und deren quantitative Bedeutung für den Abbau
5 Substrateigenschaften an den arzneimittelmetabolisierenden Enzymen
5 Hemmeigenschaften an den arzneimittelabbauenden Enzymen
5 Pharmakologische Eigenschaften der
Metabolite
5 Substrat- und Hemmeigenschaften der
Metabolite
5 Therapeutische Breite der Medikamente und
ihrer Metabolite
5 Individuelle Gegebenheiten des Patienten
(z. B. Metabolisierer-Status)
Pharmakokinetische Wechselwirkungen sind für den
verordnenden Arzt kaum überschaubar. Sie unterliegen einer Systematik, die sich an Substrat- und Hemmeigenschaften arzneimittelabbauender Enzyme orientiert und nicht an pharmakologischen Wirkmechanismen. Um die Vorhersage von Wechselwirkungen zu
erleichtern, sind Computerprogramme hilfreich. Über
das Internet verfügbar sind z. B. die Programme PsiacOnline (http://www.psiac.de), Kompendium-online
(http://www.psychiatrische-pharmakotherapie.de)
oder MediQ (http://www.mediq.ch).
2.5
Therapeutisches DrugMonitoring
Resorption, Metabolisierung, Verteilung oder Exkretion von Psychopharmaka ist zwischen verschiedenen Patienten in Abhängigkeit von Faktoren wie
Alter, Lebensgewohnheiten, Erkrankung oder Medi-
19
2
kation sehr unterschiedlich. Daher ist bei der Einstellung eines Patienten auf ein Psychopharmakon nicht
sicher vorhersagbar, welche Medikamentenkonzentrationen aufgebaut werden. Bei der medikamentösen
Behandlung von Patienten mit psychischen Erkrankungen sind deshalb und auch wegen pharmakodynamischer Varianzen Dosiskorrekturen oder Medikamentenwechsel an der Tagesordnung; auch die unsichere Compliance ist ein Problem bei der Pharmakotherapie dieser Patienten. Diese Varianzen und die
pharmakokinetische Variabilität können durch Messung der Medikamentenkonzentrationen in Blutplasma oder -serum kontrolliert und korrigiert werden.
Blutspiegelmessungen, sog. therapeutisches DrugMonitoring (TDM), sind die praktische Anwendung
von pharmakokinetischen Kenntnissen für die Therapieoptimierung (Baumann et al. 2004; Hiemke et al.
2005; Jaquenout Sirot et al. 2006). Die Aufgabe von
TDM ist es herauszufinden, ob für die Therapie eines
individuellen Patienten eine wahrscheinlich wirksame
Dosis gewählt wurde. Dabei sind die angestrebten
Blutspiegel (Synonyme: Plasmaspiegel, Serumspiegel,
Plasmakonzentration oder Serumkonzentration) eine
wesentliche Orientierungsgröße. Man geht davon aus,
dass es für therapeutische und toxische Wirkungen
jeweils eine minimal effektive Konzentration gibt. Der
Bereich zwischen beiden Konzentrationen wird als
therapeutisches Fenster einer Substanz definiert.
Typische Indikationen für TDM
5 Vermeidung von Intoxikationen (z. B.
Lithium)
5 Verdacht auf Nichteinnahme der verordneten Medikamente
5 Kein oder ungenügendes Ansprechen bei
klinisch üblicher Dosis
5 Ausgeprägte Nebenwirkungen bei klinisch
üblicher Dosis
5 Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen
5 Kombinationsbehandlung mit einem
Medikament mit bekanntem pharmakokinetischem Interaktionspotenzial
5 Rezidiv unter Erhaltungsdosis
5 Bekannte pharmakogenetische Besonderheiten
5 Kinder und Jugendliche
5 Alterspatienten über 65 Jahre
20
1
2
3
4
5
6
7
Kapitel 2 · Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und Interaktionen
Fazit
Medikamente werden in der Regel oral verabreicht. Bevor
sie wirken können, müssen sie absorbiert und verteilt
werden. Im Körper werden sie chemisch umgewandelt,
bevorzugt in der Leber, und wieder ausgeschieden, meist
über die Niere oder Galle. Die Pharmakokinetik beschreibt
den zeitlichen Verlauf der Medikamente im Körper.
Wichtige pharmakokinetische Kenngrößen, die bei
verschiedenen Medikamenten sehr unterschiedlich sein
können und auch von Patient zu Patient variieren, sind die
Bioverfügbarkeit, die Clearance, das Verteilungsvolumen
und die Eliminationshalbwertszeit. Die Pharmakodynamik beschreibt die Wirkung und Wirkmechanismen der
Medikamente. Die Kenntnis pharmakokinetischer und
-dynamischer Eigenschaften der Medikamente ist eine
wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung.
8
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14
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19
20
Checkliste
2.6
?
1.
Welches sind die wesentlichen Phasen der
Pharmakokinetik?
2. Was versteht man unter dem pharmakokinetischen Begriff Elimination?
3. Was beschreibt der Begriff Verteilungsvolumen?
4. Welche Enzyme sind mit Blick auf die Metabolisierung von Psychopharmaka besonders
relevant?
5. Welches Enzym wird durch Rauchen induziert?
6. Welche Psychopharmaka hemmen das CYPIsoenzym 2D6
7. Welche beiden Typen von Neurotransmitterrezeptoren gibt es?
8. Wie wirkt Tranylcypromin?
9. Was besagt das Rezeptor-Konzept von
Ehrlich und Langley?
10. Welche Gründe gibt es, Plasmaspiegelkonzentrationen bei Gabe eines Psychopharmakons zu messen?
21
3.1 ·
Arzneimittelinformation
3.1
Information und Aufklärung
3.1.1
3.1.2
Informationen für Therapeuten – 22
Informationen für Patienten und Angehörige
3.2
Informationsquellen
3.2.1
3.2.2
3.2.3
3.2.4
3.2.5
3.2.6
Wissenschaftlich überwachte Information – 22
Primärliteratur – 23
Sekundärliteratur – 23
Tertiärliteratur – 23
Institutionell überwachte Information – 23
Datenbankgestützte Information – 25
3.3
Bewertung von Informationen und
evidenzbasierter Medizin – 26
3.4
Neue Informationen
3.4.1
3.4.2
Neu beobachtete nützliche Wirkungen – 27
Neu beobachtete unerwünschte Wirkungen – 27
3.5
Checkliste
– 28
– 22
– 22
– 22
– 27
3
22
Kapitel 3 · Arzneimittelinformation
3.1
Information und Aufklärung
1
Definition
2
3
4
5
Für eine erfolgreiche Pharmakotherapie ist eine
valide und zuverlässige Information äußerst wichtig: Für Therapeuten, um nach dem neusten Stand
behandeln zu können und für Patienten, um umfassend über Wirkungsweise und Risiken informiert zu sein. Wichtige Informationsquellen sind
hierbei der Beipackzettel, Fachliteratur sowie das
Internet mit zahlreichen Datenbanken, wie z. B.
Cochrane Library, PubMed u. a.
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3.1.1 Informationen für Therapeuten
Erfahrene Therapeuten wenden bevorzugt Medikamente an, mit denen sie eigene Erfahrungen erworben haben. Das betrifft therapeutisch erwünschte
Eigenschaften ebenso wie unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Wechselwirkungen. Neue Erkenntnisse mit den alten Wirkstoffen, die Einführung neuer Medikamente und Nichtansprechen der Patienten
machen es notwendig, dass auch der erfahrene Therapeut sich stetig neu informieren muss. Es ist für den
praktisch tätigen Therapeuten dabei von Bedeutung,
wie mit der Fülle angebotener Information umzugehen ist, um eine Therapie nach dem aktuellen Stand
des Wissens anzuwenden.
3.1.2 Informationen für Patienten und
Angehörige
Vor Beginn einer medikamentösen Therapie muss
der Patient, und wenn erforderlich auch die Angehörigen, über die Notwendigkeit der Anwendung des
Arzneimittels und auch über die damit verbundenen
Risiken aufgeklärt werden. Dies beinhaltet die Information über die Dosis und die erwarteten therapeutischen Effekte, aber auch unerwünschte Wirkungen.
Der Patient soll verstehen, warum eine medikamentöse Behandlung für ihn sinnvoll ist. Er muss auch
über mögliche unerwünschte Wirkungen aufgeklärt
werden. Dies muss umso ausführlicher sein, je risikoreicher das Medikament ist. Ein Hinweis auf den Beipackzettel ist nicht ausreichend und nach Rechtsprechung auch nicht das Unterzeichnen eines standardisierten Aufklärungsbogens. Es muss eine mündliche
Aufklärung durch den Therapeuten stattfinden. Dabei
sollte vom Therapeuten bedacht werden, dass Pati-
enten durch die Informationen im Beipackzettel verunsichert werden, wenn sie die Informationen nicht
ausreichend verstehen. Die Aufklärung des Patienten
muss dokumentiert werden, z.B. durch einen Vermerk
in der Krankenakte.
Die ausführliche Aufklärung gilt ganz besonders für Medikamente die »off-label« verordnet werden, d.h. es besteht keine Zulassung des Medikaments
für die geplante Indikation. Ein Beispiel ist der Einsatz von selektiven Serotoninrückaufnahmehemmern
(SSRI) bei der Behandlung von depressiven Syndromen bei kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen. Dies entspricht einem sog. individuellen
Heilversuch. 70% der im Kindes- und Jugendalter eingesetzten Arzneimittel sind für eine solche Anwendung nicht geprüft oder zugelassen. In der Kinderund Jugendpsychiatrie müssen der Patient und die
Bezugspersonen (Eltern, Lehrer) aufgeklärt werden.
Darüber hinaus wird sich der Patient über die
verordneten Medikamente in der Apotheke oder aus
anderen Quellen informieren. Dazu zählt auch das
Internet. Es ist hilfreich, wenn der Therapeut Hinweise auf gute Information geben kann, und er sollte die
Formulierungen und Inhalte des Beipackzettels kennen.
3.2
Informationsquellen
3.2.1 Wissenschaftlich überwachte
Information
Wenn für ein Medikament eine Zulassung zur
Behandlung einer Erkrankung beantragt wird, dann
sind vom Hersteller umfangreiche präklinische und
klinische Daten erhoben worden, die der Behörde mit
den Zulassungsunterlagen vorgelegt werden (Kohnen
u. Beneš 2008). Die wesentlichen Inhalte werden in
der Investigator-Broschüre zusammengefasst, die in
der Regel auch nach der Zulassung nicht allgemein
zugänglich ist. Nach der Zulassung werden die auf 4–
10 Seiten kondensierten präklinischen und klinischen
Eigenschaften international in den Summary of Product Characteristics (SPC) und national in den Fachinformationen zusammengestellt. Diese Informationen sind allgemein zugänglich, und in ihnen findet
der Anwender auch die wesentlichen pharmakologischen Eigenschaften der Arzneimittel beschrieben.
Viele Untersuchungen aus der Medikamententwicklung werden als Originalarbeiten (s. unten) publiziert,
sowohl vor als auch nach der Zulassung. Nach der
Zulassung entstehen durch Folgeuntersuchungen, oft
unabhängig vom Hersteller, neue Erkenntnisse. Viele
23
3.2 · Informationsquellen
Wechselwirkungen von Medikamenten sind z. B. erst
nach der Zulassung entdeckt worden oder man findet
Hinweise auf neue Indikationen.
Grundsätzlich wird unabhängig davon, wie die
Information technisch aufbereitet wurde (gedruckt
oder elektronisch), zwischen Primär-, Sekundär und
Tertiärliteratur unterschieden.
3.2.2 Primärliteratur
Primärliteratur umfasst die Veröffentlichungen der
Originalarbeiten von Forschungsergebnissen in Journalen. Hier werden Untersuchungen und Studien vorgestellt, in denen die Wirkmechanismen bestimmter
Medikamente aufgezeigt und deren klinische Wirksamkeit sowie die erwünschten und unerwünschte
Wirkungen beschrieben werden. Es wird unterschieden nach Journalen mit und ohne Gutachtersystem.
Als Informationsquelle sollten unbedingt solche mit
Gutachtersystem bevorzugt werden, da die Begutachtung erreichen soll, dass für die Untersuchungen
geeignete Methoden verwendet wurden und dass die
Ergebnisse korrekt ausgewertet und kritisch beurteilt
wurden.
3
3.2.4 Tertiärliteratur
Lehrbücher, Standard- und Nachschlagewerke sind
Tertiärliteratur. Bei ihrer Abfassung wird der Stand
des Wissens aus Originalarbeiten und Review-Artikeln kompakt und systematisch aufgearbeitet. In der
seriösen Tertiärliteratur werden gesicherte Erkenntnisse dargestellt. Die Tertiärliteratur ist eine Quelle
zur Basisinformation. In Lehrbüchern der allgemeinen Pharmakologie werden grundlegende Prinzipien
erklärt, bezogen auf die Physiologie bzw. Pathophysiologie der Organe, wie Medikamente wirken. In der
Regel wird hier nach Wirkstoffgruppen systematisiert.
Damit kann ein Grundverständnis über Wirkungen
und Nebenwirkungen von Medikamenten erworben
werden, vor allem für Studierende. Spezielle Lehrbücher differenzieren fachspezifisch und gehen auf
Besonderheiten von Einzelmedikamenten ein, in der
Psychopharmakotherapie z. B. das Kompendium der
Psychiatrischen Pharmakotherapie (Benkert u. Hippius 2007). Sie informieren in erster Linie den verordnenden Arzt in der Weiterbildung oder den Facharzt.
3.2.5 Institutionell überwachte
Information
3.2.3 Sekundärliteratur
Sekundärliteratur fasst Originalarbeiten themenbezogen zusammen, in sog. Review-Artikeln oder Monographien. Sie werden üblicher Weise von langjährig
erfahrenen Experten verfasst, die in der Lage sind, die
Originalliteratur zu lesen und durch eigene Erfahrung
zu bewerten. Auch bei Review-Artikeln sind solche
aus Journalen zu bevorzugen, die von Expertenkollegen begutachtet wurden. Dies mindert die Gefahr,
dass in einem zusammenfassenden Artikel ein Inhalt
falsch, einseitig oder unzureichend dargestellt wird.
Review-Artikel stellen in der Regel den Stand des Wissens über ein bestimmtes Gebiet dar.
Zur Sekundärliteratur gehören auch Kurzberichte,
die über wichtige einzelne Originalarbeiten referieren und/oder diese kommentieren. Beispiele für solche Literaturquellen im deutschen Sprachraum sind
der Arzneimittelbrief, das Arznei-Telegramm oder Mitteilungen der Arzneimittelkommission der Deutschen
Ärzteschaft. Kurzmitteilungen werden von Experten
verfasst, die regelmäßig die wissenschaftliche Literatur sichten und daraus besonders wichtig erscheinende Artikel auswählen und auf die Inhalte aufmerksam machen.
Beipackzettel
Der sog. Beipackzettel ist eine Gebrauchsinformation,
die gesetzlich vorgeschrieben ist. Er muss jeder Medikamentenpackung beiliegen, meist als gefaltetes Blatt.
Der Beipackzettel ist für den Patienten eine wesentliche Informationsquelle; er soll für den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Präparates sorgen. Gesetzlich
vorgegeben müssen bestimmte Angaben enthalten
sein (. Tab. 3.1).
Nach Befragungen von Patienten werden die
Informationen der Beipackzettel oft nicht verstanden. Dies kann zu Verunsicherung führen und sogar
zur Nichtanwendung des Arzneimittels. Daher ist die
Aufklärung des Patienten über das Medikament durch
den Behandler unbedingt notwendig. Ein einfacher
Hinweis auf den Beipackzettel ist keine ausreichende
Aufklärung des Patienten. Er muss über Dosis, mögliche Unverträglichkeit und Nebenwirkungen ins Bild
gesetzt werden. Je gefährlicher ein Medikament ist,
umso ausführlicher muss die Aufklärung sein.
Rote Liste
Vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie wird gemeinsam mit dem Verband Forschender
Arzneimittelhersteller, dem Bundesfachverband der
Arzneimittelhersteller und vom Deutschen Generi-
24
1
2
3
4
5
6
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8
Kapitel 3 · Arzneimittelinformation
. Tab. 3.1. Inhaltsangaben des Beipackzettels
Anwendungsgebiet
Patient erfährt, bei welchen Krankheiten das Medikament angewandt
werden darf
Gegenanzeigen
Patient erfährt, bei welchen Bedingungen das Medikament nicht angewandt
werden darf, z. B. in der Schwangerschaft
Vorsichtsmaßnahmen/Warnhinweise
Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen, wenn etwa die Fahrtüchtigkeit
oder das Bedienen von Maschinen eingeschränkt sind
Wechselwirkungen mit anderen
Mitteln
Hier werden die möglichen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
beschrieben und evtl. Warnhinweise gegeben
Dosierung, Art und Dauer der
Anwendung
Anweisungen zu Dosierung, Einnahmezeitpunkt und -dauer des Präparats
Nebenwirkungen
Hier wird nach festgelegtem Schema auf die Häufigkeit des Auftretens von
Nebenwirkungen hingewiesen:
»Sehr häufig«: bei mehr als 10% der Behandelten,
»häufig«: mehr als 1%,
»gelegentlich«: mehr als 0,1%,
»selten«: mehr als 0,01% und
»sehr selten«: weniger als 0,01%
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18
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20
kaverband die Rote Liste herausgegeben. Sie erscheint
jährlich und ist das wesentliche Verzeichnis der in
Deutschland erhältlichen Fertigarzneimittel. Die
Medikamente mit etwa 1500 Wirkstoffen werden lexikalisch nach 88 Indikations- und Wirkstoffgruppen
geordnet aufgelistet. Die Rote Liste enthält ein Verzeichnis der Fertigarzneimittel, alphabetisch geordnet nach Präparatenamen und ein Verzeichnis der
Wirkstoffe, alphabetisch geordnet nach den gebräuchlichen Kurzbezeichungen. In Letzterer findet man für
die arzneilich wirksamen Stoffe die Eliminationshalbwertszeiten angegeben, die sich in der Regel auf leberund nierengesunde Erwachsene beziehen. Des Weiteren wird in der Präparateliste angegeben, ob eine
Substanz durch Hämolyse oder Hämoperfusion eliminiert werden kann; eine Information, die bei einer
Intoxikation von Bedeutung ist. Am umfangreichsten
und wichtigsten ist in der Roten Liste der Präparateteil. Er enthält kurzgefasste Informationen zu folgenden Themen:
5 Zusammensetzung der Fertigarzneimittel
5 Anwendungsgebiete
5 Dosierung
5 Gegenanzeigen
5 Warnhinweise
5 Anwendungsbeschränkungen
5 Anwendungen in der Schwangerschaft und während der Stillzeit
5 Nebenwirkungen
5 Wechselwirkungen
5 Überdosierung
5 Intoxikationen
Zusätzlich findet man Angaben über verfügbare
Packungsgrößen, Preise und Lagerungshinweise,
Gegenanzeigen sowie Anwendungsbeschränkungen.
Neben- und Wechselwirkungen werden noch einmal
systematisch in einem Sonderteil abgehandelt. Seit
einigen Jahren ist die Rote Liste auch als CD erhältlich und über das Internet einsehbar. Für Ärzte und
Apotheker ist über DocCheck ein kostenfreier Zugang
möglich.
Fachinformation
Nach § 11 des Arzneimittelgesetztes werden von den
pharmazeutischen Unternehmern über deren Arzneimittel Fachinformationen (Summary of Product Characteristics, SPC) erstellt. Auf 2–6 Seiten wird, mit
ähnlicher Gliederung wie in der Rote Liste und im
Beipackzettel, über Anwendungsgebiete, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Warnhinweise, Inkompatibilitäten, Dosierung, Notfallmaßnahmen, Pharmakologie des Arzneimittels informiert. Das für die
Erstellung verwendete wissenschaftliche Material entstammt in der Regel aus eigenen Studien, die für die
Zulassung durchgeführt wurden. Für die formale
und inhaltliche Gestaltung liefert die Zulassungsbehörde Musterfachinformationen, in Deutschland das
25
3.2 · Informationsquellen
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Durch Spontanerfassung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und -wechselwirkungen (s. unten) kann es dazu kommen, dass neue
Informationen aufgenommen werden müssen, entweder eigeninitiativ durch den Hersteller oder veranlasst durch die Zulassungsbehörde. Von wissenschaftlichen Originalarbeiten unterscheiden sich die Fachinformationen im Wesentlichen dadurch, dass die
für die Erstellung der Inhalte verwendeten Daten in
der Regel nicht dargestellt werden und keine Quellen
angegeben werden. Die Richtigkeit der Angaben wird
allerdings durch die Zulassungsbehörde überwacht.
Darüber hinaus werden bei der Abfassung der Texte
auch rechtliche Aspekte berücksichtigt, um den Hersteller haftungsrechtlich zu schützen. Fachinformationen sind eine wesentliche Quelle für Arzneimittelinformationen. Die Angaben werden in Lehrbüchern,
d.h. in Sekundär- und Tertiärliteratur, übernommen.
Sie beeinflussen daher das Verschreibungs- und Therapieverhalten direkt und indirekt.
3.2.6 Datenbankgestützte Information
Non-Printmedien umfassen alle Informationen, die
auf elektronischen Datenträgern abrufbar sind. Der-
zeit werden in erster Linie CD-ROM und OnlineDatenbanken als Medien genutzt, von denen Information abgerufen werden. Wichtige Internetseiten sind
in . Tab. 3.2 aufgelistet.
PubMed
Zur schnellen Suche von Originalarbeiten stehen verschiedene Datenbanken zur Verfügung, am wichtigsten ist der PubMed-Service, ein weltweit frei
zugänglicher Service der National Library of Medicine in den USA (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/). In dieser Datenbank findet man über 16 Millionen Zitierungen aus MEDLINE und anderen wissenschaftlichen Journalen. Sie reicht zurück bis in
das Jahr 1950. Über PubMed sind auch Zugänge zu
Volltextversionen möglich. Wie weitgehend dies ist,
hängt davon ab, welche Zugänge freigeschaltet sind.
Für jedermann zugänglich sind in der Regel die sog.
Abstracts, die die wesentlichen Ergebnisse der Originalarbeit darstellen und diskutieren. Man sollte sich
allerdings auf die Schlussfolgerungen in den Abstracts
nicht blind verlassen, besonders dann, wenn Zahlenangaben fehlen. In Abstracts werden von den Autoren
Positivbefunde mehr hervorgehoben als Negatgivbefunde. Daher ist das Abstract nicht mehr und nicht
weniger als eine erste Orientierung über den Inhalt
der Originalarbeit.
. Tab. 3.2. Internetadressen zum Abrufen von Arzneimittelinformationen
Datenbank
Internetadressen
Für Experten
Datenbank für die Suche von Originalarbeiten und ReviewArtikeln
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez
Cochrane-Datenbank für die Bewertung von Therapien nach
den Kriterien der evidenzbasierten Medizin
http://www.cochrane.de
Internetportal für medizinische Fachberufe in Europa
http://www.doccheck.com/de/
Fachinformationen für Deutschland, einschließlich
EU-Zulassungen
http://www.fachinfo.de/
Rote Liste, Verzeichnis von Fertigarzneimitteln in Deutschland
http://www.rote-liste.de/
Internationale Fertigarzneimittel basierend auf der
ABDA-Datenbank
http://www.pharmavista.ch/content/default.aspx
Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie für
deutschsprachige Länder
http://www.psychiatrische-pharmakotherapie.de/
Für Patienten und Angehörige
Datenbank gebräuchlicher Fertigarzneimittel auf der Grundlage einschlägiger Fachliteratur
3
http://www.netdoktor.de/
26
Kapitel 3 · Arzneimittelinformation
DIMDI
1
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5
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8
Nach § 67a des Arzneimittelgesetzes (AMG) hat das
Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation
und Information (DIMDI) den Auftrag, ein zentrales
datenbankgestütztes Informationssystem über Arzneimittel zu errichten. Unter http://www.dimdi.de/
findet man amtliche Zulassungsinformationen und
umfassende Informationen zu Zusammensetzung,
Dosierung, (Kontra-) Indikationen, Anwendung,
Neben- und Wechselwirkungen von Arzneistoffen
und Fertigarzneimitteln im In- und Ausland. Außerdem sind auch packungsbezogene und ökonomische
Daten recherchierbar. Die Information entstammt aus
etwa 70 Datenbanken. Neben den speziellen Datenbanken des Medizinprodukte-Informationssystems
findet man weitere Informationen zu Medizinprodukten in den medizinischen Literaturdatenbanken
wie MEDLINE, EMBASE und SciSearch. Für seine Leistung erhebt das DIMDI Gebühren. Heilberufler mit
DocCheck-Passwort erhalten über dieses Infosystem
kostenfrei Arzneimittelinformationen.
9
3.3
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19
20
Bewertung von Informationen
und evidenzbasierter Medizin
Über die oben aufgeführten Informationsquellen
gelangt man zu Veröffentlichungen von guter Qualität. Dies wird erreicht durch Begutachtung der Publikationen durch Experten in wissenschaftlichen Einrichtungen. Gesetzliche Regelungen haben dafür
gesorgt, dass klinische Studien seit 1991 in Europa
nach den Richtlinien der sog. guten klinischen Praxis (GCP) durchgeführt werden (Kohnen u. Beneš
2008). In besonders aufwändiger Weise geschieht die
Sichtung der Qualität der wissenschaftlichen Literatur
nach den Regeln der sog. evidenzbasierten Medizin
(EBM). EBM hat das Ziel, für die medizinische Versorgung eines einzelnen Patienten, die gegenwärtig
beste Evidenz zu nutzen und angemessen einzusetzen
(Sackett et al. 1999). Das bedeutet, eine therapeutische
Maßnahme soll nach dem Stand des Wissens durchgeführt werden, die in der wissenschaftlichen Literatur formuliert ist. EBM verbindet so wissenschaftliche
und praktische Medizin.
Die Anwendung von evidenzbasierter Medizin
erfolgt in 4 Schritten:
1. Formulierung einer beantwortbaren klinischen
Frage
2. Suche nach der besten Evidenz
3. Kritische Bewertung der Evidenz
4. Praktische Anwendung der Information
Der aufwendigste Schritt dieser Folge ist die Suche
nach der besten Evidenz. Er erfordert eine kritische
Sichtung der Literatur nach festgelegten Regeln
(Sackett et al. 1999). Als Ergebnis der Auswertungen
wird die Qualität einer Maßnahme mit I bis III beurteilt.
I
Evidenz aufgrund mindestens einer adäquat
randomisierten kontrollierten Studie
II-1
Evidenz aufgrund einer kontrollierten nichtrandomisierten Studie mit adäquatem Design
II-2
Evidenz aufgrund von Kohortenstudien oder
Fall-Kontrollstudien mit adäquatem Design
II-3
Evidenz aufgrund von Vergleichsstudien, die
Populationen in verschiedenen Zeitabschnitten, an verschiedenen Orten mit oder ohne
Intervention vergleichen
III
Meinungen von respektierten Experten,
gemäß klinischer Erfahrung, beschreibender
Studien oder Berichten von Experten
Ob eine medizinische Maßnahme für die Diagnose
oder Therapie einer Erkrankung zu empfehlen ist oder
nicht, wird mit A bis E klassifiziert
A Gute Evidenz, eine Maßnahme zu empfehlen
B Ausreichende Evidenz, eine Maßnahme zu empfehlen
C Ungenügende Evidenz, eine Maßnahme zu
empfehlen oder nicht zu empfehlen. Aufgrund
bestimmter Gegebenheiten kann eine Maßnahme
gerechtfertigt sein.
D Ausreichende Evidenz, eine Maßnahme nicht zu
empfehlen
E Gute Evidenz, eine Maßnahme nicht zu empfehlen
Mit dieser Vorgehensweise lässt sich auch die Datenlage bezüglich der Anwendung von Psychopharmaka für die Behandlung eines individuellen Patienten
überprüfen.
Cochrane-Datenbank und evidenzbasierte
Medizin
Es wurden in den letzten Jahren Institutionen und
Arbeitsgruppen gebildet, die den medizinischen Nutzen therapeutischer Verfahren nach dem aufwändigen Procedere der evidenzbasierten Medizin auswerten. Die bekannteste Einrichtung ist die Cochrane
Collaboration. Sie setzt sich zusammen aus Wissenschaftlern und Ärzten. Nach systematischer und
umfassender Suche wird die Literatur nach den oben
genannten Kriterien bewertet und daraus Übersichtsarbeiten erstellt, aktualisiert und verbreitet. Dafür
gibt es eine eigene Datenbank, The Cochrane Libra-
27
3.4 · Neue Informationen
ry (http://www.cochrane.de). Damit soll eine wissenschaftlich fundierte Informationsgrundlage des aktuellen Standes der klinischen Forschung in kurzer
Zeit verfügbar gemacht werden, um Entscheidungen
im Gesundheitssystem zu verbessern. Die Cochrane
Library wird vierteljährlich veröffentlicht und ist als
Online-Zugang oder als CD-ROM über den englischen Verlag Wiley InterScience verfügbar.
3.4
Neue Informationen
Nach der Zulassung eines Medikamentes kann es vorkommen, dass bis dahin nicht bekannte therapeutisch
nützliche oder unerwünschte Arzneimittelwirkungen
(UAW) beobachtet werden. Auch diese Erkenntnisse
finden Eingang in die Literatur, die wie oben beschrieben abrufbar ist und bewertet wird.
3.4.1 Neu beobachtete nützliche
Wirkungen
Bei Einsatz eines zugelassenen Arzneimittels kann
es vorkommen, dass beobachtet wird, dass mit dem
Medikament eine Wirkung erzielt werden kann, die
bei der klinischen Prüfung nicht beachtet worden ist.
Dies kann zu einer Indikationserweiterung führen. So
wurde z. B. erkannt, dass Antikonvulsiva, die entwickelt wurden, um Krampfanfälle zu verhindern, stabilisierend auf phasische Krankheitsverläufe wirken,
etwa bei bipolaren affektiven Störungen. Diese neuen Erkenntnisse führen nicht automatisch zu einer
behördlich akzeptierten Indikationserweiterung eines
Präparates. Die neue Indikation muss beantragt und
genehmigt werden. Bei individuellen Patienten, die
auf eine Standardbehandlung nicht oder nicht ausreichend ansprechen, kann es sinnvoll sein, eine nur
durch Literatur belegte neue Behandlungsoption zu
nutzen. Wenn so vorgegangen wird, ist es wichtig, dass
der verordnende Therapeut die Literatur greifbar hat
und beurteilen kann, ob eine berichtete neue Behandlungsoption zuverlässig erscheint oder nicht.
3.4.2 Neu beobachtete unerwünschte
Wirkungen
Häufiger als nützliche Wirkungen werden nach der
Zulassung eines Medikamentes unerwünschte Wirkungen neu entdeckt. Wenn sie eine stationäre
Behandlung erforderlich machen oder verlängern
oder gar zum Tode führen, dann handelt es sich defini-
3
tionsgemäß um eine schwerwiegende UAW. Nach der
Berufsordnung für Ärzte müssen UAW der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ)
gemeldet werden. In der Geschäftsstelle der AKdÄ
werden die eingehenden UAW-Berichte analysiert,
bewertet und in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
in eine Datenbank aufgenommen. Bei den Meldungen,
die auch im Verdachtsfall erfolgen sollte, wird insbesondere überprüft, ob bei der Gabe eines Arzneimittels bisher nicht bekannte unerwünschte Arzneimittelwirkungen aufgetreten sind. Weisen die gewonnenen Erkenntnisse auf die Möglichkeit von Arzneimittelrisiken hin, leitet die zuständige Bundesoberbehörde (BfArM) die ggf. erforderlichen Maßnahmen
auf der Grundlage des Arzneimittelgesetzes ein. Diese können dann z. B. in Änderungen des Beipackzettels bestehen oder gar ein Verbot des Arzneimittels
zur Folge haben. Die AkdÄ teilt die UAW-Meldungen
aus der Ärzteschaft grundsätzlich nur den zuständigen Bundesoberbehörden mit. Die Daten aus der
gemeinsamen Datenbank von AkdÄ und BfArM sind
der allgemeinen Öffentlichkeit nicht zugänglich, weil
deren Interpretation spezielle Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzt. Speziell für die Psychiatrie gibt es
im deutschsprachigen Raum Pharmakovigilanzprogramme (Grohmann et al. 2004; Haen 2004), die die
Sicherheit der Anwendung von Psychopharmaka verbessern sollen.
Fazit
Information über Arzneimittel, die für Therapeuten und
Patienten leicht und umfangreich verfügbar ist, ist ein
wichtiger Bestandteil des Therapieerfolgs. Therapeuten
und Patienten sollten wissen, warum eine medikamentöse Behandlung notwendig ist, was damit erreicht werden kann und welche Risiken damit verbunden sind. Die
Fülle der angebotenen Information macht es allerdings
erforderlich, dass man nicht nur wissen muss, wo und wie
man Kenntnisse erwirbt, sondern auch wie man zwischen
guter und schlechter Qualität von Mitteilungen unterscheiden kann. Gesetzliche Vorgaben und Begutachtung
durch Experten sollen für gute Qualität sorgen, damit
Therapieentscheidungen und die vorher erforderliche
Aufklärung des Patienten auf wissenschaftlich fundierten
Erkenntnissen beruhen.
28
Kapitel 3 · Arzneimittelinformation
3.5
Checkliste
1
?
2
3
1.
2.
4
5
3.
4.
6
7
5.
8
6.
9
7.
10
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12
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14
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18
19
20
8.
9.
Über welche Inhalte muss ein Therapeut
einen Patienten mindestens aufklären, wenn
er ihm ein Medikament verschreibt?
Welches ist die Basis, auf der die Therapieentscheidung gefällt werden soll und
nach der die Aufklärung des Patienten
erfolgen soll?
Was ist unter dem Begriff Primärliteratur zu
verstehen?
Welche Art von Originalarbeiten ist zu
bevorzugen, wenn man sich über pharmakologische Wirkungen eines Medikamentes
informieren will?
Was verbirgt sich unter der Abkürzung »SPC«
für ein Arzneimittel?
Welches wesentliche Ziel soll durch die
Cochrane-Datenbank für den Therapeuten
erreicht werden?
Wie kommt man ohne Verfügbarkeit einer
eigenen Bibliothek zu Zusammenfassungen
(Abstracts) von Originalarbeiten oder Übersichtsartikeln (Reviews)?
Wie häufig ist mit einer Nebenwirkung zu
rechnen, wenn im Beipackzettel für den Patienten steht, dass sie »gelegentlich« auftreten
kann?
Was ist zu tun, wenn bei einem Patienten
nach Einnahme eines verordneten neuen
Medikamentes ein Delir aufgetreten ist,
welches nach Angaben des Herstellers bisher
nicht erwartet worden war und der Patient
deshalb stationär aufgenommen werden
musste?
29
4.1 ·
Psychopharmaka und Psychotherapie
4.1
Einleitung
– 30
4.2
Grundsätzliche Probleme
4.3
Klinische Kompetenzen und Grundmerkmale
4.4
Schlussfolgerungen
4.5
Checkliste
– 33
– 32
– 30
– 31
4
1
2
3
4
5
6
7
8
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16
17
18
19
20
30
Kapitel 4 · Psychopharmaka und Psychotherapie
4.1
Einleitung
Auch heute noch wird das Verhältnis von Psychopharmakologie und Psychotherapie von Nichtwissen,
Missverständnissen und Vorurteilen geprägt. Dies
liegt zum einen daran, dass Psychotherapeuten, insbesondere die psychologischen Psychotherapeuten,
unzureichend in den Grundlagen, den Möglichkeiten und Wirkweisen der modernen Psychopharmakotherapie ausgebildet sind. Zum anderen gibt es
unverändert rein psychopharmakologisch orientierte
Ärzte, die Möglichkeiten, Stärken, Effekte und Vorgehensweisen der modernen Psychotherapie nicht zur
Kenntnis nehmen. Häufig wird eine Konkurrenzsituation erlebt, die nicht dem Wohl der Patienten dient,
sondern eher dem Überlegenheitsnachweis der einen
oder anderen fachlichen Position. Es beharren manche
Fachvertreter auf einseitigen, rein biologischen oder
rein psychologischen Störungsmodellen, die in den
meisten Fällen verkürzt, falsch oder wissenschaftlich
überholt sind. Schließlich fehlen für viele Störungsbereiche noch angemessene Studien, die über den Nutzen und die differenzielle Indikation der Psychotherapie bzw. der Pharmakotherapie oder der Kombination
beider Verfahren, Auskunft geben.
Psychische Krankheiten sind komplexe Störungen, die sich in den seltensten Fällen alleine auf
biologische, z. B. genetische Ursachen oder alleine auf
lebensgeschichtliche, traumatische, zwischenmenschliche, also psychologische Ursachen, zurückführen lassen. Wir wissen heute, dass z. B. eine Zwangsstörung,
eine Panikstörung, eine Schizophrenie, eine Depression, eine Suchterkrankung oder eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung durch multiple Faktoren, die in komplexer Interaktion miteinander stehen, verursacht und in ihrem weiteren Verlauf geprägt
werden.
Dies soll an einem Beispiel gezeigt werden: Zur
Bedeutung des Serotoninrezeptors ist im Jahre 2003
die wichtige Arbeit von Caspi et al. (2003) erschienen.
Sie legt empirische Daten zur Interaktion von Genotyp, Umwelt (Stress) und Depression vor. Die Autoren konnten nachweisen, dass die Kurzform des Promotors des 5-HT-Transporter-Gens (s/s) für die veränderte Stresssensivität verantwortlich ist. Individuen mit diesen 2 kurzen Allelen (s/s) entwickelten
im Gegensatz zu Individuen mit langen Allelen (l/l)
signifikant häufiger depressive Symptome auf mehrere stressreiche Lebensereignisse. Es wird vermutet,
dass der l/l-Genotyp bessere Copingstrategien gegen
Stressoren besitzt. Die Befunde sind im Kern mehrfach bestätigt (7 Kap. 15).
Wir sprechen daher heute von psychobiologischen oder neurobiologischen Konzepten, die zum
Verständnis der psychischen Störungen und deren
Behandlung erforderlich sind und im Rahmen eines
Gesamtbehandlungsplans auch Berücksichtigung finden sollten.
Mehr und mehr Befunde zeigen, dass durch Psychotherapie nicht nur das Erleben, also die subjektive
Seite einer Störung oder das Denken und Verhalten
beeinflussbar sind, sondern eine erfolgreiche Psychotherapie immer auch neurobiologische Prozesse (Neurotransmitter, Funktionen, Strukturen) verändert. Das
ist inzwischen für Zwangsstörungen, Panikstörungen
oder auch Depressionen mittels bildgebender Verfahren nachgewiesen. Gleichzeitig wissen wir, dass eine
erfolgreiche Pharmakotherapie über die Regulation
von z. B. Rezeptorstrukturen in bestimmten Hirnarealen darüber hinaus auch die Funktionsweise neuronaler Systeme moduliert und damit auch das Erleben,
Denken und Verhalten verändert. Psychotherapie und
Pharmakotherapie wirken zunächst auf unterschiedliche Systeme ein, beeinflussen darüber dann weitere,
vermittelnde Prozesse, um letztlich zu demselben Ziel
zu führen: die Störung zu beheben, zu lindern oder
durch Substitutionsprozesse ertragbar bzw. bewältigbar zu machen. Es verwundert daher nicht, wenn
in einer Studie (Mayberg et al. 2002) herausgefunden wurde, dass erfolgreiche Pharmakotherapie und
in einigen Fällen auch Placebomedikation zu denselben neurobiologischen und psychologischen Veränderungen führten oder in einer anderen Studie (Goldapple et al. 2004) erste Hinweise geliefert wurden,
dass kognitive Verhaltenstherapie und Antidepressiva zu vergleichbaren Effekten gelangten, dies jedoch
– zumindest in einzelnen Abschnitten – auf unterschiedlichen neurobiologischen Wegen.
4.2
Grundsätzliche Probleme
Man hört immer wieder die Äußerung, dass die Einnahme von Psychopharmaka negative Auswirkungen
auf die Kooperation und Veränderungsbereitschaft bei
Patienten habe. Dies soll zum einen dadurch bedingt
sein, dass die Einnahme von Medikamenten sehr viel
schneller wirke, also zur raschen Symptomreduktion
führe und damit dem Patienten die Motivation zur
Psychotherapie nehmen könne. Zum anderen würde durch Medikamente eine passive Haltung bei Patienten gefördert werden, was sich langfristig auf die
Gesundung ungünstig auswirke. Diese Vermutungen
stellen aber eher Vorurteile dar, denn die bislang vorliegenden Befunde zur Kombination von Pharmako-
31
4.3 · Klinische Kompetenzen und Grundmerkmale
therapie und Psychotherapie bzw. zur anfänglichen
Pharmakotherapie und späteren Psychotherapie
widersprechen dieser Behauptung. Es muss zusätzlich
hervorgehoben werden, dass die empirische Befundlage zu dieser Hypothese nicht stark ist und keine
abschließende Bewertung, und schon gar nicht für
alle Störungsbereiche bzw. alle Medikamentengruppen, erlaubt.
Psychotherapeuten befürchten oft, dass sich Patienten durch die Empfehlung zur Einnahme von Psychopharmaka abgewertet, abgeschoben oder unverstanden vorkommen und darüber hinaus ungünstige
Auswirkungen auf die Therapeuten-Patienten-Beziehung entstehen. Auch hier bestimmen eher Vorurteile
als reale Erfahrungen oder gar empirische Belege die
Diskussion. Tatsächlich fühlen sich Patienten durch
die offene Ansprache und die Erklärung des Nutzens
eines Medikaments, z. B. parallel zu einer Psychotherapie, ernst genommen und an Entscheidungsprozessen beteiligt. Das therapeutische Arbeitsbündnis wird
eher gestärkt. Fragt man Patienten nach dem Grund
einer erfolgreichen Kombinationsbehandlung aus
Psycho- und Pharmakotherapie, dann führen sie in
der Regel die Erfolge auf die Wirkung der Psychotherapie, also auf ihre eigenen Anstrengungen zurück.
Befürchtungen des psychodynamisch orientierten
Psychotherapeuten bezüglich des Einsatzes von Psychopharmaka während einer Psychotherapie gehen
vor allem davon aus, dass Regressionsbedürfnisse seitens des Patienten gefördert werden und ungünstige
Auswirkungen auf die Therapeuten-Patienten-Beziehung (Medikament als »symbolischer Dritter«) eintreten, Gegenübertragungen seitens des Therapeuten
(Patient ruhig stellen, aggressive Impulse) unerkannt
vorliegen oder Reaktionsbildungen bei Patienten (soll
ruhig gestellt werden, Fremdkontrolle) hervorgerufen
werden. Diese Befürchtungen entbehren der empirischen Grundlage. Es sind Überlegungen, die aus den
theoretischen Konzepten dieser Therapieform resultieren, ohne mit klinischen oder gar empirischen Erfahrungen übereinzustimmen. Psychodynamisch orientierte Psychotherapeuten sehen heute selbst, dass es an
der Zeit ist, sich von »antiseptischen analytischen Attitüden, wie z. B. die Kur muss in der Abstinenz durchgeführt werden, frei zu machen« und zu einer rationalen, patientengerechten Abwägung verschiedenster
Hilfsmöglichkeiten zu kommen. Ein guter Psychotherapeut sollte sich also von der »Entweder-oder«-Haltung zu einer »Sowohl-als-auch«-Haltung entwickeln
(Rüger 1979).
Die Einnahme von Psychopharmaka hat insofern Vorteile, als insbesondere bei ausgeprägten Symptomen und einer starken Beeinträchtigung die initi-
4
ale und rasch einsetzende Wirkung der Medikamente
eine psychotherapeutische Behandlung überhaupt
erst ermöglicht: Oft ist bei schwer depressiven Patienten, bei schweren Zwangsstörungen oder bei psychotischen Symptomen der Zugang zu den Betroffenen nicht möglich. Erst der Wirkeintritt der Psychopharmaka schafft diese zentralen Voraussetzungen für
eine Psychotherapie. Oft kommt eine Medikation dem
subjektiven Krankheitsverständnis der Patienten entgegen. Sie können sich als »richtig« (organisch) krank
erleben, was im Verlauf jedoch die Möglichkeit eröffnet, allmählich ein psychobiologisches Modell und
damit auch den Wert von Lernen, Selbstkontrolle,
also Psychotherapie, zu erarbeiten. Die Kombination
aus Pharmakotherapie und Psychotherapie hat folglich einen synergistischen Effekt, der sich meist günstig auf den Therapieerfolg und den längerfristigen
Therapieverlauf auswirkt.
Bei einigen psychischen Störungen (z. B. bei chronischen Depressionen) hat sich die Kombination aus
Pharmakotherapie und Psychotherapie als eindeutig besser herausgestellt als die jeweiligen Monotherapien. Zur Akzeptanz der Kombinationsbehandlung bei Patienten und bei Therapeuten ist jedoch das
Wissen über Psychopharmakotherapie und Psychotherapie wesentlich. Durch die psychotherapeutische
Begleitung wird die Medikamentencompliance (z. B.
bei schizophrenen oder bipolaren Patienten) verbessert, was sich günstig auf den Verlauf und insgesamt
auf den Therapieerfolg auswirkt. Schließlich besteht
die berechtigte Vermutung, dass Misserfolge (sog.
Non-Responder oder Teilremissionen) in der Psychotherapie durch ergänzende oder nachfolgende Psychopharmakotherapie erfolgreich behandelt werden
können. Die empirische Befundlage hierzu ist jedoch
noch sehr schwach.
4.3
Klinische Kompetenzen und
Grundmerkmale
Die Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie ist mehr als die simultane Anwendung
von zwei Interventionsformen. Es gilt Interaktionen
zwischen beiden Behandlungen und die Integration in einen problembezogenen und zielorientierten
Gesamtbehandlungsplan zu bedenken. Für den Psychotherapeuten bzw. den Kinder- und Jugendpsychotherapeuten haben wir es immer mit einem »Dreiecksverhältnis« von Patient (bzw. dessen Familie), Psychotherapeuten und Pharmakotherapeuten zu tun. Dies
erfordert die von Vertrauen geprägte offene Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Gerade bei Kin-
32
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
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18
19
20
Kapitel 4 · Psychopharmaka und Psychotherapie
dern und Jugendlichen ist die Abstimmung der psychotherapeutischen und psychopharmakologischen
Maßnahmen auf das jeweilige Alter bzw. den jeweiligen Entwicklungsstand wichtig.
Vor dem Beginn einer Kombinationsbehandlung
sollte die Indikation sowohl zur Psychotherapie als
auch zur Psychopharmakotherapie sowie deren Stellenwert im Gesamtbehandlungsplan geprüft werden. Zwischen den Beteiligten sollte ein Konsens über
die Notwendigkeit der Kombinationstherapie bestehen. Bei psychotischen Symptomen, Schizophrenien,
schweren Depressionen, Manien und akuter Suizidalität besteht absolute Indikation für eine Pharmakotherapie und die Psychotherapie hat adjuvanten Stellenwert. Bei einigen Angststörungen, leichteren Depressionen, somatoformen Störungen, Essstörungen oder
der Entwöhnungstherapie bei Substanzabhängigkeiten
(nicht bei der Entgiftung) ist die Psychotherapie vorrangig und die Pharmakotherapie hat oft den Stellenwert eines additiven Verfahrens. Bei Störungen im
Kindes- und Jugendalter haben bei den meisten Störungen psychologische Maßnahmen unter Einbezug
der Eltern Vorrang, doch ist bei schweren Störungen,
z. B. den stark ausgeprägten Aufmerksamkeits- und
Hyperaktivitätsstörungen, heute die Kombination
aus Psychopharmakotherapie und Psychotherapie die
Regel. Zur detaillierteren Diskussion der Indikation
von Psychopharmaka und der Kombination mit Psychotherapie, vor allem auch die differenzielle Indikation bei speziellen Patientengruppen bzw. schweren
Störungsformen, verweisen wir auf die nachfolgenden
Kapitel.
Ein Psychotherapeut muss folglich über Grundinformationen zu den verordneten Medikamenten verfügen. Diese wird ihm in diesem Leitfaden vermittelt.
Auch die Psychotherapeuten sollten in der Lage
sein, die Patienten über die verordneten Medikamente
zu informieren, um sie dann in Detailfragen auf den
Psychopharmakotherapeuten zu verweisen. Meist hat
ein Psychotherapeut sehr viel regelmäßiger und häufiger Kontakt zu Patienten, als der Psychopharmakotherapeut. Die Beobachtung von erwünschten und
unerwünschten Wirkungen eines Medikaments ist
dadurch sehr viel eher möglich. Entsprechend sind
regelmäßige Kontakte zwischen Psychotherapeuten
und Pharmakotherapeuten notwendig, um Dosisanpassungen, Korrekturen oder Ergänzungen rasch
durchzuführen.
Sind bestimmte Psychotherapien geplant, etwa
Expositionsübungen im Rahmen einer Angstbehand-
lung, dann kann der Effekt durch parallele Medikation u. U. geschmälert werden. Dies bezieht sich auf
das Erregungsniveau, die Habituation, die kognitive
Verarbeitung oder das Vermeidungsverhalten. Folglich sind rechtzeitig vor Durchführung dieser Psychotherapie Absprachen mit Patienten und Psychopharmakotherapeuten zu treffen, um eine Reduktion der
bestehenden Medikation einzuleiten.
4.4
Schlussfolgerungen
Es ist ethisch bedenklich, wenn ein Psychotherapeut
seinen Patienten Schaden zufügt, weil er gegen Medikamente eingestellt ist, diese im Einzelfall vorenthält
oder gar gegen empirisch nachweisliche Evidenz die
Indikation für eine Pharmakotherapie nicht sieht. Es
ist jedoch ebenso problematisch, Patienten, bei entsprechender Indikation, psychotherapeutische Hilfen
nicht zukommen zu lassen und allein auf medikamentöse Therapie zu vertrauen. Im Einzelfall gilt es immer
abzuwägen, welcher Nutzen bzw. Schaden mit einer
therapeutischen Maßnahme (sei sie psychotherapeutisch oder pharmakotherapeutisch) verbunden ist,
aus welchen subjektiven Motiven heraus ein Patient
eher eine Pharmakotherapie oder eher eine Psychotherapie favorisiert. Im Zentrum einer jeden Therapie stehen das Gespräch und das professionelle, offene
und aufrichtige Verhältnis zwischen Therapeuten und
Patienten. In diesem Sinne muss es selbstverständlich
werden, dass eine gute Psychopharmakotherapie von
einer zumindest unterstützenden, erklärenden, die
Probleme und Konflikte des Patienten verstehenden
sowie bewältigenden Psychotherapie begleitet wird.
Dabei ist es sowohl bei der Pharmakotherapie als
auch bei der Psychotherapie wichtig auf Hinweise zu
achten, die eine Störung der Therapeuten-PatientenBeziehung signalisieren, z. B. dass Patienten zu wenig
kooperativ sind (verordnete Medikation nicht einnehmen, ständig über neue aber unwahrscheinliche
Nebenwirkungen berichten, Termine versäumen, vereinbarte Verhaltensübungen oder andere »Hausaufgaben« nicht durchführen) oder auf nicht offen gelegte
Ziele orientiert sind (z. B. Berentung). Solche Probleme sind nicht durch die Verordnung immer neuer
Psychopharmka oder immer neue Vorschläge auf der
psychotherapeutischen Ebene zu lösen, sondern müssen direkt angesprochen werden.
4.5 · Checkliste
Checkliste
4.5
?
1.
2.
Welche Beispiele einer sinnvollen Kombination von Pharmakotherapie und Psychotherapie kennen Sie?
Wann besteht eine absolute Indikation für
eine Pharmakotherapie?
33
4
35
5.1 ·
Präparate
5
Antidepressiva – 37
6
Stimmungsstabilisierer
7
Antipsychotika – 71
8
Anxiolytika – 83
9
Hypnotika
10
Antidementiva – 105
11
Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und
Entzug – 109
12
Medikamente zur Behandlung von
sexuellen Störungen – 117
13
Antiadiposita – 123
14
Medikamente zur Behandlung von ADHS,
Hypersomnien und Bewegungsstörungen
– 61
– 95
– 127
II
5
37
5.1 ·
5
Antidepressiva
5.1
Einteilung
5.1.1
5.1.2
Historische Entwicklung
Ordnungsprinzip – 39
5.2
Wirkungsmechanismus
5.3
Allgemeine Therapieprinzipien
5.4
Indikationen
5.5
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer – 45
5.6
Nebenwirkungen
5.7
Kontraindikationen und Intoxikationen
5.8
Wechselwirkungen
5.9
Routineuntersuchungen
5.10
Antidepressiva im höheren Lebensalter
5.11
Präparategruppen
5.11.1
5.11.2
5.11.5
5.11.6
5.11.7
5.11.8
Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) – 53
Selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer
(SNRI) – 54
Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer – 55
Noradrenerges/spezifisch serotonerges Antidepressivum
mit α2-Adrenozeptor antagonistischer Wirkung – 55
Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer – 56
Trizyklische Antidepressiva (TZA) – 57
MAO-Hemmer – 57
Pflanzliche Präparate – 58
5.12
Antidepressiva in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
5.13
Checkliste
5.11.3
5.11.4
– 38
– 38
– 40
– 43
– 43
– 60
– 45
– 50
– 51
– 51
– 52
– 53
– 58
38
Kapitel 5 · Antidepressiva
5.1
Einteilung
1
Definition
2
3
4
5
6
7
8
Antidepressiva sind eine heterogene Gruppe
von Pharmaka, die bei depressiven Syndromen
unterschiedlicher nosologischer Zuordnung und
Charakteristik einen stimmungsaufhellenden
und/oder antriebsverbessernden Therapieeffekt
haben. Aufgrund dieser Wirkkomponente erhielt die gesamte Gruppe die Bezeichnung »Antidepressiva«. Zusätzlich sind sie bei einer Reihe
weiterer Störungsbilder, etwa den Angststörungen (7 Kap. 17) oder den Zwangsstörungen
(7 Kap. 19) wirksam, sodass der Begriff »Antidepressiva« nur einen Aspekt ihrer therapeutischen
Potenz darstellt; aus historischen Gründen hat
man ihn aber beibehalten. Die Bedeutung der Antidepressiva bei den einzelnen Indikationen wird
in den entsprechenden Kapiteln beschrieben.
9
5.1.1 Historische Entwicklung
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Die Entwicklung von antidepressiven Substanzen
begann mit der Beschreibung der therapeutischen
Wirksamkeit des Imipramins bei depressiven Patienten. Der Schweizer Psychiater Kuhn hatte sich seit
der Entdeckung des Chlorpromazins (7 Kap. 7.1) im
Jahre 1957 mit der klinischen Erprobung von potenziellen Psychopharmaka befasst, weil er schon 1950 bei
schwach hypnotisch wirkenden Antihistaminika eine
therapeutische Wirkung bei psychotischen Patienten
gesehen hatte (Kuhn 1957). Im Rahmen dieser Untersuchungen behandelte er Patienten mit unterschiedlichen psychiatrischen Krankheitsbildern mit Imipramin und beschrieb das Wirkungsspektrum der Substanz als »schwaches Chlorpromazin«. Er engte dann
seine Untersuchungen auf Patienten mit »endogenen
Depressionen« ein. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen veranlassten ihn dann zur Feststellung, dass
Imipramin Verstimmungen aufhellen und depressive
Gehemmtheit beseitigen könne.
Imipramin gehört zu der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva (TZA). Sie haben eine charakteristische Anordnung von 3 Ringen (»Trizyklus«);
Unterschiede der Substanzen am Zentralring und/
oder an der Seitenkette sind zwar strukturchemisch
häufig nur gering, doch resultieren daraus oft erhebliche qualitative Änderungen des pharmakologischen
und klinischen Wirkungsbildes.
Zeitgleich wurde von den amerikanischen Psychiatern der Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hemmer) Iproniazid, der bisher als Tuberkulostatikum
verwendet wurde, als Antidepressivum entdeckt (Loomer et al. 1957).
Die Entdeckung, dass MAO-Hemmer antidepressiv wirken und dass der Mechanismus auf einer
Erhöhung der Neurotransmitterkonzentration in den
Synapsen beruhen musste, war ein Meilenstein in der
psychiatrischen Forschung und führte zu den »Noradrenalin- und Serotoninhypothesen der Depression«.
Mit dem Wissen, dass eine psychiatrische Erkrankung ein biochemisches Korrelat hat und durch
Medikamente beeinflussbar ist, begann die weltweite biologisch-psychiatrische Forschung. Eine Parallele konnten die Forscher am Beispiel einer neurologischen Krankheit, der Parkinson-Krankheit, verfolgen: Durch die Gabe der Dopaminvorstufe L-DOPA
kann der Dopaminmangel in den Stammganglien
kompensiert werden und ein rascher Therapieerfolg
stellt sich ein. Allerdings musste man schnell feststellen, dass sich die Depression durch Substitution von
Neurotransmittervorstufen, wie L-Tryptophan für
Serotonin oder L-Tyrosin für Noradrenalin, klinisch
nicht beeinflussen ließ.
TZA und MAO-Hemmer waren bis in die 1980erJahre hinein die wichtigste Gruppe der Antidepressiva. Die Entdeckung der selektiven Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) als gleichwirksame Substanzen,
aber bei deutlich weniger Nebenwirkungen und geringerer Toxizität, führte seit den 90er-Jahren zur langsamen Ablösung der TZA und MAO-Hemmer. Der
erste SSRI wurde 1977 klinisch angewandt (Benkert et
al. 1977). Die SSRI hemmen relativ selektiv die Rückaufnahmehemmung von Serotonin im synaptischen
Spalt. Da man Ende der 1980er-Jahre endlich selektiv
wirkende Antidepressiva zur Verfügung hatte, war die
Hoffnung groß, weitere Grundlagen der Depression
über diesen neuen Wirkmechanismus zu erforschen.
Im jüngsten Schritt der Entwicklung von Antidepressiva versucht man, über die selektive Wirkung der
SSRI hinaus gleichzeitig ein zweites Monaminsystem
selektiv zu aktivieren, um die Wirksamkeit zu verstärken. Zumeist ist es neben dem serotonergen noch das
noradrenerge System. Einen allgemein akzeptierten
Begriff für diese »dualen Antidepressiva« hat man
noch nicht gefunden. Wenn die Serotonin- und die
Noradrenalinrückaufnahme gehemmt wird, spricht
man von selektiven Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahmehemmern (SNRI).
Da nur 50–70% der depressiven Patienten auf
Antidepressiva beim ersten Therapieversuch respondieren, ist große Forschungsaktivität nötig, um Anti-
39
5.1 · Einleitung
depressiva mit völlig neuen Wirkprinzipien zu entwickeln. Der Unterschied von Placebo und den Antidepressiva ist immer noch geringer, als man sich ihn
erhofft. Der Unterschied wird aber tendenziell größer, je schwerer depressiv die untersuchten Patienten
bei Behandlungsbeginn sind (Khan et al. 2004). Auf
der anderen Seite wurde auch in einer Metaanalyse
von 31 placebokontrollierten Studien ein hoch signifikanter Wirksamkeitsunterschied mit Relapseraten in der Erhaltungstherapie von 41% unter Placebo
und immerhin nur 18% unter Antidepressiva gesehen
(Geddes et al. 2003).
Tatsächlich nimmt in kontrollierten Studien der
Anteil jener Studien zu, in denen kein Unterschied
zwischen Placebo und dem neuen Prüfpräparat oder
sogar von lang bewährten Antidepressiva gesehen
wird. Als Ursache dafür ist die zunehmende Anzahl
von Einflussgrößen auf die antidepressive Behandlung anzunehmen. Dabei stellt der pharmakologische Effekt des Prüfpräparates nur einen mehrer
Behandlungseffekte dar. So wird auch immer wieder die Methodik der Antidepressivastudien diskutiert
und gerade die Anwendung des Placeboarms in Frage gestellt. Ein weiteres methodisches Problem wird
bei der Auswertung von Studien zur Kombination von
Psychotherapie und Antidepressiva evident, weil sich
der bekannte Placeboeffekt bei der Anwendung zweier
kombinierter Therapien nicht addieren kann und so
eine mögliche Überlegenheit der Kombinationstherapie nicht nachweisbar ist (Huber 2005).
Die Weiterentwicklung nur der bisherigen Strategien hat zwar insgesamt zu einer besseren Verträglichkeit, nicht aber zu einer besseren Wirksamkeit der
Antidepressiva geführt. Die jüngste Einführung eines
neuen Antidepressivums ist der Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer Bupropion.
Agomelatin, ein Melatoninrezeptoragonist, steht
im Zulassungsprozess. Agomelatin hat eine agonistische Wirkung an den Melatoninrezeptoren 1 und
2, aber gleichzeitig auch eine 5-HT2C-antagonistische
Komponente.
Unter den vielen neuen alternativen pharmakologischen Ansätzen ist zu hoffen, dass sich der Corticotropin-releasing-Hormon (CRH)-Rezeptor-1-Antagonist als Antidepressivum bewähren wird. Die Strategie
leitet sich aus der Vielzahl von empirischen Befunden
ab, die eine Hyperaktivität des hypothalamisch-hypophysär-adrenalen (HPA)-Systems, das u. a. die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol reguliert, bei
depressiven Störungen annimmt. Auch der Einsatz
von Kortisolsynthesehemmern liegt theoretisch hierin
begründet. Eine endgültige Bewertung der Wertigkeit
dieser Strategien ist derzeit noch nicht möglich.
5
5.1.2 Ordnungsprinzip
Definition
Heute werden die Antidepressiva nach dem primären Angriffspunkt im ZNS eingeteilt. Dieses
Einteilungsprinzip ist zu bevorzugen, da es pharmakologisch am aussagekräftigsten ist.
5 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
(SSRI):
– Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin,
Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin
5 Selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer (SNRI, duale Antidepressiva):
– Duloxetin, Milnacipran, Venlafaxin
5 Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer:
– Reboxitin
5 noradrenerges/spezifisch serotonerges
Antidepressivum mit α2-Andrenozeptor
antagonistischer Wirkung:
– Mirtazapin
5 Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer
– Bupropion
5 Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hemmer):
– Moclobemid
– Tranylcypromin
5 Trizyklische Antidepressiva (TZA):
– Amitriptylin, Clomipramin, Imipramin,
Trimipramin
5 Pflanzliche Präparate:
– Hypericum-Extrakte
Das frühere Ordnungsprinzip war einfacher, bezog
sich aber nur auf die chemische Struktur:
5 Trizyklische Antidepressiva
5 Tetrazyklische Antidepressiva: Maprotilin, Mianserin, strukturchemisch auch Mirtazapin.
5 Chemisch neuartige Antidepressiva: Sie zeigen
untereinander keine strukturchemische Ähnlichkeit mehr, z. B. Duloxetin, Reboxetin, Venlafaxin
oder SSRI.
Gerade weil die modernen Antidepressiva keiner chemischen Gruppe mehr zugeordnet werden können,
ist die Einteilung nach pharmakologischen Gesichtspunkten sinnvoll.
1
2
3
4
5
6
40
Kapitel 5 · Antidepressiva
5.2
Wirkungsmechanismus
Bei der Pathophysiologie depressiver Syndrome sind
Veränderungen des zentralnervösen Stoffwechsels
einiger Neurotransmitter (als Ursache oder als Folge
anderer Einflussgrößen wie etwa Stressoren) besonders relevant für die Entstehung oder Unterhaltung
klinischer Symptome. Dies gilt für Serotonin, NA und
DA. Der eigentliche Wirkmechanismus von Antidepressiva ist noch unbekannt. Die meisten heute
bekannten Antidepressiva beeinflussen pharmakologisch eines oder mehrere dieser Neurotransmittersysteme im ZNS. Die folgenden Ausführungen sind zum
Teil dem Handbuchartikel zu diesem Thema entnommen (zit. nach Eckert u. Müller 2008, S. 31–32).
Rezeptorfunktion
Die Rezeptorfunktion mit der chemischen Neurotransmission wird in . Abb. 5.1 erklärt.
Wichtig
Im Neuron werden zur Synthese des Neurotransmitter Vorstufen aufgenommen. Neben der
schnellen Freisetzung des Neurotransmitters ist
die sofortige Inaktivierung in der Synapse genauso wichtig. Dies kann über drei Wege geschehen:
5 Die Wiederaufnahme (»reuptake«) in das
präsynaptische Neuron (am jeweiligen Transportermolekül),
5 den enzymatischen Abbau oder
5 durch Aufnahme in die Gliazellen.
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
. Abb. 5.1. Schematische Darstellung einer chemischen
Synapse zwischen 2 Nervenzellen. Der Transmitter selbst –
oder meist seine Vorstufe – wird von spezifischen Systemen
ins Neuron aufgenommen (A). Der aufgenommene Transmitter wird über axonalen Transport an die Nervenendigungen
transportiert (B) und dort in Vesikeln gespeichert (C). Durch
ein Aktionspotenzial des Axons und ein damit verbundener
Ca2+-Einstrom wird der Transmitter durch Exozytose aus den
Vesikeln in den synaptischen Spalt freigesetzt (D) und kann
nach Diffusion (E) mit Rezeptoren auf der postsynaptischen
Seite reagieren (F). Die Inaktivierung des Transmitters erfolgt
durch Abbau oder Aufnahme an der postsynaptischen Seite (G), durch Rückdiffusion (H) und Aufnahme ins präsynaptische Neuron (1) bzw. in synapsebegleitende Gliazellen (J).
Präsynaptische Autorezeptoren (K) bzw. präsynaptische Heterorezeptoren (L) können die Menge des freigesetzten Transmitters beeinflussen oder auch die Syntheserate regulieren. (Aus
Eckert u. Müller 2008)
41
5.2 · Wirkungsmechanismus
5 Die Blockade dieser Inaktivierungsmechanismen stellt einen für Psychopharmaka wichtigen
Angriffspunkt dar. So blockieren viele Antidepressiva die neuronale Wiederaufnahme der
Transmitter NA und Serotonin. Inhibitoren des
in den Mitochondrien lokalisierten Enzyms
Monoaminoxidase hemmen den intra- und
extraneuronalen Abbau aminerger Transmitter.
5 Die Informationsweitergabe wird auf der postsynaptischen Seite von Rezeptoren übernommen,
die vom freigesetzten Neurotransmitter besetzt
werden und die das über die Besetzung ausgelöste Signal dann über verschiedene Transduktionsmechanismen in das rezeptive Neuron weiterleiten. Ähnlich wie im peripheren Nervensystem
ist dieser Teil der chemischen Neurotransmission im ZNS ein ganz wesentlicher Angriffspunkt
für Pharmaka.
5 Solche Effekte treten schnell ein. Antidepressiva
dagegen zeigen ihre volle Wirksamkeit erst nach
tagelanger, oft wochenlanger Latenz. Dies hat zu
der Vorstellung geführt, dass akute pharmakologische Effekte möglicherweise nicht den eigentlichen Wirkungsmechanismus der Antidepressiva
darstellen, sondern dass adaptive Veränderungen
der Neurone eine entscheidende Rolle spielen.
Mit dieser Fähigkeit können die Neurone ihren
Funktionszustand verschiedenen Bedingungen
anpassen und überschießende oder ungenügende
Aktivitäten in bestimmten Bereichen des ZNS
kompensieren.
Die adaptiven Vorgänge werden durch die akute
Blockade der neuronalen Wiederaufnahme und
der damit verbundenen initialen Konzentrationserhöhung von NA bzw. Serotonin in den jeweiligen Synapsen auf der postsynaptischen Seite angestoßen. An den postsynaptischen Rezeptoren verändert sich nun Dichte und Funktionalität, die schließlich zu der antidepressiven Wirkung führen.
Pharmakologische Wirkprofile
Viele Antidepressiva beeinflussen verschiedenste Neurotransmittersysteme im ZNS (z. B. acetylcholinerge
oder histaminerge Systeme). Effekte auf diese Transmittersysteme bestimmen oft das klinische Wirkprofil der Substanz, also sowohl den eigentlichen antidepressiven Effekt als auch eine Reihe unerwünschter
Wirkungen.
Komplexe Zusammenhänge ergeben sich dadurch,
dass für jedes Neurotransmittersystem Untergruppen
von Rezeptoren, die die zelluläre Wirkung des Transmitters vermitteln, und Inaktivierungsmechanismen
5
des Neurotransmitters (z. B. Rückaufnahmemechanismen und Abbauvorgänge) bekannt sind. So hat z. B.
die Lokalisation eines Rezeptors Bedeutung für seine funktionelle Wirkung; ebenso ergibt sich eine differenzielle Wirkung, je nachdem, welcher Rezeptorsubtyp eines Neurotransmittersystems aktiviert wird.
Darüber hinaus entfalten die einzelnen Pharmaka eine
unterschiedlich starke Wirkung an den Komponenten eines Neurotransmittersystems (. Tab. 5.1). Die
indirekte oder direkte Stimulation der Rezeptorsysteme führt auf der Ebene der intrazellulären Secondmessenger-Systeme und der nachgeschalteten Genexpression zu einer Fülle von adaptativen Vorgängen
(s. oben), die man mit der antidepressiven Wirkung in
Zusammenhang bringt. Zusätzlich stehen die verschiedenen Neurotransmittersysteme miteinander in funktionellen Beziehungen, sodass bei Beeinflussung eines
Systems eine indirekte Wirkung auf ein zweites ausgeübt werden kann. Die Wirkung eines Medikaments
hängt somit von einer Vielzahl von Faktoren ab.
Selektive Wirkung
Man muss davon ausgehen, dass einzelne Funktionen des Gehirns bestimmten Kerngebieten bzw.
bestimmten Verbänden von Neuronen zugeordnet
werden können, die zusätzlich über verschiedenartigste Querverbindungen modulierende Impulse aus
anderen Arealen des Gehirns erhalten. Ausgehend
von dem klinischen Wunsch, bestimmte psychopathologische Symptome bzw. Syndrome möglichst selektiv
korrigieren zu können, wird nach Psychopharmaka
gesucht, die gezielt bestimmte Funktionen oder gegebenenfalls bestimmte Areale des ZNS beeinflussen.
Diesen selektiven Mechanismus kann man jetzt
immer genauer durch die Anwendung bildgebender
Verfahren studieren.
Die heute in der Regel verfolgte Strategie, biochemisch hochselektive Psychopharmaka zu entwickeln,
die z. B. nur noch eine Unterklasse eines Rezeptors
aktivieren, ist sicher berechtigt, weil so die Chance
besteht, dass eine Beeinflussung dieses hochselektiven
Systems dann funktionell nur in spezifischen Arealen des ZNS relevant wird. Insofern kann diese Strategie durchaus zu funktionell spezifischen Pharmaka
führen. Die neuen Antidepressiva haben eine deutlich stärkere Selektivität als die TZA. Eine klinische
Spezifität im Sinne eines besseren oder schlechteren
Ansprechens bestimmter Untergruppen depressiver
Patienten konnte für diese Substanzen bis heute, bis
auf geringe klinische Unterschiede, aber nicht belegt
werden.
Darüber hinaus entwickelt man heute, nach einer
Phase hochselektiver Substanzen, ganz bewusst auch
42
Kapitel 5 · Antidepressiva
. Tab. 5.1. Übersicht der pharmakologischen Angriffspunkte von wichtigen Antidepressiva. (Benkert u. Hippius 20071)
1
5-HTTa
NAT
MAO
mACh
H1
5-HT2
DA
α1
α2
Amitriptylin
++
++
0
++
+++
++
+/–
+++
0
Amitriptylinoxid
++
++
0
++
++
++
0
++
0
Citalopram
+++
+/–
0
0
+/–
0
0
+/–
0
4
Clomipramin
+++
++
0
++
+
+
+/–
++
0
Desipramin
+
+++
0
+
+
+
+/–
+
0
5
Doxepin
+
++
0
+
+++
++
0
+++
0
Duloxetin
+++
++
0
+/–
+/–
0
+
+/–
0
Escitalopram
+++
+/–
0
0
+/–
0
0
+/–
0
7
Fluoxetin
+++
+/–
0
+/–
+/–
0
+/–
+/–
0
Fluvoxamin
+++
+/–
0
0
0
0
+/–
+/–
0
8
Imipramin
+++
++
0
+
+/–
+
0
+
0
Maprotilin
0
++
0
++
+++
+
0
+
0
Milnacipran
++
++
0
0
0
0
0
0
0
10
Mirtazapin
+/–
0
0
+
+++
++
0
+
++
Moclobemid
0
0
++
0
0
0
0
0
0
11
Nortriptilyn
+
+++
0
+
++
+
0
+
0
Paroxetin
+++
++
0
+
0
0
+
+/–
0
Reboxetin
0
+++
0
0
0
0
0
0
0
13
Sertralin
+++
+/–
0
+/–
0
0
+
0
0
Tranylcypromin
0
+
+++
0
0
0
0
0
0
14
Trimipramin
0
0
0
++
+++
+
+
+++
0
Venlafaxin
+++
+
0
0
0
0
+/–
0
0
2
3
6
9
12
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16
17
18
19
20
1
Tabellen wurden hier und in den folgenden Kapiteln direkt bzw. modifiziert aus dem Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie (Benkert u. Hippius 2007) übernommen.
5-HTT 5-HT-Transporter; NAT NA-Transporter; MAO Monoaminoxidase; mACh Antagonismus an muskarinischen Azetylcholinrezeptoren;
H1 Antagonismus an Histaminrezeptoren (Typ 1); 5-HT2 Antagonismus an 5-HT2-Rezeptoren; DA Antagonismus an DA-Rezeptoren; α1 Antagonismus an α1-Adrenorezeptoren; α2 Antagonismus an α2-Adrenorezeptoren; +++ sehr stark; ++ stark; + schwach; +/– sehr schwach;
0 nicht wirksam.
a Der Serotonin (5-HT)-Transporter, 5-HTT, sorgt für den Transport von Serotonin in das präsynaptische Neuron, beendet damit die
synaptische Wirkung und führt Serotonin wieder zurück in den Neurotransmitterpool. Der 5-HTT-Polymorphismus hat für die therapeutische Wirkung bei depressiven Patienten wahrscheinlich eine besonders wichtige Bedeutung.
Psychopharmaka mit mehreren biochemischen Wirkungsmechanismen (z. B. die dualen Antidepressiva). Insgesamt scheint aber diese Entwicklungsstrategie jetzt beendet zu sein; die Suche nach völlig neu-
en Wirkansätzen muss jetzt im Vordergrund stehen
(7 Abschn. 5.1.2).
43
5.4 · Indikationen
5.3
Allgemeine Therapieprinzipien
5 Grundsätzlich soll die Verordnung von Antidepressiva im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans erfolgen, der neben der medikamentösen
Behandlung psychotherapeutische, psychosoziale und psychoedukative Maßnahmen umfasst.
(7 Abschn. 15.1).
5 Die Therapie sollte von Beginn an unter Berücksichtigung der Schwere und Art der aktuellen
Symptomatik unter Vermittlung eines Krankheits- und Therapiekonzepts mit dem Patienten
besprochen werden.
5 Bei der Behandlung mit Antidepressiva ist damit
zu rechnen, dass sich erwünschte Therapieeffekte erst im Verlauf von 4–8 Wochen voll ausbilden. Typischerweise treten im Behandlungsverlauf zunächst Nebenwirkungen, danach erst der
antidepressive Effekt auf. Darüber sollte der Patient informiert werden, um die Compliance zu
sichern.
5 Eine zuverlässige Vorhersage eines individuellen
Therapieerfolgs bei einem bestimmten Antidepressivum ist auch heute noch nicht möglich.
5 Bei der Behandlung mit Antidepressiva besteht
kein Risiko einer Abhängigkeitsentwicklung. Diese Befürchtung wird von den Patienten häufig
geäußert.
5 Die Auswahl des Antidepressivums erfolgt
besonders nach:
– dem Zielsyndrom,
– dem früheren Ansprechen und Bevorzugung
durch den Patienten,
– dem Nebenwirkungsprofil.
5 Prinzipiell ist eine Monotherapie mit einem
Antidepressivum zur besseren Steuerbarkeit
anzustreben. Allerdings gibt es heute immer
mehr Gründe für Kombinationsbehandlungen
z. B. im Rahmen einer Augmentationstherapie (7 Abschn. 15.5); sie sollten mit einem klaren Rationale erfolgen. Sie beinhalten aber ein
erhöhtes Risiko von pharmakokinetischen und
pharmakodynamischen Wechselwirkungen
(7 Abschn. 5.8).
5 Besonders bei schweren Erkrankungen sollte die
Therapie mit Antidepressiva möglichst frühzeitig
begonnen werden. Umso schwerer die Krankheit
ist, desto mehr Profit erbringt die Behandlung.
5 Bei akuter Suizidalität sollte die zusätzliche Verordnung eines Benzodiazepins erwogen werden
(7 Kap. 6 und 34).
5 Bei Non-Compliance sollten mit dem Patienten die Gründe für die Nichteinnahme bespro-
5
chen werden. Gleichzeitig kann die Informationsvermittlung über die Nutzen-Risiko-Abwägung vertieft werden. Auch kann ein Umsetzversuch auf ein Antidepressivum mit einem günstigeren Nebenwirkungsprofil eine neue Perspektive bringen.
Wichtig
Bei einer Langzeittherapie sind die folgenden Nebenwirkungen besonders zu beachten; sie sind
für die Entwicklung einer Non-Compliance von
großer Bedeutung:
5 sexuelle Funktionsstörungen,
5 Gewichtszunahme,
5 Sedierung.
5.4
Indikationen
Standen früher die depressiven Störungen für eine
Therapie mit Antidepressiva ganz im Mittelpunkt,
erweitert sich heute das Indikationsspektrum stetig.
Antidepressiva sind bei einer Vielzahl weiterer Indikationen wirksam. Die Indikationen werden in diesem Abschnitt nach dem Zulassungsstatus aufgelistet (. Tab. 5.2). Dabei ist zu berücksichtigen, dass
die älteren Antidepressiva schon zugelassen wurden, bevor die ICD-Kriterien (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) gültig waren. Erst die
SSRI und die neueren Antidepressiva sind bei diesen
fest umrissenen Diagnosen ausführlich geprüft worden. Die Darstellung der Diagnosen, bei denen z. T.
auch Antidepressiva eingesetzt werden, erfolgt in
7 Kap. 15–36.
Weitere Indikationen für Antidepressiva
Zu den folgenden Diagnosen gibt es positive Fallstudien, langjährige klinische Erfahrung mit Antidepressiva oder auch schon randomisierte Kontrollstudien.
5 Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion
5 Persönlichkeitsstörungen
5 Schlafstörungen
5 Schmerzsyndrome
5 Fibromyalgie
5 Neurasthenie und Chronic-Fatigue-Syndrom
5 Prämenstruell-sysphorisches Syndrom (PMS)
5 Klimakterisches Syndrom
5 Entzugssyndrome verschiedener Substanzgruppen und Rezidivprophylaxe der Alkoholabhängigkeit
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
44
. Tab. 5.2. Indikationen für Antidepressiva
Zugelassene Indikationen
Depressive
Störungen
Depressive Episode (F32a)
Dazugehörige Syndrome
Bemerkungen
Mit allen Unterformen F32.0–32.3
»Minor depression« und unterschwellige Depression
Saisonal abhängige affektive Störung (SAD, Winterdepression)
Atypische Depression (F32.8)
Rezidivierende depressive Störung (F33)
Anhaltende affektive Störung (F34)
Mit allen Unterformen F33.0–33.4
Persönlichkeitsstörung
Dystymie (F34.1) und »Double Depression«
Rezidivierende kurze depressive Episode (»recurrent brief depression«) (F38.10)
Depression bei körperlichen Erkrankungen
Möglich bei allen Depressionsdiagnosen
Depression bei kardiovaskulären Erkrankungen
Depression bei dermatologischen Erkrankungen
Depression bei Demenz
Post-Stroke-Depression
Depression bei Morbus Parkinson
Mit allen Unterformen F31.3–31.6;
Risiken bei Antidepressiva (7 Abschn. 5.6)
bei Rapid Cycling keine Antidepressiva!
Bipolare Depression (F31) (=bipolare affektive Störung, gegenwärtig depressive Episode);
s. aber 7 Abschn. 29.2.2
Angststörungen
Panikstörung mit/ohne Agoraphobie (F41)
Generalisierte Angststörung (F41.1)
Gemischte Angststörungen
Phobische Störungen (F40)
Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)
Zwangsstörung (F42)
Andere
Diagnosen
a
Somatisierungstörung (F45.0)
Weitere somatoforme Störungen
Bulimia nervosa (F50.2)
In dieser Tabelle wird wegen der Komplexizität der Diagnosen, bei denen Antidepressiva verordnet werden, auf die ICD-10-Diagnosen hingewiesen.
Kapitel 5 · Antidepressiva
Diagnosengruppe
45
5.6 · Nebenwirkungen
5.5
Dosierung,
Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer
5 Eine langsame Aufdosierung kann den Wirkeintritt eines Antidepressivums verzögern; eine zu
rasche Aufdosierung kann zu vermehrten Nebenwirkungen und zu Complianceproblemen führen.
5 Generelle Dosisempfehlungen sind wegen der
Heterogenität der Substanzen nur schwer zu
erstellen. TZA (Zieldosis: 100–150 mg tägl.),
Moclobemid und Venlafaxin werden schrittweise innerhalb von 3–7 Tagen erhöht. Bei SSRI und
den neuen Antidepressiva ist es aber in vielen
Fällen möglich, von Beginn an mit einer wirksamen Regeldosis zu beginnen.
5 Bei SSRI ist ein verbesserter Therapieerfolg
durch Dosiserhöhungen über die Regeldosierung
hinaus bei der Behandlung depressiver Störungen
bisher nicht nachgewiesen worden (. Tab. 5.7).
Allerdings wurde jetzt in einer post-hoc-Analyse für Escitalopram gezeigt, dass 10 mg bei geringerem und 20 mg bei stärkerem Schweregrad die
optimale Dosis darstellen.
5 Bei Einmalgabe (wie bei den SSRI) ist die Compliance, wenn die Substanz gut vertragen wird,
oft besser. Wenn Nebenwirkungen auftreten,
kann eine Verteilung der Tagesdosis ohne Dosisreduktion bereits eine Verbesserung der Verträglichkeit bewirken (z. B. bei sedierender Antidepressiva Gabe der Hauptdosis zur Nacht; hierdurch kann sich auch ein zusätzliches Hypnotikum bei Schlafstörungen erübrigen).
5 Bei Panikstörungen sollte die initiale Dosierung
besonders vorsichtig erfolgen, da diese Patienten
auf mögliche Nebenwirkungen oft empfindlich
reagieren. Die Startdosis ist geringer als bei der
Depression (. Tab. 5.7), die Erhaltungsdosis meist
geringer.
5 Bei Zwangsstörungen sind in der Regel Dosen im
oberen Dosierungsbereich der Substanzen erforderlich (7 Kap. 19).
5 Bei älteren Patienten und Patienten mit Risikofaktoren in Bezug auf die unerwünschten Wirkungen der Substanzen sind meist niedrigere
Dosen notwendig (7 Abschn. 5.10).
5 Für einige Antidepressiva (insbesondere TZA) ist
die therapiebegleitende Kontrolle der Konzentrationen in Plasma oder Serum (»Plasmaspiegel«)
(therapeutisches »Drug-Monitoring«, TDM) zur
5
Therapieoptimierung sinnvoll. Dies ermöglicht
eine individuelle Dosisanpassung für den Patienten, da gleiche Dosierungen bei oraler Gabe in
unterschiedlichem Ausmaß vom Patienten resorbiert und verstoffwechselt werden. Die Konzentration am Wirkort ist die entscheidende Größe
für Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Plasmakonzentrationen korrelieren mit den Wirkspiegeln im Gehirn wesentlich besser als die Dosis.
5 Ein Zusammenhang zwischen antidepressiver
Wirkung und Plasmakonzentration ist bei vielen
Substanzen allerdings nicht eindeutig, insbesondere nicht bei den SSRI; die unerwünschten Wirkungen zeigen jedoch oft eine Abhängigkeit von
der Plasmakonzentration.
5 Am besten belegt ist ein »therapeutisches Fenster« für Nortriptylin; Empfehlungen für Plasmakonzentrationen können zudem für Imipramin,
Desipramin und Amitriptylin gegeben werden.
5.6
Nebenwirkungen
Aus dem Ausmaß einer Blockade verschiedener postsynaptischer Rezeptoren sind typische Nebenwirkungen abzuleiten (. Tab. 5.3 und 5.4).
5 Nebenwirkungen treten bevorzugt zu Beginn (2–
4 Wochen) einer Therapie auf. Es können einzelne oder eine Vielzahl der genannten Effekte auftreten.
5 Im Verlauf einer Behandlung bilden sich die
Nebenwirkungen (besonders vegetative Symptome) zurück, ohne dass die Dosierung verändert werden muss.
5 Einige der Effekte können persistieren (z. B.
orthostatische Dysregulation, Mundtrockenheit,
sexuelle Störungen). Eine Dosisanpassung oder
ein Präparatewechsel kann dann notwendig werden.
Kardiale Nebenwirkungen
5 Wichtigste kardiale Wirkung von TZA ist die
Verlangsamung der kardialen Erregungsleitung.
Im EKG resultieren Blockbilder. Vorbestehende Erregungsleitungsstörungen oder gleichzeitige
Gabe anderer Medikamente, die solche induzieren können, sind daher kontraindiziert.
46
Kapitel 5 · Antidepressiva
. Tab. 5.3. Nebenwirkungen bei Blockade verschiedener postsynaptischer Rezeptoren
1
Rezeptortyp
Nebenwirkungen bei Rezeptorantagonismus
2
Muskarinische Azetylcholinrezeptoren
Akkomodationsstörungen, Mundtrockenheit, Obstipation, Sinustachykardie,
Miktionsstörungen, Gedächtnisstörungen, Verwirrtheit, Delir
3
Histamin-1-Rezeptoren
Müdigkeit, Sedation, Gewichtszunahme, Verwirrtheit
5-HT2-Rezeptoren
Gewichtszunahme, Sedation
DA-Rezeptoren
Prolaktinanstieg, Libidoverlust, EPS
α1-adrenerge Rezeptoren
Orthostatische Hypotonie, Schwindel, Müdigkeit, reflektorische Tachykardie
4
5
6
. Tab. 5.4. Nebenwirkungen bei Hemmung der Rückaufnahme von Serotonin und Noradrenalin (z. B. durch SSRI oder
selektive NA-Rückaufnahmehemmer)
7
Hemmung der
Rückaufnahme
Nebenwirkungen
8
NA
Tremor, Tachykardie, Unruhe, Kopfschmerzen, Miktionsstörungen, Schwitzena, Mundtrockenheit
5-HT
Zu Behandlungsbeginn (erste 2–4 Wochen): Appetitminderung, Übelkeit, Diarrhö, Kopfschmerzen,
Schlafstörungen, Schwitzena, Agitiertheit: sexuelle Funktionsstörungen (diese auch persistierend)
9
Effektvermittelt durch indirekte Rezeptorstimulation an den Rezeptorsubtypen:
10
11
5 5-HT2A
5 5-HT2C
5 5-HT3
a
Ängstlichkeit, Agitiertheit, sexuelle Funktionsstörungen
Appetitminderung, Reizbarkeit
Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen
NA stimuliert die Schweißdrüsen peripher, SSRI wirken zentral auf die Raphekerne mit Regulation der Körpertemperatur.
12
13
14
15
Cave
5 Grundsätzlich gilt eine QTc-Verlängerung als
Risikofaktor; dies insbesondere in Kombination mit Pharmaka, die selbst wiederum zu
einer QTc-Verlängerung führen.
5 TZA sollten bei kardialer Vorschädigung
nicht verordnet werden.
16
17
18
19
20
5 Weitere kardiale Nebenwirkungen sind Tachykardie und orthostatische Hypotonie.
5 Während einer Therapie mit irreversiblen MAOHemmern (Tranylcypromin) muss eine tyraminarme Diät eingehalten werden, um hypertensive
Krisen zu vermeiden. Dies gilt nicht für Moclobemid in den vom Hersteller empfohlenen Dosierungen. Darüber hinaus tritt unter ansteigender
Dosierung von Tranylcypromin öfter eine orthostatische Hypotonie auf. Besonders aufgrund dieser kardialen Nebenwirkungen wird die Verschreibung von MAO-Hemmern vermieden.
5 Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind SSRI-Mittel
der ersten Wahl, weil sie ein günstiges Nebenwirkungsprofil haben. Allerdings gibt es Einschränkungen: Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen oft auch Aspirin oder Antikoagulantien; die Kombination führt häufiger als
unter alleiniger SSRI-Therapie zu gastrointestinalen Blutungen (s. unten: »Hämatopoetisches
System«). Da es auch unter SSRI einige wenige Fälle von Arrhythmien, QTc-Verlängerung,
orthostatischer Hypotension und Elektrolytveränderungen bei vorherigem unauffälligem kardialem Befund gibt, ist insbesondere bei Patienten
mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine regelmäßige Kontrolle anzuraten.
Vegetative Nebenwirkungen
5 TZA führen häufig zu ausgeprägten anticholinergen Effekten, wie Schwitzen, Miktionsstörungen
oder ausgeprägter Obstipation.
47
5.6 · Nebenwirkungen
Cave
Akute Notfälle unter TZA sind:
5 Harnverhalt
5 Paralytischer Ileus und
5 das zentrale anticholinerge Syndrom 7 Abschn. 34.5.
5
halt) erhöht sein (7 Abschn. »Kardiale Nebenwirkungen«) (Wessinger et al. 2006).
Cave
5 Die Kombination von SSRI mit Aspirin oder
anderen Medikamenten, die das Blutungsrisiko erhöhen, ist zu vermeiden.
Sedierung
5 Eine klinisch relevante Sedierung kann bei Antidepressiva auftreten, bei denen die 5-HT2- und
Histamin-1-Rezeptoren antagonisiert werden.
Die Sedierung wird bei Agitation oder Schlafstörungen genutzt; sie kann aber auch störend oder
gefährlich bei Arbeit an Maschinen oder beim
Führen von Kraftfahrzeugen sein. Eine Beeinträchtigung der Reaktionsfähigkeit kommt bei
Antidepressiva mit sedierender Komponente
meist bei Behandlungsbeginn vor und bildet sich
im Verlauf von 2–4 Wochen oft zurück. Patienten
müssen über die Möglichkeit einer verminderten
Reaktionsfähigkeit, z. B. beim Autofahren, aufgeklärt werden. Der Grad der Sedierung der einzelnen Antidepressiva kann der . Tab. 5.5, Spalte
»Sedierung« entnommen werden.
Hämatopoetisches System
5 Leukopenien und Agranulozytose treten sehr selten unter TZA, aber auch unter Mianserin auf.
Meist muss die Substanz abgesetzt werden. Regelmäßige Blutbildkontrollen bei diesen Präparaten
ist deshalb indiziert.
Cave
Es ist möglich, Blutbildveränderungen entsprechend den Empfehlungen der . Tab. 5.6 frühzeitig, aber niemals sicher zu erkennen. Die Empfehlungen können daher nur ein Kompromiss aus
Risikoverhütung und Praxisnähe sein. Bei risikoreichen Substanzen müssen Patienten angewiesen werden, bei Auftreten von Symptomen wie
Fieber, Halsschmerzen oder Infektionen der Mundschleimhaut keinen eigenen Behandlungsversuch
durchzuführen, sondern den Arzt aufzusuchen.
5 Eine Alteration der Thrombozytenfunktion wird
selten unter SSRI gesehen. Das Risiko gastrointestinaler Blutungen kann aufgrund gestörter
Thrombozytenfunktionen (verminderte Aggregationsfähigkeit bei herabgesetztem Serotoninge-
Neurologische Störungen
5 Generalisierte zerebrale Krampfanfälle oder Myoklonien treten unter TZA gehäuft auf. Begünstigend sind zerebrale Vorschädigungen, hohe
Dosen, rasches Aufdosieren oder schlagartiges
Absetzen hoher Dosen.
5 Tremor, sehr selten rigorartige Tonuserhöhungen
der Muskulatur oder dystone Bewegungsstörungen treten unter allen Antidepressiva auf.
Allergische Reaktionen
5 Allergische Exantheme sind besonders unter
TZA, aber auch bei allen anderen Antidepressiva möglich.
Gewichtszunahme
5 Gewichtszunahme kann besonders bei längerfristiger Therapie je nach pharmakologischem
Wirkprofil eines Antidepressivums auftreten
und die Compliance des Patienten gefährden.
Bei Antidepressiva, die 5-HT2- und Histamin-1Rezeptoren antagonisieren, tritt die Gewichtszunahme häufiger auf (. Tab. 5.5, Spalte »Gewichtszunahme«).
5 Da einer Gewichtszunahme oft eine Veränderung des Essverhaltens vorausgeht, können verhaltenstherapeutische Maßnahmen (z. B. Vermeiden hochkalorischer Zwischenmahlzeiten) hilfreich sein.
Sexuelle Funktionsstörungen
5 Unter SSRI treten häufiger verzögerte Ejakulation, selten verminderte Libido und Erektionsfähigkeit auf. Sie scheinen größtenteils auf eine
Erhöhung der serotoninergen Transmission an 5HT2-Rezeptoren zurückzuführen zu sein. Substanzen mit zusätzlich antagonischer Wirkung an
5-HT2-Rezeptoren, wie Mirtazapin, scheinen diesen Effekt seltener zu induzieren. Unter Reboxetin können schmerzhafte Ejakulationen auftreten. TZA mit anticholinerger Wirkung führen
häufiger zu Erektionsstörungen. Der MAO-Hem-
48
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
Sedierung
Agitation, Schlafstörungen
Sexuelle Funktionsstörungen
Orthostatische Hypotonie
Gewichtszunahme
EKG-Veränderungen
Letalität bei Überdosierung
. Tab. 5.5. Häufigkeit relevanter unerwünschter Wirkungen von wichtigen Antidepressiva
Anticholinerge
Nebenwirkungen
1
Kapitel 5 · Antidepressiva
Amitriptylin
+++
0
+++
0
++
+++
+++
++
+++
Citalopram
0
++
0
++
++
0
0
0
0
Clomipramin
++
+
+
+
++
++
++
++
++
Desipramin
+
0
0
++
+
+
+
+
+++
Doxepin
+++
0
+++
0
++
+++
++
++
+++
Duloxetin
0
++
0
++
++
0
0
0
?
Escitalopram
0
++
0
++
++
0
0
0
0
Fluoxetin
0
++
0
++
++
0
0
0
0
Fluvoxamin
0
++
0
++
++
0
0
0
0
Imipramin
++
0
+
++
+
++
++
++
+++
Milnacipran
0
++
0
++
++
0
0
0
0
Mirtazapin
0
0
++
0
0
+
+
0
0
Moclobemid
0
0
0
+
0
0
0
0
0
Nortriptylin
+
0
+
+
+
+
+
+
+++
Paroxetin
0
++
0
++
++
0
0
0
0
Reboxetin
0
+
0
++
+
+
0
0
0
Sertralin
0
++
0
++
++
0
0
0
0
Tranylcypromin
0
0
0
++
0
+++
0
0
+++
Trimipramin
+++
0
+++
0
++
+++
+++
++
+++
Venlafaxin
0
++
0
++
++
0
0
0
+
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
+++ häufig bis regelmäßig; ++ mäßig häufig; + selten; 0 unerheblich oder nicht vorhanden.
18
19
20
mer Moclobemid scheint sexuelle Funktionsstörungen kaum zu induzieren.
5 Da sexuelle Funktionsstörungen das depressive
Krankheitsbild negativ beeinflussen können, sind
diese besonders bei einer Langzeitbehandlung
sorgfältig zu erfragen.
Absetzsyndrome
5 Absetzsyndrome sind nach schlagartigem Absetzen von Antidepressiva nach langfristiger Therapie mit TZA, Venlafaxin, Mirtazapin, SSRI (mit
kurzer HWZ, besonders Paroxetin) und auch
Duloxetin möglich. Symptome sind Schwindel,
Gangunsicherheit, Übelkeit, Erbrechen, grip-
49
5.6 · Nebenwirkungen
peähnliche Symptome (Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen), sensible Störungen (Parästhesien, elektrisierendes Gefühl) und Schlafstörungen. Auch Irritabilität, gedrückte Stimmung,
psychomotorische Unruhe, Konzentrations- und
Gedächtnisstörungen bis hin zur Verwirrtheit
können auftreten.
5 Die Symptomatik ist meist leicht ausgeprägt und
bildet sich spontan nach wenigen Tagen zurück.
Das Wiederansetzen des Antidepressivums führt
meist zu einer umgehenden Rückbildung der
Symptome.
Wichtig
Antidepressiva sollen langsam, bei schon lang bestehender Therapie, auch über Wochen abgesetzt
werden.
Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion
(SIADH)
5 In sehr seltenen Fällen kann unter Antidepressiva (meist in den ersten Behandlungswochen)
ein SIADH ausgelöst werden. Durch vermehrte
ADH-Sekretion wird Flüssigkeit vermindert ausgeschieden, was sich klinisch als konzentrierte
Harnausscheidung, laborchemisch in Form einer
Hyponatriämie zeigt. Die Symptome sind: körperliche Schwäche, Lethargie, Gewichtszunahme,
Kopfschmerz bis hin zu Verwirrtheit, Krampfanfällen und Koma. Im Verdachtsfall wird das Antidepressivum abgesetzt.
Cave
Bei alten Menschen sollte, besonders unter SSRI
und Venlafaxin, regelmäßig Natrium überprüft
werden, um die Vorboten eines SIADH zu erkennen. Risiken sind: Alter, weibliches Geschlecht
und die Einnahme von Diuretika.
Induktion einer manischen Episode
5 Unter TZA ist das Risiko für die Induktion
(hypo)manischer Episoden erhöht, wahrscheinlich aber nicht bei den SSRI; 7 Kap. 29, bipolare
affektive Störungen.
5
Suizidalität
5 Die Frage, ob SSRI bei Jugendlichen bis zum
24. Lebensjahr (für diese Altersgruppe hat die
FDA im Mai 2007 eine Warnung ausgesprochen)
suizidale Handlungen und Suizidideen auslösen können, wird kontrovers diskutiert. Es wird
angenommen, dass die bei SSRI und auch SNRI
im Vergleich zu TZA ausgeprägtere psychomotorische Unruhe sowie auch in Einzelfällen die
Entstehung dranghafter suizidaler Impulse zu
Beginn der Therapie eine Rolle spielen könnten.
Aufgrund der Datenlage wurde für Paroxetin
ein Warnhinweis ausgesprochen, dass das Risiko für suizidales Verhalten bei jungen Erwachsenen sowie bei Patienten mit suizidalem Verhalten oder Suzidideationen in der Vorgeschichte
möglicherweise erhöht sein kann. Zu den neuesten Befunden über den Zusammenhang zwischen
verringerter SSRI-Verschreibung und Suizidalität
im Kindes- und Jugendalter 7 Abschn. 5.12.
5 Suizidversuche mit Überdosierungen sind bei
neueren Antidepressiva (SSRI, Mirtazapin,
Ausnahme: Venlafaxin) viel seltener mit vital
bedrohlichen Komplikationen als bei TZA belastet (. Tab. 5.5, Spalte »Letalität bei Überdosierungen«).
Wichtig
5 Patienten, Angehörige und behandelnde
Psychologen und Ärzte sollten um ein zu
Beginn der antidepressiven Behandlung
möglicherweise zunehmendes oder auch
neu auftretendes Risiko suizidalen Verhaltens
wissen. Zu Beginn einer antidepressiven
Behandlung und im Verlauf sollten Patienten,
insbesondere bei Vorliegen eines hohen
Risikos für suizidales Verhalten (suizidales
Verhalten in der Vorgeschichte oder Suizidideationen zu Beginn der Behandlung),
engmaschig überwacht werden.
5 Ein Antidepressivum mit sedierenden
Eigenschaften kann bei suizidalen Patienten
als Monotherapie Vorteile bieten. Beim geringsten Zweifel sollte begleitend passager
ein Benzodiazepin-Anxiolytikum verordnet
werden. Dies gilt besonders bei Antidepressiva ohne sedierende Komponente.
6
50
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Kapitel 5 · Antidepressiva
5 Die zzt. geführte kritische Diskussion zur
Frage des Suizidrisikos unter den neuen Antidepressiva erfordert, depressive Patienten
besonders zu Beginn der Therapie einem
engmaschigen Monitoring zu unterziehen.
Sie darf in keinem Falle die Tendenz stützen,
Antidepressiva bei entsprechender Indikation seltener zu verordnen oder gar wieder auf
die TZA zurückzugreifen. TZA besitzen bei
Suizidversuchen ein erhöhtes toxisches Risiko (. Tab. 5.5, letzte Spalte).In der jüngsten
Literatur ist man sich darüber einig, dass der
Vorteil einer Therapie mit Antidepressiva bei
schweren Depressionen zur Verhinderung
von Suizidversuchen groß ist und gerade
im Langzeitverlauf die Suizidrate durch SSRI
verringert wird (Sondergard et al. 2007).
Zentrales Serotoninsyndrom
5 Eine seltene Neben- bzw. Wechselwirkung ist das
zentrale Serotoninsyndrom bei Pharmaka mit
serotonerger Wirkkomponente (SSRI, Venlafaxin,
TZA, MAO-Hemmer, 5-HT-Agonisten, Tryptophan, Kokain, Amphetamine, aber auch Lithium).
5 Es tritt vorwiegend in einer Kombinationstherapie auf und ist als pharmakodynamische Interaktion auf der Ebene der serotonergen Neurotransmission im Sinne einer serotonergen Überaktivität zu verstehen.
5 Es ist eine potenziell lebensbedrohliche Notfallsituation und tritt überwiegend innerhalb der
ersten 24 h nach Gabe der Medikation auf.
Cave
15
16
17
18
19
20
Das zentrale Serotoninsyndrom besteht aus der
Trias
5 Fieber,
5 neuromuskuläre Symptome (Hyperrigidität,
Hyperreflexie, Myoklonie, Tremor),
5 psychopathologischen Auffälligkeiten
(delirante Symptome wie Bewusstseins- und
Aufmerksamkeitsstörungen, Desorientiertheit, Verwirrtheit, auch Erregungszustände).
Weiterhin möglich sind gastrointestinale Symptome. Vital bedrohliche Komplikationen ergeben
sich durch epileptische Anfälle, Herzrhythmusstörungen, Koma, Multiorganversagen oder Verbrauchskoagulopathie.
5.7
Kontraindikationen und
Intoxikationen
5 Für alle Antidepressiva gibt es Kontraindikationen; sie sind für MAO-Hemmer und TZA zahlreich und für die neueren Antidepressiva relativ gering. Sie lassen sich leicht aus dem pharmakoligischen Profil (. Tab. 5.1), den Angriffspunkten am Rezeptor ( . Tab. 5.3 u. 5.4) und den unerwünschten Wirkungen (. Tab. 5.5) ableiten. Eine
mögliche Einschränkung der Gabe eines Antidepressivums hängt auch von dem Interaktionspotenzial ab (7 Abschn. 5.8).
5 Die Verordnung von TZA soll bei folgenden
Krankheiten wegen der anticholinergen Begleitwirkung nicht erfolgen: Prostatahypertrophie,
Harnverhalt, Engwinkelglaukom, Pylorusstenose, paralytischer Ileus und schließlich deliriante Syndrome. Auch bei kardialen Reizleitungsstörungen und zerebralen Krampfanfällen sind TZA
kontraindiziert.
5 Unter MAO-Hemmern kommen hypertone Blutdruckkrisen, besonders nach Diätfehlern mit
tyraminhaltiger Nahrung vor.
Cave
5 Bei älteren Patienten sollten TZA und
MAO-Hemmer wegen der höheren Risiken
bei Grunderkrankungen gar nicht mehr
gegeben werden. Einnahmefehler erhöhen
noch das Risiko.
5 Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Leber- und
Nierenerkrankungen sollte man auf TZA und
MAO-Hemmer bei allen Patienten verzichten.
5 Bei bestehenden Leber- und Nierenerkrankungen müssen auch die neueren Antidepressiva auf mögliche Risiken hin geprüft
werden.
5 Auf die Risiken unter Antidepressiva beim Autofahren wird in 7 Kap. 36, während der Schwangerschaft und in der Stillzeit in 7 Kap. 35 hingewiesen.
5 Die Beliebtheit der SSRI ist besonders auf ihre
Sicherheit bei Überdosierung zurückzuführen.
Am häufigsten treten Symptome bei Überdosierung noch unter Fluoxetin auf. Es kann dann
zu gastrointestinalen Symptomen, Müdigkeit
und Tremor kommen. Erst in Dosen, die 75-mal
höher über der Tagesdosis liegen, kommt es zu
kardiovaskulären Symptomen, Krampfanfällen
und veränderter Bewusstseinslage (7 Abschn. 5.6,
kardiale Nebenwirkungen).
51
5.9 · Routineuntersuchungen
Cave
Bei Suizidalität sind TZA und MAO-Hemmer
aufgrund der relativ hohen Toxizität zu meiden
(. Tab. 5.5, Spalte »Letalität bei Überdosierung«).
SSRI und die anderen neueren Antidepressiva
(Ausnahme: Venlafaxin) sind dann vorzuziehen.
5.8
5
ganz besonders bei älteren Menschen. Es sind
Erregungszustände bis hin zum Delir möglich.
5 Kombinationen von Antidepressiva mit Sympathomimetika oder Antihypertensiva sind vorsichtig abzuwägen.
5 Generell sollten Antidepressiva nicht mit Alkohol in größeren Mengen kombiniert werden. Es
besteht die Gefahr der wechselseitigen Wirkungsverstärkung bis hin zum Koma.
Wechselwirkungen
5.9
Viele Antidepressiva entfalten Wechselwirkungen mit
anderen Psychopharmaka und Medikamenten. Während man früher nur die pharmakodynamischen
Wechselwirkungen kannte (s. unten), müssen heute, nachdem in den letzten Jahren der enzymatsche
Abbau der Psychopharmaka genauer bekannt ist, auch
die pharmakokinetischen Wechselwirkungen beachtet
werden (7 Abschn. 2.4):
Routineuntersuchungen
Routineuntersuchungen werden zur Therapieüberwachung bei allen Antidepressiva empfohlen, da es
in seltenen Fällen zu Nieren- und Leberfunktionsstörungen sowie, besonders unter TZA, zu Blutbildveränderungen und EKG-Veränderungen kommen
kann. SSRI und die neueren Antidepressiva erfordern
seltenere Routineuntersuchungen. Kontrollen empfehlen sich dennoch.
Cave
5 Werden mehrere Medikamente gleichzeitig
mit Antidepressiva verabreicht, kann es zu
Interaktionen mit dem Resultat einer Erhöhung oder Verminderung der Plasmakonzentration von Antidepressiva kommen.
5 Besonders wenn die Fluoxetin, Paroxetin
oder Fluvoxamin und TZA kombiniert
werden, können die Plasmakonzentrationen
des TZA stark ansteigen und zu toxischen
Spiegeln führen.
Alle wichtigen Interaktionen sind an anderer Stelle aufgelistet (Benkert u. Hippius 2007) und müssen
bei Verordnung eines Antidepressivums berücksichtigt werden.
Wichtige Vorsichtsmaßnahmen zur
Verhütung von pharmakodynamischen
Wechselwirkungen
5 SSRI dürfen nicht mit MAO-Hemmern kombiniert werden, da die Gefahr eines seltenen zentralen Serotoninsyndroms besteht (7 Abschn. 5.6).
5 Auch Kombinationen von MAO-Hemmern oder
SSRI mit L-Tryptophan oder Lithium können,
wenn auch seltener, wegen des synergistischen
Effektes auf die serotoninerge Neurotransmission
ein Serotoninsyndrom auslösen.
5 Kombinationen von Antidepressiva mit Anticholinergika oder anticholinerg wirkenden Antipsychotika (7 Abschn.. 7.8) sollten vermieden werden,
Wichtig
Unabhängig von der Verordnung von Antidepressiva sollte bei depressiven Patienten bekannt sein,
ob eine Herz-Kreislauf-Erkrankung vorliegt. Denn
neben dem Suizid ist besonders das Risiko an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben bei depressiven Patienten besonders hoch.
Eine Übersicht der empfohlenen Kontrollen gibt
. Tab. 5.6. Häufigere Kontrollen sind nötig, wenn ein
untersuchter Parameter pathologisch ausfällt oder
klinische Symptome auftreten, die einer Abklärung
bedürfen.
Wichtig
Patienten müssen auf folgende Punkte hingewiesen werden:
5 Es besteht eine Potenzierungsgefahr bei
gleichzeitiger Einnahme anderer sedierender
Pharmaka und von Alkohol.
5 Es dürfen andere Medikamente nur nach
Absprache mit dem Arzt eingenommen
werden.
5 Eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und Reaktionsfähigkeit zu Beginn der Behandlung
muss beachtet werden (7 Kap. 36).
5 Über das Risiko in der Schwangerschaft und
Stillzeit muss aufgeklärt werden (7 Kap. 35).
52
Kapitel 5 · Antidepressiva
Plasmakonzentration von Antidepressiva
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Die Plasmakonzentration eines Pharmakons ist ein
Maß für seine Aktivität nach Verabreichung einer
bestimmten Dosis. In manchen Fällen stellen die
Konzentrationen ein genaues Abbild der Konzentration am Wirkort, dem Rezeptor, dar, welche in einer
quantitativen Beziehung zum Ausmaß der pharmakologischen Wirkung stehen.
5 Für einige Antidepressiva (insbesondere TZA)
und für spezifische Indikationen ist die therapiebegleitende Kontrolle der Konzentrationen
in Plasma (»Plasmaspiegel«) zur Therapieoptimierung sinnvoll. Dies ermöglicht eine individuelle Dosisanpassung für den Patienten, da gleiche Dosierungen bei oraler Gabe in unterschiedlichem Ausmaß vom Patienten resorbiert und
verstoffwechselt werden.
5 Die Streuung der resultierenden Plasmakonzentrationen ist so hoch, dass von einer gegeben
Dosis nicht zuverlässig auf die Plasmakonzentration geschlossen werden kann. Dies gilt für alte
und neue Antidepressiva.
5 Für einige Antidepressiva existiert eine untere und obere Schwellenkonzentration zwischen
denen die Plasmakonzentration für einen optimalen Therapieerfolg eingestellt werden sollte
(»therapeutisches Fenster«).
17
18
19
20
5
5
Wichtig
Allerdings ist ein Zusammenhang zwischen antidepressiver Wirkung und Plasmakonzentration
bei vielen Substanzen, besonders denen, die heute als Antidepressiva empfohlen werden, nicht
eindeutig. Die unerwünschten Wirkungen zeigen jedoch meistens eine Abhängigkeit von der
Plasmakonzentration.
15
16
5
5
dar, weil eine begleitende Depression die Prognose der körperlichen Erkrankung verschlechtert. Die Behandlung depressiver Syndrome bei
somatischen Erkrankungen hat einen signifikanten Vorteil gegenüber einer Placebobehandlung oder fehlender Behandlung. Dies ist für den
Schlaganfall gezeigt und wird für den Herzinfarkt
diskutiert.
Depression bei der Parkinson-Erkrankung ist häufig. Es werden neurochemische Gemeinsamkeiten diskutiert. TZA waren in randomisierten Studien wirksam. Trimipramin und Clomipramin sollten wegen der D2-antagonistischen
Komponente gemieden werden. Bei kombinierter
Therapie ist auf einen möglichen Blutdruckabfall
zu achten. Manchmal können auch SSRI zu einer
Verschlechterung der extrapyramidal-motorischen Störung führen.
Es gibt hohe Evidenzen zum engen, wahrscheinlich ursächlichen Zusammenhang zwischen Depression (und Dauerstress) und körperlichen Folgekrankheiten gerade auch im höheren
Lebensalter. An erster Stelle stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (mit Arteriosklerose und
Hypertonie); diskutiert werden auch Diabetes
Typ 2 und Osteoporose (7 Abschn. 15.8).
Bei geriatrischen Patienten ist immer die Gefahr
anticholinerger zentralnervöser Nebenwirkungen
(Delir, Verwirrtheits- und Desorientiertheitszustände) zu bedenken, welche insbesondere bei älteren
Patienten auch bei den üblichen Dosierungen
besteht. TZA sind dabei am risikoreichsten.
Antidepressiva und Psychotherapie im höheren
Lebensalter 7 Abschn. 15.2.
Fazit
Therapieempfehlung für Antidepressiva im höheren
Lebensalter
5.10
Antidepressiva im höheren
Lebensalter
Antidepressiva sollten viel häufiger in der Geriatrie eingesetzt werden, weil 10% der über 60-Jährigen
unter einer behandlungsbedürftigen depressiven Störung leiden. Nur die wenigsten depressiven geriatrischen Patienten werden jedoch antidepressiv behandelt, viele von ihnen nur mit TZA in zu niedriger
Dosierung (Wilson et al. 2001).
5 Depressive Störungen stellen einen behandlungsbedürftigen und prognostisch relevanten Komplikationsfaktor bei körperlichen Erkrankungen
5 SSRI sind gerade bei geriatrischen Patienten sicherer
und besser verträglich als TZA. Unter den SSRI sind
die Präparate zu wählen, die das geringste pharmakokinetische Interaktionspotenzial besitzen (. Tab. 5.7).
5 Auch die neueren Antidepressiva Venlafaxin sowie
Mirtazapin zeigen eine gute Verträglichkeit bei geriatrischen Patienten.
5 Die Behandlung mit TZA ist aufgrund möglicher
arrhythmogener Wirkungen im Alter besonders risikoreich. Vor Behandlungsbeginn empfiehlt sich daher
dringend die Ableitung eines EKG.
5
53
5.11 · Präparategruppen
. Tab. 5.6. Empfehlungen für Routineuntersuchungen unter Antidepressiva
Vorher
Monate
1
2
3
4
5
6
××
××
××
×
×
Vierteljährlich
Halbjährlich
TZA
Blutbild
×
××
Kreatinin
×
×
Leberenzyme
×
×
Natrium
×
×
EKG
×
×
EEG
×
(×)
RRb, Puls
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×
×a
×a
×a
a
×
×
×
×
×
×a, d
×
Andere Antidepressiva
Blutbildc
×
×
×
×e
Kreatinin
×
×
×
×e
Natrium
×
×
Leberenzyme
×
×
×
EKG
×a ,d
×d
×d
RRb, Puls
×
×a
×a
×a
×
×a
×a
×
×a
×e
×f
× Kontrollen; die Anzahl der notwendigen Routinekontrollen ist bisher nicht empirisch abgesichert, (×) optional. a Kontrolle bei allen Patienten über 60 Jahre empfehlenswert. b Unter Venlafaxin in hoher Dosierung ist der Blutdruck häufiger zu kontrollieren, weil es in seltenen Fällen zu anhaltend erhöhten Werten kommen kann. c Für Mianserin empfehlen die Hersteller in den ersten Behandlungsmonaten wöchentliche Blutbildkontrollen. d Bei Patienten mit einem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. e Bei langfristig stabilen Patienten
können jährliche Kontrollen ausreichen. f Bei langfristig stabilen Patienten können halbjährliche Kontrollen ausreichen.
5.11
Präparategruppen1
Es werden in den . Tab. 5.7–5.13 nur die wichtigen
Antidepressiva aufgelistet.
5.11.1
Selektive
Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI)
Der durchschlagende Erfolg der SSRI liegt darin, dass
sie die gleiche Wirksamkeit, aber deutlich weniger
unerwünschte Wirkungen (7 Abschn. 5.6) und gerin-
gere Toxizität bei Überdosierungen im Vergleich zu
den TZA und MAO-Hemmer haben. Die Einführung
von Fluoxetin (Prozac®) in den amerikanischen Markt
1988 durch die Firma Lilly ebnete den weltweiten Siegeszug für die SSRI. Sie wurden die Mittel der ersten
Wahl bei der Behandlung von leichten und mittelschweren Depressionen und Angststörungen. Bis heute sind weitere SSRI entwickelt worden, die sich durch
höhere Selektivität und weniger Interaktionen von
Fluoxetin abgrenzen.
Fazit
Therapieempfehlung für SSRI
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
5 SSRI sollten bei allen Indikationen immer häufiger die
TZA und MAO-Hemmer ablösen; das Nutzen-RisikoVerhältnis ist bei SSRI besser.
54
1
Kapitel 5 · Antidepressiva
. Tab. 5.7. SSRI
Präparat
Dosis
Indikationen mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen;
sonst 7 Abschn. 5.6
Behandlungshinweise
Citalopram
Cipramil®,
Sepram®
10–20 mg bis 40 mg
Depression,
Panikstörung
Gastrointestinale Beschwerden, Müdigkeit,
Kopfschmerzen,
Libidomangel, Schlafstörungen
Sehr geringes Interaktionspotenzial
Escitalopram
Cipralex®
5–10 mg bis 20 mg;
bei Zwangsstörung
20 mg
Depression,
Panikstörung,
Zwangsstörung
wie Citalopram
Sehr geringes Interaktionspotenzial
Fluoxetin
Fluctin®
Depression 20 mg
bis 60 mg, Panikstörung zunächst
10 mg, Zwangsstörung und Bulimie
bis 60 mg
Depression,
Zwangsstörung,
Bulimie
wie Citalopram
Starkes Interaktionspotenzial
Fluvoxamin
Fevarin®
Depression
100–200 mg,
Panikstörung
150 mg, Zwangsstörung 250 mg
Depression
wie Citalopram
Starkes Interaktionspotenzial, leichte
Absetzsymptome
Paroxetin
Seroxat®,
Tagonis®
Depression,
GAD und PTSD
20 mg bis 50 mg,
Panikstörung zunächst 10 mg,
Zwangsstörung bis
60 mg
Depression,
Panikstörung,
GAD, Zwangsstörung, PTSD
wie Citalopram
Stärkere Absetzsymptome, mäßiges
Interaktionspotenzial
Sertralin
Gladem®,
Zoloft®
50 mg bis 200 mg
Depression
wie Citalopram
Leichte Absetzsymptome, geringes
Interaktionspotenzial
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Depression depressive Störung; GAD generalisierte Angststörung; PTSD posttraumatische Belastungsstörung. Die allgemeinen Hinweise
7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich für alle SSRI berücksichtigt werden.
5 Bei der leichten bis mittelgradigen Depression und
bei den Angststörungen sind SSRI-Mittel der ersten
Wahl, wenn eine medikamentöse Therapie indiziert
ist.
5 Auch bei der schweren Depression entspricht die
Wirksamkeit der SSRI den TZA; nur die SNRI scheinen
noch wirksamer zu sein. Die Nebenwirkungen der
SNRI sind aber auch stärker.
5 Bei Zwangsstörungen sind SSRI Mittel der ersten
Wahl (7 Kap. 19).
5 Bei Suizidalität und der Verordnung von SSRI ist ein
häufigeres Monitoring nötig (7 Abschn. 5.6).
5.11.2
Selektive SerotoninNoradrenalinrückaufnahmehemmer (SNRI)
Neben der Serotoninrückaufnahmehemmung haben
diese Präparate eine zusätzliche Noradrenalinrückaufnahmehemmung. Bei Duloxetin ist sie stärker als bei
Venlafaxin (. Tab. 5.8). Venlafaxin hat einen relativ
geringen serotoninblockierenden Effekt. Zwar gibt es
Hinweise, dass diese Gruppe in ihrer Wirksamkeit bei
schweren Depressionen den SSRI überlegen ist, dabei
ist aber noch nicht gesichert, ob dieser Effekt sicher
auf der Noradrenalinkomponente beruht. Die Grup-
55
5.11 · Präparategruppen
5
. Tab. 5.8. SNRI
Präparat
Dosis (täglich)
Indikationen mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen;
sonst 7 Abschn. 5.6
Behandlungshinweise
Duloxetin
Cymbalta®
60 mg
Depression
Urologische
Indikation: Inkontinenz
Gastrointestinale
Beschwerden,
Schwitzen, Schwindel,
Schlafstörungen
Mäßiges Interaktionspotenzial
Milnacipran
Dalcipran®
100–200 mg
Depression
Unruhe, Tremor, anticholinerge Wirkungen,
Schlafstörungen,
sexuelle Funktionsstörungen
Keine Hinweise auf
Interaktionen.
Nicht in allen
deutschsprachigen
Ländern im Handel
Venlafaxin
Trevilor® retard
75-300 mg, Panikstörung mit
37,5 mg langsam beginnen
Depression, GAD,
Panikstörung,
Soziale Phobie
Gastrointestinale
Beschwerden, Unruhe,
Schlafstörungen
Geringes Interaktionspotenzial
Depression depressive Störung; GAD generalisierte Angststörung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich für alle
SNRI berücksichtigt werden. Milnacipran steht nicht in allen deutschsprachigen Ländern zur Verfügung.
pe scheint auch bei allen Indikationen, die über die
Depression hinausgehen, wirksam zu sein.
Es bestätigt sich zzt. der Befund, dass diese Gruppe einen stärkeren antinozizeptiven Effekt als die SSRI
hat. Für Duloxetin und Milnacipran gibt es mehrere Studien, die eine Wirksamkeit auch bei der Fibromyalgie zeigen, für Duloxetin auch bei diabetesbedingtem neuropathischen Schmerz.
Fazit
Therapieempfehlung für SNRI
5 Bei der schweren Depression scheint Venlafaxin den
SSRI überlegen zu sein.
5 Venlafaxin hat einen schnelleren Wirkungseintritt als
SSRI.
5 Die Nebenwirkungen sind unter SNRI etwas stärker
als unter SSRI.
5 SNRI sind bei chronischen Schmerzzuständen wirksam. Der antinozizeptive Effekt ist bei dieser Gruppe
aufgrund der dualen Komponente besonders stark
ausgeprägt.
5 SNRI haben bisher keine Wirkung bei der Zwangsstörung, ähnlich wie die SSRI, gezeigt.
5 Ob Duloxetin einen stärkeren antinozizeptiven Effekt
als die anderen SNRI hat, ist noch nicht genügend
evaluiert.
5.11.3
Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer
Reboxetin hat einen selektiven Noradrenalinrückaufnahme blockierenden Effekt (. Tab. 5.9).
Fazit
Therapieempfehlung für selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer
5 Reboxitin ist eine Alternative, wenn ein eigenständiger pharmakologischer Wirkansatz bei fehlender
Response gesucht wird.
5 Die gastrointestinalen Nebenwirkungen sind zwar
geringer als bei den SSRI, die urogenitalen Risiken
schränken die Indikation bei Männern ein.
5.11.4
Noradrenerges/spezifisch
serotonerges Antidepressivum
mit α2-Adrenozeptor
antagonistischer Wirkung
Mirtazapin ist die Nachfolgesubstanz von Mianserin. Chemisch hat es eine tetrazyklische Struktur, aber
nicht die wesentlichen pharmakologischen Eigenschaften, die den TZA entsprechen. Unter den Antidepressiva sind die Eigenschaften sehr eigenständig.
56
1
Kapitel 5 · Antidepressiva
. Tab. 5.9. Selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer
Präparat
Dosis (täglich)
Indikationen mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen;
sonst 7 Abschn. 5.6
Behandlungshinweise
Reboxetin
Edronax®
4, später 8 mg
Depression
Gastrointestinale Beschwerden, Schwitzen, Kopfschmerzen,
Schlafstörungen,
Tachykardie
Sehr geringes Interaktionspotenzial
Cave: Harnverhalt
bei Männern
2
3
4
5
6
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
. Tab. 5.10. D2-Adrenorezeptor-Antagonisten
Präparat
Dosis (täglich)
Indikationen
mit Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen;
sonst 7 Abschn. 5.6
Behandlungshinweise
Mirtazapin
Remergil®
30 mg, Erhöhung auf 45 mg
möglich
Depression
Müdigkeit, Mundtrockenheit,
Gewichtszunahme
Geringes Interaktionspotenzial, kaum sexuelle
Funktionsstörungen
7
8
9
10
11
12
13
14
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
Wesentlich ist die α2-adrenergen Rezeptor blockierende Wirkung. Der verstärkte noradrenerge Tonus
führt zu einer sekundären serotonergen Freisetzung
in den Synapsen. Mirtazapin blockiert die 5-HT2und 5-HT3-Rezeptoren, ist aber auch ein potenter H1Rezeptorantagonist, worauf die wesentlichen Nebenwirkungen zurückzuführen sind (. Tab. 5.10).
Fazit
Therapieempfehlung für Mirtazapin
15
16
17
18
19
20
5 Bei Depressionen mit Schlafstörungen ist Mirtazapin
Mittel der Wahl; auch geeignet zur Schlafinduktion
ohne depressive Störung.
5 Mirtazapin hat wie Venlafaxin einen schnelleren
Wirkungseintritt als SSRI.
5 Auch Mirtazapin hat aufgrund seines dualen Wirkmechanismus wie die SNRI einen antinozizeptiven Effekt.
5 Mirtazapin lässt sich in der Augmentationstherapie
ohne große Risiken mit SSRI und SNRI kombinieren.
5 Nachteilig ist die Gewichtszunahme.
5.11.5
NoradrenalinDopaminrückaufnahmehemmer
Neu zugelassen als Antidepressivum ist der Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahmehemmer Bupropion (Elontril®). Damit hat sich das Indikationsspektrum von Bupropion nach seiner Einführung als Raucherentwöhnungsmittel (Zyban®) (7 Abschn. 11.2) auf
depressive Störungen erweitert. Die Anfangsdosis zur
Behandlung depressiver Episoden liegt bei 150 mg/Tag
als Einmalgabe. Zu den häufigsten Nebenwirkungen
zählen Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Mundtrockenheit sowie gastrointestinale Beschwerden. Von
Seiten des Nebenwirkungsprofils bietet Bupropion bei
einer den SSRI und Venlafaxin vergleichbaren antidepressiven Wirksamkeit Vorteile durch fehlende
Gewichtszunahme und geringeren sexuellen Funktionsstörungen.
Es muss noch gezeigt werden, dass Bupropion
eine Alternative zu den anderen neuen Antidepressiva ist. Deswegen wurde auf eine eigenständige Tabelle
für Bapropion verzichtet.
57
5.11 · Präparategruppen
5.11.6
Trizyklische Antidepressiva
(TZA)
TZA haben einen breiten polypharmazeutischen Wirkansatz (7 Abschn. 5.2); dadurch ist das Risiko für
Nebenwirkungen und Komplikationen bei Überdosierung hoch. Da die neuen Antidepressiva eine mindestens gleich gute Wirksamkeit haben, sind sie in der
Regel bei den entsprechenden Indikationen vorzuziehen. Auch die große historische Bedeutung dieser
Gruppe rechtfertigt heute nicht mehr einen Einsatz
als Mittel der ersten Wahl. Ein Vorteil der TZA liegt
in der Möglichkeit bei unbefriedigender Response das
TDM einzusetzen (7 Abschn. 5.9, . Tab. 5.11).
Fazit
5
MAO-Hemmer
5.11.7
MAO-Hemmer gehörten zu den ersten Antidepressiva (7 Abschn. 5.1.1). Die Risiken darunter sind aber
heute zu groß, um sie in der Routinetherapie zu empfehlen, z. B. hypertensive Krisen. Tranylcypromin ist
ein irrereversibler nicht-selektiver MAO-Hemmer,
wogegen Moclobemid ein selektiver reversibler MAOHemmer vom A-Typ ist. Die Nebenwirkungen unter
Moclobemid sind gering. Es kommt darunter nicht
zu einer Rückaufnahmehemmung biogener Amine
(. Tab. 5.12).
Fazit
Therapieempfehlung für MAO-Hemmer
Therapieempfehlung für TZA
5 Der Hauptgrund für den Einsatz von TZA sind die relativ geringen täglichen Verschreibungskosten bei allen
Indikationen. Wenn möglich sollten die Antidepressiva der obigen Gruppen vorgezogen werden.
5 Die meisten TZA haben aufgrund ihres breiten pharmakologischen Profils auch einen antinozizeptiven
Effekt.
5 Moclobemid ist eine Alternative, wenn ein eigenständiger pharmakologischer Wirkansatz bei fehlender
Response gesucht wird.
5 Es gibt Hinweise, dass unter Moclobemid sexuelle
Funktionsstörungen kaum auftreten.
. Tab. 5.11. TZA (Auswahl)
Präparat
Dosis
(täglich)
Indikationen mit Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen;
sonst 7 Abschn. 5.6
Behandlungshinweise
Amitriptylin
Saroten®
150 mg
Depression, Schmerzbehandlung
Anticholinerge
Wirkungen, Müdigkeit
Starkes Interaktionspotenzial, schlafanstoßende Wirkung
Clomipramin
Anafranil®
150 mg
Depression, Panikstörung, Phobien,
Zwangsstörung,
Schmerzbehandlung
Anticholinerge
Wirkungen, Müdigkeit, Unruhe
Starkes Interaktionspotenzial, starke
Serotoninrückaufnahmehemmung
Imipramin
Tofranil®
150 mg
Depression, Schmerzbehandlung
Anticholinerge
Wirkungen, Unruhe,
Harnverhalt
Starkes Interaktionspotenzial
Nortriptylin
Nortrilen®
100–150 mg
Depression
Geringere Nebenwirkungen als bei
anderen TZA
Interaktionspotenzial, bei Schwangerschaft günstigstes
Profil
Trimipramin
Stangyl®
150 mg
Depression
Anticholinerge
Wirkungen, starke
Müdigkeit
Starkes Interaktionspotenzial, schlafanstoßende Wirkung
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
58
1
Kapitel 5 · Antidepressiva
. Tab. 5.12. MAO-Hemmer (Auswahl)
Präparat
Dosis (täglich)
Indikationen mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen;
sonst 7 Abschn. 5.6
Behandlungshinweise
Moclobemid
Aurorix®
300 mg, dann
600 mg
Depression, soziale
Phobie
Geringe vegetative
Nebenwirkungen,
bei Moclobemid
kein Risiko für hypertensive Krisen
Stark
tyraminhaltige
Nahrung muss vermieden werden.
Keine Kombination
mit serotoninhaltigen Medikamenten
2
3
4
5
6
7
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
. Tab. 5.13. Pflanzliche Präparate (Auswahl)
Präparat
Dosis (täglich)
Indikationen mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen;
sonst 7 Abschn. 5.6
Behandlungshinweise
Hyperikumextrakt
Wahrscheinlich
900 mg
Depression
Kaum Nebenwirkungen
Unterschätztes,
mäßiges Interaktionspotenzial
8
9
10
Depression depressive Störung. Die allgemeinen Hinweise 7 Abschn. 5.5–5.9 müssen zusätzlich berücksichtigt werden.
11
5.11.8
12
Es gibt mehrere Johanniskrautextrakte in verschiedenen Präparaten, die ohne Rezeptpflicht zur Behandlung der Depression erhältlich sind.
Eine größere Anzahl von placebokontrollierten
Studien zeigt bei leichter bis mittelschwerer Depression eine Überlegenheit für Johanniskrautpräparate.
Neue Studien zeigen allerdings gegenüber Placebound Standardantidepressiva uneinheitliche Ergebnisse.
Das gilt jetzt auch für die schwere depressive Störung,
obwohl eine erste Studie bei dieser Krankheitsgruppe
unter Hypericum über 24 Wochen einen gleich guten
Effekt wie ein SSRI gezeigt hat. Die Dosis-WirkungBeziehung von Johanniskrautextrakten ist ungeklärt.
13
14
15
16
Pflanzliche Präparate
17
Fazit
18
Therapieempfehlung für Johanniskrautextrakte
19
20
5 Bei der Verordnung von Hypericumpräparaten sollte
bedacht werden, dass es vom wissenschaftlichen
Standpunkt zzt. noch sehr viele Unsicherheiten zur
Wirksamkeit, Dosis, Präparatewahl und Interaktionen
gibt.
5.12
Antidepressiva in
der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
Bei der Behandlung mit Antidepressiva im Kindesund Jugendalter sind die Auswahlkriterien für ein
Antidepressivum in erster Linie die klinische Symptomatik, die sich im Entwicklungsverlauf teilweise
erheblich verändern kann, das Nebenwirkungsprofil und die Akzeptanz der Familie hinsichtlich einer
medikamentösen Therapie.
Indikationen
Das Indikationsspektrum für Antidepressiva im Kindes- und Jugendalter, wenn auch Antidepressiva nicht
in allen Fällen die Medikamente der ersten Wahl sind,
umfasst zusätzlich zu den oben beschriebenen depressiven Störungsbildern und Diagnosegruppen noch
5 hyperkinetische Störungen,
5 Störung des Sozialverhaltens,
5 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgrund einer Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns,
5 Persönlichkeitsstörungen,
5 tief greifende Entwicklungsstörungen,
5 emotionale Störungen des Kindesalters,
59
5.12 · Antidepressiva in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
5
5
5
5
5
elektiver Mutismus,
Ticstörungen,
Enuresis,
stereotype Bewegungsstörungen,
Stottern und Poltern (Leitlinien der Deutschen
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie 2003).
Wirksamkeit der Antidepressiva bei der
Depression
5 Die placebokontrollierte Wirkung von Antidepressiva im Kindes- und Jugendalter wurde vornehmlich bei depressiven Störungen untersucht
und hier insbesondere TZA und SSRI. Im Vergleich zu Erwachsenen konnten bei Kindern und
Jugendlichen mit depressiven Syndromen allenfalls eine marginale Überlegenheit der TZA im
Vergleich zu Placebos gezeigt werden. Berücksichtigt man auch noch das ungünstige Nebenwirkungsprofil der TZA, so sollten diese nicht
mehr als Mittel der ersten Wahl verordnet werden.
5 Für die SSRI konnte die Wirksamkeit, vor allem
für Fluoxetin, bei dem mit Abstand die meisten Studien durchgeführt wurden, gezeigt werden. Da Fluoxetin auch ein geringeres Nebenwirkungsprofil als TZA bei Kindern und Jugendlichen mit Depressionen hat, ist dieser Wirkstoff bei der Behandlung von Depressionen vorzuziehen. Fluoxetin ist seit kurzem ab dem Alter
von 8 Jahren bei mittelgradigen bis schweren Episoden einer Major Depression zulassen, wenn
im Vorfeld durch 4–6 psychotherapeutische Sitzungen keine Verbesserung erzielt werden konnte. Fluoxetin sollte nur in Verbindung mit einer
gleichzeitigen psychotherapeutischen Behandlung gegeben werden.
5 Für andere Antidepressiva stehen noch nicht ausreichend Studien zur Verfügung, um abschließende Empfehlungen geben zu können (Cheung
et al. 2005; Geller et al. 1999; Heiser u. Remschmidt 2002). Auch liegt keine Zulassung für
eine dieser Substanzen zur Behandlung depressiver Syndrome im Kindes- und Jugendalter vor.
5 Die Dosierungen und Serumkonzentrationen
(Cohen et al. 1999) sowie die Wechselwirkungen
und Kontraindikationen entsprechen denen
im Erwachsenenalter. Ebenso sind die Nebenwirkungen ähnlich; möglicherweise kommt es
durch SSRI zu einer leichten Wachstumsverzögerung (Weintrob et al. 2002). Die Routineuntersuchungen sollten mit der gleichen Frequenz wie
im Erwachsenenalter erfolgen.
5
5 Generell gilt, ähnlich wie im Erwachsenenalter,
dass SSRI und nun auch die SNRI und Mirtazapin die Medikamente erster Wahl sind. Aus Studien bei Erwachsenen ist bekannt, dass es innerhalb der SSRI-Gruppe keine Unterschiede hinsichtlich der Effizienz gibt. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass auch bei Kindern und Jugendlichen die Effizienz der SSRI ähnlich sein dürfte.
5 Obwohl Hyperikumextrakte bei Kindern und
Jugendlichen sehr häufig verschrieben werden,
wurde eine positive Wirkung erst in einer Studie gezeigt.
Wirksamkeit der Antidepressiva bei
anderen Indikationen
5 Fluvoxamin aus der Gruppe der SSRI ist zur
Behandlung von Zwangsstörungen ab dem Alter
von 8 Jahren und Clomipramin sowie Imipramin
aus der Gruppe der TZA sind ab dem Alter von
5 Jahren vorwiegend zur Behandlung der funktionellen Enuresis zugelassen.
SSRI und Suizidalität
5 Das Thema SSRI und Zunahme von Suizidalität ist noch nicht abschließend geklärt
(7 Abschn. 5.6). Für alle Indikationen im Kindes- und Jugendalter und alle Antidepressiva
lag das relative Risiko für Suizidideen und suizidale Handlungen bei 1,95, und für die SSRI und
depressive Syndrome im Kindes- und Jugendalter betrug das relative Risiko 1,66. Bei beiden
Gruppen war damit das Risiko signifikant erhöht.
Durchschnittlich kamen bei 4% der Patienten, die
mit SSRI behandelt wurden, Suizidideen und suizidale Handlungen vor, während in den Placebogruppen nur 2% der Patienten diese Symptome
zeigten. Die Ergebnisse waren nur signifikant,
wenn alle Studien berücksichtigt wurden. In keiner Studie kam es zu einem Suizid (Hammad et
al. 2006).
5 Allerdings weist eine neue Untersuchung darauf
hin, dass parallel zum Rückgang der Verschreibung von SSRI in den Jahren 2003–2005 die Suizidrate um bis zu 50% bei Kindern und Jugendlichen angestiegen ist (Gibbons et al. 2007).
Cave
5 In den ersten 4 Wochen der Behandlung
sollte eine engmaschige Kontrolle bei Verordnung von SSRI erfolgen.
60
Kapitel 5 · Antidepressiva
5.13
Checkliste
1
?
2
3
1.
2.
4
5
3.
6
4.
7
5.
8
6.
9
7.
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Welche Rolle spielte die Noradrenalin-Serotoninhypothese der Depression in der Entwicklung
der biologischen Psychiatrie?
Was sind die Vorteile der selektiven Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) gegenüber den
Trizyklischen Antidepressiva (TZA) und den
MAO-Hemmern?
Was versteht man unter den modernen dualen
Antidepressiva, welche Neurotransmittersysteme
werden in erster Linie durch sie beeinflusst?
Beschreiben Sie die Synapsenfunktion bei der
chemischen Neurotransmission. Wie greifen
Antidepressiva ein?
Was versteht man unter dem Begriff der
Wirklatenz bei der Behandlung mit Antidepressiva?
Welche besonderen Probleme ergeben sich aus
der Wirklatenz der Antidepressiva für die Behandlung von depressiven Patienten?
Welche zusätzlichen Medikamente setzt
man – neben dem intensiven therapeutischen
Kontakt mit dem Patienten – bei der Behandlung
von akuter Suizidalität ein?
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
Welche Nebenwirkungen sind unter der Behandlung mit Antidepressiva häufig und stellen
deswegen besonders in der Langzeitbehandlung
ein Problem dar?
Für welche weiteren psychiatrischen Krankheitsbilder neben der Depression sind Antidepressiva
zugelassen?
Welche Symptome können beim plötzlichen
Absetzen von Antidepressiva auftreten?
Welche Antidepressiva sind bei geriatrischen Patienten, die auch häufig zusätzliche internistische
Erkrankungen haben, zu bevorzugen?
Welches moderne Antidepressivum ist bei einer
Depression mit ausgeprägten Schlafstörungen
das Mittel der Wahl?
Wie ist der Einsatz pflanzlicher Mittel, z. B. von
Johanniskrautextrakten, nach der wissenschaftlichen Studienlage derzeit zu beurteilen?
Welches Antidepressivum sollte zur Behandlung
depressiver Syndrome im Kindes- und Jugendalter eingesetzt werden?
6
61
6.1 ·
Stimmungsstabilisierer
6.1
Einteilung
– 62
6.1.1
Ordnungsprinzip – 62
6.2
Wirkungsmechanismus
6.3
Allgemeine Therapieprinzipien
6.4
Indikationen
6.4.1
6.4.2
Lithium – 63
Antikonvulsiva, Antipsychotika und Antidepressiva – 65
6.5
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer – 65
6.5.1
6.5.2
Lithium – 65
Antikonvulsiva und Antipsychotika – 65
6.6
Nebenwirkungen
6.7
Kontraindikationen und Intoxikationen
6.8
Wechselwirkungen
6.9
Routineuntersuchungen
6.10
Stimmungsstabilisierer im höheren Lebensalter
6.11
Präparategruppen
6.12
Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie – 68
6.13
Checkliste
– 62
– 63
– 63
– 70
– 65
– 66
– 66
– 66
– 68
– 66
62
Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer
6.1
Einteilung
laktisch bei der bipolaren Depression und auch
bei Rapid Cycling, wenn depressive Phasen überwiegen.
1
Definition
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Für die Therapie der bipolaren affektiven Störung
(7 Kap. 29) werden zwei Substanzklassen unterschieden:
5 Stimmungsstabilisierer und
5 adjuvante Pharmakotherapeutika.
Stimmungsstabilisierer (Syn.: »mood stabilizer«) sollen die Stimmung langfristig ausgleichen und stabilisieren; sie sind für die Therapie und Prophylaxe aller
Phasen der Störung gleichermaßen geeignet. Sie werden über die gesamte Dauer der bipolaren affektiven
Störung verabreicht, unabhängig von der akut bestehenden Phänomenologie.
Von ihnen werden die adjuvanten Pharmakotherapeutika (Antipsychotika, Antidepressiva, Benzodiazepine), die nur für spezifische Syndrome geeignet sind, unterschieden. Atypische Antipsychotika (AAP; z. B. Olanzapin oder Quetiapin) haben
eine nachgewiesene antimanische, möglicherweise
sogar eine antidepressive Wirksamkeit bei der bipolaren affektiven Störung. Benzodiazepine können bei
der schweren Manie als adjuvante Therapie eingesetzt
werden (7 Abschn. 29.2)
Da in neuen Studien darüber hinaus gezeigt wurde, dass auch einige AAP eine phasenprophylaktische
Wirkung haben, wird die Abgrenzung der beiden
Gruppen immer unschärfer.
6.1.1 Ordnungsprinzip
Derzeit sind drei Gruppen von Stimmungsstabilisierern bekannt:
5 Lithium:
Die Therapie der Manie mit Lithiumsalzen wurde 1949 von Cade in Australien entdeckt. Erst ein
Jahrzehnt später stellte Schou die phasenprophylaktische Wirkung fest. Lithium ist die klassische
Referenzsubstanz zur Behandlung bipolar affektiver Erkrankungen.
5 Antikonvulsiva:
In den letzten Jahrzehnten wurden die antileptisch wirksamen Substanzen intensiv auch auf
ihre antimanische und phasenprophylaktische
Wirkung hin untersucht. Valproinsäure (und Carbamazepin) sind Substanzen mit guter antimanischer Wirksamkeit und sind auch phasenprophylaktisch wirksam. Lamotrigin wirkt prophy-
5 Atypische Antipsychotika:
Neben der bisher bekannten Wirkung der AAP
bei der Manie hat sich gezeigt, dass die AAP
Olanzapin und Quetiapin auch als Stimmungsstabilisierer wirksam sind. Die anderen AAP
(7 Kap. 7) sind auf diese Indikation hin noch
nicht genügend evaluiert.
6.2
Wirkungsmechanismus
Lithium und Antikonvulsiva entfalten die unterschiedlichsten zentralnervösen (und peripheren)
Wirkungen. Es ist unbekannt, welche der folgenden
Effekte ihre Wirksamkeit bei bipolaren affektiven Störungen ausmacht. Folgende Systeme werden beeinflusst:
5 Wirkungen auf Signaltransduktionssysteme:
Einer der wesentlichen Wirkmechanismen des
Lithiums bei affektiven Störungen scheinen dessen Wirkungen auf Second-messenger-Systeme
zu sein.
5 Wirkungen auf neuronale Ionenkanäle: Die meisten Antikonvulsiva (Valproinsäure, Carbamazepin, Lamotrigin) führen zu einer Inaktivierung
spannungsabhängiger Natriumkanäle und damit
zu einer Reduktion des Natriumeinstroms, sowie
wahrscheinlich auch zu einer Erhöhung der Kaliumleitfähigkeit; dies hat eine Reduktion neuronaler Entladungsfrequenzen zur Folge.
5 Wirkungen auf inhibitorische und exzitatorische Transmittersysteme: Viele Antikonvulsiva (Valproinsäure, Carbamazepin, Lamotrigin, Gabapentin) und auch Lithium verstärken
auf unterschiedlichste Weise die (inhibitorische)
GABAerge Neurotransmission.
5 Wirkungen auf die serotonerge Neurotransmission: Lithium verstärkt die serotonerge Neurotransmission auf den verschiedensten Ebenen. Es
verstärkt die Synthese durch eine Erhöhung der
Tryptophanaufnahme in serotonerge Neurone,
führt zu einer verstärkten Serotoninfreisetzung
und vermindert dessen Katabolismus. Die Wirkungen auf die Dichte von 5-HT2A- und 5-HT2CRezeptoren sind hirnregional unterschiedlich, in
den meisten Studien wird jedoch eine Abnahme
der Dichte dieser Rezeptoren gezeigt. Auch Olanzapin und Quetiapin führen zu einer Abnahme
von 5-HT2A-Rezeptoren.
63
6.4 · Indikationen
5 Wirkungen auf die Genexpression: Lithium ist
ein potenter Induktor der fos-Expression. Außerdem beeinflusst Lithium die Expression von verschiedenen G-Proteinen und Adenylylzyklasen
sowie Peptidhormonen und ihren Rezeptoren.
5 Beeinflussung zirkadianer Rhythmen: Lithium
bremst zirkadiane Oszillatoren in einer Vielzahl von Spezies. Chronische Behandlung verlängert zahlreiche zirkadiane Rhythmen unter freilaufenden Bedingungen. Da bei – insbesondere
bipolaren – affektiven Störungen eine Phasenverschiebung (»phase advance«) biologischer Rhythmen vermutet wird, soll Lithium seine Wirkung
z. T. über diese Phasenverlängerung endogener
Rhythmen entfalten.
6.3
Allgemeine Therapieprinzipien
5 Die Einordnung der Therapie mit Stimmungsstabilisierern in einen Gesamtbehandlungsplan findet sich in 7 Abschn. 29.1. Dazu gehört auch die
frühzeitige Vermittlung eines Krankheitskonzeptes.
5 Jeder Behandlungsbeginn mit Stimmungsstabilisierern setzt die Abschätzung des individuellen
Rückfallrisikos voraus; es ist bei bipolarem Verlauf deutlich höher als bei unipolarem Verlauf.
Ein entscheidendes Kriterium ist dabei die bisherige Phasenfrequenz.
5 Der Einsatz von Stimmungsstabilisierern muss
stets sehr sorgfältig abgewogen werden, da es sich
oft um eine Entscheidung über eine jahrelange,
oft sogar lebenslange Therapie handelt.
5 Die Compliance ist die Basis für einen Therapieerfolg. Eine mangelhafte Lithiumcompliance findet sich häufiger bei schweren Manien, bei Kombination von Lithium mit anderen Stimmungsstabilisierern und bei Lithiumnebenwirkungen.
Auch wenn Rapid-Cycling-Phänomene oder
Alkohol- und/oder Drogenabhängigkeit bzw. abusus auftreten, verringert sich die Compliance. Schließlich ist das Risiko für eine schlechte
Compliance bei Persönlichkeitsstörungen, männlichen und allein lebenden Patienten, jüngeren
Patienten und Patienten mit niedrigerer Schulbildung oder geringerem sozioökonomischem Status größer.
6.4
6
Indikationen
Jeweils einige Stimmungsstabilisierer (. Tab. 6.1) werden bei folgenden Diagnosen eingesetzt:
5 Manische Episode
5 Bipolare affektive Störung mit
– manischer Episode im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung,
– depressiver Episode im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung (sog. bipolare
Depression),
– gemischter Episode bei bipolarer affektiver
Störung,
– Phasenprophylaxe bei bipolarer affektiver
Störung,
– Akutbehandlung und Phasenprophylaxe des
Rapid Cycling,
– Phasenprophylaxe bei schizoaffektiver Störung,
– Phasenprophylaxe bei rezidivierender unipolarer Depression,
– Augmentationstherapie bei therapieresistenter Depression.
Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Stimmungsstabilisierer bei den Indikationen wird in
7 Abschn. 29.2 zusammengefasst. Dort findet sich
auch die generelle Indikationsstellung für eine Phasenprophylaxe bei einer bipolaren affektiven Störung.
Die Trennung der Indikationen bez. der Zulassung zeigt . Tab. 6.1.
6.4.1 Lithium
5 Lithium ist der am besten geprüfte und seit vielen Jahrzehnten klinisch bewährte Stimmungsstabilisierer.
5 Ein voller phasenprophylaktischer Effekt ist
manchmal erst nach Monaten (bis Jahren) feststellbar.
5 Die prophylaktische Wirksamkeit ist besonders gut, wenn bisher weniger als 3 Episoden der
bipolaren affektiven Störung aufgetreten sind.
64
Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer
. Tab. 6.1. Indikationen für Stimmungsstabilisierer
1
Stimmungsstabilisierer
2
Zugelassene Indikationen
Weitere Indikationen
Bemerkungen
Akutbehandlung manischer Syndrome; Phasenprophylaxe bipolarer affektiver Störungen, rezidivierender manischer Episoden
und unipolarer Depression
Akuttherapie und Prophylaxe schizoaffektiver Störungen; Lithiumaugmentation bei therapieresistenter
Depression (7 Kap. 15)
Die klassische (euphorische)
Manie spricht gut auf Lithium an
Bei wenigen Vorphasen ist Lithium zur Phasenprophylaxe zu bevorzugen; weniger
wirksam bei Vorliegen zahlreicher Vorphasen, bei gemischten Episoden und bei
Rapid Cycling
Carbamazepin
Phasenprophylaxe bipolarer affektiver Störungen
Alkoholentzugssyndrom
Manisches Syndrom
Die Phasenprophylaxe ist relativ wenig abgesichert
Lamotrigin
Prävention depressiver Episoden bei Patienten mit
bipolaren Störungen;
Hinweise zur Wirkung bei
Rapid Cycling, wenn depressive Phasen überwiegen
Kein Beleg für antimanische
Wirkung; nicht zusammen
mit Aripiprazol (Cave: Interaktionen)
Valproinsäure
Manisches Syndrom
Phasenprophylaxe bipolarer affektiver Störungen
Lithiumsalze
3
4
5
6
Antiepileptika
7
8
9
10
11
12
Bei häufigen Vorphasen ist
Valproinsäure zur Phasenprophylaxe gut wirksam (und
Carbamazepin vorzuziehen)
Atypische Antipsychotika
Manisches Syndrom (Olanzapin und Quetiapin)
Phasenprophylaxe bipolarer affektiver Störungen
(Olanzapina und Quetiapin)
13
14
15
a
Hinweise für Wirkung bei:
5 gemischter Episode
und beim Rapid Cycling
(Olanzapin und Quetiapin);
5 bipolarer Depression
(Olanzapin und Quetiapin)
Olanzapin wirkt besser gegen
die manische als gegen die
depressive Phase;
für Quetiapien gibt es die
meisten positiven Studien bei
der bipolaren Störung
Wenn Olanzapin in der akuten Phase wirksam war.
16
17
18
19
20
Wichtig
5 Nach Absetzen einer Lithiumprophylaxe ist
das Rückfallrisiko wahrscheinlich höher als im
naturalistischen Verlauf; mit jeder Phase nimmt
möglicherweise die Phasenhäufigkeit weiter zu,
evtl. Einmündung in Rapid Cycling.
5 Wenn eine Lithiumprophylaxe doch abgesetzt
wird, sollte dies langsam über viele Monate
erfolgen.
5 Nach Absetzen von Lithium kann, wenn es bei
einer erneuten Episode wieder angesetzt wird,
möglicherweise seine Effektivität verlorengehen.
65
6.6 · Nebenwirkungen
6.4.2 Antikonvulsiva, Antipsychotika
6
Wichtig
und Antidepressiva
5 Lithiumplasmakonzentration für antimanische Wirkung: 1,0–1,2 mmol/l
5 Lithiumplasmakonzentration für phasenprophylaktische Wirkung: 0,6–0,8 mmol/l
5 Plasmakonzentration für Lithiumaugmentation: 0,6–0,8 mmol/l
Die Indikationen und die Vor- und Nachteile von
Antikonvulsiva und Antipsychotika bei bipolaren
affektiven Störungen ist der . Tab. 6.1 zu entnehmen.
Neue Untersuchungen zeigen ihre immer größere
Bedeutung im Rahmen der Phasenprophylaxe.
5 AAP beweisen sich nicht nur als adjuvante Pharmakotherapeutika, sondern immer mehr auch als
Stimmungsstabilisierer.
5 Auf eine Phasenprophylaxe mit konventionellen
Antipsychotika (7 Kap. 7) sollte verzichtet werden, weil dabei im Verlauf häufiger depressive
Syndrome beobachtet werden. Daher sollte in der
Regel AAP der Vorzug gegeben werden.
5 Wegen des hohen Risikos einer Induktion eines
Rapid Cycling sollte auf die Verabreichung von
TZA bei bipolaren affektiven Störungen verzichtet werden. SSRI sind zu bevorzugen.
Wichtig
5 Die Lithiumserumkonzentration (Blutentnahme pünktlich 12±0,5 h nach letzter
Tabletteneinnahme, vor Einnahme der
Medikamente) sollte nach dem in . Tab. 6.2
dargestellten Schema kontrolliert werden.
6.5.2 Antikonvulsiva und
Antipsychotika
6.5
Dosierung,
Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer
5 Die Dosierung richtet sich beim Lithium, Carbamazepin und Valproinsäure nach der Plasmakonzentration; bei Lamotrigin und den AAP nach
klinischen Erfahrungswerten.
5 Die Behandlungsdauer muss über Jahre geplant
werden. Lithiumaugmentation7 Abschn. 15.5.
6.5.1 Lithium
5 Lithium kann bei manischen Syndromen rasch
aufdosiert werden.
5 Lithium sollte bei der Prophylaxe mit der Hauptdosis abends verabreicht werden, damit nebenwirkungsträchtige Konzentrationsspitzen vom
Patienten »verschlafen« werden.
5 Die tägliche Tabletteneinnahme richtet sich nach
der Lithiumplasmakonzentration, die im Steady State kontrolliert werden. Steady-State-Bedingungen sind nach einer Woche erreicht.
5 Carbamazepin und mehr noch Lamotrigin müssen sehr langsam aufdosiert werden.
5 Beim Carbamazepin sind antimanische und phasenprophylaktische Plasmakonzentrationen nicht
definiert; angestrebt werden sollten Plasmakonzentrationen, wie sie in der Epileptologie Anwendung finden (6–12 mg/l).
5 Valproinsäure kann bei manischen Syndromen
gleich von Beginn an in der Zieldosis verabreicht werden
5 Für Lamotrigin ist keine Plasmakonzentration
definiert.
5 Es werden für die AAP Dosierungen bis zur Koupierung der Manie gesucht (7 Kap. 7); bei der
Phasenprophylaxe ist die niedrigste wirksame
Dosis indiziert.
6.6
Nebenwirkungen
5 Zahlreiche Patienten nehmen langfristig Lithiumsalze ohne unerwünschte Wirkungen ein.
Aber es muss unter der Einnahme von Lithium
sorgfältig auf neurologisch/psychiatrische, renale,
endokrine, gastrointestinale Nebenwirkungen
und Störungen des Elektrolythaushalts geachtet werden (Benkert u. Hippius 2007), die relativ häufig zu Beginn auftreten, später aber wieder
spontan verschwinden. Initiale Nebenwirkungen
sollten nicht zu einem Behandlungsabbruch füh-
66
1
5
2
5
3
4
5
5
5
6
6.7
7
8
9
10
11
Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer
ren, deshalb ist die vorherige Aufklärung des
Patienten von besonderer Bedeutung.
Nach plötzlichem Absetzen treten manische Syndrome wahrscheinlich häufiger auf als im naturalistischen Verlauf (Absetzmanie).
Blutbildveränderungen und Hepatotoxizität sind
besonderst ernste Nebenwirkungen unter Antikonvulsiva.
Bei Kombination von zwei Antivonvulsiva können sich Nebenwirkungen und Wechselwirkungen verstärken.
Nebenwirkungen der AAP7 Kap. 7.
Kontraindikationen und
Intoxikationen
Die wichtigsten Kontraindikationen für Stimmungsstabilisierer sind:
5 Störungen des Elektrolythaushalts.
5 Bei Carbamazepin und Valproinsäure muss eine
Knochenmarkschädigung ausgeschlossen werden, bei Lithium eine Nierenfunktionsstörung.
5 Bei den Antikonvulsiva dürfen keine Leberschäden vorhanden sein.
5 Vorsicht ist bei (allergischen) Hautveränderungen in der Anamnese anzuraten.
5 Schwangerschaft und Stillzeit 7 Kap. 35; Fahrtüchtigkeit 7 Kap. 36.
12
13
14
15
16
17
18
19
20
6.8
Wechselwirkungen
5 Unter einer Lithiumprophylaxe sind bei Gabe
von zusätzlichen Medikamenten die möglichen
Interaktionen zu beachten.
5 Durch eine Enzyminduktion unter Carbamazepin können die Plasmakonzentrationen dieser
und anderer, gleichzeitig verabreichter Substanzen noch Wochen, nachdem sich zunächst ein
Gleichgewicht eingestellt hatte, wieder abfallen.
5 Gerade bei der kombinierten Verabreichung von
Antikonvulsiva sind Interaktionen zwischen den
Substanzen zu beachten, die zur Dosisanpassung
zwingen und deren Nichtbeachtung zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann.
5 Keine Kombination von Carbamazepin mit anderen potenziell knochenmarktoxischen Substanzen (Clozapin).
5 Wechselwirkungen der AAP7 Kap. 7.
Routineuntersuchungen
6.9
5 Unter Lithium und Antikonvulsiva sind spezifische Routineuntersuchungen notwendig; für
AAP . Tab. 6.2, 7 Abschn. 7.9.
5 Unter der Therapie mit Lithium sind zusätzlich
Kontrollen der Schilddrüsen- und der Nierenfunktion einzuhalten.
Wichtig
5 Da Lithium und verschiedene Antikonvulsiva
als teratogen zu betrachten sind, ist gerade
in dieser Substanzklasse vor Behandlungsbeginn ggf. ein Schwangerschaftstest
notwendig.
5 Unter einer Therapie mit Lithium, Carbamazepin oder Valproinsäure gehört die
Bestimmung von Plasmakonzentrationen
zu den zwingend notwendigen Routineuntersuchungen 7 Abschn. 6.9.
6.10
Stimmungsstabilisierer im
höheren Lebensalter
5 Bei älteren Patienten können niedrigere Dosen
bzw. Plasmakonzentrationen notwendig sein,
wenn eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber
neurotoxischen Wirkungen bekannt ist.
5 Lithium muss bei Manien mit Vorsicht dosiert
werden, da bei reduzierter renaler Ausscheidung
aufgrund der niedrigen therapeutischen Breite schnell Intoxikationen auftreten können. Häufigere Lithiumkontrollen sind angezeigt.
5 Die Plasmakonzentration zur Lithiumaugmentation bei alten Patienten ist oft mit 0,4 mmol/l ausreichend. Mindestens 3-wöchige Durchführung
einer Plasmakonzentrationsmessung zur sicheren
Effizienzbeurteilung empfehlenswert.
5 Bei einer Manie im Alter sind die zugelassenen
AAP aufgrund kardiovaskulärer Risiken oder
anticholinerger Eigenschaften bei kognitiven Vorschädigungen nur eingeschränkt empfehlenswert
(7 Kap. 7.10). Auch muss an die Induktion eines
metabolischen Syndroms (7 Kap. 7.6) gerade im
Alter unter einigen AAP gedacht werden.
6
67
6.9 · Routineuntersuchungen
. Tab. 6.2. Empfehlungen für Routineuntersuchungen unter Stimmungsstabilisierern
Vorher
1
Monate
2
3
4
5
6
Vierteljährlich
××××
×a
×a
×a
×a
×a
×a
××××
×
×
×
×
×
×
Jährlich
Lithium
Plasmakonzentration
Kreatinin
×
24-h-Urinvolumen,
Kreatinin-Clearance
×
Serumelektrolyte
×
×
×
T3, T4, TSH, ggf. TRHTest
×
×
×
EKG
×
×
×
EEG
×
×
×c
RR, Puls
×
×
Körpergewicht,
Halsumfang
×
×
×
×b
×
×
×
×
×d
×
×
×d
Carbamazepin
Plasmakonzentration
××
×
×
×
×
×
×d
×
×
×
×
×
×d
Blutbild
×
××××
Kreatinin
×
×
Serumelektrolyte
×
×
×
×
×
×
×
×d
Leberenzyme
×
××××
×
×
×
×
×
×d
EKG
×
×
EEG
(×)
RR, Puls
×
×
×
×
Blutbild
×
×
×
×
Kreatinin
×
×
Leberenzyme
×
×
EKG
(×)
(×)
EEG
(×)
×
×
×
×c
×d
Lamotrigin
×
×
×
×
×
(×)
×c
Valproinsäure
Plasmakonzentration
××
×
×
×
×
×
×d
Blutbild
×
×
××e
×e
×e
×e
×e
×d
Kreatinin
×
×
××e
×e
×e
×e
×e
×d
68
Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer
. Tab. 6.2. Fortsetzung
1
Vorher
1
2
3
4
5
6
Vierteljährlich
×
×
××e
×e
×e
×e
×e
×d
3
Leberenzyme, Bilirubin, Amylase, Lipase,
PTT, Quick, Fibrinogen, Faktor VIII
4
EKG
(×)
(×)
EEG
(×)
2
5
6
Monate
Jährlich
(×)
×c
× Kontrollen; (×) Untersuchung optional; a Unter bestimmten Umständen (z. B. Fieber, Durchfälle) sind häufigere Kontrollen ratsam. b Bei
älteren Patienten sind häufigere Kontrollen ratsam. c Bei potenziell neurotoxischen Kombinationen, z. B. mit Antipsychotika, sind ggf.
auch häufiger Kontrollen ratsam; bei langfristig stabil eingestellten Patienten sind auch deutlich längere Kontrollintervalle möglich. d Bei
langfristig stabilen Patienten sind halbjährliche Kontrollen ausreichend. e Diese Kontrollen sind laut Hersteller nur erforderlich, wenn die
4-Wochen-Kontrolle pathologische Werte aufgewiesen hat.
7
8
9
10
6.11
In . Tab. 6.3 sind die wichtigsten Stimmungsstabilisierer sowie deren Dosis, Nebenwirkungen und Behandlungsweisen wiedergegeben. Eine Übersicht über die
im Leitfaden genannten Wirkstoffe mit den jeweiligen
Handelsnamen gibt . Tab. A1 im Anhang.
11
12
13
14
15
16
17
Präparategruppen1
Fazit
Therapieempfehlung für Stimmungsstabilisierer
5 Die Stimmungsstabilisierer haben jeweils sehr
spezifische Indikationen bei der bipolaren affektiven
Störung.
5 Die in den . Tab. 6.1 und 6.2 erwähnten Präparate
sind in der Praxis unverzichtbar, sie zeigen in der Regel allerdings deutliche Nebenwirkungen und die in
. Tab. 6.2 vorgeschlagenen Routineuntersuchungen
müssen zur Einhaltung einer Arzneimittelsicherheit
eingehalten werden.
enten profitieren von einer Monotherapie. Bei der
Kombination von verschiedenen Stimmungsstabilisierern verbessert sich das therapeutische Ergebnis
(Kowatch et al. 2005).
Indikationen
Das Indikationsspektrum für Stimmungsstabilisierer
im Kindes- und Jugendalter umfasst zusätzlich zu den
bipolaren Störungen noch
5 manische Episoden,
5 depressive Episoden und rezidivierende depressive Störungen,
5 Persönlichkeitsstörungen,
5 tief greifende Entwicklungsstörungen,
5 abnorme Gewohnheiten und Störungen der
Impulskontrolle,
5 Störungen des Sozialverhaltens,
5 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen,
5 schizoaffektive Störungen (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 2003).
Lithium
6.12
18
Stimmungsstabilisierer in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie
19
Die Stimmungsstabilisierer haben eine relativ geringe
Effektstärke bei der Behandlung bipolarer Störungen
im Kindes- und Jugendalter; nur etwa 40% der Pati-
20
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
5 Lithium ist das Medikament der ersten Wahl zur
Behandlung akuter manischer Episoden und zur
Phasenprophylaxe bei bipolaren affektiven Störungen im Kindes- und Jugendalter. Es ist jedoch
für die Anwendung im Kindes- und Jugendalter in Deutschland nicht zugelassen, d.h. bei der
Anwendung im Kindes- und Jugendalter handelt
es sich um einen individuellen Heilversuch (in
den USA ab 12 Jahren zugelassen).
6.12 · Stimmungsstabilisierer in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
69
6
. Tab. 6.3. Stimmungsstabilisierera (Auswahl)
Präparat
Dosis
Wichtigste Nebenwirkungen
7 Abschn. 6.6 u. 7.6
Behandlungshinweise
Entsprechend Plasmakonzentration
Kognitive Störungen,
Gewichtszunahme, Tremor,
Durst, Übelkeit und Polyurie
Regelmäßige Serumkontrollen, ab 1,5 mmol/l Gefahr
der Intoxikation
Carbamazemin
Tegretal®; Timonil®
200–800 mg bei
Rezidivprophylaxe
Somnolenz, Schwindel,
Ataxie, Blutbild- und Hautveränderungen
Regelmäßige Serumkontrollen, Blutbildkontrolle,
Cave: Interaktionen
Lamotrigin
elmendos®
50–200 mg
Hautausschlag, Kopfschmerzen, Schwindel
Cave: Interaktionen; Serumkontrollen bei starken
Nebenwirkungen
Valproinsäure
Ergenyl chrono®
Orfiril long®
500–2000 mg
Sedierung, Tremor, gastrointestinale Beschwerden,
Schwindel
Cave: Interaktionen; Regelmäßige Serumkontrolle
Olanzapin
Zyprexa®
5–20 mg; Manie: Beginn
mit 20 mg möglich
Gewichtszunahme, Schläfrigkeit, sonst 7 Abschn. 7.6
Bisher gute Erfahrung besonders bei psychotischen
Symptomen
Quetiapin
Seroquel®
50–750 mg; Manie:
Beginn mit 100 mg
Sedierung, Schwindel; sonst
7 Abschn. 7.6
Lithiumsalze
Lithiumcarbonat
Quilonum retard®
Antiepileptika
Antipsychotika
a
Die Indikationen sind . Tab. 6.1 zu entnehmen.
5 Tatsächlich stützen sich die Empfehlungen auf
zumeist positive Ergebnisse aus offenen Studien. Aus diesen Studien wird auch gefolgert, dass
Lithium gegen Suizidalität protektiv ist (LopezLarson u. Frazier 2006).
Wichtig
Da die therapeutische Wirksamkeit durch Lithium erst nach 1–2 Wochen zu erwarten ist, ist am
Behandlungsbeginn häufig die Kombination mit
Antipsychotika und/oder Benzodiazepinen notwendig. Die Lithiumdosierung bei Kindern und
Jugendlichen muss teilweise höher sein als bei
Erwachsenen, da aufgrund der besseren Nierenfunktion Lithium bei Kindern und Jugendlichen
schneller ausgeschieden wird.
Antikonvulsiva
Zugelassen aus der Gruppe der Antikonvulsiva sind
Valproinsäure (zugelassen ab Geburt, Vorsicht bei
Kindern <3 Jahren), Carbamazepin (zugelassen ab
dem 7. Lebensjahr) und Lamotrigin (zugelassen ab
dem 3. Lebensjahr) zur Behandlung verschiedener
Formen zerebraler Anfallsleiden im Kindes- und
Jugendalter.
5 Eine Zulassung im Kindes- und Jugendalter als
Stimmmungsstabilisierer bzw. Phasenprophylaktika liegt nicht vor. Dennoch werden sowohl
Valproinsäure als auch Carbamazepin häufig bei
bipolaren Störungen im Kindes- und Jugendalter
verordnet, wenn z. B. eine Unverträglichkeit oder
eine fehlende Wirksamkeit unter Lithium vorliegt oder sie werden jeweils in Kombination mit
Lithium eingesetzt. Das Indikationsspektrum der
Antikonvulsiva für die Behandlung von bipolaren
Störungen im Kindes- und Jugendalter entspricht
dem im Erwachsenenalter. Die Empfehlungen für
Antikonvulsiva im Kindes- und Jugendalter stützen sich vorwiegend auf Ergebnisse des Erwach-
70
1
5
2
3
4
5
5
6
7
8
9
10
11
12
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14
15
16
17
18
19
20
5
5
Kapitel 6 · Stimmungsstabilisierer
senenalters. Die Studienlage ist in dieser Altersgruppe bisher nicht überzeugend.
Eine Metaanalyse, in die drei doppelblind, placebokontrollierte Studien eingeflossen sind, hat
die Effizienz einer Carbamazepinbehandlung bei
Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen und Hyperaktivität untersucht, und kam
zu dem Ergebnis, dass die Behandlung mit Carbamazepin signifikant bei den Zielsymptomen
überlegen war (Lopez-Larson u. Frazier 2006).
Vor Therapiebeginn mit Valproinsäure bei Kindern und Jugendlichen muss eine ausführliche
körperliche Untersuchung erfolgen, denn Kinder zwischen 3 und 10 Jahren haben ein größeres
Risiko eine Leberschädigung zu entwickeln.
Vor Behandlungsbeginn ist ein Schwangerschaftstest durchzuführen (7 Kap. 35).
Die Kontrolle der Serumkonzentrationen gehört
zu den regelmäßigen Routineuntersuchungen.
Benzodiazepine und Antipsychotika
5 Benzodiazepine und Antipsychotika können als
adjuvante Pharmakotherapeutika zur Behandlung
von Erregungszuständen und Schlafstörungen in
der Akutphase einer manischen Episode eingesetzt werden und werden teilweise am Beginn der
Behandlung mit Stimmungsstabilisatoren kombiniert, bis diese ihre Wirkung entfalten. Positive Wirksamkeitsnachweise wurden für das AAP
Quetiapin vorgelegt.
5 Gerade die atypischen Antipsychotika werden,
wie im Erwachsenenalter, auch häufig zur Phasenprophlaxe bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt, besonders wenn zusätzlich psychotische
Symptome aufgetreten waren.
6.13
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Welche Rolle spielen Stimmungsstabilisierer
nach den neuesten Therapiekonzepten bei
der Behandlung der bipolaren affektiven
Störung?
Welche Präparategruppen werden als Stimmungsstabilisierer eingesetzt?
Welche Pharmakotherpeutika werden adjuvant bei der bipolaren Störung eingesetzt?
Welche Faktoren sind vor Beginn einer
Behandlung mit Stimmungsstabilisieren zu
berücksichtigen und eingehend mit dem
Patienten zu erörtern?
Bei welchen Indikationen werden Stimmungstabilisierer eingesetzt?
Die Einstellung auf Lithium sollte anhand der
klinischen Symptomatik und der Serumkonzentration erfolgen. Warum benötigen
Kinder und Jugendliche teilweise höhere
Lithiumkonzentrationen als Erwachsene?
71
7.1 ·
7
Antipsychotika
7.1
Einteilung
– 72
7.2
Wirkungsmechanismus
7.3
Allgemeine Therapieprinzipien
7.4
Indikationen
7.5
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer – 74
7.6
Nebenwirkungen
7.7
Kontraindikationen und Intoxikationen
7.8
Wechselwirkungen
7.9
Routineuntersuchungen
7.10
Antipsychotika im höheren Lebensalter
7.11
Präparategruppen
7.12
Antipsychotika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
7.13
Checkliste
– 72
– 73
– 73
– 81
– 75
– 77
– 77
– 78
– 78
– 78
– 80
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9
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17
72
Kapitel 7 · Antipsychotika
7.1
Einteilung
Antipsychotika sind eine chemisch heterogene Gruppe von Pharmaka mit antipsychotischem Wirksamkeitsschwerpunkt und unterschiedlichem Nebenwirkungsprofil. Der häufig synonym verwendete Begriff
»Neuroleptikum« ist historisch bedingt und wird
international immer mehr durch den Begriff Antipsychotikum ersetzt. Dieser weist auf die klinisch bedeutsame therapeutische Wirkung bei psychotischen Störungen, insbesondere schizophrenen Psychosen, hin.
Eine Einteilung der Vielzahl entwickelter Substanzen ist in der geschichtlichen Entwicklung begründet
und nach verschiedenen Gesichtspunkten möglich,
z. B. der chemischen Struktur, den dosisabhängig auftretenden antipsychotischen Wirkungen (»neuroleptische Potenz«) und Nebenwirkungen, insbesondere extrapyramidalmotorischen Störungen (EPS), oder
der »Atypizität«. Die chemische Struktur hat eine
besondere Bedeutung für das Nebenwirkungsprofil.
Definition
Die wichtigste Differenzierung heute ist die Abgrenzung zwischen
konventionellen Antipsychotika und
atypischen Antipsychotika (AAP).
Unter den konventionellen Antipsychotika werden besonders die Gruppe der trizyklischen Antipsychotika von der Gruppe der Butyrophenonen
unterschieden.
Unter AAP werden Antipsychotika subsumiert, die
im Vergleich mit konventionellen Antipsychotika
diese Charakteristika aufweisen sollen:
5 gute antipsychotische Wirksamkeit,
5 weniger extrapyramidale Symptomatik (EPS),
5 Wirksamkeit bei Negativsymptomatik,
5 Wirksamkeit bei Therapieresistenz,
5 geringe Prolaktinerhöhungen.
Konventionelle Antipsychotika werden auch Antipsychotika der ersten Generation, first generation antipsychotics (FGA), AAP Antipsychotika der
zweiten Generation, second generation antipsychotics (SGA) genannt.
18
19
20
Das zzt. einzige AAP, das alle Forderungen weitgehend erfüllt, ist Clozapin (7 Abschn. 7.4).
Die Übergänge zwischen konventionell (»typisch«)
und »atypisch« sind fließend:
5 Einige konventionelle Antipsychotika weisen ein
nur geringes EPS-Risiko (7 Abschn. 7.6) auf (z. B.
Pipamperon), sind aber auch in höherer Dosie-
rung kaum geeignet, Positivsymptome zu behandeln.
5 Andererseits können auch unter AAP in
höheren Dosen EPS auftreten; Akathisien treten unter allen AAP einschließlich Clozapin auf
(7 Abschn. 7.6).
5 Ein malignes neuroleptisches Syndrom
(7 Abschn. 7.6) kann unter allen Antipsychotika
auftreten.
5 Langzeitbeobachtungen zum Auftreten von Spätdyskinesien (7 Abschn. 7.6) unter AAP sind noch
unvollständig; vorliegende Daten unterstreichen
jedoch das geringere Risiko für AAP.
Die »neuroleptische Potenz« ist ein unscharfer, historisch begründeter Begriff, mit dessen Hilfe unter
Berücksichtigung präklinischer und klinischer Daten
(Blockade D2-artiger Dopaminrezeptoren, antipsychotische Wirksamkeit bezogen auf die verwendete Dosis) Antipsychotika auf einer Dimension mit
Chlorpromazin (heute nicht mehr verwendet) als
Bezugspunkt angeordnet werden. Bei den konventionellen Antipsychotika korreliert die neuroleptische
Potenz mit dem Ausmaß der D2-Blockade.
5 Hochpotent: in niedriger bis mittlerer Dosierung
gute antipsychotische Wirkung ohne Sedierung.
5 Mittelpotent: gute antipsychotische Wirkung mit
mäßiger Sedierung.
5 Niedrigpotent: in niedriger bis mittlerer Dosierung geringe antipsychotische Wirkung bei deutlicher bis ausgeprägter Sedierung.
Die Einteilung der Antipsychotika in hoch-, mittelund niedrigpotent kann auf die AAP nicht angewandt
werden.
Bei Anwendung hoher Dosen verwischen sich die
Grenzen der Einteilung; dann zeigen hochpotente
Antipsychotika zunehmend sedierende Wirkungen
und bei niedrigpotenten Antipsychotika nimmt der
antipsychotische Effekt zu.
7.2
Wirkungsmechanismus
So wie bei den Antidepressiva der Serotoninrezeptor
(und sekundär auch der Noradrenalinrezeptor) und
bei den Benzodiazepinen der GABA-Rezeptor für
die neurochemische Wirkung im Mittelpunkt stehen,
ist es bei den Antipsychotika der Dopaminrezeptor.
Es gibt verschiedene Subtypen (D1-5). Die Wirkung
der Antipsychotika auf das glutaminerge System wird
zunehmend untersucht.
73
7.4 · Indikationen
5 Die dopaminerge Überaktivität ist ein wichtiger
pathogenetischer Mechanismus bei der Schizophrenie. Antipsychotika dämpfen die dopaminerge Überaktivität.
5 Alle Antipsychotika blockieren D2-artige Dopaminrezeptoren. »D2-artige« Rezeptoren (D2/D3/
D4) erhöhen die intrazelluläre Konzentration von
cAMP; D1-artige (D1/5) erniedrigen sie.
5 Der Wirkmechanismus von Aripiprazol unterscheidet sich von dem der übrigen Antipsychotika. Er besteht in einer partiellen dopaminagonistischen Wirkung an D2-artigen Rezeptoren sowie
einer partiell agonistischen Wirkung am serotonergen 5-HT1A-Rezeptor bei antagonistischer
Wirkung an 5-HT2A- und 5-HT2C-Rezeptoren.
5 Einige Antipsychotika blockieren zusätzlich 5HT2(A, B, C)-, α1-, α2-, H1-Rezeptoren und muskarinische Acetylcholin (mACh)-Rezeptoren (M1–
5).
5 Einige Antipsychotika binden auch an 5-HT6(z. B. Clozapin, Olanzapin, Ziprasidon, aber auch
einige konventionelle Antipsychotika) und 5HT7-Rezeptoren (z. B. Clozapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon).
5 Die Bedeutung eines zusätzlichen 5-HT2-Antagonismus ist allerdings als notwendiger Mechanismus umstritten, weil auch ein anderes AAP
(Amisulprid) diese Komponente nicht besitzt.
5 Die Ursachen für das Fehlen oder ein seltenes
Auftreten von EPS bei AAP (»Atypizität«) sind
nicht vollständig geklärt; eine selektive Blockade von D4- und/oder 5-HT2A/C-Rezeptoren wird
diskutiert.
7.3
Allgemeine Therapieprinzipien
Antipsychotika werden bei allen bekannten Indikationen (7 Abschn. 7.4) im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplanes (7 Abschn. 30.1) verordnet.
Die notwendigen Handlungsschritte vor Beginn
einer Therapie mit Antipsychotika und die Suche nach
der Präparatepräferenz sind in 7 Abschn. 7.4 aufgelistet.
Unter konventionellen Antipsychotika kommt es
bei 30% der Patienten zu keiner wesentlichen Verbesserung der Symptomatik und bei 50% der Patienten nur zu einem partiellen Ansprechen (Fleischhacker 1995). Die Wirkung gegen Negativsymptome
und Kognitionsstörungen ist begrenzt (Hawkins et al.
1999). Primäre Negativsymptome (7 Abschn. 30.2.2)
zeigen sich resistent gegen konventionelle Antipsychotika. Schließlich sind AAP bei affektiven Stö-
7
rungen den konventionellen Antipsychotika deutlich
überlegen, die eher sogar eine depressive Symptomatik induzieren.
Die Lebensqualität und das Wohlbefindens von
Patienten sind heute wichtige Merkmale während
einer Therapie mit Antipsychotika. Auch hier schneiden die AAP besser ab als konventionelle Antipsychotika (Lambert u. Naber 2004). Allerdings konnte bisher noch nicht gezeigt werden, dass die Bedeutung der
AAP sich in einer verbesserten psychosozialen Integration niederschlägt; der Langzeiteffekt ist eher – nach
der jetzigen Studienlage – enttäuschend.
Oft werden Unterschiede zwischen den AAP
gesehen, die aber wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen sind. Allein Clozapin hat einen überlegenen
Effekt.
Wichtig
AAP sind Mittel der Wahl bei Verordnung von Antipsychotika. Sie haben geringere Risiken für EPS
und Spätdyskinesien. Allerdings entwickelt sich
unter den meisten AAP relativ häufig ein metabolisches Syndrom (7 Abschn. 7.6). Die Langzeiteffekte können noch nicht abschließend beurteilt
werden.
7.4
Indikationen
Antipsychotika sind nosologieübergreifend wirksam.
Die primäre Indikation der Antipsychotika erfolgt
nach Zielsymptomen und -syndromen. Hauptindikationen stellen die Subtypen der Schizophrenie sowie
schizotype und wahnhafte Störungen dar und zunehmend für AAP auch die bipolaren affektiven Störungen.
Folgende Indikationen bestehen für Antipsychotika:
5 Gesicherte Wirksamkeit bei:
– schizophrenen Störungen und schizoaffektiven Störungen (7 Kap. 30),
– bipolare affektive Störungen (Akutbehandlung der Manie, Phasenprophylaxe)
(7 Kap. 29),
– psychotische Depression (in Kombination
mit Antidepressiva) (7 Abschn. 30.2.8),
– bestimmte neurologischen Erkrankungen
(z. B. Tic-Störungen, L-DOPA-induzierte
Psychosen) (7 Kap. 32).
74
1
2
3
4
Kapitel 7 · Antipsychotika
5 Als Begleittherapie sind Antipsychotika möglicherweise wirksam bei:
– Persönlichkeitsstörungen,
– Zwangsstörung,
– Angststörungen,
– anderen organischen Psychosen (z. B. Alkoholpsychosen),
– nichtpsychotischer Depression,
– Schmerzsyndromen.
6
Darüber hinaus haben Antipsychotika eine unspezifische Wirkung auf psychomotorische Erregungszustände (7 Abschn. 34.1). Eingeschränkt ist der Einsatz von Antipsychotika aufgrund von Risiken bei der
Demenz (7 Kap. 31).
7
7.5
5
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Dosierung,
Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer
5 Generelle Dosierungsempfehlungen sind wegen
der Heterogenität der Substanzen nicht möglich.
Einzelheiten . Tab. 7.1.
5 Die Messung der Plasmaspiegel zur Erhöhung
der therapeutischen Effizienz ist bei den Antipsychotika, bis auf Clozapin, von untergeordneter
Bedeutung.
5 Bei Ersterkrankungen soll man mit relativ niedriger Dosis beginnen, da sowohl ein besseres
Ansprechen als auch eine größere Sensibilität für
Nebenwirkungen zu erwarten ist.
5 Bei akuter, schwerer Symptomatik im Rahmen
von Rezidiven ist sofort mit relativ hoher Dosis zu
beginnen.
5 Höhere Dosen verringern aufgrund des möglichen Auftretens von Nebenwirkungen, insbesondere EPS bei konventionellen Antipsychotika, die Compliance. Deshalb sind häufig niedrigere Dosen in Kombination mit Benzodiazepinen, falls Sedierung und schnellere Desaktualisierung der psychotischen Symptomatik notwendig
sind, vorzuziehen.
5 AAP sollten in der Akutphase/Positivsymptomatik in der Regel innerhalb einer Woche in den
Zieldosisbereich aufdosiert werden.
5 Die Medikation, unter der Remission aufgetreten ist, sollte in der niedrigsten, noch hinreichend
wirksamen Dosis beibehalten werden. Eine zu
früh vorgenommene Dosisreduktion führt in der
Mehrzahl der Fälle zu einem Rückfall. Allerdings
ist das Konzept der minimal effektiven Dosis
nicht unumstritten.
5 Behandlungsdauer: Kommt es bei schizophrenen
Patienten mit schwerer Symptomatik nach
2 Wochen zu keiner Besserung, sollte die Strategie gewechselt werden; bei leichterer Symptomatik kann bis zu 6 Wochen abgewartet werden.
Für die Manie gelten wesentlich kürzere Zeitintervalle.
5 Die Bestimmung der Plasmakonzentration der
Antipsychotika hat keine große Bedeutung (im
Gegensatz zu den Antidepressiva). Sie ist aber
notwendig bei der Verordnung von Clozapin und
nützlich bei starken Nebenwirkungen, um ggf.
eine zu hohe Dosis zu erkennen.
Wichtig
5 Die Antipsychotikatherapie bei schizophrenen
Patienten ist unter Beibehaltung der Dosis für
mindestens 1 Jahr nach der ersten Akutphase
zu verordnen; bei anhaltenden psychosozialen
Belastungen ist eher längere Behandlungsdauer (2 Jahre) auch nach Erstmanifestation zu
empfehlen.
5 Nach einem ersten Rückfall sollten die Antipsychotika zunächst unter Beibehaltung der
Dosis für mindestens 2–5 Jahre weiter gegeben
werden, nach mehrmaligen Episoden sogar
5 Jahre. Nach stabiler Symptomremission können
bei der Langzeitbehandlung eine schrittweise
Dosisreduktion über längere Zeiträume und eine
Einstellung auf eine niedrigere Erhaltungsdosis
erwogen werden.
5 Das Antipsychotikum darf niemals abrupt abgesetzt werden, sonst erhöht sich das Rückfallrisiko.
Ein sehr langsames Ausschleichen (ähnlich wie
bei Lithium) ist zu empfehlen, z. B. eine Dosisreduktion von 20–25% innerhalb von 3 Monaten.
75
7.6 · Nebenwirkungen
Wichtig
Wichtig
5 Eine Indikation für eine Langzeitmedikation
über 5 Jahre (ggf. Dauermedikation) liegt
vor:
– bei floriden Psychosen, die bei Absetzen
der Medikation exazerbierten,
– zur Rezidivprophylaxe bei häufigen
Episoden, insbesondere wenn Eigenoder Fremdgefährdung im Rahmen von
Exazerbationen bekannt sind,
– bei Schizophrenien mit überwiegender,
ausgeprägter Negativsymptomatik,
– bei chronischen Schizophrenien mit
Residualzuständen.
Vor einem Absetzversuch bei Antipsychotika
muss geklärt sein:
5 Wie wahrscheinlich ist ein Rückfall? (Erhöhte
Wahrscheinlichkeit besteht bei häufigen
früheren Rezidiven, niedrigem prämorbidem
psychosozialem Funktionsniveau.)
5 Sind Prodromalsymptome wahrscheinlich
oder beginnt eine Episode ohne Frühwarnzeichen? Wie war es bei früheren Episoden?
Wird der Patient Prodromalsymptome
erkennen?
5 Wie wahrscheinlich ist es, dass der Patient
bei einem psychotischen Rückfall Hilfe
aufsucht?
5 Wie schwierig wird es sein, eine Exazerbation
zu behandeln?
5 Zur Applikationserleichterung bei Patienten, die
nicht in der Lage sind, regelmäßig orale Antipsychotika einzunehmen, gibt es Depotpräparate als
Langzeitmedikation mit Injektionsintervallen von
1–4 Wochen. Sie senken das Rückfallrisiko im
Vergleich zur oralen Einnahme. Vorzuziehen ist
beim Einsatz dann ein AAP (Risperdal Consta®;
. Tab. 7.1). Weitere Vorteile sind: Gewährleistung
ausreichender Dosierungen und Erleichterung
der Überwachung der Compliance.
Die Verordnung von Depotpräparaten hat aber
auch Nachteile, besonders bei Erstmanifestation
der Erkrankung: Bei der erstmaligen Gabe von
Antipsychotika reagieren Patienten empfindlicher
auf Nebenwirkungen; der Arzt kann nicht flexibel
genug auf mögliche Nebenwirkungen und fehlende Wirkungen reagieren; ein Steady State wird
langsamer erreicht; es gibt nur ein Depotpräparat
aus der wichtigen Gruppe der AAP (s. oben).
Wichtig
Ein Wechsel von einem Antipsychotikum auf ein
anderes ist zu erwägen bei:
5 unzureichender therapeutischer Wirkung
bzw. Therapieresistenz,
5 störenden Nebenwirkungen oder Eintreten
von (relativen) Kontraindikationen,
5 vorhandenen oder möglichen störenden
Interaktionen,
5 unzureichender Compliance oder auf
Wunsch des Patienten bei eingeschränkter
Lebensqualität.
7
Welche Auswirkungen hätte eine Exazerbation
(z. B. Suizidversuch in der Anamnese bei imperativen Stimmen)?
7.6
Nebenwirkungen
Bei der Therapie mit Antipsychotika ist regelmäßig
mit dem Auftreten von Nebenwirkungen zu rechnen.
Die Patienten leiden längerfristig am stärksten unter
Gewichtszunahme, Depressivität, kognitiven Störungen, Schlafstörungen und sexueller Dysfunktion.
Bei den konventionellen Antipsychotika spielen EPS
eine herausragende Rolle. Allen EPS ist gemeinsam,
dass sie durch psychische Anspannung verstärkt werden und im Schlaf sistieren. Unter den meisten AAP
ist das metabolische Syndrom eine wichtige Nebenwirkung.
Bis zu 80% der schizophrenen Patienten unter
Antipsychotika-Behandlung nehmen im Verlauf die
Medikation nicht wie vorgesehen ein. Das Problem
der Non-Compliance ist von größter klinischer Bedeutung und erklärt bisweilen die Diskrepanz zwischen
den Ergebnissen kontrollierter Studien und klinischer
Realität. AAP mit geringerem EPS-Risiko können die
Lebensqualität erhöhen; die Compliance hat sich allerdings durch die Einführung der AAP nicht wesentlich
gebessert.
Im Rahmen der Psychoedukation muss versucht
werden durch Vermittlung eines Krankheits- und Therapiekonzepts die Bedeutung der Medikation zu erklären sowie durch die Aufklärung über den Umgang mit
76
Kapitel 7 · Antipsychotika
1
Antipsychotika und deren Nebenwirkungen die Compliance zu erhöhen.
2
Unerwünschte neurologische und
zentralnervöse Wirkungen
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Besonders konventionelle Antipsychotika, aber deutlich weniger AAP, können zu EPS-Nebenwirkungen
führen. Es gibt 5 mögliche Syndrome:
5 Frühdyskinesie:
besonders mit hyperkinetisch, dyskinetisch oder
dystonen Störungen; sie beginnen in der ersten
Woche. Anticholinergika können sofort Abhilfe schaffen.
5 Parkinsonoid:
besonders mit Einschränkung der Feinmotorik, Verlust der Mitbewegungen bis zur Akinese,
Hypo- und Amimie, kleinschrittigem Gang und
Rigor. Auftreten in der 1.–10. Woche. Anticholinergika können vorübergehend gegeben werden;
die Dosis muss reduziert werden.
5 Akathisie:
Sitz- und Stehunruhe; sie tritt in der 1.–7. Woche
auf. Dosisreduktion ist nötig.
5 Spätdyskinesien:
Nach Monaten bis Jahren auftretende hyperkinetische Dauersyndrome, intensive, abnorme,
unwillkürliche, oft stereotype Bewegungen in der
Zungen-, Mund- und Gesichtsmuskulatur. Kann
auch durch abruptes Absetzen der Antipsychotika entstehen. Sehr schwierige Therapie. Sehr selten unter AAP.
5 Malignes neuroleptisches Syndrom: 7 Kap. 34.
Cave
Das maligne neuroleptische Syndrom ist mit einer Letalität von 20% verbunden; es entwickelt
sich innerhalb von 1–3 Tagen. Symptome sind:
5 Rigor,
5 Quantitative Bewusstseinsstörung,
5 Fieber, Tachykardie, labiler Blutdruck, Tachypnoe, Hyperhidrose, Harninkontinenz,
5 CK-Erhöhung, Leukozytose, Transaminaseanstieg,
5 Renale Komplikationen.
18
Cave
19
20
Bei Kombination verschiedener Medikamente mit
anticholinerger Komponente kann ein zentrales
anticholinerges Syndrom auftreten (7 Kap. 34.5).
5 Einige konventionelle Antipsychotika werden als
Ursache für eine Depression bei Patienten mit
Schizophrenie diskutiert. Es ist dann auf ein AAP
umzustellen.
5 Sedierung, Müdigkeit und Konzentrationsminderung treten oft nur vorübergehend und i. d. R.
auch nur bei Antipsychotika mit anticholinerger
oder antihistaminerger Komponente auf.
5 Bei 7% der Patienten treten unter konventionellen Antipsychotika Krampfanfälle auf. Bei zu
schnellem Dosisanstieg kann es zu einem Delir
(7 Kap. 34) kommen.
Metabolische Nebenwirkungen
5 Gewichtszunahme, pathologische Glukosetoleranz, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie treten besonders unter AAP auf. Die Gewichtszunahme ist sehr häufig (. Tab. 7.1).
5 Wenn folgenden Kriterien erfüllt sind, spricht
man von einem metabolischen Syndrom: Abdominelle Adipositas (Bauchumfang bei Männern
>102 cm, bei Frauen >88 cm), Nüchternglukose
>110 mg/dl, Triglyceride >150 mg/dl, HDL-Cholesterin erniedrigt (Männer <40 mg/dl, Frauen
<50 mg/dl), Hypertonie (>130/85 mmHg). Das
metabolische Syndrom stellt ein hohes Risiko für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar.
5 Die Therapie einer Gewichtszunahme ist schwierig. Diätetische Maßnahmen sind am Erfolg versprechendsten. Sie können verhaltenstherapeutisch unterstützt werden.
Endokrine Begleitwirkungen und sexuelle
Funktionsstörungen
5 Einige Antipsychotika erhöhen dosisabhängig
den Prolaktinspiegel (PRL-Spiegel) (. Tab. 7.1).
5 Klinische Folgen hoher PRL-Spiegel können
neben sexuellen Funktionsstörungen bei Frauen
Amenorrhö und Galaktorrhö, bei Männern
Gynäkomastie sein.
5 Es wird diskutiert, dass langzeitig erhöhte PRLSpiegel für die Entstehung oder Verstärkung von
Osteoporose verantwortlich sind, möglicherweise
verursacht durch einen sekundären Hypogonadismus aufgrund der PRL-Erhöhung.
5 Sexuelle Funktionsstörungen kommen unter
konventionellen Antipsychotika bei 30–50%
der Patienten vor; auch unter AAP treten sie auf
(7 Abschn. 26.6). Der kausale Einfluss von Antipsychotika-induzierten PRL-Spiegelerhöhungen
auf sexuelle Funktionen ist weiterhin unklar
(Westheide et al. 2007).
77
7.8 · Wechselwirkungen
5 Sehr selten kann es, wahrscheinlich unter allen
Antipsychotika, zu Priapismus kommen (immer
Notfallsituation).
Kardiale Nebenwirkungen
5 Das Risiko für einen plötzlichen Herztod ist
unter Antipsychotikatherapie insgesamt selten,
gegenüber der Normalpopulation jedoch etwa
um das 2-fache erhöht.
5 Eine Vielzahl von Medikamenten, darunter
auch Antipsychotika (genauso wie Antidepressiva, 7 Abschn. 5.6) können die myokardiale Erregungsrückbildung beeinträchtigen und eine Verlängerung des QT-Intervalles bewirken. Die
Erhöhung der QTc-Zeit ist per se nicht als Risiko
zu werten, ab QTc>500 ms steigt jedoch das Risiko für ventrikuläre Arrhythmien und plötzlichen
Herztod deutlich an.
Leber-Gallengangs-System und allergische
Reaktionen
5 Ein vorübergehender Transaminasenanstieg in
der 2.–4. Woche ist häufig, aber selten ein Absetzgrund. Die Werte sind regelmäßig zu bestimmen.
5 Generalisierte Arzneimittelexantheme und Photosensibilisierung mit erhöhtem Sonnenbrandrisiko sind weitere Risiken, die v. a. unter Phenothiazinen auftreten.
Myalgien und Rhabdomyolysen
Unter AAP, insbesondere Olanzapin, können Myalgien mit Erhöhungen der Kreatinphosphokinase auftreten. Sehr seltene Rhabdomyolysen (mit Myoglobinurie) sind mit dem Risiko des drohenden Nierenversagens verbunden.
7.7
Vegetative Nebenwirkungen
5 Vegetative Nebenwirkungen (über die kardialen Nebenwirkungen hinaus) kommen unter
allen Antipsychotika vor. Sie treten bevorzugt zu
Beginn der Therapie auf und zeigen dann i. Allg.
eine Adaptation. Sie sind bedingt durch die anticholinergen Eigenschaften. Seltene aber ernste
Folgen können sein: Miktionsstörungen, Harnverhalt, ausgeprägte Obstipation, sehr selten auch
paralytischer Ileus.
5 Häufiger sind Hypotonie und orthostatische Dysregulation mit dem Risiko für Stürze. Kreislaufregulationsstörungen erfordern eine Dosisanpassung oder einen Präparatewechsel.
Veränderungen des hämatopoetischen
Systems
5 Unter Antipsychotika, besonders den trizyklischen, können Leukozytosen, Leukopenien
Agranulozytose (besonders unter Clozapin) auftreten; sehr selten sind sie unter Butyrophenonen, wie Haloperidol oder Melperon. Das Medikament muss dann sofort abgesetzt werden. Es
ist daran zu denken, dass strukturchemisch auch
Olanzapin, Quetiapin und Zotepin trizyklische
Substanzen sind.
5 Für die AAP Aripiprazol, Amisulprid, Ziprasidon und Risperidon hat sich diesbezüglich kein
erhöhtes Risiko gezeigt.
7
Kontraindikationen und
Intoxikationen
Für die meisten Antipsychotika gibt es eine Vielzahl
von Kontraindikationen. Dazu gehören u. a. Bewusstseinsstörungen, Leukopenie, Störungen der Harnentleerung, Engwinkelglaukom, Prostatahyperplasie und
kardiale Vorschädigung.
Toxische Verläufe sind unter Butyrophenonen
und AAP (Ausnahme: Clozapin) relativ selten. Unter
den trizyklischen Präparaten aus der Gruppe der konventionellen Antipsychotika können sie allerdings
vorkommen.
Auf die Risiken unter Antipsychotika während der
Schwangerschaft und in der Stillzeit sowie beim Autofahren, wird in den7 Kap. 35 und 36 hingewiesen.
7.8
Wechselwirkungen
Wechselwirkungen sind bei Antipsychotika sehr
bedeutsam, weil sie bei einigen Präparaten zu erheblichen Risiken führen können.
5 Die Kombinationen von anticholinerg wirksamen
Antipsychotika mit Anticholinergika oder anticholinerg wirksamen Antidepressiva können zu
Erregungszuständen bis hin zum Delir führen.
Bei Kombinationen von Antipsychotika mit SSRI ist
das unterschiedliche Interaktionspotenzial der Substanzen zu beachten.
Antipsychotika und Alkohol (besonders in größeren Mengen) sollten nicht kombiniert werden (Gefahr
der wechselseitigen Wirkungsverstärkung bis hin zum
Koma).
78
1
2
Kapitel 7 · Antipsychotika
Rauchen induziert CYP1A2. Dadurch sind die
Plasmaspiegel von Clozapin und Olanzapin um 20–
50% erniedrigt. Nach vermindertem Rauchen können
die Plasmaspiegel ansteigen!
Wichtig
3
Kardiovaskuläre Synkopen und/oder Atemstillstand bei gleichzeitiger Clozapin-Einnahme und
Benzodiazepin-Gabe sind beschrieben (i.v.-Applikation von Benzodiazepinen unbedingt vermeiden!).
Die Kombinationen mit Clozapin sind grundsätzlich risikoreich.
4
5
6
7
8
9
7.9
Routineuntersuchungen
Unter allen Antipsychotika sind Routineuntersuchungen notwendig. Die vorgegebenen Termine sind
hierbei sehr sorgfältig einzuhalten.
Wichtig
10
11
12
13
14
15
5 Unter allen Antipsychotika muss regelmäßig
das Blutbild kontrolliert werden.
5 Patienten müssen angewiesen werden, beim
Auftreten von Symptomen wie Fieber, Halsschmerzen, Infektionen der Mundschleimhaut
keinen Selbstbehandlungsversuch durchzuführen, sondern den Arzt aufzusuchen.
5 Unter den meisten AAP sind regelmäßig der
Blutzucker, die Lipide und das Gewicht zu
messen.
5 Unter allen Antipsychotika muss in größeren
Abständen ein EKG abgeleitet werden. Besonders bei älteren Patienten muss geprüft
werden, ob eine Hypokaliämie besteht; sie
muss ggf. korrigiert werden.
7.10
Antipsychotika im höheren
Lebensalter
5 Es besteht besonders in der Notfallpsychiatrie (7 Kap. 34) und bei Verhaltensauffälligkeiten
im Rahmen einer Demenz (7 Kap. 31) ein deutlicher Bedarf für den Einsatz von Antipsychotika. Allerdings hat sich gerade in den letzten Jahren gezeigt, dass die Gabe von Antipsychotika bei
älteren Patienten mit Demenz mit einem erhöhten Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse verbunden ist.
5 Bei Patienten >65 Jahre sollte besonders vorsichtig aufdosiert werden. Vegetative Nebenwirkungen sind bei älteren Patienten besonders problematisch. Hypotonie und orthostatische Dysregulation können zu lebensgefährlichen Stürzen führen.
5 Die Kombinationen von anticholinerg wirksamen
Antipsychotika mit Anticholinergika oder anticholinerg wirksamen Antidepressiva können zu
Erregungszuständen bis hin zum Delir führen
und sollten vermieden werden.
5 Alle Routineuntersuchungen (7 Abschn. 7.9) sind
im höheren Lebensalter sehr gewissenhaft durchzuführen.
7.11
Präparategruppen1
In . Tab. 7.1 werden die wichtigsten Indikationen für
Antipsychotika aufgelistet.
5 Neu zugelassen ist Paliperidon (Invega®), ein
aktiver Metabolit des AAP Risperidon. Paliperidon hat eine verbesserte, freisetzungsverzögernde
Pharmakokinetik, sodass eine tägliche Einmaldosierung ausreicht. Außerdem sind weniger
Interaktionen und Plasmaschwankungen zu
erwarten.
16
17
18
19
20
Die Aufklärung hat bei der Antipsychotikatherapie einen besonderen Stellenwert. Sie wird dadurch
erschwert, dass der Patient in der Akutphase nicht
durch ein überforderndes Aufklärungsgespräch verunsichert werden soll; in diesen Fällen empfiehlt sich
ein gestuftes Vorgehen. Die Darlegung der NutzenRisiko-Abschätzung sollte spätestens nach Einleitung
der Stabilisierungsphase erfolgt sein.
Auf eine mögliche eingeschränkte Fahrtüchtigkeit
(7 Kap. 36) und die Gefahren durch zusätzliche Einnahme von Alkohol und sedierenden Medikamenten
muss der Patient frühzeitig hingewiesen werden.
Fazit
Therapieempfehlung für Antipsychotika
5 AAP sollte in der Routinetherapie der Vorzug gegeben werden.
5 Konventionelle Antipsychotika sind mit stärkeren
Nebenwirkungen behaftet, besonders EPS.
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
79
7.11 · Präparategruppen
5 Die Auswahl bezieht sich auf das Zielsyndrom und
die Notwendigkeit bestimmte Nebenwirkungen zu
vermeiden (z. B. bei Diabetes kein Olanzapin (Cave:
metabolisches Syndrom), bei jungen Frauen kein
Amisulprid (Cave: Prolaktinerhöhung), bei Risiken für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen kein Ziprasidon (Cave:
QTc-Verlängerung).
5 Wahrscheinlich haben AAP ein günstigeres Wirkungsprofil bei Negativsymptomatik als konventionelle
Antipsychotika.
5 Alle Antipsychotika haben ein breites Indikationsspektrum; sie wirken relativ sicher bei Schizophrenie
und Manie.
7
5 Die sedierenden Antipsychotika können zusätzlich
bei psychomotorischen Erregungszuständen eingesetzt werden.
5 Olanzapin ist auch zur Phasenprophylaxe bei bipolaren Störungen zugelassen. Auch Quetiapin ist bei
der Indikation wirksam.
5 Haloperidol ist die klassische Referenzsubstanz, gut
wirksam, aber auch nebenwirkungsreich.
5 Erhält ein Patient langfristig Antipsychotika, sollte
immer überlegt werden, ob nebenwirkungsärmere
Präparate indiziert sind.
5 Die Compliance ist regelmäßig zu überprüfen, nach
Nebenwirkungen zu fragen und Routineuntersuchungen durchzuführen.
. Tab. 7.1. Indikationen für Antipsychotika (Auswahl)
Präparat
Dosis
Wichtigste Indikationen mit Zulassung
Wichtigste Nebenwirkungen; sonst
7 Abschn. 7.6
Bemerkungen
Atypische Antipsychotika
Amisulprid
Solian®
400–800 mg
50–300 mg bei
Negativsymptomatik
Schizophrenie,
auch bei Negativsymptomatik
Starke Prolaktinerhöhung
Zugelassen als einziges
AAP bei Negativsymptomatik
Aripiprazol
Abilify®
15–30 mg
Schizophrenie
Schlaflosigkeit,
Angstzustände
aber auch Müdigkeit, Übelkeit
Keine Gewichtszunahme, Lipid- und Prolaktinerhöhung
Clozapin
Leponex®
100–400 mg
Schizophrenie,
Manie
Hohes NW-Risiko,
Agranulozytose,
Hypersalivation Cave: Interaktionen,
Sedierung
Erfüllt alle Kriterien für
ein AAP, gute Wirkung
bei Suizidalität; nicht in
der Akutphase geeignet
Olanzapin
Zyprexa®
5–20 mg; Manie:
Beginn mit 20 mg
möglich
Schizophrenie, Manie, Phasenprophylaxe bei bipolaren
Störungen
Gewichtszunahme,
Schläfrigkeit
Breite Anwendungserfahrung
Quetiapin
Seroquel®
50–750 mg; Manie: Beginn mit
100 mg
Schizophrenie,
Manie
Sedierung, Schwindel, Gewichtszunahme
Keine Prolaktinerhöhung, neben Clozapin sehr geringes Risiko für EPS
Risperidon
Risperdal®
akut: 2–4 mg; Geriatrie: 1 mg;
Depot: alle 2 Wochen 25–50 mg
Schizophrenie,
Manie
Sedierung, Schwindel, relativ deutliche Prolaktinerhöhung
Neben Clozapin sehr
geringes Risiko für EPS;
auch als Depot (einziges AAP)
Ziprasidon
Zeldox®
120–160 mg;
eher höher
Schizophrenie,
Manie
QTc-Verlängerung
Nichttrizyklisches AAP,
minimale Gewichtszunahme
80
1
Kapitel 7 · Antipsychotika
. Tab. 7.1. Fortsetzung
Präparat
Dosis
2
3
akut: 10–60 mg
Erhaltungstherapie: 4–20 mg
Depot: 10–60 mg
i. m. 2–4 wöchentlich
Schizophrenie
EPS, Müdigkeit,
Hypotonie
Hochpotentes trizyklisches Antipsychotikum, auch als Depot
Haloperidol
Haldol®
5–10 mg, maximal
40 mg, auch als
Depot möglich
Schizophrenie, Manie, Erregungszustände
EPS, Müdigkeit,
Hypotonie
Butyrophenon, bewährtes Antipsychotikum für die Notfallsituation. Cave: nicht i.v.
Melperon
Eunerpan®
50–400 mg
Erregungszustände bei Psychosen,
Schlafstörungen
Müdigkeit, Hypotonie
Butyrophenon, breites
Einsatzspektrum, auch
in der Geriatrie
Pipamperon
Dipiperon®
120–360 mg, bei
Schlafstörung, 20–
80 mg zur Nacht
Erregungszustände bei Psychosen,
Schlafstörungen
Müdigkeit, Hypotonie
Butyrophenon, breites
Einsatzspektrum, auch
in der Geriatrie
8
9
10
NW Nebenwirkung.
11
7.12
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Bemerkungen
Flupentixol
Fluanxol®
5
7
Wichtigste Nebenwirkungen; sonst
7 Abschn. 7.6
Konventionelle Antipsychotika
4
6
Wichtigste Indikationen mit Zulassung
Antipsychotika in der Kinderund Jugendpsychiatrie
Die Behandlung mit Antipsychotika stellt in der Therapie schizophrener Psychosen und anderer Störungen
einen Baustein eines multimodalen Behandlungskonzepts dar (Schulz et al. 2005).
Indikationen
5 Die Hauptindikationen für Antipsychotika im
Kindes- und Jugendalter sind schizophrene und
andere psychotische Störungen sowie Verhaltensstörungen mit impulsiven und aggressiven
Durchbrüchen.
5 Das Indikationsspektrum – wenn auch Antipsychotika nicht in allen Fällen die Medikamente
der ersten Wahl sind oder die alleinige Therapieform darstellen – umfasst zusätzlich zu den im
7 Abschn. 7.4 beschriebenen Störungsbildern und
Diagnosegruppen noch:
– manische Episode,
– Essstörungen,
– nichtorganische Schlafstörungen,
– Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
aufgrund einer Krankheit,
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Schädigung oder Funktionsstörung des
Gehirns,
tief greifende Entwicklungsstörungen,
hyperkinetische Störungen,
Störungen des Sozialverhaltens,
Bindungsstörungen,
Ticstörungen,
Enuresis,
stereotype Bewegungsstörungen,
Stottern und Poltern. Der Einsatz von Antipsychotika stellt in den meisten Fällen einen
individuellen Heilversuch dar (Leitlinien
der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 2003).
Auswahl und Wirksamkeit der
Antipsychotika
5 In klinischen Studien bei Kindern und Jugendlichen mit schizophrenen Psychosen hat sich
gezeigt, dass die Standardsubstanz aus der Gruppe der klassischen Antipsychotika Haloperidol gegenüber Placebo überlegen ist. Auch in
der Kinder- und Jugendpsychiatrie gilt Clozapin
als Referenzsubstanz für die AAP und es konnte in kontrollierten Studien gezeigt werden, dass
Clozapin gegenüber Haloperidol und Olanza-
81
7.13 · Checkliste
5
5
5
5
pin bei therapieresistenten schizophrenen Störungen überlegen ist (Kumra et al. 1996; Shaw
et al. 2006). Allerdings sollte wegen des erhöhten Agranulozytoserisikos Clozapin erst nach fehlender Wirksamkeit auf zwei andere Antipsychotika eingesetzt werden (Findling et al. 2005).
Von den wichtigsten AAP gibt es meistens nur
eine kontrollierte Studie bei Kindern und Jugendlichen mit schizophrenen Störungen. Die Ergebnisse aus den kontrollierten und offenen Studien
sind fast durchwegs positiv.
Da die meisten AAP für die Therapie Kinder
und Jugendlicher in Deutschland nicht zugelassen sind, entspricht jede Anwendung einem
individuellen Heilversuch. Clozapin ist ab dem
16. Lebensjahr für die Behandlung von Psychosen zugelassen.
Von den klassischen Antipsychotika sind zur
Behandlung von Psychosen im Kindes- und
Jugendalter Chlorprothixen (ab 3 Jahren, auch für
Unruhe, Erregungszustände, Schlafstörungen,
Entzug), Fluphenazin (ab 12 Jahren, auch für
psychomotorische Erregungszustände), Haloperidol (ab 3 Jahren), Levomopromazin (keine
Altersbeschränkung, auch für Erregungszustände, Schmerzen), Perazin (ab 16 Jahren, auch für
Manie, Erregungszustände) und Pimozid (keine
Altersbeschränkung) zugelassen.
Melperon und Pipamperon sind im Kindes- und
Jugendalter vorwiegend zur Behandlung von
Unruhe und Erregungszuständen sowie Schlafstörungen zugelassen.
Risperidon hat gute Ergebnisse bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit aggressiven und impulsiven Verhaltensauffälligkeitengezeigt, die auf eine Störung des Sozialverhaltens,
eine Intelligenzminderung oder eine tief greifende Entwicklungsstörung zurückzuführen sind,
und hat auch eine Zulassung für die Behandlung
solcher Verhaltensauffälligkeiten.
7
Handlungsschritte unter der Therapie
5 Die Dosierungen und Serumkonzentrationen
sowie die Wechselwirkungen und Kontraindikationen entsprechen, soweit bekannt, denen im
Erwachsenenalter, wobei die Medikamentendosis immer entsprechend dem Alter, dem Entwicklungsstand, der Begleitmedikation und der
Symptomatik individuell angepasst werden sollte
(Schulz et al. 2005).
5 Die Nebenwirkungen sind ebenfalls ähnlich,
möglicherweise kommt es durch einige AAP
zu einer stärkeren Gewichtszunahme bei Kindern und Jugendlichen, besonders zu Beginn
der Behandlung, im Vergleich zu Erwachsenen
(Fleischhaker et al. 2007).
5 Die Routineuntersuchungen sollten mit der gleichen Frequenz wie im Erwachsenenalter erfolgen
und ebenso die empfohlene Behandlungsdauer
nach einer Remission.
7.13
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Welche Charakteristika weisen die atypischen Antipsychotika auf?
Welche Indikationen für Antipsychotika kennen Sie?
Welche Applikationsmöglichkeiten für Antipsychotika gibt es?
Welche Nebenwirkungen treten bei konventionellen Antipsychotika häufig auf?
Auf welche Nebenwirkungen ist bei
atypischen Antipsychotika besonders
zuachten?
Welches Antipsychotikum hat sich als am
wirksamsten bei der Behandlung von therapieresistenten schizophrenen Störungen im
Kindes- und Jugendalter gezeigt.
8
83
8.1 ·
Anxiolytika
8.1
Einteilung
– 84
8.2
Wirkungsmechanismus
8.2.1
8.2.2
8.2.3
Benzodiazepine – 84
Buspiron – 85
Andere Anxiolytika – 86
8.3
Allgemeine Therapieprinzipien
8.4
Indikationen
8.4.1
8.4.2
8.4.3
Benzodiazepine – 87
Buspiron – 88
Andere Anxiolytika – 88
8.5
Dosierung, Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer – 89
8.6
Nebenwirkungen
8.6.1
8.6.2
8.6.3
Abhängigkeitsrisiko unter Benzodiazepinen – 90
Absetzprobleme unter Benzodiazepinen – 90
Vorbeugung von Benzodiazepinentzugssymptomen
8.7
Kontraindikationen und Intoxikationen
8.8
Wechselwirkungen
8.9
Routinehinweise
8.10
Anxiolytika im höheren Lebensalter
8.11
Präparategruppen
8.11.1
8.11.2
Benzodiazepine – 92
Andere Anxiolytika – 93
8.12
Anxiolytika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
8.13
Checkliste
– 84
– 86
– 87
– 94
– 89
– 91
– 91
– 91
– 91
– 91
– 92
– 93
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
84
Kapitel 8 · Anxiolytika
8.1
Einteilung
Anxiolytika sind angstlösende Substanzen. Die anxiolytische Komponente wird durch eine beruhigende
und emotional entspannende Wirkung unterstützt.
Wegen des zusätzlichen sedierenden Effekts werden
die Anxiolytika auch Tranquilizer genannt.
Der schlafinduzierende, muskelrelaxierende und
antikonvulsive Effekt (7 Abschn. 8.4) der Benzodiazepine ist in der Psychopharmakotherapie nicht regelhaft erwünscht.
Anxiolytika, wie z. B. Buspiron oder β-Rezeptorenblocker sind in üblicher Dosierung nichtsedierend.
Das erste Benzodiazepin Chlordiazepoxid (Librium®) wurde 1960 eingeführt. Die schnelle Verbreitung der Benzodiazepine beruhte auf der geringen
Sedierung, der guten Verträglichkeit und der großen
Sicherheit gegenüber den damals bekannten Sedativa,
wie Mebrobamat oder Barbituraten.
Benzodiazepine sind für die Psychopharmakotherapie unverzichtbare Substanzen. Durch das bekannte
Abhängigkeitsrisiko, fehlerhafte Verschreibungen (nur
20% verschreibt der Psychiater) und den nichtmedizinischen Gebrauch unterlagen sie einer weltweiten
Stigmatisierung. Die Verkaufszahlen sanken rapide.
In den USA ist allerdings die Verschreibung wesentlich höher als bei uns. Diese Tendenz wurde durch
die Möglichkeit unterstützt, gerade bei der Indikation
Angststörungen, die Benzodiazepine durch moderne
Antidepressiva zu ersetzen.
Eine Kritik an den Benzodiazepinen ist dann aber
nicht gerechtfertigt, wenn der eigentliche Grund in
einer zu häufigen, aber falschen Verordnung liegt.
Definition
Verschiedene Gruppen bzw. Substanzen innerhalb der Anxiolytika unterscheiden sich sowohl
hinsichtlich der strukturchemischen Eigenschaften als auch des Wirkprinzips (Aufzählung
nach der Bedeutung):
5 Benzodiazepine:
– z. B. Alprazolam, Diazepam, Lorazepam,
Oxazepam
5 Gruppe der Azapirone:
– Buspiron
5 β-Rezeptorenblocker:
– z. B. Propranolol
5 Antiepileptika:
– Pregabalin
5 Antihistaminika:
– Hydroxyzin
5 Trizyklische Substanzen:
– Opipramol
Auch sedierende Antidepressiva und niedrig dosierte
Antipsychotika haben eine anxiolytische Wirkung.
8.2
Wirkungsmechanismus
Exemplarisch wurde die Rezeptorfunktion ausführlich am Beispiel der Antidepressiva und speziell des
serotonergen Rezeptors demonstriert (7 Abschn. 5.2).
In diesem Kapitel wird der spezielle Wirkungsmechanismus der Benzodiazepine dargestellt. Biologisches
Wirkprinzip der Benzodiazepine ist die Minderung
der Aktivität des Zentralnervensystems (ZNS).
Cave
Anxiolytika, insbesondere die Benzodiazepine,
dürfen niemals ein Ersatz für notwendige Gespräche, eine Psychotherapie oder Entspannungsverfahren sein. Sie dürfen nicht als Alibi für ein
fehlendes therapeutisches Bemühen herhalten.
Anxiolytika werden nicht nur isoliert bei Angststörungen verordnet, sondern finden häufig ihren Einsatz als Begleitmedikation (z. B. neben Antidepressiva oder Antipsychotika).
8.2.1 Benzodiazepine
5 Die Gammaaminobuttersäure (GABA) ist einer
der wichtigsten Neurotransmitter im ZNS mit
inhibitorischer Funktion. Hauptwirkort der Benzodiazepine ist der GABAA-Rezeptor. Durch
Aktivierung von GABA kommt es zu einem in
die Zelle gerichteten Chlorideinstrom und somit
zu einer Hyperpolarisation. Das Neuron kann
dann nur noch vermindert aktiviert werden.
GABA ist der wichtigste, zumeist inhibitorisch
wirkende Neurotransmitter im ZNS.
5 Benzodiazepine wirken über eine spezifische
Benzodiazepinbindungsstelle auf die Rezeptoreigenschaften. Durch die Bindung von Benzodiazepinen erhöht sich die Affinität des Rezep-
85
8.2 · Wirkungsmechanismus
8
. Tab. 8.1. Differenzielle Wirkung der Benzodiazepine
Pharmakologische
Eigenschaften
Indikationen
Bemerkungen zu besonders effektiven
Präparaten
Anxiolytisch
Angststörungen, akute Psychosen, speziell
Katatonie und depressiver Stupor
Lorazepam, Alprazolam: hochpotent, aber
auch vermehrt Entzugssymptome.
Lorazepam i. m. möglich; deswegen gut
bei Kataonie und Stupor geeignet
Sedierend
Agitation bei akuten Psychosen, Manie,
Prämedikation in der Anästhesie
Diazepam: sehr starke Sedation
Hypnotisch
Schlafstörungen, Prämedikation in der
Anästhesie
–
Antikonvulsiv
Krampfzustände, Epilepsie
Diazepam: deutlich antikonvulsiv
Muskelrelaxierend
Muskelverspannung, Spastik
Diazepam: therapeutische Wirkung
tors zu GABA und damit die Frequenz der Kanalöffnung. Im Gegensatz zu Barbituraten können
Benzodiazepine auch in hohen Dosen nicht als
direkte GABAA-Agonisten wirken, wodurch sich
die hohe Anwendungs- und Intoxikationssicherheit erklärt.
5 Die GABAA-Rezeptoren sind als Pentamer verschiedener Untereinheiten und deren Varianten
(hauptsächlich: α1–6; β1–3; γ1–3; δ) zusammengesetzt. Daraus ergeben sich mannigfaltige Rezeptorvariationen sowohl für GABA als auch für
Benzodiazepine mit verschiedenen pharmakologischen Profilen, Häufigkeiten und topographischen Verteilungen. Während γ-Einheiten
für eine Benzodiazepinwirkung notwendig sind,
scheinen die α-Einheiten die Potenz der einzelnen Benzodiazepine zu bestimmen. Es gibt tierexperimentelle Hinweise, dass die anxiolytischen
Effekte primär durch α2- und/oder α3- enthaltende Rezeptoren, die sedativen Eigenschaften
dagegen durch α1- und die muskelrelaxierende
Wirkungen durch α2- und α3-Rezeptoren vermittelt werden. Eine differenzielle Wirkung von Benzodiazepinen an GABAA-Rezeptoren wird z. T.
durch eine einzelne Aminosäure bestimmt.
5 Es gibt die, aber nicht abgesicherte, Hypothese, dass der GABA-Benzodiazepinkomplex bei
Angststörungen verändert und in seiner Empfindlichkeit verstellt ist.
5 Die GABAA-Rezeptoren sind jetzt auch ursächlich mit Veränderungen kognitiver Prozesse im
Alter und pathologischen Zuständen, insbesondere verschiedenen Formen der Epilepsie in Verbindung gebracht worden, die oft auf eine redu-
zierte GABAerge Transmission zurückzuführen
sind (Lüddens u. Wiedemann 2008).
5 Da es im Gehirn spezifische BenzodiazepinRezeptoren gibt, geht man davon aus, dass es,
ähnlich wie bei den Endorphinen am OpiatRezeptor, endogene Liganden gibt.
5 Die Wirkungen am Benzodiazepin-RezeptorKomplex können durch einen Benzodiazepinrezeptorantagonisten (Flumazenil) wieder aufgehoben werden.
5 Die Trennung von Anxiolytika, speziell der Benzodiazepine von den Benzodiazepinhypnotika (7 Abschn. 9.2.1) ist künstlich. Benzodiazepine
beider Gruppen haben eine mehr oder weniger
starke sedative Komponente.
Die pharmakologischen Eigenschaften der Benzodiazepine sind in . Tab. 8.1 dargestellt.
8.2.2 Buspiron
5 Buspiron gehört zur Gruppe der Azapirone und
wirkt als vollständiger Agonist an präsynaptischen 5-HT1A-Autorezeptoren und somit inhibitorisch auf Ausschüttung und Synthese von
Serotonin. Postsynaptisch soll Buspiron als partieller Agonist an 5-HT1A-Rezeptoren einen
direkten serotonergen Effekt besitzen. Auch
dopaminerge Eigenschaften werden diskutiert.
Buspiron hat keine Wirkung am GABAA-Rezeptor. Der anxiolytische Effekt ist am ehesten durch
die Summe der komplexen Wirkungen zu erklären.
86
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20
Kapitel 8 · Anxiolytika
Allgemeine Therapieprinzipien
8.2.3 Andere Anxiolytika
8.3
β-Rezeptorenblocker
5 Während früher der Einsatz von Anxiolytika in
der Psychopharmakotherapie einen hohen Stellenwert hatte, ist er durch die Möglichkeit Angststörungen mit den risikoärmeren modernen
Antidepressiva zu behandeln, deutlich zurückgegangen.
5 Die klinisch wichtigste Gruppe unter den anxiolytisch wirkenden Substanzen sind die modernen Antidepressiva (7 Kap. 5). Für die Erhaltungs- und Langzeittherapie der Angststörungen
(. Tab. 5.2) gibt es keine Alternative.
5 Für die Akuttherapie allerdings sind unter den
Anxiolytika die Benzodiazepine unverzichtbar.
5 Wenn Anxiolytika längerfristig verordnet werden, sind sie in einen Gesamtbehandlungsplan
einzubinden.
5 Wenn die folgenden Vorsichtsmaßnahmen
berücksichtigt werden, ist die Therapie mit Benzodiazepinen für den Patienten wertvoll und
sicher:
5 Die β-Rezeptorenblocker, z. B. Propranolol, Pindolol oder Atenolol, vermindern β-adrenerg
vermittelte somatische Symptome der Angst
(Schwitzen, Tremor, kardiovaskuläre und MagenDarm-Beschwerden).
Antiepileptika
5 Pregabalin ist für die Indikation generalisierte
Angststörung neu in den Handel gekommen. Es
ist ein lipophiles GABA-Analog, das ursprünglich
als Antikonvulsivum entwickelt wurde.
Antihistaminika
5 Das Diphenylmethanderivat Hydroxyzin hat eine
H1-antihistaminerge sowie eine adrenolytische
und anticholinerge Wirkung.
Trizyklische Substanzen
5 Trotz einer trizyklischen Struktur – mit dem
Kern von Carbamazepin und der Seitenkette von
trizyklischen Antipsychotika – zeigt Opipramol
in therapeutischen Dosen keine Rückaufnahmehemmung für biogene Amine. Es finden sich
antagonistische Effekte am 5-HT2-, H1- sowie am
D2-Rezeptor. Opipramol ist ein starker Ligand
an den adrenergen (α1-) und cholinergen Rezeptoren. Die sedativen Eigenschaften sind auf die
antihistaminerge Wirkung zurückzuführen, die
Ursache der anxiolytischen Wirkung ist unklar.
Antidepressiva
5 Von den meisten Antidepressiva ist ein angstlösender Effekt bekannt. Der Wirkmechanismus ist
in 7 Kap. 5 beschrieben. Es wird vermutet, dass
vor allem der serotonergen Wirkung der Antidepressiva die angstlösende Komponente zugeschrieben werden kann.
Antipsychotika
5 Es ist mehrfach gezeigt, dass die konventionellen
Antipsychotika in niedrigen Dosen einen angstlösenden Effekt haben. Für die atypischen Antipsychotika liegen nicht genügend Studien vor. Da
aber bei beiden Gruppen das Nebenwirkungsrisiko im Vergleich zu Antidepressiva zu hoch ist,
sollten sie bei Angsterkrankungen nicht gegeben
werden.
Wichtig
5 Bei Abhängigkeitserkrankungen muss fast
immer auf den Einsatz von Benzodiazepinen
verzichtet werden (Ausnahme: Notfallsituation).
5 In der Notfallsituation, besonders bei akuter
Suizidalität und akuten Angstzuständen,
müssen auch sehr hohe Dosen appliziert
werden.
5 Im Regelfall, insbesondere in der Erhaltungsund Langzeittherapie, sollte die minimal
effektive Dosis verschrieben werden.
5 Wenn möglich, sollte der Patient zu einer
individuellen Bedarfsmedikation angeleitet
werden.
5 Absetzversuche sind nach 6 Wochen, bei
langfristiger Gabe spätestens nach 6 Monaten einzuplanen; falls sie nicht gelingen,
sind immer wieder neue Versuche in den
Behandlungsplan einzuschieben.
5 Nur eine langsame Dosisreduktion schützt
vor Entzugssymptomen.
5 Das Abhängigkeitsrisiko steigt mit zunehmender Dosis und Dauer der Einnahme.
87
8.4 · Indikationen
8.4
Indikationen
8.4.1 Benzodiazepine
5 Benzodiazepine sind hochwirksame Substanzen. Sie wirken schnell und zuverlässig, sind gut
verträglich und haben eine große therapeutische
Breite. Der große Vorteil der Benzodiazepine
gegenüber Antidepressiva oder auch der KVT
liegt darin, dass die Wirkung sehr zügig einsetzt
(. Tab. 8.3).
5 Die Indikation für Benzodiazepine muss wegen
des vorhandenen Abhängigkeitsrisikos aber stets
mit Sorgfalt gestellt werden (. Tab. 8.2)
5 Die Indikationen für den Einsatz von Benzodiazepinen sind nosologieübergreifend und häufig symptomorientiert. In vielen Fällen erfolgt der
Einsatz als Komedikation, um den Therapieeffekt
8
zu unterstützen oder die Wirklatenz einer anderen längerfristig geplanten Medikation abzukürzen (z. B. Antidepressiva bei Angsterkrankungen
und Depressionen; Antipsychotika bei schizophrenen Erkrankungen). Benzodiazepine sind
bei vielen psychiatrischen und internistischen
Notfallsituationen indiziert (z. B. akuter Herzinfarkt).
5 Zielsymptome sind Angst, innere Unruhe, muskuläre Spannung, Hypervigilanz, Schlafstörungen, akute katatone, mutistische oder stuporöse Zustände, Akathisie und tardive Dyskinesien (. Tab. 8.1). Der therapeutische Effekt der
Benzodiazepine zielt auf eine rasche Sedierung
und Entspannung, ohne in niedrigen Dosierungen eine nennenswerte Schlafinduktion hervorzurufen.
. Tab. 8.2. Indikationen für Benzodiazepine
Indikationen
Kapitelverweis
Bemerkungen
Depressive Störungen
7 Kap. 15
Bei Suizidalität, ggf. bei komorbiden Angststörungen; bei
depressivem Stupor: Lorazepam
Panikstörung
7 Kap. 16
Für schnelle Koupierung der Angst: Lorazepam, auch
als Bedarfsmedikation; für Langszeittherapie nur für
Alprazolam durch Studien nachgewiesen
Generalisierte Angststörung
7 Kap. 17
Gute Wirkung bei akuten Angstzuständen; zu Beginn
begleitend mit Antidepressiva; bei non-resonse auf Antidepressiva niedrige Dosen auch langfristig möglich (aber
nach Buspiron-Versuch)
Phobische Störungen
7 Kap. 18
Nur als Bedarfsmedikation
Posttraumatische Belastungsstörung
7 Kap. 20
Nur Notfallsituation
Akute Belastungsstörung und
Anpassungsstörung
7 Kap. 21
Nur zu Beginn als Entlastung
Somatoforme Störung
7 Kap. 22
Nur vorübergehend
Schlafstörungen
7 Kap. 24
Möglichst bei primärer Insomnie nur Non-Benzodiazepinhypnotika verordnen
Alkoholentzugssyndrom
7 Kap. 28
–
Manische Episode
7 Kap. 29
Als Komedikation
Schizophrenie
7 Kap. 30
Schnelle Koupierung von Angstzuständen, bei katatonem Stupor: Lorazepam; ggf. als Komedikation
Neurologische Erkrankungen
7 Kap. 32
Epileptischer Anfall, möglich auch bei Epilepsie; unwillkürlichen Bewegungsstörungen
Notfallspychiatrie
7 Kap. 34
Angstlösung, Sedierung
88
1
2
3
4
Kapitel 8 · Anxiolytika
. Tab. 8.3. Vor- und Nachteile der Benzodiazepine bei Angsterkrankungen
Vorteile
Nachteile
Sehr schneller Wirkungseintritt
Abhängigkeit und Entzugserscheinungen
Sehr gute anxiolytische Wirkung
Tagesmüdigkeit bis zur Sedation
Gute Handhabbarkeit
Wechselwirkungen mit Alkohol
Kaum Wechselwirkungen mit Medikamenten
Koordinationsstörungen
Geringe vegetative Nebenwirkungen
Störungen des Kurzzeitgedächtnisses möglich
5
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20
5 Auch ein dauerhafter (monotherapeutischer)
Einsatz ist in einigen Fällen v. a. bei Angsterkrankungen (generalisierte Angststörung/GAD;
Panikstörung) nach Ausschöpfung anderer Therapiemaßnahmen indiziert.
5 Anders als bei den Antidepressiva gibt es keine
neuen Zulassungsstudien für Benzodiazepine, die
sich auf die ICD-10-Klassifikation beziehen. Es
handelt sich in der Regel um Altzulassungen mit
unspezifischen Syndromnennungen.
5 Relativ neu ist die Indikation für Lorazepam bei
Katatonie, Stupor und Mutismus (. Tab. 8.2)
(Heuser u. Benkert 1986); die früher oft notwendige Elektrokrampftherapie bei diesen Syndromen kann jetzt meistens vermieden werden.
Cave
Keine Indikation für Benzodiazepine besteht bei
zu hohen chronischen Belastungen im Alltag, im
sozialen oder im familiären Bereich. Nur bei akuten Belastungen sind Benzodizepine – und dies
auch nur kurzfristig – indiziert.
5 Eine Toleranzentwicklung gegenüber der anxiolytischen Wirkung ergibt sich vergleichsweise selten, d. h. eine Dosissteigerung zur Wirkungserhaltung der Anxiolyse ist in der Regel nicht notwendig. Bekannt ist hingegen eine Toleranzentwicklung gegenüber der sedierenden, muskelrelaxierenden und antikonvulsiven Wirkungskomponente. Tiermodelle bestätigen eine raschere und
ausgeprägtere Toleranz gegenüber sedativen als
gegenüber anxiolytischen Effekten.
5 Es besteht eine Kreuztoleranz von Benzodiazepinen zu Alkohol. Längerer Alkoholkonsum macht
u. U. höhere Benzodiazepindosen notwendig.
Die Vor- und Nachteile einer Benzodiazepinmedikation bei Angsterkrankung sind in . Tab. 8.3 ersichtlich.
8.4.2 Buspiron
5 Bei der generaliserten Angsterkrankung hat Buspiron eine wichtige Indikation, 7 Abschn. 17.2.3.
5 Bei suchtgefährdeten Patienten ist Buspiron eine
Alternative zu Antidepressiva.
5 Auch bei Phobie ist Buspiron wirksam.
5 Insgesamt konnten Wirksamkeitsvorteile von
Buspiron gegenüber Antidepressiva nicht gezeigt
werden; insbesondere gibt es keine Vergleichsstudien zwischen Buspiron und SSRI bei der GAD.
8.4.3 Andere Anxiolytika
β-Rezeptorenblocker
5 β-Rezeptorenblocker können beim Überwiegen
somatischer Symptome bei spezifischer Phobie
(7 Kap. 18) z. B. bei Redner- und Prüfungsangst
oder Flugangst, als Bedarfsmedikation versucht
werden. Der Wirksamkeitsnachweis ist nicht
überzeugend. β-Rezeptorenblocker besitzen nur
geringe sedierende Eigenschaften.
Antiepileptika
5 Pregabalin ist neu für die GAD und die soziale
Phobie zugelassen. Der Vorteil gegenüber Antidepressiva kann noch nicht abgeschätzt werden.
Antihistaminika
5 Hydroxizin hat im Vergleich zu Benzodiazepinen eine schwächere anxiolytische Wirkung, zeigt
aber kein Abhängigkeitsrisiko.
Trizyklische Substanzen
5 Opipramol ist bei der GAD und bei somatoformen Störungen zugelassen.
5 Opipramol ist besonders bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten eine Alternative zu Antidepressiva oder Buspiron.
89
8.6 · Nebenwirkungen
Antidepressiva
5 Die selektiven Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) und die dualen Antidepressiva sind
die wichtigste Medikamentengruppe für die längerfristige Behandlung der Angststörungen
(7 Abschn. 5.2).
5 Der Vorteil gegenüber Benzodiazepinen liegt im
fehlenden Abhängigkeitspotenzial, der Nachteil in der längeren Wirklatenz und häufigeren
Nebenwirkungen.
Antipsychotika
5 Konventionelle Antipsychotika (7 Kap. 7) wurden früher häufiger in niedriger Dosierung aufgrund ihrer zusätzlich vorhandenen anxiolytischen Komponente als Anxiolytika verordnet, besonders häufig als Depotmedikation. Die
hohe Nebenwirkungsrate unter Antipsychotika
(7 Abschn. 7.6) sollte ein solches Vorgehen verbieten. Ausnahmen sind abhängigkeitsgefährdete Patienten mit Angststörungen und bestehende Kontraindikationen gegen Benzodiazepine. In
solchen Situationen sollte aber zunächst ein Antidepressivum eingesetzt werden.
Cave
Hochpotente, nicht oder kaum sedierende Antipsychotika (z. B. Fluspirilen) als »Minor-Tranquilizer« sollten bei Angststörungen wegen der sehr
hohen Gefahr von Nebenwirkungen nicht mehr
gegeben werden.
5 Der Einsatz von atypischen Antipsychotika bei
Angststörungen ist bisher nur wenig geprüft.
8.5
Dosierung,
Plasmakonzentration und
Behandlungsdauer
5 Benzodiazepine sollten in möglichst niedrigen,
aber ausreichend wirksamen Dosen verabreicht
werden (. Tab. 8.4). Bei Alprazolam beginnt man
z. B. mit 1 mg.
5 Die Gesamtgabe sollte auf einen möglichst
kurzen Zeitraum (4–6 Wochen) beschränkt werden.
5 Bei einer Indikation zur langfristigen Benzodiazepinverordnung sollte die Dosis so gering
wie möglich gehalten werden. Ein Absetzversuch sollte nach 4–6 Monaten gestartet werden
8
(um dann die medikamentöse Therapie, z. B. mit
einem SSRI, weiter zu führen).
5 Bei der Panikstörung werden höhere Dosen als
bei der GAD benötigt, z. B. für Alprazolam bis zu
10 mg bei der Panikstörung, sonst 2–4 mg.
5 Bei Benzodiazepinen mit langen Halbwertszeiten
(. Tab. 8.4) sind häufig einmalige Gaben pro
Tag ausreichend. Bei Substanzen mit kürzeren
Halbwertszeiten sind 2–4 Dosierungen pro Tag
zu wählen. Wenn die sedierende Wirkung primär gewünscht wird, ist die Hauptdosierung zur
Nacht zu geben.
5 Lorazepam intramuskulär wird sehr schnell
absorbiert und eignet sich so besonders gut bei
Ängstlicheit und Agitationen im Rahmen akuter
Psychosen, der Katatonie oder dem depressiven
Stupor. Auch sublingual wird Lorazepam schnell
absorbiert.
8.6
Nebenwirkungen
5 Benzodiazepine haben eine relativ geringe
Nebenwirkungsquote. Neben der Abhängigkeitsproblematik (7 Abschn. 8.6.1 bis 8.6.3) sind folgende unerwünschte Wirkungen zu beachten:
– Tagesmüdigkeit bis hin zur Schläfrigkeit
– Konzentrationsstörung
– bei Langzeiteinnahme kann es zu Gleichgültigkeit und eingeschränkter Kritikfähigkeit
kommen
– anterograde Amnesie bei Gabe rasch anflutender Benzodiazepine
5 Eine depressiogene Wirkung von Benzodiazepinen ist nicht nachgewiesen. Prosuizidale Effekte
von Benzodiazepinen wurden im Sinne einer
Desinhibition diskutiert, sind aber bisher nicht
bestätigt.
5 Auf spezielle Nebenwirkungen im höheren
Lebensalter ist zu achten (7 Abschn. 8.10)
Cave
Die Fahrtüchtigkeit und Alltagssicherheit unter
Benzodiazepinen ist eingeschränkt.
5 Buspiron hat sehr wenige Nebenwirkungen, insbesondere fehlen die Abhängigkeitsentwicklung
und die sedative Komponente. Häufiger sind zu
Beginn Schwindel und Schläfrigkeit.
90
Kapitel 8 · Anxiolytika
8.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter
1
2
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9
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20
Benzodiazepinen
5 Bei Anwendung von Benzodiazepinen kann es
zu Abhängigkeitsentwicklungen kommen. Das
Abhängigkeitsrisiko steigt, wenn höhere Dosen
verabreicht und wenn Benzodiazepine über längere Zeiträume eingenommen werden. Diskutiert
wird zudem, dass für kurz wirksame Substanzen wie Alprazolam oder Lorazepam ein erhöhtes
Risiko der Abhängigkeitsentwicklung oder von
Reboundphänomenen gegenüber lang wirksamen
Substanzen wie Diazepam besteht.
5 Besonders hoch ist das Abhängigkeitsrisiko
bei unkontrolliertem bzw. nichtmedizinischem
Gebrauch (häufig im Rahmen einer bestehenden Alkoholabhängigkeit oder Polytoxikomanie).
Bevorzugt werden dabei Hypnotika (7 Kap. 9) mit
raschem Wirkeintritt (z. B. Flunitrazepam).
5 Nach etwa 4-monatiger Einnahme einer therapeutischen Benzodiazepindosis muss nach
abruptem Absetzen mit Absetz- bzw. Entzugssymptomen (s. unten) gerechnet werden. Bei
Einnahme kurz wirksamer Hypnotika können
Reboundphänomene (7 Abschn. 8.6.2) auch schon
nach einigen Tagen beobachtet werden.
Wichtig
Abhängigkeitsentwicklungen ist durch strenge Indikationsstellung, der Wahl der niedrigst notwendigen Dosis und einer Verordnung, wenn möglich
nicht über 4–6 Wochen hinaus, vorzubeugen. Bei
einer Verordnung über 6 Wochen hinaus sollten
grundsätzlich Therapiealternativen durchdacht
werden.
5 Bei der »low-dose dependence« (oder auch »therapeutic-dose dependence«), d. h. einer »Abhängigkeit« bei Langzeiteinnahme üblicher therapeutisch verordneter Dosen, sind nach Absetzen
sofortige oder protrahiert auftretende Absetzeffekte (s. unten) möglich.
8.6.2 Absetzprobleme unter
Benzodiazepinen
5 Nach abruptem Absetzen von Benzodiazepinen
finden sich 3 Typen von Absetzsymptomen:
– Reboundsymptome: Nach Absetzen von Benzodiazepinen kommt es als Effekt der GABAergen Gegenregulation häufig zu einem aku-
–
–
ten und verstärkten Auftreten der ursprünglichen Krankheitssymptomatik (d. h. Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit). Diese Symptomatik hält nur wenige Tage an.
Rückfallsymptome: Die ursprünglichen
Angstsymptome treten nach Absetzen der
Benzodiazepine erneut auf.
Eigentliche Entzugssymptome: Sie zeichnen
sich dadurch aus, dass sie vor Verordnung der
Medikation nicht vorhanden waren. Je nach
Halbwertszeit des eingenommenen Benzodiazepinpräparates treten sie ca. 2–10 Tage
nach Absetzen der Medikation auf, erreichen
schnell ein Maximum und dauern gewöhnlich 5–15 Tage an. Auch Krampfanfälle sind
noch nach einem Zeitraum von 2 Wochen
nach Absetzen beobachtet worden.
Leichte Entzugssymptome
5
5
5
5
5
5
5
5
Vermehrte Angst und innere Unruhe
Schlaflosigkeit
Erhöhte Irritabilität
Übelkeit und Erbrechen
Schwitzen
Tremor
Kopfschmerzen
Muskelverspannungen
Schwere Entzugssymptome
5
5
5
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5
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5
5
5
5
5
Verwirrtheitszustände
Depersonalisation/Derealisation
Psychoseartige Zustände, Delirien
Ängstlich-depressive Syndrome
Krampfanfälle
Oszillopsien, Dysmorphopsien
Photophobie
Hyperakusis
Hypersomnie
Dysästhesien
Kinästhetische Störungen
Muskelzittern und -faszikulationen
91
8.10 · Anxiolytika im höheren Lebensalter
8.6.3 Vorbeugung von
Benzodiazepinentzugssymptomen
Wichtig
Wichtig ist die stufenweise Dosisreduktion, kein
abruptes Absetzen! Absetzen ist in der Regel über
Wochen notwendig, manchmal über Monate. Die
ersten 50% einer Benzodiazepindosis können relativ zügig, die nächsten 25% deutlich langsamer
und die letzten 25% nur sehr langsam abgesetzt
werden. Häufig empfiehlt sich auch eine Pause
nach den ersten 50%. Die ersten Reduktionsschritte sollen mindestens eine Woche dauern.
8.7
Kontraindikationen und
Intoxikationen
5 Der große Vorteil der Benzodiazepine liegt auch
in der relativ geringen Zahl von Kontraindikationen und den fehlenden Intoxikationen bei
oraler Verabreichung.
5 Hervorgehoben werden muss die Unverträglichkeit mit Alkohol, Schlafmitteln und Analgetika.
5 Die muskelrelaxierenden Wirkung der Benzodiazepine muss bei der Myasthenie und der Ataxie
beachtet werden.
5 Vor Gabe von Benzodiazepinen müssen eine
obstruktive Atemwegserkrankungen und ein
Schlafapnoe-Syndrom ausgeschlossen werden.
5 Bei Abhängigkeitsgefährdeten soll mit Benzodiazepinen sehr vorsichtig umgegangen werden.
Cave
5 Bei schneller i.v.-Verabreichung von Benzodiazepinen kann es zu vorübergehender
Atemdepression, Blutdruckabfall und u. U.
sogar zum Herzstillstand kommen.
5 Kontraindikationen für β-Rezeptorenblocker sind obstruktive Lungenerkrankungen,
Herzinsuffizienz, AV-Überleitungsstörungen,
Bradykardie, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Sinusknotensyndrom, Hypotonie und
periphere arterielle Verschlusskrankheit.
8.8
8
Wechselwirkungen
Wechselwirkungen haben bei Benzodiazepinen eine
geringere klinische Bedeutung als bei den Antidepressiva oder vielen anderen Psychopharmaka.
5 Pharmakodynamisch sind bei Benzodiazepinen
Wirkverstärkungen in Zusammenhang mit ebenfalls sedativ wirkenden Substanzen zu beachten,
insbesondere bei Substanzen mit GABAergem
Wirkmechanismus (z. B. Barbiturate oder Antikonvulsiva).
5 In pharmakokinetischer Hinsicht muss bedacht
werden, dass Inhibitoren des Cytochrom-P450
(z. B. Fluoxetin, Fluvoxamin, Grapefruitsaft) die
Wirkung der Benzodiazepine verstärken können. Alle wichtigen Interaktionen sind an anderer
Stelle aufgelistet (Benkert u. Hippius 2007) und
müssen bei Verordnung eines Antidepressivums
berücksichtigt werden.
5 Buspiron, Hydroxyzin und Opipramol dürfen
nicht mit einem MAO-Hemmer zusammen verordnet werden.
8.9
Routinehinweise
Auf Routineuntersuchungen, wie sie z. B. bei den
Antidepressiva notwendig sind, kann bei den Anxiolytika verzichtet werden.
Dafür müssen die Patienten auf folgende Risiken
hingewiesen werden:
5 Es besteht eine Potenzierungsgefahr bei gleichzeitiger Einnahme anderer sedierender Pharmaka
und von Alkohol.
5 Es besteht ein Abhängigkeitsrisiko.
5 Beim abrupten Absetzen von Benzodiazepinen
kann eine Entzugssymptomatik auftreten.
5 Eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und Reaktionsfähigkeit muss beachtet werden (7 Kap. 36).
5 Über das Risiko in der Schwangerschaft und Stillzeit muss aufgeklärt werden (7 Kap. 35).
8.10
Anxiolytika im höheren
Lebensalter
Benzodiazepine können auch im höheren Lebensalter
sicher verordnet werden. Es gibt Hinweise, dass das
Abhängigkeitsrisiko eher geringer ist, sodass niedrige
Benzodiazepindosen auch längerfristig dann verordnet werden können, wenn keine Alternativen vorhanden sind und die Dosis nicht gesteigert wird.
92
1
2
5
5
5
3
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5
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7
5
Kapitel 8 · Anxiolytika
Einige Regeln sollten beachtet werden:
Bei älteren Patienten sind meist niedrigere Dosen
als bei jüngeren Patienten notwendig.
Bei Gabe langwirksamer Benzodiazepine besteht
die Gefahr der Kumulation (. Tab. 8.4, HWZ).
Kumulation kann zu verstärkten Nebenwirkungen und damit zu möglichen klinischen
Komplikationen führen: Hang-over-Phänomene,
Verstärkung von Müdigkeit und Sedierung,
Schwindel, Koordinationsstörungen, Ataxie und
daraus resultierende Sturzgefahr. Dies gilt insbesondere für Patienten mit Leber- und Nierenerkrankungen.
Unter höheren Benzodiazepindosen sind, besonders bei älteren Menschen, paradoxe Disinhibitionsphänomene möglich: Agitiertheit, Euphorisierung, Erregungszustände, Schlaflosigkeit und
Aggressivität.
8.11
8.11.1 Benzodiazepine
Benzodiazepine sind bei Angstzuständen und in der
Notfallpsychiatrie schnell und sicher wirksam; sie
sind in der Pharmakopsychiatrie unverzichtbar. Das
Abhängigkeitsrisiko muss aber bei jeder Verordnung
bedacht werden. Bei der Verordnung ist es wichtig
die Halbwertszeit (HWZ) des Präparates zu kennen.
Bei kurzer HWZ sind mehrmalige tägliche Dosen
ggf. nötig. Die wichtigsten Benzodiazepine sind in
. Tab. 8.4 aufgelistet.
Fazit
Therapieempfehlung für Benzodiazepine
5 Für die Notfallsituation ist Lorazepam unverzichtbar.
5 Bei Angstzuständen jeder Genese wirkt Lorazepam
sicher und schnell angstlösend und sedierend.
5 Bei der GAD haben Alprazolam und Lorazepam ein
akzeptables Wirkungs-Nebenwirkungs-Verhältnis.
8
9
10
1
11
12
Präparategruppen1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
. Tab. 8.4. Benzodiazepine (Auswahl)
13
Präparat
Dosis
Indikation mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen
Bemerkungen
14
Alprazolam
Tafil®
2–4 mg tgl.; beginnen mit 1 mg
Angstzuständea;
Panikstörung
7 Abschn. 8.6
HWZ: 10–15 h
15
Clonazepam
Rivotril®
2–5 mg tgl.;
möglich bis 15 mg
Angstzuständea;
Erregungszustände
7 Abschn. 8.6
HWZ: ca.40 h;
i.v. Gabe möglich
16
Diazepam
Valium®
2–15 mg tgl.;
möglich bis 60 mg
stationär
Angstzuständea;
Erregungszustände1;
neurologische Erkrankungen
7 Abschn. 8.6
HWZ: 20–40 h;
i.v. Gabe möglich
Lorazepam
Tavor®
0,25–5 mg tgl.;
möglich bis 10 mg
Angstzuständea; stuporund mutismuslösend;
Präparat für den Notfallkoffer, 7 Kap 34
7 Abschn. 8.6
HWZ: ca 14 h;
auch als Tabs;
i.v. Gabe möglich
Oxazepam
Adumbran®
10–60 mg tgl.
Angstzuständea
7 Abschn. 8.6
HWZ: ca 9 h;
Metabolit vieler
Benzodiazepine
17
18
19
20
HWZ Halbwertszeit (aktive Metaboliten der Präparate haben eine noch längere HWZ);
a Altzulassungen beziehen sich noch nicht auf die ICD-10-Klassifikation.
5 Unter den Benzodiazepinen hat nur Alprazolam eine
Zulassung bei der Panikstörung.
5 Bei akuten Belastungen sollen Benzodiazepine nur
kurzfristig bei Bedarf gegeben werden.
8.11.2 Andere Anxiolytika
Es gibt zu den Benzodiazepinen einige Alternativen (. Tab. 8.5), die aber nicht so effektiv sind und
eine deutlich längere Wirklatenz haben. Sie können
nicht in der Notfallpsychiatrie eingesetzt werden. Die
Nebenwirkungen sind in der Regel gering. Ihr Vorteil
liegt in dem fehlenden Abhängigkeitsrisiko.
8
93
8.12 · Anxiolytika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
8.12
Anxiolytika in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
Die Anxiloytika, vor allem die Benzodiazepine, haben
auch in der Akutbehandlung der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein breites Indikationsspektrum, sind
jedoch meist für diesen Altersbereich nicht zugelassen. Die Behandlungsdauer sollte nur wenige Tage bis
einige Wochen dauern.
Generell hat sich die Verschreibungsrate der Benzodiazepine im Kindes- und Jugendalter in den letzten 10 Jahren verdreifacht. Es gibt wie im Erwachsenalter keine neuen Zulassungsstudien für Benzodiazepine. Meistens handelt es sich um so genannte »Altzulassungen« mit zugelassen Indikationen für unspezifische Syndrome.
Auswahl der Anxiolytika
Fazit
Therapieempfehlung für andere Anxiolytika
5 Bei abhängigkeitsgefährdeten ängstlichen Patienten
kann Buspiron verordnet werden. Vorher sollte ein
Versuch mit Antidepressiva stehen.
5 Bei der GAD ist Opipramol eine Alternative zu den
Antidepressiva.
5 Eine neue Alternative bei der GAD ist Pregabalin. Das
Präparat ist aber erst seit kurzem im Handel, so dass
Empfehlungen noch nicht gegeben werden können.
Das Indikationsspektrum für Benzodiazepine in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie umfasst
5 die verschiedenen Angststörungen,
5 mittelgradige und schwere depressive Syndrome
mit oder ohne Suizidalität,
5 akute psychotische Störungen,
5 manische Episoden,
5 ausgeprägte Schlafstörungen,
5 Belastungsstörungen, Anpassungsstörungen,
5 schwere Erregungszustände.
. Tab. 8.5. Andere Anxiolytika
a
Präparat
Dosis
Indikation mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen
Wirkstoffgruppe
Buspiron
Bespar®
10–30 mg tgl.;
möglich bis 60 mg
Angstzuständea
Schwindel,
Schläfrigkeit
Azapiron
Propranolol
Dociton®
30–80 mg tgl.
Somatische Ängste
Müdigkeit,
Schwindel,
Kopfschmerzen
β-Blocker
Pregabalin
Lyrica®
200–450 mg tgl.
GAD, neuropathische
Schmerzen
Benommenheit,
Schläfrigkeit,
Libidominderung,
Gewichtszunahme
Antiepileptikum
Hydroxyzin
Atarax®
30–75 mg tgl.;
möglich bis
200 mg
Angstzuständea;
Schlafstörungen
Müdigkeit,
Schwindel; sonst
wie TZA
Antihistaminikum,
Diphenylmethan
Opipramol
Insidon®
50–200 mg tgl.
Somatoforme
Störungen; GAD
Müdigkeit,
Schwindel, vegetative Symptome
Trizyklisches Piperazinylderivat
Altzulassungen beziehen sich noch nicht auf die ICD-10-Klassifikation; TZA trizyklische Antidepressiva.
94
1
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3
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19
Kapitel 8 · Anxiolytika
Gerade bei ängstlich-depressiven Erkrankungen, die
häufig mit Suizidalität einhergehen, ist teilweise der
Einsatz von Benzodiazepinen bis zum Wirkungseintritt der Antidepressiva unverzichtbar.
Zugelassen aus der Gruppe der Benzodiazepine
ist z. B. Diazepam, das am häufigsten verschriebene
Benzodiazepin, ab dem 6. Lebensmonat für akute und
chronische Spannungs-, Erregungs- und Angstzustände. Allerdings wird in der klinischen Praxis aufgrund
der deutlich kürzeren Halbwertzeit häufig Lorazepam
eingesetzt, obwohl für die Anwendung im Kindesund Jugendalter keine Zulassung besteht.
Buspiron hat auch in der Kinder-und Jugendpsychiatrie im Gegensatz zu den Benzodiazepinen einen
differenzierten Einsatz (7 Abschn. 8.4.2): Es hat keine antikonvulsive Wirkung, eine geringeres Sedierungspotenzial und kann das Ausmaß von Panikattacken nicht mindern. Buspiron ist nicht für den Notfall
geeignet, da der Wirkungseintritt langsamer ist. Als
mögliche neue Indikationen werden nach Ergebnissen von offenen Studien akute und chronische Angststörungen, Zwangsstörungen, posttraumatische Belastungsstörung, Dysmorphophobie, Hyperaktivität,
Aggressivität, Erregungszustände bei tief greifenden
Entwicklungsstörungen und hyperkinetischen Störungen diskutiert (Bezchlibnyk-Butler u. Virani 2004;
Green 2001). Eine Zulassung für Buspiron besteht für
das Kindes- und Jugendalter nicht.
Mehrere Studien konnten die Wirksamkeit der
beiden β-Rezeptorenblocker Propanolol und Pindolol
(7 Abschn. 8.2.3) bei Kindern und Jugendlichen mit
Erregungszustände und aggressive Durchbrüche im
Rahmen von z. B. autistischen Syndromen, hyperkinetischen Störungen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Angststörungen, die vorwiegend mit
somatischen und autonomen Funktionsstörungen
einhergingen, nachweisen (Bezchlibnyk-Butler u.
Virani 2004; Green 2001).
Dosierung der Benzodiazepine
Zu beachten ist, dass Benzodiazepine bei Kindern und
Jugendlichen schneller metabolisiert werden, weshalb
Kinder und Jugendliche teilweise kleinere aber dafür
häufigere Dosierungen benötigen. Für die empfohlenen Tagesdosen gibt es keine spezifischen Leitlinien
für das Kindes- und Jugendalter, die Dosierungen entsprechen denen für das Erwachsenenalter (Bezchlibnyk-Butler u. Virani 2004; Green 2001).
Antidepressiva
20
Genau wie bei Erwachsenen sind die SSRI und die
dualen Antidepressiva (sowie teilweise noch die trizyklischen Antidepressiva) die wichtigsten Medika-
mentengruppen für die längerfristige Behandlung von
Angststörungen, da diese Substanzen im Vergleich zu
den Benzodiazepinen kein Abhängigkeitspotenzial
haben. Für diese Indikation im Kindes- und Jugendalter sind sie allerdings nicht zugelassen. Der Wirkungseintritt ist deutlich langsamer als bei den Benzodiazepinen und es treten stärkere Nebenwirkungen auf.
Fluoxetin und Fluvoxamin zeigten gute Wirksamkeit bei Kindern und Jugendlichen mit GAD, Trennungsangst und sozialer Phobie. Sertralin war bei der
GAD im Kindes- und Jugendalter Placebo überlegen.
Antipsychotika
Die konventionellen oder atypischen Antipsychotika gehören nicht zu den Medikamenten der ersten
oder zweiten Wahl bei der Behandlung von Angststörungen. Allerdings werden in der klinischen Praxis häufig Antipsychotika zum Sedieren bei schweren
Angst- und Belastungsstörungen eingesetzt. Hier
kommen dann vor allem die niedrig-potenten und
atypischen Antipsychotika in Betracht, wobei man
Nutzen und Nebenwirkung gut abwägen muss.
8.13
Checkliste
?
1.
Welche Therapieprinzipien sind bei einer
Behandlung mit Benzodiazepinanxiolytika
zu beachten?
2. Worin liegen die Vorteile von Benzodiazepinen?
3. Wann sind Benzodiazepine indiziert?
4. Welche Nachteile haben Benzodiazepine?
5. Wann können β-Rezeptorenblocker eingesetzt werden?
6. Welche Medikamente sind zur langfristigen
Behandlung von Angststörungen indiziert?
7. Was ist bei der Behandlung älterer Menschen
mit Benzodiazepinen zu beachten?
8. Worüber sind Patienten bei der Gabe von
Benzodiazepinen unbedingt aufzuklären?
9. Welche Absetzsymptome treten beim
akuten Absetzten von Benzodiazepinen auf?
10. Mit welcher Substanzklasse sollten schwere
und chronische Angststörungen im Kindesund Jugendalter behandelt werden?
9
95
9.1 ·
Hypnotika
9.1
Einteilung
– 96
9.2
Wirkmechanismus
9.2.1
9.2.2
9.2.3
Benzodiazepinhypnotika – 96
Non-Benzodiazepinhypnotika – 97
Andere Hypnotika und schlafinduzierende Psychopharmaka
9.3
Allgemeine Therapieprinzipien
9.4
Indikationen
9.5
Dosierung und Behandlungsdauer
9.6
Nebenwirkungen
9.6.1
9.6.2
Abhängigkeitsrisiko unter Hypnotika – 98
Andere Nebenwirkungen unter Hypnotika – 99
9.7
Kontraindikationen und Intoxikationen
9.8
Wechselwirkungen
9.9
Routinehinweise
9.10
Hypnotika im höheren Lebensalter
9.11
Präparategruppen
9.12
Hypnotika in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
9.13
Checkliste
– 96
– 97
– 97
– 98
– 103
– 98
– 98
– 99
– 100
– 100
– 100
– 101
– 102
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20
96
Kapitel 9 · Hypnotika
9.1
Einteilung
Hypnotika (Syn.: Schlafmittel oder Antiinsomnika)
sind schlaferzeugende Pharmaka. Früher waren Barbiturate die gebräuchlichsten Präparate; sie wirkten
dosisabhängig sedativ, hypnotisch oder narkotisch.
Moderne Präparate wie die Benzodiazepinhypnotika und die Non-Benzodiazepinhypnotika führen (bei
oraler Verabreichung) auch in hoher Dosierung nicht
zu einer vollständigen Narkose.
Ein ideales Hypnotikum sollte keine Veränderung
des physiologischen Schlafs hervorrufen, nicht zur
Kumulation führen, keine Toleranz entwickeln, kein
Abhängigkeitspotenzial zeigen und schließlich keine
Lähmung des Atemzentrums bei Überdosierung herbeiführen.
Schon 1869 wurde Chloralhydrat als erstes synthetisches Schlafmittel in Deutschland eingeführt. Es
wird noch verschrieben, aber durch effektivere Präparate immer mehr verdrängt, die insbesondere eine
größere therapeutische Breite besitzen. In der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen Bromide als Hypnotika in Gebrauch, die um 1900 dann von den Barbituraten abgelöst wurden. Aber erst mit Einführung
der Benzodiazepine 1957 stehen Schlafmittel zur Verfügung, die ein übersehbares Nebenwirkungsrisiko
haben und bei Überdosierung nicht zu schweren Intoxikationen führen.
Auf dem Wege nebenwirkungsärmere Benzodizepinhypnotika zu entwickeln, sind die Non-Benzodiazepinhypnotika als nebenwirkungsärmste Schlafmittel bisher der wichtigste Schritt.
Definition
Wie bei den Anxiolytika gibt es verschiedene
Substanzen und Gruppen innerhalb der Hypnotika, die sich sowohl hinsichtlich der strukturchemischen Eigenschaften als auch des Wirkprinzips
unterscheiden (Aufzählung nach der Bedeutung).
5 Non-Benzodiazepinhypnotika:
– Zaleplon, Zolpidem, Zopiclon
5 Benzodiazepinhypnotika:
– z. B. Flurazepam, Lorprazolam, Lormetazepam, Temazepam und Triazolam
5 Antihistaminika:
– z. B. Diphenhydramin, Doxylamin, Promethazin
5 Chloralhydrat
5 Tryptophan, Melatonin und pflanzliche
Präparate
Die Non-Benzodiazepinhypnotika und die Benzodiazepinhypnotika werden wegen ihrer guten Verträglichkeit und Arzneimittelsicherheit als Schlafmittel
am häufigsten verschrieben. Die Antihistaminika sind
zwar rezeptfrei zu kaufen, haben aber dennoch deutliche Nebenwirkungen (7 Abschn. 9.6). Chloralhydrat
ist zwar ein gut wirksames Hypnotikum, macht aber
abhängig.
Für die letzte Gruppe mit Tryptophan, Melatonin
und den pflanzlichen Präparaten ist ein wissenschaftlicher Wirkungsnachweis bisher nicht erbracht worden. Sie sind wahrscheinlich unwirksam. Sie werden
deshalb im Kapitel nicht weiter besprochen.
Wichtig
Sedierende Antidepressiva und Antipsychotika haben ebenfalls einen schlafanstoßenden Effekt; die
Indikationen sind ausführlich in 7 Abschn. 24.1.2
dargestellt. Unter den Anxiolytika wird der sedative Effekt der Benzodiazepine (7 Kap. 8) gerne
zur Schlafinduktion bei leicht höherer Dosierung
genutzt; die Abhängigkeitsrisiken sind dabei, wie
bei den Hypnotika zu beachten.
9.2
Wirkmechanismus
9.2.1 Benzodiazepinhypnotika
5 Eine strenge Unterteilung der Benzodiazepinderivate in Anxiolytika und Hypnotika ist
nicht möglich; beide entfalten ihre Wirkung,
wie die Benzodiazepine, am GABAA-Rezeptor (7 Abschn. 8.2.1). Sie zeigen ein einheitliches
pharmakologisches Profil und wirken dosisabhängig anxiolytisch, sedativ-hypnotisch, muskelrelaxierend und antikonvulsiv.
5 Durch die pharmakokinetischen Unterschiede ist
eine differenzierte klinische Anwendung gerechtfertigt. Für den sedativ-hypnotischen Effekt sind
jedoch geringgradig höhere Dosen nötig als für
die anxiolytische Wirkung. Allerdings muss bei
regelmäßiger Anwendung langwirksamer Substanzen mit aktiven Metaboliten, z. B. bei Diazepam, mit Kumulations- und Hang-over-Effekten gerechnet werden, die bei einem Hypnotikum nicht toleriert werden können. Daher ist
auch Diazepam (7 Kap.. 8) als Hypnotikum nur
bei gelegentlicher Einnahme geeignet. Auch soll
daran gedacht werden, dass nicht selten schon
durch die anxiolytische Komponente der Benzo-
97
9.3 · Allgemeine Therapieprinzipien
diazepine eine schlaffördernde Wirkung erreicht
wird.
5 Benzodiazepine verändern dosisabhängig die
Schlaf-EEG-Parameter. Die Einschlafzeit wird
verkürzt, die Häufigkeit und Dauer nächtlicher
Wachphasen nehmen ab und die Gesamtschlafzeit ist verlängert. Benzodiazepine führen zu
einer leichten Reduktion des REM-Schlafs (REMSchlaf 7 Abschn. 24.1) und nach Absetzen zu
REM-Reboundphänomenen. Schließlich ist das
Non-REM-Stadium 2 verlängert, während die
Tiefschlafphasen (Stadien 3 und 4) verkürzt sind.
9
Chloralhydrat
5 Chloralhydrat ist ein Aldehydderivat und wirkt
am GABAA-Rezeptorkomplex, möglicherweise auch am NMDA-Rezeptor. Bis zu 1000 mg
werden die Schlafphasen kaum verändert, erst
bei höherer Dosierung kommt es zur deutlichen
Beeinflussung des Schlafmusters.
Antidepressiva und Antipsychotika
5 Die schlafinduzierenden Komponenten besonders der trizyclischen Substanzen mit ihren antihistaminischen und 5-HT2-antagonistischen
Wirkungen werden genutzt.
9.2.2 Non-Benzodiazepinhypnotika
9.3
5 Die drei im Handel befindlichen Non-Benzodiazepinhynotika Zaleplon (Pyrazolopyrimidin),
Zolpidem (Imidazopyridin) und Zopiclon (Zyklopyrrolon) wirken aktiv am Benzodiazepinrezeptor, sind chemisch aber keine Benzodiazepine.
Hang-over-Effekte und Reboundphänomene treten seltener auf. Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklungen wurden sehr selten in Einzelfällen
beobachtet; die Gefahr ist jedoch grundsätzlich
gegeben. Tierexperimentelle Daten weisen auf
eine fehlende Sensitivitätsänderung am GABAARezeptor selbst nach längerer hoch dosierter
Gabe hin. Möglicherweise besteht hierin eine
Erklärung für die bisher beobachteten differenten
Effekte gegenüber den Benzodiazepinhypnotika.
5 Im Schlaf-EEG ist die Einschlaflatenz verkürzt
und die Gesamtschlafzeit verlängert. Der REMSchlaf wird nur unwesentlich beeinflusst. Es wird
sowohl ein vermehrter als auch ein verminderter
Tiefschlaf im EEG gesehen. Zaleplon verändert
das Schlaf-EEG am geringsten.
9.2.3 Andere Hypnotika und
schlafinduzierende
Psychopharmaka
Antihistaminika
5 Antihistaminika haben einen zentral dämpfenden Effekt, der bei der Anwendung als Hypnotikum genutzt wird. Diphenhydramin z. B. hat
auch einen starken anticholinergen Anteil, der
eine Vielzahl von Nebenwirkungen hervorrufen
kann. REM- und Tiefschlaf wird im EEG verändert. Die Wirkung ist nicht konstant hypnotisch.
Allgemeine Therapieprinzipien
5 Hypnotika sind, trotz eines vermehrten gezielten
Einsatzes von Antidepressiva bei Schlafstörungen
im Rahmen von Depressionen und Angsterkrankungen, in der Allgemeinmedizin und psychiatrischen Pharmakotherapie unverzichtbar.
5 Hypnotika sollen prinzipiell erst nach Ausschöpfen anderer Therapiemöglichkeiten gegeben werden. Die Grunderkrankungen sollen zunächst
behandelt werden.
5 Da alle Hypnotika Nebenwirkungen
(7 Abschn. 9.6) haben, muss ihr Stellenwert in
einem Gesamtbehandlungsplan sehr sorgfältig
eingestuft werden. Dies gilt besonders für eine
Langzeittherapie.
5 Andererseits sollten Schlafmittel in der Notfallmedizin bei akuten Psychosen oder anderen schweren psychischen Erkrankungen und
bei suizidalen Patienten vorübergehend auch in
höheren Dosen zügig eingesetzt werden.
5 Die ausführlichen Therapieprinzipien bei einem
Einsatz von Hypnotika finden sich in 7 Kap. 24.
Wichtig
Benzodiazepinhypnotika und besonders die NonBenzodiazepinhypnotika sind gut verträgliche
und nichttoxische Schlafmittel. Sie besitzen kein
Suizidpotenzial.
98
Kapitel 9 · Hypnotika
Wichtig
1
Sind im Rahmen einer psychiatrischen Therapie
sedierende Antidepressiva oder Antipsychotika
indiziert, sollte bei Schlafstörungen zunächst dieser Effekt genutzt werden (7 Abschn. 24.2.1). Erst
nach Ausreizung dieser Strategie können auch
Hypnotika gegeben werden. In der Regel kann
aber die gezielte Gabe am späten Abend den
Schlaf positiv beeinflussen.
2
3
4
9.5
5 Dosierungen . Tab. 9.2 bis 9.4.
Wichtig
5 Schlafmittel sollten möglichst nicht für
längere Zeiträume, d. h. für nicht mehr als
4 Wochen, verordnet werden.
5 Bei intermittierenden Schlafstörungen ist die
Einnahme von Hypnotika in 4–6 Nächten/
Monat vertretbar.
5 Es sollte mit einer niedrigen Dosis begonnen
werden (Ausnahme: Notfallsituation).
5 Die Therapie soll langsam beendet werden.
5 Diese Richtlinien gelten unabhängig von der
Wahl des Hypnotikums.
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
9.4
Indikationen
5 Die Schlafstörung (7 Kap. 24) ist die einzige Indikation für Hypnotika. Sie besteht aus einem Symptomkomplex aus Einschlafverzögerung, Durchschlafstörungen, Früherwachen mit verminderter
Erholsamkeit sowie Störungen der Lebensqualität
und Leistungsfähigkeit am Tag.
5 Wenn keine Antidepressiva oder Antipsychotika
als Alternative zu den Hypnotika indiziert sind,
sollten in der Praxis zunächst
– Non-Benzodiazepinhypnotika und, an zweiter Stelle,
– Benzodiazepinhypnotika
verordnet werden.
5 Chloralhydrat und Antihistaminika haben eine
Indikation nach den Non-Benzodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika. Chlomethiazol (7 Kap. 11) darf nur in Ausnahmen in der Klinik geben werden.
5 Bei Abhängigkeitserkrankungen sollte auf den
Einsatz von Hypnotika verzichtet werden (Ausnahme: Notfallsituation). Alternativen sind schlafinduzierende Antidepressiva und Antipsychotika
(7 Abschn. 24.1.2).
Dosierung und
Behandlungsdauer
9.6
Nebenwirkungen
9.6.1 Abhängigkeitsrisiko unter
Hypnotika
5 Die Kriterien für das Abhängigkeitsrisiko,
Absetzsrisiko und der Vorbeugung von Entzugssymptomen bei den Hypnotika sind mit denen
der Benzodiazepinanxiolytika (7 Abschn. 8.6.1–
8.6.3) identisch.
5 Auch unter Benzodiazepinhypnotika kann man,
wie bei den Benzodiazepinanxiolytika von einer
»low-dose dependence« (oder auch »therapeuticdose-dependence«), d. h. einer Abhängigkeit bei
Langzeiteinnahme üblicher, therapeutisch verordneter Dosen, sprechen. Sie kann, vor allem im
höheren Alter, wenn die Dosis nicht gesteigert
wird, toleriert werden.
5 Beim Absetzen von Hypnotika muss mit protrahiert zunehmenden Entzugserscheinungen über
Wochen gerechnet werden.
5 Bei Benzodiazepinen mit längerer HWZ
(. Tab. 9.3, Flurazepam) ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Reboundsymptomen
(7 Abschn. 8.6.2) bei Langzeitmedikation und
Absetzen der Medikation gering, dagegen bei
Präparaten mit kurzer oder mittellanger HWZ
(. Tab. 9.3, z. B. Temazepam) höher.
99
9.7 · Kontraindikationen und Intoxikationen
Cave
5 Alle sicher wirksamen Hypnotika besitzen
ein Abhängigkeits- und Toleranzrisiko. Bei
Non-Benzodiazepinhypnotika ist es am
geringsten.
5 Das Abhängigkeitsrisiko steigt mit zunehmender Dosis und Dauer der Einnahme.
5 Nur eine langsame Dosisreduktion schützt,
wenn die Hypnotika längerfristig eingenommen wurden, vor Entzugssymptomen.
9
5 Seltener sind paradoxe Reaktionen mit gesteigerter Aktivität, Reizbarkeit und Wutreaktionen.
Diese Nebenwirkungen sind bei älteren Patienten
häufiger zu beobachten.
5 Eine depressiogene Wirkung von Benzodiazepinen ist nicht nachgewiesen worden.
Cave
Nach mehrmonatigem Gebrauch können auch
Ataxie, Dysarthrie und allgemeine muskuläre
Schwäche auftreten; bei chronischem Gebrauch
auch ausgeprägte Antriebsstörungen, Initiativund Interesseverlust und mangelnde emotionale
Spontaneität.
5 Antihistaminika zeigen keine Abhängigkeit im
engeren Sinne, haben aber auch keine verlässliche
schlafinduzierende Wirkung.
Non-Benzodiazepinhypnotika
9.6.2 Andere Nebenwirkungen unter
Hypnotika
Benzodiazepinhypnotika
5 Bei Verordnung von Benzodiazepinhypnotika mit langen und mittellangen Halbwertszeiten
(z. B. Flurazepam) und mit aktiven Metaboliten
kann es am Tag nach der abendlichen Einnahme zu Hang-over-Effekten mit unerwünschter
Tagessedierung, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Einschränkungen der kognitiven
Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit kommen. Die Verkehrstauglichkeit kann auf Grund
herabgesetzter Reaktionsfähigkeit vermindert
sein. Die gleichen Effekte können bei Präparaten
mit kurzer Halbwertszeit auftreten, wenn sie in
hohen Dosen eingenommen werden.
5 Tagessmüdigkeit tritt in der Regel bei Präparaten
mit kurzer bis mittellanger HWZ nicht auf, wenn
sie niedrig dosiert werden.
Die häufigsten Nebenwirkungen von Zaleplon, Zolpidem und Zopiclon sind Müdigkeit und Dösigkeit.
Sonst können alle den Benzodiazepinen eigenen
Nebenwirkungen – aber seltener und weniger stark
ausgeprägt – auftreten. . Tab. 9.1 gibt eine Übersicht
über die wichtigsten Vor- und Nachteile der Non-Benzodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika.
Antihistaminika und Chloralhydrat
Antihistaminika haben neben der dämpfenden Wirkung typische anticholinerge Nebenwirkungen, die
gerade bei älteren Patienten erhebliche Folgen haben
können (z. B. Delir). Sie sind toxisch, zeigen Wirkungsverlust, aber keine Abhängigkeit im engeren
Sinne.
Chloralhydrat ist ein Aldehyd; es darf bei körperlichen Grundkrankheiten nicht gegeben werden.
Es führt zu Übelkeit und Verwirrtheitszuständen; es
besitzt in Einzelfällen ein Abhängigkeitspotenzial. Die
therapeutische Breite ist gering, deshalb darf es bei
Suizidalität nicht gegeben werden.
Cave
Besonders bei älteren Menschen und bei Patienten mit Leber- und Nierenschäden kann es
unter Benzodiazepinhypnotika mit langen und
mittellangen Halbwertszeiten relativ häufig zu
Kumulationsphänomenen und dadurch bedingt
zu vermehrten Nebenwirkungen mit Muskelrelaxation und ataktischen Störungen kommen.
Die Folge kann eine erhöhte Unfallgefahr mit
Frakturen sein. Deshalb muss gerade bei dieser
Patientengruppe die niedrigst mögliche Dosis
verschrieben werden.
9.7
Kontraindikationen und
Intoxikationen
5 Die Kontraindikationen der Benzodiazepinhypnotika sind, wie die der Benzodiazepine
(7 Abschn. 8.7) gering. Auch sind keine Intoxikationen zu erwarten.
5 Die Unverträglichkeit mit Alkohol, Schlafmitteln
und Analgetika muss beachtet werden.
5 Myasthenie, Ataxie, obstruktive Atemwegserkrankungen und Schlafapnoe-Syndrom sind Ausschlusskrankheiten.
100
Kapitel 9 · Hypnotika
. Tab. 9.1. Vor- und Nachteile der Non-Benzodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika
1
Vorteile
Nachteile
2
Große therapeutische Breite
(als Suizidmittel untauglich)
Abhängigkeitsrisikoa
3
Geringe Toleranzentwicklung
Entzugsrisikoa
Wenig Wechselwirkungen
Rebound-Insomniea,b
Relativ geringer Wirkungsverlust
5 Tagesmüdigkeita (nur bei Benzodiazepinhypnotika mit langer HWZ)
5 Beeinflussung der Schlafarchitektura
5 Muskelhypotonie und Ataxie, die bei älteren Menschen zu Stürzen
führen können
5 Hang-over-Effekte bei Benzodiazepinhypnotika mit langer HWZ
4
5
6
a Bei Non-Benzodiazepinhypnotika gering. b Vermehrte Schlaflosigkeit oder Albträume nach plötzlichem Absetzen einer länger dauernden Therapie.
7
8
9
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12
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20
5 Abhängigkeitsgefährdete sollen Benzodiazepinhypnotika und Non-Benzodiazepine nur in Notfallsituationen erhalten.
5 Für Chloralhydrat gelten ähnliche Bedingungen.
Das Hypnotikum hat bei vielen körperlichen
Krankheiten hohe Risiken.
5 Der antihistaminerge und anticholinerge Anteil
an den Antihistaminika schließt die Verordnung
besonders bei älteren Patienten aus (Delirgefahr).
9.8
Wechselwirkungen
5 Wechselwirkungen für Benzodiazepinhypnotika
7 Abschn. 8.8.
5 Die Wechselwirkungen für Chloralhydrat und
Antihistaminika sind zahlreich.
9.9
Routinehinweise
5 Routineuntersuchungen sind nicht angezeigt.
5 Die Patienten sollen auf folgende Risiken hingewiesen werden:
– Es besteht eine Potenzierungsgefahr bei
gleichzeitiger Einnahme anderer sedierender
Pharmaka und von Alkohol.
– Es besteht ein Abhängigkeitsrisiko.
– Beim abrupten Absetzen von Hypnotika
kann eine Entzugssymptomatik auftreten.
– Eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit und
Reaktionsfähigkeit und Tagesmüdigkeit muss
bei einigen Präparaten beachtet werden.
– Risiken in der Schwangerschaft und Stillzeit
7 Kap. 35.
9.10
Hypnotika im höheren
Lebensalter
5 Mit zunehmendem Alter nimmt die Schlafdauer und -tiefe ab, und es kommt zu längeren Aufwachphasen. Deshalb ergibt sich eine verstärkte
Indikation für Hypnotika im höheren Lebensalter.
5 Die Verschiebungen der zirkadianen Rhythmik
führen im Alter zu einer Müdigkeit am frühen
Abend mit entsprechend früherem Einschlafen
und einem frühmorgendlichem Erwachen.
5 Grundsätzlich sind bei den Benzodiazepinhypnotika und Non-Benzodiazepinen die gleichen
Vorsichtsmaßnahmen und Einschränkungen
wie bei den Benzodiazepinanxiolytika gültig
(7 Abschn. 8.10).
5 Im Alter sollten geringere Dosen gegeben werden, da durch Akkumulationen eine unerwünschte Tagessedierung mit weiterer Verschlechterung des Schlafprofils eintreten kann.
5 Auf die besonderen Risiken im Alter wird schon
oben unter 7 Abschn. 9.6.2 hingewiesen.
5 Im Alter kann eine Dauermedikation trotz
grundsätzlichem Abhängigkeitsrisko gerechtfertigt sein.
5 Vor allem bei dementen und verwirrten Patienten
sowie Patienten mit organischen Grunderkrankungen ist an die Möglichkeit paradoxer Erregungszustände mit Agitiertheit, Schlaflosigkeit
und Aggressivität zu denken.
101
9.11 · Präparategruppen
9.11
Präparategruppen1
Für die Behandlung von Schlafstörungen stehen NonBenzodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika an erster Stelle.
Dosis und Halbwertszeit (HWZ) (. Tab. 9.2 und
9.3) bestimmen den Grad der Nebenwirkungen. Benzodiazepinhypnotika mit relativ kurzer HWZ von 6–
12 h mit fehlenden oder pharmakologisch nicht relevanten Metaboliten garantieren eine hinreichend lange hypnotische Wirkung (z. B. Loprazolam, Temazepam . Tab. 9.2). Sie kumulieren auch bei wiederholter
Anwendung nicht wesentlich (7 Abschn. 9.6.1)).
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
9
Eine Übersicht über Dosis, Nebenwirkungen und
Halbwertszeiten von Antihistaminika und Chloralhydrat gibt . Tab. 9.4.
Fazit
Therapieempfehlung für Hypnotika
5 Für die Kurzzeitanwendung (3–7 Tage), besonders bei
Einschlafstörungen, eignen sich Non-Benzodiazepinhypnotika, z. B. Zolpidem, als Mittel der Wahl.
5 Bei zu frühem Erwachen unter Non-Benzodiazepinhypnotika sollte ein länger wirksames Benzodiazepinhypnotikum, z. B Temazepam, gewählt werden.
5 Langwirksame Benzodiazepinhypnotika, z. B. Flurazepam, können kumulieren und sollten vermieden
werden.
5 Bei bestehender Abhängigkeit kann als erste Wahl
ein Antidepressivum (z. B. Mirtazapin, ab 7,5 mg oder
. Tab. 9.2. Non-Benzodiazepinhypnotika (Auswahl)
Präparat
Dosis
Wichtigste
Nebenwirkungen
Bemerkungen
Zaleplon
Sonata®
5–10 mg abends;
bis 20 mg möglich
7 Abschn. 9.6
HWZ: 1 h
Zolpidem
Stilnox®
10–20 mg abends; meistens reichen 10 mg;
beim Aufwachen in der Nacht nur 10 mg
7 Abschn. 9.6
HWZ: 1–3,5 h
Zopiclon
Ximovan®
7,5–15 mg abends; bei Leberschäden und älteren Patienten nur 3,75 mg
7 Abschn. 9.6
HWZ: 5 h
HWZ Halbwertszeit.
. Tab. 9.3. Benzodiazepinhypnotika (Auswahl)
Präparat
Dosis
Wichtigste Nebenwirkungen
Bemerkungen
Flurazepam
Dalmadorm®
15–30 mg abends
7 Abschn. 9.6; hohes Risiko für
Kumulation
HWZ: 1–3 ha;
Metabolite bis 96 h
Lorprazolam
Sonin®
1–2 mg abends;
mit 0,5 mg beginnen
7 Abschn. 9.6
HWZ: 6–8 ha
Lormetazepam
Noctamid®;
Ergocalm Tabs®
0,5–1 mg abends
7 Abschn. 9.6
HWZ: 8–15 hb,
auch als Tabs
Temazepam
Remestan®
10–40 mg abends
7 Abschn. 9.6
HWZ: 5–14 hb
Triazolam
Halcion®
0,125–0,25 mg abends
7 Abschn. 9.6; höhere Nebenwirkungsrate, Reboundphänomene
und anterograde Amnesie
HWZ: 5–4 hb, nicht
als Durchschlafmittel
geeignet
HWZ Halbwertszeit; a mit aktiven Metaboliten; b mit kaum relevanten Metaboliten.
102
Kapitel 9 · Hypnotika
. Tab. 9.4. Antihistaminika (Auswahl) und Chloralhydrat
1
2
3
Präparat
Dosis
Wichtigste Nebenwirkungen
Bemerkungen
Diphenhydramin
Dolestan®
50–100 mg abends;
beginnen mit 50 mg
7 Abschn. 9.6, anticholinerge
Komponenten, gastrointestinale Beschwerden
Geringer wirksam als
Benzodiazepinhypnotika
Chloralhydrat
Chloraldurat 500®
250–1000 mg abends;
maximal 2 g tgl.
7 Abschn. 9.6, Übelkeit,
Verwirrtheitszustände
Erhebliche Wechselwirkungen
4
5
6
5
7
8
5
9
10
5
11
12
13
14
15
5
16
5
17
18
19
20
5
Trimipramin, 25–50 mg) und erst als zweite Wahl
ein sedierendes Antipsychotikum (z. B. Melperon,
20–100 mg) gewählt werden.
Bei Schlafstörungen mit Suizidalität oder im Rahmen
von akuten Psychosen oder anderen schweren
psychischen Erkrankungen sind Hypnotika vorübergehend auch in höheren Dosen indiziert.
Bei Schlafstörungen im Rahmen einer psychiatrischen
Erkrankung, bei der Antidepressiva oder Antipsychotika indiziert sind, sollten diese immer vor Schlafmitteln versucht werden. Zumeist lösen auch die
Antidepressiva oder Antipsychotika, wenn sie gezielt
abends eingesetzt werden, die Schlafprobleme.
Bei lang andauernden schweren Schlafstörungen,
ggf. auch bei alkoholkranken Patienten, die langjährig schlafmittelabhängig sind, ist
– der Taperprozess mit dem primären Hypnotikum
äußerst langsam durchzuführen (s. auch Benzodiazepinanxiolytika 7 Kap. 8),
– begleitend ein Antidepressivum oder Antipsychotikum einzusetzen,
– in einem Schlaflabor die Diagnose zu überprüfen,
– eine psychologische Therapie dringend indiziert
und der Patient einem Programm zum Erlernen
von Verhaltensregeln (7 Kap. 24) zuzuführen.
Unter einer Therapie mit Hypnotika muss ein sorgfältiges Monitoring von Hang-over-Effekten, Reboundsymptomen, Toleranzentwicklungen und einer
möglichen Abhängigkeit erfolgen.
Hypnotika müssen, wenn sie nicht nur kurzzeitig
angewandt wurden, sehr langsam abgesetzt werden.
Es gibt eine Reihe von anderen Hypnotika, die aber
wie Chloralhydrat ein deutliches Abhängigkeitsrisiko
besitzen, oder wie Diphenhydramin bei schwächerer
Wirkung als bei Non-Benzodiazepinhypnotika
mehr Nebenwirkungen haben. Für Tryptophan und
Baldrianpräparate besteht großer Zweifel an einer
Wirksamkeit. Für Melatonin ist in einer großen Zahl
von Studien jetzt die Unwirksamkeit gezeigt. Diese
Substanzen können nicht empfohlen werden.
9.12
Hypnotika in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
Die Gabe von Hypnotika sollte genauso wie bei
Erwachsenen erst nach Ausschöpfen anderer Therapiemöglichkeiten erfolgen bzw. die Indikationen
sollten sehr eng gefasst werden. 25% der Kinder bis
zum 18. Lebensmonat haben schon einmal Hypnotika, allerdings vorwiegend für pädiatrische Indikationen, erhalten.
Auswahl des Hypnotikums
Die oben erwähnten Non-Benzodiazepinhypnotika und Benzodiazepinhypnotika (. Tab. 9.2 und 9.3)
sind in Deutschland für Kinder- und Jugendliche
nicht zugelassen, außer zur Prämedikation vor chirurgischen Eingriffen und bei zerebralen Anfallsleiden. Eine Ausnahme stellt Temazepam dar, welches
ab dem 14. Lebensjahr zur Behandlung von Ein- und
Durchschlafstörungen zugelassen ist. Das Antihistaminikum Diphenhydramin ist, je nach Dosierung,
ab dem 12. bzw. 14. Lebensjahr und Chloralhydrat ab
dem 6. Lebensjahr zugelassen.
Mit Flurazepam konnte über 14 Tage bei 40 Kindern und Jugendlichen bei mit Schlaf assoziierten Erkrankungen wie Schlafwandeln, Sprechen im
Schlaf, Zähneknirschen und exzessiven Bewegungen
während des Schlafs eine signifikante Verbesserung
erzielt werden.
9.13 · Checkliste
Wichtig
5 Auch bei Kindern und Jugendlichen sind
im Rahmen einer psychiatrischen Therapie
primär sedierende Antidepressiva oder
Antipsychotika indiziert. Erst nach Ausreizung dieser Effekte können auch Hypnotika
gegeben werden.
5 Andererseits sind Schlafmittel bei akuten
Psychosen oder anderen schweren psychischen Erkrankungen und bei suizidalen
Patienten vorübergehend indiziert.
5 Vor allem für die Benzodiazepinhypnotika
gilt, dass sie aufgrund eines hohen Abhängigkeitspotenzials nicht über einen längeren
Zeitraum gegeben werden sollten.
9.13
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Welche Gruppen von Hypnotika kennen Sie?
Welche Vorteile haben die modernen
Hypnotika gegenüber den früher häufig
verwendeten Barbituraten?
Worüber sind Patienten bei der Vorordnung
von Hypnotika aufzuklären?
Welche Risiken haben Benzodiazepinhypnotika?
Welche medikamentösen Alternativen zu
Hypnotika bestehen, wenn Schlafstörungen
im Rahmen einer Depression auftreten?
In welcher Dosierung sollten Hypnotika verabreicht werden und für welche Dauer?
Was ist beim Absetzen von Hypnotika zu
beachten?
Welche besonderen Risiken bestehen bei der
Gabe von Hypnotika bei älteren Menschen?
103
9
105
10.1 ·
Antidementiva
10.1
Einteilung
– 106
10.2
Wirkmechanismus
10.3
Allgemeine Therapieprinzipien
10.4
Indikationen
10.5
Dosierung und Behandlungsdauer
10.6
Präparategruppen
10.7
Checkliste
– 106
– 106
– 107
– 108
– 108
– 107
10
106
Kapitel 10 · Antidementiva
10.1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Einteilung
Antidementiva sind zentral wirkende Substanzen, die
die Hirnleistung, insbesondere Gedächtnis, Konzentrations- und Auffassungsfähigkeit, Aufmerksamkeit,
Urteilsvermögen und Orientierung verbessern und
die Beeinträchtigung sozialer Alltagsaktivitäten mildern können.
Bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Antidementiva ist zu berücksichtigen, dass neben einer Besserung der Symptomatik auch eine Verlangsamung
der Symptomprogression wichtig ist. Für den Wirksamkeitsnachweis sollte eine signifikante Besserung
der Symptomatik auf der kognitiven Ebene, der funktionalen Ebene (Aktivitäten des täglichen Lebens)
und der globalen Ebene (klinischer Gesamteindruck)
gefordert werden. Beurteilt werden ferner demenzassoziierte Verhaltensstörungen, die Belastung pflegender Angehöriger sowie pharmakoökonomische
Aspekte.
Es werden hier nur die Substanzen ausführlich
besprochen, für die eine Wirksamkeit entsprechend
den oben genannten Kriterien sicher nachgewiesen
worden ist, nämlich
Definition
5 Acetylcholinesterasehemmer
(Syn.: AChE-Inhibitoren, AChE-I)
Donepezil, Galantamin, Rivastigmin und der
5 NMDA- (Glutamat-)Antagonist
Memantin.
Substanzen, die zwar früher zugelassen worden sind,
aber nur einen, wenn überhaupt, sehr geringen Effekt
haben wie z. B. Co-dergocrin, Pyritinol, Piracetam,
Ginkgo biloba, Nicergolin, sollten nicht mehr verordnet werden.
10.2
Wirkmechanismus
Acetylcholinesterasehemmer
Man geht davon aus, dass bei der Demenz bei der Alzheimer-Krankheit (Syn.: Alzheimer-Demenz/AD)
ein Acetylcholin-(ACh-)Mangel, allerdings sekundär,
vorliegt, der durch AChE-I kompensiert werden kann.
Der Untergang cholinerger Neurone ist einer der konsistentesten neurobiologischen Befunde bei der AD.
Durch die Verlangsamung des Abbaus von ACh durch
AChE-I wird die cholinerge Neurotransmission gefördert und cholinerg vermittelte kognitive Defizite werden günstig beeinflusst.
Aufgrund dieser cholinergen Hypothese der AD
wurden viele AChE-I als Antidementiva für den klinischen Einsatz entwickelt. Sie blockieren den AChAbbau im synaptischen Spalt und führen damit zu
einer längeren Aktivität des Neurotransmitters. Da
bisher eine kausale Therapie der AD fehlt muss dieser
Wirkansatz zunächst positiv bewertet werden.
Die drei AChE-I unterscheiden sich geringfügig
in ihrem Wirkansatz.
NMDA-Antagonist
Es wird angenommen, dass eine Fehlfunktion der glutamatergen Neurotransmission sowohl zur Symptomatik als auch zum Fortschreiten demenzieller Erkrankungen beiträgt. In mehreren präklinischen Modellen
konnte durch Blockade von NMDA-Rezeptoren ein
neuroprotektiver Effekt gezeigt werden. Eine pathologische Stimulation glutamaterger Rezeptoren resultiert in einer übermäßigen Depolarisation, Kalziuminflux in Neurone und Zelluntergang (sog. exzitotoxische Glutamathypothese).
Über einen selektiven Antagonismus am
NMDA-Rezeptor soll durch Memantin, einem
NMDA(Glutamat)-Antagonisen, einer glutamatgetriggerten Kalziumüberladung von Neuronen bei
pathologisch erhöhten Glutamatkonzentrationen entgegengewirkt werden.
10.3
Allgemeine
Therapieprinzipien
5 Mehrere Behandlungsprinzipien müssen in einen
Gesamtbehandlungsplan integriert werden: Pharmakotherapie, nichtmedikamentöse sowie pflegerische Maßnahmen (7 Abschn. 31.3). Wichtig ist
die Behandlung auch von chronischen und interkurrenten Begleiterkrankungen, die den Verlauf
entscheidend mit beeinflussen können.
5 Als Ziele der antidementiven Behandlung werden
eine Verbesserung der Symptomatik (Effekt bei
den aktuell verfügbaren Antidementiva jedoch
oftmals gering) sowie eine Verlangsamung der
Symptomprogression angestrebt. Aufgrund des
Fortschreitens der Grunderkrankung kommt es
bei den degenerativen Demenzen zu einer langsamen Symptomprogression im Verlauf; die Verzögerung einer Verschlechterung ist ein wesentliches Therapieziel. Bei der vaskulären Demenz
(VD) kann der Verlauf variabler sein (7 Kap. 31).
5 Eine klinische Verlaufskontrolle sollte regelmäßig in halbjährlichen Abständen mittels Fragebögen (z. B. ADAS-cog-Skala, kognitive Sub-
107
10.5 · Dosierung und Behandlungsdauer
skala der Alzheimer’s Disease Assessment-Skala
oder CERAD-Batterie, Consortium to Establish a
Registry for Alzheimer’s Disease) erfolgen. In die
Beurteilung des Therapieverlaufs sollten die Entwicklung von kognitiven Defiziten, Beeinträchtigungen in Aktivitäten des täglichen Lebens,
der klinische Gesamteindruck, die Einschätzung
des Patienten selbst (subjektiv erlebte Verbesserungen), die Einschätzung von Angehörigen bzw.
Pflegenden, die individuelle Verträglichkeit sowie
möglicherweise hinzugekommene Begleiterkrankungen oder Kontraindikationen für eine Fortführung der Behandlung eingehen.
5 Therapiepausen sollten vermieden werden.
10.4
Indikationen
Es ist das Ziel bei der Gabe eines Antidementivums,
dass die Patienten aufmerksamer werden, mehr
Anteil an ihrer Umgebung haben, sich intensiver an
Gesprächen beteiligen und auch Tätigkeiten wieder
aufnehmen. Solche Erfolge sind nur bei einem Teil der
Patienten festzustellen. Mindestens sollte aber eine
geringfügige Steigerung der Leistung und des Wohlbefindens über einige Monate festzustellen sein.
5 Zugelassen sind die Antidementiva nur bei der
AD, . Tab. 10.1; eine Wirksamkeit wurde aber
auch bei der VD und der gemischten Demenz
gezeigt.
5 Eine Wirksamkeit besteht für alle Antidementiva
auch bei den demenzassoziierten Verhaltensstörungen (7 Abschn. 31.2).
5 Alle AChE-Inhibitoren weisen eine ähnliche Effizienz auf (Behl 2008). Der Vorteil von Memantin
gegenüber den AChE-I besteht in dem geringen
Nebenwirkungsrisiko, nicht aber in einer besseren Wirksamkeit.
5 Obgleich eine Vielzahl von klinischen Studiendaten zum Einsatz von AChE-I verfügbar ist,
fehlt bis heute immer noch eine Langzeitstudie,
welche die Effekte dieser Antidementiva auf das
Fortschreiten der Erkrankung sowie möglicherweise einen lebensverlängernden Effekt sicher
nachweisen könnte.
5 Auch wenn die Wirksamkeit gegenüber Placebo
nur gering ist, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass andere Therapiemöglichkeiten gänzlich fehlen (Hansen et al. 2007).
5 Die Kombinationsbehandlungen von Memantin und Donepezil ergaben bei mittelschwerer bis
schwerer AD in einer kontrollierten Studie einen
zusätzlichen Effekt.
10
5 Der Einsatz von AChE-I wird aber auch kritisch
gesehen. Die Kosten-Nutzen-Bewertungen sind
uneinheitlich. In einer placebokontrollierten Studie wurde festgestellt, dass der AChE-I Donepezil zwar signifikante Besserungen der kognitiven
und alltagspraktischen Fertigkeiten im Vergleich
zu Placebo erbrachte, jedoch nicht den Zeitpunkt
der Einweisung in ein Pflegeheim oder das Fortschreiten der krankheitsbedingten Behinderung
beeinflusste; auch die Lebenszeit wurde nicht verlängert. Die Autoren warfen daher die Frage der
Kosten-Nutzen Bewertung der AChE-I auf. Allerdings schränken methodische Schwächen die
Aussagekraft dieser Studie ein. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat aber
ihre eindeutigen Empfehlungen zum Einsatz von
AChE-I und Memantin wiederholt.
10.5
Dosierung und
Behandlungsdauer
Dosierung . Tab. 10.1.
5 Wissenschaftlich fundierte, gesicherte Aussagen
zur Behandlungsdauer mit Antidementiva liegen
derzeit nicht vor.
5 Empfohlen wird anhand der Studienlage bei der
Einstellung auf ein Antidementivum ein Behandlungsversuch von mindestens 12 bis maximal
24 Wochen, sofern nicht Nebenwirkungen die
Beendigung der Behandlung erfordern. Danach
wird eine erste klinische Verlaufskontrolle im
Sinne einer Therapiekontrolle empfohlen. Ergibt
sich auf den verschiedenen Beurteilungsebenen
(s. oben, Verlaufskontrollen) keine erkennbare
Wirkung und/oder eine im Vergleich zum Zeitpunkt vor Beginn der Behandlung unverändert
schnelle Symptomprogression, sollte ein Präparatewechsel erwogen werden.
5 Bei sprunghafter Verschlechterung im Verlauf
der Behandlung sollte nach Ausschluss verursachender interkurrenter Erkrankungen und Überprüfung der Diagnose ein Präparatewechsel
erwogen werden.
5 Solange ein Nutzen beobachtet wird, keine
Unverträglichkeiten auftreten und sich keine
Kontraindikationen für eine Behandlung ergeben, sollte eine antidementive Therapie langfristig fortgeführt werden.
108
Kapitel 10 · Antidementiva
10.6
1
2
3
4
5
Präparategruppen1
. Tabelle 10.1 gibt eine Übersicht über die AChE-I
und NMDA-Antagonist sowie deren Dosierung und
wichtigste Nebenwirkungen.
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
. Tab. 10.1. Acetylcholinesterasehemmer und NMDA-Antagonist (Memantin)
Präparat
6
Dosis
Indikationen
Wichtigste Nebenwirkungen
ADz
Donepezil
Aricept®
5 mg tgl. zu Beginn,
bis 10 mg nach einem
Monat
Leichte bis mittelschwere
Galantamin
Reminyl®
8 mg tgl. zu Beginn,
später bis 24 mg
(Wie oben)
(Wie oben)
Rivastigmin
Exelon®
3 mg tgl. zu Beginn,
später bis 12 mg
(Wie oben)
Demenz bei Parkinson
(Wie oben)
Memantin
Axura®, Ebixa®
5 mg tgl. zu Beginn,
bis 20 mg nach einem
Monat
Mittelschwere bis schwere AD,
auch als »Add-on«-Therapie
empfohlen
Insgesamt gering, möglich sind:
Kopfschmerzen
Schläfrigkeit
Schwindel
Obstipation
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Übelkeit, Diarrhö
Appetitlosigkeit
Schlaflosigkeit
Appetitlosigkeit
Müdigkeit
Muskelkrämpfe
Cave: Herzrhythmusstörungen,
Asthma bronchiale
HWZ Halbwertzeit; z zugelassen.
Fazit
Therapieempfehlung für Antidementiva
5 Nur für AChE-I und Memantin ist ein gesicherter Wirksamkeitsnachweis gegeben. Andere Antidementiva
oder sog. Nootropika sollten nicht mehr verordnet
werden.
5 Die Antidementiva haben auch einen Effekt auf die
demenzassoziierten Verhaltensstörungen (7 Abschn. 31.2).
5 Der Effekt der Antidementiva ist insgesamt bescheiden und wahrscheinlich nur für die Dauer von bis zu
einem Jahr. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird kontrovers diskutiert. Dabei ist allerdings zu bedenken,
dass es keine therapeutischen Alternativen gibt.
5 Memantin hat gegenüber den AChE-I den Vorteil der
deutlich geringeren Nebenwirkungen.
10.7
Checkliste
?
1.
Welche Effekte können von den derzeitigen
Antidementiva erwartet werden?
109
11.1 ·
11
Medikamente zur Behandlung von
Abhängigkeit und Entzug
11.1
Einteilung
– 110
11.2
Präparategruppen
– 110
11.2.1
11.2.2
11.2.3
11.2.4
Pharmakotherapie von Abhängigkeitserkrankungen – 110
Gesamtbehandlungsplan bei Abhängigkeitserkrankungen – 110
Medikamente zur Behandlung von Alkoholkrankheiten – 110
Medikamente zur Rückfallprophylaxe bei
Alkoholabhängigkeit – 111
11.2.5 Medikamente zur Behandlung von
Benzodiazepinabhängigkeit – 112
11.2.6 Medikamente zur Behandlung von Opiatabhängigkeit – 112
11.2.7 Medikamente zur Behandlung von Kokain- und
Amphetamin-Abhängigkeit – 113
11.2.8 Medikamente zur Behandlung von Ecstasy- und
Eve-Abhängigkeit – 113
11.2.9
Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeiten von
Psychotomimetika (LSD, Meskalin, Psilocybin) – 113
11.2.10 Medikamente zur Behandlung von Cannabisabhängigkeit – 113
11.2.11 Medikamente zur Behandlung von Nikotinabhängigkeit – 114
11.3
Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und
Entzug in der Kinder- und Jugendpsychiatrie – 114
11.4
Checkliste
– 115
110
Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug
11.1
1
2
3
Einteilung
Die wichtigen Medikamente dieses Kapitels sind erst
in den letzten zwei Jahrzehnten entwickelt worden. Da
es sich um sehr verschiedene Präparategruppen und
Indikationen handelt, werden die Eigenschaften unter
dem jeweiligen Präparat (anders als in den meisten
anderen Kapiteln) zusammengefasst.
4
5
6
7
8
9
10
11
11.2
Präparategruppen1
11.2.1
Pharmakotherapie von
Abhängigkeitserkrankungen
Die . Tab. 11.1 gibt eine Übersicht über die vielfältigen medikamentösen Möglichkeiten bei Abhängigkeitserkrankungen.
Da viele Strategien nicht zugelassen sind, aber
dennoch in der Allgemeinarztpraxis und der Klinik
angewandt werden, sind die zugelassenen Präparate
gesondert ausgezeichnet. Die Reihenfolge der Auflistung entspricht der Wichtigkeit des Suchtmittels bzw.
des Medikaments in der Praxis. Spezielle Hinweise auf
Dosierungen und Nebenwirkungen finden sich dann
ggf. in den anschließenden Kapiteln.
Gesamtbehandlungsplan bei
Abhängigkeitserkrankungen
12
11.2.2
13
Bei allen Abhängigkeitserkrankungen hängt der therapeutische Erfolg von der Motivation des Patienten
und der Integration der psychotherapeutischen und
psychosozialen Möglichkeiten zusammen mit der
Pharmakotherapie in einem Gesamtbehandlungsplan
ab. Um Rückfälle zu vermeiden, müssen immer neurobiologische und psychosoziale Faktoren gemeinsam berücksichtigt werden. Mit dem Patienten müssen konkret formulierte Behandlungsziele erarbeitet
werden.
Die speziellen Maßnahmen werden in den entsprechenden Abschnitten besprochen.
14
15
16
17
18
19
11.2.3
Medikamente zur Behandlung
von Alkoholkrankheiten
Clomethiazol
5 Clomethiazol ist das Mittel der ersten Wahl für
eine stationäre Entgiftungsbehandlung, sowohl
bei Alkoholentzugssyndrom als auch bei voll ausgeprägtem Delirium tremens.
5 Clomethiazol kann bei Delirium tremens ggf. in
Kombination mit einem Antipsychotikum (s. unten) gegeben werden
5 Clomethiazol vermindert sicher verschiedene
Entzugssymptome wie Pulsanstieg, Blutdruckspitzen, Ängstlichkeit, psychomotorische Unruhe
und besitzt eine delirverhütende und krampfanfallshemmende Wirkung.
5 Aufgrund seiner kurzen Halbwertzeit ist es gut
steuerbar und kann sowohl fest dosiert als auch
symptomorientiert verabreicht werden.
5 Clomethiazol ist nicht für eine ambulante
Anwendung geeignet.
5 Dosis: initial 2–4, maximal 24 Kapseln täglich;
Clomethiazol wird über 3–9 Tage abgesetzt.
5 Clomethiazol ist ein nebenwirkungsstarkes Medikament.
Cave
Clomethiazol soll maximal 14 Tage und nicht
ambulant verordnet werden. Bereits nach relativ
kurzfristiger Verordnung kann es zu einer Abhängigkeitsentwicklung kommen.
Es ist bei der Akuttherapie schnell ein Absinken in
Bewusstlosigkeit, Atemdepression und hypotone
Blutdruckreaktionen möglich.
Benzodiazepine
5 Benzodiazepine (7 Abschn. 8.2.1) sind eine gleichwertige Alternative zu Clomethiazol. Zum Einsatz kommen in erster Linie Benzodiazepine mit
einer langen Halbwertszeit wie z. B. Diazepam.
Sie sind aber in Deutschland nicht in dieser Indikation zugelassen; in den USA sind sie Mittel der
ersten Wahl.
5 Dosis: nach Entzugsschwere; orientierend: Diazepam 40–80 mg in den ersten 24 h; über 3–5 Tage
absetzen.
Andere Medikamente
20
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
5 Antipsychotika, besonders Haloperidol (5–10 mg),
sind nur als Zusatzmedikation bei einem Deliri-
11
111
11.2 · Präparategruppen
. Tab. 11.1. Übersicht über die Pharmakotherapie von Abhängigkeitserkrankungen
z
Suchtmittel
Medikation bei Entgiftung
Medikation bei Entwöhnung
Medikation bei
Intoxikation bzw.
Antidot
Alkohol
Clomethiazolz (Distraneurin®),
Benzodiazepine, Carbamazepin
Acamprosatz (Campral®),
Naltrexon , ggf. Disulfiramz
Antipsychotika
(z. B. Haloperidol),
nur bei selbstoder fremdgefährdender Agitation
Benzodiazepine
Benzodiazepinreduktion
(7 Abschn. 8.6.2. u. 8.6.8)
(stufenweise Reduktion)
–
Flumazenil
(Antidot)
Opiate (z. B.Codein,
Heroin, Methadon)
Buprenorphin, Methadon,
Levomethadon, Clonidin +
symptomatische Therapie
Naltrexonz (Nemexin®), alternativ: Substitution mit Methadonz (Methaddict®), Levomethadonz (L-Polamidon®),
Buprenorphinz (Subutex®)
Naloxon (Antidot)
(7 Abschn. 14.6.1)
Kokain, Amphetamine, synthetische
Drogen (Ecstacy)
Bupropion, Desipramin, Imipramin, ggf. Benzodiazepine
Buproprion, Desipramin, Imipramin
Benzodiazepine,
Antipsychotika
Psychomimetika (LSD,
Meskalin, Psilocybin)
–
–
Benzodiazepine,
Haloperidol
Cannabis
–
–
Benzodiazepine,
Antipsychotika
Nikotin
Nikotinpflasterz, Nikotinkaugummiz, Nikotinsublingualtablettez
Nikotinpflasterz, Nikotinkaugummiz, Nikotinsublingualtablettez, Bupropionz (Zyban®),
Variniclin (Champix®)z
–
zugelassen.
um tremens indiziert. Allein sind sie nicht ausreichend wirksam. Sie werden auch bei der Alkokoholhalluzinose (7 Abschn. 28.1.1) eingesetzt.
5 Die Antiepileptika Carbamazepin und Valproinsäure haben neben ihrem stimmungsstabilisierendem Effekt (7 Kap. 6) auch eine Wirkung auf
Alkoholentzugsymptome; sie sind aber z. Z. nur
zur Anfallsprophylaxe im Alkoholentzug sinnvoll
einsetzbar.
5 Das Antidepressivum Doxepin (7 Kap. 5) wird
häufig noch zur Behandlung leichter Entzugssyndrome gegeben; die Datenlage ist unklar, es handelt sich um eine Therapie zweiter Wahl.
11.2.4
Medikamente zur
Rückfallprophylaxe bei
Alkoholabhängigkeit
Neben psychosozialen und psychotherapeutischen
Interventionen stellt die Langzeitverordnung von
Medikamenten eine wichtige Strategie bei Alkoholkrankheiten dar. Das Verlangen nach Alkohol
soll durch sie vermindert werden; sie werden auch
als Anticraving-Substanzen (Craving 7 Abschn. 28.1.1)
bezeichnet.
5 Acamprosat als NMDA-Rezeptormodulator (glutaminerg) ist einer Placebobehandlung überlegen
und für die Rezidivprophylaxe der Alkoholabhängigkeit zugelassen. Die Verträglichkeit ist gut.
5 Naltrexon ist als μ-Opiatrezeptor-Antagonist in
den USA zur Rückfallprophylaxe zugelassen, in
Europa noch nicht. Naltrexon wird in mehreren
Metaanalysen positiv bewertet. Naltrexon führt
112
1
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16
Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug
darüber hinaus bei schwerer erkrankten, nicht
eindeutig abstinenzmotivierten Patienten zur
Trinkmengenreduktion, zu einem Rückgang der
Anzahl der Trinktage sowie zu einem Rückgang
der Anzahl der schweren Trinktage (>5 alkoholische Getränke/Tag). Naltrexon wird gut vertragen.
5 Disulfiram war früher das einzige Präparat, das
zur Rückfallprophylaxe zur Verfügung stand
(Aversionstherapie). Heute kann es in speziellen
Indikationen in der Rückfallprophylaxe hilfreich
sein; wegen der potenziell lebensbedrohlichen
Komplikationen bei Trinkzwischenfällen stellt es
jedoch keine Standardtherapie dar.
5 Immer wieder wurde geprüft, ob Antidepressiva,
auch SSRI, einen rückfallprophylaktischen Effekt
haben. Bisher sind die Studien negativ verlaufen.
Fazit
Therapieempfehlung zur Rückfallprophylaxe der
Alkoholabhängigkeit
5 Die Anticraving-Substanzen Acamprosat und Naltrexon besitzen eine abstinenzerhaltende Wirkung. Die
Wirkung der Kombination ist möglicherweise additiv.
Sie sollten nur in Verbindung mit psychosozialen
Maßnahmen verordnet werden.
5 Acamprosat oder auch Naltrexon sollten für mindestens 12 Monate nach Abschluss einer Alkoholentgiftungsbehandlung eingenommen werden.
5 Trotz der nachgewiesenen Wirksamkeit werden
Acamprosat und Naltrexon sowohl von Hausärzten
als auch von Fachkliniken zur Behandlung alkoholabhängiger Patienten häufig nicht weiter verordnet. Die
Gründe hierfür sind vielschichtig, die Weiterbehandler (Hausarzt/Facharzt/Fachklinik) sollten deshalb
aktiv in die Therapieplanung mit einbezogen werden,
um einen Therapieabbruch zu vermeiden.
5 Erst nach Acamprosat und Naltrexon sollten weitere
pharmakotherapeutische Versuche unternommen
werden.
17
18
19
20
11.2.5
Medikamente zur
Behandlung von
Benzodiazepinabhängigkeit
Die therapeutischen Notwendigkeiten bei Benzodiazepinabhängigkeit stehen in 7 Abschn. 8.6.1 bis 8.6.3
und 7 Abschn. 28.1.2.
5 Intensivmedizinisch kann bei Benzodiazepinintoxikation in besonderen Fällen das Antidot Flumazenil gegeben werden.
11.2.6
Medikamente zur Behandlung
von Opiatabhängigkeit
Die Therapie der Opiatabhängigkeit gehört nicht
zur Routinetherapie des Psychiaters und ist speziell geschulten Ärzten/Einrichtungen vorbehalten.
Die wichtigen Präparate bei der Entwöhnungstherapie werden kurz beschrieben (Antidot Naloxon
7 Abschn. 28.1.3).
Buprenorphin
5 Buprenorphin ist als Substitutionsmittel bei
Opiatabhängigkeit zugelassen (. Tab. 11.1,
7 Abschn. 28.1.3).
5 Es hat als kombinierter Opiatrezeptoragonist/antagonist (partieller μ-Opiatrezeptoragonist mit
langsamer Rezeptorkinetik sowie κ-Opiatrezeptorantagonist) ein besonderes Wirkprofil unter den
klinisch einsetzbaren Opioiden.
5 Der Vorteil der Substanz besteht in der relativ
breiten Sicherheitsspanne im Vergleich zu reinen
μ-Opiatrezeptoragonisten.
5 Eine Umstellung von Patienten, die bereits auf
Methadon/Levomethadon stabil eingestellt sind,
ist möglich.
5 Dosis: 6–20 mg täglich.
5 Buprenorphin eignet sich aufgrund der langen
Halbwertszeit für die Gabe einer entsprechend
höheren Einmaldosis alle 2–3 Tage (»Alternateday«-Verordnung). Buprenorphin eignet sich
ebenfalls für eine »Take-home«-Vergabe. Allerdings ist hier zu bedenken, dass Buprenorphin
nach Auflösung der Substanz zur i.v.-Gabe missbraucht werden kann.
5 Buprenorphin ist eine sinnvolle Alternative zur
Substitution mit Methadon/Levomethadon mit
breiterem Sicherheitsspektrum und guter Akzeptanz durch die Patienten; Überbrückung von Feiertagen und Wochenenden ohne tägliche Kontakte möglich.
Methadon/Levomethadon
5 Methadon und Levomethadon sind als Substitutionsmittel bei Opiatabhängigkeit zugelassen
(. Tab. 11.1, 7 Abschn. 28.1.3).
5 Methadon ist ein μ-Opioidrezeptoragonist und
das Razemat aus linksdrehendem Levomethadon
und rechtsdrehendem D-Methadon. Methadon
113
11.2 · Präparategruppen
war früher das einzige Substitutionsmittel. Die
Dosis liegt bei 60–80 mg täglich.
5 Levomethadon besitzt die doppelte effektive und
analgetische Potenz wie das Razemat Methadon.
5 Bei Dosierungsangaben ist stets darauf zu achten, ob diese sich auf Methadon oder Levomethadon beziehen!
5 Die Therapie mit Methadon/L-Methadon ist
hochkomplex und mit hohen Risiken verbunden.
Naltrexon
5 Naltrexon ist ein μ-Opioidrezeptorantagonist und
zur Entwöhnungsbehandlung bei Opiatabhängigkeit (nach erfolgter Entgiftung) zugelassen.
5 Es besitzt kein eigenes Abhängigkeitspotenzial.
5 In der Regel handelt es sich um eine sehr gut
verträgliche Substanz. Die Gabe von Naltrexon
kann jedoch bei aktiv konsumierenden opiatabhängigen Patienten Entzugssymptome auslösen.
Vor Behandlungsbeginn sollte deshalb ein Intervall von 7–10 Tagen ohne Opiateinnahme gesichert sein.
5 Dosis: 50 mg täglich.
5 Die Therapie mit Naltrexon ist eine sinnvolle
medikamentöse Unterstützung bei der Entwöhnungsbehandlung von Opiatabhängigen nach
erfolgter Opiatentgiftung bei hoch motivierten
Patienten mit guter Compliance und ausreichender sozialer Integration.
Clonidin
5 Clonidin ist ein zentraler α2-Agonist. Er führt zu
einer Aktivitätshemmung noradrenerger Neurone im Locus coeruleus (wichtigstes noradrenerges Kerngebiet im ZNS mit hoher Opiatrezeptordichte). Clonidin hemmt Symptome
der zentralen noradrenergen Hyperaktivität wie
Tachykardie, Hypertonie, Rhinorrhö, Niesen,
Pupillenerweiterung, Piloerektion und innere
Unruhe. Verschiedene andere Kernsymptome des
Opiatentzugs, wie ausgeprägtes Opiatverlangen,
dysphorische Stimmung, Schlafstörungen, abdominelle und muskuläre Schmerzen werden nicht
gebessert.
5 Clonidin kann als Entgiftungsmittel beim Opiatentzugssyndrom eingesetzt werden. Damit
besteht die Möglichkeit zum Einsatz bei einem
vorgesehenen nichtopiat-/opioidgestützten Opiat-/Opioidentzugs. Wegen sehr häufiger Therapieabbrüche ist aber eine opiatgestütze Therapie
vorzuziehen.
11.2.7
11
Medikamente zur Behandlung
von Kokain- und AmphetaminAbhängigkeit
Die Entzugssyndrome sind in 7 Abschn. 28.1.4
beschrieben. Eine spezifische Medikation mit klinischem Nachweis steht nicht zur Verfügung.
5 Es gibt Studien bei kokainabhängigen Patienten
mit positiven Effekten von Bupropion, Desipramin, Disulfiram, Modafinil, Tiagabin und Topiramat.
5 Bei Angst- und Erregungszuständen im Rahmen
eines Kokainentzugs können Benzodiazepine eingesetzt werden.
5 Bei amphetaminabhängigen Patienten wird vom
Einsatz von SSRI aufgrund negativer Studienergebnisse abgeraten.
11.2.8
Medikamente zur Behandlung
von Ecstasy- und
Eve-Abhängigkeit
Zur Wirkung 7 Abschn. 28.1.5. Eine spezifische Medikation ist nicht bekannt.
5 Bei akut auftretenden Angst- und Erregungszuständen sind Benzodiazepine indiziert.
5 SSRI können protrahierte psychotrope Effekte,
z. B. Angststörungen und depressive Syndrome,
bei abstinenten Patienten mildern. Es besteht die
Gefahr eines Serotoninsyndroms bei gleichzeitigem Gebrauch beider Substanzen.
11.2.9
Medikamente zur Behandlung
von Abhängigkeiten von
Psychotomimetika
(LSD, Meskalin, Psilocybin)
Bei diesen Substanzen sind Horrortrips und Flashback-Psychosen Behandlungsindikationen. Es gibt
keine spezifische Pharmakotherapie der Abhängigkeit. Zur unspezifischen Therapie 7 Abschn. 28.1.6.
5 Konventionelle Antipsychotika verschlechtern
den Zustand, atypische Antipsychotika sind nicht
untersucht.
11.2.10 Medikamente zur Behandlung
von Cannabisabhängigkeit
Es gibt noch keine spezifische Therapie zur Problematik der Cannabisabhängigkeit. Hinweise zur mög-
114
Kapitel 11 · Medikamente zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzug
1
lichen Verordnung des Cannabinoid-1-Rezeptorantagonisten Rimonabant finden sich in 7 Abschn. 28.1.7.
2
11.2.11 Medikamente zur Behandlung
Andere Medikamente
Eine mögliche zukünftige Option ist der Cannabinoid-1-Rezeptorantagonist Rimonabant (Acomplia®)
(7 Abschn. 13.3).
von Nikotinabhängigkeit
3
11.3
4
Bei der psychischen und physischen Nikotinabhängigkeit (mit Toleranzentwicklung) stehen die Behandlung des Entzugssyndroms und die Nikotinentwöhnung im Vordergrund (7 Abschn. 28.1.8).
5
Nikotinersatzstoffe
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20
Medikamente zur
Behandlung von
Abhängigkeit und
Entzug in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
5 Nikotinersatzstoffe (Nikotinpflaster, Nikotinkaugummi, Nikotinnasenspray) sind beim Entzugssyndrom wirksam.
5 Nikotinersatzstoffe zeigen neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (als Selbsthilfeintervention in Einzel- oder Gruppentherapie) auch bei
der Raucherentwöhnung eine gute Wirksamkeit.
Gerade bei Abhängigkeitserkrankungen im Kindes- und Jugendalter hängt der therapeutische Erfolg
besonders von der Motivation des Patienten und den
psychosozialen Belastungsfaktoren ab. Im Kindesund Jugendalter beginnen viele Suchterkrankungen
und die Prognose, ob eine Entgiftung und Entwöhnung erfolgreich ist, hängt häufig von den ersten
Erfahrungen mit einer Therapie ab.
Bupropion
Prävention
5 Bupropion ist zur Raucherentwöhnung nikotinabhängiger Patienten in Verbindung mit unterstützenden motivierenden Maßnahmen zugelassen.
5 Es ist ein kombinierter Noradrenalin- und Dopaminrückaufnahmehemmer. Bupropion ist auch
als Antidepressivum zugelassen.
5 Die Behandlung sollte noch während des aktiven
Rauchens begonnen werden. Ab der zweiten
Behandlungswoche sollte das Rauchen beendet
werden.
5 Empfohlene Behandlungsdauer: 7–9 Wochen.
5 Die Kombinationsbehandlung von Nikotinpflastern und Bupropion wies einen additiven Effekt
auf.
Vorwiegend wird bei Kindern und Jugendlichen versucht aufklärende und präventive Maßnahmen einzusetzen. Randomisierte und kontrollierte Studien wurden vorwiegend zur Prävention von Nikotin-, Alkohol- und Cannabiskonsum durchgeführt und konnten
positive Effekte nachweisen. Dabei waren vor allem
soziale Kompetenztrainings und schulbasierte Programme wirksam (Gilvarry 2000; Thomas u. Perera
2006).
Variniclin
5 Kürzlich ist der partielle Agonist am nikotinergen Acetylcholinrezeptor Variniclin (Champix®)
zugelassen. Durch die Verdrängung des Nikotins
am Rezeptor wird die euphorisierende Tabakwirkung aufgehoben und gleichzeitig das Nikotinentzugssyndrom gelindert.
5 Variniclin ist hochwirksam. Der abstinenzerhaltende Effekt scheint dem Bupropion überlegen zu
sein. Variniclin sollte aber bei affektiven Erkrankungen nur mit großer Vorsicht verordnet werden (7 Abschn. 5.11.5).
Therapie
Therapeutisch konnte nachgewiesen werden, dass es
durch KVT-Gruppenprogramme, Selbsthilfegruppen
und Familientherapien zu einer Reduktion des Substanzkonsums bei Jugendlichen kam (Gilvarry 2000).
Bei Intoxikationen und bei starken Entzugssymptomen sind medikamentöse Therapien notwendig.
Die meisten Jugendlichen mit einer Abhängigkeitserkrankung zeigen kaum Entzugssymptome (Gilvarry 2000).
Die Wirksamkeit einer Methadontherapie bei
opiatabhängigen Kindern und Jugendlichen ist noch
nicht endgültig geklärt (Gilvarry 2000).
Komorbiditäten
Komorbiditäten wie Ängste und Depressionen sollten
mit SSRI und drogeninduzierte Psychosen mit Antipsychotika behandelt werden (Fleischhaker et al.
2002).
11.4 · Checkliste
Lithium hat eine gute Wirksamkeit bei Kindern
und Jugendlichen mit bipolaren Störungen mit Substanzabusus gezeigt (Gilvarry 2000).
Auf das Thema »ADHS und Sucht« wird in
7 Kap. 28 eingegangen. Kinder mit einer ADHS, die
nicht mit Psychostimulanzien behandelt werden,
haben ein größeres Risiko eine Suchterkrankung zu
entwickeln, als Kinder mit ADHS ohne Psychostimulanzientherapie (Selbstmedikation). Allerdings stellt
ein großes Problem der Schwarzmarkt für Psychostimulanzien (z. B. auf dem Schulhof) dar, wenn Jugendliche mit einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens ihre Medikation mit in die Schule nehmen,
weil sie mittags eine zweite Dosis benötigen. Durch
tägliche Einmalgabe einer Retardmedikation lässt sich
das Problem verbessern (Greenhill 2006).
11.4
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
Was ist das Mittel der ersten Wahl zur Alkoholentgiftung?
Welche Medikamente haben sich bei der
Rückfallprophylaxe der Alkoholabhängigkeit
bewährt?
Welche Vorteile bietet Buprenorphin bei der
Substitutionsbehandlung der Opiatabhängigkeit?
Durch welche medikamentöse Darreichungsform lässt sich der Schwarzmarkt für Psychostimulanzien vermindern?
115
11
117
12.1 ·
12
Medikamente zur Behandlung von
sexuellen Störungen
12.1
Einteilung
– 118
12.2
Wirkungsmechanismus
12.2.1
12.2.2
PDE-5-Hemmer – 118
Sexualhormone – 119
12.3
Allgemeine Therapieprinzipien
12.4
Indikationen
12.4.1
12.4.2
12.4.3
12.4.4
12.4.5
Erektionsstörungen – 120
Vermindertes sexuelles Verlangen – 120
Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau – 120
Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen – 120
Gesteigertes sexuelles Verlangen und Paraphilie – 120
12.5
Präparategruppen
12.5.1
PDE-5-Hemmer – 121
12.6
Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen
im Kindes- und Jugendalter – 122
12.7
Checkliste
– 118
– 119
– 120
– 122
– 121
118
Kapitel 12 · Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen
12.1
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20
Einteilung
Sexuelle Störungen konnten bis zur Einführung des
ersten Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmers (PDE-5Hemmer) Sildenafil nur sehr bedingt und ohne Wirksamkeitsnachweis behandelt werden. Möglich war die
hormonelle Substitution bei Hormondefizit und die
Hemmung der sexuellen Aktivität durch Cyproteronactetat (7 Abschn. 12.2.2 und 7 Abschn. 26.1 bis 26.3
und 26.5).
Definition
Zur Zeit verfügbare wichtige Präparate zur Behandlung sexueller Störungen:
5 Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmer:
Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil
5 α2-Antagonist als Mittel gegen erektile
Dysfunktion:
Yohimbin
In den letzten Jahrzehnten gab es viele Ansätze über
Veränderungen des Stoffwechsels der zentralen Neurotransmitter Dopamin und Serotonin das sexuelle Verhalten auch beim Menschen therapeutisch zu
beeinflussen. Die Erfolge waren, von den Anfängen
mit L-DOPA (Benkert et al. 1972) bis zu der vorübergehenden Markteinführung des Dopaminagonisten
Apomorphin nur marginär.
Vorübergehende Alternativen (lokale Applikation
von Prostaglandinen, Schwellkörper-Autoinjektionstherapie und mechanische Hilfen (wie z. B. Vakuumpumpen und Penisprothesen) haben jetzt an Bedeutung verloren und sind nur bei Kontraindikationen
oder Nichtansprechen auf PDE-5-Hemmer indiziert.
Als weiteres Präparat ist Yohimbin, ein zentral und
peripher wirkender α2-Antagonist zu nennen. Yohimbin ist zwar gegen erektile Dysfunktion zugelassen, hat
aber begrenzte Wirksamkeit und ein hohes Nebenwirkungsrisiko.
Nach Vorschlag der WHO können drei Therapiestufen unterschieden werden:
5 primär: Sexualtherapie und orale Pharmakotherapie,
5 sekundär: lokale Pharmakotherapie und Vakuumsysteme,
5 tertiär: Schwellkörperimplantate.
Erst die Entdeckung der Wirkung der PDE-5-Hemmer
bei Erektionsstörungen führte zu einem Durchbruch
in der Therapie sexueller Störungen. Trotz der signifikanten medikamentösen Therapieerfolge ist eine Psychotherapie, wenn möglich immer unter Einbeziehen
der Partner, Voraussetzung für eine adäquate und längerfristig erfolgreiche Behandlung (7 Abschn. 26.7).
Es ist bisher allerdings nicht gelungen medikamentöse Ansätze bei den anderen sexuellen Störungen, besonders bei der Frau, zu finden.
12.2
Wirkungsmechanismus
Beschrieben wird der Wirkungsmechanismus der für
die Therapie relevanten Gruppen, den PDE-5-Hemmern und den Sexualhormonen. Weitere Ausführungen hierzu und zu den anderen bei Sexualstörungen möglicherweise wirksamen Medikamenten
finden sich bei Müller et al. (2008).
12.2.1
PDE-5-Hemmer
5 Orale PDE-5-Hemmer führen zu einer vermehrte Relaxation der glatten Muskulatur und damit
einer Erektionsverbesserung. Die PDE-5-Hemmer verhindern einen Abbau der interazellulären
Transmitter cAMP und cGMP. Diese akkumulieren und führen zur verbesserten Relaxation.
5 Die einzelnen Schritte in der Kaskade der PDE-5Hemmern zur Regulation der Erektion sind:
> Sexuelle Stimulation o penile NO-Ausschüttung
durch Endothel- und nonadrenerge-noncholinerge
Nervenzellen o Aktivierung der Guanylzyklase o
cGMP-vermittelte Verminderung des Ca-Einstroms
in die glatte Muskulatur des Corpus cavernosum o
Relaxation der glatten Muskulatur o Bluteinstrom in
Cavernosum-sinusoide o Erektion.
5 Die endotheliale NO-Synthase synthetisiert aus
der Aminosäure L-Arginin unter Beteiligung von
Tetrahydrobiopterin, Kalzium und Calmodulin NO.
5 NO wirkt vor allem als Transmitter bei der zellulären Kommunikation im mikrovaskulären
Gefäßsystem, führt zu einer Relaxation der
glatten Muskelzellen, hemmt deren Wachstum
und blockiert die Plättchen- und Leukozytenaggregation. Androgene und Östrogene modulieren
den Prozess.
119
12.3 · Allgemeine Therapieprinzipien
12.2.2
Sexualhormone
Androgene
5 Wichtige Androgene sind das Dihydrotestosteron
mit der stärksten androgenen Wirkung, Testosteron und Dehydroepiandrosteron (DHEA).
Funktionen sind, neben metabolischen Effekten, die Ausbildung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, die Spermiogenese
und die Steigerung der sexuellen Appetenz (beim
Mann und der Frau).
5 Testesteron hat zwischen dem 20. und
60. Lebensjahr beim Mann einen relativ konstanten Spiegel. Nach dem 60. Lebensjahr wird häufig ein deutlicheres Absinken festgestellt und ist
wahrscheinlich eine wichtige Ursache für die
häufigen sexuellen Störungen beim Mann im
höheren Lebensalter.
5 Die Unterschreitung eines kritischen Androgenschwellenwertes (Hypogonadismus) geht besonders mit Libidostörungen einher. Auch Reizbarkeit und Depression können hinzutreten (Meston
u. Frohlich 2000), sodass gerne von einem »Klimakterium virile« gesprochen wird.
5 Bei Frauen wird für die nachlassende Libido und
andere Sexualstörungen, neben verminderten
Östrogenen, auch der abfallende Androgenspiegel verantwortlich gemacht.
Östrogene und Gestagene
5 Bei einem Östrogenmangel kommt es, über die
vaskulären und metabolischen Effekte hinaus, zu
einer verminderten Lubrikation. Weiterhin können Depressionen, besonders auch mit Schlafstörungen, verminderter sexueller Aktivität und
kognitiven Einbußen die Folge sein.
5 Obwohl ein direkter Zusammenhang zwischen
diesen klimakterischen Beschwerden mit der
Östrogenkonzentration nicht gefunden wurde,
bessert eine Hormonsubtitution die Beschwerden, auch die sexuelle Dysfunktion, oft deutlich
(Bachmann u. Leiblum 2004). Die lokale Applikationen von Östrogenen fördert die Lubrikation. Bei einem oft auch bei der Frau vorliegendem
Androgendefizit wird die Kombination von
Östrogenen und Androgenen empfohlen. Allerdings wird die Wirkung in einer neuen Studie
auch in Frage gestellt (7 Abschn. 15.6).
5 Gestagene (Progesteron) werden zur Therapie der
sexuellen Dysfunktion der Frau nicht eingesetzt.
12
Antiadrogene
5 Das Antiadrogen Cyproteronacetat führt zu
einem Abfall von Testosteron (und Östrogen)
mit einer Libido- und Erektionsminderung und
Hemmung der Spermatogenese, die zur Sterilität
führt. Sie ist innerhalb von 3–6 Monaten reversibel.
12.3
Allgemeine
Therapieprinzipien
5 Die Behandlung sexueller Funktionsstörungen
besteht, indikationsabhängig mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, zumeist aus einer
Kombination aus Psychotherapie (in der Regel
Verhaltenstherapie oder Paartherapie im Rahmen einer Sexualtherapie) und medikamentösen
Maßnahmen im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans.
5 Dies gilt immer für den Einsatz der PDE-5-Hemmern bei Erektionsstörungen mit vorwiegend
psychischen Ursachen. Bei sicher organischen
Ursachen, besonders auch im Alter, ist eine alleinige Pharmakotherapie mit begleitender Psychoedukation zu akzeptieren.
5 Es werden hier die pharmakotherapeutischen
Ansätze beschrieben. Wird eine hormonelle Therapie erwogen, ist immer der Urologe bzw. Gynäkologe und ggf. der Endokrinologe einzubeziehen.
Cave
5 Die Indikation zur Hormonsubstitution ist
durch die kürzlich bekannt gewordenen
Risiken für Mammakarzinom, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall stark
eingeengt.
5 Nur bei starken klimakterischen Beschwerden wird vorübergehend die niedrigst mögliche Hormonsubstitution empfohlen.
5 Sehr individuell sind die Risiken eines
Östrogenmangels besonders mit Osteoporose und psychischen Beschwerden und
sexuellen Dysfunktionen gegen den Nutzen
abzuwägen.
120
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Kapitel 12 · Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen
12.4
Indikationen
12.4.1
Erektionsstörungen
5 Bei erektiler Dysfunktion sind PDE-5-Hemmer
Mittel der Wahl. Sie werden von der überwiegenden Mehrheit der Patienten bevorzugt.
5 Es stehen drei PDE-5-Hemmer zur Verfügung: Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil (7 Abschn. 12.5).
5 Vergleichsstudien zwischen den Präparaten
zeigten keine entscheidenden Unterschiede in
Wirksamkeit und Nebenwirkung.
5 Die Bevorzugung einer Substanz hängt vom individuellen Einsatzwunsch (Wirkdauer) ab, es
zeichnet sich aber ein Trend zu Präparaten mit
längerer Wirkdauer ab (7 Abschn. 12.5).
5 Langzeituntersuchungen (1–2 Jahre) zeigten keinen Wirkungsverlust.
5 Testosteronsubstitution ist nur bei nachgewiesenem Hypogonadismus empfehlenswert.
5 Im Rahmen von Anti-Aging-Programmen wird
häufig bei älteren Männern die Einnahme von
DHEA (7 Abschn. 12.2.2) und niedrigen Dosen
Testosteron empfohlen. Über das Nebenwirkungsrisiko hinaus zeigten kontrollierte Studien
gegen Placebo keine überzeugenden Wirkungen,
auch nicht auf die Lebensqualität insgesamt.
Cave
Bei Männern muss bei einer Testosteron und
DHEA-Therapie immer das Risiko eines androgenabhängigen Zellwachstums, z. B. bei nicht erkanntem Prostatakarzinom, beachtet werden.
14
Vermindertes sexuelles
Verlangen
12.4.2
16
5 In 7 Abschn. 26.2 wird die risikoreiche Hormonersatztherapie diskutiert. Selbst die positive
Wirkung von Testosteron ist nicht abgesichert
(7 Abschn. 15.6).
18
19
20
Cave
Auf das erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen und Mammakarzinom und ein erhöhtes
Schlaganfallrisiko in der Menopause bei Einnahme von niedrig dosierten Östrogenen, besonders
in Kombination mit Progesteron, muss deutlich
hingewiesen werden.
Störungen der sexuellen
Erregung bei der Frau
5 Eine Therapie ist nicht etabliert (7 Abschn. 26.3).
5 Es gibt einige Studien zum Einsatz von Sildenafil bei sexuellen Dysfunktionen von Frauen, insbesondere mit Erregungsstörung. Die Ergebnisse
sind nicht einheitlich.
12.4.4
Ejaculatio praecox und
Orgasmusstörungen
5 Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) können
zu einer Ejakulationsverzögerung führen. Diese Nebenwirkung kann bei Ejaculatio praecox
genutzt werden.
5 Die Ansprechraten liegen für SSRI zwischen 50 und 85%. Typische Nebenwirkungen
(7 Abschn. 5.6) treten bei 35% der Patienten auf.
5 Andere sexuelle Funktionsstörungen wie Anorgasmie, Libidostörungen oder Erektionsstörungen können neu hinzutreten.
5 Die SSRI Sertralin (50–100 mg) und Fluoxetin (20–40 mg) sind in Studien gut geprüft. Eine
Zulassung besteht nicht.
5 Zu Beginn der Behandlung sollte eine tägliche Einnahme erfolgen, später kann eine »Ondemand«-Verabreichung folgen (Einnahme 2–6 h
vor dem gewünschtem Sexualverkehr).
5 Nach Absetzen der Therapie kam es in den meisten Fällen wieder zur Ejaculatio praecox wie vor
Behandlung.
12.4.5
15
17
12.4.3
Gesteigertes sexuelles
Verlangen und Paraphilie
5 Das Antiandrogen Cyproteronacetat (Androcur®)
ist zur Behandlung schwerer Hypersexualität
und sexueller Deviationen bei Männern (auch im
Rahmen demenzieller Erkrankungen) geeignet
und zugelassen. Die Verordnung erfolgt durch
den Endokrinolgen.
5 Häufigste Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme und Antriebsstörungen, manchmal auch
Depressionen.
5 Symptomatische Besserungen werden nur bei
35–95% der Patienten erreicht.
5 Absetzen einer wirksamen Therapie ist mit einem
hohen Rückfallrisiko verbunden.
5 SSRI können, analog zur Wirkung bei den verwandten obsessiven Erkrankungen, in höheren
121
12.5 · Präparategruppen
Dosierungen sowohl eine Verminderung des
sexuellen Verlangens bewirken als auch deviante
sexuelle Phantasien und Praktiken bessern.
5 Antipsychotika (7 Kap. 7) können bei Hypersexualität im Rahmen von demenziellen Störungen
mit Aggressivität versucht werden. Die Effekte
sind nicht sicher.
5 Als Therapiealternative für Paraphilien und sexuell abweichendes Verhalten (Sadismus, Pädophilie, Exhibitionismus und Voyeurismus) werden
jetzt LHRH-Antagonisten, insbesondere Leuprorelinacetat, weiter untersucht und sind vielversprechend. Auch mit dem Gestagen Medroxyprogesteron werden gute therapeutische Erfolge
berichtet.
12.5
Präparategruppen1
5 Unter den Medikamenten zur Behandlung sexueller Störungen haben die PDE-5-Hemmer zur
Behandlung von Erektionsstörungen eine dominierende Stellung. Sie sind wirksam, nebenwirkungsarm und zugelassen.
5 Auch Cyproteronacetat zur Behandlung der
Hypersexualität ist zugelassen, sollte aber nur
vom Endokrinolgen verschrieben werden.
12.5.1
12
PDE-5-Hemmer
Es gibt drei PDE-5-Hemmer. Sildenafil war der erste
zugelassene PDE-5-Inhibitor zur Behandlung der
erektilen Dysfunktion.
5 Vor einer medikamentösen Behandlung muss
eine Diagnosestellung und Ursachenklärung
erfolgen und der kardiovaskuläre Status muss
bekannt sein.
5 Häufigste Nebenwirkungen sind: Kopfschmerzen,
Flush, Schwindel und Sehstörungen (erhöhte
Lichtempfindlichkeit, unscharfes Sehen.
5 Patienten, denen von sexueller Aktivität abzuraten ist, v. a. mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. instabile Angina pectoris, schwere Herzinsuffizienz) sollten keine PDE-5-Hemmern einnehmen. Auch Patienten mit Hypotonie
und kürzlich erlittenem Schlaganfall oder Herzinfarkt (<3–6 Monate) sollten vor PDE-5-Hemmern gewarnt werden. Auch schwere Leberstörungen sind ein Ausschluss.
5 Wechselwirkungen sind bei allen PDE-5-Hemmern zu beachten. Besonders ist die Addition des
blutdrucksenkenden Effekts von Antihypertensiva oder anderen Substanzen mit blutdrucksenkenden Eigenschaften möglich. Bei Behandlung
mit α-Rezeptorenblockern besteht erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen.
Cave
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
Die Kombination mit Nitraten oder anderen NODonatoren ist eine Kontraindikation.
. Tab. 12.1. PDE-5-Hemmer
Präparat
Dosis
Wirkungsdauer
Einnahmezeitpunkt
Bemerkungen
Sildenafil
Viagra®
25–100 mg
4–5 h
ca.1 h vor sexueller
Aktivität
Breite Datenbasis
vorhanden
Tadalafil
Cialis®
10–20 mg
24–36 h; längste HWZ
ca. 30 min bis 12 h vor
sexueller Aktivität
Keine Anpassung der
Dosis im höheren Alter
oder bei Diabetes nötig
Vardenafil
Levitra®
5–20 mg
4–5 h
ca. 25 min bis 1 h vor
sexueller Aktivität
Erreicht am schnellsten
den gewünschten
Plasmaspiegel
HWZ Halbwertszeit.
122
Kapitel 12 · Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen
12.7
1
2
3
4
5
6
Therapieempfehlung für Medikamente zur Behandlung von sexuellen Störungen
5 Bei Erektionsstörungen sind PDE-5-Hemmer die
Mittel der Wahl. Sie sind wirksam und risikoarm. Die
Anwendungsbeschränkungen sind aber dringend zu
beachten.
5 Bei Ejaculation praecox können SSRI versucht werden.
5 Die hormonelle Therapie bei Libidominderung ist in
ihrer Wirkung nicht gesichert und risikoreich.
5 Bei gesteigertem sexuellen Verlangen und Paraphilie
ist ein Versuch mit Cyproteronacetat durch den Endokrinolgen angezeigt.
7
12.6
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Checkliste
Fazit
Medikamente zur
Behandlung von sexuellen
Störungen im Kindes- und
Jugendalter
Von den beschriebenen Substanzen und erwähnten
Indikationen kommen für die Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. forensische Jugendpsychiatrie nur
die Antiandrogene zur Behandlung von adoleszenten
Sexualstraftätern oder Straftätern mit extrem hohem
Aggressionspotenzial in Betracht. Der Testosteronspiegel korreliert bei Kindern und Jugendlichen positiv mit dem Aggressionspotenzial (Scerbo u. Kolko
1994). Bei leichteren Störungen können Straftäter mit
Antidepressiva oder Antipsychotika behandelt werden, bei massiven Gewaltverbrechen können dann
die Antiandrogene wie Cyproteronacetat in Erwägung
gezogen werden (Geradin u. Thibaut 2004).
?
1.
2.
3.
Welche Medikamentengruppe ist das Mittel
der Wahl bei der Pharmakotherapie der
erektilen Dysfunktion?
Welche sexuellen Störungen sind unter SSRI
häufig?
Welche Möglichkeiten der pharmakologischen Behandlung von sexuell deviantem
Verhalten kennen Sie?
123
13.1 ·
13
Antiadiposita
13.1
Einteilung
– 124
13.2
Präparategruppen
13.3
Antiadiposita in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
13.4
Checkliste
– 125
– 124
– 124
124
Kapitel 13 · Antiadiposita
13.1
1
2
3
Durch die Behandlungsmöglichkeit der Adipositas
mit Medikamenten erweitert sich auch das Therapiespektrum der Psychopharmakotherapie. Psychologen und Psychotherapeuten werden im Rahmen der
Behandlung einer Adipositas immer häufiger auch
mit der Gruppe der Antiadiposita konfrontiert.
4
Definition
Antiadiposita beschreibt eine Gruppe von Medikamenten, die bei Adipositas regulierend eingreifen sollen.
5 Lipasehemmer:
Orlistat
5 Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer:
Sibutramin
5 Cannabinoid-1-Rezeptorantagonist:
Rimonabant
5
6
7
8
9
10
11
12
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15
16
17
18
19
20
Einteilung
Die Therapieprinzipien der Behandlung der Adipositas finden sich im Kapitel der Essstörungen (7 Kap. 23).
Dort wird auch auf die Problematik der Gewichtszunahme unter Antipsychotika und – seltener – unter
Antidepressiva hingewiesen.
Medikamentöse Therapien waren lange Zeit in der
Indikation Adipositas nicht zugelassen und z. T. auch
sehr risikoreich. Eingenommen wurden als »Schlankheitspillen« vor allem Psychostimulanzien, Laxanzien,
Diuretika, L-Thyroxin oder Nikotin. Andere zentral
wirksame Präparate wie Fenfluramin und Dexfenfluramin hatten den Nachteil starker Nebenwirkungen;
diese beiden Präparate sind aus dem Handel genommen.
13.2
Präparategruppen1
Über einige Jahre sind die Antiadiposita Orlistat und
Sibutramin im Handel. Über das kürzlich zugelassene
Rimonabant müssen zunächst noch weitere Erfahrungen gesammelt werden.
5 Orlistat ist ein Lipasehemmer, der nur im Darm
wirksam ist. 30% des aufgenommenen Fetts werden unverdaut wieder ausgeschieden. Die Wirkung auf die Fettverdauung beginnt nach ca.
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
2 Tagen, erreicht nach 4 Tagen ein Maximum und
klingt 2–3 Tage nach Absetzen wieder ab.
5 Sibutramin ist ein dem Antidepressivum Venlafaxin ähnlicher, zentral wirkender kombinierter
Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer; er wirkt aber nicht antidepressiv. Sibutramin
wirkt wahrscheinlich über eine Appetitreduktion
und Zunahme der Thermogenese.
5 Rimonabant ist ein Cannabinoid-1-Rezeptorantagonist. Die zentrale Gewichtszügelung scheint
aber nur dann wirksam zu sein, wenn die Betroffenen auch konsequent ihren Lebensstil ändern.
Rimonabant ist zwar bei pathologischem Übergewicht und gleichzeitigem Vorliegen weiterer
metabolischer Risikofaktoren zugelassen, kann
aber zzt. keinesfalls bei gleichzeitig bestehenden
psychischen Störungen empfohlen werden.
. Tabelle 13.1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Antiadiposita sowie deren Dosis und Nebenwirkungen.
Fazit
Therapieempfehlung für Antiadiposita
5 Eine medikamentöse Therapie sollte immer von
verhaltenstherapeutischen (mit Selbsthilfemanualen)
und diätetischen Maßnahmen begleitet werden.
5 Eine Empfehlung für eines der 3 Antiadiposita ist auf
Grund der relativ kurzen klinischen Erfahrung noch
nicht möglich; alle haben deutliche Nebenwirkungen.
13.3
Antiadiposita in der Kinderund Jugendpsychiatrie
Bei Adipositas sollten sich die therapeutischen Maßnahmen im Kindes- und Jugendalter auf die Aufklärung, Prävention und verhaltenstherapeutischen
Maßnahmen beschränken. Eine medikamentöse Therapie außerhalb klinischer Studien ist momentan aus
fachärztlicher Sicht nicht zu empfehlen und nur bei
extremer Adipositas indiziert.
Orlistat und Sibutramin sind zur Behandlung der
Adipositas auch im Jugendalter (ab 12 Jahren) zugelassen.
125
13.4 · Checkliste
13
. Tab. 13.1. Antiadiposita
Präparat
Dosis
Indikation mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen
Bemerkungen
Orlistat
Xenical®
3-mal 120 mg
tgl.
Adipositas
Inkontinenzsymptome
mit Diarrhö, Völlegefühl
Hypokalorische Diät;
Vorteil: lokale Wirkung
Rimonabant
Acomplia®
20 mg tgl.
Adipositas mit
vorliegenden metabolischen Risikofaktoren
Übelkeit, Schwindel,
Depression, Angst
zusätzlich zu Diät und
Bewegung; Cave: psychische Störungen
Sibutramin
Reductil®
10 mg tgl.
Adipositas
Appetitlosigkeit,
Schlaflosigkeit
Cave: Hypertonie;
Wechselwirkungen beachten (z. B. SSRI)
13.4
Checkliste
?
1.
Welche Wirkprinzipien der medikamentösen
Therapie der Adipositas kennen Sie?
127
14.1 ·
14
Medikamente zur Behandlung von
ADHS, Hypersomnien und
Bewegungsstörungen
14.1
Einteilung
– 128
14.2
Präparategruppen
14.3
Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien
und Bewegungsstörungen in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie – 130
14.3.1
14.3.2
14.3.3
ADHS in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Hypersomnien – 132
Bewegungsstörungen – 132
14.4
Checkliste
– 132
– 128
– 130
128
Kapitel 14 · Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstörungen
14.1
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Einteilung
Die Präparate dieses Kapitels werden durch Psychostimulanzien dominiert. Sie können z. T. zur Abhängigkeit führen und unterliegen deshalb dem Betäubungsmittel- (BtM-)Gesetz (Methylphenidat, Modafinil).
Unter sorgfältiger ärztlicher Kontrolle sind es aber
wertvolle und sichere Arzneimittel bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitässtörungen (ADHS) bzw.
hyperkinetischen Störungen (HKS) und Hypersomnien. Grundsätzlich kann auch die Behandlung mit
anderen Psychostimulanzien wie d-Amphetamin, dlAmphetamin und Pemolin erwogen werden; sie sind
aber nur zweite Wahl (7 Abschn. 14.3.1).
Das neuentwickelte Atomexetin muss sich in der
Praxis bei ADHS, ebenso wie das Natriumoxybat bei
Narkolepsie noch bewähren.
In der Gruppen der Medikamente zur Behandlung von Bewegungsstörungen gibt es in den letzten
Jahren mehrere Neuentwicklungen (7 Abschn. 14.2),
die auf dem Prinzip der dopaminagonistischen Wirkung beruhen.
14.2
Präparategruppen1
Atomoxetin
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Der neue selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer Atomoxetin ist in den USA gut untersucht und
reduziert bei ADHS Impulsivität, Hyperaktivität und
Aufmerksamkeitsstörung, ist aber bei Erwachsenen nicht zugelassen. Atomoxetin ist eine alternative Therapieoption zu den Psychostimulanzien in der
Behandlung der ADHS. Studienergebnisse und bisherige klinische Erfahrungen lassen eine vorläufig
positive Bewertung zu, Langzeitbeobachtungen müssen abgewartet werden. Ein Abhängigkeitspotenzial
besteht nicht.
Methylphenidat
Methylphenidat wird vor allem bei ADHS und als Mittel der zweiten Wahl auch bei Hypersomnien eingesetzt. Methylphenidat muss allerdings bei Erwachsenen »off-label« (d. h. mit einem zulassungsüberschreitenden Einsatz), verordnet werden. Die Problematik des möglichen Abhängigkeitsrisikos wird in
7 Abschn. 27.2.1 besprochen. Dort wird auch die klinische Wirkung beschrieben. Die verpflichtende Auf-
1
Eine Übersicht über die im Leitfaden genannten
Wirkstoffe mit den jeweiligen Handelsnamen gibt
. Tab. A1 im Anhang.
bewahrung der BtM-Rezepte für den einzelnen Patienten bietet eine gute Kontrollmöglichkeit des Einnahmeverhaltens.
Die Substanz blockiert den Dopamintransporter,
wodurch es zur Rückaufnahmehemmung von Dopamin aus dem synaptischem Spalt kommt (langsamere
Kinetik als das ähnlich wirkende Kokain). Ebenso
erfolgt eine Hemmung der noradrenergen Wiederaufnahme.
Das Präparat muss oft langfristig verordnet werden; die BtM-Pflicht erschwert diesen Vorgang. Nur
im Hochdosisbereich ist nach 6–9 Monaten eine Wirkungsabschwächung beschrieben.
Seit einiger Zeit stehen Retardpräparate von
Methylphenidat (. Tab. 14.1) zur Verfügung. Diese
ermöglichen eine vereinfachte Verabreichung. Es liegen jetzt auch erste positive gegen placebokontrollierte Daten über 24 Wochen mit Methylphenidat
(10–30 mg/Tag) vor.
Wichtig
5 Die Verordnung von Methylphenidat ist
BtM-pflichtig. Methylphenidat besitzt als
dopaminerg wirkendes Psychostimulans
grundsätzlich ein Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial.
5 Die Zulassung bei Erwachsenen bei ADHS
wird noch geprüft.
Modafinil
Modafinil wird als Psychoanaleptikum bezeichnet und
hat ebenfalls einen psychostimulierenden Effekt. Es ist
bei der Narkolepsie und beim Schlafapnoesyndrom
indiziert. Es gibt Hinweise, dass es auch bei ADHS
wirksam ist. Das Ausmaß des Abhängigkeitsrisikos
von Modafinil ist noch nicht endgültig geklärt, es ist
aber deutlich geringer als von Methylphenidat.
Die Förderung der Wachheit durch Modafinil
scheint über das noradrenerge Transmittersystem zu
laufen. Daneben wird auch das serotonerge Transmittersystem beeinflusst.
Die Responderrate für die Tagesmüdigkeit liegt
bei etwa 70%, eine positive Wirkung auf kataplektische Anfälle konnte allerdings nur bei etwa 5% der
Patienten festgestellt werden. Die Therapie bei Narkolepsie ist langjährig.
129
14.2 · Präparategruppen
14
. Tab. 14.1. Medikamente zur Behandlung von ADHS und Hypersomnien
Präparat
Dosis
Indikation mit
Zulassung
Wichtigste
Nebenwirkungen
Bemerkungen
Atomoxetin
Strattera®
Initial: 40 mg tgl.; maximal 100 mg tgl.
ADHS, aber nicht
bei Erwachsenen
zugelassen
Appetitminderung,
Schlafstörungen
Kein Abhängigkeitspotenzial
Methylphenidat
Equasym®
Medikinet®
Ritalin®
Initial: 5–10 mg tgl.;
maximal 60 mg;
Bei Narkolepsie: 20–
30 mg tgl.
ADHS, aber nicht
bei Erwachsenen
zugelassen; bei
Narkolepsie nur
Ritalin® zugelassen
Schlafstörungen, Appetitminderung, Tachykardie,
Blutdruckerhöhung
Cave: Missbrauchs- und
Abhängigkeitsrisiko
HWZ 2 h; Razemat;
BtM-pflichtig
Methylphenidat
Concerta®
Medikinet
retard®
Zunächst Dosis mit
unretardiertem Präparat herausfinden
ADHS, aber nicht
bei Erwachsenen
zugelassen
Wie oben
Retardpräparat;
Wirkdauer 12 h;
BtM-pflichtig
Modafinil
Vigil®
200–400 mg tgl.
Narkolepsie;
Schlafapnoesyndrom
Kopfschmerzen; Nervosität, Schlaflosigkeit, Angst
BtM-pflichtig; Cave:
nicht bei Bluthochdruck
und Abhängigkeitsentwicklungen
Natriumoxybat
Xyrem®
4,5–9 g tgl.
Kataplexie bei
Narkolepsie
Schwindel, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit
Regulierter Einnahmemodus
HWZ Halbwertzeit; BtM Betäubungsmittel.
Wichtig
Modafinil untersteht der BtM-Pflicht. Es gibt erste
Berichte über missbräuchlichen Einsatz als Partydroge. Eine Einstellung auf Modafinil sollte nur in
spezialisierten Facheinrichtungen erfolgen.
Natriumoxybat
Natriumoxybat zeigt eine antikataleptische Wirkung
bei Narkolepsie.
Das Natriumsalz der Gammahydroxybuttersäure
wirkt in pharmakologischer Dosis als GABAB-Rezeptoragonist, hat aber auch dopaminerge, opioide und
serotonerge Effekte.
Der genaue Wirkmechanismus bei Kataplexie ist
unbekannt. Es wird angenommen, dass Natriumoxybat durch die Förderung des langsamen (δ-)WellenSchlafes wirkt und den nächtlichen Schlaf festigt.
Die Behandlung muss unter Anleitung eines
Arztes, der Erfahrungen in der Behandlung von
Schlafstörungen hat, durchgeführt werden.
Es wurde über Fälle von Abhängigkeit nach illegaler Anwendung von häufig wiederholten Gaben
von Natriumoxybat berichtet, die weit über dem therapeutischen Dosisbereich lagen. Das Auftreten einer
Abhängigkeit in therapeutischen Dosen kann zzt.
noch nicht ausgeschlossen werden. In seltenen Fällen
wurden Entzugssymptome gesehen.
Antidepressiva
Antidepressiva mit einer vorwiegend noradrenergen
Rückaufnahmehemmung wie Nortriptylin, Desipramin und Reboxetin sowie Venlafaxin mit dem kombiniert serotonerg/noradrenergen Wirkmechanismus stellen eine gute Alternative zu den Psychostimulanzien in der Behandlung der ADHS des Erwachsenen dar. Auch für MAO-Hemmer (7 Kap. 5)Tranylcypromin und Selegilin liegen positive Erfahrungen vor.
Die Dosierungen liegen in Bereichen der antidepressiven Behandlung; es sollte in jedem Falle zunächst
mit einer niedrig bis mittleren Dosierung begonnen
werden, um die Ansprechrate zu überprüfen.
Antidepressiva sind besonders bei komorbider
Suchterkrankung indiziert. Die Kontrollbedingungen
im therapeutischen Setting müssen dann sehr engmaschig sein (regelmäßiges Drogenscreening).
130
Kapitel 14 · Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstörungen
Dopaminagonisten
1
2
3
4
5
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9
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15
16
17
18
19
20
Dopaminagonisten sind eine neu entwickelte Substanzklasse für die Behandlung von »Restless-legs«Syndrom (RLS) und »periodic limb movements in
sleep« (PLMS) (7 Kap. 32). Sie werden primär vom
Neurologen verordnet. Es sind bei RLS L-DOPA/aromatische Aminosäuredecarboxylase (AADC)-Inhibitorpräparate (Restex®). Vorteile von L-DOPA sind der
schnelle Wirkungseintritt (innerhalb einer Stunde
nach der Ersteinnahme) und die gute Steuerbarkeit.
Weiterhin gibt es dopaminagonistisch wirkende
Ergot-Derivate (z. B. Bromocriptin, Cabergolin, Lisurid, Pergolid) und neue Nicht-Ergot-Derivaten (Ropinirol, Pramipexol).
Die therapeutischen Dosen sind deutlich niedriger als bei der Parkinson-Therapie.
. Tabelle 14.1 gibt eine Übersicht über die Präparate zur Behandlung von ADHS und Hypersomnien.
14.3
Medikamente zur
Behandlung von ADHS,
Hypersomnien und
Bewegungsstörungen
in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
14.3.1
ADHS in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
Multimodale Therapie
In der Regel ist eine multimodale Therapie notwendig. Die wesentlichen Komponenten der multimodalen Behandlung sind psychoedukative, psychosoziale, psychotherapeutische und medikamentöse Interventionen. Die häufig vorkommenden komorbiden
Störungen bedürfen zu meist ebenfalls einer therapeutischen Intervention. Die psychotherapeutischen
Ansätze basieren auf verhaltenstherapeutischen Prinzipien.
Fazit
Medikamentöse Therapie
Therapieempfehlung für Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstörungen
5 Methylphenidat ist ein wirksames Medikament bei
ADHS, auch bei Erwachsenen. Es muss »off-label«
verordnet werden und ist BtM-pflichtig. Es besteht
ein Abhängigkeitsrisiko.
5 Modafinil ist bei Narkolepsie und beim Schlafapnoesyndrom indiziert. Es hat einen psychoanaleptischen
Effekt. Das Abhängigkeitsrisiko ist noch nicht endgültig geklärt. Es besteht BtM-Pflicht und hat ein hohes
Nebenwirkungspotenzial.
5 Atomoxetin muss sich als neue Therapieoption bei
ADHS noch bewähren.
5 Natriumoxybat kann jetzt bei Narkolepsie wirksam
eingesetzt werden. Es besteht ein strikt regulierter
Einnahmemodus.
5 »Restless-legs«-Syndrom und »periodic limb movements in sleep« können jetzt mit mehreren dopaminagonistischen Alternativen behandelt werden.
In der medikamentösen Behandlung sind Psychostimulanzien (Methylphenidat, Amphetaminsaft)
auf Grund ihrer erwiesenen Wirksamkeit Medikamente der ersten Wahl. Als Medikament der zweiten Wahl wird Atomoxetin momentan angesehen,
bei zusätzlichen begleitenden emotionalen Auffälligkeiten gehört es auch zur ersten Wahl. TZA, Clonidin, Modafinil und Antipsychotika sind Medikamente
der dritten Wahl und sollten nur angewendet werden,
wenn die Medikamente der ersten und zweiten Wahl
nicht wirksam sind oder starke Nebenwirkungen verursachen.
Methylphenidat und andere Psychostimulanzien
Die Indikation zur Therapie mit Psychostimulanzien
ist gegeben, wenn die Symptomatik ausgeprägt ist
und psychoedukative, psychosoziale und psychotherapeutische Hilfen nicht umsetzbar oder nicht hilfreich waren.
Die Psychostimulanzien sind für das Kindes- und
Jugendalter zur Behandlung der ADHS zugelassen.
Die Behandlung sollte in der Regel mit einem schnell
freisetzenden Stimulans beginnen. Beim Methylphenidat ist der Wirkungseintritt nach etwa 30 min für die
Dauer von etwa 4 h zu erwarten (Dosis: . Tab. 14.1).
Die Indikation für Retardpräparate ist gegeben,
wenn eine verlässliche Mehrfachgabe dieser Präparate
nicht möglich ist und ein stabiler Tageseffekt auf andere Weise nicht erreicht werden kann.
Im Rahmen der längerfristigen Behandlung empfiehlt es sich, durch Auslassversuche die Wirksam-
131
14.3 · Medikamente zur Behandlung …
keit zu überprüfen. Persistiert die ADHS in klinisch
bedeutsamem Schweregrad, so ist eine kontinuierliche Medikation auch in das Erwachsenenalter hinein
indiziert. Erwachsene benötigen im Vergleich zu Kindern in der Regel eine auf das Körpergewicht bezogene geringere Dosis der Psychostimulanzien.
Zahlreiche Studien belegen die signifikante Wirkung von Psychostimulanzien in der Therapie der
Kernsymptome der ADHS. Die weitaus meisten Studien liegen für Methylphenidat vor. Hat sich Methylphenidat als nicht wirksam erwiesen hat, empfiehlt es
sich auf Amphetaminpräparate umzusteigen. Es wird
derzeit empfohlen, dass Amphetaminpräparate bei
Patienten mit strukturellen Herzerkrankungen nicht
verordnet werden sollen. Pemolin ist ein Psychostimulans vom Nicht-Amphetamin-Typ. Pemolin ist
potenziell leberschädigend und darf daher nur unter
engmaschiger Kontrolle der Leberfunktionsparameter
durch Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie erstverordnet werden, wenn die Behandlung mit Methylphenidat und Amphetamin erfolglos war. In der Praxis wird dieses Medikament kaum verordnet.
Die sorgfältige und regelgerechte Medikation
von Methylphenidat und Amphetaminen hat bei Personen mit ADHS in der Regel selten schädliche unerwünschte Wirkungen. Sie sind dosisabhängig, in der
Regel vermeidbar und treten meistens nur zu Beginn
der Therapie auf.
Die Entwicklung eines Missbrauchs oder einer
Abhängigkeit von Psychostimulanzien ist bei sachgemäßer und störungsspezifischer Einnahme nicht
zu erwarten. Eine Dosissteigerung ist auch bei Dauermedikation meist nicht notwendig. Katamnestische
Befunde sprechen dafür, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS, die mit Psychostimulanzien behandelt wurden, seltener und später Tabak, Alkohol und
illegale Drogen konsumieren (Remschmidt u. Heiser
2004; Stellungnahme der Bundesärztekammer 2007).
Atomoxetin
Atomoxetin ist zur Behandlung von ADHS im Kindes- und Jugendalter zugelassen. Darüber hinaus ist
Atomoxetin für die Weiterbehandlung ins Erwachsenenalter zugelassen. Atomoxetin ist nach Methylphenidat und Amphetamin die am besten untersuchte
Substanz mit guter Evidenzlage. In doppelblinden
Studien konnte eine signifikante Reduzierung sowohl
der Kernsymptome der ADHS als auch eine Verbesserung depressiver Symptome und der psychosozialen Lebensqualität nachgewiesen werden. Atomoxetin kann eine assoziierte Ticstörung lindern.
14
Antidepressiva
Trizyklische Antidepressiva haben sich in der Behandlung der ADHS als wirksam erwiesen. Doppelblindstudien zeigten gegenüber Placebo positive Effekte
für Imipramin und Desipramin. Desipramin kann bei
ADHS auch komorbide Tics mindern.
Clonidin
Clonidin kann zum Einsatz kommen, wenn sich Psychostimulanzien und TZA als unwirksam erwiesen
haben oder kontraindiziert sind.
Modafinil
In mehreren offenen und placebokontrollierten Studien konnte die Wirksamkeit von Modafinil bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS nachgewiesen werden.
ADHS und Komorbiditäten
Bei Kindern mit ADHS und Störung des Sozialverhaltens ist eine Therapie mit Psychostimulanzien
positiv wirksam. Bei ausgeprägter komorbider Störung des Sozialverhaltens mit Impulskontrollstörung
kommt eine Therapie mit dem AAP Risperidon oder
ggf. die Kombination von Psychostimulanz und AAP
in Betracht.
Tics treten bis zu 30% assoziiert mit ADHS auf.
Unter der Medikation von Methylphenidat kann es in
Einzelfällen zur Verstärkung einer bestehenden TicSymptomatik oder zum Neuauftreten kommen. Dann
kommt eine Therapie mit Atomoxetin in Betracht. Ist
aufgrund des Schweregrades der ADHS eine Therapie
mit Psychostimulanzienmedikation unverzichtbar, so
ist es möglich, die Tics medikamentös mit Antipsychotika zu behandeln (z. B. mit Risperidon).
Methylphenidat wirkt auch signifikant auf die
Kardinalsymptome der ADHS bei Kindern und
Jugendlichen mit Intelligenzminderung. Bei Kindern
mit schwergradiger geistiger Behinderung ist hingegen häufiger eine entweder paradoxe Wirkung zu beobachten oder die Medikation zeigt keinen Effekt.
Nichtmedikamentöse Behandlungsansätze
Unter den nichtmedikamentösen Behandlungsansätzen hat in den letzten Jahren das Neurofeedback
besondere Beachtung gefunden. Studien konnten zeigen, dass das Neurofeedback zu einer signifikanten
Reduktion von Unaufmerksamkeit, Impulsivität und
Hyperaktivität führt (Stellungnahme der Bundesärztekammer 2007).
132
14.3.2
1
2
3
Kapitel 14 · Medikamente zur Behandlung von ADHS, Hypersomnien und Bewegungsstörungen
Hypersomnien
Die Therapie der primären Hypersomnien im Kindes- und Jugendalter sollten zunächst physikalische
und verhaltenstherapeutische Maßnahmen beinhalten und nur in Ausnahmefällen sollten Psychostimulanzien verordnet werden.
14.4
?
1.
2.
4
14.3.3
5
Das RLS und die PLMS können »off-label« mit Clonidin, Clonazepam, Gabapentin und Dopaminrezeptoragonisten behandelt werden (Moore et al. 2006).
Bewegungsstörungen
3.
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Checkliste
Welche Alternativen sind Ihnen zu Methylphenidat bei der Behandlung der ADHS im
Erwachsenenalter bekannt?
Welche Alternativen sind Ihnen zu Methylphenidat bei der Behandlung der ADHS im
Kindes- und Jugendalter bekannt?
Welche Medikation ist bei der Behandlung
der Narkolepsie zugelassen?
133
15.1 ·
15
III
Krankheitsbilder
15
Depressive Störungen – 135
16
Panikstörung
17
Generalisierte Angststörung
18
Phobische Störungen – 167
19
Zwangsstörung
20
Posttraumatische Belastungsstörung
21
Akute Belastungsstörung und Anpassungsstörung
22
Somatoforme Störungen – 185
23
Essstörungen
24
Schlafstörungen
25
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
26
Sexuelle Funktionsstörungen
27
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen – 221
28
Abhängigkeitsstörungen
29
Bipolare affektive Störungen – 235
30
Schizophrenie
31
Demenz
32
Bewegungsstörungen in der Psychiatrie
33
Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter
– 155
– 161
– 171
– 177
– 181
– 193
– 199
– 207
– 215
– 225
– 243
– 255
– 261
– 265
135
15.1 ·
15
Depressive Störungen
15.1
Gesamtbehandlungsplan
15.2
Antidepressiva und Psychotherapie – 137
15.3
Akuttherapie mit Antidepressiva – 140
15.4
Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe
mit Antidepressiva – 141
15.5
Ungenügende Response, Therapieresistenz und
chronische Depression – 143
15.6
Andere Medikamente und Verfahren zur
Depressionsbehandlung – 146
15.7
Spezielle pharmakotherapeutische Empfehlungen
15.7.1
15.7.2
15.7.3
15.7.4
15.7.7
15.7.8
Depressive Episode und rezidivierende depressive Störung
Dysthymie und Double Depression – 149
Minor Depression und unterschwellige Depression – 149
Rezidivierende kurze depressive Episoden
(»recurrent brief depression« nach DSM-IV) – 149
Atypische Depression – 149
Saisonal abhängige affektive Störung
(SAD, Winterdepression) – 149
Suizidalität – 150
Depression bei körperlichen Erkrankungen – 150
15.8
Depression und Stress – 151
15.9
Behandlung depressiver Störungen im Kindes- und
Jugendalter – 151
15.10
Checkliste
15.7.5
15.7.6
– 153
– 136
– 147
– 148
136
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Kapitel 15 · Depressive Störungen
Die Vielfalt von Symptommustern, die bei depressiven Störungen auftreten können, führte zu Unterteilungen, die jeweils deskriptiv bestimmte Aspekte
des depressiven Syndroms hervorheben, z. B. den
Längsschnitt (unipolar–bipolar, Dysthymie, »recurrent brief depression«, Rapid Cycling), die aktuelle
klinische Symptomatik (gehemmt, ängstlich–agitiert,
atypisch, melancholischer Subtyp), den Schweregrad
(leichte, mittelschwere, schwere depressive Episode,
mit oder ohne psychotische Merkmale, Major Depression, Minor Depression) oder das Auftreten im Rahmen anderer Störungen (bei Schizophrenien, Alkoholabhängigkeit, Demenz). Die wichtigsten Symptome
der depressiven Episode werden in 7 Abschn. 15.7.1
beschrieben.
Es werden zunächst die allgemeinen Richtlinien
der Pharmakotherapie der Depression dargestellt. Im
Anschluss werden in 7 Abschn. 15.7 spezielle pharmakotherapeutische Empfehlungen für die einzelnen
Untergruppen der depressiven Störung beschrieben.
Die Depressionen bei körperlichen Erkrankungen
nehmen einen immer breiteren Raum ein. Unter
7 Abschn. 15.8 werden auch die Zusammenhänge zwischen Stress und Depression, die in der biologischen
Psychiatrie sehr wichtig geworden sind, besprochen,
obwohl eine akzeptierte Pharmakotherapie für Dauerstress zur Prävention der Depression noch nicht existiert.
Die Pharmakotherapie der akuten Suizidalität wird im Rahmen der Notfalltherapie (7 Kap. 34)
besprochen. Der Komplex Nebenwirkungen von
Antidepressiva und Suizidalität steht in 7 Kap. 5; unter
7 Abschn. 15.7.7 finden sich Hinweise zur Suizidprophylaxe.
zu sein (7 Abschn. 4.1). Während sich die bisherigen
Untersuchungen zu Kandidatengenen aber primär auf
die Aminhypothesen der Depression bezogen, werden die neuen Untersuchungen am gesamten Genom
hypothesenfrei vorgenommen (Barden et al. 2006).
Die hirnmorphologischen Veränderungen sind bei
der Depression nicht so evident wie bei der Schizophrenie (7 Kap. 30). Sie finden sich diskret im präfrontalen Kortex, im limbischen System und im Hippocampus. Diese Störungen werden mit den Affekt- und
Antriebsstörungen depressiver Patienten in Zusammenhang gebracht.
Schließlich finden sich bei einer überwiegenden
Anzahl Depressiver eine Hyperaktivität des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems (HPAAchse) (Holsboer 2000). Eine glucokortikoidbedingte
Volumenreduktion des Hippocampus ist aber nicht
bewiesen (Müller et al. 2001). Über die Dysregulation der HPA-Achse hinaus gibt es Hypothesen zu einer
gesteigerten zentralen Thyreotropin-Releasing-Hormon (TRH)-Sekretion und auch einer Störung des
somatotropen Systems.
Mögliche Hypothesen zu neurochemischen Veränderungen werden, soweit sie auch die Psychopharmakotherapie betreffen, im 7 Abschn. 5.2 (Wirkungsmechanismus der Antidepressiva) besprochen.
Die neurobiologische Forschung bei depressiven
Störungen hat aber trotz dieser vielen Ansätze noch
nicht dazu geführt, dass kausal relevante Systeme
identifiziert werden konnten (Holsboer 2008). So gibt
es auch bis heute keinen »biologischen Marker« der
zur Spezifizierung der Diagnose der Depression einen
Beitrag liefern könnte.
Neurobiologie der Depression. Eindeutig weisen die
Zwillings- und Adoptionsstudien auf eine genetische
Komponente der affektiven Erkrankung hin, besonders das unterschiedliche Erkrankungsrisiko bei Erstgradangehörigen von unipolar und bipolar Erkrankten im Vergleich zu Kontrollkollektiven aus der Bevölkerung (2,5- zu 7-fach). Auch fallen die Konkordanzraten bei monozygoten Zwillingspaaren mit etwa 50%
zu 80% (unipolar versus bipolar) unterschiedlich aus.
Gerade der letzte Befund gibt Anlass zu der Hypothese, dass über die genetischen Ursachen hinaus auch
Umweltfaktoren für die Genese der Depression eine
entscheidende Rolle spielen. In der letzten Zeit konnten Kandidatenregionen auf verschiedenen Chromosomen (4, 12, 18, 21, 22, X), besonders allerdings bei
der bipolaren affektiven Störung, identifiziert werden. Interessant scheinen bei diesen Untersuchungen
die positiven Befunde am Serotonintransportergen
15.1
Gesamtbehandlungsplan
Für viele Patienten ist der notwendige Einsatz einer
Pharmakotherapie zur Behandlung einer depressiven Störung nicht von vorneherein verständlich. Die
Pharmakotherapie ist immer noch mit vielen Vorurteilen behaftet. Die Vermittlung eines Krankheitsmodells durch den Arzt oder Psychologen, das für den
Patienten verständlich und akzeptabel ist und das
den Einsatz einer medikamentösen Behandlung psychischer Beschwerden erklärt, ist unerlässlich. Dies
gilt besonders dann, wenn eine langfristige Behandlung mit Antidepressiva notwendig wird, um die
Compliance zu erhöhen und Rückfälle zu vermeiden
(7 Abschn. 15.4).
Es bietet sich an, das prägnante Krankheitsmodell
einer »Stoffwechselstörung« zu vermitteln. Biochemische Veränderungen sind mit dem Auftreten von
137
15.2 · Antidepressiva und Psychotherapie
depressiven oder manischen Symptomen verbunden
und machen den Einsatz von Medikamenten zur symptomatischen, aber effektiven Therapie notwendig. Bei
diesem Modell kann auf die Analogie zur Behandlung
eines Diabetes mellitus oder einer essenziellen arteriellen Hypertonie verwiesen werden, wo ebenfalls eine
symptomatische, aber effektive medikamentöse Therapie eingesetzt wird, deren Akzeptanz bei den Patienten in der Regel gut ist.
Ein solches Krankheitsmodell behindert auch den
psychotherapeutischen Zugang zu einem Patienten
nicht, wenn man mit ihm die verschiedenen Aspekte
seines Störungsbildes bespricht. Während durch die
medikamentöse Therapie der biologische Aspekt der
Störung symptomatisch, aber effektiv behandelt wird,
kann etwa eine kognitive Verhaltenstherapie den Patienten zunehmend in die Lage versetzen auf der Ebene seiner Gedanken und des Verhaltens möglichst
großen therapeutischen Nutzen aus der erzielten klinischen Besserung zu ziehen und so den Behandlungserfolg aktiv zu verstärken.
Es ist wichtig, psychoedukative Elemente in die
professionelle Therapie der Depression gerade dann
zu integrieren, wenn eine längerfristige Therapie
erfolgen muss. Dabei sollen Patient und Angehörige mit dem typischen Verlauf der Erkrankung und
den möglichen Behandlungsstrategien in einer Erhaltungs- und Langzeittherapie vertraut sein. Therapiealternativen können in Familiengesprächen diskutiert
werden. Die notwendige Medikation mit ihren möglichen Nebenwirkungen und Risiken bei Kombination mit anderen Medikamenten muss dem Patienten
bekannt sein. Die individuellen Frühsymptome einer
neuen depressiven Episode werden besprochen. Patient und Angehörige müssen den Weg kennen, wie der
Therapeut über die ersten Warnsymptome informiert
werden kann.
Es gibt Hinweise, dass auch ein Problemlösetraining, das durch Nichtspezialisten durchgeführt werden kann, bei depressiven Patienten wirksam ist
(Mynors-Wallis et al. 2000). Es ist bei leichten Erkrankungen eine Alternative, wenn psychotherapeutische
Verfahren nicht zur Verfügung stehen.
Verschiedene Übersichten bestätigen, dass kognitiv-verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Bibliotherapien (selbständige Bearbeitung eines Arbeitsbuches
zur Überwindung der Depression) verglichen mit
Wartebedingungen klinisch und statistisch bedeutende
Effekte erzielen (McKendree-Smith et al. 2003). Auch
ein über 10 Wochen gehendes spezifisches Gruppenprogramm bei unterschwelligen bis leichten Depressionen war einer lediglich unterstützenden Maßnahme
hochsignifikant überlegen (Hautzinger 2001).
15.2
15
Antidepressiva und
Psychotherapie1
Besonderes Augenmerk wurde in den letzten Jahren
auf den Wirksamkeitsvergleich von Antidepressiva
und Psychotherapieverfahren gelegt.
In der Akut- und Erhaltungstherapie können
angewandt werden: die medikamentöse Therapie, die
Psychotherapie als Einzel-, Gruppen- oder Paartherapie und eine Kombination beider. Betont werden in
diesen Empfehlungen die Therapien, die die höchsten
Evidenzgrade beim Wirksamkeitsnachweis erlangt
haben oder das günstigste Nutzen-Risiko-Verhältnis
besitzen. Zur Anwendung spezifischer Psychotherapien und deren Evidenzstufen s. »Leitlinien: Psychotherapie Affektiver Störungen« (de Jong-Meyer et al.
2007).
Unter den spezifischen psychotherapeutischen
Verfahren sind die kognitive Verhaltenstherapie
(KVT) und die Interpersonelle Psychotherapie (IPT)
auf ihre Wirksamkeit als Monotherapien oder in
Kombination mit Psychopharmaka bei Depressionen
am besten untersucht. Der Therapiefokus der IPT liegt
auf der Bewältigung psychosozialer Stressoren; in der
Praxis ist allerdings die Verfügbarkeit gering. Einzelne Wirksamkeitsnachweise liegen für die psychodynamische Kurzzeittherapie und die Gesprächstherapie vor; sie haben aber für die mögliche Therapie der
Depression auch in Kombination mit Antidepressiva
keine Bedeutung erlangt.
Es liegen inzwischen weit über 90 kontrollierte
Therapiestudien dazu vor (de Jong-Meyer et al. 2007).
KVT bzw. IPT erreicht nicht nur bessere Ergebnisse in
der Akutbehandlung im Vergleich zu Warte-, Placebo- oder unterstützenden bzw. Clinical-ManagementBedingungen, sondern sie führt auch oft zu vergleichbaren Effekten wie eine psychopharmakologische
Behandlung. Allerdings kommen die Ergebnisse nicht
immer zu demselben Schluss.
Grundlegende Studien
In einer großen Studie zur Akutbehandlung der
Depression erhielten Patienten IPT, KVT, Imipramin
oder Placebo (»clinical management«) (Elkin et al.
1989). Nach 16 Wochen zeigte sich eine signifikante
Überlegenheit der Imipramingruppe gegenüber der
1
Wegen des großen Forschungsumfangs zur Kombinationstherapie bei den depressiven Störungen, wird
dieses Kapitel, in Abweichung von der Gliederung der
Kapitel 16-33, an den Anfang gestellt und ausführlich
besprochen.
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Kapitel 15 · Depressive Störungen
alleinigen Psychotherapiebehandlung bei Patienten
mit einer schweren Depression.
Im Gegensatz dazu konnte in einer Vergleichsstudie (Hollon et al. 1992), in welcher depressive Patienten mit Imipramin, KVT oder einer Kombinationstherapie behandelt wurden, kein signifikanter Unterschied in der Wirksamkeit von Imipramin oder KVT
gezeigt werden. Auch zeigte sich keine signifikante
Überlegenheit der Kombinationstherapie (Hautzinger
u. de Jong-Meyer 1996).
DeRubeis wertete in einer Metaanalyse aus dem
Jahre 1999 (DeRubeis et al. 1999) 4 vergleichbare kontrollierte Studien aus, u. a. die Elkin- und die HollonStudie. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, dass auch
bei schweren depressiven Episoden keine signifikante
Überlegenheit der Pharmakotherapie gegenüber der
Psychotherapie festzustellen sei. In einer Metaanalyse von 6 kontrollierten Studien (Casacalenda et al.
2002) zeigte sich bei leicht bis mittelschwer depressiven Patienten kein signifikanter Wirksamkeitsunterschied zwischen Psychotherapie (IPT oder KVT) und
Antidepressiva.
Eine Kombinationsbehandlung aus antidepressiver Medikation und IPT oder KVT allerdings zeigte
sich in einer Megaanalyse von 6 Vergleichsstudien
einer alleinigen Psychotherapie bei schweren Depressionen überlegen (Thase et al. 1997).
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der
Akuttherapie
Die Studien erlauben zusammenfassend den Eindruck, dass in der Akuttherapie eine Kombination
aus KVT und Antidepressiva einen synergistischen
Behandlungseffekt haben (Kocsis et al. 2003), dies
umso mehr, desto schwerer die Depression ist. Bei
schweren Depressionen finden sich klare additive
Effekte der Kombination vs. Psychotherapie alleine
und Medikation alleine (Thase et al. 1997).
Nach einer neuen Studie bei 200 schwer depressiven Patienten mit KVT über 16 Wochen ist KVT
allerdings nur dann so erfolgreich wie ein Antidepressivum, wenn der Psychotherapeut exzellent ausgebildet ist (DeRubeis et al. 2005).
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der
»second-step-therapy«
Es wurde in der STAR-D-Studie (Thase et al. 2007)
gezeigt, dass bei mittelschwerer Depression, bei der
der SSRI Citalopram allein nicht wirksam war, die
Augmentation bzw. Kombination (sonstige Strategien
7 Kap. 15.4) in einem zweiten Therapieschritt mit dem
Antidepressivum Bupropion oder dem Anxiolytikum
Buspiron 3 Wochen früher wirksam war als die Kom-
bination mit KVT. Vermehrte Nebenwirkungen wurden unter der Medikation im Vergleich zur KVT nicht
gesehen. Bei einfachem Wechsel (also nicht unter Augmentation) von dem zuerst gegeben Antidepressivum
Citalopram auf Bupropion, Sertralin, Venlafaxin oder
KVT konnte kein Unterschied im Wirkungseintritt
gesehen werden.
Die Studie zeigt, dass bei mittelschwerer Depression, bei der im ersten Therapieschritt Citalopram nicht
wirksam war, im zweiten Schritt sowohl andere Antidepressiva als auch KVT wirksam sind. Zeitlich vorteilhaft gegenüber KVT sind dann allerdings in dieser Studie Bupropion und Buspiron in der Augmentation.
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie in der
Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe
Neben der Akuttherapie haben sich psychotherapeutische Verfahren auch im Rahmen der Erhaltungstherapie und der Rückfallprophylaxe als wirksam erwiesen. Die Wirksamkeit scheint allerdings von der Rezidivneigung der Patienten beeinflusst zu werden. In
der großen Studie der Arbeitsgruppe aus Pittsburgh
waren die Erfolge in der Rezidivprophylaxe von Patienten mit hoher Rezidivneigung unter Imipraminbehandlung signifikant besser als unter allen Therapieformen ohne den Einsatz des Antidepressivums
(Kupfer et al. 1992).
In einer kürzlich veröffentlichten Studie der gleichen Arbeitsgruppe (Frank et al. 2007) wurde bei
leichter bis mittelschwerer Depression unter einer
IPT-Erhaltungstherapie einmal pro Monat ein guter
prophylaktischer Effekt gesehen (Beobachtung über
1–2 Jahre). In dieser Studie konnte aber auch gezeigt
werden, dass bei den Patienten, bei denen zunächst
eine Pharmakotherapie mit einem Antidepressivum
zur Remission notwendig war, eine spätere IPT-Monotherapie für die Rezidivprophylaxe unzureichend war.
Nach den Katamneseergebnissen mehrerer großer kontrollierter Studien liegt ein wesentlicher Vorteil
der Psychotherapie in ihrer längerfristigen Effektivität. Bei psychotherapeutischen Verfahren gibt es Hinweise, dass eine erfolgreiche Therapie auch nach ihrer
Beendigung einen rezidivprophylaktischen Effekt
haben kann (Klein et al. 2004; Vos et al. 2004).
Die Akutbehandlung mit KVT bzw. IPT (allein
oder in Kombination mit Medikamenten) senkt die
Rückfallraten im Nachbehandlungsintervall deutlicher als medikamentöse Akutbehandlung allein
(26% vs. 64% im 1-Jahres-Follow-up) (DeRubeis u.
Crits-Christoph 1998).
Es wurde kürzlich gezeigt, dass es bei Beendigung
der KVT bei 30,8% der Patienten zu einem Rückfall
139
15.2 · Antidepressiva und Psychotherapie
kommt, dagegen bei Absetzen des Antidepressivums
bei 76,2% (Hollon et al. 2005).
In einer kontrollierten Studie bei älteren Patienten
mit rezidivierender depressiver Störung zeigte sich
eine signifikant geringere Rückfallrate innerhalb von
3 Jahren unter IPT sowie ein synergistischer Effekt zur
antidepressiven Medikation mit Nortriptylin (90%ige
Rückfallrate bei Placebo, bei IPT und Placebo 64%,
bei Nortriptylin 43%, bei Nortriptylin und IPT 20%)
(Reynolds et al. 1999).
Wichtig
KVT und IPT sind sinnvolle Therapieansätze zur
Prävention weiterer depressiver Episoden auch
bei Patienten mit einem erhöhten Rückfallrisiko.
Der medikamentöse Behandlungserfolg ist in
der Rezidivprophylaxe in der Regel nur so lange
gegeben, wie die Pharmakotherapie fortgeführt
wird. Die Antidepressiva sollten allerdings auch
weiter verordnet werden, wenn sie anfänglich zu
einer Remission geführt haben. Die psychotherapeutischen Verfahren haben wahrscheinlich auch
nach ihrer Beendigung einen rezidivprophylaktischen Effekt.
15
renden depressiven Symptomen trotz antidepressiver
Behandlung, konnte für die Kombinationsbehandlung aus KVT und Antidepressiva im Vergleich zu
einer Antidepressiva- Monotherapie gezeigt werden.
(47% vs. 29%) (Paykel et al. 1999).
In einer neuen Langzeitstudie von der gleichen
Autorengruppe, aber über 6 Jahre, allerdings zeigt sich
ein Vorteil für die KVT nur in den ersten 3 Jahren.
Über diesen Zeitraum hinaus verschwindet der Vorteil für KVT im Vergleich zum »klinischen Management«, um Rückfälle zu verhindern (Paykel et al.
2005). Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu der
Arbeit von Fava et al. 2004 bei einem ähnlichen Therapieziel. Der Unterschied liegt darin, dass Fava et al.
die Antidepressiva nach Remission abgesetzt hatten,
während bei Paykel et al. diese weitergegeben werden konnten (es waren 60%). Auch war der Anteil von
chronisch Depressiven bei Fava et al. geringer. Beide
Studien zeigten die Bedeutung von KVT in den ersten
Jahren. Über den Vorteil einer fortgesetzten Therapie
mit Antidepressiva und/oder einer Auffrischungstherapie (»booster session«) und/oder eines »klinischen
Management« ist bei dieser Patientengruppe nach diesen beiden Studien noch nicht entschieden.
Wichtig
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie der
chronischen Depression (Therapieresistenz)
Die Studien erreichen bisher insgesamt kein hohes
Evidenzniveau.
Die wichtigste Studie mit 681 Patienten verglich
über 12 Wochen psychologische Therapien mit Antidepressiva (SSRI). Angewandt wurde das »Cognitive Behavioral Analysis System for Psychotherapy« (CBASP). In dem Verfahren werden behaviorale, kognitive und interpersonelle Strategien integriert.
Die Remissionsraten lagen für CBASP bei 33%, für
SSRI bei 29%, dagegen bei Kombination der beiden
Therapien bei 48%. Der additive Effekt der Kombinationstherapie ist signifikant (Keller et al. 2000). In
den Studien war ein Vorteil für CBASP besonders für
Angstsymptomatik, sexuelle Dysfunktion und Verbesserung des sozialen Funktionsniveaus zu erkennen.
Patientinnen mit Kindheitstraumata (körperlicher oder sexueller Missbrauch, früher Elternverlust,
familiäre und soziale Vernachlässigung) profitierten
besonders von der Psychotherapie. In dieser Gruppe
schnitt Pharmakotherapie schlechter, die Kombinationstherapie aber etwas besser als CBASP alleine ab
(Nemeroff et al. 2003).
Einen langfristigen Benefit und eine signifikant
geringere Rückfallrate bei Patienten mit persistie-
Es spricht nach der jetzigen Studienlage bei chronischer Depression aber alles für eine Fortsetzung der Therapie mit Antidepressiva und nach
einer ersten KVT für eine »booster session« nach
2–3 Jahren.
Studien zu Antidepressiva und Psychotherapie der
Depression im höheren Lebensalter
Es besteht ein Mangel an kontrollierten psychotherapeutischen Studien im höheren Lebensalter. Die KVT
wurde am häufigsten untersucht; sie zeigt sich kurz
(4 Monate) und längerfristig (1 Jahr) Kontrollgruppen überlegen (Hautzinger u. Welz 2004).
Auch die Reminiszenztherapie (d. h. Lebensrückblicktherapie, diese beinhaltet Bearbeitung aller
Lebensabschnitte mitsamt ihren Höhen und Tiefen)
scheint wirksam zu sein (de Jong-Meyer et al. 2007;
Bohlmeijer et al. 2003). In einer neuesten Studie bei
Patienten über 70 Jahre allerdings war über einen Zeitraum von 2 Jahren Paroxetin (plus »clinical management«) der IPT (plus Placebo) und Placebo (plus IPT)
signifikant überlegen (Reynolds et al. 2006).
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Kapitel 15 · Depressive Störungen
15.3
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Fazit
Antidepressiva und Psychotherapie im Vergleich –
Bewertung
5 Bei der Akuttherapie der leichten Depression
ist zunächst KVT allein (z. B. Kurztherapie bis zu
8 Sitzungen über 12 Wochen) oder IPT indiziert. Voraussetzung ist die Verfügbarkeit einer spezifischen
Psychotherapie; wenn sie nicht gegeben ist oder
wenn ein Erfolg durch Psychotherapie nicht gesehen
wird, sollten SSRI verordnet werden.
5 Handelt es sich aber um die Akuttherapie einer
leichten Depression mit einer mindestens mittelschweren Depression in der Vorgeschichte, sollte
gleich eine Kombination aus SSRI und KVT (z. B. bis zu
20 Sitzungen über 9 Monate) erwogen werden.
5 Bei der Akuttherapie der schweren Depression sollte
man gleich mit einem SSRI oder mit einem dualen
Antidepressivum beginnen. Eine zusätzliche Psychotherapie ist nach einer Studie nur dann sinnvoll, wenn
der Psychotherapeut exzellent ausgebildet ist.
5 Bei der chronischen Depression, unzureichendem
Therapieerfolg bzw. Therapieresistenz ist die
Kombinationstherapie anzustreben. Der nachhaltige
zusätzliche Wert der KVT im Vergleich zu Antidepressiva allein in der Langzeittherapie bis zu 3 Jahren ist
evident. Auch eine große Studie weist bei der chronischen Depression auf eine notwendige Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie hin.
5 Auch bei der rezidivierenden Depression mit einem
Rückfall unter Antidepressiva ist die zusätzliche KVT
indiziert.
5 Bei der Rezidivprophylaxe sollte KVT oder IPT möglichst in Kombination mit einem Antidepressivum
(ggf. auch Lithium) eingesetzt werden. Die Rückfallrate wird gesenkt. Wenn eine Remission unter einem
Antidepressivum (mit oder ohne gleichzeitige IPT)
erreicht wurde, ist zur Fortführung der Therapie auch
weiterhin das Antidepressivum (neben der IPT) nötig;
eine alleinige IPT reicht nicht aus.
5 Bei chronischen Depressionen ist zu erwägen,
2–3 Jahre nach erstmaliger KVT eine »booster session« anzusetzen.
5 Psychotherapeutische Verfahren können bei Depressionen im höheren Lebensalter eine sinnvolle
Ergänzung zur Therapie mit Antidepressiva sein.
Akuttherapie mit
Antidepressiva
5 Eine zuverlässige Vorhersage eines individuellen
Therapieerfolgs bei einem bestimmten Antidepressivum ist auch heute noch nicht möglich.
5 In der Regel beobachtet man unter einer Behandlung mit einem Antidepressivum eine allmähliche Besserung im Zeitverlauf. Voraussetzung ist
eine kontinuierliche antidepressive Pharmakotherapie in einer ausreichend hohen Dosierung.
5 Bei der Mehrzahl der Behandlungen ist damit
zu rechnen, dass sich ein ausreichender Therapieerfolg (mindestens 50%-Abnahme der
depressiven Symptomatik) erst im Verlauf der
ersten 4 Wochen, manchmal auch erst nach 6–
8 Wochen ausbildet. In diesem Zeitraum treten
häufig zunächst Nebenwirkungen, danach erst
vom Patienten wahrgenommene antidepressive
Effekte auf.
5 Der Patient sollte über diesen charakteristischen
Verlauf informiert werden, um den Therapieerfolg nicht durch vorzeitige Beendigung der Medikation zu gefährden und die Compliance zu
sichern.
5 Es ist darauf zu achten, dass auch die leichte
depressive Episode erfolgreich behandelt wird,
denn das Risiko, an einer schweren Depression zu erkranken, ist für Patienten mit leichten
Depressionen fünfmal höher als bei Gesunden.
Ziel der Akuttherapie ist die Remission (7 Abschn. 15.5).
Wirkungseintritt
5 Gut verträgliche Substanzen, die rasch aufdosiert
werden können, führen in den ersten zwei Wochen zu einem schnelleren Wirkungseintritt. Für
Venlafaxin und Mirtazapin wurde ein solcher
Effekt in kontrollierten Studien beschrieben (Szegedi et al. 2003; Katz et al. 2004). Nach 4 Wochen
gibt es aber keine Unterschiede mehr zwischen
diesen beiden und anderen Antidepressiva.
5 Bei älteren Patienten kann der Wirkungseintritt
länger dauern.
5 Je nach dem pharmakologischen Wirkprofil des
Antidepressivums können einzelne Symptomkomplexe des depressiven Syndroms unterschiedlich schnell auf die Therapie ansprechen. Unter
Mirtazapin besserten sich Schlafstörungen, Agitation und somatische Beschwerden im Behandlungsverlauf schneller als unter SSRI.
141
15.4 · Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe mit Antidepressiva
15
Erhaltungstherapie und
Rezidivprophylaxe mit
Antidepressiva
Wichtig
15.4
5 Studien zeigen, dass der individuelle Besserungsverlauf in den ersten beiden Behandlungswochen für die klinische Praxis von
großer, bislang nicht genutzter Bedeutung
ist und den späteren Behandlungserfolg zu
prädizieren erlaubt.
5 Eine klinische Besserung von mindestens
20% der gesamten depressiven Symptomatik
innerhalb der ersten 2 Behandlungswochen
stellt einen hochsensitiven Prädiktor eines
späteren Therapieerfolgs dar.
5 Dies bedeutet in der Praxis, dass die Therapiestrategie bereits nach 2 Wochen überprüft werden sollte. Wenn innerhalb dieser
Zeit keine Abnahme eines »Depression-Summenscores« von mindestens 20% beobachtet wird, sollte eine neue Behandlungsstrategie erwogen werden (7 Abschn. 15.5).
5 Allerdings ist eine frühe Response von 20%
keine Garantie für eine langanhaltende Besserung bei jedem depressiven Patienten.
Patienten mit einer depressiven Episode entwickeln
in mehr als 50% der Fälle im Verlauf weitere Episoden, bei 10–20% kommt es zu einen Diagnosenwechsel hin zur bipolaren Störung (unipolarer Verlauf, . Abb. 15.1; zu bipolaren Verläufen 7 Kap. 29).
Bei mindestens jedem 5. Patienten klingt die depressive Symptomatik nicht vollständig ab, es persistieren subsyndromale Bilder, die den Patienten wesentlich beeinträchtigen. Etwa 15% der Patienten mit einer
affektiven Störung suizidieren sich im Krankheitsverlauf und bei 50% kommt es im Laufe der Erkrankung
zu einem Suizidversuch.
Im Verlauf der – auch gut eingestellten – depressiven Erkrankung kann es immer wieder zu kurzen,
milden depressiven Einbrüchen (»blips«) kommen.
Sie bedürfen keiner medikamentösen Strategieänderung. Der Patient sollte darüber informiert sein.
Definition
Zur Therapieplanung unipolarer Verläufe werden
unterschieden:
5 Akuttherapie
5 Erhaltungstherapie
5 Rezidivprophylaxe
Akuttherapie
Ziel: Remission
Erhaltungstherapie
Ziel: Erhaltung
der Remission
6-12 Monate
(sonst höheres
Rückfallrisiko)
Rezidivprophylaxe
Ziel: Verhinderung
neuer Episoden
1 Jahr u. länger
(sonst höheres
Rezidivrisiko)
Euthymie
Rückfall
Rezidiv
Zeit
Beginn der Behandlung
. Abb. 15.1. Verlaufsschema
bei unipolarer Depression mit
Risiken des Rückfalls oder Rezidivs.
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Kapitel 15 · Depressive Störungen
Wichtig
Indikation für eine Rezidivprophylaxe
Ziel einer antidepressiven Therapie ist das Erreichen einer Vollremission. Depressive Residualsymptome sind ein hohes Risiko für einen Rückfall. Deswegen sind Erhaltungstherapie und die
Rezidivprophylaxe bei einem phasenhaften Verlauf in der Regel indiziert. Auch bei einer ersten
depressiven Episode sollte eine Erhaltungstherapie über mindestens 6 Monate erfolgen.
Erhaltungstherapie
5 Nach der Akuttherapie beginnt die Erhaltungstherapie. In dieser Phase, für die eine Länge von
6 Monaten und bis zu einem Jahr diskutiert wird,
soll einem Rückfall vorgebeugt werden. Restsymptome sollten nicht mehr vorhanden sein (es ist
davon auszugehen, dass typische unbehandelte
depressive Episoden 6 Monate lang andauern).
5 Es ist wichtig, dass die Dosierung, die in der
Akuttherapie zum Erfolg geführt hat, auch beibehalten wird.
5 Der Behandlungserfolg sollte in mindestens 2monatigen Konsultationen kontrolliert werden.
Wichtig
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5 Eine mindestens 6-monatige Erhaltungstherapie kann beendet werden, wenn keine
weitere Episode anamnestisch bekannt ist
oder eine leichte Episode mehr als 5 Jahre
zurückliegt.
5 Eine Erhaltungstherapie darf nicht beendet
werden, wenn die Akuttherapie nicht zur
vollständigen Remission geführt hat.
Rezidivprophylaxe
Die Rezidivprophylaxe der unipolaren Depression
setzt nach erfolgreicher Akut- und Erhaltungstherapie ein. Sie dauert mindestens 3 Jahre, oft auch lebenslang.
5 Die Weiterführung einer Pharmakotherapie mit
Antidepressiva sollte immer die Grundlage der
Rezidivprophylaxe sein.
Die Indikation für eine Rezidivprophylaxe ist
gegeben, wenn
5 eine dritte Episode aufgetreten ist;
5 zwei Episoden in 5 Jahren aufgetreten sind;
5 über eine weitere schwere Episode innerhalb
der letzten 3 Jahre berichtet wird;
5 eine weitere Episode und eine positive Familienanamnese einer bipolaren Störung oder
einer rezidivierenden Depression bestehen.
Die Indikation wird weiter erhärtet, wenn
5 zusätzlich die Störung vor dem 30. Lebensjahr begann;
5 gleichzeitig eine »Doppeldepression«
(7 Abschn. 15.7.2) oder eine Angststörung
vorhanden ist;
5 noch Restsymptome während der Erhaltungstherapie verblieben sind.
5 Für den Erfolg sind eine gute Psychoedukation
und Compliance entscheidend. Der Hintergrund
einer langfristigen medikamentösen Behandlung
nach Abklingen der subjektiven Beschwerden
muss dem Patienten sorgfältig erläutert werden,
um die Compliance zu sichern. Dem Patienten
muss spätestens jetzt ein tragfähiges Krankheitsmodell vermittelt werden, das ihm eine Erklärung für die Notwendigkeit langfristiger Medikamenteneinnahme bei bereits überwundenen psychischen Beschwerden gibt (7 Abschn. 15.1).
5 Die rezidivprophylaktische Wirkung der Antidepressiva wurde durch einige prospektive Langzeitstudien belegt. Die bekannteste randomisierte Studie (Kupfer et al. 1992) zeigte einen klaren Vorteil für Imipramin im Vergleich zu IPT
bei der rezidivierenden Depression. In einer neuen methodisch gut durchdachten Studie mit
299 Patienten mit mindestens 3 depressiven Episoden in den vergangenen 4 Jahren lag die Zahl
der Rückfälle unter dem SSRI Sertralin (50 und
100 mg) signifikant mit 16% unter Placebo mit
33% (Lepine et al. 2004). In einer ähnlichen Studie mit 139 rezidivierenden unipolaren depressiven Patienten hatten 27% unter dem SSRI Escitalopram und 65% unter Placebo einen Rückfall.
Auch unter einer Mirtazapin- bzw. VenlafaxinLangzeittherapie kam es zu selteneren Rückfällen
in anderen Studien.
15.5 · Ungenügende Response, Therapieresistenz und chronische Depression
5 Lithium (7 Kap. 6) ist bei unipolarem Verlauf
den Antidepressiva ebenbürtig, besonders gibt es
gute Hinweise, dass das Suizidrisiko unter Lithium sinkt. Aus Gründen der Verträglichkeit und
Praktikabilität wird Lithium aber im Routinefall
seltener als Antidepressiva bei dieser Indikation
angewandt. Der Lithiumspiegel sollte zwischen
0,6 und 0,8 mmol/l liegen.
5 Da bei einer langfristigen Behandlung das
Nebenwirkungsprofil für die Compliance eine
große Rolle spielt, sind die Vorteile der neueren
Antidepressiva gegenüber den trizyklischen Antidepressiva (TZA) in dieser Indikation besonders
zu nutzen.
Die Rezidivprophylaxe sollte in einem 2- bis 3-monatigen Abstand kontrolliert werden.
Cave
5 Es gibt immer wieder diskutiert, ob Antidepressiva im Rahmen einer Langzeittherapie
Manien induzieren können. Für TZA ist dies
gesichert; deshalb sollen sie in der Rezidivprophylaxe nicht gegeben werden.
5 Für die SSRI sieht man das Risiko, Manien bei
der unipolaren Depression zu induzieren,
zzt. als geringer an (7 Kap. 6 für die bipolare
Depression).
Psychotherapie zur Rezidivprophylaxe
(7 Abschn. 15.2)
KVT (zum Teil auch IPT) zeigten sich in der Rückfallprophylaxe in mehreren Studien der medikamentösen Therapie insgesamt entweder überlegen oder
gleichwertig, auch additive Effekte sind beschrieben
(de Jong-Meyer 2007).
Rezidivprophylaxe mit neuem Rezidiv
5 Wenn es im Rahmen der Rezidivprophylaxe
mit einem Antidepressivum zu einem Rezidiv
kommt, ist abzuwägen, ob eine Lithiumprophylaxe zusätzlich eingeleitet werden soll. Bei wiederholtem Rezidiv und bei Versagen einer Prophylaxe mit einem Antidepressivum in Kombination mit Lithium kann auch Lithium zusätzlich mit
Carbamazepin kombiniert werden.
5 Der depressive Patient sollte die für ihn typischen
Symptommuster genau kennen, damit schnell
eine neue Strategie bei einem Rezidiv entwickelt
werden kann. Der Patient sollte aber auch darüber informiert sein, dass leichte depressive Symp-
143
15
tome im Verlauf einer unipolaren Erkrankung
häufig sind und durch psychotherapeutische
Intervention in der Regel schnell abgefangen werden können
15.5
Ungenügende Response,
Therapieresistenz und
chronische Depression
Über 30% der depressiven Patienten profitieren klinisch nicht in ausreichendem Maße von einem ersten
Therapieversuch von 8 Wochen mit einem Antidepressivum; d. h. es ist nicht zu der gewünschten Remission gekommen. Auch nach einem zweiten Versuch tritt
bei einem Teil dieser Nonresponder keine Remission
ein. Schließlich verbleibt auch nach mehreren Therapieversuchen eine Restgruppe chronisch Depressiver
von ca. 15%.
Definition
Remission. Das eigentliche Ziel einer antidepressiven Therapie ist das Erreichen der Symptomfreiheit (Schweregradskala, z. B. Hamilton-Skala ≤7)
sowie der Wiederherstellung des psychosozialen
Funktionsniveaus.
Response. In klinischen Studien wird eine Response als eine mindestens 50%-Reduktion der
depressiven Symptomatik, gemessen anhand einer Schweregradskala, definiert.
Partielle Response und Non-Response. Von einer partiellen Response spricht man, wenn die
erreichte Besserung nach etwa 4- bis 6-wöchigen
Behandlung zwischen 25 und 50% beträgt.
Non-Response liegt also vor, wenn in diesem
Zeitraum weniger als 25% Besserung eintreten
(. Abb. 15.2).
Therapieresistenz. Für eine Therapieresistenz
gibt es bislang keine einheitliche Definition. Als
Minimalkonsens sollte von Therapieresistenz
dann gesprochen werden, wenn zwei verschiedene Antidepressiva mit unterschiedlichen Wirkprofilen jeweils nach 4–6 Wochen Behandlung in
ausreichender Dosis wirkungslos waren.
Je nach erreichter Besserung und der Anzahl der
erfolglosen Behandlungsversuche können unterschiedliche Strategien sinnvoll sein. Eine empirisch
abgesicherte Reihenfolge der im Folgenden beschriebenen Therapiestrategien gibt es aber bislang nicht.
144
Kapitel 15 · Depressive Störungen
. Abb. 15.2. Grade der Besserung bei der unipolaren Depression. (Aus Benkert u. Hippius
2007)
1
2
R e m is s i o n
E u t h y m ie
3
R e s p o n se
4
50%
P a r t ie l l e
R e s p o n se
5
Non R e s p o n se
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8
9
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11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
25%
Z e it
B e g in n d e r B e h a n d l u n g
5 Stellt sich in den ersten beiden Behandlungswochen eine partielle Response ein, kann zunächst
mit der begonnenen Behandlung fortgefahren
werden. Bleibt sie aus, kann schon früh im
Behandlungsverlauf von einer relativ geringen
Chance, in den nächsten 2–4 Wochen noch eine
Response bzw. Remission zu erreichen, ausgegangen werden (7 Abschn. 15.3, Wirkungseintritt).
5 Bei Vorliegen einer Non-Response oder Therapieresistenz sollte zunächst die Compliance des
Patienten, etwa durch Messung des Plasmaspiegels, sowie die Diagnose überprüft werden. Eine
vertiefte Psychoedukation und konsequente Psychotherapie ist anzustreben. Als Begleittherapien
sind Bewegungs- und Lichttherapie, ggf. auch
schon der Schlafentzug (s. unten) frühzeitig einzusetzen (. Abb. 15.3).
5 Der Algorithmus der . Abb. 15.3 bezieht sich auf
einen ersten Behandlungsschritt mit Antidepressiva. Bei fehlender Remission oder sogar Verschlimmerung der Symptomatik unter einer KVT
oder IPT im ersten Behandlungsschritt ist rechtzeitig ein Antidepressivum parallel einzusetzen.
Zwar ist der Zeitpunkt empirisch nicht festgelegt,
sollte nach einem Zeitraum von 4 bis 8 Wochen
aber spätestens erfolgt sein.
5 Es gibt einen additiven Effekt der Kombination
aus Antidepressiva und Psychotherapie, insbesondere bei Patienten mit belastenden Konflikten
in der Anamnese (7 Abschn. 15.2).
Häufigste Strategien
5 Meistens wird bei fehlender Response die Dosis
erhöht. Diese Strategie kann manchmal erfolgreich sein, ist aber durch Studien nur für TZA,
MAO-Hemmer und Venlafaxin belegt. Die
Bestimmung der Plasmakonzentration des TZA
kann eine relative Unterdosierung aufdecken
(7 Kap. 2). Eine Dosiserhöhung unter SSRI ist in
der Regel nicht mit besseren Behandlungsergebnissen verknüpft.
5 Bei fehlender Response wird oft auch das Antidepressivum gewechselt. Es sollte dann ein Antidepressivum mit einem anderem Angriffspunkt im
ZNS gewählt werden, z. B. nach erfolgloser Gabe
eines SSRI ein Antidepressivum mit überwiegender NA-Rückaufnahmehemmung. Allerdings
wird dann beim Wechsel auf ein drittes Antidepressivum nur noch eine geringe Remissionsrate
gesehen (Fava et al. 2006).
Kombinationsstrategien mit zwei
Antidepressiva
Darunter wird der gleichzeitige Einsatz von zwei Antidepressiva mit nachgewiesener antidepressiver Wirksamkeit in jeweiliger Monotherapie verstanden.
145
15.5 · Ungenügende Response, Therapieresistenz und chronische Depression
15
Therapieerfolg unter Antidepressiva
unzureichend
Optimierung der Behandlung:
Compliance überprüfen
Plasmaspiegelkontrolle
Diagnose überprüfen
Psychoedukation
vertiefen
Bewegungstherapie
Lichttherapie
Schlafentzug
Wenn keine Besserung, zusätzliche Optionen:
Konsequente
Psychotherapie
Wechsel des AD
Dosiserhöhung
erwägen
Kombination:
SSRI/Venlafaxin +
Mirtazapin
Augmentation:
AD + Lithiuma
AD + SD-Hormone
AD + AAP
Keine Besserung
EKB
. Abb. 15.3. Wichtigste Maßnahmen bei unzureichendem
Therapieerfolg. AD Antidepressivum, PT Psychotherapie, SE
Schlafentzug, SD-Hormone Schilddrüsenhormone, AAP aty-
Wichtig
Die komplexen pharmakologischen Wirkungen
geben heute immer früher Anlass, zwei Antidepressiva zu kombinieren. Ausschlaggebend sind
zwei Gründe:
5 Der oft komplementäre pharmakologische
Wirkmechanismus des Antidepressivums öffnet neue Response-Chancen, z. B. verstärkte
Serotoninrückaufnahmehemmung durch einen SSRI und gleichzeitigen präsynaptischen
α2-Antagonismus durch Mirtazapin. Durch
die Blockade des 5-HT2A-Rezeptors (Mirtazapin) wird die therapeutische Wirkung der
SSRI wahrscheinlich verstärkt. Dies gilt auch
für Venlafaxin.
5 Das Wirkspektrum zweier Antidepressiva
kann eine breitere psychopathologische
Symptomatik abdecken, z. B. Antriebssteigerung durch Venlafaxin und gleichzeitige
Schlafförderung durch Mirtazapin.
pische Antipsychotika, a 7 Abschn. »Augmentations-und
Kombinationsstrategien«. (Aus Benkert u. Hippius 2007)
5 Auch wenn man nach Versagen eines SSRI einen
zweiten SSRI verschreibt, besteht eine Chance auf
Response von 50%.
5 Kombinations- bzw. Augmentationsstrategien im
Vergleich zu KVT (7 Abschn. 15.2).
Augmentationsstrategien
Unter Augmentation versteht man die zusätzliche
Verordnung einer Substanz, für die, wenn sie allein
eingenommen wird, keine antidepressive Wirksamkeit besteht.
Lithium. Bei der am besten belegten Augmentati-
onsstrategie werden Lithiumkonzentrationen, wie
bei der Phasenprophylaxe (0,6–0,8 mmol/l), angestrebt (7 Kap. 6). Es wird ein synergistischer Effekt
über die serotonerge Transmission angenommen. Ein
Therapieerfolg kann nach 2–4 Wochen erwartet werden. Die Kombination SSRI und Lithium führte bei
50% der Patienten nach 1–2 Wochen (selten nach
6 Wochen) zu einer Response. Gesicherte Prädiktoren
fehlen bislang. Ergebnisse einer Studie sagen aus, dass
146
1
2
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20
Kapitel 15 · Depressive Störungen
eine erfolgreiche Lithiumaugmentation mindestens
1 Jahr fortgeführt werden soll.
Schilddrüsenhormone. In einigen kontrollierten
Studien war die Gabe von T3 (L-Trijodthyronin) zu
einem TZA bei therapieresistenten Patienten, auch
bei euthyreoter Stoffwechsellage, erfolgreich. Auch
zusätzliches Thyroxin (T4) in supraphysiologischen
Dosen kann zum Therapieerfolg führen. Empfohlen
werden kann diese Augmentation am ehesten bei subklinischem Hypothyreodismus (hohes TSH, normale
Schilddrüsenhormone).
Atypische Antipsychotika. Es gibt zunehmend posi-
tive Berichte, die für den Einsatz dieser Gruppe mit
Antidepressiva sprechen.
Elektrokrampftherapie. Sie ist nach wie vor eine The-
rapiestrategie mit gut belegter Wirksamkeit bei Therapieresistenz. Während diese Therapie in den USA sehr
frühzeitig bei Therapieresistenz eingesetzt wird, gilt
sie im deutschsprachigen Raum oft als Ultima Ratio
(. Tab.. 15.3).
15.6
Andere Medikamente
und Verfahren zur
Depressionsbehandlung
Zur Depressionsbehandlung können, neben Antidepressiva und Psychotherapie, noch weitere Verfahren
und Medikamente zur Anwendung kommen.
Benzodiazepine
5 Es gibt keine Belege für eine spezifische antidepressive Wirkung von Benzodiazepinen. Es wurde aber in einer Metaanalyse über die Kombination von Benzodiazepinen mit Antidepressiva im
Vergleich zur alleinigen Therapie mit Antidepressiva ein deutlicher Vorteil für die Kombination
beschrieben.
5 Zum kurzfristigen Einsatz in Kombination mit
Antidepressiva sind Benzodiazepine bei starker
Unruhe, Angst, Suizidalität und Panikattacken
gut geeignet. Nach 2–4 Wochen sollten sie ausgeschlichen werden.
5 Bei stark gehemmt-depressiven Patienten mit
Stupor und Mutismus ist Lorazepam das Mittel
der Wahl (7 Abschn. 8.4.1).
Antipsychotika
5 Es gibt jetzt einige Studien, die auch eine antidepressive Wirkung der atypischen Antipsychotika
bei Depressionen ohne psychotische Merkmale
belegen. Für ihre Eignung als Add-on-Therapie
gibt es immer mehr Hinweise.
5 Atypische Antipsychotika haben in der Therapie bei depressiven Störungen im Rahmen schizophrener und schizoaffektiver Störungen schon
jetzt einen wichtigen Stellenwert (7 Kap. 7), als
Monotherapie bei einer Depression sind sie nicht
indiziert.
Hormone
5 Ein Einsatz von Östrogenen kann bei Frauen
in der Menopause erfolgversprechend sein.
Bei Frauen ohne depressive Anamnese zeigte
sich eine 2,5-fache höhere Assoziation für eine
Depression in der Menopause im Vergleich zur
Prämenopause (Freeman 2006). Frauen mit
bekannter postpartaler Depression sind offenbar
sensitiv für psychotrope Effekte von Östrogenen
und Gestagenen. Der Einsatz einer Östrogensubstitution in Kombination ist bei diesen Patientinnen erwägenswert, als Monotherapie aber
meist nicht ausreichend.
Grundsätzlich scheint die Remissionsrate bei
zusätzlicher Hormonherapie einer alleinigen Therapie mit Antidepressiva überlegen zu sein (Thase
2005). Allerdings muss auf die laufende Diskussion über das erhöhte Risiko des Einsatzes von
Hormonen bei der Frau hingewiesen werden. Ein
Einsatz kommt nur in enger Zusammenarbeit mit
dem Gynäkologen in Frage.
5 Schilddrüsenhormone haben ihren Einsatz in
der Augmentationstherapie bei Therapieresistenz
(7 Abschn. 15.6).
5 Testosteron zur Stimmungsregulation ist weiter sehr umstritten und kann derzeit bei Männern wegen der Gefahr der Induktion manischer
Symptome und der Gefahr des Zellwachstums
(besonders Prostatakarzinom) nicht empfohlen
werden. Eine neue Studie zeigt, dass bei Frauen
die Libido durch Testosteron nicht gesteigert wird
und eine andere Studie, dass bei älteren Männern Dehydroepiandrosteron (DHEA) und niedrige Dosen Testosteron im Vergleich zu Placebo ohne Wirkung auf die Lebensqualität (»Antiaging«) waren.
Schlafentzug
5 Der Schlafentzug ist bei vielen Patienten eine
sinnvolle Zusatztherapie zur Gabe von Antidepressiva. Da ca. 50% der Patienten vom Schlafentzug profitieren können, ist ein solcher Therapieversuch, besonders bei zunächst unzureichender
147
15.7 · Spezielle pharmakotherapeutische Empfehlungen
15
Wirkung des Antidepressivums, lohnend. Der
Effekt ist unmittelbar am Folgetag beobachtbar;
er hält allerdings meist nur kurzfristig an.
5 Die Behandlung erfolgt meist in Serien (1- bis 2mal pro Woche). Die Patienten wachen entweder die ganze Nacht oder die zweite Nachthälfte
durch. Die Durchführung in Gruppen erleichtert
das Wachbleiben.
5 Während der Schlafentzugsnacht und am Folgetag darf keine (auch nicht vorübergehende)
Schlafperiode eintreten.
onen (therapieresistente Depression) ist es alleiniger Pharmakotherapie überlegen. Der Vorteil
der EKB liegt im raschen Therapieerfolg.
5 Wichtigste Indikationen sind die schwer
gehemmte Depression (auch mit Suizidalität), die
Depression mit psychotischen Merkmalen und
die therapieresistente Depression.
5 Die Behandlung erfolgt, bevorzugt stationär, in
Serien von 6–12 Sitzungen.
5 Die EKB wird in der Regel parallel zu der begleitenden antidepressiven Therapie eingesetzt.
Lichttherapie
Repetitive transkranielle
Magnetstimulation
5 Die Patienten werden täglich einer Lichtquelle mit artifiziellem weißem Licht ausgesetzt. Der
Wirkmechanismus ist noch ungeklärt; es wird
eine Normalisierung (»phase advance«) von zirkadianen Rhythmen, die in der Depression verzögert sein sollen, postuliert. Die Response bei
der »seasonal affective disorder« (SAD) tritt
innerhalb von 1–4 Wochen ein. Mehrere kontrollierte Studien zeigen die antidepressive Wirkung
der Lichttherapie bei SAD, die der Wirkung von
Antidepressiva entspricht.
5 Ein einstündiger täglicher Spaziergang am Morgen über mehrere Wochen soll einen ähnlichen
Effekt haben.
5 Durchführung: Je nach Stärke der künstlichen
Lichtquelle erfolgt eine Exposition über 30–
120 min täglich (bei 10.000 Lux 30 min, bei
2500–6000 Lux 60–120 min), bevorzugt morgens
zwischen 6 und 8 Uhr, über 2–4 Wochen.
5 Vor Beginn der Lichttherapie ist eine augenärztliche Kontrolle anzuraten. Es kann zu Beginn
über Kopfschmerzen, Sehstörungen, überanstrengte Augen, Übelkeit und Müdigkeit geklagt
werden. Sehr selten sind leichte manische Symptome. Lichttherapie soll nicht mit photosensiblen Medikamenten (TZA, Hypericum, Phenothiazine) gleichzeitig gegeben werden.
Bewegungstherapie
5 Es gibt eine Reihe neuer Befunde, die einen genuinen antidepressiven Effekt für regelmäßige körperliche Aktivitätsprogramme beschreiben.
Elektrokrampfbehandlung
5 Die Elektrokrampfbehandlung (EKB) ist ein
Behandlungsverfahren, dessen Wirksamkeit und
Verträglichkeit bei sachgemäßer Durchführung
gut belegt ist (die Entstehung struktureller zerebraler Läsionen wurde bei sachgemäßer Anwendung nicht beobachtet); in bestimmten Indikati-
5 Die repetitive transkranielle Magnetstimulation
(rTMS) ist ein nichtinvasives Verfahren, bei dem
kortikale Neurone mit kurzdauernden Magnetfeldern hoher Intensität stimuliert werden. Die
bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass
repetitive Stimulationen des (bevorzugt linken)
präfrontalen Kortex antidepressive Wirkungen,
möglicherweise über eine Erhöhung des serotonergen Tonus, haben können. Ausmaß und
Dauer der antidepressiven Wirkung ist gering.
rTMS ist nicht zugelassen; es besteht kein Narkoserisiko. Eine Indikation ist, wenn überhaupt,
eher bei leichten bis mittelschweren Depressionen gegeben.
Vagusnervstimulation
5 Nach operativer Implantation eines Schrittmachers (Narkoserisiko!), der an den linken N. vagus angeschlossen wird, erfolgt eine intermittierende repetitive Stimulation, die über Mittelhirnstrukturen zu limbischen und kortikalen Arealen geleitet werden soll. Es wird vermutet, dass
es durch die Stimulation zu einer Normalisierung
dieser hyperaktiven Areale kommt. Trotz einiger
erfolgversprechender Ergebnisse ist die Vagusnervstimulation zur klinischen Anwendung noch
nicht ausgereift.
15.7
Spezielle
pharmakotherapeutische
Empfehlungen
Nur die Besonderheiten, die über die allgemeinen
Empfehlungen hinausgehen, werden bei jeder Diagnose beschrieben.
148
15.7.1
1
2
3
4
5
6
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8
9
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11
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20
Kapitel 15 · Depressive Störungen
Depressive Episode und
rezidivierende depressive
Störung
Die depressive Episode kann im Rahmen einer unioder bipolaren affektiven Störung auftreten. Oft treten zusätzlich die Merkmale eines somatischen Syndroms auf. Synonym wird der Begriff melancholischer
Typ verwandt. Das Syndrom entspricht dem früheren
Konstrukt der endogenen Depression. Nach der ICD10 müssen bei Vorliegen des somatischen Syndroms 4
der folgenden 8 Merkmale vorhanden sein:
5 Interesseverlust oder Verlust an normalerweise
angenehmen Aktivitäten
5 Mangelnde Fähigkeit, auf freundliche Umgebung
oder freudige Ereignisse emotional zu reagieren
5 Frühmorgendliches Erwachen; zwei oder mehr
Stunden vor der gewohnten Zeit;
5 Morgentief
5 Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit
5 Deutlicher Appetitverlust
5 Gewichtsverlust
5 Deutlicher Libidoverlust
In diesem Kapitel wird die Therapie der unipolaren Depression besprochen (bipolare Depression
7 Kap. 6).
Die Schwerpunkte der Therapie folgender Diagnosen finden sich in 7 Abschn. 15.2:
5 leichte depressive Episode (F32.0)
5 mit somatischem Syndrom (F32.01)
5 mittelgradige depressive Episode (F32.1)
5 mit somatischem Syndrom (F32.11)
5 schwere depressive Episode ohne psychotische
Symptome (F32.2)
Die Therapie der schweren depressiven Episode mit
psychotischen Symptomen (»wahnhafte Depression«)
(F32.3) wird in 7 Abschn. 30.2.9 beschrieben.
Die Pharmakotherapie einer einzelnen depressiven Episode oder einer wiederholten Depression im
Rahmen einer rezidivierenden Depression ist identisch. Die Erhaltungstherapie bzw. die Rezidiviprophylaxe wird dann allerdings verschieden gestaltet
(7 Abschn. 15.4).
Unterschiedliche Wirksamkeit von Antidepressiva
bei der depressiven Episode
Die vielen randomisierten Studien der letzten Jahre
ermöglichen es, Unterschiede herauszuarbeiten. Mehr
prospektive Studien müssen die Befunde aber noch
absichern:
Wichtig
5 Aufgrund des günstigeren Nebenwirkungsund Risikoprofils sind SSRI und die neuen
dualen Antidepressiva den TZA vorzuziehen.
Auch ist das Risiko, eine Manie zu induzieren,
bei TZA größer.
5 Zwischen SSRI und TZA gibt es keine Wirkunterschiede.
5 SSRI haben auch im Vergleich zu den neuen
Antidepressiva etwas geringere Nebenwirkungen.
5 SSRI sind geringfügig weniger wirksam im
Vergleich zu Substanzen mit direkter Beeinflussung von mindestens 2 Monoaminsystemen (Mirtazapin, Venlafaxin). Eine Ausnahme
ist Escitalopram; es ist der selektivste SSRI.
Dies zeigt sich nicht nur beim schnelleren
Wirkungseintritt sondern auch beim andauernden Effekt und der Remissionsrate.
5 Beim schweren melancholischen Typ wurde
ein Vorteil von Venlafaxin gegenüber SSRI
gesehen.
Hinweise für differenzielle Wirksamkeit bei besonderen Symptomkonstellationen sind nur in Ansätzen vorhanden. Die sedierend-schlafanstoßende
Komponente (z. B. bei Mirtazapin, Amitriptylin)
kann man sich bei ängstlich-agitierter Ausprägung der Depression, zunutze machen. Jedoch
wirken auch nichtsedierende Antidepressiva (z. B.
SSRI und MAO-Hemmer) angstreduzierend. Die
initiale Sedierungspotenz ist weitgehend auf den
Histamin-H1-Rezeptorantagonismus zurückzuführen.
Komorbiditäten mit anderen psychiatrischen Erkrankungen
5 30% der Patienten mit unipolarer Depression
haben eine zusätzliche Angsterkrankung (einschließlich Panikstörung und posttraumatische
Belastungsstörung). Eine spezielle Antidepressivapräferenz besteht nicht. Allerdings sollte man
die Antidepressivadosis, wie bei den Angsterkrankungen, langsam aufdosieren.
5 Ein Drittel der depressiven Patienten gibt eine
zumindest vorübergehende Abhängigkeitsproblematik oder Drogenmissbrauch (7 Kap. 11 und 28)
an. Beide Erkrankungen werden parallel behandelt.
5 Komorbide Persönlichkeitsstörungen verschlechtern nach einer Metaanalyse die »Outcome«-Rate
149
15.7 · Spezielle pharmakotherapeutische Empfehlungen
bei Depressionen um das Doppelte; bis auf Elektrokonvulsionstherapie (EKT) war die Besserungsrate schlecht (Newton-Howes 2006).
15.7.2
Dysthymie und Double
Depression
Die dystyme Störung ist ein chronisch-depressives
Syndrom, meist leichter Ausprägung. Die Schwere
einer depressiven Episode wird nicht erreicht. Es können sich wochenlange Perioden der Besserung in den
chronischen Verlauf einschieben. Tritt ein aktuelle
depressive Episode hinzu (bei 40%), spricht man von
der sog. Double Depression; sie ist sehr therapieresistent. Je länger eine depressive Symptomatik anhält,
umso ungünstiger ist der Behanlungsverlauf. Psychotherapie 7 Abschn. 15.5.
5 Die Wirksamkeit von Antidepressiva, in gleicher
Dosierung wie bei der depressiven Episode, ist
bei der Dystymie gesichert. SSRI sind aufgrund
ihrer Verträglichkeit besonders geeignet. Die
Behandlung sollte über 2–3 Jahre erfolgen.
5 Eine Vergleichsstudie mit 94 dystymen Patienten
zeigte eine Responserate nach 16 Wochen für den
SSRI Sertralin von 58%, für die Kombination Sertralin und IPT von 57%, für IPT von 35% und
für unterstützende Psychotherapie von 31%. Die
Autoren ziehen den Schluss, dass dysthyme Patienten von der Pharmakotherapie einen größeren
Vorteil, als von der Psychotherapie haben (Markowitz et al. 2005).
15.7.3
Minor Depression und
unterschwellige Depression
Die Minor Depression hat einen geringeren Ausprägungsgrad; es sind weniger Diagnosekriterien erfüllt.
Beide Begriffe werden synonym gebraucht.
5 Der Nutzen von Antidepressiva ist bei der Minor
Depression umstritten. SSRI scheinen wirksam
zu sein.
15.7.4
Rezidivierende kurze
depressive Episoden
(»recurrent brief depression«
nach DSM-IV)
Die wiederkehrende kurzzeitige depressive Störung,
mit einer zwar sehr kurzen, aber oft sehr schwerer
Symptomatik bis hin zur Suizidalität, wird manchmal
15
auch zu den unterschwelligen Depressionen gezählt,
sollte aber wegen der schwierigen Behandlungsmöglichkeit eine Sonderstellung einnehmen. Bislang ist
keine befriedigende antidepressive Pharmakotherapie etabliert. Psychologische Intervention ist in jedem
Falle indiziert.
Rapid Cycling 7 Abschn. 5.4.
15.7.5
Atypische Depression
Bei der atypischen Depression ist die affektive Schwingungsfähigkeit erhalten geblieben. Weiterhin sollten
(nach DSM-IV) zwei der folgenden Symptome für
eine Diagnose vorhanden sein:
5 vermehrter Appetit oder Gewichtszunahme,
5 erhöhtes Schlafbedürfnis,
5 ausgeprägtes körperliches Schweregefühl mit
Müdigkeit und
5 eine Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung.
Die atypische Depression ist eng mit dem weiblichen
Geschlecht assoziiert.
5 SSRI sind die Mittel der Wahl bei der atypischen
Depression. Die ebenfalls wirksamen MAOHemmer sind bei dieser Indikation zu risikoreich.
5 Es gibt erste klinische Hinweise für eine alternative (oder additive) Wirksamkeit der KVT (Jarett
et al. 1999).
5 Eine wichtige Hypothese besagt, dass es sich bei
der atypischen Depression um eine Form der
bipolaren affektiven Störung II handelt. Deshalb
sollte bei der Diagnose einer atypischen Depression besonders sorgfältig nach Symptomen einer
bipolaren Störung gesucht werden.
15.7.6
Saisonal abhängige
affektive Störung (SAD,
Winterdepression)
Die phasischen Stimmungsschwankungen stehen in
Abhängigkeit von den Jahreszeiten, meist mit depressiven Episoden im Winter. Es kommt oft zu atypischer
Symptomausprägung (Hypersomnie, Hyperphagie
mit Kohlenhydratheißhunger).
5 Es wird eine serotonerge Dysfunktion postuliert;
SSRI werden empfohlen.
5 Eine Indikation zur Lichttherapie ist gegeben
(7 Abschn. 15.6), auch mit SSRI gleichzeitig.
5 Eine pathophysiologische Rolle konnte Melatonin
nicht zugeschrieben werden.
150
Kapitel 15 · Depressive Störungen
15.7.7
1
2
3
4
5
6
7
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9
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11
12
13
Suizidalität
Wichtig
Zur Behandlung der akuten Suizidaltät 7 Kap. 34, Notfallpsychiatrie.
5 Für Lithium (7 Kap. 6) wird ein suizidprotektiver Effekt bei langfristiger Therapie in mehreren
Studien unabhängig von Alter und Geschlecht
berichtet.
5 Bei schwerer Suizidalität kann auch EKB
(7 Abschn. 15.6) erwogen werden.
5 Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung hatte einen
positiven Effekt (Hegerl et al. 2006).
15.7.8
Depression bei körperlichen
Erkrankungen
5 Depressive Störungen stellen einen behandlungsbedürftigen und prognostisch relevanten Komplikationsfaktor bei körperlichen Erkrankungen
dar, weil eine begleitende Depression die Prognose der körperlichen Erkrankung verschlechtern
kann (McConnel et al. 2005).
5 Besonders intensiv wurde dieser Zusammenhang
bei Herzerkrankungen und Schlaganfall untersucht; depressive Symptome nach Herzinfarkt
oder zerebralen Ischämien (»post-stroke depression«) verschlechtern oft die Prognose und Rehabilitationserfolge.
5 Es gibt Studien, die für einen rechtzeitigen Einsatz von Antidepressiva bei Herzinfarkt und
Schlaganfall sprechen (Taylor et al. 2005; Glassmann 2005). Allerdings ist eine Senkung der
Mortalität durch SSRI bisher nicht nachgewiesen.
5 Es gibt hohe Evidenzen zum engen, wahrscheinlich ursächlichen Zusammenhang
zwischen Depression (und Dauerstress) und
körperlichen Folgekrankheiten, besonders
Herz-Kreislauf-Erkrankungen (mit Arteriosklerose und Hypertonie); ein Zusammenhang mit Diabetes Typ 2 und Osteoporose
wird diskutiert (. Abb. 15.4).
5 Bei mittelschweren bis schweren Depressionen nach einem Herzinfarkt sind SSRI zu
empfehlen.
5 Wenn Diabetes und Depression zusammen auftreten, sind SSRI zu empfehlen. TZA sind wegen
der möglichen Gewichtszunahme zu meiden.
5 Auch die Depression bei Parkinson-Erkrankung
ist häufig. Es werden neurochemische Gemeinsamkeiten diskutiert. Trimipramin und Clomipramin sollten wegen der dopamin-antagonistischen Komponente gemieden werden. SSRI
sind die Mittel der Wahl.
5 Die Depression ist oft mit der Demenz assoziiert
(10–30%); die Depression kann den Beginn einer
Demenz anzeigen. Davon abzugrenzen ist die
depressive Pseudodemenz bei affektiven Erkrankungen mit kognitiv-mnestischen Defiziten.
5 SSRI sind die Mittel der ersten Wahl bei einer
demenzassoziierten Depression. Sie verbessern
auch Verhaltensauffälligkeiten und Alltagsaktivitäten, allerdings nicht die Kognition.
14
15
Dauerstress
Depression
Fehlregulation der
Stresshormon-Achse
Imbalanz des
Symphatikus-ParasymphatikusSystems
16
17
18
19
5 Viszerale Adipositas
5 Erhöhte Insulinresistenz
5 Hypertonie
Störung der
Hämostase
5
5
5
5
Pulsfrequenz ↑
Ventrikuläre Arrythmie ↑
Herz-Frequenz-Variabilität ↓
QT-Variabilität ↑
20
Erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
. Abb. 15.4. Zusammenhang zwischen
Dauerstress/Depression und Folgekrankheiten. (Nach Benkert 2005)
151
15.8 · Depression und Stress
5 Die Behandlung mit TZA im Alter ist besonders
risikoreich (u. a. Herzrhythmusstörungen) und
sollte vermieden werden.
5 Bei vielen Hauterkrankungen (Akne, Psoriasis, Urtikaria) wird eine Komorbidität mit der
Depression gesehen. Antidepressiva sind wirksam. Die H1-Blockade (bei Amitriptylin) kann
man bei Pruritus und Urtikaria auch ohne
depressive Symptomatik nutzen.
15.8
Depression und Stress
Wie eng Dauerstress und Depression zusammenhängen, wurde schon an den gemeinsamen körperlichen
Folgekrankheiten gezeigt (7 Abschn. 15.7). Aber die
depressiven Symptome (und die Angstsymptome)
sind auch von den Stressreaktionen auf der körperlichen Ebene, der Verhaltensebene und der kognitivemotionalen Ebene kaum auseinander zu halten und
schließlich sind die Stress- und die Depressionsphysiologie auf vielen Abschnitten identisch (Holsboer
2000). Man muss davon ausgehen, dass bei der Depression – zumindest für den großen Teil der Depression,
die durch Stress verursacht oder durch Stress ausgelöst ist – primär eine Kontrollstörung der Stressphysiologie vorliegt (Benkert 2005). Es werden dafür verantwortlich gemacht:
5 Die stressinduzierte Corticotropin-releasingHormon- (CRH-)Hyperaktivität und der vermehrter Kortisolumlauf bei fehlregulierter HPAAchse; CRH selbst führt bei Tieren zu depressionsähnlichem Verhalten und Angstzuständen.
5 Das durch Stress konstant aktivierte noradrenerge/adrenerge System, das zu Arousalund Vigilanzsteigerung und schließlich gesteigertem Angstverhalten führt. Dauerstress führt
schließlich zur Erschöpfung des Noradrenalinsystems. Die noradrenerge Hypoaktivität geht mit
motorischer Verlangsamung, kognitiver Hemmung und emotionaler Verarmung einher und ist
schließlich von einer Depression nicht mehr zu
unterscheiden. Noradrenalinaktivierende Antidepressiva könnten kompensatorisch eingesetzt
werden.
5 Eine Dysfunktion des Serotoninrezeptorsystems.
Allerdings sind die Zusammenhänge komplexer, als wir sie von der Serotoninhypothese der
Depression (7 Kap. 5.2) (und der Angst) kennen.
Unter anderem senken erhöhte Kortisolspiegel
die Serotoninsynthese. Hypothetisch könnten,
wie bei der Depression und den Angststörungen,
15
SSRI auch bei Dauerstress therapeutisch wirksam sein.
5 Wahrscheinlich kommt es auch zu einer verminderten Ausschüttung des gefäßerweiternden
Transmitters Stickoxid.
Zum Thema der Bedeutung des Serotoninrezeptors
ist im Jahre 2003 die Arbeit von Caspi et al. (2003)
erschienen. Sie legt gleichzeitig empirische Daten
zur Interaktion von Genotyp, Umwelt und Depression vor. Die Autoren konnten nachweisen, dass die
Kurzform des Promotors des 5-HT-Transporte-Gens
(s/s) für die veränderte Stresssensitivität verantwortlich ist. Individuen mit diesen 2 kurzen Allelen (s/
s) entwickelten im Gegensatz zu Individuen mit langen Allelen (l/l) signifikant häufiger depressive Symptome auf mehrere stressreiche Lebensereignisse. Es
wird vermutet, dass der l/l-Genotyp weniger stressempfindlich gegen Stressoren ist. Die Befunde sind im
Kern mehrfach bestätigt.
Burnout-Syndrom
Das Erschöpfungssyndrom oder Burnout-Syndrom
hat seine Ursachen im Dauerstress mit den gleichen
Risiken für Folgekrankheiten, besonders den HerzKreislauf-Erkrankungen. Menschen in helfenden
Berufen sind besonders gefährdet. Die Klassifikation
erfolgt in der ICD-10 in einer Z-Kategotie (Probleme
verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensgestaltung). Im Vordergrund stehen:
5 Körperliche Erschöpfung mit Energiemangel, chronische Müdigkeit, Schwächegefühl und
somatoforme Störungen
5 Emotionale Erschöpfung mit Depression, innerer
Leere und Reizbarkeit
5 Geistig Erschöpfung mit Leistungseinbußen, Kreativitätsmangel und dem Gefühl der Sinnlosigkeit
5 Soziale Erschöpfung mit sozialem Rückzug, dem
Empfinden ausgesaugt zu werden und dem Risiko, dass sich der Dauerstress im Arbeitsbereich
auch auf andere Lebensbereiche (Familie, Partnerschaft) überträgt.
Psychologische Therapien (Stressbewältigung) stehen im Vordergrund. Eine Pharmakotherapie ist nicht
etabliert. Ein »Off-label«-Versuch mit Antidepressiva
kann indiziert sein.
152
15.9
1
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5
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20
Kapitel 15 · Depressive Störungen
Behandlung depressiver
Störungen im Kindes- und
Jugendalter
Bei Kindern und Jugendlichen mit depressiven Störungen sind entwicklungs- und altersabhängige Symptome zu beachten. Gerade bei Kindern wird man
meistens den Verlauf abwarten müssen, um die Diagnose sicherstellen zu können. Kinder mit depressiven
Störungen weisen häufig eine Verleugnungstendenz
und ein großes Schamgefühl auf. Auch gesunden Kindern fällt es teilweise schwer, sich über ihre Befindlichkeit zu äußern. Deshalb ist die Beobachtung von nonverbalen Signalen, z. B. im Spiel-, Ess- und Schlafverhalten, wichtig. Je nach Alter bzw. Entwicklungsstand
unterscheidet sich die Symptomatik teilweise erheblich. Im Gegensatz zu den depressiven Störungen im
Erwachsenenalter, sind bei Kindern und Jugendlichen
chronische Störungen, mit zunehmender und abnehmender Symptomatik, die mit langen Krankheitsepisoden, hohen Rückfallraten und großen psychosozialen Einschränkungen einhergehen, häufig (Pine et al.
1999; Schulte-Markwort u. Forouher 2005).
Pharmakotherapie und Psychotherapie
Genauso wie im Erwachsenenalter gilt bei depressiven
Syndromen im Kindes- und Jugendalter, dass bei mittelgradigen und schweren depressiven Episoden sowie
dann später während der Erhaltungstherapie und
Rezidivprophylaxe eine Kombination aus antidepressiver Pharmakotherapie und Psychotherapie erfolgen
sollte. In der Akutphase schwerer depressiver Syndrome ist die medikamentöse Therapie führend.
Verschiedene Übersichten (Reinecke et al. 1998;
Michael u. Crowley 2002; Compton et al. 2004; Mufson
et al. 2004) bestätigen die Wirksamkeit von Psychotherapie (vor allem KVT, doch auch IPT) gegenüber
verschiedensten Kontrollbedingungen, sowie auch
gegenüber antidepressiver Pharmakotherapie.
5 Eine große Studie an 493 Jugendlichen mit Major
Depression über 12 Wochen zeigte aber, dass mit
dem Antidepressivum Fluoxetin höhere Remissionsraten (60%) als mit KVT (43%) erzielt werden
konnten; es waren beide aktive Therapien deutlich wirksamer als Placebo (35% Remissionsrate).
Das beste Ergebnis wurde jedoch mit der Kombination von Fluoxetin und KVT (71% Remission)
erzielt, was auch im Hinblick auf die Suizidalität
galt. Es wird diskutiert, dass Fluoxetin möglicherweise eine wirksame Sonderstellung bei der antidepressiven Pharmakotherapie von Kindern und
Jugendlichen einnimmt (March et al. 2004). Dies
geht auch aus der Metaanalyse von Whitting-
ton et al. (2004) hervor. Dort wird Fluoxetin als
einzig wirksames SSRI bei Kindern und Jugendlichen herausgestellt. Fluoxetin ist deshalb seit
kurzem ab dem Alter von 8 Jahren bei mittelgradigen bis schweren Episoden einer Major Depression in Kombination mit Psychotherapie zugelassen (7 Abschn. 5.12).
Nichtmedikamentöse biologische
Therapieverfahren
Die nichtmedikamentösen, biologischen Therapieverfahren der Depression wurden nur teilweise bei Kindern und Jugendlichen untersucht. Für den Schlafentzug zeigen sich bei jugendlichen Patienten ähnliche Ergebnisse wie für Erwachsene. Naylor et al.
(1993) entzogen 17 psychiatrisch erkrankten jugendlichen Patienten für 36 h den Schlaf. Sie fanden, dass
die schwer depressiven Jugendlichen sich signifikant
hinsichtlich der depressiven Symptomatik besserten,
während depressive Patienten in Remission oder psychiatrische Kontrollpatienten sich verschlechterten.
Im Gegensatz zu Erwachsenen blieb der Effekt nach
der Erholungsnacht bestehen.
In einer doppelblind placebokontrollierten Studie
konnten Swedo et al. (1997) zeigen, dass es bei Kindern und Jugendlichen mit SAD zu einer signifikanten
Stimmungsverbesserung unter Lichttherapie kam.
Seit der initialen Administration der EKT bei
Jugendlichen ist diese Behandlung kontrovers betrachtet worden. Insgesamt werden EKT bei Kindern und
Jugendlichen nur sehr selten angewandt und machen
nur ca. 1% aller EKT aus. Die Responserate ist aber
generell sehr hoch.
Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) ist bei Kindern und Jugendlichen so gut
wie nicht untersucht, es finden sich nur einige Fallberichte.
Die Vagusnervstimulation ist nur bei Kindern
und Jugendlichen mit Epilepsie untersucht. Bei diesen
Studien konnte unter der Vagusnervstimulation auch
eine Verbesserung der Stimmung festgestellt werden
(Martinez et al. 2005).
Bei therapieresistenten depressiven Syndromen
im Jugendalter kommen auch Augmentationsstrategien wie die zusätzliche Behandlung mit Lithium
oder Schilddrüsenhormonen, medikamentöse Kombinationstherapien oder die zusätzliche Anwendung
der oben beschriebenen nichtmedikamentösen, biologischen Therapieverfahren in Betracht (Sharan u.
Saxena 1998).
15.10 · Checkliste
15.10
153
15
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Viele Patienten stehen Psychopharmaka skeptisch gegenüber, insbesondere bei schweren
Depressionen sind sie aber unverzichtbar. Welche
Möglichkeiten zur Förderung der Compliance im
Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans kennen
Sie?
Wie ist bei der Behandlung der schweren Depression eine Kombinationstherapie von Psychotherapie (KVT, IPT) und Antidepressiva anhand
der derzeitigen wissenschaftlichen Datenlage zu
beurteilen?
Welche der modernen Antidepressiva sind bei
der leichten Depression zu bevorzugen, welche
bei der schweren Depression?
Welche Antidepressiva zeigen einen schnellen
Wirkungseintritt in den ersten beiden Wochen?
Welche Bedeutung hat eine individuelle Besserung von ca. 20% in den ersten beiden Wochen
für den weiteren Behandlungsverlauf?
Einzelne Symptomkomplexe einer Depression
können, je nach pharmakologischem Wirkprofil
des Antidepressivums, unterschiedlich schnell
auf die Behandlung ansprechen. Welche Beispiele kennen Sie?
Wie ist das Risiko für ein Rezidiv nach einer
ersten depressiven Episode einzuschätzen? Was
bedeutet das für die pharmakologische, aber
auch für die psychotherapeutische Behandlung?
Was verstehen sie unter dem Begriff »Erhaltungstherapie«, wie lange sollte sie fortgeführt
werden?
8. Wann sollte bei einer unipolaren depressiven
Störung eine medikamentöse Rezidivprophylaxe
durchgeführt werden? Welche Rolle spielen
psychotherapeutische und psychoedukative
Interventionen?
9. Welche Möglichkeiten der Rezidivprophylaxe bei
der unipolaren depressiven Störung kennen Sie?
10. Welche Behandlungsoptionen gibt es, wenn ein
erstes Antidepressivum nicht zu ausreichendem
Therapieerfolg führt?
11. Was versteht man unter dem Begriff der Augmentation, welche Möglichkeiten kennen Sie?
12. Welche Rolle spielen Benzodiazepine in der
Depressionsbehandlung, welche Stärken haben
sie, wo liegen Gefahren?
13. Was antworten Sie einem Patienten, wenn er
befürchtet unter einem Antidepressivum eine
Abhängigkeit zu entwickeln?
14. Welche Zusatztherapien neben der medikamentösen und der psychotherapeutischen Behandlung von depressiven Störungen gibt es?
15. Bei schweren körperlichen Erkrankungen treten
gehäuft depressive Störungen auf; eine Depression wiederum begünstigt körperliche Folgekrankheiten. Welche Beispiele kennen Sie?
16. Als ein Risikofaktor für die Entstehung einer
Depression wird Dauerstress diskutiert, welche
Befunde kennen Sie?
17. Welche Therapie gilt als erste Wahl bei Kindern
und Jugendlichen mit mittelgradigen und
schweren depressiven Episoden?
155
16.1 ·
16
Panikstörung
16.1
Gesamtbehandlungsplan
– 157
16.2
Therapie
16.2.1
16.2.2
16.2.3
16.2.4
Antidepressiva – 157
Benzodiazepine – 158
β-Rezeptorenblocker in der Therapie von Angststörungen
Psychotherapie – 159
16.3
Behandlung der Panikstörung im Kindes- und
Jugendalter – 159
16.4
Checkliste
– 157
– 160
– 158
156
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20
Kapitel 16 · Panikstörung
Die Panikstörung ist gekennzeichnet durch rezidivierende, paroxysmal auftretende Angstzustände
mit vegetativen Begleitsymptomen (Herzklopfen,
Atemnot, Schwindel, Übelkeit). Unter Panikattacken versteht man eine Zeitspanne intensiver Angst
oder Unbehagens, welche mit mindestens 4 von
14 körperlichen oder psychischen Symptomen einhergeht. Üblicherweise erreicht eine Panikattacke ihr Maximum innerhalb von 10 min und dauert ca. 30–45 min an. Initial tritt die Panikattacke
oft unerwartet (spontan) auf, später wird sie auch
durch angstvoll besetzte Situationen ausgelöst. Oft
bildet sich parallel ein Vermeidungsverhalten/Agoraphobie aus. Die Agoraphophie kann nach neueren Untersuchungen aber auch den Panikattacken
vorausgehen (Bienvenu et al. 2006). Da im Rahmen
der Panikstörung vielfältige körperliche Symptome,
auch isoliert, auftreten, wird die psychiatrische
Ursache dieser Krankheit oft viel zu spät oder gar
nicht erkannt (Maier et al. 1985; Frommberger et al.
1993). Die häufigsten Symptome der Panikstörung
sind in . Abb. 16.1 dargestellt.
Die gesicherte Wirksamkeit von trizyklischen
Antidepressiva bei Angsterkrankungen ist lange
bekannt (Klein u. Fink 1962). Das klinische Ansprechen auf Imipramin war die Grundlage für die immer
noch gültige Klassifikation der Angsterkrankungen,
die damals zur Abgrenzung der Panikstörung von der
generalisierten Angststörung (7 Kap. 17) führte.
Neurobiologie der Angst. Im Zentrum der neurobio-
logischen Hypothesen stehen, insbesondere in Bezug
auf die verfügbaren Psychopharmaka zur Behandlung
der Panikstörung, Funktionsstörungen im SerotoninNoradrenalin- und GABA-System. Zusätzlich scheinen
verschiedene Neuropeptide und Steroide fehlreguliert zu sein (Bandelow et al. 2006; Wiedemann et al.
2008).
Serotonin-Neurone haben in den Raphe nuclei
einen hemmenden Einfluss auf noradrenerge Neurone im Locus coeruleus. Selektive Serotoninrückaufnahmeinhibitoren (SSRI) vermitteln sehr unterschiedliche und entgegengesetzte Effekte auf die
Angst: Stimulation des 5-HT1A-Rezeptors löst eher
anxiolytische, Stimulation des 5-HT2A/2C-Rezeptors
eher anxiogene Effekte aus. Die Aktivierung des Locus
coeruleus führt zu einer erhöhten Freisetzung von
Noradrenalin mit den Folgen eines erhöhten Blutdrucks und einer erhöhter Herzfrequenz. Der Nucleus
paraventricularis des Hypothalamus führt zu einem
Anstieg der Aktivität des endokrinen Stresshormonsystems mit einer erhöhten Freisetzung von Corticosteroiden. Der noradrenerge α2-Rezeptorantagonist
Yohimbin kann Panikattacken über eine erhöhte Verfügbarkeit von Noradrenalin provozieren. Schließlich
verstärken Benzodiazepine die Wirkungen des inhibitorischen Transmitters GABA.
All diese Befunde unterstützen die Hypothese,
dass Panikattacken in Hirnstammkernen generiert
werden. Diese werden dort durch eine serotonerge und
noradrenerge Neurotransmission kontrolliert, ähnlich
wie einige wichtige basale Funktionen des Organismus zur Steuerung des Kreislaufs, der Atmung oder
des Säure-Basen-Haushalts. Die Folge ist eine basale
Aktivierung des Sympathikus, die aber bei Panikattacken nicht regelhaft mit einer Aktivierung des Stresshormonsystems und des autonomen Nervensystems
einhergeht (Kellner u. Wiedemann 1998).
Die Aktivität des hypothalamisch-hypophysäradrenalen (HPA) Systems wird durch verschiedene
. Abb. 16.1. Symptome bei der Panikstörung. (Aus Rupprecht u. Möller 2008)
157
16.2 · Therapie
adaptive Antworten moduliert. Stress und Angst führen zu einer erhöhten CRH-Konzentration im Locus
coeruleus und verstärkten die Aktivität noradrenerger Neurone. Auch Noradrenalin stimuliert die Freisetzung von CRH. Gleichzeitig dämpft eine vermehrte
Serotoninfreisetzung aus den Raphekernen die CRHNeurone im Locus coeruleus (Holsboer 2003).
16.1
Gesamtbehandlungsplan
Zur Therapie der Panikstörung stehen wirksame psychotherapeutische Verfahren und Psychopharmaka,
insbesondere Antidepressiva, zur Verfügung. Leichte bis mittelschwere Panikstörungen können idealerweise allein psychotherapeutisch behandelt werden,
bei ausgeprägtem oder chronifiziertem Krankheitsbild bietet sich eine Kombination beider Verfahren an
(7 Abschn. 16.2).
Auf der psychopathologischen Ebene können
Stressreaktionen und akute Angstsymptome, die bei
der Panikstörung auftreten, kaum unterschieden
werden; auch die Ähnlichkeiten mit der depressiven
Symptomatik sind evident. Das ist physiologisch verständlich. Tatsächlich induzieren Stressoren nicht nur
Depressionen, sondern auch Angststörungen (Benkert 2005). Auch ist das Risiko für das Auftreten einer
Depression bei Menschen mit Angsterkrankungen 7bis 12-mal höher als bei Gesunden (Jacobi et al. 2004).
So ist auch die Komorbidität mit Depressionen (und
auch Abhängigkeitssyndromen) hoch. Es gibt also
viele Gründe, auch leichte Panikstörungen so früh wie
möglich zu behandeln. Eine unzureichend behandelte
Panikstörung geht für den Patienten mit erheblichem
Leidensdruck und dem Risiko einer Chronifizierung
einher.
Eine begleitende Agoraphobie ändert nicht grundsätzlich das Therapieverhalten, legt aber den Schwerpunkt eher auf die KVT.
16.2
Therapie
Vor der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung ist es besonders wichtig mögliche medizinische
Ursachen und Substanzmissbrauch auszuschließen.
16
Wichtig
Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
ob
5 eine Soforttherapie notwendig ist
5 komorbide Diagnosen, insbesondere eine
Depression, vorhanden sind
5 Suizidalität besteht
5 Substanzmissbrauch bekannt ist
5 die Panikstörung von einer Agoraphobie
begleitet wird
5 organischen Ursachen für die Angst zu
finden sind
5 eine positive/negative Haltung zur Pharmakotherapie/Psychotherapie besteht
Behandlung der akuten Panikattacke
Meistens kann durch ein beruhigendes Gespräch eine
akute Panikattacke schnell aufgelöst werden. Bei einer
schweren Panikattacke kann vorübergehend ein Benzodiazepine, z. B. Lorazepam, 0,5–1 mg verordnet
werden; bei einer bestehenden Antidepressivatherapie auch additiv.
16.2.1
Antidepressiva
Während leichte Schwergrade sowohl psychotherapeutisch als auch pharmakologisch behandelt werden
können, ist bei schweren Panikstörungen in der Regel
ein Antidepressivum indiziert. Wenn primär eine psychopharmakologische Therapie der Panikstörung,
z. B. bei Ablehnung einer KVT oder Fehlen eines Therapeuten, indiziert ist, sollten in diese allerdings psychoedukative und verhaltenstherapeutische Elemente
eingeschlossen werden. Dem Patienten sollen die richtigen Einstellungen und Verhaltensmaßnahmen vermittelt werden, um einen dauerhaften Therapieerfolg
zu gewährleisten.
5 Antidepressiva sind bei der medikamentösen
Behandlung der Panikstörung anderen Psychopharmaka vorzuziehen, zumal oft auch depressive
Störungsbilder parallel vorhanden sind. Besonders gut untersucht sind: Imipramin, Clomipramin, SSRI, irreversible MAO-Hemmer und Venlafaxin. Ein Wirkungsunterschied zwischen den
Substanzgruppen besteht nicht.
5 Wegen der guten Verträglichkeit bieten
sich SSRI (7 Abschn. 5.11.1) und Venlafaxin
(7 Abschn. 5.11.2) als erste Wahl an. Bewährte,
bei der Panikstörung zugelassene SSRI sind: Citalopram und Escitalopram. Auch das duale Anti-
158
1
2
3
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19
20
Kapitel 16 · Panikstörung
depressivum Venlafaxin ist bei dieser Indikation
zugelassen.
5 Die Dosis sollte, anders als bei der Depression,
sehr langsam einschleichend erfolgen, weil Patienten mit Panikstörung, im Vergleich zu depressiven Patienten, die Nebenwirkungen der Antidepressiva relativ schlecht tolerieren. Häufig werden
zu Beginn der Therapie bei zu hoher Dosis Unruhe und Schlaflosigkeit erlebt, manchmal kann die
Angst anfänglich sogar zunehmen (»jitteriness«).
Empfohlene Initialdosis ist die maximal halbe
Zieldosis: Citalopram 10 mg, Escitalopram 5 mg,
Venlafaxin 37,5 mg.
Die Zieldosis entspricht dann wieder der antidepressiven Therapie.
Bei Clomipramin können Tagesdosen von 30–
60 mg ausreichen.
5 Erst nach 2–4 Wochen ist mit einem gewünschten Therapieeffekt zu rechnen; hierüber muss der
Patient informiert werden, um die Compliance
zu sichern. Eine Wirksamkeit sollte dann in den
ersten 8 Wochen gesehen werden.
5 Bei schwerer Panikstörung kann eine überlappende Behandlung mit Benzodiazepinen indiziert sein (Beginn mit beiden Substanzklassen,
nach 2–4 Wochen Ausschleichen des Benzodiazepins).
Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe
5 Derzeit sind zur Behandlungsdauer keine allgemeinen Empfehlungen möglich. In der Regel
wird nach erfolgreicher medikamentöser
Behandlung die Fortführung der Gabe von Antidepressiva über 1–2 Jahre empfohlen, um einem
Rückfall vorzubeugen. So konnte gezeigt werden, dass bei Weiterführung der Erhaltungstherapie mit Antidepressiva in einem hohen Prozentsatz der Behandlungserfolg beibehalten wird. Auf
eine ausreichende Therapiedauer von mindestens
8 Wochen ist zu achten.
5 Das Absetzen der Medikation sollte sehr langsam
erfolgen.
Therapieresistenz
5 Zum Vorgehen bei Therapieresistenz gibt es zu
wenig abgesicherte Studien. Es kann, wie bei der
Depression (7 Abschn. 5.11), eine Kombinationstherapie mit zwei Antidepressiva aus verschiedenen chemischen Gruppen, z. B. SSRI mit einem
trizyklischen Antidepressivum, versucht werden.
Die Psychotherapie ist dann zu intensivieren.
16.2.2
Benzodiazepine
5 Benzodiazepine sind hochwirksame Anxiolytika. Sie können Panikattacken koupieren und sind
auch in der Behandlung der Panikstörung sicher
wirksam (Ballenger et al. 1998).
5 Zur schnellen Kupierung von Panikattacken sind
Benzodiazepine (z. B. Alprazolam 0,5 mg oder
Lorazepam 0,5 mg) gut geeignet, auch i.v.-Gaben
sind in dieser Indikation möglich. Ein überlappender initialer Einsatz von Benzodiazepinen
erscheint wegen der fehlenden initialen Wirkung
der Antidepressiva oft sinnvoll.
5 Benzodiazepine sind zwar auch in der Erhaltungstherapie und der Rezidivprophylaxe wirksam; die gut belegten Therapiemöglichkeiten
durch Antidepressiva (s. oben) sind wegen der
nicht vorhandenen Abhängigkeits- und Toleranzentwicklungen einer dauerhaften Benzodiazepinmedikation vorzuziehen. Weitere Vor- und Nachteile der Benzodiazepine . Tab. 8.1.
5 Zur Behandlung der Panikstörung benötigt man
in der Regel maximal 4 mg Alprazolam (die
Dosis ist höher als bei der generalisierten Angststörung). Die Startdosis sollte nicht mehr als
1,5 mg Alprazolam betragen.
5 Benzodiazepine können bei der Panikstörung
auch als Bedarfsmedikation in sehr niedrigen
Dosen (Lorazepam 0,5 mg) angewandt werden,
z. B. bei der Flugangst.
5 Bei akuter Symptomatik sollten Benzodiazepine
nicht länger als 1–2 Wochen gegeben werden,
nach 4–6 Wochen sollten sie in der Regel abgesetzt sein.
5 Nur in Ausnahmefällen, z. B. bei therapieresistenten Angststörungen und eher auch im
höheren Lebensalter können langfristig geringe
Dosen Benzodiazepine (z. B. Lorazepam bis zu
1 mg) toleriert werden.
5 Weitere Einzelheiten zu den Benzodiazepinen
7 Kap. 8.
5 Nicht wirksam als Anxiolytikum ist Buspiron
(7 Abschn. 8.2.2) bei Panikstörungen.
16.2.3
β-Rezeptorenblocker in der
Therapie von Angststörungen
5 β-Rezeptorenblocker, z. B. Propranolol oder Atenolol, vermindern β-adrenerg vermittelte somatische Symptome der Angst (Schwitzen, Tremor,
Herzrasen und Magen-Darm-Beschwerden). Sie
besitzen nur geringe sedierende Eigenschaften.
159
16.3 · Behandlung der Panikstörung im Kindes- und Jugendalter
5 β-Rezeptorenblocker sind bei Angsterkrankungen nicht wirksam. Sie schwächen aber die
vegetativen Begleiterscheinungen der Angst ab.
5 Eine Ausnahme scheinen Angstsyndrome, deren
Ursache auf kardiovaskulären Erkrankungen mit
erhöhter Herzfrequenz, z. B. bei Mitralklappenprolaps, zu sein (Zwanzger et al. 2000).
5 β-Rezeptorenblocker werden häufig als Einmalgabe bei psychischen Stresssituatinen wie Lampenfieber, Redner- und Prüfungsangst eingesetzt.
Der wissenschaftliche Nachweis dieser Wirkung
ist nicht überzeugend.
16
5 Die Kombinationstherapie mit KVT und Antidepressiva ist nach einer neuen Studie auch bei der
unkomplizierten, akuten Panikstörung geringfügig günstiger als die alleinige Therapie mit Antidepressiva oder der alleinigen KVT einzuschätzen (Furukawa et al. 2006).
5 Bei schwerer oder chronischer Panikstörung, insbesondere mit einer komorbiden Depression,
sollte immer die medikamentöse Therapie mit
einer KVT angestrebt werden (Linden 2005).
Fazit
Fazit
Antidepressiva und Psychotherapie bei Panikstörung – Bewertung
Pharmakotherapie bei Panikstörung – Bewertung
5 Unter den Antidepressiva sind SSRI oder Venlafaxin
Mittel der ersten Wahl.
5 Wichtig ist ein einschleichender Beginn mit der maximal halben Zieldosis.
5 Mindesttherapiedauer sind 8 Wochen.
5 Um einem Rückfall vorzubeugen, wird eine Therapiedauer mit Antidepressiva über 1–2 Jahre empfohlen.
5 Bei Therapieresistenz können auch 2 Antidepressiva
aus verschiedenen Gruppen, wie bei der Behandlung
der Depression, verordnet werden.
5 Benzodiazepine sind bei Panikstörung sehr wirksam
(nur Alprazolam ist zugelassen), sollten aber wegen
der überwiegenden Nachteile nur zu Beginn der Therapie bei schweren Erkrankungen eingesetzt werden.
Bei immer wiederkehrender Angst vor Panikattacken
können Benzodiazepine als Bedarfsmedikation in sehr
niedrigen Dosen bereitgehalten werden, z. B. bei der
Angst vor möglichen Panikattacken beim Fliegen.
5 Eine erstmanifestierte, unkomplizierte Panikstörung
kann akut mit einer KVT allein, mit Antidepressiva
allein oder mit einer Kombination aus beiden behandelt werden.
5 Es mehren sich Studien mit einer Präferenz des
Einsatzes einer Kombinationstherapie in der akuten
Behandlungsphase.
5 Da nach Absetzen von Antidepressiva das Risiko für
einen Rückfall steigt, ist im Rahmen einer Erhaltungstherapie die KVT die erste Option. Die zweite Option
ist der langfristige Einsatz von Antidepressiva.
5 Empfohlen werden KVT-Auffrischungssitzungen
(»booster session«).
5 Die schwere oder chronische Panikstörung, besonders mit begleitender Depression, sollte möglichst
kombiniert behandelt werden.
5 Bei begleitender Agoraphobie sollte immer eine
KVT – allein oder in Kombination mit Antidepressiva
– angesetzt werden.
16.3
16.2.4
Psychotherapie
5 Die KVT ist, besonders wie in einer Studie
gezeigt wurde, bei sachgerechtem Einsatz von
Expositions- und Konfrontationsübungen, bei
der Therapie der Panikstörung unter den psychotherapeutischen Verfahren am besten evaluiert
(Foa et al. 2002). Der Vorteil der KVT liegt in der
aktiven Teilnahme, dem Erlernen der Selbstexposition und den oft anhaltenden Effekten, besonders auch nach Abschluss der Akuttherapie und
im weiteren Verlauf nach Beendigung der akuten Therapie.
Behandlung der
Panikstörung im Kindesund Jugendalter
Bis zu 90% der Kinder und Jugendlichen mit Panikstörungen leiden zusätzlich noch an anderen Angststörungen oder affektiven Störungen (Diler 2003);
generell gelten für die Behandlung die gleichen Empfehlungen wie für das Erwachsenenalter. Es gilt, dass
leichte bis mittelschwere Panikstörungen meistens
psychotherapeutisch behandelt werden können, bei
ausgeprägten oder chronifizierten Krankheitsbildern
bietet sich eine Kombination aus Psychotherapie und
Pharmakotherapie an.
160
Kapitel 16 · Panikstörung
Auswahl der Antidepressiva
1
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Es kommen die gleichen Medikamente wie für das
Erwachsenenalter in Betracht: Antidepressiva (vorwiegend SSRI, 7 Abschn. 16.1.1), Benzodiazepine
(vorwiegend Akutbehandlung, 7 Abschn. 16.2.2) und
β-Blocker (7 Abschn. 16.2.3). Für die Behandlung von
Panikstörungen im Kindes- und Jugendalter liegt für
keine der oben erwähnten Substanzen eine Zulassung
vor. Auch fehlen kontrollierte Studien für eine Pharmakotherapie von Panikstörungen bei Kindern und
Jugendlichen. Es gibt nur einzelne Fallberichte oder
kleine offene Studien, in denen TZA (Imipramin,
Desipramin), Benzodiazepine (Alprazolam, Clonazepam) und SSRI positiv abgeschnitten haben; β-Blocker sind nicht untersucht worden (Masi et al. 2006).
Pharmakotherapie und Psychotherapie
Therapeutisch sollten nach einer Psychoedukation kognitiv-(verhaltenstherapeutische) Maßnahmen
erfolgen. KVT ist effektiv bei Kindern und Jugendlichen mit Panikstörungen hinsichtlich der Reduktion bzw. Remission von Panikattacken, Verminderung des Vermeidungsverhaltens, Verbesserung der
Copingstrategien in früheren Vermeindungssituationen und Verminderung der begleitenden depressiven Symptome. Belegt sind diese Ergebnissen durch
einzelne Fallberichte über eine Besserung der Panikstörung bei Kindern und Jugendlichen unter der
Kombination von KVT und Pharmakotherapie (Diler
et al. 2003).
16.4
Checkliste
?
1.
Welche Möglichkeiten zur Behandlung einer
akuten Panikattacke kennen Sie?
2. Welche Behandlungsoptionen bestehen für
eine längerfristige Behandlung der Panikstörung?
3. Unter welchen Bedingungen ist bei der
Panikstörung eine Kombinationstherapie aus
KVT und Antidepressiva anzustreben?
4. Welche Antidepressiva haben sich bei der
längerfristigen Behandlung der Panikstörung bewährt?
5. Wie sollte eine Panikstörung mit begleitender Agoraphobie behandelt werden?
6. Warum sollte bei der Behandlung der
Panikstörung mit Antidepressiva, wie z. B.
den SSRI oder dem dualen Antidepressivum
Venlafaxin, langsam aufdosiert werden?
7. Nach welcher Behandlungsdauer mit Antidepressiva ist mit einem positiven Effekt zu
rechnen?
8. Welche Rolle spielen Benzodiazepine bei der
Behandlung der Panikstörung. Wo liegen
ihre Vorteile, wo ihre Gefahren und Risiken?
9. Über welchen Zeitraum sollte eine pharmakologische Behandlung der Panikstörung
durchgeführt werden?
10. Was ist beim Absetzen von Antidepressiva
bei der Behandlung der Panikstörung mit
Antidepressiva zu beachten?
161
17.1 ·
17
Generalisierte Angststörung
17.1
Gesamtbehandlungsplan
– 162
17.2
Therapie
17.2.1
17.2.2
17.2.3
17.2.4
17.2.5
Antidepressiva – 162
Benzodiazepine – 163
Buspiron – 163
Pregabalin – 163
Psychotherapie – 163
17.3
Behandlung der GAD im Kindes- und Jugendalter
17.4
Checkliste
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– 165
– 164
162
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Die generalisierte Angststörung (GAD, früher auch
»Angstneurose«) ist gekennzeichnet durch unrealistische oder übertriebene Angst und Besorgnis über
Belange des Alltags (Beruf, Finanzen, Angehörige und
Partner); damit verbunden sind Hypervigilanz, erhöhte
Aufmerksamkeit, Nervosität und motorische Anspannung. Häufig sind Beschwerden der vegetativen Übererregbarkeit mit Schwitzen, Herzklopfen, Schwindel,
Muskelspannungen oder Oberbauchbeschwerden,
Übelkeit und Durchfall. Assoziationen auch zu anderen Schmerzen, ähnlich wie bei der Depression, sind
typisch. Die Symptome sind oft chronisch mit fluktuierender Intensität und sollten mindestens 6 Monate
vorhanden sein (ICD-10). Unter Belastung verschlimmern sich die Beschwerden. Die Kriterien für eine
Panikstörung, phobische oder hypochondrische Störung dürfen für die Diagnose einer GAD nicht erfüllt
sein. Viele GAD-Patienten haben eine ängstliche-vermeidende Persönlichkeitsstruktur.
Es wird angenommen, dass es bei der GAD, besonders unter Stresssituationen, zu ähnlichen neurobiologischen Fehlregulierungen wie bei der Panikstörung
(7 Kap. 16) kommt. Im Mittelpunkt der Hypothesen
zur Entstehung der GAD steht die einer Störung zentraler Serotoninsysteme. Sie wird primär durch die
Wirksamkeit serotonerger Substanzen gestützt.
11
17.1
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20
Kapitel 17 · Generalisierte Angststörung
Gesamtbehandlungsplan
Wie bei den anderen Angsterkrankungen (Panikstörung, phobische Störungen) sind psychotherapeutische Interventionen wesentlicher Bestandteil der
Therapie. Psychopharmakologische Strategien haben
nach vorliegenden Studienergebnissen aber die gleiche Wirksamkeit und können, je nach individueller
Wertschätzung der Therapieverfahren, auch als erste
Option in die Therapie eingebunden werden. Allerdings fehlen ähnlich sorgfältig durchgeführte und
abgesicherte Studien wie bei der Panikstörung, der
Zwangsstörung oder besonders bei den depressiven
Störungen, die eine differenzielle Indikation für die
einzelnen Therapieverfahren erlauben.
Es besteht bei der GAD eine hohe Komorbidität
mit depressiven Störungen und Suchterkrankungen.
Dabei werden Alkohol und Benzodiazepine oft zur
Entlastung bei Ängsten missbraucht.
Es gibt Hinweise aus prospektiven Studien die
für Risikozusammenhänge zwischen GAD und
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sprechen. Die Daten
haben aber nicht die Evidenz wie bei der Depression
(7 Abschn. 15.7.8).
17.2
Therapie
Neben der KVT haben besonders 4 Pharmakagruppen
gute anxiolytische Wirkung: Antidepressiva, Benzodiazepine, Buspiron und Pregabalin (Mitte et al. 2005;
Rickels u. Rynn 2002). Vom wissenschaftlichen Standpunkt ist zzt. nicht entschieden, ob die KVT oder eine
Pharmakotherapie bei der GAD wirksamer ist (Mitte 2005).
Nicht indiziert sind Antipsychotika. Sie haben
zwar auch – schon in geringerer Dosierung – eine
anxiolytische Wirkung, sind aber mit einem zu hohen
Nebenwirkungsrisiko behaftet.
Mögliche Gabe von β-Rezeptorenblockern bei
Angststörungen 7 Abschn. 16.2.3.
Wichtig
Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
ob
5 eine Soforttherapie (mit Benzodiazepinen)
notwendig ist
5 Suizidalität besteht
5 komorbide Diagnosen, insbesondere eine
Depression oder eine Suchterkrankung,
vorhanden sind (Cave: Benzodiazepine), ggf.
mit Drogenscreening
5 früherer Benzodiazepin- oder Substanzmissbrauch bekannt ist
5 organischen Ursachen für die vielfältigen
körperlichen Beschwerden zu finden sind
5 eine positive/negative Haltung zur Pharmakotherapie/Psychotherapie besteht
17.2.1
Antidepressiva
5 In frühen Studien konnte bereits gezeigt werden,
dass das trizyklische Antidepressivum Imipramin
eine gute anxiolytische Wirkung bei der GAD hat
(Hoehn-Saric et al. 1988). Allerdings ist der Wirkungseintritt im Vergleich zu Benzodiazepinen
um zwei oder mehr Wochen verzögert.
5 Eine gleich gute Wirkung haben SSRI (z. B. Escitalopram) und das duale Antidepressivum Venlafaxin. Sie sind Mittel der ersten Wahl bei der
GAD. Allerdings muss auch bei ihnen ein langsamer Wirkungseintritt von 2–4 Wochen eingeplant werden. Der Vorteil der SSRI und von Venlafaxin gegenüber Imipramin liegt in der geringeren Nebenwirkungsquote und gegenüber Ben-
163
17.2 · Therapie
zodiazepinen in dem fehlenden Abhängigkeitsrisiko.
5 Unter Antidepressiva sprechen bevorzugt psychische Symptome der Angststörung (chronische
Besorgtheit, Anspannung, Grübelneigung, Ängste im interpersonellen Bereich) an.
5 Die Dosierung der Antidepressiva entspricht weitestgehend (Venlafaxin schon ab 75 mg täglich)
der Behandlung depressiver Störungen.
5 Antidepressiva sollten bei der GAD im Rahmen einer Erhaltungstherapie mindestens 6–
12 Monate, eher 1–2 Jahre gegeben werden.
17.2.2
Benzodiazepine
5 Benzodiazepine zeigen bei raschem Wirkungseintritt (wichtig in Notfallsituationen) eine gute
Wirkung bei allen Angsterkrankungen, so auch
bei der GAD.
5 Oftmals kann gerade zu Beginn einer Psychotherapie oder bei einer akuten Exazerbation auf
eine Begleitmedikation mit einem Benzodiazepin
nicht verzichtet werden. Dies gilt auch zur Überbrückung bis zum Wirkungseintritt von anderen
anxiolytisch wirkenden Medikamenten.
5 Bei akuten Angstzuständen sind Benzodiazepine
Mittel der ersten Wahl.
5 Wegen des chronischen Charakters der GAD
ist von der Notwendigkeit einer längerfristigen
Behandlung (1–2 Jahre) auszugehen. Wenn Benzodiazepine langfristig verordnet werden sollen,
ist aber das Problem einer Abhängigkeitsentwicklung zu bedenken. Therapieversuche mit Antidepressiva oder Buspiron sind vorzuziehen.
5 Besonders hilfreich können Benzodiazepine
bei im Vordergrund stehenden vegetativen
Beschwerden sein, die manchmal durch Antidepressiva zu Beginn der Therapie noch verstärkt
werden können.
5 Benzodiazepine sollten nach 4–6 Wochen,
zumindest der wesentliche Dosisanteil, abgesetzt
sein. Selbst bei chronischer GAD sollte ein völliges Absetzen nach 4–6 Monaten gelingen.
5 Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten
findet sich keine nennenswerte Dosissteigerung
über die Zeit der Anwendung.
5 Die Dosierung entspricht der Behandlung der
Panikstörung. In 7 Abschn. 16.2.2 finden sich
auch die weiteren Vor- und Nachteile der Benzodiazepine.
5 Weitere Einzelheiten zu den Benzodiazepinen
7 Abschn. 8.4.1 und 8.11.1.
17.2.3
17
Buspiron
5 Buspiron ist als nichtsedierendes Anxiolytikum bei der GAD gut wirksam, aber nicht speziell für diese Indikation zugelassen. Es muss
der langsame Wirkungseintritt von mindestens 2 Wochen, wie bei Antidepressiva
(7 Abschn. 8.4.2), bedacht werden.
5 Buspiron und Benzodiazepine haben eine gleich
gute Wirksamkeit (Mitte et al. 2005).
5 Insbesondere bei suchtgefährdeten Patienten ist
Buspiron eine Alternative zu den Antidepressiva.
5 Buspiron ist allerdings für einen Benzodiazepinentzug nicht geeignet. Nach erfolgtem Entzug
kann Buspiron aber eingesetzt werden. Buspiron
wirkt aber nicht bei der Panikstörung.
5 Dauer der Behandlung mit Buspiron wie bei den
Antidepressiva. Dosierung und weitere Einzelheiten 7 Abschn. 8.4.1 und 8.11.2.
17.2.4
Pregabalin
5 Pregabalin (7 Abschn. 8.2.2 und 8.11.2) ist eine
neue Therapieoption und hat kürzlich die Zulassung für die Behandlung der GAD erhalten. Spezifische Indikationen müssen noch erarbeitet
werden.
17.2.5
Psychotherapie
5 KVT ist der wichtigste psychotherapeutische
Ansatz bei der GAD (Zubrägel u. Linden 2005).
Der kognitive Ansatz ist besonders wirksam
zur Bearbeitung von ängstlich-dysfunktionalen
Kognitionen (kognitive Umstrukturierung); aber
auch der verhaltenstherapeutische Ansatz mit
Konfrontation mit den Sorgen in sensu ist wertvoll.
5 Auffrischungssitzungen (»booster session«) sind
zu empfehlen.
5 Outcomedaten sprechen für einen Effekt nach
KVT von bis zu 12 Monaten (Gould et al. 1997).
Sogar 8-10 Jahre nach der KVT wurden noch
positive Effekte beobachtet (Durham et al. 2003).
Für die Pharmakotherapie gibt es solche Daten
nicht.
5 Über vergleichende Langzeiteffekte zwischen
KVT und Antidepressiva oder Benzodiazepinen
gibt es keine gesicherten Daten. Bei der Behandlung der GAD konnte bislang keine generelle
Überlegenheit oder Unterlegenheit der Psycho-
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7
Kapitel 17 · Generalisierte Angststörung
therapie gegenüber der Pharmakotherapie festgestellt werden (Lader u. Bond 1998; Mitte et al.
2005); dabei waren Benzodiazepine in der Regel
die Vergleichssubstanzen (Gould et al. 1997).
5 Nur in Analogie zu den anderen Angsterkrankungen kann geschlossen werden, dass bei leichter und mittelschwerer GAD ohne chronische
Entwicklung primär KVT indiziert ist. Bei
schwerer und chronischer GAD kann allein, besser aber in Kombination mit KVT, ein Antidepressivum verordnet werden.
5 In einer neuen Studie bei Patienten über 60 Jahre
mit gemischten Symptomen von GAD, Phobien
und depressiven Störungen war ein SSRI (Sertralin) KVT überlegen (Schuurmans et al. 2006).
5 Obwohl die psychodynamische Psychotherapie
gerade bei der GAD immer noch häufig angewandt wird, sind abgesicherte Evalutionsstudien
nicht vorhanden.
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Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei der GAD
– Bewertung
5 Therapie der ersten Wahl bei der leichten bis mittelschweren GAD ist die KVT. Medikamentöse Alternativen sind die Antidepressiva Escitalopram oder
Venlafaxin.
5 Bei schweren oder chronischen Formen sollte gleich
zu Beginn der Behandlung Escitalopram oder Venlafaxin gegeben werden. Eine Kombination mit KVT
ist sinnvoll.
5 »Booster sessions« sind angebracht.
5 Für die grundsätzliche Anwendung der KVT sprechen
positive Langzeiteffekte (wenngleich die Ergebnisse
sich auf wenige Daten beziehen und für Antidepressiva solche Studien noch nicht vorliegen).
5 Bei bekanntem Substanzmissbrauch oder begleitender depressiver Störung sind immer Antidepressiva
indiziert.
5 Die medikamentöse Therapie bei der GAD (Ausnahme Benzodiazepine) sollte im Rahmen einer Erhaltungstherapie mindestens 6 Monate, eher 2 Jahre,
beibehalten werden (nicht Benzodiazepine).
5 Handelt es sich um eine akute GAD, ggf. verbunden mit Suizidalität, auch in einer Notfallsituation
(7 Kap. 34), sind Benzodiazepine hoch wirksam. Auf
das rechtzeitige und richtige Absetzen muss geachtet
werden.
5 Benzodiazepine sind auch bei allen anderen Formen
der GAD sehr wirksam, sollten aber wegen der überwiegenden Nachteile nur zu Beginn der Therapie bei
schweren Erkrankungen eingesetzt werden.
17.3
Behandlung der GAD im
Kindes- und Jugendalter
GAD im Kindesalter ist gekennzeichnet durch exzessive und unkontrollierbare Sorgen über verschiedene
Abläufe und Aktivitäten im täglichen Bereich. Der
Verlauf ist nicht selten chronisch und es liegen häufig Komorbiditäten vor. Therapie der ersten Wahl bei
der leichten bis mittelschweren GAD ist die KVT. Bei
schweren oder chronischen Formen sollte gleich zu
Beginn der Behandlung ein SSRI gegeben werden. Es
sollte dann auch eine Kombination mit KVT erfolgen
(Hudson et al. 2005).
Auswahl der Antidepressiva
Genau wie bei Erwachsenen sind die SSRI und die
dualen Antidepressiva die wichtigsten Medikamentengruppen für die längerfristige Behandlung von
GAD. Sie sind jedoch für diese Indikation im Kindesund Jugendalter nicht zugelassen.
Es gibt zu SSRI (Fluoxetin, Fluvoxamin und Sertralin) und Venlafaxin 5 placebokontrollierte Studien.
In allen Studien war Verum dem Placebo signifikant
überlegen (Rynn et al. 2007).
Untersuchungen zu Buspiron und Pregabalin,
zwei Substanzen, die bei Erwachsenen zur Behandlung von GAD eingesetzt werden können, gibt es
zu diesem Störungsbild im Kindes- und Jugendalter
nicht. Es wurden auch noch keine Kombinationsstudien mit Psychotherapie durchgeführt.
17.4 · Checkliste
17.4
Checkliste
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7.
Welche Psychopharmaka sind Mittel der
ersten Wahl zur längerfristigen Behandlung
der GAD?
Ab wann ist bei den SSRI und dem dualen
Antidepressivum Venlafaxin mit einem
Wirkungseintritt zu rechnen?
Welche Medikamente zeigen in Notfallsituationen eine gute und schnelle anxiolytische
Wirkung?
Ab wann ist ein Wirkungseintritt bei einer
Behandlung mit dem nichtsedierenden
Anxiolytikum Buspiron zu erwarten?
Welche Vorteile bieten Antidepressiva und
das Anxiolytikum Buspiron gegenüber den
Benzodiazepinen?
Über welchen Zeitraum sollte eine Behandlung der GAD mit Antidepressiva oder
Buspiron erfolgen?
Wann ist bei der Behandlung der GAD eine
Kombinationstherapie aus KVT und einem
Antidepressivum sinnvoll?
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17
167
18.1 ·
Phobische Störungen
18.1
Gesamtbehandlungsplan
– 168
18.2
Therapie
18.2.1
18.2.2
Antidepressiva und andere Medikamente – 168
Psychotherapie – 169
18.3
Behandlung der phobischen Störungen im Kindes- und
Jugendalter – 169
18.4
Checkliste
– 168
– 170
18
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Bei der Phobie werden eher ungefährliche, aber subjektiv angstauslösende Situationen oder Objekte
gemieden oder unter Angst ertragen. Die Ängste reichen von leichten Befürchtungen bis hin zu panischer
Angst.
Die spezifische Phobie wird durch bestimmte Situationen, wie Höhen und Objekte, oder durch Tiere
ausgelöst. Es wird versucht die phobische Situation zu
meiden.
Bei der sozialen Phobie (Syn.: soziales Angstsyndrom) steht die anhaltende Angst vor sozialer Bewertungen im Vordergrund. Unterschieden werden bei
der sozialen Phobie eine »spezifische Form« (z. B.
Redeangst) und eine »generalisierte Form«, bei der
schließlich weite Bereiche sozialer Situationen gemieden werden. Differenzialdiagnostisch muss die phobische Störung von der ängstlich-vermeidenden Persönlichkeit getrennt werden. Das ist aufgrund des
chronischen Verlaufs beider Erkrankungen oft nicht
leicht.
Die Agoraphobie ist häufig mit Panikattacken
(7 Kap. 16) assoziiert. Sie bezieht sich auf ein breites
Spektrum von Ängsten das eigene Haus zu verlassen,
Geschäfte zu betreten, sich in Menschenmengen aufzuhalten bis hin zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.
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20
Kapitel 18 · Phobische Störungen
Gesamtbehandlungsplan
Mit der Verhaltenstherapie und den Antidepressiva
gibt es zwei wirkungsvolle Behandlungsoptionen bei
phobischen Störungen.
Auf komorbide Störungen, wie andere Angsterkrankungen, depressive Störungen und Substanzmissbrauch, ist besonders zu achten. Gerade bei dieser
Patientengruppe besteht oft Suizidalität. Die zusätzlichen Symptome entscheiden oft darüber, ob ein
Antidepressivum eingesetzt wird.
Besondere neurobiologische Normabweichungen
wurden bisher nicht gefunden. Die Wirksamkeit serotonerger Substanzen spricht für eine gestörte serotonerge Funktion.
Wichtig
Allzu oft werden SSRI allein schon bei schüchternen oder gehemmten Menschen verordnet.
Dieser Bereich der leichten Störungen sollte psychotherapeutisch behandelt werden. Wenn allerdings eine phobische Angst sehr ausgeprägt ist
und sie eindeutigen Krankheitswert hat, besteht
neben der Psychotherapie auch eine Indikation
für eine pharmakologische Behandlung. Sie sollte
dann auch rechtzeitig, entsprechend den Vorgaben (7 Abschn. 18.2) behandelt werden, denn es
gibt, wie für die Depression (7 Kap. 15), auch für
phobische Störungen ein erhöhtes Risiko für das
Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
18.2
Therapie
18.2.1
Antidepressiva und andere
Medikamente
5 Bei der spezifischen Phobie sind Antidepressiva in
der Regel nicht indiziert. Handelt es sich um gelegentliche, vorhersagbare Ereignisse, kann nach
Bedarf ein Benzodiazepin (wie bei den Panikattacken 7 Abschn. 16.2.2) gegeben werden. Manchmal ist auch ein β-Rezeptorenblocker wirksam
(7 Abschn. 16.2.3).
5 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
(SSRI) und das duale Antidepressivum Venlafaxin sind die Mittel der Wahl, wenn Antidepressiva bei den phobischen Störungen indiziert sind
(Muller et al. 2005). Zwar wird für andere Medikamentengruppen eine Wirksamkeit beschrieben (MAO-Hemmer Moclobemid, Clomipramin), diese haben aber höhere Nebenwirkungsrisiken. Unter den SSRI ist zwar Paroxetin besonders gut geprüft, hat aber im Vergleich zu dem
SSRI Escitalopram Nebenwirkungsnachteile
(7 Abschn. 5.6). Benzodiazepine sind den SSRI
bei den Phobien unterlegen. Buspiron kann eine
Alternative sein.
5 Die Dosis der Antidepressiva wird in der gleichen
Höhe wie bei der depressiven Störung gegeben
(7 Abschn. 5.11).
5 Die antiphobische Wirkung von Escitalopram
und Venlafaxin tritt oft mit zeitlicher Verzögerung nach der antidepressiven Wirkung auf. Es
werden Behandlungszeiträume von 12 Wochen
empfohlen. Um ein Rezidiv zu vermeiden ist aber
169
18.3 · Behandlung der phobischen Störungen im Kindes- und Jugendalter
durchaus eine längere Therapie angebracht. In
einer Studie war die Rezidivneigung unter Erhalt
des SSRI deutlich geringer als in der Gruppe, in
der das Antidepressivum abgesetzt wurde (Stein
et al. 1998).
5 Antidepressiva sollen sehr langsam über Wochen
abgesetzt werden.
5 Stehen bei der sozialen Phobie körperliche Symptome wie Zittern oder Schwitzen im Vordergrund, werden oft β-Rezeptorenblocker gegeben
(7 Abschn.. 16.2.3); der Wirksamkeitsnachweis ist
aber keineswegs überzeugend.
5 Die Therapie der Agoraphobie ist identisch mit
der Therapie der Panikstörung (7 Abschn. 16.2).
Cave
Es werden immer noch Antipsychotika bei Phobien und anderen Angststörungen empfohlen.
Dies sollte wegen des relativ hohen Nebenwirkungsrisikos unterbleiben.
18.2.2
Psychotherapie
5 Bei den spezifischen Phobien besteht eine klare
Präferenz für Verhaltenstherapie (Hamm 2006).
5 Für die soziale Phobie zeigen Metaanalysen ähnlich gute Effekte für die KVT und die Expositionstherapie (Gould et al. 1997). Eine wertvolle
Ergänzung dieser Therapieformen ist das soziale Kompetenztraining mit dem Erlernen sozialer
Verhaltensweisen (Stangier et al. 2006).
5 Die Ergebnisse der psychotherapeutischen Studien bei Patienten mit Panikstörung mit und ohne
Agoraphobie unterscheiden sich nicht (Furukawa
et al. 2006). Einzelheiten 7 Abschn. 16.2.4.
Fazit
Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psychotherapie bei phobischen Störungen – Bewertung
5 Expositionstherapie und kognitive Verfahren sind
allein und in Kombination mit Antidepressiva gut
wirksam.
5 Bei der spezifischen Phobie sind primär verhaltenstherapeutische Maßnahmen indiziert. Wenn die
Konfrontation mit der angstauslösenden Situation
selten ist (z. B. Flugangst) kann bei Bedarf auch ein
Benzodiazepin oder ein β-Blocker gegeben werden.
18
5 Bei den anderen phobischen Störungen konnte eine
generelle Überlegenheit oder Unterlegenheit der
Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie gegenüber der alleinigen Verhaltenstherapie nicht festgestellt werden. Es fehlen aussagekräftige Vergleichsstudien.
5 Sollen bei phobischen Störungen Anidepressiva gegeben werden, sind Escitalopram (SSRI) oder Venlafaxin (duales Antidepressivum) Mittel der ersten Wahl.
5 Bei Response sollte das Antidepressivum mindestens
6–12 Monate weiter gegeben werden.
5 Bei nicht voller Remission kann ein anderes Antidepressivum oder Buspiron, ggf. auch ein Benzodiazipin
hinzu gegeben werden. Bei Non-Response sind
ähnliche Strategien, wie bei der therapieresistenten
Depression (7 Kap. 15), anzuwenden.
18.3
Behandlung der
phobischen Störungen im
Kindes- und Jugendalter
Soziale Phobien haben eine hohe Prävalenz und
beginnen meistens im späten Kindesalter bzw. frühen
Jugendalter. Als komorbide Erkrankungen treten häufig andere Angststörungen und affektive Störungen
hinzu. Die Patienten sind in der Folge in ihrer emotionalen, sozialen und schulischen Entwicklung stark
beeinträchtigt.
Bei der Behandlung phobischer Störungen im
Kindes- und Jugendalter wird primär KVT eingesetzt. Bei schweren und chronischen Verläufen ist eine
zusätzliche medikamentöse Therapie mit SSRI empfehlenswert (Mancini et al. 2005).
Pharmakotherapie
Im Kindes- und Jugendalter wurden im Bereich der
phobischen Störungen vorwiegend pharmakologische
Studien zur sozialen Phobie durchgeführt. Es gibt keine Placebokontrollierten Studien bei den Störungsbildern spezifische Phobien oder Agoraphobien. Im
Kapitel Panikstörungen (7 Kap. 16) wird auf Panikstörungen eingegangen, die häufig mit Agoraphobie einhergehen. Die Therapie der Störung mit Trennungsangst im Kindesalter, auch als Schulphobie bezeichnet, wird in 7 Kap. 33 beschrieben.
In mehreren kontrollierten Studien konnte die
Effizienz der SSRI (Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin) gegenüber Placebo bei der Behandlung von
sozialen Phobien im Kindes- und Jugendalter gezeigt
werden (Clark et al. 2005).
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Kapitel 18 · Phobische Störungen
Auch das Benzodiazepin Alprazolam zeigte in
einer kontrollierten Studie bei Kindern und Jugendlichen mit Überängstlichkeit und Vermeidungsverhalten eine positive Wirkung und kann zur kurzfristigen
Therapie unterstützend eingesetzt werden (Mancini et
al. 2005).
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Checkliste
4.
5.
6.
Welche Antidepressiva sind Mittel der ersten
Wahl bei einer pharmakologischen Behandlung phobischer Störungen?
Wann ist bei phobischen Störungen mit
einer Wirkung von Antidepressiva (SSRI,
Venlafaxin) zu rechnen?
Wann sind Antidepressiva bei der sozialen
Phobie eine sinnvolle Behandlungsindikation?
Über welchen Zeitraum sollte eine Behandlung mit Antidepressiva mindestens
erfolgen?
Welche Rolle spielen Antipsychotika bei der
Behandlung phobischer Störungen?
Warum sollten soziale Phobien im Kindesund Jugendalter frühzeitig behandelt werden und wie sollte sich die Behandlung bei
einer ausgeprägten Symptomatik gestalten?
171
19.1 ·
Zwangsstörung
19.1
Gesamtbehandlungsplan
– 172
19.2
Therapie
19.2.1
19.2.2
19.2.3
Antidepressiva – 173
Andere Medikamente – 173
Psychotherapie – 174
19.3
Behandlung der Zwangsstörung im Kindes- und
Jugendalter – 174
19.4
Checkliste
– 172
– 175
19
172
1
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Kapitel 19 · Zwangsstörung
Eine Zwangsstörung ist gekennzeichnet durch wiederkehrende, als unsinnig oder quälend erlebte Zwangsgedanken und/oder -handlungen. Zwangsgedanken betreffen besonders aggressive, religiös-blasphemische, sexuelle Gedankeninhalte; ferner Themen der
Symmetrie, Kontamination und des Hortens. Zwangshandlungen umfassen Kontroll-, Ordnungs-, Zähl-,
Wiederholungs-, Reinigungs- und Sammelzwänge.
Es wird diskutiert, ob nicht eine größere Gruppe
von Krankheiten mit zwangsähnlichen Phänomenen
eher zu den Zwangskrankheiten gezählt werden
sollten (»obsessive compulsive spectrum disorder«).
Für sie gibt es ähnliche neurobilogische Hypothesen
und Therapiestrategien. Dazu gehören insbesondere
Impulskontrollstörungen mit aggressiven und sexuellen Impulsen (7 Kap. 29), Tics und das Gilles-de-laTourette-Syndrom (7 Kap. 32).
Insgesamt bieten beide Therapieformen zwangskranken Menschen eine große Hilfe, die Responderraten sind aber insgesamt noch nicht befriedigend.
Bei starker sozialer Isolierung sind psychosoziale
Maßnahmen angebracht.
Der psychoanalytische Erklärungsansatz war jahrzehntelang attraktiv. Zwar können Zwangspatienten
hinsichtlich verschiedener Begleitsymptome durchaus von einer psychodynamischen Psychotherapie
profitieren, für die eigentlichen Zwangstörungen ist
aber ein Wirksamkeitsnachweis bisher nicht erbracht
(Benkert u. Lenzen-Schulte 2004).
Es besteht eine hohe Komorbidität von depressiven Störungen und Angststörungen. Bei dieser Konstellation sollte immer frühzeitig ein Antidepressivum
gegeben werden. Die Zwangsstörung sollte diagnostisch von der ichsyntonen anankastischen Persönlichkeitsstörung getrennt werden.
Neurobiologie der Zwangsstörung. Der entschei-
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dende Schritt zum Einblick in möglicherweise gestörte
Stoffwechselschritte bei der Zwangskrankheit war
der Behandlungserfolg mit Serotoninrückaufnahmehemmern. Sie legen eine serotonerge Dysfunktion bei
Zwangspatienten nahe. Unterstützt wird die Hypothese durch den Befund, dass es nach Gabe des Serotoninagonisten m-Chlorophenypiperazin (m-CPP) bei
Zwangskranken zu einer Verschlechterung der Symptomatik kommt. Bei Gesunden ist m-CPP wirkungslos. Weiterhin erlauben es heute bildgebende Verfahren, immer intensiver auch topographische Schädigungen im Gehirn nachzuweisen. Primäre Störungen
im kortikostriatothalamokortikalen Regelkreis (Kordon et al. 2006) mit besonderer Bedeutung des Striatums werden für den Ausfall entscheidender Filterstationen verantwortlich gemacht, sodass unerwünschte
Impulse in höhere Gehirnzentren gelangen können.
19.1
Gesamtbehandlungsplan
Es stehen auch bei der Zwangsstörung zwei wertvolle Therapiestrategien, psychologische Verfahren
und Antidepressiva, zur Verfügung. Sie sollten in
der Regel, wenn irgend möglich, gemeinsam angewandt werden (Kordon et al. 2008). Allerdings stehen, zumindest bei der leichten Zwangshandlung verhaltenstherapeutische Maßnahmen im Vordergrund,
während bei vorherrschenden Zwangsgedanken möglichst SSRI mit KVT kombiniert angewandt werden
sollten. Allerdings gibt es noch zu wenige kontrollierte
Studien, um klare Empfehlungen zu geben.
19.2
Therapie
Neben der dominierenden Indikation für KVT und
Antidepressiva wird in seltenen Fällen bei schweren
und therapieresistenten Erkrankungen ein neurochirurgischer Eingriff vorgenommen (Schruers et al.
2005). Vorher kann noch ein Versuch mit transkranieller Magnetstimulation, Vagusnervstimulation oder
Elektrokrampfbehandlung (7 Abschn. 15.6) vorgenommen werden.
Wichtig
Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
ob
5 es sich um ein akutes Krankheitssyndrom
so starker Ausprägung handelt, dass den
sofortigen Einsatz eines Antidepressivums,
ggf. vorübergehend eines Benzodiazepins,
notwendig macht;
5 Suizidalität besteht;
5 komorbide Diagnosen, insbesondere eine
depressive Störung oder eine Angststörung
vorhanden sind;
5 Substanzmißbrauch bekannt ist;
5 der Patient sich sozial völlig zurückgezogen
hat;
5 eher Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen vorherrschen;
5 die Krankheit mit motorischen oder sprachlichen Tics einhergeht.
173
19.2 · Therapie
19.2.1
Antidepressiva
Es sind überzeugende Wirksamkeitsnachweise für
Antidepressiva mit überwiegender oder selektiver 5HT-Rückaufnahmehemmung wie Clomipramin (trizyclisches Antidepressivum (TZA)) bzw. die SSRI Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin (diese 3 SSRI sind
zugelassen), aber auch für Citalopram und Sertralin
vorhanden.
Historisch war Clomipramin schon Ende der
1960er Jahre das erste TZA, von dem eine überlegene
Wirksamkeit bei der Zwangsstörung berichtet wurde. Interessant war die Beobachtung, dass die anderen
TZA diese Wirkung nicht entfalteten. Man erkannte
dann bald, dass die Ursache in dem besonders starken
serotoninwiederaufnahmehemmenden Mechanismus
von Clomipramin lag. Damit begann die Suche nach
der Bedeutung des Serotoninstoffwechsels für die neurobiologische Hypothese der Zwangsstörung.
5 Da kein Unterschied in der Wirksamkeit zwischen Clomipramin und den SSRI besteht, gelten
SSRI aufgrund der geringeren Nebenwirkungen
als Mittel der ersten Wahl. Auch innerhalb der
SSRI gibt es keine Wirkunterschiede.
5 Die Dosis soll langsam auftitriert werden. Es sind
meist höhere Dosen als zur Depressionsbehandlung notwendig. Beispiele sind:
– Escitalopram: Beginn mit aufsteigend bis
maximal 20 mg.
– Clomipramin: Beginn mit 25–50 mg, maximal 300 mg.
– Fluoxetin: Beginn mit 10–20 mg, maximal
80 mg.
– Fluvoxamin: Beginn mit 50 mg, maximal
300 mg.
5 Der Therapieerfolg stellt sich oft erst nach 2–
3 Monaten ein. Vorher sollte nicht von einer
Non-Response ausgegangen werden.
5 Meist wird nur eine graduelle Besserung von 40–
50% erreicht.
5 Begleiten depressive Störungen oder Angststörungen die Zwangskrankheit, sollten zunächst –
unabhängig von der syndromalen Ausgestaltung
der Zielkrankheit – SSRI verordnet werden.
5 Horten und sexuelle bzw. religiöse Obsessionen
als Symptome einer Zwangskrankheit scheinen
nur mäßig auf SSRI (und KVT) anzusprechen
(Rufer et al. 2006).
Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe
5 Bei der Zwangsstörung ist eine längerfristige
medikamentöse Erhaltungstherapie (mindestens
12–24 Monate) erforderlich. Bei voller Response
19
sollten Absetzversuche langsam ausschleichend
und möglichst nur unter einer KVT-Kombination erfolgen, z. B. 25% der Dosis in 2 Monatsschritten (s. unten).
5 Wenn ein Patient nach Absetzversuchen mehr als
2 Rückfälle hatte, ist an eine Langzeitmedikation
zu denken.
Cave
Die Antidepressiva dürfen nicht plötzlich abgesetzt werden. Das Rückfallrisiko ist zu hoch. Ein
Absetzversuch sollte sehr langsam erfolgen. Im
Verlauf sollte die pharmakologische Behandlung
durch eine KVT ergänzt werden um langfristige
Therapieeffekte zu sichern.
Therapieresistenz
5 Mindesten 30% der Patienten respondieren auf
eine Monotherapie mit einem SSRI nicht. Dann
kann
– ein anderer SSRI
– oder Clomipramin
– oder im nächsten Schritt eine Kombinationstherapie aus Clomipramin und SSRI indiziert sein.
5 Bei Therapieresistenz zeigten erste Studien auch
eine gute Wirkung durch die zusätzliche Gabe
der atypischen Antipsychotika Risperidon oder
Quetiapin zu den SSRI.
5 Positive Berichte gibt es zur Kombination von
SSRI mit dem Benzodiazepin Clonazepam und
Buspiron.
5 Die Tiefenhirnstimulation ist bei therapieresistenten Zwangsstörungen eine neue Therapieoption, die aber noch weiter abgesichert werden
muss. Sie bietet gegenüber den früheren neurochirurgischen Verfahren den Vorteil, dass nur
sehr wenig Hirngewebe verletzt wird, da der Zielort im Gehirn nur elektrisch stimuliert wird.
19.2.2
Andere Medikamente
5 Es gibt jetzt mehrere Studien in denen eine Addon-Therapie mit SSRI und atypischen Antipsychotika (s. oben, Therapieresistenz) positiv beurteilt wird (Schruers et al. 2005). Von neuen Studien sind weitere wichtige Ergebnisse, insbesondere bei therapieresisten Zwangskranken zu
erwarten.
174
1
2
Kapitel 19 · Zwangsstörung
5 Benzodiazepine und Buspiron allein sind in der
Regel nicht wirksam. In einer Notfallsituation
können aber Benzodiazepine kurzfristig verordnet werden.
Wichtig
3
4
5
6
5 Zwänge im Rahmen einer Schizophrenie
sprechen nicht auf SSRI an. Antipsychotika
sind dann indiziert.
5 Begleitende motorische oder sprachliche
Tics und Zwangssymptome im Sinne einer
überwertigen Idee müssen zusätzlich auch
mit einem Antipsychotikum behandelt
werden.
7
Fazit
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
5 KVT in Kombination mit Exposition und Reaktionsmanagement war in einer Studie wirksamer
als Exposition mit Reaktionsmanagement allein.
5 Die Verhaltenstherapie hat einen nachgewiesenen Langzeiteffekt. Durch die in die Therapie
integrierte Rückfallprophylaxe wird die Selbstbehandlungskompetenz aufgebaut und aktiviert.
5 Auch Patienten, die unter einer medikamentösen
Therapie nur eine partielle Response zeigen, profitieren von einer zusätzlichen KVT, allerdings ist
der Gewinn umso größer desto eher KVT angesetzt wird (Tenneij et al. 2005).
5 Wird eine komorbide depressive Störung diagnostiziert, sollte die KVT immer mit einem SSRI
kombiniert werden (O’Connor et al. 2006).
5 Wenn die Antidepressiva bei der Zwangsstörung
abgesetzt werden sollen, besteht das Risiko einer
Rückfallquote von ca. 80%. Eine parallele KVT ist
in dieser Situation dringend indiziert.
Pharmakotherapie der Zwangsstörung – Bewertung
5 SSRI sind Mittel der Wahl bei Zwangskrankheiten.
5 Eine Indikation ist regelmäßig bei schweren Erkrankungen und bei begleitender Depression gegeben.
5 Die Dosis ist höher als bei der depressiven Störung,
sie muss langsam aufdosiert werden.
5 Der Therapieerfolg stellt sich viel später als bei der
Depression ein (ca. 2–3 Monate).
5 Es ist eine Therapiedauer von mindestens 12–24 Monaten anzustreben.
5 Ein Absetzversuch soll sehr langsam und möglichst
unter dem Schutz einer KVT erfolgen. Das Risiko eines
Rückfalls ist beim Absetzen sehr hoch.
5 Bei Therapieresistenz können auch mehrere SSRI
nacheinander gegeben werden.
19.2.3
Fazit
Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psychotherapie bei Zwangsstörung – Bewertung
5 Zwangshandlungen sprechen generell besser auf
KVT an als Zwangsgedanken.
5 Bei leichten Störungen ist KVT zunächst allein
(besonders bei Zwangshandlungen, möglicherweise
auch bei Zwangsgedanken) indiziert, bei schweren
Erkrankungen sollten immer KVT und SSRI kombiniert werden.
5 Bei begleitender Depression sollte regelmäßig die
KVT mit einem SSRI kombiniert werden.
5 KVT hat einen besseren Langzeiteffekt als Antidepressiva.
5 Bei Absetzversuch der Antidepressiva sollte spätestens mit einer KVT begonnen worden sein.
Psychotherapie
5 Bei vorherrschenden Zwangsgedanken sind KVT
und Antidepressiva wahrscheinlich gleich wirksam. Bei leichten Störungen ist eine alleinige psychologische Therapie zunächst anzustreben, bei
mittelschweren und schweren Störungen sollte
gleich zu Beginn ein SSRI mit angesetzt werden
(March et al. 1997).
5 Dagegen zeichnet sich bei vorherrschenden
Zwangshandlungen generell ein Vorteil für die
KVT im Vergleich zu Antidepressiva ab. Bei
schweren Erkrankungen sollte, falls die KVT
nicht schnell anspricht oder nicht zur Verfügung
steht, mit einem SSRI parallel begonnen werden.
19.3
Behandlung der
Zwangsstörung im Kindesund Jugendalter
Bei Kindern ist es häufig schwierig rituelle Handlungen von Zwangsstörungen zu unterscheiden. Kinder mit Zwangsstörungen sind meistens verschlossen
und ziehen sich zurück, da sie große Ängste haben,
ihre Gedanken und Handlungen mitzuteilen. Als zentrales Element bei den Zwangsstörungen im Kindesalter sind häufig Familienmitglieder eingebunden. Die Zwangstörungen können ab dem 4. Lebens-
175
19.4 · Checkliste
jahr auftreten. Die Ergebnisse zum Verlauf der juvenilen Zwangsstörungen zeigen eine hohe Stabilität der
Erkrankung und ihrer Komorbiditäten.
Bei den Zwangsstörungen im Kindes- und
Jugendalter gelten die gleichen Empfehlungen wie bei
Erwachsenen mit Zwangsstörungen: Bei leichten Störungen ist zunächst KVT allein indiziert, bei schweren
Störungen sollte immer KVT und SSRI bzw. Clomipramin kombiniert werden (O’Kearney et al. 2006).
Pharmakotherapie
Fluvoxamin aus der Gruppe der SSRI ist ab 8 Jahren
zur Behandlung von Zwangsstörungen zugelassen.
Placebokontrollierte Studien wurden mit SSRI
(Fluoxetin, Fluvoxamin und Sertralin) bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt. In allen Studien zeigte sich nach 8–13 Wochen Therapie eine Besserung zwischen 42–49% im Vergleich zu Placebo
(Wewetzer et al. 2003). Zu Clomipramin gibt es auch
positive Befunde, allerdings nur mit Studiendauern
von 5–8 Wochen.
Pharmakotherapie und Psychotherapie
Psychotherapeutisch ist die Verhaltenstherapie und
hier speziell die Expositionsbehandlung mit Reaktionsverhinderung eine effektive Behandlungsmethode zur Behandlung von Zwangsstörungen im Kindesund Jugendalter. Eine Cochrane-Untersuchung aus
dem Jahr 2006 konnte allerdings nur vier Studien, die
die Kriterien für eine kontrollierte Studie erfüllten, in
ihre Metaanalyse aufnehmen (O’Kearney et al. 2006).
In zwei kontrollierten Studien wurde Psychotherapie und medikamentöse Therapie bzw. deren Kombination bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen verglichen. Dabei zeigte sich in der einen
Studie, dass die Kombination von KVT und Sertralin,
den alleinigen Therapieformen überlegen war, welche wiederum gegenüber Placebo überlegen waren. In
19
der anderen Studie erwies sich, dass KVT-Gruppentherapie signifikant bessere Ergebnisse als die medikamentöse Therapie mit Sertralin erzielte (Sousa et al.
2006).
19.4
Checkliste
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1.
2.
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4.
5.
6.
7.
8.
Für welches Antidepressivum wurde als
erstes eine überlegene Wirksamkeit bei
Zwangsstörungen nachgewiesen? Welcher
Wirkungsmechanismus liegt dem zugrunde?
Welche Antidepressiva werden bei der
Behandlung der Zwangsstörung eingesetzt?
Welche Dosierungen sind bei der Behandlung der Zwangstörungen mit Antidepressiva notwendig?
In welchem Zeitraum kann bei der Behandlung der Zwangsstörung mit Antidepressiva
mit einem Therapieeffekt gerechnet werden?
Wie stark ist der zu erwartende Therapieeffekt?
Wie lange sollte eine Behandlung mit SSRI
bei entsprechendem Therapieerfolg fortgeführt werden?
Was ist beim Absetzen der SSRI zu beachten?
Welche pharmakologischen Therapieoptionen gibt es, falls SSRI nicht zum gewünschten Therapieerfolg führen?
20
177
20.1 ·
Posttraumatische Belastungsstörung
20.1
Gesamtbehandlungsplan
– 178
20.2
Therapie
20.2.1
20.2.2
20.2.3
Antidepressiva – 178
Andere Psychopharmaka
Psychotherapie – 179
20.3
Behandlung der PTSD im Kindes- und Jugendalter
20.4
Checkliste
– 178
– 180
– 178
– 179
178
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14
Kapitel 20 · Posttraumatische Belastungsstörung
Die posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)
ist ein Störungsbild, das sich in der Regel innerhalb
von 6 Monaten nach einem traumatisierenden Ereignis von außergewöhnlicher Schwere entwickelt und
sich in wiederholten, sich aufdrängenden Erinnerungen oder Wiederinszenierungen des Ereignisses
in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen äußert,
die von starker Angst oder einem Gefühl der Hilflosigkeit geprägt sind. Dabei entwickeln sich häufig
emotionaler und sozialer Rückzug, Gefühlsabstumpfung, Vermeidungsverhalten bez. an das Trauma erinnernder Stimuli, anhaltende Hypervigilanz, Schlafstörungen und kognitive Verzerrungen. Eine PTSD kann
sich auch nach alltäglichen Ereignissen wie Unfällen
entwickeln.
Während der größte Teil der Traumatisierten die
Ereignisse bewältigt, kommt es bei einem Drittel zu
psychischen Problemen. Dauert die PTSD länger als
3 Monate, wird sie als chronisch eingestuft.
In der DSM-IV-Klassifikation wird die PTSD den
Angsterkrankungen zugeordnet, in der ICD-10 wird
sie als Reaktion auf Belastungen gesehen.
Neurobiologie der PTSD. Hyperarousal und Reizbarkeit wird als Aktivierung des sympathischen und
endokrinen Systems bei Stress gesehen. Aber anders
als bei der Depression führt die Dysregulation der
Stresshormonsekretion bei der PTSD zu einem erniedrigten peripheren Kortisolspiegel. Dieser Befund
mag für die Sonderstellung der PTSD im Rahmen
der Angsterkrankungen sprechen. Im Vergleich zur
Depression fehlen aber weitgehend abgesicherte weitere neurobiologische Befunde (Ehlert 2006). Da die
SSRI wirksam sind, wird auch eine serotonerge Dysfunktion postuliert. Auf den genetischen Zusammenhang zwischen »life events« und Depression wird in
7 Abschn. 15.8 hingewiesen.
15
16
17
18
19
20
20.1
Gesamtbehandlungsplan
Die PTSD ist oft eine chronische Erkrankung und
muss langfristig behandelt werden. Dazu bieten sich
Antidepressiva und psychologische Verfahren auf der
Grundlage der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT)
an; sie können kombiniert angewandt werden. Der
Schwerpunkt liegt allerdings auf der Psychotherapie
(Bradley et al. 2005).
Bei der PTSD besteht eine hohe Komorbidität mit
Angststörungen und Depressionen, aber auch somatoformen Störungen. Während die Angstsymptomatik über die Zeit eher abnimmt, treten depressive Symptome vermehrt auf. So wird auch die PTSD als Prä-
diktor der Depression gewertet. Da Alkohol und illegale Drogen die Beschwerden der PTSD mildern können, ist bei der PTSD eine zusätzliche Komorbidität
mit Alkohol- und Drogenabusus häufig. Die PTSD
ist oft bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen zu
finden. Ein wichtiger Risikofaktor für die PTSD sind
vorbestehende Angsterkrankungen (Kendler et al.
1995; Hautzinger 2006). Erstmalig wurde, wie bei der
Depression (7 Abschn. 15.8), auf die Assoziation zwischen PTSD und Herz-Kreislauf-Erkrankungen hingewiesen (Kubzansky et al. 2007).
Eine gebesserte Symptomatik kann nach einigen
Monaten oder Jahren – ganz oder in Teilsymptomen –
wieder aufflackern. Manchmal dauern Episoden jahrzehntelang.
20.2
Therapie
20.2.1
Antidepressiva
5 Die meisten positiven Ergebnisse liegen zu den
SSRI Paroxetin und Sertralin vor (zugelassen:
Paroxetin). Insgesamt sind die Erfolge mit Antidepressiva bei der PTSD geringer als bei der
Depression; 40–50% respondieren unter SSRI.
Durch SSRI werden sowohl die PTSD-typischen
als auch die komorbiden Begleitsymptome gebessert.
5 Man beginnt mit niedriger Dosis für mindestens
8 Wochen und setzt dann auf eine eher hohe
Erhaltungsdosis wie bei der Therapie der Depression.
5 Oft werden Besserungen erst nach langfristiger
Therapie gesehen.
5 Es gibt Empfehlungen zu 1- bis 2-jähriger
Behandlungsdauer; nach Absetzen ist das Risiko
für einen Rückfall groß (Davis et al. 2006).
5 Nach Besserung sollen SSRI sehr langsam abgesetzt werden. Bei Wiederauftreten der Symptome
werden SSRI wieder angesetzt.
5 Es wird davon ausgegangen, dass eine frühzeitige Intervention mit Antidepressiva einer chronischen PTSD-Entwicklung vorbeugt.
5 Kommt es zu keiner Besserung mit SSRI, können
auch andere Antidepressiva versucht werden.
20.2.2
Andere Psychopharmaka
5 Zur Therapie der Begleitsymptome der PTSD,
gerade bei bestehender Komorbidität, können
atypische Antipspychotika (AAP) gegeben wer-
179
20.3 · Behandlung der PTSD im Kindes- und Jugendalter
den. Sie sind besonders bei psychose-ähnlichen
Zuständen hilfreich.
5 Es gibt vermehrt Hinweise, dass AAP über die
Psychose-Indikation hinaus eine ähnlich gute
Wirkung wie Antidepressiva haben. Abgesehen
von der Off-label-Indikation der atypischen Antipsychotika ist aber das Nebenwirkungsrisiko,
besonders wegen der Möglichkeit der Induktion
eines metabolischen Syndroms (7 Abschn. 7.6),
höher als bei den Antidepressiva einzuschätzen.
5 Bei Aggressionen im Rahmen einer PTSD können auch Antikonvulsiva (7 Kap. 6) verordnet
werden.
5 Es gibt keine Indikation für eine Monotherapie
mit Benzodiazepinen.
20.2.3
Psychotherapie
KVT und EMDR (»eye movement desensitization
and reprocessing«) (Hofmann 2006; Maercker 2005)
sind etablierte Verfahren. Der Schwerpunkt der verhaltenstherapeutischen Arbeit liegt in Expositionsverfahren und Angstbewältigungstraining. EMDR ist
eine Variante des Konfrontationsverfahrens mit suggestiven (hypnotischen) Anteilen. In einer Metaanalyse konnte zwischen EMDR und der traumafokussierten KVT kein Unterschied gefunden werden (Bradley et al. 2005; Butler et al. 2006). Für beide Verfahren
liegen die meisten positiven Studien vor. Begleitende
Angstsymptomatik und Depression wird auch durch
die psychologischen Verfahren parallel gebessert.
KVT und ähnliche psychotherapeutische Verfahren gehen meist über 30–40 Therapiekontakte und
einen Zeitraum von 6–9 Monaten. Es wird empfohlen mit einer derartigen Psychotherapie frühestens
2 Monate nach dem Trauma zu beginnen. In den
ersten Wochen nach einer traumatischen Erfahrung
kommt es meist zur Spontanrückbildung der anfänglichen Symptomatik. Studien zur Frühintervention
nach einem akuten Trauma zeigten keine positiven
Effekte (Maercker 2005; Sijbrandij et al 2007).
In einer randomisierten follow-up-Studie konnten zwar bei Vergleich zwischen Fluoxetin und EMDR
während der Akutbehandlung keine eindeutigen
Unterschiede festgestellt werden, nach 6 Monaten
allerdings war das psychotherapeutische Konfrontationsverfahren signifikant dem Antidepressivum überlegen (van der Kolk et al 2007).
20
Fazit
Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psychotherapie bei der PTSD – Bewertung
5 Therapie der ersten Wahl ist KVT oder EMDR. Beide
Therapien können gleichwertig angewandt werden.
Die Vorteile des psychotherapeutischen Verfahrens
(hier EMDR) sind im längerfristigen Verlauf evident.
5 Bei schweren Formen, insbesondere wenn sie von
starken Angstsymptomen oder Depressionen begleitet werden, kann gleich zu Beginn mit einem SSRI
kombiniert werden.
5 Bei fehlender Response oder Partialresponse unter
KVT oder EMDR sollte ein SSRI verordnet werden,
danach bei fehlender Besserung auch ein anderes
Antidepressivum.
5 Es gibt keine aussagekräftigen Studien, die Vorteile
einer Kombination gegenüber der Monotherapie mit
Antidepressiva, KVT oder EMDR zeigen würden.
20.3
Behandlung der PTSD im
Kindes- und Jugendalter
Damit die Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit
PTSD wirksam ist, sollte ein Schutz vor Retraumatisierung und ein vom Patienten als sicher und kontrollierbar erlebtes Umfeld voraus gesetzt sein. Meistens
ist die Einbeziehung der Bezugspersonen erforderlich
und hilfreich. Zu Beginn der Therapie ist eine Aufklärung über die psychischen Traumafolgen indiziert
(Psychoedukation). Anschließend stellt die KVT mit
Expositionsbehandlung sowie das Erlernen von Techniken zur Stressbewältigung die Therapie der Wahl
dar (Herpertz-Dahlmann et al. 2005). In einigen Studien konnte die Wirksamkeit der KVT und EMDR
bei Kindern und Jugendlichen mit PTSD nachgewiesen werden (Stallard 2006). Placebokontrollierte Studien liegen zu PTSD bei Kindern und Jugendlichen
nicht vor.
Pharmakotherapie
Falls eine medikamentöse Behandlung aufgrund des
Schweregrads und der Chronizität der Erkrankung
indiziert ist, sollte die Therapie zunächst mit einem
SSRI initiiert werden. Als Alternativen oder als zusätzliche medikamentöse Therapie kommt Clonidin bei
starken Erregungszuständen und Impulsivität in Frage, ein Stimmungsstabilisierer bei ausgeprägter affektiver Begleitsymptomatik und ein AAP bei selbstverletzendem Verhalten, Dissoziationsphänomen, psy-
180
1
Kapitel 20 · Posttraumatische Belastungsstörung
chotischen und aggressiven Symptomen. Bei komorbidem ADHS sollte der Patient mit Psychostimulanzien oder Atomoxetin behandelt werden.
2
20.4
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18
19
20
Checkliste
Welche komorbiden Störungen treten häufig
bei der PTSD auf?
Was sind die Therapien der ersten Wahl bei
der PTSD?
Wann sollten bei der PTSD Antidepressiva
eingesetzt werden?
Welche Responserate ist bei der Behandlung
der PTSD mit SSRI (Paroxetin und Sertralin)
zu erwarten?
Wie lange sollte bei der PTSD eine Behandlung mit Antidepressiva fortgeführt werden?
181
21.1 ·
21
Akute Belastungsstörung und
Anpassungsstörung
21.1
Therapie
21.2
Behandlung der akuten Belastungsstörung und
der Anpassungsstörung im Kindes- und Jugendalter
21.3
Checkliste
– 182
– 183
– 182
182
Kapitel 21 · Akute Belastungsstörung und Anpassungsstörung
36
Wie bei der posttraumatischen Belastungsstörung
(PTSD, 7 Kap. 20) sind sowohl bei der akuten Belastungsstörung als auch bei der Anpassungsstörung
Stressoren die Auslöser der Krankheit. Ganz im
Gegensatz zu den übrigen ICD-Diagnosen bestimmt
bei diesen 3 Krankheitsbildern die Ätiologie die diagnostische Einordnung. Der Zusammenhang zwischen Stressoren, den verursachten psychischen Störungen, besonders der Depression, und den möglichen gravierenden Folgekrankheiten, allen voran
den Herz-Kreislauf-Erkrankungen (7 Abschn. 15.7.8),
ist in der biologischen Psychiatrie ein neues wichtiges
Forschungsgebiet. Allerdings wird die Bedeutung des
Stresses in der Diagnostik und der Therapie psychiatrischer Erkrankungen insgesamt viel zu wenig berücksichtigt (Benkert 2005).
Bei der akuten Belastungsstörung sind es außergewöhnliche psychische oder physische Belastungen,
die zu Reaktionen innerhalb von wenigen Minuten
nach dem Ereignis führen. Nach einem Zustand der
»Betäubung« und eingeschränkter Aufmerksamkeit
schwankt die Symptomatik zwischen Angst, Depression, Verzweiflung und Erregung oder auch Rückzug.
Der Zustand hält wenige Stunden bis Tage an.
Bei der Anpassungsstörung sind die Belastungen
nicht unbedingt von außergewöhnlicher Bedrohlichkeit und sie haben kein katastrophales Ausmaß. Sie
werden nach ICD-10 als »Zustände von subjektivem
Leid und emotionaler Beeinträchtigung definiert, die
soziale Funktionen und Leistungen behindern und
während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen, wie auch schwerer körperlicher Erkrankung, auftreten«. Die Anpassung an die
neue Situation gelingt nicht. Die Symptomatik beginnt
innerhalb eines Monats und dauert bis 6 Monate an.
Überdauernd sind oft gemischte Störungen von eher
subkategorialem Schweregrad, vorrangig Angst und
depressive Reaktionen. Die Störung kann dann bei
zusätzlich auftretender depressiver Reaktion bis zu
2 Jahren andauern, 7 Abschn. 21.1.
37
21.1
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39
40
Therapie
5 Spezifische Behandlungsinterventionen sind bei
akuten Belastungen wenig erforscht. Der Schwerpunkt der Therapie liegt auf der Psychotherapie
mit primärer Krisenintervention zur Bewältigung
der Stressoren.
5 Zu Beginn können zur Entlastung kurzfristig
Benzodiazepine (7 Kap. 8) eingesetzt werden.
Bei Suizidalität sollten sie eher vermehrt als in zu
niedrigen Dosen angesetzt werden.
5 Bei Schlafstörungen sind zunächst Non-Benzodiazepinhypnotika (7 Kap. 9) indiziert.
5 Falls sich bei der Anpassungsstörung auch nach
psychotherapeutischen Interventionen fortgesetzt Ängste oder depressive Reaktionen
(ICD 43.21/22) zeigen oder verbleiben, sind
diese, wie 7 Kap. 15 (»Depressive Störungen«)
beschrieben, zu behandeln. Auch wenn für den
Einsatz von Antidepressiva bei definierten Belastungen im Vergleich zu den unipolaren Depressionen kaum systematische Untersuchungen vorliegen, sollten sie bei Auftreten dieser Komplikation eingesetzt werden.
5 Durch den engen Zusammenhang zwischen Dauerstress und Depression bieten sich auch für beide Konstellationen ähnliche Therapien, also KVT
und Antidepressiva, an.
21.2
Behandlung der akuten
Belastungsstörung und
der Anpassungsstörung im
Kindes- und Jugendalter
Gerade bei akuten Belastungsreaktion und Anpassungsstörungen im Kindes- und Jugendalter ist der
Entwicklungsaspekt zu berücksichtigen. Der Verlauf
bzw. Übergang in andere psychiatrische Störungsbilder hängt von der Länge der Deprivation und dem
Schweregrad der Symptomatik ab. Im anglosächsischen Sprachraum wird die akute Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen häufig auch als
Vorläufersymptomatik einer PTSD angesehen (March 2003).
Die Effektivität psychologischer und pharmakologischer Behandlungen ist im Kindes- und Jugendalter
unzureichend untersucht. Der Schwerpunkt der Therapie liegt sicherlich auf der Psychotherapie. Im Rahmen der Krisenintervention können kurzfristig Benzodiazepine und/oder atypische Antipsychotika eingesetzt werden, bei einer längerfristigen Therapie
sind Antidepressiva indiziert. Bei den häufig vorkommenden Schlafstörungen ist die Gabe von Non-Benzodiazepinhypnotika (7 Kap. 9) teilweise angezeigt.
21.3 · Checkliste
21.3
Checkliste
?
1.
2.
Welche Psychopharmaka können bei der
akuten Belastungsstörung zur kurzfristigen
Entlastung eingesetzt werden?
Welche Medikamente können längerfristig
bei der Anpassungsstörung – sinnvollerweise in Kombination mit psychotherapeutischen Interventionen – eingesetzt werden?
183
21
185
22.1 ·
22
Somatoforme Störungen
22.1
Therapie
22.1.1
22.1.2
22.1.3
Antidepressiva – 187
Andere Medikamente – 188
Psychotherapie – 188
22.2
Spezifische Syndrome
22.2.1
Somatisierungsstörung und somatoforme autonome
Funktionsstörung – 188
Hypochondrische Störung – 188
Somatoforme Schmerzstörung – 189
Körperdysmorphe Störung – 189
Chronisches Müdigkeitssyndrom – 189
Fibromyalgiesyndrom – 190
Prämenstruelles Syndrom – 190
Colon irritabile – 190
22.2.2
22.2.3
22.2.4
22.2.5
22.2.6
22.2.7
22.2.8
– 187
– 188
22.3
Behandlung der somatoformen Störung im Kindes- und
Jugendalter – 191
22.4
Checkliste
– 191
186
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35
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37
Kapitel 22 · Somatoforme Störungen
Der Begriff umfasst je nach Diagnosesystem verschiedene Störungsbilder, bei denen körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen, für die keine (ausreichende) organische Erklärung gefunden wird. Zur
Beschreibung des Beschwerdekomplexes wurden bisher verschiedenste Begriffe verwendet: z. B. psychosomatische, psychogene oder funktionelle Beschwerden, vegetative Dystonie oder Dysregulation, Hysterie, nervöse Beschwerden, Psychoneurose. Früher
wurden die Syndrome unter den Begriffen psychosomatische Störungen oder psychovegetative Störungen
zusammengefasst.
Ca. 40% Patienten suchen einen Allgemeinarzt
oder Internisten mit körperlichen Beschwerden auf,
ohne dass hierfür eine spezifische organische Ursache
gefunden werden kann (Khan et al. 2003).
Die meisten Patienten mit einer depressiven Störung oder einer Angststörung leiden unter vegetativen
und körperlichen Symptomen.
Die somatoforme Störung ist nicht nur in Bezug
auf das Erscheinungsbild und möglicher Komorbiditäten, sondern auch in Bezug auf die möglichen Ursachen sehr heterogen (zit. nach Kapfhammer 2008,
S. 950, hier mit Hervorhebungen):
5 Patienten, die eine primäre psychische Störung,
z. B. Depression, Panik, andere Angststörungen,
Anpassungsstörungen oder psychische Störungen
durch psychotrope Substanzen vorrangig in ihren
integralen körperlichen Symptomen schildern.
5 Patienten, die bei nachweisbarer psychosozialer Problematik oder emotionaler Bedrängnis bestimmte körperliche Symptome zeigen, für
die keine ausreichende medizinische Erklärung
besteht. Typisches Beispiel ist die Konversionsstörung.
5 Patienten mit habituell wiederkehrenden, zahlreichen medizinisch unerklärten körperlichen
Beschwerden und Symptomen, die zu einer über-
mäßigen Inanspruchnahme von Ärzten und klinischen Einrichtungen führen und mit einer
starken psychosozialen Behinderung einhergehen. Typisches Beispiel ist die Somatisierungsstörung.
5 Patienten, die besorgt und überzeugt sind, körper-
38
lich krank oder in ihrem körperlichen Erscheinungsbild verunstaltet zu sein, ohne dass hierfür ausrei-
39
chende objektive Befunde erhoben werden können. Als typisches Beispiel imponiert die Hypochondrie einerseits, die körperdysmorphe Störung andererseits.
40
Die Heterogenität spiegelt sich auch in der Aufzählung der verschiedensten Diagnosen unter den spezi-
fischen Syndromen (7 Abschn. 22.2) wieder. Die Autoren des Leitfadens sind sich bewusst, dass auch diese
Gliederung nur vorübergehend sein wird. Sie hat aber
die wichtige gemeinsame Klammer einer ähnlichen
Therapiestrategie.
Das somatische Syndrom bei der depressiven
Störung. Da der Zusammenhang zwischen der
depressiven Störung und Schmerzen bzw. somatischen
Symptomen in der Psychiatrie eine große Bedeutung
hat (Fava 2002; Peveler et al. 2006), wird auf die von
Kapfhammer (2008) erstellte Übersicht aufmerksam
gemacht (zit. S. 959, hier mit zusätzlicher Literatur):
Das somatische Syndrom bei einer Depression markiert den Schweregrad einer depressiven Störung. Depressive Patienten mit einer
hohen Anzahl von körperlichen Symptomen
profitieren sehr häufig in einem geringeren
Umfang von einer antidepressiven Medikation als jene Patienten, die vorrangig nur
affektive und kognitive Beschwerden aufweisen (Greenberg et al. 2003; Papakostas et
al. 2004). Auch scheint »Somatisierung« ein
Prädiktor für ein verstärktes Absetzen einer
aufgenommenen antidepressiven Pharmakotherapie infolge von Nebenwirkungen zu
sein (Agosti et al. 2002). Nicht voll remittierte
Depressionen wiederum stellen sich in erster
Linie durch ein chronisches Syndrom multipler somatoformer Beschwerden dar (Akiskal
1983). In epidemiologischen Untersuchungen
erhöht sich mit einer steigenden Anzahl
»medizinisch unerklärter Körpersymptome«
das Risiko für eine künftige Major Depression signifikant (Kroenke et al. 1994). Und
wiederum werden depressive Patienten mit
zahlreichen somatoformen Beschwerden im
primärärztlichen Versorgungssystem sehr viel
seltener korrekt diagnostiziert und adäquat
behandelt (Greden 2003).
Patienten mit somatoformen Störungen weisen sehr
häufig einen chronischen Verlauf auf. Starkes subjektives Leiden und starke psychosoziale Beeinträchtigungen charakterisieren weiter das Krankheitsbild, das durch komorbide psychische Störungen verschlimmert wird. Allgemeinärzte und Internisten, die
in der Regel zunächst in der Primärversorgung mit
diesem Syndrom konfrontiert werden, sind mit der
Führung der Patienten oft überfordert.
187
22.1 · Therapie
Neurobiologie der somatoformen Störung. Das sero-
tonerge System ist in verschiedenen Studien immer
wieder mit somatoformen Störungen in Zusammenhang gebracht worden (Tölle u. Flor 2006). Für die
Psychopharmakotherapie bedeutsam ist daher die
Annahme, dass depressive und Angststörungen ähnliche Dysfunktionen der Neurotransmittersysteme wie
die somatoformen Störungen aufweisen. Bei den
Schmerzsyndromen sind besonders die serotonergen
und noradrenergen Neurotransmittersysteme involviert. Beide sind interaktiv über Interneurone in die
deszendierende zentrale Hemmung der Schmerzleitung eingebunden. Besonders effektiv sind deshalb
Antidepressiva mit einer kombinierten serotonergen
und noradrenergen Wirkung (7 Abschn. 22.1.1). Diese
Antidepressiva können auch bei isoliertem Schmerz
eingesetzt werden.
5 eine depressive Störung, Panikstörung oder
generalisierte Angst als Ursache für die
körperlichen Störungen verantwortlich zu
machen sind;
5 Benzodiazepin- oder Substanzmissbrauch –
auch früher – bekannt ist;
5 eine stabile Arzt-Patientenbeziehung aufgebaut werden kann;
5 eine positive/negative Haltung zur Pharmakotherapie/Psychotherapie besteht;
5 die psychosozialen Ursachen (z. B. aktuelle
Stressoren, Verluste in der frühen Kindheit,
Missbrauch) bekannt sind.
22.1.1
22.1
Therapie
Vorrangig sind bei somatoformen Störungen psychotherapeutische Verfahren indiziert. Das Therapieziel
liegt neben einer Symptomreduktion in einer Bewältigung psychosozialer Stressoren und in einer verringerten Inanspruchnahme von ärztlichen Diensten.
Auch Antidepressiva sind bei vielen somatoformen Störungen wirksam. Sie können mit psychotherapeutischen Verfahren kombiniert werden. Da
Patienten mit somatoformen Störungen zum großen
Teil von Allgemeinärzten und Internisten versorgt
werden, ist auch eine primär psychopharmakologische
Behandlung akzeptabel, wenn psychologisch Verfahren zunächst nicht zur Verfügung stehen. Die Bedeutung der Antidepressiva auch bei der Krankheitsgruppe der somatoformen Störungen nimmt mit der Entwicklung neuer wirksamer Substanzen zu.
Wichtig
Zu Beginn einer Therapie sollte immer geprüft,
ob
5 organische Ursachen sicher ausgeschlossen
wurden, z. B. Helicobacter pylori;
5 die Möglichkeiten einer medizinischen Therapie ausgeschöpft sind, z. B. physikalische
Therapie bei Fibromyalgie;
5 dann nach Ausschluss der organischen
Ursachen für die körperlichen Beschwerden
weitere medizinische Konsultationen sicher
vermieden werden können;
6
22
Antidepressiva
Trotz hoher Prävalenz der Störungsgruppe sind methodisch einwandfreie Studien zur medikamentösen Therapie kaum vorhanden. Therapieempfehlungen beruhen zumeist auf Beobachtungen aus Studien mit affektiven oder psychotischen Störungen und Angstsyndromen, jeweils mit begleitenden somatischen Symptomen. Nach den bisherigen Erfahrungen sind die
therapeutischen Effekte von Antidepressiva bei somatoformen Störungen geringer als bei der Behandlung
von Angststörungen und Depressionen.
5 Bei depressiven Störungen mit somatischen Symptomen sind Antidepressiva Mittel der Wahl.
5 Es hat sich gezeigt, dass selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer (SNRI, duale
Antidepressiva) bei der Behandlung von Depression mit körperlichen Beschwerden und Schmerzen den selektiven Serotoninrückaufnahmehemmern (SSRI) überlegen sind. Es sind: Duloxetin,
Milnacipran und Venlafaxin.
Deswegen sind – obwohl noch nicht genügend
evaluiert – diese Antidepressiva primär indiziert,
wenn Schmerzen im Vordergrund stehen.
5 Wenn eine psychotherapeutische Maßnahme nicht sofort gestartet werden kann, sollte
gleich ein Versuch mit Antidepressiva für einige
Wochen begonnen werden.
5 Die Dosis entspricht der Therapie bei depressiven
Störungen (7 Kap. 15).
5 Da zur Dauer der Behandlung keine Daten vorliegen, sollte man wie bei der Depression verfahren (7 Kap. 15).
188
Kapitel 22 · Somatoforme Störungen
22.1.2
21
22
23
24
25
26
Andere Medikamente
5 Begleitsymptome wie Anspannung oder Angst
rechtfertigen einen vorübergehenden Einsatz von
Benzodiazepinen. Zur längerfristigen Behandlung sollten aber Antidepressiva gewählt werden.
Cave
Problematisch ist der immer noch verbreitete
langfristige Einsatz von Depotantipsychotika (z. B.
Fluspirilen) mit dem Risiko von Spätdyskinesien,
auch wenn sie wirksam sein mögen. Gerade auch
für Depotantipsychotika fehlen kontrollierte Studien bei den somatoformen Störungen.
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22.1.3
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36
37
38
39
40
Psychotherapie
Somatoforme Störungen galten lange als schwer
behandelbar und wurden mit geringen Erfolgsaussichten eingeschätzt (Rief u. Freyberger 2006). Inzwischen liegen bereits einige Therapiestudien und sogar
schon Metaanalysen (Looper u Kirmayer 2002) zu
kognitiv und verhaltenstherapeutisch orientierter
Psychotherapie vor. Neue physiologische Erkenntnisse (z. B. die Entdeckung von Helicobacter pylori beim Magengeschwür) und pharmakotherapeutische Erfolge bei einigen Syndromen, erweitern aber
zunehmend den alleinigen bisherigen psychotherapeutischen Ansatz. Problematisch bleibt weiterhin das
Fehlen von abgesicherten Evaluationstudien zur psychodynamischen Therapie.
5 KVT ist in der Regel bei somatoformen Störungen Wartelisten überlegen, besonders auch
bei dem Zielkriterium chronischer Schmerz (Butler et al. 2006). Die Effektstärken bei Hypochondrie und körperdysmorphen Störungen liegen im
oberen Bereich, während die Ergebnisse bei komplexen somatoformen Störungen und Somatisierungssyndromen insgesamt nicht so positiv ausfallen und bislang bestenfalls im mittleren Effektbereich liegen. Aussagen zum Langzeiteffekt sind
zzt. nicht möglich.
5 Auch Biofeedback wird bei chronischem Schmerz
und Reizdarm als erfolgreiche Therapie gewertet.
5 Es gibt positive Studien zur psychodynamisch
interaktionellen Gruppenpsychotherapie bei verschiedenen somatoformen Syndromen.
5 Studien, die eine Aussage zum Vergleich Antidepressiva und Psychotherapie erlauben würden,
sind nicht vorhanden.
22.2
Spezifische Syndrome
Es werden hier jene Syndrome erwähnt, für die es
eigene pharmakotherapeutische Studien oder Therapievorschläge gibt. Grundsätzlich gelten die Empfehlungen nach 7 Abschn. 22.1. Wenn für die weiteren Diagnosen, die in der ICD-10 unter somatoformen Störungen genannt werden, keine medikamentöse Therapie bekannt ist, werden die Diagnosen
auch nicht genannt.
22.2.1
Somatisierungsstörung und
somatoforme autonome
Funktionsstörung
Die Beschwerden beziehen sich auf multiple Körpersysteme. Im Vordergrund stehen gastrointestinale
Beschwerden, abnorme Hautempfindungen, aber auch
sexuelle und menstruelle Beschwerden. Bei der somatoformen autonomen Funktionsstörung beziehen sich
die Körperbeschwerden vorrangig auf Organsysteme
mit autonomer Innervierung. Die klassischen »pychosomatischen Erkrankungen« finden sich in dieser
Kategorie, z. B. die Funktionsstörungen des kardiovaskulären Systems.
5 Es gibt eine positive Studie zum Anxiolytikum
Opipramol (7 Kap. 8). Die Somatisierungssymptome wurden positiv beeinflusst.
5 Auch unter Johanniskrautextrakt (7 Kap. 5) war
unabhängig von der depressiven Symptomatik
eine Reduktion der körperlichen Beschwerden
feststellbar.
5 Diese beiden Medikamente sind durchaus Alternativen zu den gebräuchlichen antidepressiven
Therapieverfahren (7 Abschn. 22.2.1).
22.2.2
Hypochondrische Störung
Im Vordergrund steht die beharrliche Beschäftigung
mit der Möglichkeit an einer schweren Krankheit zu
leiden. Die Wahrnehmungssensibilität gegenüber normalen körperlichen Sensationen ist erhöht. Es besteht
Krankheitsüberzeugung.
5 Treten hypochondrische Symptome bei anderen
psychischen Störungen auf, so lassen diese sich
in der Regel erfolgreich im Rahmen der psychopharmakologischen Therapie, z. B. einer depressiven Störung, mitbehandeln.
5 Es gibt Pilotstudien, in denen ein positiver Effekt
von SSRI gezeigt wurde.
189
22.2 · Spezifische Syndrome
22.2.3
Somatoforme Schmerzstörung
Chronischer und quälender Schmerz kann physiologisch oder durch eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden. Emotionale Konflikte oder
psychosoziale Probleme spielen eine wesentliche Rolle. Schmerzäußerungen führen oft zu intensiver persönlicher, sozialer oder medizinischer Zuwendung,
was als Verstärkung zur Chronifizierung von Schmerz
beiträgt. Ferner sind komorbide depressive Störungen
oder Angststörungen häufig.
5 Der antinozizeptive Effekt der Antidepressiva bei
chronischen Schmerzen besteht unabhängig vom
antidepressiven Effekt. Es mehren sich Studien,
die auf den stärkeren antinozizeptiven Effekt für
Antidepressiva mit dualer Komponente mit Wirkung auf das serotonerge und das noradrenerge
Neurotransmittersystem im Vergleich zu SSRI
hinweisen (Fishbain 1998).
5 Dennoch gibt es eine Vielzahl von Studien, in
denen auch der positive Effekt der SSRI nachgewiesen wurde.
5 Patienten mit somatoformer Schmerzsstörung
zeigten Besserungen unter dem Antiepilektikums
Topiramat (300–400 mg/Tag).
5 Bei chronischem Spannungskopfschmerz war die
Kombination von Amitriptylin mit Citalopram
oder Mirtazapin wirksam.
5 In der Rezidivprophylaxe der Migräne sind neben
β-Adrenorezeptorantagonisten (7 Kap. 8) (Propranolol, Metoprolol), die Antiepileptika Valproat
und Topiramat, Kalziumantagonisten und Serotoninagonisten auch Antidepressiva mit gutem
Erfolg eingesetzt worden. Da eine hohe Komorbidität mit Depression und Angststörungen
besteht, sind Antidepressiva besonders bei parallelen depressiven oder ängstlichen Störungsbildern vielversprechend.
5 Eine Langzeitbehandlung mit Benzodiazepinen
soll vermieden werden. Neben den bekannten
Risiken (7 Kap. 8) kann es auch zu einer Senkung
der Schmerzschwelle kommen.
Schmerzsyndrome unabhängig von einer
somatoformen Schmerzstörung
Antidepressiva können erfolgreich zur symptomatischen Behandlung chronischer Schmerzzustände unterschiedlicher Ätiologie eingesetzt werden; die
gleichzeitige Gabe von Analgetika kann oft reduziert
werden. Mögliche Indikationen sind Schmerzsyndrome bei Krebserkrankungen, Erkrankungen des
rheumatischen Formenkreises, Kopfschmerzen, Lumbalgien, Polyneuropathien (z. B. diabetisch), neural-
22
giforme Schmerzen (Postzosterneuralgie, Trigeminusneuralgie) und Thalamusschmerz. Antidepressiva
sind auch bei Zosterschmerz, besonders als Augmentation zur Opioidanalgesie, wirksam. Eine Toleranzentwicklung besteht nicht.
5 Trizyklische Antidepressiva sowie duale Antidepressiva (Duloxetin, Mirtazapin, Venlafaxin) mit
kombinierter serotonerger und noradrenerger
Wirkung sind besser wirksam als SSRI.
5 Duloxetin ist zur Behandlung schmerzhafter
Polyneuropathien bei Diabetes mellitus zugelassen. Ob ein möglicher Vorteil für Duloxetin im
Vergleich zu anderen Antidepressiva mit ähnlichem Wirkungsmechanismus besteht, ist bisher
nicht gezeigt worden.
22.2.4
Körperdysmorphe Störung
Die überwertige Überzeugung, dass ein Körperteil
oder das körperliche Erscheinungsbild verunstaltet
ist, kennzeichnet diese somatoforme Störung.
5 Für die körperdysmorphe Störung wird über
Behandlungserfolge mit verschiedenen SSRI
berichtet. In einer kontrollierten Studie mit trizyklischen Antidepressiva war Clomipramin besser
als Desimipramin. Die körperdysmorphen Symptome besserten sich unabhängig von Zwangssymptomen.
5 Die Dosis der SSRI entspricht der antidepressiven
Wirkdosis.
5 Es ist eher von einer Langzeitbehandlung auszugehen.
5 Bei wahnhaftem Ausmaß haben sich zusätzlich
Antipsychotika bewährt. Aber es gibt Studien, in
denen sich auch unter Antidepressiva die wahnhafte Überzeugung gebessert hat.
22.2.5
Chronisches
Müdigkeitssyndrom
Beim chronischen Müdigkeitssyndrom stehen Müdigkeit und körperliche und geistige Erschöpfung im Vordergrund, besonders nach Belastung. Weitere Symptome sind Muskelschmerzen, Kopf- und Gelenkschmerzen, leichte Temperaturerhöhung, Frösteln,
Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, körperliche Missempfindungen oder schmerzhafte Lymphknoten. Der Verlauf ist oft chronisch (mindestens
6 Monate). Die diagnostische Einordnung ist noch
unklar; es gibt viele Überschneidungen zur Neurasthenie, den depressiven Störungen, den Angst-
190
21
22
23
24
Kapitel 22 · Somatoforme Störungen
störungen und den Erkrankungen dieses Kapitels.
Eine entscheidende Bedingung für das Auftreten der
Erkrankung findet sich im Dauerstress. Die Ursache
ist unbekannt.
5 Die bisherigen Untersuchungen mit Antidepressiva führen zwar zu Besserungen, sogar über
einen Zeitraum von 3 Jahren, aber überzeugende
kontrollierte Studien fehlen.
5 Dexamphetamin (7 Kap. 14) zeigte in einer kontrollierten kleinen Studie positive Ergebnisse
(Olson et al. 2003).
25
26
27
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35
36
22.2.6
Fibromyalgiesyndrom
Das Fibromyalgiesyndrom zeichnet sich durch chronische (über mindestens 3 Monate anhaltende) polytope Schmerzen oder Steifheit im Stütz- und Bewegungsapparat sowie druckschmerzhafte Muskelansätze an typischen Stellen (»tender points«) aus. Zusätzlich treten oft Kopfschmerzen, Erschöpfbarkeit,
Schlafstörungen, neuropsychiatrische Symptome, gastrointestinale Beschwerden, andere vegetative Symptome (Zyanose der Akren, Dermographismus) oder
Schwellungsgefühl an Händen und Füßen auf. Die
Ursache ist nicht geklärt; es gibt mehrere Hypothesen zu einer veränderten Schmerzmatrix. Im Liquor
soll die Substanz P erhöht und Serotonin und Tryptophan erniedrigt sein. Stress wird als Auslöser vermutet. Häufig findet sich eine begleitende depressive
Symptomatik.
5 Über Behandlungserfolge mit trizyklischen Antidepressiva (z. B. Imipramin oder Clomipramin)
in niedrigen Dosen bis 75 mg/Tag sowie von
SSRI (Fluoxetin, Citalopram) wird berichtet. Die
Erfolge sind geringer als bei der Depression.
5 Es zeichnet sich, wie bei anderen Schmerzsyndromen, auch beim Fibromyalgiesyndrom eine
Überlegenheit von dualen Antidepressiva gegenüber SSRI ab (z. B. Venlafaxin 75 mg/Tag, Duloxetin 60 mg/Tag). Auch Milnacipran (7 Kap. 5)
zeigte gegenüber Placebo bessere Ergebnisse.
37
38
39
40
22.2.7
Prämenstruelles Syndrom
Das prämenstruell-dysphorische Syndrom zeigt körperliche und psychische Symptome, die zyklusgebunden während der späten Lutealphase auftreten und die
Patientinnen erheblich beeinträchtigen. Es sind Irritabilität und Dysphorie, Anspannung, Schlafstörungen,
vermehrter Hunger nach Kohlenhydraten, Span-
nungsgefühl der Brüste, Wassereinlagerung, Gelenkund Muskelschmerzen.
5 Die Wirksamkeit von SSRI ist in vielen Studien
belegt (Dimmock et al. 2000).
5 Auch unter dualen Antidepressiva (Venlafaxin) und ebenfalls unter Clomipramin kam es zu
Responseraten von bis zu 70%, gegenüber 20%
unter Placebo und 30% unter nichtserotonergen
Antidepressiva (Freeman 2004).
5 Die Wirkung wird meist schon im ersten Zyklus
gesehen, bereits niedrige Dosen sind wirksam.
5 Antidepressiva können als Dauertherapie und
als intermittierende Gabe (in der Lutealphase bis
zum Ende der Menstruation) gegeben werden.
5 Besonders bei intermittierender Gabe entsteht
kein Wirkungsverlust bei längerfristiger Therapie (über mehr als 6 Zyklen); nach Absetzen der
Medikation gibt es häufig Rezidive.
5 Anxiolytika wie Alprazolam und Buspiron
(7 Kap. 8) scheinen den Antidepressiva unterlegen zu sein.
22.2.8
Colon irritabile
Bei den Symptomen eines Reizdarms bestimmen
multiple rezidivierende abdominelle Beschwerden
mit Bauchschmerzen, Missempfindungen, Obstipation und Diarrhoe oder Blähungen das Krankheitsbild.
Es bestehen Überschneidungen mit anderen somatoformen Störungen, Depressionen, Angststörungen
und auch Zwangsstörungen.
5 In vielen Studien mit Antidepressiva zeigen sich
zwar Vorteile gegenüber Placebo. Es konnte aber
nicht nachgewiesen werden, dass auch die Kernsymptomatik der gastrointestinalen Beschwerden
von einer medikamentösen Therapie profitiert.
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei der
somatoformen Störung – Bewertung
5 Psychotherapeutische Interventionen haben
den wichtigsten Stellenwert bei der Therapie der
somatoformen Störung. Für die KVT gibt es für viele
Syndrome gute Evaluationsstudien, für die psychodynamisch orientierte Psychotherapie fehlen diese
weitgehend.
5 Besonders für die Therapie des chronischen
Schmerzes eignet sich auch die Biofeedback- Therapie.
22.3 · Behandlung der somatoformen Störung im Kindes- und Jugendalter
5 Antidepressiva sind immer indiziert, wenn komorbide
Depression und Angststörungen vorhanden sind.
5 Antidepressiva haben auch bei vielen Syndromen
dieses Krankheitsbildes einen positiven Effekt; er ist
aber geringer als bei den depressiven Störungen oder
Angststörungen.
5 Wenn psychotherapeutische Verfahren nicht zur
Verfügung stehen, ist ein Versuch mit Antidepressiva
indiziert.
5 Antidepressiva und Psychotherapie können kombiniert angewandt werden.
5 Die Langzeiteffekte von Antidepressiva und Psychotherapie sind nicht untersucht, genauso wenig wie
Vergleiche zwischen den Therapieformen.
5 Bei dominierenden Schmerzsyndromen, auch in
Form von isolierten Schmerzen bei organischen Erkrankungen, sind Antidepressiva mit dualer Wirkung
auf das serotonerge und das noradrenerge Neurotransmittersystem, wie Duloxetin, Milnacipran und
Venlafaxin, Mittel der ersten Wahl.
5 Beim praemenstruellen Syndrom haben SSRI eine
positive Wirkung.
5 Benzodiazepine und Antipsychotika haben keine
längerdauernde Indikation bei somatoformen
Störungen.
Behandlung der
somatoformen Störung im
Kindes- und Jugendalter
Die häufigsten Symptome der somatoformen Störung im Kindes- und Jugendalter sind abdominelle Beschwerden, die meistens von Übelkeit, Kopfschmerzen, muskulärer Schwäche, Nachlassen der
körperlichen Energie, Rücken- und Gliederschmerzen sowie Nahrungsmittelintoleranzen mit Diarrhöen
begleitet sind. Das Klagen über körperliche Beschwerden ist häufig als Anpassungsreaktion auf psychosoziale Belastungen zu sehen. Neben Trennungsängsten und depressiven Symptomen stellen die somatoformen Beschwerden ein Leitsymptom der Schulphobie (7 Abschn. 33.2) dar. Die klinische Präsentation der Symptome wird durch das jeweilige Entwicklungsstadium beeinflusst und hängt davon ab, wie die
Bezugspersonen auf die körperlichen Beschwerden
reagieren.
Therapie
Bei schweren oder chronifizierten somatoformen Störungsbildern, die häufig mit erheblichen psychosozialen Funktionseinschränkungen einhergehen, ist
22
meistens eine stationäre Behandlung angezeigt. Therapeutisch steht die KVT im Mittelpunkt. Eine kontrollierte Studie konnte die Wirksamkeit der familientherapeutischen KVT bei wiederkehrenden Bauchschmerzen im Kindesalter nachweisen. Systematische
Studien zur pharmakologischen Behandlung bei den
somatoformen Störungen im Kindes- und Jugendalter liegen nicht vor, sodass ähnliche Empfehlungen
wie im Erwachsenenalter gelten. In der Akutphase kann vorübergehend ein Benzodiazepin gegeben
werden, bei längerfristiger medikamentöser Behandlung sollte eine Therapie mit SSRI erfolgen (Brunner
u. Resch 2005).
22.4
Checkliste
?
1.
2.
3.
22.3
191
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Welche Gruppen von Antidepressiva sind
bei der Behandlung von Depressionen mit
somatischem Syndrom zu empfehlen?
Unter welchen Bedingungen können bei
somatoformen Störungen vorübergehend
Benzodiazepine verabreicht werden?
Welche Risiken bestehen beim dem noch
verbreiteten Einsatz von Depotantipsychotika (z. B. Fluspirilen) bei der Behandlung
somatoformer Störungen?
Welche Medikamente haben sich bei der
Behandlung der somatoformen Schmerzstörung bewährt?
Welchen Stellenwert haben Antidepressiva
bei der Behandlung von Schmerzsyndromen
bei körperlichen Erkrankungen?
Welche Effekte konnten bei der Behandlung
des chronischen Müdigkeitssyndroms mit
Antidepressiva erreicht werden?
Welche Gruppen von Antidepressiva werden
bei der Fibromyalgie eingesetzt und mit
welchem Erfolg?
Welche psychopharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten des prämenstruellen
Syndroms sind belegt?
Wie ist der Therapieeffekt von Antidepressiva
bei somatoformen Störungen im Vergleich
zu dem bei Depressionen und Angststörungen einzustufen?
193
23.1 ·
Essstörungen
23.1
Anorexia nervosa
– 195
23.1.1
Therapie der Anorexia nervosa
23.2
Bulimia nervosa
23.2.1
Therapie der Bulimia nervosa
23.3
Binge-eating-Störung
23.4
Adipositas
23.5
Behandlung der Essstörungen im Kindes- und
Jugendalter – 198
23.6
Checkliste
– 195
– 196
– 196
– 197
– 197
– 198
23
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40
Kapitel 23 · Essstörungen
Es gibt 3 Essstörungen, bei denen die Psychopharmakotherapie in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung gewonnen hat: die Bulimia nervosa, die Bingeeating-Störung und die Adipositas.
Die Behandlung der Bulimia nervosa und der
Binge-eating-Störung besteht indikationsabhängig
mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung zumeist
aus einer Kombination aus Psychotherapie und der
Behandlung mit Antidepressiva.
Eine Psychopharmakotherapie für die Anorexia
nervosa ist noch nicht etabliert.
Eine große Zahl von körperlichen Störungen und
Verhaltensauffälligkeiten kann auf unerkannte Essstörungen hinweisen:
5 Wachstumsstörungen
5 Große Schwankungen des Körpergewichts
5 Unfähigkeit zur Gewichtszunahme
5 Veränderte Essgewohnheiten
5 Schwierigkeiten der Nahrungsaufnahme im sozialen Kontext
5 Abneigung gegen Messung des Gewichts
5 Exzessive körperliche Betätigung und häufiges
Durchführen von Diäten bereits in frühem Alter
5 Drogenabusus
5 Rasche Erschöpfbarkeit
5 Verspätete Menarche
5 Obstipation oder Diarrhö
5 Neigung zu Knochenbrüchen
5 Hypokaliämie
5 Hyperphosphatämie
5 Metabolische Azidose oder Alkalose
5 Hohe Amylaseserumkonzentrationen
Die Adipositas ist eine primär internistische Erkrankung, die jedoch zentralnervös mitreguliert wird und
mit psychischen Problemen einhergehen kann (z. B.
Anpassungsstörungen,
Impulskontrollstörungen).
Deshalb erfordern die für die Adipositas neu zugelassenen Präparate jetzt auch eine Besprechung im Rahmen der Psychopharmakotherapie. In diesem Zusammenhang interessiert auch besonders die Gewichtszunahme als Nebenwirkung von verschiedenen Psychopharmaka.
Ein Maß für das Körpergewicht ist der BodyMass-Index (BMI: Körpergewicht [kg] dividiert durch
das Quadrat der Körpergröße [m2]). Bei der Adiositas
und dem metabolischen Syndrom (7 Kap. 7) gewinnt
immer mehr der Bauchumfang (Ansammlung von
viszeralem Fett) als Maß an Bedeutung.
Zentrale und periphere Auswirkungen der veränderten Energiezufuhr tragen zur Aufrechterhaltung des pathologischen Essverhaltens bei und kön-
nen eine Ursache für vielfältige komorbide psychische
Störungen sein oder sie verstärken.
Neurobiologie der Essstörungen. Die Nahrungsaufnahme wird durch eine Vielzahl von Inhibitoren und
Stimulatoren reguliert. Dem Hypothalamus werden
Signale über das Ausmaß des Fettgewebes und die
aktuelle Stoffwechsellage über die Hormone Leptin,
Insulin und Adiponectin zugetragen. Dabei spielen
gegensätzliche Regulationsmechanismen eine wichtige Rolle. Gegenspieler von Leptin (anorexigen) ist
Ghrelin (orexigen). Die multiplen hormonellen Veränderungen werden als Adaptationen an das geringe
Körpergewicht gesehen.
Es wird angenommen, dass Diät und Fasten zu
einer Störung des genetisch bedingten vulnerablen,
Neurotransmitterund
neuroendokrinologischen
Systems führen, die weitere Komplikationen (z. B.
komorbide Symptomatik, Körperschemastörung, körperliche Hyperaktivität) zur Folge hat, so dass sich
ein Circulus vitiosus mit einer chronifizierten Essstörung ergeben kann. Bei der Anorexia nervosa führt
eine Gewichtsrestitution bei den meisten Patienten zu
einer Normalisierung der Veränderungen der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (HerpertzDahlmann u. Holtkamp 2008).
Der Serotonindysregulation wird bei den Essstörungen eine besondere Bedeutung zugeschrieben
(Brewerton 1995). Bei der Anorexia nervosa wird – im
Gegensatz zur Bulimie – ein hyperserotonerger Status
postuliert. Zur Ätiopathogenese der Essstörungen existieren insgesamt jedoch nur Hypothesen (Laessle u.
Pirke 2006).
Es finden sich auch zerebrale Veränderungen, die
sich bei Normalisierung des Essverhaltens zumeist
zurückbilden. Das Zentrum der Gewichtregulation
liegt im Nucleus arcuatus des Hypothalamus. Klinisch
findet sich in der strukturellen Bildgebung bei Anorexia nervosa nicht selten eine »Pseudoatrophia cerebri«.
Bulimische Frauen waren häufiger als Kinder
adipös, haben eine familiäre Adipositasbelastung
und eine frühe Menarche. Es gibt Hinweise, dass ein
gemeinsames genetisches Risiko für Bulimia nervosa
und Adipositas besteht. Der genetische Anteil an der
Entwicklung der Adipositas scheint stärker zu sein, als
früher angenommen wurde. Darüber hinaus spielen
sozioökonomische und psychosoziale Faktoren eine
wichtige Rolle in der Ätiologie der Adipositas.
195
23.1 · Anorexia nervosa
23.1
Anorexia nervosa
Die monomorphe Symptomatik der Essstörung des
Jugend- und frühen Erwachsenenalters bereitet differenzialdiagnostisch kaum Schwierigkeiten. Die
Anorexia nervosa ist eine oft chronische, rezidivierende Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch einen
starken Gewichtsverlust, der selbst verursacht ist.
Hauptkriterien für die Diagnose sind: Körpergewicht
unter 85% der Norm (bzw. ein BMI ≤17,5), die intensive Furcht vor einer Gewichtszunahme, eine gestörte
Körperwahrnehmung und Amenorrhö (Ausbleiben von ≥3 Zyklen). Bei vielen Patienten findet sich
auch eine übertriebene Aktivität. Patienten, die die
Mahlzeit erbrechen oder Laxanzienabusus betreiben
(Purging Subtyp) haben eine ungünstigere Prognose als der restriktive Subtyp. 90% der Erkrankten sind
Frauen.
Wahrscheinlich spielt für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung die »psychobiosoziale«
Interaktion (genetische, neurochemische, psychosoziale Faktoren) eine wichtige Rolle. Allerdings ist die
Bedeutung sozialer Faktoren, etwa die Idealisierung
schlanker Frauen, keineswegs geklärt.
Frauen sind ca. 10-mal häufiger betroffen als
Männer. Der Altersgipfel liegt bei Mädchen bei 17–
18 Jahren, bei Jungen bei 12 Jahren; Erstmanifestationen nach dem 40. Lebensjahr sind selten, aber möglich.
Es besteht eine hohe Komorbidität zu depressiven
Störungen, Angststörungen und der Zwangsstörung.
23.1.1
Therapie der Anorexia nervosa
Zur Gewichtsregulierung und zur Besserung der psychosozialen Anpassung haben sich psychoedukative und kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen oder Interpersonelle Psychotherapie als bedingt
erfolgreich herausgestellt. Es gibt keine abgesicherte medikamentöse Therapie; nur bei komorbiden Störungen können Antidepressiva empfohlen werden
(s. unten, 7 Abschn. »Medikamentöse Therapie«).
23
Wichtig
Zu Beginn einer Therapie muss
5 eine sorgfältige medizinische Untersuchung
durch den Internisten, Endokrinolgen, Gynäkologen und ggf. Pädiater erfolgen; eine
Klinikeinweisung kann indiziert sein;
5 abgewogen werden, ob eine ergänzende
Diagnostik durch EEG und CT erfolgen soll;
5 festgestellt werden, ob komorbide Diagnosen bestehen;
5 hinterfragt werden, ob ein erhöhter Alkoholkonsum bekannt ist (bei dem restriktiven
Subtyp selten);
5 eine stabile Arzt-Patienten-Beziehung aufgebaut werden.
Die Behandlung soll so früh wie möglich beginnen.
Therapieziele bei der Behandlung der
Anorexia nervosa
Normalisierung des Essverhaltens und Gewichtszunahme und – soweit erforderlich – Stabilisierung innerhalb eines adäquaten Gewichtsbereiches (BMI >17,5)
und physiologischer Stoffwechselprozesse
5 Verbesserung von Körperwahrnehmung und
Wiederherstellung der eigenen Körperakzeptanz
5 Klärung der Ambivalenz gegenüber einer
Gewichtszunahme
5 Abbau möglicher Reifungsängste
5 Bearbeitung mit der Symptomatik zusammenhängender bzw. zugrunde liegender Problembereiche
5 Aufbau von alternativen Fähigkeiten und Erarbeitung konkreter Lösungsmöglichkeiten
5 Umgang mit gesunder Ernährung
5 Einbeziehung der Familie/Partner
5 Realitätstestung und Rückfallprophylaxe bereits
während der stationären Therapie
Die parenterale (Zwangs-)Ernährung sollte nur den
Patienten vorbehalten bleiben, die unter psychoedukativen oder verhaltenstherapeutischen Maßnahmen keine Gewichtszunahme gezeigt haben. Eine zu
schnelle Gewichtszunahme kann zu generalisierten
Ödemen oder – in Einzelfällen – zu einer Herzinsuffizienz führen.
Die Mortalitätsrate ist mit 0,56% pro Jahr sehr
hoch. Die häufigste Todesursache bei Anorexia nervosa sind ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher
Herztod.
196
Kapitel 23 · Essstörungen
Psychotherapie
21
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30
31
5 Ein strukturierter Plan zur Gewichtszunahme
(Ernährungsmanagement) mit kontingentem
Gewichtsvertrag ist die Basis möglicher psychotherapeutischer Bemühungen.
5 Grundsätzlich sind die typischen dysfunktionalen
Kognitionen durch KVT korrigierbar. Auch eine
gezielte IPT war konventioneller Verhaltenstherapie überlegen. Allerdings stoßen diese Bemühungen bei untergewichtigen Patienten auf großen Widerstand. Insgesamt ist die Reihe an positiven Ergebnissen zur KVT und IPT gering.
5 Übungen zur Körperwahrnehmung und Körperakzeptanz, Konfrontationsübungen.
5 Training zum Problemlösen und zur Erhöhung
der Stress- bzw. Ärger- und Frustrationstoleranz.
5 Wichtig ist die Einbeziehung des sozialen
Umfeldes in die Therapie. Familientherapie zeigte
auch in Langzeitstudien erste positive Ergebnisse.
5 Eine Therapie mit Antidepressiva, auch SSRI,
oder anderen Psychopharmaka zeigte bisher keine Erfolge.
5 Empfohlen werden kann daher nur ein Versuch
mit SSRI (z. B. Fluoxetin 20 mg tgl.) bei einer
komorbiden Störung, die auf SSRI anspricht.
33
34
23.2
35
36
37
38
39
40
Wichtig
Bei der Abklärung der Diagnose ist auf eine sorgfältige internistische Untersuchung zu achten.
Durch das Erbrechen und ggf. Laxanzienabusus
kann es zu deutlichen Laborabnormalitäten kommen. Alkohol- und Drogenmissbrauch muss hinterfragt werden.
Medikamentöse Therapie
Trotz der oft wahnhaft anmutenden Überzeugung der
Patienten, übergewichtig zu sein, waren Antipsychotika bislang überwiegend unwirksam. In einer Studie
war Olanzapin, bezogen auf Gewichtszunahme und
Therapieakzeptanz erfolgversprechend.
32
nahme gegensteuernden Maßnahmen wie Fasten oder
übermäßige körperliche Aktivität) unterschieden.
Mischformen von Anorexia und Bulimia nervosa sind häufig.
Bulimia nervosa tritt oft in Zusammenhang mit
affektiven Störungen und bei Patienten mit Impulskontrollstörungen, Drogenabhängigkeit, Angststörungen, dissoziativen Störungen und (anamnestischem) sexuellem Missbrauch auf.
Bulimia nervosa
Bei dieser bulimischen Form der Essstörung kommt
es zu häufigen Essattacken ungewöhnlich großer Mengen an Nahrungsmitteln während eines bestimmten
Zeitintervalls mit Kontrollverlust, (mindestens 2mal pro Woche für 3 Monate; Dauer ≤2 h); rezidivierendem Erbrechen, exzessiver körperlicher Betätigung
oder Fasten (auch mindestens 2-mal pro Woche für
3 Monate) und übermäßiger Beschäftigung mit dem
Essen, der Figur und dem Gewicht. Starke Gewichtsschwankungen bei Normal- bis Übergewicht sind die
Regel.
Dabei werden der Purging-Typ (mit selbstinduziertem Erbrechen oder Missbrauch von Laxanzien,
Diuretika oder Klistieren) und der restriktive Typ
(ohne regelmäßiges Erbrechen/Laxanzienmissbrauch,
aber mit anderen unangemessenen, einer Gewichtszu-
23.2.1
Therapie der Bulimia nervosa
Im Gegensatz zur Anorexia nervosa gibt es für die
Bulimie neben der Psychotherapie (eingeschlossen
Ernährungstherapien und bewegungstherapeutische
Verfahren) eine zweite Therapieoption mit Antidepressiva.
Psychotherapie allein und in Kombination
mit Antidepressiva
Konventionelle Verhaltensmaßregeln, auch mit Teilnahme an Selbsthilfegruppen, führen bei einem Teil
der Patienten bereits zum Erfolg. Bei hartnäckigen
oder chronischen Störungen und wenn im Vordergrund dysfunktionale Gedanken stehen, ist dagegen
KVT indiziert. Besonders zur Rezidivprophylaxe eignet sich KVT (Jacobi et al. 2004).
Die interpersonelle Theorie geht davon aus, dass
die Essstörung einen inadäquaten Bewältigungsversuch bei Problemen in sozialen Beziehungen darstellt.
IPT hat als psychotherapeutisches Verfahren neben
der KVT inzwischen Anerkennung erfahren.
KVT hat sich in der Kombination mit Antidepressiva gut bewährt (Walsh et al. 1997). In einer großen
Metaanalyse zeigten sich Vorteile für die KVT im Vergleich zu Antidepressiva (Whittal et al. 1999).
Therapie mit Antidepressiva
5 Trizyklische Antidepressiva und SSRI sind wirksam. Es empfiehlt sich wegen des günstigeren
Nebenwirkungsrisikos SSRI zu geben.
5 Zugelassen ist nur der SSRI Fluoxetin.
197
23.4 · Adipositas
5 Höhere Dosen SSRI hatten oft einen besseren
Effekt.
5 Die notwendige Dauer der medikamentösen Therapie ist noch unklar; 24 Monate Erhaltungstherapie zur Rückfallprophylaxe scheinen aber günstig zu sein.
5 Auch bei der Bulimia nervosa sollten Antidepressiva nur im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans zusammen mit einer psychotherapeutischen Intervention erfolgen.
Fazit
Pharmakotherapie mit Antidepressiva und Psychotherapie bei der Bulimia nervosa – Bewertung
5 Bereits konventionelle Verhaltensmaßregeln im Rahmen eines Therapiesettings sind bei vielen Patienten
wirksam.
5 Bei hartnäckigen Störungen und zur Rezidivprophylaxe ist die KVT indiziert.
5 Auch die Therapie mit SSRI ist wirksam; in Kombination mit KVT ist eine bessere Wirkung zu erwarten.
5 Unter den SSRI ist das Mittel der Wahl Fluoxetin (weil
es zugelassen ist). Die Dosis wird höher als bei der
antidepressiven Therapie gewählt. Eine 2-jährige
Therapie ist zu empfehlen.
23.3
Binge-eating-Störung
Die Binge-eating-Störung ist als Syndrom für die Essstörungen wichtig, aber noch kein allgemein akzeptiertes Krankheitskonzept.
Die Binge-eating-Störung kommt etwa doppelt so
häufig wie die Bulimia nervosa vor und ist durch den
intermittierenden Verzehr großer Nahrungsmengen
bei fehlender dauerhafter Beschäftigung mit der Figur
gekennzeichnet. Da sich im Gegensatz zur Bulimia
nervosa keine regelmäßigen, einer Gewichtszunahme
gegensteuernden Maßnahmen finden, sind die Patienten meist übergewichtig. Hauptkriterien sind: rezidivierendes »binge eating«; sehr schneller Verzehr von
Nahrungsmitteln; Essen, bis unangenehmes Völlegefühl erreicht ist; Ekel- oder Schuldgefühl nach einem
»binge«.
Es findet sich im Gegensatz zur Adipositas ohne
Binge-eating-Störung eine doppelt so hohe Inzidenz
von affektiven Störungen und Angststörungen, gerade bei Frauen.
23
Therapie der Binge-eating-Störung
5 Konventionelle verhaltenstherapeutische Maßnahmen, KVT und IPT haben sich als wirksam
erwiesen. Zur Erhaltung des Therapieerfolgs sind
»booster sessions« nötig.
5 Auch SSRI sind wirksam, wobei der positiven
Wirkung auf die Impulskontrolle besondere
Bedeutung zukommt.
5 KVT und SSRI (Fluoxetin) hatten kombiniert
eine gute Wirkung.
5 Aussagekräftige Vergleichsuntersuchungen gibt
es nicht (de Zwaan 2002).
5 Auch Sibutramin, ein Antiadipositum,
(7 Abschn. 13.2 und 7 Abschn. 23.4) hat eine gute
Wirkung bei »binge eating«.
23.4
Adipositas
Adipositas ist ein neues Grenzgebiet der Psychopharmakotherapie. Die Erkrankung ist primär eine internistische Erkrankung (Übergewicht: BMI >25; Adipositas: BMI >30). Sie ist mit einem deutlich erhöhten
Risiko für Begleiterkrankungen, etwa Diabetes und
Schlafapnoe, besonders aber Herz-Kreislauf-Erkrankungen, verbunden. 12–18% der erwachsenen Bevölkerung sind adipös; die Steigerungsraten sind in den
letzten 50 Jahren rasant. Der beste Prädiktor für ein
erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen ist
der Bauchumfang (Cut-off-Wert: 88 cm für Frauen,
102 cm für Männer, gemesen beim Ausatmen).
In der Psychoparmakotherapie hat eine
Gewichtszunahme besonders unter Antipsychotika (7 Abschn. 7.6) aber auch einigen Antidepressiva
(7 Abschn. 5.6) einen großen Einfluss auf die medikamentöse Compliance.
Darüber hinaus tritt Adipositas bei mehreren psychiatrischen Erkrankungen, unabhängig von einer
Psychopharmakagabe, als Symptom oder Teil der Störung auf. Es gibt viele Hinweise, dass diese Patienten
mit einem erhöhten Risiko für internistische Erkrankungen belastet sind. Besonders ist dabei auf die Fettumverteilung in den Bauchbereich z. B. bei Depressiven zu achten (7 Abschn. 15.8).
Therapie der Adipositas
5 Die Therapie der Adipositas ist primär internistisch.
5 Eine medikamentöse Therapie sollte von verhaltenstherapeutischen (u. a. Selbsthilfemanuale)
und diätetischen Maßnahmen begleitet werden.
198
Kapitel 23 · Essstörungen
26
5 Medikamentöse Therapien waren bisher bei
Adipositas nicht zugelassen. Nicht zugelassene
»Schlankheitspillen« 7 Abschn. 13.1.
5 Als Antiadiposita sind heute 3 Präparate zugelassen (7 Kap. 13); sie sollten unter internistischer
Kontrolle verabreicht werden:
– Orlistat, ein Lipasehemmer, der nur im Darm
wirksam ist;
– Sibutramin ein kombinierter Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer;
– Rimonabant, ein Cannabinoid-1-Rezeptorantagonist.
5 Über den Einsatz dieser Antiadiposita bei
Gewichtszunahme unter Antipsychotika gibt es
erste positive Ergebnisse.
27
23.5
21
22
23
24
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28
29
30
31
32
33
34
Behandlung der
Essstörungen im Kindesund Jugendalter
Essstörungen beginnen meistens in der Adoleszenz.
Der Erkrankungsbeginn für die Anorexia nervosa
liegt bei 14 Jahren, für die Bulimia nervosa zwischen
16 und 19 Jahren und für die Binge-eating-Störung
zwischen 9 und 12 Jahren.
Die Therapie der Essstörungen im Kindes- und
Jugendalter stützt sich auf drei Säulen:
5 somatische Rehabilitation und Ernährungstherapie
5 individuelle psychotherapeutische Behandlung
5 Einbeziehung der Familie
Psychotherapie bei Anorexie, Bulimie und
Binge-eating-Störung
dern und Jugendlichen mit Anorexia nervosa, besonders wenn ausgeprägte Körperschemastörungen vorlagen. Die Patientinnen haben unter Olanzapin zugenommen und die Psychopathologie hat sich gebessert.
Bei begleitenden affektiven Symptomen kann auch ein
SSRI helfen. Besonders effektiv scheint die Kombination mit Psychotherapie zu sein (Dennis et al. 2006).
Therapie der Adipositas
Adipositas stellt eine extreme gesundheitliche Belastung für Kinder- und Jugendliche dar. Bis zu einem
Drittel der Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig. Deshalb sind präventive Maßnahmen vorrangig, wobei Schulprogramme am vielversprechendsten
erscheinen (Sharma 2007).
Therapeutisch stehen am Beginn der Therapie die
Psychoedukation und die Motivationsphase. Diese
beiden Punkte sind für den weiteren Therapieverlauf
von entscheidender Wichtigkeit. Nach dem Ausschluss
von internistischen Erkrankungen für die Adipositas, sollte eine Umstellung der Lebensführung erfolgen. Dazu sollte die ganze Familie einbezogen werden
und eine Ernährungsberatung erfolgen. Danach stehen verhaltenstherapeutische und diätetische Maßnahmen sowie bei extremer Adipostias eine medikamentöse Therapie im Vordergrund. Die Wirksamkeit
der beiden Antiadiposita Orlistat und Sibutramin ist
in kontrollierten Studien abgesichert (7 Kap. 13). Sie
sind ab dem Alter von 12 Jahren zugelassen.
23.6
?
Für die Psychotherapie dieser drei Erkrankungen
konnte eine Effizienz für die KVT und die interpersonale Therapie (IPT) nachgewiesen werden. Allerdings wurden die Studien vornehmlich bei erwachsenen Patientinnen durchgeführt. Die Familientherapie scheint wirksamer als eine einzeltherapeutische
Behandlung zu sein. Auch gruppentherapeutische
Verfahren eignen sich im Rahmen des multimodalen
Therapiekonzeptes (Herpertz-Dahlmann 2005).
1.
38
Pharmakotherapie bei Anorexie, Bulimie
und Binge-eating-Störung
5.
39
Die Empfehlungen für eine medikamentöse Therapie bei Bulimie und Binge-eating-Störung entsprechen denen im Erwachsenenalter und beschränken
sich vorwiegend auf die SSRI. Einige Fallberichte und
offene Studien berichten über einen positiven Effekt
des atypischen Antipsychotikums Olanzapin bei Kin-
35
36
37
40
Checkliste
2.
3.
4.
6.
Welche Rolle spielen Antidepressiva bei der
Behandlung der Anorexia nervosa?
Unter welchen Bedingungen ist der Einsatz
von Antidepressiva bei der Anorexia nervosa
sinnvoll?
Wann ist die Gabe eines Antipsychotikums,
z. B. Olanzapin, bei der Anorexia nerovsa ,
sinnvoll?
Welche Antidepressiva können zur Behandlung der Bulimia nervosa eingesetzt werden?
Welche Gruppe von Antidepressiva ist bei
der Behandlung der Bulimia nervosa wegen
der relativ geringeren Nebenwirkungen zu
bevorzugen?
Welche Antiadiposita sind mittlerweile zugelassen?
199
24.1 ·
24
Schlafstörungen
24.1
Primäre Insomnie
– 200
24.1.1
24.1.2
24.1.3
Gesamtbehandlungsplan der primären Insomnie – 201
Therapie der primären Insomnie – 202
Therapie der Insomnie bei psychiatrischen Erkrankungen – 203
24.2
Hypersomnie
24.3
Narkolepsie
24.4
Schlafapnoesyndrom
24.5
Behandlung der Schlafstörungen im Kindes- und
Jugendalter – 205
24.6
Checkliste
– 204
– 204
– 206
– 205
200
21
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33
34
35
Kapitel 24 · Schlafstörungen
Die Klassifikation der Schlafstörungen nach ICD-10
erfolgt in sog. nichtorganische und organische Schlafstörungen (wobei der Begriff »nichtorganisch« hier
ungünstig gewählt wurde, weil alle psychischen Störungen eine biologische Grundlage haben).
Definition
Unter den nichtorganischen Schlafstörungen
werden die Dyssomnie und die Parasomnie
getrennt. Während für die Parasomnien
(7 Kap. 32), z. B. Schlafwandeln, Albträume oder
Pavor nocturnus, keine Indikation für Hypnotika
besteht, ist die primäre Insomnie die wichtigste
Erkrankung unter den Dyssomnien.
Die Hypersomnie (7 Abschn. 24.2) zählt die
ICD-10 auch zu den nichtorganischen Schlafstörungen.
Die wichtigen organischen Schlafstörungen sind
das Schlafapnoesyndrom (7 Abschn. 24.4), die
Narkolepsie (7 Abschn. 24.3) und das Restlesslegs-Syndrom (7 Abschn. 24.5).
Als eigene Gruppe werden Schlafstörungen
im Rahmen psychiatrischer und körperlicher
Störungen oder Substanzabusus abgegrenzt.
Schlafstörungen sind ein häufiges Leitsymptom
vieler psychiatrischer Erkrankungen. Besonders
ausführlich ist der gestörte Schlaf bei affektiven
Erkrankungen dokumentiert; etwa 90% der Patienten haben eine Insomnie, 10% eine Hypersomnie. Die Schlafstörungen werden dann zusammen
mit der Primärerkrankung behandelt. Die Therapie wird in den entsprechenden Kapiteln und
hier in 7 Abschn. 24.1.3 besprochen, weil auch für
diese Gruppe die Regeln der primären Insomnie
anzuwenden sind.
Das Chronic-Fatigue-Syndrom wird in 7 Abschn. 5.4 besprochen.
36
24.1
37
38
39
40
Primäre Insomnie
Insomnie wird mit dem Begriff Schlafstörungen synonym benutzt, was aber, wie die Übersicht oben zeigt,
nicht ganz korrekt ist, weil »Schlafstörung« einen
Oberbegriff definiert. Unter primärer Insomnie (abgekürzt Insomnie) wird ein Zustand mit ungenügender
Dauer oder Qualität des Schlafs über eine längeren
Zeitraum verstanden.
Ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung berichtet über zumindest gelegentliche Schlafstörungen. Als
überdauernd oder deutlich beeinträchtigend werden
Schlafstörungen bei ca. 10% der Bevölkerung angegeben (im Alter zunehmend). Die meisten Menschen
benötigen mindestens 6 h Schlaf. Die Bedeutung der
nächtlichen Erholungsphasen auf verschiedene physiologische Prozesse, besonders auf das Gedächtnis, wird zunehmend untersucht. Auch gibt es Untersuchungen, die auf ein erhöhtes Diabetesrisiko bei
Schlafmangel hinweisen. Der Zusammenhang ist so
zu erklären: Das Hungergefühl während der Nacht
wird durch die Produktion von Leptin (7 Kap. 23)
unterdrückt (nachts kennen wir kein Hungergefühl); bei Schlafmangel ist das Sättigungsgefühl aufgrund zu wenig ausgeschütteten Leptins verringert; es
wird mehr Nahrung als nötig zu sich genommen; das
Gewicht steigt.
In den letzten Jahren rückt der Terminus nichterholsamer Schlaf in den Vordergrund. Oft stehen neben
der Schlaflosigkeit auch Störungen der Tagesbefindlichkeit und der Funktionsfähigkeit im Vordergrund.
Die Einführung des übergeordneten Begriffs nichterholsamer Schlaf hebt dann allerdings die alten Einteilungen zur Schlafstörung auf; Insomnie und Hypersomnie können nun unter einem Begriff zusammengefasst werden.
Vor der Hypnotikaverordnung ist eine genaue
Schlafanalyse notwendig: Beschreibung der Ein- und
Durchschlafstörungen, Früherwachen, Schlaflänge
und Häufigkeit der Schlafunterbrechungen.
Ursachen der Insomnie
Die häufigsten Ursachen sind:
5 Begleitsymptomatik von organischen Erkrankungen (z. B. neurodegenerative Erkrankungen,
Herz- oder Lungenerkrankungen, maligne
Erkrankungen, chronische Infektionen)
5 Schmerzsyndrome
5 Psychische Stressoren
5 Umgebungsbedingten Stressoren (Lärmbelastung, Schichtarbeit, Jetlag)
5 Schlechte Schlafhygiene
5 Körperliche Krankheiten und andere körperliche
chronische Belastungen, auch häufiges nächtliches Wasserlassen
5 Nahezu alle psychiatrischen Erkrankungen
5 Konstitutive Faktoren
5 Medikationseffekte und Drogen:
– Sympathomimetika, Theophyllin
– Hormone, wie Schilddrüsenhormone, Kortisol, Kontrazeptiva
– stimulierende Substanzen (Koffein und synthetische Substanzen, z. B. Amphetamine,
Ecstasy), auch L-Dopa
201
24.1 · Primäre Insomnie
–
–
–
–
–
selektive Serotoninrückaufnahmehemmer
(SSRI)
Antibiotika (z. B. Gyrasehemmer)
Nootropika (z. B. Piracetam)
Antihypertensiva, z. B. β-Rezeptorenblocker,
Diuretika
Alkohol und andere Rauschmittel
Wichtig
Bei Schlafstörungen müssen immer körperliche
und substanzinduzierte Ursachen ausgeschlossen
werden und komorbide psychiatrische Diagnosen
erkannt werden.
Neurobiologie der Insomnie. Patienten mit Insom-
nien weisen zu etwa 35% eine positive Familienanamnese für Schlafstörungen auf. Im Alter besteht eine
höhere Vulnerabilität des Schlafes.
Schlafregulierende Substanzen haben einen besonderen Einfluss auf »rapid-eye-movement« (REM)und Non-REM-Schlafepisoden. Der REM-Schlaf ist
durch schnelle Augenbewegungen und allgemeine
Muskelerschlaffung, Steigerung der Temperatur und
des Gehirnstoffwechsels charakterisiert. Die REMPerioden umfassen ca. 25% der Schlafdauer. In dieser Zeit treten die meisten Träume auf. Bei REMSchlafentzug kann es zu Angstzuständen kommen.
Wirkung von Benzodiazepinen auf die Schlafphasen
7 Abschn. 9.2.1.
Es wird angenommen, dass insbesondere monoaminerge »REM-off«- und cholinerge »REM-on«Neurone zu diesem zyklischen Verlauf beitragen.
Einschlafphasen sind vermutlich an sinkende Entladungsraten sertonerger und noradrenerger Neurone
gekoppelt. Trizyklische Antidepressiva (TZA) und
SSRI haben eine dosisabhängige REM-reduzierende
Wirkung (Wilson u. Argyropoulos 2005).
Unter den schlafregulierenden Substanzen scheint
das Orexinsystem für die Schlaf-Wach-Regulation eine
zentrale Rolle zu spielen. Orexin-1 und -2 werden im
Hypothalamus aus dem Präkursormolekül Präproorexin gebildet. Orexinerge Neurone projezieren in verschieden Hirnregionen, die für die Regulation des
REM-Schlafs und des Non-REM-Schlafs, aber auch
für die Regulation des Appetits und weiterer Stoffwechselschritte verantwortlich sind. Bei einem Orexindefizit kommt es zu erhöhter Müdigkeit und weiteren Symptomen der Narkolepsie (7 Abschn. 24.3)
und auch zu metabolischen Störungen wie Adipositas und Diabetes. Orexinrezeptorantagonisten können
die Symptome bei Orexindefizit abfangen (Brisbare-
24
Roch et al. 2007). Es entwickelt sich an diesem System
ein neuer neurobiologischer Ansatz in der Schlafforschung.
Das hyptothalamisch-hypophysär-adrenale (HPA- )
System stellt das wichtigste stressadaptive System dar,
und scheint, wie bei der Depression und den Angststörungen auch bei der Insomnie von Bedeutung zu sein.
Relativ häufig kommen bei Schlafstörungen eine Verminderung des Tiefschlafanteils und eine verkürzte
REM-Latenz vor. Da das Growth-hormone-releasingHormon (GHRH) tiefschlaffördernd wirkt, Kortikotropinreleasing-Hormon (CRH) dagegen den Tiefschlaf unterdrückt, spielt möglicherweise eine Störung der Balance
zwischen diesen beiden Systemen für die Genese von
Schlafstörungen eine bedeutsame Rolle, insbesondere bei Schlafstörungen von Depressiven. Zudem wird
angenommen, dass viele hypothalamische Neurone,
an denen GHRH wirkt, GABAerg sind.
Die multifaktorielle Regulierung des Schlafes wird
weiterhin durch eine Vielzahl schlaffördernder Substanzen (Prostaglandine, Cytokine, Neuropeptide,
biogene Amine) beeinflusst (Wiegand u. Hajak 2006).
24.1.1
Gesamtbehandlungsplan der
primären Insomnie
Hypnotika sollen prinzipiell erst nach Ausschöpfen
anderer Therapiemöglichkeiten gegeben werden. Die
Grunderkrankungen sollen zunächst behandelt werden.
In der Regel ist eine Kombination aus aufklärenden Maßnahmen, Verhaltenskorrekturen (Schlafhygiene), KVT und kurzfristigem Einsatz von Hypnotika
indiziert.
Wenn die Insomnie nicht rechtzeitig behandelt
wird, werden Tendenzen zur Chronifizierung unterstützt. Damit geht ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression oder von Angststörungen einher.
Eine weitere schwerwiegende Folge unzureichender Therapie der Insomnie ist Abusus von Hypnotika und Alkohol, oft mit folgender Tagesmüdigkeit
verbunden. Daraus wiederum kann der Missbrauch
von Stimulanzien resultieren.
Alkohol verkürzt zwar die Einschlaflatenz, unterdrückt jedoch den REM-Schlaf und führt zu fragmentiertem Schlaf mit frühmorgendlichem Erwachen.
202
21
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23
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26
27
Kapitel 24 · Schlafstörungen
Ein Schlafspezialist ist zu zuziehen bei
5 chronischer Insomnie, wenn eine kurzfristige
Gabe von Hypnotika nicht hilft;
5 exzessiver Tagesmüdigkeit;
5 schlafbezogenen Atemstörungen oder kardialen Problemen;
5 abnormalem Schlafverhalten.
Auch wenn die Schlafstörungen im Rahmen psychiatrischer und körperlicher Störungen nicht in diesen Abschnitt besprochen werden, soll daran erinnert
werden, dass Schlafstörungen im Rahmen von Notfallsituationen sofort mit Hypnotika behoben werden
müssen (7 Kap. 34).
Wichtig
28
29
30
Bei Schlafstörungen mit Suizidalität oder im
Rahmen von akuten Psychosen oder anderen
schweren psychischen Erkrankungen sind Hypnotika vorübergehend auch in höheren Dosen
indiziert.
24.1.2
33
34
35
36
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39
40
Hypnotika und Psychotherapie im
Vergleich
5 Der Vergleich von kombiniert verhaltentherapeutisch/pharmakologischer Behandlung gegenüber den jeweiligen Einzelverfahren kann aufgrund der wenigen vorliegenden Untersuchungen
nur vorläufig beurteilt werden. In der Tendenz
zeigte sich in klinischen Studien keine Erhöhung
in der Effektivität bei der kombinierten Anwendung beider Verfahren, hingegen imponierten bei
verhaltenstherapeutischen Maßnahmen noch 6–
12 Monate nach Therapieende weiter bestehende
Therapieeffekte (Morin et al. 1994).
5 In einer Studie bei älteren Patienten schnitt die
Gruppe mit nichtmedikamentösen Maßnahmen in der Kurz- und Langzeitbehandlung besser ab als Zopiclon. Die Psychotherapie war hier
eine Mischung aus Schlafhygiene, Schlafrestriktion, Stimuluskontrolle und KVT (Sivertsen et al.
2006).
Verhaltenstherapeutische Techniken und
Entspannungsverfahren
31
32
und Beratung des Patienten zur Schlafhygiene allgemeine verhaltenstherapeutische Techniken und
Entspannungsverfahren.
Wichtig
Therapie der primären
Insomnie
Nichtmedikamentöse Maßnahmen und
Psychotherapie
5 Jede medikamentöse Therapie der Insomnie sollte, wenn möglich, erst nach Ausschöpfen nichtpharmakologischer Verfahren begonnen werden. Bei Kombinationsbehandlungen
mit pharmakologischen Therapieverfahren
besteht die Gefahr, dass die psychotherapeutische
Behandlung gegenüber der Pharmakotherapie in
den Hintergrund tritt, da der Erfolg im Vergleich
verzögert auftritt und der Zeitaufwand für Patient und Therapeut größer ist.
5 Das Grundprinzip nichtpharmakologischer Therapieverfahren zur Verbesserung des Schlafes
ist die aktive Einbeziehung des Patienten in
die Behandlung. Die nichtpharmakologischen
Ansätze haben den Vorteil, dass sie das Krankheitsgeschehen im Vergleich zu pharmakologischen Ansätzen kausal beeinflussen und langfristig wirksam sein können.
5 Die wichtigsten nichtpharmakologischen Therapieverfahren umfassen neben der Aufklärung
5
5
5
5
5
5
5
5
5
5
Schlafhygiene (s. unten)
Stimuluskontrolle (Schlaf nur im Bett)
Schlafrestriktion mit Schlafprotokoll
Progressive Muskelrelaxation
Autogenes Training
Paradoxe Intervention
Kognitive Fokussierung
Gedankenstopp
Biofeedback
Yoga, Meditation
Verhaltensregeln der Schlafhygiene
5 Einhalten der individuell notwendigen Schlafmenge: nach dem Aufwachen nicht im Bett liegen
bleiben. Wenn notwendig, Schlafzeit verkürzen.
5 Einhalten regelmäßiger Schlafzeiten: feste Zeiten,
um ins Bett zu gehen und um wieder aufzustehen
(auch am Wochenende und im Urlaub).
5 Verzicht auf längere Tageschlafepisoden. Eine
Regeneration mit einem »Nap« (Nickerchen)
kann jedoch hilfreich sein. Dabei handelt es sich
um eine Schlafphase von 15–20 min, die auch
zum Stressabbau genutzt werden kann.
5 Angenehme Schlafbedingungen: ca. 17°C, keine Gegenstände, die an Arbeit oder Belastungen
erinnern.
203
24.1 · Primäre Insomnie
5 Ausgeglichene Ernährung: leicht verdauliche
Speisen am frühen Abend.
5 Koffeinkarenz: kein Konsum von koffeinhaltigen
Getränken (Kaffee, Tee, Cola) nach 17 Uhr.
5 Verzicht auf Appetitzügler.
5 Abendliche Alkohol1- und Nikotinkarenz.
5 Regelmäßige sportliche Betätigung am Vor- und
Nachmittag.
5 Entspannende Abendgestaltung: keine geistig,
emotional oder körperlich belastenden Betätigungen am Abend.
5 Auch am Wochenende oder im Urlaub Beibehaltung des Tag-Nacht-Rhythmus.
5 Individuell ausgerichtete Regelanwendung:
Umstellung des Alltags in den Bereichen, in
denen er am weitesten von den Empfehlungen
abweicht.
Hypnotika bei der primären Insomnie
Die Therapie – sowie deren Bewertung – mit Hypnotika wird ausführlich in 7 Abschn. 9.11 dargestellt.
24
Antipsychotika bei der primären Insomnie
5 Initial sedierende Antipsychotika, haben eine
schlafinduzierende Wirkung (7 Kap. 7).
5 Unter den konventionellen Antipsychotika sind
Melperon (20–100 mg) und Pipamperon (20–
80 mg) aufgrund ihrer geringen antidopaminergen und anticholinergen Wirkung vorzuziehen
und eignen sich auch bei älteren Menschen.
5 Bei hartnäckigen Schlafstörungen können atypische Antipsychotika (AAP) mit schlafanstoßendem Effekt, insbesondere Olanzapin (2,5–
10 mg) und Quetiapin (25–150 mg) zur Nacht
verordnet werden.
5 Erhalten Patienten ein Antipsychotikum nicht
zur antipsychotischen Behandlung, sondern zur
Schlafinduktion, muss immer berücksichtigt werden, dass alle Antipsychotika auch in niedrigen
Dosen deutliche Nebenwirkungen verursachen
können.
Fazit
Wichtig
Alle Schlafmittel sollten
5 in der niedrigst möglichen Dosis verordnet
werden;
5 nur intermittierend 2- bis 4-mal/Woche
gegeben werden;
5 nicht für längere Zeiträume, d. h. für nicht
mehr als 4 Wochen, verschrieben werden;
5 langsam abgesetzt werden;
5 auf das Auftreten von Reboundphänomenen
hin beobachtet werden (7 Abschn. 8.6.2).
Antidepressiva bei der primären Insomnie
5 Antidepressiva mit sedierenden Eigenschaften
(antihistaminischer und 5-HT2-antagonistischer
Wirkung) wirken schlaffördernd. Die abendliche
Dosierung bei primärer Insomnie (ohne depressive Störung oder Angststörung) sind: Amitriptylin (25–50 mg), Doxepin (25–100 mg), Mirtazapin (7,5–15 mg), Trimipramin (25–50 mg)
(7 Abschn. 5.5).
1
Studien weisen in der Mehrzahl auf den kardial-protektiven Effekt von 20 g Alkohol bei Männern und 10 g
bei Frauen hin. Der Zusammenhang zwischen diesen
relativ niedrigen Dosen und einer Schlafinduktion
bzw. Schlafstörung und Abhängigkeitsproblemen
wurde aber bisher nicht grundlegend untersucht.
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei der
primären Insomnie – Bewertung
5 Therapie der Wahl bei der primären Insomnie sind
nichtmedikamentöse Verfahren. Sie umfassen neben
der Aufklärung und Beratung des Patienten zur
Schlafhygiene allgemeine verhaltenstherapeutische
Techniken und Entspannungsverfahren.
5 Bei den wenigen Studien zum Vergleich der Effektivität bei der kombinierten Anwendung beider Verfahren zeigen sich Vorteile für verhaltenstherapeutische
Maßnahmen.
5 Falls keine Kontraindikationen bestehen, können vor
der Wahl von Hypnotika oft auch sedierende Antidepressiva, bei hartnäckigen Schlafstörungen auch AAP,
eingesetzt werden.
5 Die Prinzipien der Therapie mit Hypnotika 7 Abschn. 9.11.
24.1.3
Therapie der Insomnie bei
psychiatrischen Erkrankungen
Schlafstörungen kommen bei psychiatrischen Krankheiten häufig vor. Sie sind i. d. R. durch gezieltes Einsetzen eines schlafinduzierenden Antidepressivums
bez. Antipsychotikums vor dem Schlafengehen oder
durch eine Dosisumverteilung gut zu behandeln. Erst
bei Nichtansprechen dieser Maßnahmen soll zusätzlich ein herkömmliches Hypnotikum gegeben werden.
204
Kapitel 24 · Schlafstörungen
Antidepressiva
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36
den Phasen mit vermehrter Tagesschläfrigkeit
noch weitere Verhaltensauffälligkeiten hinzutreten, z. B. sexuelle Enthemmung und übermäßiges Essen.
5 Die Therapie der Tagesmüdigkeit bei der primären Hypersomnie entspricht den Empfehlungen bei der Narkolepsie (7 Abschn. 24.3).
5 Bei 10% der affektiven Störungen kommt es nicht
zu einer Insomnie, sondern zu einer Hypersomnie. Depressive Patienten mit Hypersomnie werden mit Antidepressiva behandelt.
Antipsychotika
24.3
5 Bei Patienten, die an einer psychotischen Störung und begleitenden Schlafstörungen leiden,
soll zunächst die abendliche Gabe des Antipsychotikums erhöht werden. Manchmal kann ein
AAP abends in geringen Dosen zusätzlich gegeben werden.
5 Bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten sind
Antipsychotika den Benzodiazepinen vorzuziehen.
Cave
Viele Antidepressiva und niedrigpotente Antipsychotika zeigen z. T. ausgeprägte anticholinerge Eigenschaften. Bei älteren Patienten und
Patienten mit organischen Vorerkrankungen
kann dies zu erheblichen Komplikationen (u. a.
Delir, Rhythmusstörungen, Blasenfunktionsstörungen) führen (7 Kap. 10). Auch die Nebenwirkungen der AAP müssen beachtet werden.
37
38
24.2
39
5 Hauptmerkmal der primären (idiopathischen)
Hypersomnie ist eine übermäßige Schläfrigkeit mit verlängertem nächtlichem Schlaf und
Schwierigkeiten aufzuwachen oder mit unbeabsichtigten und wenig erholsamen Schlafepisoden am Tag. Eine seltene Variante stellt das Klei-
40
ne-Levin-Syndrom dar, bei dem rezidivierend in
5 Die Wirkung setzt oft sofort, manchmal erst im
Rahmen der Depressionsbehandlung nach 2–
4 Wochen, ein. Man kann dann nicht erkennen, ob die schlafinduzierende Wirkung auf die
Lösung der Depression oder den primär schlaffördernden Effekt der Antidepressiva zurück zu
führen ist. SSRI können zu Beginn der Behandlung das Schlafverhalten verschlechtern (Wilson
u. Argyropoulos 2005).
5 Bei bestehender Therapie mit einem sedierenden
Antidepressiva kann die abendliche Dosis erhöht
werden, bei zusätzlicher Verordnung dieser Substanzen zu anderen nicht sedierenden Antidepressiva sind besonders die anticholinergen
Nebenwirkungen zu beachten.
5 Bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten sind
Antidepressiva den Benzodiazepinen vorzuziehen, alternativ können Antipsychotika gegeben
werden.
Hypersomnie
Weiter treten sekundäre Hypersomnien bei körperlichen Erkrankungen (z. B. Hypothyreose, chronischen
Infektionen, entzündlichen Hirnerkrankungen), substanzinduziert (z. B. Missbrauch von Benzodiazepinen) und im Rahmen anderer psychischen Erkrankungen (z. B. atypische Depression) auf.
Narkolepsie
Die Narkolepsie ist eine Störung der REM-SchlafRegulation. Hauptsymptome der Narkolepsie sind
Kataplexie (Verlust des Tonus der Skelettmuskulatur
infolge affektiver Auslenkung wie Freude oder Ärger)
und erhöhte Tagesmüdigkeit, die oft zu Schlafattacken am Tage führt. Im Schlaf-EEG finden sich häufig
sog. Sleep-Onset-REM-Episoden, d. h. Episoden von
REM-Schlaf innerhalb der ersten 10 min nach Schlafbeginn, häufiges Erwachen und eine Fragmentierung
des REM-Schlafs.
Es wird eine multifaktorielle Vererbung angenommen. Im familiären Umfeld wird häufiges Auftreten von vermehrter Tagesmüdigkeit beobachtet. Ätiologisch besteht die Hypothese einer Beteiligung noradrenerger und serotonerger Systeme und einer Dysfunktion des Orexinsystems (7 Abschn. 24.1).
5 Therapeutisch sind Verhaltensmaßregeln indiziert. Es ist ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus und ein stabiles Lebensumfeld anzustreben. Durch regelmäßige Ruhe- und Schlafpausen kann Einschlafattacken vorgebeugt werden.
Monotone Arbeitstätigkeiten sind zu vermeiden.
5 Medikamentös führt Modafinil (7 Abschn. 14.2)
zu einer deutlichen Verbesserung von Einschlafattacken und Tagesmüdigkeit. Daher bleibt
Methylphenidat (7 Abschn. 14.2), trotz seiner
Zulassung bei der Narkolepsie, zweite Wahl nach
Modafinil.
5 Natriumoxybat (7 Abschn. 14.2) ist als neue Therapieoption eingeführt worden. Es steht damit
24.5 · Behandlung der Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter
erstmals ein Medikament zur Verfügung, das
gleichzeitig gegen alle drei Hauptsymptome der
Narkolepsie (Kataplexie, Tagesschläfrigkeit und
gestörten Nachtschlaf) wirksam ist.
5 Antidepressiva (Imipramin, Clomipramin, Venlafaxin, MAO-Hemmer) können die REM-assozierten Symptome bei der Kataplexie unterdrücken.
24.4
Schlafapnoesyndrom
Das Schlafapnoesyndrom ist durch nächtliche Atempausen charakterisiert. Es treten wiederholte Verengungen der oberen Luftwege auf, die zu einer zunehmenden Abnahme des Blutsauerstoffgehalts führen.
Infolgedessen kommt es zu kurzen Aufwachereignissen wodurch sich die Verengung der Atemwege löst.
Die Folge ist eine verstärkte Fragmentation des Schlafs
und ein verminderter Tiefschlaf. Unterschieden werden ein zentral bedingtes und ein obstruktives Apnoesyndrom.
Klinische Folgen sind Tagesmüdigkeit mit Einschlafneigung, Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit mit Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, depressive Verstimmungen, sexuelle Funktionsstörungen und morgendlichen Kopfschmerzen. Internistische Folgekrankheiten können sein: Hypertonie, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und Polyglobulie. Eine obstruktive
Schlafapnoe mit wiederholten Kollapszuständen
des Pharynx im Schlaf ist ein wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor.
Die Diagnosesicherung ist durch eine polysomnographische Untersuchung im Schlaflabor mit Registrierung respiratorischer Parameter möglich.
5 Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad.
Allgemeine Verhaltensmaßnahmen umfassen
Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus, Vermeidung von abendlichem Alkoholkonsum, keine Verordnung von sedierenden Medikamenten
am Abend, ggf. Gewichtsreduktion.
5 Medikamentöse Therapieoptionen sind Theophyllin, das einen atemstimulierenden Effekt hat und
Modafinil (7 Abschn. 14.2).
5 Bei schwerer Symptomatik ist eine kontinuierliche Überdruckbeatmung während der Nacht
notwendig (»continuous positive airways pressure«, CPAP); in manchen Fällen ist auch ein chirurgischer Eingriff indiziert; dies gilt insbesondere für die obstruktive Schlafapnoe.
24.5
205
24
Behandlung der
Schlafstörungen im Kindesund Jugendalter
Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter kommen
häufig vor und haben eine große Auswirkung auf die
Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen. Etwa
4% der Jugendlichen erfüllen die klinischen Kriterien
einer Insomnie. Die Häufigkeit der kindlichen Insomnien bei begleitenden neuropsychiatrischen Entwicklungsstörungen oder komorbiden psychiatrischen
Störungen liegt bei 50–75%.
Es finden sich folgende Schlafstörungen:
5 Bei Kleinkindern bis zum 4. Lebensjahr treten
vor allem die psychophysiologischen Insomnien
(»erlernte Insomnie«) und Schlafstörungen durch
rhythmische Bewegung auf.
5 Kinder zwischen 3 und 5 Jahren leiden häufig unter nächtlichen Ängsten, Alpträumen und
Non-REM-Parasomnien (z. B. Schlafwandeln,
Pavor nocturnus, Enuresis nocturna).
5 Im Alter von 6–12 Jahren sind inadäquate Schlafhygiene (spätes Einschlafen und frühes Erwachen), nächtliches Zähneknirschen, Restlesslegs-Syndrom und »periodic limb movements in
sleep« (7 Kap. 32) zu finden
5 Im Alter von 13–18 Jahren sind Störungen des
zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus, Narkolepsie
und Insomnien führend.
Parasomnien und Bewegungsstörungen 7 Kap. 32.
Therapie
Die primäre Insomnie sollte verhaltenstherapeutisch
(z. B. mit Entspanunngsverfahren) behandelt werden.
Bei längeranhaltender Insomnie können vorübergehend Hypnotika, Antidepressiva oder niedrigpotente
Antipsychotika eingesetzt werden.
Für die Störungen des zirkadianen Schlaf-WachRhythmus, die sehr häufig bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung, ADHS oder tief
greifenden Entwicklungsstörungen vorkommen, gibt
es einige Placebo-kontrollierte Studien mit Melatonin, die eine positive Wirkung hinsichtlich verlängerter Schlafdauer und reduzierter Einschlafphase nachweisen konnten (van der Heijden et al., 2007) (s. aber
7 Abschn. 9.1).
Bei der Behandlung der nichtorganischen Insomnien sind vor allem die Psychoedukation und verhaltensmodifizierende Maßnahmen wichtig, bevor
ggf. eine medikamentöse Therapie mit Clonazepam,
TZA oder AAP (7 Abschn. 24.1.2) unternommen wird
(Moore et al. 2006).
206
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40
Kapitel 24 · Schlafstörungen
Die Therapie der primären Hypersomnien im Kindes- und Jugendalter sollten zunächst physikalische
und verhaltenstherapeutische Maßnahmen beinhalten und nur in Ausnahmefällen sollten Psychostimulanzien verordnet werden. Für das Kleine-LevinSyndrom gibt es positive Ergebnisse zu Psychostimulanzien und Lithium.
Bei der Narkolepsie ist eine ausführliche Psychoedukation besonders wichtig. Die medikamentöse Therapie besteht aus Psychostimulanzien (z. B. Methylphendidat oder Amphetaminpräparate). In Zukunft
kommt möglicherweise auch Natriumoxybat und
Modafinil bei Kindern und Jugendlichen in Betracht.
Schlafapnoesyndrome kommen im Kindes- und
Jugendalter vorwiegend bei Infektionen im NasenRachenraum oder bei Vergrößerung der Rachenmandeln vor. Auch Adipositas ist ein Risikofaktor.
Es sollten die Grunderkrankungen behandelt werden
bevor körperliche Folgen auftreten.
24.6
Checkliste
?
1.
Bei welcher Gruppe psychiatrischer Erkrankungen sind Schlafstörungen besonders
häufig?
2. Welche Medikamentengruppen zur Behandlung von Schlafstörungen kennen Sie?
3. Welche Hypnotika sind Mittel der ersten
Wahl bei der Kurzzeittherapie von Schlafstörungen?
4. Welche Grundsätze sollten bei der Verordnung von Schlafmitteln – auch bei den
Non-Benzodiazepinhypnotika – beachtet
werden?
5. Welche Antidepressiva haben sich bei der
Behandlung der primären Insomnie (ohne
komorbide Angst oder Depression) bewährt?
6. Welche Gruppen von schlaffördernden
bzw. schlafinduzierenden Psychopharmaka
sollten bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten verordnet werden?
7. Welche Komplikation kann besonders bei
älteren Patienten bei der Therapie von
Schlafstörungen mit Antidepressiva oder
niederpotenten Antipsychotika auftreten?
8. Welche Behandlungsmöglichkeiten bei der
Narkolepsie kennen Sie?
9. Welche pharmakologischen Therapieoptionen gibt es für das Restless-legs-Syndrom?
10. Wie sollte die Therapie von primären Insomnien im Kindes- und Jugendalter erfolgen?
207
25.1 ·
25
Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen
25.1
Gesamtbehandlungsplan
– 208
25.2
Therapie
25.2.1
Spezifische Therapie bei Persönlichkeitsstörungen
25.3
Behandlung von Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
im Kindes- und Jugendalter – 211
25.4
Checkliste
– 208
– 213
– 209
208
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Nach ICD-10 und DSM-IV werden Persönlichkeitsstörungen als meist früh in der Kindheit oder Jugend
beginnende, anhaltende Muster von rigiden, nicht
angepassten Denk- und Verhaltensweisen, die sich
in nahezu allen Lebensbereichen als Störung für den
Betreffenden oder die Umwelt äußern, definiert. Die
vorherrschenden Symptome, die oft kombiniert auftreten, werden dann einzelnen Subtypen von Persönlichkeitsstörungen (oder Diagnosen) zugeordnet.
Neurobiologie. Es gibt über die genetischen Befunde
hinaus inzwischen eine Vielzahl von nachgewiesenen
Veränderungen durch die strukturelle und funktionelle Bildgebung in frontalen und limbischen Hirnregionen bei Persönlichkeitsstörungen (Schmahl u.
Bohus 2006).
Ätiologisch wird bei den Persönlichkeitsstörungen davon ausgegangen, dass adversive Lebensbedingungen und -ereignisse im (frühen) Kindesalter zu
Veränderungen neuronaler Netzwerke führen (Herpertz-Dahlmann u. Herpertz 2005).
Speziell bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung
(BPS) finden sich verminderte Hippocampus- und
Amygdalavolumina, die den Veränderungen bei der
posttraumatischen Belastungsstörung ähneln (Lieb et
al. 2004).
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25.1
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Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
Gesamtbehandlungsplan
Spezifische Medikamente zur Behandlung der Persönlichkeitsstörungen gibt es noch nicht, die Therapie
erfolgt im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans.
Dieser beinhaltet psychotherapeutische Maßnahmen
(v. a. Verhaltenstherapie), psychosoziale Unterstützung und die syndromorientierte medikamentöse und
supportiv-psychiatrische Behandlung. Ein Gesamtbehandlungssplan ist bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen von besonderer Bedeutung, um die eingeschränkte Lebensqualität zu verbessern.
25.2
Therapie
> Es muss immer zunächst geklärt werden, ob sich
zusätzlich zu einer bestehenden Persönlichkeitsstörung eine mit Psychopharmaka sicher behandelbare
psychiatrische Störung (Achse-I-Störung) entwickelt
hat. Besonders häufig sind depressive Episoden, die
mit Antidepressiva, wegen der besseren Verträglichkeit vorzugsweise mit selektiven Serotoninrückaufnahmehemmern (SSRI), gut behandelt werden
können, sowie Substanzmissbrauch und -abhängigkeit (v. a. Alkohol, Benzodiazepine).
Psychotherapie bei
Persönlichkeitsstörungen
Der Kern der Therapie von Persönlichkeitsstörungen
liegt in psychotherapeutischen Behandlungsverfahren. Vor allem zwei psychotherapeutische Zugänge
haben sich der empirischen Überprüfung gestellt und
können hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf kontrollierte Studien verweisen. Dies ist speziell für die Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung die »dialektisch-behaviorale Therapie« (DBT) (Linehan et al.
2006; Kröger u. Kosfelder 2007) und die »Schematherapie« (Young et al. 2003, Giesen-Bloo et al. 2006).
Die DBT integriert verschiedene Behandlungsmethoden:
5 Verhaltens- und Problemanalyse
5 Kontingenzmanagement
5 Kompetenz- und Problemlösetraining
5 Achtsamkeitsübungen
5 Akzeptanz- und Validierungsstrategien
Neben der Einzeltherapie ist die Teilnahme an einer
Gruppentherapie (Skillgruppe) vorgesehen. Die
Behandlung erstreckt sich über 2 Jahre. Das Vorgehen
folgt einer klaren Hierarchie. Dabei werden anfangs
die Impulsivität, die suizidalen bzw. parasuizidalen
Handlungen sowie manipulative Handlungen bearbeitet, erst dann folgt die Verringerung der Symptombelastung und in einem dritten Schritt dann die soziale Anpassung. Die Therapie von Borderline-Persönlichkeitsstörungen erfordert anfangs bzw. phasenweise während der DBT auch eine stationäre Behandlung
und die zusätzliche Pharmakotherapie.
Die Schematherapie ist eine Weiterentwicklung
der kognitiven Therapie und bearbeitet die in der frühen Entwicklungsphase etablierten fehlangepassten
Verarbeitungsmuster (Schemata) mittels kognitiver
Methoden (Disputationstechniken, Realitätstesten
usw.). Doch auch mit Interventionen zur Analyse von Traumatisierungen, Erkennen und Verändern
von emotionalen Reaktionen, ungeschickten Bewältigungsformen, Kontrolle von Temperament und
Impulsivität, kommen Imaginations- und Verhaltensübungen zum Einsatz. Jeder Persönlichkeitsstörung
liegt ein bestimmtes Set von Schemata zugrunde, das
aufgespürt und auf kognitiver und emotionaler Ebene sowie in den Handlungsabläufen verändert werden muss, um ein wenig belastetes Leben führen zu
können. Die Schematherapie wird ambulant durchgeführt, erstreckt sich, je nach Persönlichkeitsstörung
über 2–3 Jahre.
209
25.2 · Therapie
Psychopharmaka bei
Persönlichkeitsstörungen
Bei schweren psychopathologischen Symptomen ist
der Einsatz von Psychopharmaka frühzeitig indiziert;
er sollte nicht erst nach Ausbleiben des Erfolgs von
psychotherapeutischen Maßnahmen erwogen werden. Der Wirksamkeitsnachweis der medikamentösen Therapie erfolgte zumeist in offenen oder randomisierten Studien mit kleinen Fallzahlen. Große
Vergleichstudien, wie sie aus den anderen Kapiteln
dieses Leitfadens bekannt sind, fehlen noch. Dennoch
sind aus den bisherigen Studien bereits wichtige Therapieempfehlungen abzuleiten, obwohl Zulassungen
für diese Indikationen weitgehend fehlen.
Generell werden bei einer Persönlichkeitsstörung
primär psychotherapeutische Maßnahmen empfohlen.
Wichtig
Die medikamentöse Therapie von Persönlichkeitsstörungen ist syndromorientiert. Sie richtet
sich daher nach Zielsyndromen.
Zielsyndrome für Psychopharmaka bei
Persönlichkeitsstörungen
5 Wichtigste Zielsyndrome bei Persönlichkeitsstörungen sind:
– depressive und andere affektive Symptome,
– unkontrollierbare Impulsivität und Aggressivität,
– dissoziative und psychotische Symptome.
Pharmakotherapie
5 Empfehlungen zur Dauer der Therapie können nicht gegeben werden, da sich die meisten
Studien nur auf eine Behandlung von wenigen
Wochen beziehen.
5 Eine erfolgreiche Pharmakotherapie sollte man
aber längerfristig mit der niedrigsten effektiven
Dosis unter sorgfältiger Überwachung von möglichen Nebenwirkungen fortführen. Auch die
wirksamen atypischen Antipsychotika (AAP)
sind nebenwirkungsreich (7 Kap. 7).
5 Es besteht häufig eine ablehnende Haltung gegenüber Medikamenten. Die Compliance ist oft
gering mit einer hohen Abbruchrate. Medikamente erzeugen bei manchen Patienten das
Gefühl von Kontrollverlust. Auch kann die Medikation zum Interaktionsfeld werden.
5 Nebenwirkungen werden oft sensitiv oder verstärkt wahrgenommen.
25
5 Benzodiazepine sollten bei vorherrschender
Angst nur akut und mit Vorsicht eingesetzt werden (Abhängigkeitsrisiko), 7 Abschn. 25.2.1.
Wichtig
Bei der Pharmakotherapie von Persönlichkeitsstörungen sollte folgendes psychiatrisch-psychotherapeutisches Vorgehen im Vordergrund stehen:
5 Die Pharmakotherapie ist in der Regel
nur auf der Basis einer tragfähigen und
kontinuierlichen therapeutischen Beziehung
sinnvoll.
5 Die Dosierung sollte individuell, an Zielsymptomen und Nebenwirkungen orientiert,
erfolgen. Meist sind relativ niedrige Dosierungen ausreichend.
5 Die Mitbeteiligung der Patienten bei Auswahl und Dosierung ist notwendig.
5 Die Erfolgserwartungen sollten zzt. eher
niedrig angesetzt werden.
5 Notwendige Kontrolluntersuchungen, Nebenwirkungen und Begleiteffekte sind vorher zu besprechen, auch die Konsequenzen.
Es können z. B. Ziele über einen Stufenplan
vereinbart und ausgearbeitet werden.
5 Klare »Verträge« mit entsprechenden Maßnahmen und Konsequenzen können hilfreich
sein (z. B. bei selbstverletzendem Verhalten
und Suizidalität).
5 Es sollte eine möglichst sichere Medikation
und ggf. eine kleine Packungsgröße verschrieben werden.
Cave
5 Das Suizidrisiko (Intoxikationen!) ist v. a. bei
Borderline-Persönlichkeitsstörungen groß.
25.2.1
Spezifische Therapie bei
Persönlichkeitsstörungen
5 Bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung fehlt
noch weitgehend ein psychopharmakologischer
Ansatz; das gilt auch für psychotherapeutische
Interventionen.
5 Auch für Verhaltensauffälligkeiten bei histrionischen Persönlichkeitsstörungen kann aus den
wenigen Fallberichten noch keine pharmakologische Empfehlung abgeleitet werden.
210
Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
28
5 Für die BPS liegen sowohl Studien zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren (dialektisch-behaviorale Therapie, s. oben) als auch
Empfehlungen zur symptomatischen medikamentösen Therapie vor, die sich teilweise auch auf
kontrollierte Studien stützen (Lieb et al. 2004).
5 Die bei BPS gefundenen wirksamen syndromorientierten Therapiemöglichkeiten lassen sich auch
für Patienten mit dieser Symptomatik im Rahmen anderer Persönlichkeitsstörungen nutzen.
5 Für Persönlichkeitsstörungen mit Symptomen,
die auch im Rahmen von Achse-I-Störungen auftreten und dabei wirksam behandelt werden können (v. a. depressive Symptome, Angstsymptome,
psychosenahe Symptome, Zwangssymptome),
lassen sich zumindest Hinweise für die Symptombehandlung bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen gewinnen. Dies trifft insbesondere für schizotypische, paranoide, zwanghafte und
selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen zu.
29
Affektstörungen (depressive Stimmung,
Angst, Wut, Aggression)
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5 Bei affektiven Symptomen (insbesondere depressiven Verstimmungen, Stimmungsschwankungen, Empfindlichkeit gegen Abweisung,
Angst, pathologischem Ärger, Wut und Feindseligkeit) werden SSRI und Venlafaxin empfohlen;
zu den SSRI liegen Studien vor, die sich bis über
3 Jahre erstrecken.
Bei mangelnder Wirksamkeit eines ersten SSRI
sollte nach etwa 6 Wochen ein Versuch mit einem
zweiten SSRI oder Venlafaxin gemacht werden.
Eine Verordnung von Venlafaxin sollte nur dann
erfolgen, wenn bei den Patienten kein Suizidrisiko besteht (Cave: Intoxikationsrisiko).Danach
als zweite Option kann eine Augmentation mit
einem AAP in niedriger Dosis versucht werden.
5 Für die Therapie von aggressiven Affektdurchbrüchen und aggressiven Verhaltensweisen liegen
positive Studienergebnisse für Haloperidol vor;
allerdings sind AAP (z. B. Risperidon, Quetiapin,
Olanzapin) wahrscheinlich in dieser Indikation
besser geeignet und trotz fehlender kontrollierter
Studien vorzuziehen.
5 Bei Impulsivität, Stimmungsschwankungen und
affektiven Symptomen (Aggressivität, Depressivität) können bei zuverlässigen Patienten Lithium, Carbamazepin und Valproinsäure erwogen
werden. Für Valproinsäure liegen kleinere kontrollierte Studien vor, die eine Wirksamkeit bei
Aggressivität und Irritabilität im Rahmen von
BPS belegen. Eine generelle Empfehlung kann
jedoch für Stimmungsstabilisierer, v. a. in Anbetracht der möglichen Nebenwirkungen, in dieser
Indikation nicht gegeben werden.
5 Bei therapierefraktärer Angst liegen Einzelfallberichte zur Wirksamkeit von Benzodiazepinen (Clonazepam, Alprazolam) vor.Unter Alprazolam wurde aber in Einzelfällen Kontrollverlust
berichtet.
Störungen der Impulskontrolle, Reizbarkeit
und unkontrollierte Wut, impulsive
Aggression, impulsive Selbstverletzung
5 Im Rahmen einer BPS werden bei impulsiver
Aggression, Wut, Reizbarkeit und selbstverletzendem Verhalten SSRI und Venlafaxin empfohlen. Gewünschte Effekte auf Wut und impulsive
Aggression treten oft früher und unabhängig von
Wirkungen auf Stimmung oder Angst ein. Auch
kann auf Valproinsäure oder ein AAP (Aripiprazol, Risperidon, Quetiapin, Olanzapin, Clozapin)
zurückgegriffen werden. Für Lamotrigin liegt
eine placebokontrollierte Studie bei Patienten mit
BPS vor, die eine überlegene Wirksamkeit zur
Reduktion des selbst erlebten Ärgers zeigte.
5 Carbamazepin und Valproinsäure werden bei
impulsiver Aggression häufig eingesetzt. Für Valproinsäure liegen kleine kontrollierte Studien zur
Wirksamkeit, insbesondere, wenn SSRI unwirksam sind. Auch Lithium war bei dieser Indikation wirksam.
5 Bei impulsiver Aggressivität und schweren Selbstverletzungsimpulsen wurde in Einzelfällen unter
Einhaltung der übrigen Kontraindikationen und
Kontrollen Clozapin mit Erfolg eingesetzt. Clozapin war Olanzapin überlegen (Krakowski et al.
2006).
5 Für Quetiapin und Risperidon liegen positive Einzelfallberichte bei Patienten mit antisozialer Persönlichkeitsstörung vor
5 Naltrexon war bei Selbstverletzungstendenzen im
Rahmen einer BPS erfolgreich.
Cave
Benzodiazepine sollten auch bei dieser Zielsymptomatik nur in Akutsituationen gegeben werden. Einzelfälle von Kontrollverlusten wurden unter Benzodiazepinen berichtet. Möglicherweise
sind in Akutsituationen AAP eine Alternative.
25.3 · Behandlung von Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen …
Kognitive Symptome und
Wahrnehmungsverzerrungen
5 Zur Behandlung von Beziehungsideen, Illusionen, meist passageren Halluzinationen und
Pseudohalluzinationen und paranoiden Ideen
sowie der häufig damit verbundenen Hostilität
im Rahmen von Persönlichkeitsstörungen haben
sich konventionelle hochpotente Antipsychotika
(z. B. Haloperidol, Perphenazin, Flupentixol) in
niedriger Dosierung effektiv erwiesen. Allerdings
zeigte sich bei längerer Gabe eine geringe Verträglichkeit aufgrund der bekannten Nebenwirkungen (7 Abschn. 7.6).
5 Allerdings sollte trotz fehlender kontrollierter
Studien den AAP in möglichst niedriger Dosierung unter Einhaltung der üblichen Kontraindikationen und Kontrolluntersuchungen der Vorzug bei Behandlungsversuchen für diese Zielsymptomatik gegeben werden.
5 Bei dissoziativen Symptomen, insbesondere bei
BPS, wird über positive Ergebnisse mit Naltrexon
(Dosis meist 25–100 mg/Tag) in Kombination
mit Psychotherapie berichtet.
Verhaltensstörungen bei
Intelligenzminderung
5 Bei aggressivem Verhalten bei Intelligenzminderung kann zunächst Risperidon versucht werden.
Andere AAP wurden seither nicht in kontrollierten Studien untersucht. Bei chronisch aggressivem Verhalten ist im zweiten Schritt ein Therapieversuch mit Valproinsäure oder Carbamazepin
vorsichtig indiziert.
5 Bei organisch bedingten aggressiven Störungen
kann ein Therapieversuch mit β-Rezeptorenblockern auch in höherer Dosierung oder mit Clonidin erfolgreich sein (langsam aufdosieren).
5 Bei Oligophrenien und anderen geistigen Behinderungen tritt nicht selten neben motorischen
Stereotypien repetitives selbstverletzendes Verhalten mit z. T. auch mutilierenden Selbstverletzungen auf. In dieser Indikation kann auch Risperidon eingesetzt werden.
5 Bei expansiven und disinhibierten Verhaltensstörungen im Rahmen von Oligophrenien kann ein
Versuch mit Valproinsäure oder Antipsychotika
(insbesondere Risperidon) empfohlen werden.
5 Keine Empfehlung kann trotz positiver Fallberichte für Naltrexon und Methylphenidat bei geistiger Retardation (IQ <50) und autistischen
Symptomen ausgesprochen werden.
211
25
Spezifische Impulskontrollstörungen
5 Bei spezifischen Störungen der Impulskontrolle
(pathologisches Spielen, Pyromanie, Kleptomanie,
Trichotillomanie) haben sich in Fallserien SSRI in
oft höherer Dosierung und über mehrere Monate
als hilfreich erwiesen, eine Kombination mit psychotherapeutischen Interventionen ist in jedem
Fall zu empfehlen.
5 Auch ein zweiter Versuch mit einem SSRI scheint
angeraten, bevor ein AAP, ggf. auch in Kombination versucht werden kann.
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen – Bewertung
5 Die medikamentöse Therapie von Persönlichkeitsstörungen ist syndromorientiert. Sie richtet sich daher
nach Zielsyndromen.
5 Neben der Psychotherapie kann die medikamentöse
Therapie, obwohl nur wenige kontrollierte Studien
bekannt sind, eine wertvolle Therapieerweiterung
sein.
5 Bei jeder spezifischen Störung muss auf das bis dahin
am besten untersuchte wirksame Präparat zurückgegriffen werden (7 Abschn. 25.2). Es bleibt aber ein
individueller Behandlungsversuch.
5 Speziell bei der BPS gibt es drei medikamentöse
Optionen:
– SSRI bei vorherrschender Depressivität, Angst
oder Ärger,
– AAP besonders bei kognitiven Störungen,
– Stimmungsstabilisierer bei vorherrschenden
impulsiven Störungen.
25.3
Behandlung von
Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen im
Kindes- und Jugendalter
Nach ICD-10 ist die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vor Abschluss der Pubertät (ungefähr 16 Jahre) wahrscheinlich unangemessen. Vor diesem Lebensalter sollte sie nur dann vergeben werden, wenn die
Mindestzahl der geforderten Kriterien erfüllt ist, die
spezifischen Verhaltensmuster bereits in der Adoleszenz zeit- und situationsübergreifend auftreten und
zur Einschränkung der schulischen, beruflichen und
sozialen Leistungsfähigkeit führen.
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Kapitel 25 · Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
Eine Ausnahme macht lediglich die antisoziale Persönlichkeitsstörung. Diese Diagnose darf vor
dem Alter von 18 Jahren nicht gestellt werden. Die
entsprechende Diagnose im Kindes- und Jugendalter ist die Störung des Sozialverhaltens. Die verschiedenen Störungen des Sozialverhaltens sind durch dissoziales, aggressives oder aufsässiges Verhalten (länger als 6 Monate) mit Verletzungen altersentsprechender sozialer Erwartungen gekennzeichnet. Diese
Störungen können mit deutlichen Symptomen einer
emotionalen Störung, zumeist Depression und/oder
Angst, kombiniert sein.
Verhaltensstörungen, wie z. B. Störungen des Sozialverhaltens oder ADHS bzw. HKS (7 Abschn. 27.3),
gehören zu den häufigsten Störungsbildern im Kindes- und Jugendalter. Häufig liegt eine Kombination
beider Störungen (Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens) vor.
Therapie der BorderlinePersönlichkeitsstörung
Empirische Befunde zur psychotherapeutischen
Behandlung der BPS bei Jugendlichen liegen nur
vereinzelt vor. Insbesondere fehlen bislang kontrollierte Studien. Die Ergebnisse einer offenen Studie zur
DBT mit jugendlichen Patienten sind jedoch viel versprechend in Bezug auf Suizidalität und selbstverletzendem Verhalten (Fleischhaker et al. 2006).
Die pharmakologische Behandlung zielt auf einzelne Symptome z. B. Depression, Aggressivität,
Impulsivität und Spannungszustände. Eine Vielzahl
dieser Symptome spricht auf SSRI an. Eine Verordnung der SSRI sollte nur dann erfolgen, wenn bei den
Patienten kein Suizidrisiko besteht.
Bei hoher Impulsivität und Aggressivität kann
ein Antipsychotikum (z. B. Risperidon) in Erwägung
gezogen werden. Risperidon ist für diese Indikation
im Kindes- und Jugendalter zugelassen. Benzodiazepine sollten auch bei dieser Zielsymptomatik nur in
Akutsituationen gegeben werden. Ähnliches gilt für
die symptomorientierte pharmakologische Behandlung anderer Persönlichkeitsstörungen.
Liegen zusätzlich Beziehungsideen, Illusionen,
Halluzinationen bzw. Pseudohalluzinationen und
paranoiden Ideen sowie Hostilität vor, können Antipsychotika verordnet werden.
Bei dissoziativen Symptomen kann ein pharmakologischer Behandlungsversuch mit Naltrexon unternommen werden.
Therapie spezifischer
Impulskontrollstörungen
Bei den spezifischen Störungen der Impulskontrolle
im Kindes- und Jugendalter gelten die gleichen Empfehlungen wie für das Erwachsenenalter und zwar
sollte eine Kombination mit psychotherapeutischen
Interventionen und SSRI erfolgen.
Therapie von Verhaltensstörungen
Therapeutisch haben sich bei Verhaltensstörungen
spezielle Elterntrainings und Familienhilfen bewährt.
Die Interventionen beim Patienten sollten Problemlösetrainings, z. B. im Sinne von sozialen Kompetenzgruppen, Veränderungen der Peer-Gruppen, Klärung
der adäquaten Schulform etc., enthalten.
Zur pharmakologischen Behandlungen von Verhaltensauffälligkeiten wie Störungen des Sozialverhaltens ohne zusätzlichem Vorliegen einer ADHS haben
sich v.a. Risperidon und Lithium als wirksam erwiesen. Bei Vorliegen einer zusätzlichen ADHS zeigten
Psychostimulanzien, Atomoxetin, Clonidin und
Risperidon eine Wirksamkeit (Ipser u. Stein 2007;
7 Abschn. 14.2). Risperidon hat eine Zulassung für die
Behandlung von Impulskontrollstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit selbst- und/oder fremdaggressivem Verhalten.
Verhaltensstörungen bei
Intelligenzminderung
Aggressives Verhalten bei Intelligenzminderung kann
mit Risperidon behandelt werden, da eine Zulassung
für diese Indikation für das Kindes- und Jugendalter
vorliegt. Andere AAP wurden seither nicht in kontrollierten Studien untersucht, sollten aber bei Nichtansprechen oder zu starken Nebenwirkungen versucht
werden. Es können auch niederpotente Antipsychotika eingesetzt werden. Auch kann eine Medikation mit
Methylphenidat wirksam sein (IQ >50). Als Medikation der zweiten Wahl gelten Lithium, Valproat, Carbamazepin, β-Rezeptorenblocker und Clonidin.
25.4 · Checkliste
25.4
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Bei Persönlichkeitsstörungen liegen häufig
komorbide psychiatrische Erkrankungen
(Achse-I-Störungen) vor, auf welche Störungen ist besonders zu achten?
Was bedeutet die Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen und anderen psychiatrischen Erkrankungen für die medikamentöse Behandlungsstrategie?
Welche Probleme ergeben sich häufig bei
der medikamentösen (Mit)behandlung von
Persönlichkeitsstörungen?
Wie erfolgt die Auswahl von medikamentösen Behandlungsoptionen bei Persönlichkeitsstörungen?
Welche Behandlungsoptionen haben sich
bei der Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung bewährt?
Wie werden Störungen des Sozialverhaltens
bei Kindern und Jugendlichen definiert und
welches Medikament ist zur Behandlung
dieser Störungsbilder zugelassen?
213
25
26
215
26.1 ·
Sexuelle Funktionsstörungen
26.1
Erektionsstörungen
26.2
Vermindertes sexuelles Verlangen
26.3
Störungen der sexuellen Erregung bei der Frau
26.4
Ejaculatio praecox und Orgasmusstörungen
26.5
Gesteigertes sexuelles Verlangen und Paraphilie
26.6
Substanzinduzierte sexuelle Funktionsstörungen
26.7
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei
sexuellen Funktionsstörungen – 218
26.8
Behandlung sexueller Funktionsstörungen im
Kindes- und Jugendalter – 219
26.9
Checkliste
– 219
– 216
– 217
– 217
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216
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40
Kapitel 26 · Sexuelle Funktionsstörungen
Sexuelle Funktionsstörungen sind häufig. Jede 3. Frau
und jeder 4. Mann klagen über chronische sexuelle
Probleme. Insbesondere sind auch Patienten mit psychiatrischen Störungen, wie Depressions- und Angststörungen, Schizophrenien oder Abhängigkeitserkrankungen davon betroffen.
Drei Störungsbereiche stehen im Rahmen der
sexuellen Funktionsstörungen im Vordergrund:
5 Erektionsstörungen bzw. Störungen der Lubrikation und der sexuellen Erregung;
5 gestörtes sexuelles Erleben mit Ejakulationsstörungen bzw. Orgasmusstörungen und Schmerzen
beim Geschlechtsverkehr;
5 Libidostörungen mit vermindertem sexuellem
Verlangen.
Sexuelle Funktionsstörungen erfordern eine interdisziplinäre Diagnostik. Vor Beginn einer Therapie ist
der Ausschluss organischer und psychiatrischer Ursachen zwingend. Gefäßerkrankungen, Diabetes mellitus, Hypothyreose und andere endokrine Störungen,
neurologische Erkrankungen und andrologische bzw.
gynäkologische Beschwerden führen häufig zu sexuellen Funktionsstörungen, genauso wie urologische
oder gynäkologische Operationen.
Während früher überwiegend psychotherapeutische bzw. sexualtherapeutische Maßnahmen bei
sexuellen Funktionsstörungen angewandt wurden,
hat die Möglichkeit der medikamentösen Behandlung
der Erektionsstörungen mit Phosphodiesterase-Typ5-Inhibitoren (PDE-5-Hemmer) eine Therapiewende eingeleitet. Ein Sexualtherapeut kann sich jetzt bei
gestörter Erektion mehr auf die mögliche Partnerproblematik und andere Ursachenaufarbeitungen (z. B.
Missbrauchserfahrung) konzentrieren, während parallel die erektile Dysfunktion medikamentös behandelt wird. Im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans
werden Verhaltenstherapie, Paartherapie und medikamentöse Maßnahmen mit unterschiedlichen Schwerpunkten eingesetzt.
Es werden hier vorrangig die pharmakotherapeutischen Ansätze beschrieben. Wird eine hormonelle Therapie erwogen, ist immer der Urologe bzw.
Gynäkologe und ggf. der Endokrinologe einzubeziehen. Auch wenn die neurobiologischen Ursachen
immer mehr in den Vordergrund rücken, sind bei der
sexuellen Funktionsstörung alle psychobiosozialen
Bedingungen, insbesondere die Partnerbeziehung,
zu berücksichtigen. Es zeigt sich bei der erfolgreichen
Therapie der Erektionsstörungen beispielhaft, wie
einerseits Psychotherapie biologische Auswirkungen
haben kann, andererseits aber auch die Besserung der
Erektionsstörungen durch PDE-5-Hemmer die psy-
chischen Beeinträchtigungen bis hin zur Depression
verbessert (Müller u. Benkert 2001).
Neurobiologie der sexuellen Funktionsstörungen.
Neben Störungen des peripheren Nervensystems,
das die Erektion steuert, und neuroanatomischen
und physiologischen Veränderungen des Penis, kann
auch die zentrale Regulation der Erektion gestört sein.
Neuropeptide und Steroidhormone spielen dabei
eine entscheidende Rolle (Hartmann et al. 2006;
7 Abschn. 12.2.2). Die Bedeutung des Stickstoffmonoxids (NO) wird in Zusammenhang mit den PDE-5Hemmern besprochen (7 Abschn. 12.2.1).
Darüber hinaus entstammen viele der heutigen Kenntnisse über die sexuellen Funktionen
und deren Aktivierung bzw. Blockade durch spezifische Neurotransmitterrezeptoren der Psychopharmakaforschung. Dopaminagonisten können
das sexuelle Verhalten verstärken, Dopaminantagonisten (z. B. Antipsychotika, 7 Kap. 7) können es
dämpfen. Einige Antipsychotika können auch über
die Erhöhung des Prolaktins einen negativen Einfluss auf das Sexualverhalten haben (7 Kap. 7). Es
wird angenommen, dass eine wichtige dopaminerge
Regulationzentrale für das sexuelle Verhalten im
medialen präoptischen Areal (MPOA) des Hypothalamus liegt. Das serotonerge System übt dagegen einen inhibitorischen Einfluss auf das sexuelle
Verhalten aus. Die serotonergen Neurone sind überwiegend in den Raphekernen lokalisiert. Die sexuelle Verhaltenshemmung, insbesondere die Ejakulationshemmung, ist eine Nebenwirkung der selektiven
Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI), kann aber
andererseits therapeutisch zur Ejakulationsverzögerung genutzt werden.
26.1
Erektionsstörungen
Die frühere Unterscheidung in psychogene oder
somatogene Ursachen erektiler Dysfunktionen führt
oft nicht weiter, denn in den meisten Fällen sind psychologische, somatische und soziale Aspekte an der
Störung beteiligt. Es besteht eine deutliche Abhängigkeit vom Alter. Allerdings können auch allein internistische (z. B. Hypertonie, Diabetes mellitus), neurologische (z. B. multiple Sklerose) oder Zustände nach
Operationen (z. B. Prostatektomie) die Ursache einer
Erektionsstörung sein.
5 Der Therapieschwerpunkt bei den Erektionsstörungen hat sich seit der Einführung von Sildenafil und weiterer selektiver PDE-5-Hemmer auf die
orale Medikation verlagert (7 Abschn. 12.2.1). Die
217
26.5 · Gesteigertes sexuelles Verlangen und Paraphilie
5
5
5
5
Erfolgsquote ist hoch (PDE-5-Hemmer >80%,
Placebo um 10%).
Trotz der medikamentösen Therapieerfolge mit
PDE-5-Hemmern ist die psychotherapeutische
Führung, wenn möglich immer unter Einbeziehen der Partner, Voraussetzung für eine adäquate
und längerfristig erfolgreiche Behandlung.
Weitere medikamentöse Ansätze mit Yohimbin
sind den PDE-5-Hemmern weit unterlegen.
Testosteronsubstitution kann bei nachgewiesenem Hypogonadismus erfolgreich sein. Darüber hinaus ist eine Wirksamkeit von Testosteron
bei Erektionsstörungen nicht nachgewiesen worden.
Andere Therapieformen, wie intrakavernöse
Injektionen, Vakuumpumpen oder Implantation
einer Penisprothese, spielen seit Einführung der
PDE-5-Hemmer in der Therapie der Erektionsstörungen kaum mehr eine Rolle (sekundäre und
tertiäre Therapiestufe, 7 Abschn. 12.1).
26.2
Vermindertes sexuelles
Verlangen
Eine bewährte Pharmakotherapie bei verringerter
Libido steht nicht zur Verfügung. Bei der Therapie
sind psychische und endokrine Aspekte (Menopause, Androgendefizit) zu berücksichtigen. Es gibt keine zugelassene pharmakologische Therapie; abhängig
von der Diagnostik können verschiedene Interventionen erwogen werden:
5 Beim Mann ist die Wirkung einer Hormonsubstitution fraglich (7 Abschn. 12.2.2). Für Testosteron
gibt es positive Befunde nur bei Testosteronmangel, Dehydroepiandrosteron (DHEA) besitzt ein
Aktivierungspotenzial. Die Wirksamkeit ist allerdings nicht gesichert. Bei Testosteron und DHEA
besteht zusätzlich das Risiko des Zellwachstums
in der Prostata.
5 Bei Frauen mit postmenopausaler Libidoverminderung kann ein hormoneller Therapieansatz mit
einem synthetischen Steroid wirksam sein. Tibolon (Liviella®), ein synthetisches Steroid mit kombinierter östrogenerger, progesteronerger und
androgener Aktivität (gonadomimetisch) wurde bei Libidominderung früher oft verschrieben.
(Risiken 7 Abschn. 12.4.2).
5 Niedrig dosierte Testosterongaben bei sexuellen Appetenz- und Erlebensstörungen zeigten bei
Frauen zwar positive Effekte (allerdings nicht in
allen Studien); das Nebenwirkungsrisiko bleibt
aber unklar, sodass die Therapie Frauen mit aus-
26
geprägter Androgendefizienz vorbehalten bleiben sollte.
5 Neben einer möglichen Hormonsubstitution sind
psychotherapeutische Maßnahmen zu erwägen
(Gromus 2002).
26.3
Störungen der sexuellen
Erregung bei der Frau
5 Ein spezifisches Störungsbild wie die Erektionsstörung lässt bei der Frau nicht abgrenzen. Ein
Ansatz für eine Pharmakotherapie hat sich nicht
ergeben, besonders, da auch die PDE-5-Hemmer
nicht den erhofften Erfolg gezeigt haben. Lokal
sind östrogenhaltige Salben zur verbesserten
Lubrikation wirksam.
26.4
Ejaculatio praecox und
Orgasmusstörungen
5 Ejakulationsstörungen sind beim jungen Mann
häufig. Früher konnten therapeutische Erfolge
allein mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen (z. B. Squeeze-Technik) erreicht werden.
Heute kann man die Nebenwirkung Ejakulationverzögerung der SSRI therapeutisch nutzen
(7 Abschn. 12.4.4).
5 Eine etablierte pharmakologische Therapie bei
Orgasmusstörungen gibt es nicht.
26.5
Gesteigertes sexuelles
Verlangen und Paraphilie
Gesteigertes sexuelles Verlangen mit Krankheitswert
kann bei der Manie, Schizophrenie, Demenz, Oligophrenie und bei Persönlichkeitsstörungen auftreten.
Die Therapie pathologisch gesteigerter Libido hat aber
auch gerade bei Störungen der sexuellen Orientierung (Paraphilie) einen hohen Stellenwert, um sexuelle Straftaten zu verhindern. Die pharmakologische
Behandlung kann zwar den gesteigerten sexuellen
Drang dämpfen und Verhaltensänderungen bewirken, aber die Paraphilie nicht heilen. Eine begleitende
Sozio- und Psychotherapie ist deshalb unabdingbar.
5 Das Antiandrogen Cyproteronacetat ist zur
Behandlung schwerer Hypersexualität und
sexueller Deviationen bei Männern zugelassen
(7 Abschn. 12.4.5). Weiterhin sind das Gestagen
Medroxyprogesteron und LHRH-Agonisten bei
Paraphilie wirksam.
218
21
22
23
24
Kapitel 26 · Sexuelle Funktionsstörungen
5 Selektive Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI)
können, analog zur Wirkung bei den verwandten obsessiven Erkrankungen, in höheren Dosierungen sowohl eine Verminderung des sexuellen
Verlangens bewirken, als auch deviante sexuelle
Phantasien und Praktiken bessern. Der Effekt ist
aber noch nicht befriedigend evaluiert.
5 Bei schwerer Hypersexualität im Rahmen von
manischen oder schizophrenen Erkrankungen
werden auch Antipsychotika mit Erfolg eingesetzt.
25
26
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29
30
31
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35
36
37
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39
40
26.6
Substanzinduzierte sexuelle
Funktionsstörungen
Unter einer großen Zahl von Pharmaka, besonders
aber auch Psychopharmaka, kommt es zu sexuellen
Funktionsstörungen. Sie sind ein wichtiger Aspekt
reduzierter Lebensqualität, besonders unter Antipsychotika und ein häufiger Grund für Non-Compliance.
Am häufigsten tritt erektile Dysfunktion auf.
5 Folgende Medikamente und Drogen können
besonders häufig eine erektile Dysfunktion hervorrufen:
– Psychopharmaka:
Antipsychotika, Benzodiazepine, Carbamazepin, Lithium, trizyklische Antidepressiva (TZA), SSRI und Venlafaxin
(7 Abschn. 5.11.2).
– Andere Pharmaka:
ACE-Hemmer, β-Rezeptorenblocker, Cimetidin, Clonidin, Kalziumantagonisten, Kortikosteroide, Methyldopa, Metoclopramid,
Reserpin, Spironolacton, Thiazide.
– Drogen:
Alkohol und Nikotin bei chronischer Einnahme; auch Opiate/Opioide.
5 Ejakulationsverzögerungen können unter
SSRI auftreten. Schmerzhafte Ejakulationen
sind unter dem Antidepressivum Reboxitin
(7 Abschn. 5.11.3) beobachtet worden.
5 Libidosteigerungen sind für Stimulanzien und
Kokain beschrieben.
5 Priapismus kommt v. a. unter α-adrenolytischen
Substanzen, besonders Antipsychotika, vor. Dass
auch andere Mechanismen bei Priapismus involviert sind, demonstrieren Ereignisse unter Sildenafil, SSRI und Antipsychotika ohne α1-blockierende Effekte.
Cave
Bei anhaltender Erektion von über 4 h muss unverzüglich ein Arzt aufgesucht werden (urologischer Notfall).
Therapie bei sexuellen Funktionsstörungen
unter Psychopharmaka
5 Die größten Erfahrungen bestehen für erektile
Dysfunktionen unter Antidepressiva. Zuwarten
und beraten ist bei leichten oder mittelschweren
Störungen unter SSRI nur bedingt hilfreich.
Dosisreduktion oder »drug holidays« (wenn psychiatrisch vertretbar) ist unter SSRI (nicht Fluoxetin) nur dann eine Option, wenn kein Rückfallrisiko besteht.
5 Bei hartnäckigen Störungen ist ein Wechsel
auf ein Antidepressivum mit weniger sexuellen
Nebenwirkungen, wie bei Mirtazapin oder Bupropion (7 Kap. 5) zu erwägen.
5 Nach Ausschluss von Kontraindikationen ist weiterhin die Gabe eines PDE-5-Inhibitors bei Erektionsstörungen eine Alternative. Für Sildenafil liegen Studien zum Wirksamkeitsnachweis bei
medikamentös induzierter erektiler Dysfunktion
vor. Darüber hinaus verbesserten sich parallel zur
erektilen Funktion auch die depressive Symptomatik und die Lebens- sowie Partnerschaftsqualität (s. oben, Einleitung).
5 Ein generelles Vorgehen bei Antipsychotikainduzierten sexuellen Störungen ist nicht etabliert, ein individuelles Vorgehen unter Berücksichtigung der psychosozialen Komponenten ist
angeraten. Zunächst zuwarten und beraten, dann
umsetzen auf ein atypischen Antipsychotikum
(das keine Prolaktinerhöhung hervorruft) und
schließlich die zusätzliche Gabe eines PDE-5Hemmer sind die Optionen.
26.7
Pharmakotherapie
und Psychotherapie
bei sexuellen
Funktionsstörungen
Die Behandlung sexueller Funktionsstörungen bei
Männern und Frauen ist eine wichtige ärztliche
und psychotherapeutische Aufgabe. Bei Erfolg können komorbide psychische Symptome gebessert und
Lebens- und Partnerschaftsqualität gesteigert werden.
Die positiven Wirksamkeitsnachweise für PDE-5Hemmer bei der erektilen Dysfunktion sprechen für
219
26.9 · Checkliste
eine Pharmakotherapie. Sexuelle Funktionsstörungen
sind aber oft nur ein Aspekt einer gestörten Beziehung. Eine psychotherapeutische Begleitung und/oder
eine breiter angelegte paarorientierte Psychotherapie
sind deshalb sinnvoll (Althof u. Wieder 2004; Levine
2004). Es liegen spezielle sexualtherapeutische Verfahren vor, die gut evaluiert sind (Kockott u. Fahrner
2000). Die Kombinationsbehandlung ist allerdings im
Vergleich zu den Monotherapien nicht evaluiert.
Bei bekannten organischen Ursachen der Erektionsstörung, gerade auch im höheren Lebensalter (s. oben, Einleitung), und guter Wirksamkeit der
PDE-5-Hemmer, kann auch eine alleinige Pharmakotherapie akzeptiert werden.
Für die Libido- und Orgasmusstörungen, besonders bei der Frau, gibt es keine etablierte Pharmakotherapie, sodass sexualtherapeutische Maßnahmen im
Vordergrund stehen müssen (Gromus 2002).
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei sexuellen Funktionsstörungen – Bewertung
5 Bei der Pathogenese und der Therapie der sexuellen
Funktionsstörungen sind alle psychobiosozialen
Faktoren zu berücksichtigen. Deshalb ist eine begleitende Psychotherapie bei den meisten Patienten
sinnvoll.
5 Bei Erektionsstörungen sind PDE-5-Hemmer Mittel
der Wahl.
5 Bei vermindertem sexuellem Verlangen kann eine
Hormontherapie nur bei nachgewiesenem Hormondefizit empfohlen werden.
5 Für Libido- und Orgasmusstörungen, besonders bei
der Frau, steht keine risikoarme Pharmakotherapie
zur Verfügung.
26.8
Behandlung sexueller
Funktionsstörungen im
Kindes- und Jugendalter
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es immer
wieder Patienten, die ein gesteigertes sexuelles Verlangen und paraphilie Tendenzen zeigen. Ursächlich
für diese Störungen sind häufig Erkrankungen, die
mit kognitiven Defiziten einhergehen. Zur medikamentösen Behandlung kommen Antidepressiva, AAP
(v. a. Risperdon) und ggf. Antiandrogene (z. B. Cyproteronacetat) in Betracht (Geradin u. Thibaut 2004).
26.9
26
Checkliste
?
1.
2.
3.
Was ist bei der Diagnostik von sexuellen
Funktionsstörungen zu berücksichtigen?
Eine große Zahl von Substanzen und Pharmaka kann sexuelle Funktionsstörungen
auslösen, welche Rolle spielen Psychopharmaka und Drogen?
Wie sind die pharmakologischen Möglichkeiten zur Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen bei Frauen einzuschätzen?
221
27.1 ·
27
Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörungen
27.1
Gesamtbehandlungsplan
– 222
27.2
Therapie
27.2.1
27.2.2
Psychostimulanzien und andere Medikamente
Psychotherapie – 223
27.3
Behandlung von ADHS im Kindes- und Jugendalter
27.4
Checkliste
– 222
– 224
– 222
– 223
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40
Kapitel 27 · Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen
Die
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) bzw. hyperkinetischen Störungen
sind zusammen mit den Störungen des Sozialverhaltens, die häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (7 Abschn. 27.3). Sie bleiben bei
rund 1/3 der Patienten bis ins Erwachsenalter fortbestehen. Die Erkrankung manifestiert sich in der Kindheit vorrangig mit Defiziten in der Aufmerksamkeit
sowie mit Hyperaktivität und Impulsivität.
Häufig resultieren Komplikationen im Lernverhalten, in verminderter Organisationsleistung und
z. T. erheblichen Fehlanpassungen im Sozialverhalten.
Diese Leitsymptome finden sich dann im Erwachsenenalter wieder, häufig prägen hier Aufmerksamkeitsdefizite und emotionale Instabilität die Symptomatik. Für hyperkinetische Störungen (HKS), die nach
ICD-10 klassifiziert werden, ist zur Diagnosestellung
eine Symptomatik aus Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung einerseits und Hyperaktivität und
Impulsivität andererseits gefordert, für die ADHS,
die nach DSM-IV klassifiziert werden, ist eine Beeinträchtigung in einer dieser beiden Hauptbereiche zur
Diagnosestellung ausreichend, weswegen sich auch
die Prävalenzzahlen unterscheiden.
Es finden sich gehäuft Komorbiditäten: Persönlichkeitsstörungen (v. a. antisoziale Persönlichkeitsstörung, Borderline-Persönlichkeitsstörung), Alkohol- und Substanzmissbrauch bzw. -abhängigkeit,
Angsterkrankungen und affektive Störungen.
Neurobiologie. Die wesentlichen pathogenetischen
Vorstellungen zu ADHS umfassen sowohl genetische
als auch umweltbedingte Ursachen, wobei der genetische Anteil auf 70–90% beziffert wird. Die molekular-genetischen Kopplungs- und Assoziationsstudien
konnten vorwiegend dopaminerge und serotonerge
Befunde replizieren. Kinder mit ADHS weisen eindeutig höhere Raten an prä-, peri- und postnatalen
Komplikationen und psychosozialen Belastungsfaktoren auf.
Bildgebende Untersuchungen ergaben, dass bei
betroffenen Personen die präsynaptischen DopaminTransporter um etwa 70% erhöht sind. Pharmakologische und elektrophysiologische Befunde stützen
die Hypothese, dass auch das noradrenerge Neurotransmittersystem und das posteriore Aufmerksamkeitsnetzwerk an der Pathophysiologie der ADHS
wesentlich beteiligt sind und strukturelle und funktionelle Auffälligkeiten im Bereich des präfrontalen Kortex, des anterioren Gyrus cinguli sowie der Basalganglien und ihrer Verbindungen bestehen.
In hirnelektrischen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass bei Kindern mit ADHS eine
Beeinträchtigung der aufmerksamkeitsabhängigen
und zielorientierten Informationsverarbeitungsprozesse besteht. In neuropsychologischen Untersuchungen finden sich oft schlechtere Leistungen in
verschiedenen Parametern der exekutiven Funktionen (Remschmidt u. Heiser 2004; Stellungnahme der
Bundesärztekammer 2005).
27.1
Gesamtbehandlungsplan
Während die Behandlung der ADHS in der Kinderund Jugendpsychiatrie im Sinne einer multimodalen Therapie gut etabliert ist (7 Abschn. 27.3), kristallisiert sich in der Erwachsenenpsychiatrie ein therapeutisches Vorgehen erst langsam heraus. Die Therapie mit Psychostimulanzien wird durch die fehlende
Zulassung und den in der Öffentlichkeit überschätzen
Risiken einer Abhängigkeitsentwicklung stark eingeengt und die psychologischen Therapien sind noch
zu wenig evaluiert. Dennoch empfiehlt es sich schon
heute, trotz reduzierter Forschungsbasis, eine medikamentöse Therapie mit verhaltenstherapeutischen
Techniken zu kombinieren.
27.2
Therapie
27.2.1
Psychostimulanzien und
andere Medikamente
5 Neben dem Psychostimulans Methylphenidat stehen jetzt Atomoxetin zur Therapie bei ADHS zur
Verfügung. Beide Substanzen sind im Erwachsenenalter nicht zugelassen und müssen »off-label«
verschrieben werden. Erste Hinweise gibt es zur
Wirksamkeit von Modafenil (7 Kap. 14).
5 In den letzten Jahren hat man in der medikamentösen Therapie der ADHS auch bei Erwachsenen positive Erfahrungen, besonders mit Psychostimulanzien, gemacht. Bei Erwachsenen
haben sich beim Einsatz von Psychostimulanzien
Ansprechraten bis zu 78% gezeigt. Die Wirksamkeit erstreckt sich sowohl auf die Kernsymptome
Hyperaktivität, Impulsivität und Aufmerksamkeitsdefizite als auch auf die komplexen Begleitsymptome wie soziale Defizienzen, schulische
Probleme und Kommunikationsstörungen.
5 Bedingt durch eine öffentliche Diskussion besteht
Unsicherheit, in welchem Ausmaß eine Behandlung mit Psychostimulanzien einen Risikofaktor
für einen späteren Substanzmissbrauch darstellt.
Neuere Untersuchungen ergeben jedoch klare
223
27.3 · Behandlung von ADHS im Kindes- und Jugendalter
5
5
5
5
5
Hinweise, dass die Therapie mit Stimulanzien im
Kindes- und Jugendalter sogar zu einem erniedrigten Risiko für einen späteren Substanzmissbrauch beitragen kann. Der Einsatz von Psychostimulanzien ist aufgrund seiner hohen
Ansprechrate grundsätzlich zu empfehlen, muss
jedoch engmaschig kontrolliert werden. Die verpflichtende Aufbewahrung der BtM-Rezepte für
den einzelnen Patienten bietet eine gute Kontrollmöglichkeit.
Die meisten Erfahrungen liegen in der Erwachsenenbehandlung innerhalb der Gruppe
der Psychostimulanzien mit Methylphenidat
(7 Abschn. 14.2) vor.
Der selektive Noradrenalinrückaufnahmehemmer Atomoxetin (7 Abschn. 14.2) reduziert Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung. Ein Abhängigkeitspotenzial besteht nicht.
Bei komorbider Suchterkrankung sollte an ein
Alternativpräparat (selektiv noradrenerge Antidepressiva wie Nortriptylin, Desipramin, Reboxetin, ggf. auch MAO-Hemmer oder Venlafaxin)
gedacht werden (7 Abschn. 14.2). Die Kontrollbedingungen im therapeutischen Setting müssen
dann sehr engmaschig sein (regelmäßiges Drogenscreening). Diese Antidepressiva sind eine
Alternative zu Methylphenidat. Die Dosierungen
liegen in Bereichen der antidepressiven Behandlung, es sollte in jedem Falle zunächst mit einer
niedrig bis mittleren Dosierung begonnen werden, um die Ansprechrate zu überprüfen.
Modafinil (7 Abschn. 14.2) zeigte in ersten Untersuchungen zur ADHS von Kindern und Erwachsenen eine gute Wirksamkeit, insbesondere bei
kognitiven Störungen. Die vorliegenden Daten
rechtfertigen den Einsatz dieser Substanz zzt. als
Medikament der zweiten Wahl bei ADHS.
Therapiedauer: Nach bisheriger klinischer Erfahrung sollte eine erfolgreiche pharmakologische
Behandlung über 6–18 Monate fortgeführt werden, bevor ein Reduktions- bzw. Absetzversuch
initiiert wird.
27.2.2
Psychotherapie
5 Psychologische Therapien sind bei ADHS noch
wenig untersucht. Bei der Anwendung psychotherapeutischer Verfahren wird, ausgehend von
den Erfahrungen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie, empfohlen, störungsspezifisch vorzugehen.
27
5 Die Psychotherapie sollte in der Regel mit einer
Pharmakotherapie kombiniert werden, da erfahrungsgemäß einige Symptome (z. B. Aufmerksamkeit, emotionale Instabilität) eher durch die
Pharmakotherapie und andere (z. B. Organisationsverhalten, Verhalten in Beziehungen) eher
durch die Psychotherapie zugänglich sind.
5 Es liegen bislang nur vorläufige Studien zur
Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Maßnahmen im Erwachsenenalter vor.
5 Empfohlen wird eine Variante der Verhaltenstherapie. Sie lehnt sich an die dialektische-behaviorale Therapie (DBT) bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung an.
Fazit
Psychopharmakotherapie und Psychotherapie bei
ADHS – Bewertung
5 Methylphenidat und Atomoxetin sind wirksam, aber
bei Erwachsenen nur »off-label« zu verordnen. Risiken
und Nebenwirkungen sind streng zu beachten, besonders bei Patienten mit Abhängigkeitsproblemen.
5 Bei Abhängigkeitsproblemen ist die Therapie mit
Antidepressiva vorzuziehen.
5 Empfehlenswert ist es, die medikamentöse Therapie
mit Verhaltenstherapie zu kombinieren. Evaluiert ist
diese Kombination aber nicht.
27.3
Behandlung von ADHS im
Kindes- und Jugendalter
Die Behandlung der ADHS sollte grundsätzlich multimodal erfolgen und die einzelnen Komponenten
sollten individuell für jeden Patienten abgestimmt
werden.
An erster Stelle steht die Aufklärung und Beratung
der Eltern, des Patienten und auch anderer Bezugspersonen (z. B. Lehrer, Erzieher). Es folgen dann, abhängig von Art und Ausmaß der Symptomatik, situativen
Einflüssen und Komorbidität, verschiedene Entscheidungsschritte zur Optimierung der Behandlungsstrategie.
Medikamentöse Therapie
Bei stark ausgeprägter situationsübergreifender hyperkinetischer Symptomatik mit krisenhafter Zuspitzung
sollte eine Pharmakotherapie begonnen werden. Hierbei sind Psychostimulanzien (7 Abschn. 14.3.1) auf
Grund ihrer erwiesenen Wirksamkeit Medikamente
224
Kapitel 27 · Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen
22
der ersten Wahl. Unter bestimmten Voraussetzungen
ist auch Atomoxetin ein Mittel der ersten Wahl. Diese Medikamente sind für Kinder und Jugendliche
zugelassen. Auf die medikamentöse Behandlung der
Komorbiditäten wird in 7 Abschn. 14.3.1 eingegangen.
23
Psychoedukative, psychosoziale und
psychotherapeutische Interventionen
21
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40
Die Behandlung der ADHS von Kindern und Jugendlichen setzt erzieherische und behandlungsorganisatorische Kooperationen voraus, deswegen ist die Psychoedukation unverzichtbar.
Die psychotherapeutischen Ansätze basieren auf
verhaltenstherapeutischen Prinzipien. Als hilfreich
sind verhaltenstherapeutische Interventionen mit
dem Kind und im Kindergarten bzw. in der Schule
sowie das Eltern-Training einzustufen. Die Therapie
stützt sich vorwiegend auf operante Techniken.
Sollte die hyperkinetische Symptomatik weniger
stark ausgeprägt sein, empfiehlt sich ein Selbstinstruktionstraining und Neurofeedback.
Bei externalisierenden Auffälligkeiten des Kindes
in der Schule (ADHS mit Störungen des Sozialverhaltens) sollte eine Aufklärung und Beratung der Lehrer
erfolgen sowie eine Intervention in der Schule vorgenommen werden. Sollte dies nicht genügen, empfiehlt
sich eine zusätzlich Pharmakotherapie.
Bei externalisierenden Auffälligkeiten des Kindes in der Familie können ein Elterntraining und die
Intervention in der Familie hilfreich sein. Wenn dies
nicht zu einer Verbesserung der Symptomatik führt,
ist auch hier eine zusätzliche Pharmakotherapie zu
empfehlen. Bei schwierigen Therapieverläufen muss
eine komorbide Störung in Betracht gezogen werden,
die dann unter anderem durch soziales Kompetenztraining, Übungsbehandlung sowie Einzel- und Gruppenpsychotherapie behandelt werden kann.
Multimodale Therapie
Aus einer großen pharmakologisch-psychotherapeutischen Kombinationsstudie zu ADHS bei Kindern
und Jugendliche ist abzuleiten, dass die Kombination
aus Psychostimulanzien mit einer intensiven psychosozialen, verhaltenstherapeutisch-orientierten Intervention aber auch die alleinige ausreichend dosierte und monatlich kontrollierte PsychostimulanzienMedikation signifikant wirksam waren. Die kombinierte Therapie hatte zusätzlich noch eine signifikante Wirksamkeit in Bezug auf die Entwicklung sozialer Fertigkeiten, eine Verbesserung der Symptomatik
komorbider Störungen, Eltern-Kind-Beziehungsstörungen und Schulleistungsprobleme, was die alleinige
medikamentöse Behandlung nicht hatte. Als weniger
wirksam haben sich die alleinige intensive psychosoziale, verhaltenstherapeutisch orientierte Intervention und eine sozialpsychiatrisch-orientierte Therapie
erwiesen.
In einer weiteren Studie erzielten zusätzliche psychosoziale und psychotherapeutische Maßnahmen
neben der differenzierten, individuellen Medikation
kein besseres Ergebnis als Medikation mit intensiver
Psychoedukation, Begleitung der Familie und Krisenmanagement (Remschmidt u. Heiser 2004; Stellungnahme der Bundesärztekammer 2007).
27.4
Checkliste
?
1.
2.
Welche Problematik besteht bei der medikamentösen Therapie des ADHS im Erwachsenenalter?
Welche Therapiekomponenten sollten bei
ausgeprägter ADHS-Symptomatik im Kindesund Jugendalter zum Einsatz kommen und
worin liegt der Vorteil einer Kombinationsbehandlung?
225
28.1 ·
28
Abhängigkeitsstörungen
28.1
Suchtmittel
– 227
28.1.1
28.1.2
28.1.3
28.1.4
28.1.5
28.1.6
28.1.7
28.1.8
Alkohol – 227
Benzodiazepine – 229
Opiate/Opioide – 230
Kokain und Amphetamin – 231
Ecstasy und Eve – 231
Psychotomimetika (LSD, Meskalin, Psilocybin)
Cannabis – 232
Nikotin – 232
28.2
Behandlung der Abhängigkeitsstörungen im Kindes- und
Jugendalter – 233
28.3
Checkliste
– 234
– 232
226
21
Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
In diesem Kapitel werden die typischen Abhängigkeitserkrankungen mit Entzugssyndromen und Intoxikationssymptomen mit der entsprechenden Thera-
pie beschrieben. Anders als in den übrigen Kapiteln
folgt die Gliederung hier den wichtigsten Suchtmitteln.
22
Definition
23
24
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27
28
29
30
31
32
Riskanter Konsum
Die Kriterien für Missbrauch oder Abhängigkeit werden nicht erfüllt, die Substanz wird jedoch übermäßig
konsumiert. Bei einem riskanten Substanzkonsum besteht ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung eines Missbrauchs oder einer Abhängigkeit. Nach Ansicht der
WHO und der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren kann von einem riskanten Alkoholkonsum
ausgegangen werden, wenn eine Frau täglich >20 g
reinen Alkohols, ein Mann täglich >30 g reinen Alkohols konsumiert.
Missbrauch/schädlicher Gebrauch
Kriterien für Abhängigkeit werden nicht erfüllt. Jedoch besteht Konsum trotz des Wissens um ein ständiges oder wiederholtes soziales, psychisches oder
körperliches Problem, das durch den Gebrauch der
Substanz verursacht oder verstärkt wird, und/oder um
Situationen, in denen ihr Gebrauch eine körperliche
Gefährdung darstellt.
Abhängigkeit
Periodische oder chronische Einnahme einer psychotropen Substanz, durch die der Abhängige und/oder
die Gemeinschaft geschädigt werden. Charakteristisch
sind übermächtiges Verlangen nach der Substanz mit
Kontrollverlust, körperliche Entzugserscheinungen
(Entzugssyndrom bei sistierendem Konsum), Toleranzentwicklung (Dosissteigerung oder Wirkungsverlust),
Konsum trotz nachweislicher Schädigung.
Unterschieden werden:
5 Körperliche Abhängigkeit: Toleranzentwicklung,
Kontrollverlust, substanzspezifisches Entzugssyndrom.
5 Psychische Abhängigkeit: ständiges, zwanghaftes Beschäftigtsein mit dem Drogenkonsum
bzw. der Sicherung der Versorgung mit der Droge; hohes Rückfallrisiko nach durchgeführtem
Entzug.
Polytoxikomanie
Wiederholter abhängiger Konsum verschiedener psychotroper Substanzen aus wenigstens 3 Substanzkategorien über einen Zeitraum von 6 Monaten, ohne
dass eine einzelne psychotrope Substanz dominiert.
Sind die diagnostischen Kriterien für eine oder mehrere Substanzabhängigkeiten erfüllt, so sind aufgrund
der spezifischen therapeutischen Implikationen diese
(z. B. Alkoholabhängigkeit oder Opiatabhängigkeit)
anstelle der Polytoxikomanie zu verwenden.
33
34
Therapiephasen bei Abhängigkeit und
Sucht
Es können folgende Phasen unterschieden werden:
35
36
37
38
39
40
Definition
Motivation
Beratung und Motivation zur Durchführung weitergehender Therapiemaßnahmen, wie z. B. einer Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung steht im Vordergrund. Es ist eine primär hausärztliche Tätigkeit im
Rahmen mehrerer Kurzinterventionen.
Entgiftung
Symptomatische und protektive medikamentöse Behandlung des (körperlichen) Entzugssyndroms bis zu
dessen Beendigung. Unter qualifizierter Entgiftung
versteht man die zusätzliche Anwendung psychotherapeutischer, insbesondere motivationsfördernder
Maßnahmen. Die Entgiftungsbehandlung wird im Regelfall unter stationären Bedingungen durchgeführt.
Für Patienten, die absprachefähig sind, kein Entzugskrampfanfall oder Delir in der Vorgeschichte haben
und keine relevanten Alkoholfolgeerkrankungen bestehen, kommt auch eine ambulante Entgiftungsbehandlung in Frage.
6
227
28.1 · Suchtmittel
Entwöhnung
Psycho- und soziotherapeutische sowie rehabilitative Maßnahmen zur Behandlung insbesondere
der psychischen Abhängigkeit (z. B. stationäre oder
ambulante Kurz- oder Langzeittherapie mit unterschiedlichem Behandlungsansatz, v. a. verhaltenstherapeutische Interventionsstrategien) sind in der
Entwöhnungsphase entscheidend. Unterstützend
kann eine medikamentöse Rückfallprophylaxe bzw.
Substitution eingesetzt werden . Tab. 11.1).
Nachsorge
In dieser Phase soll die stufenweise soziale und berufliche Wiedereingliederung und Neustrukturierung des
sozialen Umfelds erfolgen. Die Teilnahme an Selbsthilfegruppen ist erwünscht.
Neurobiologie der Abhängigkeitsstörungen. Sub-
stanzen, die abhängiges Verhalten induzieren, können die Dopaminfreisetzung im Nucleus accumbens des
Striatums stimulieren. Allerdings führt eine direkte
Blockade des Dopaminsystems durch Antipsychotika
nicht zum Therapieziel, weil damit auch andere wichtige Verhaltensweisen, wie z.B. Sexualität, blockiert
werden. Alkohol und andere Drogen führen durch
komplexe Lernmechanismen zur Toleranzentwicklung (Abschwächung der Drogenwirkung) und Sensitivierung (verstärkte Wirkung) bei neuerlicher Exposition. In engem Zusammenhang mit dem dopamingeren System steht das opioiderge System (Heinz u.
Kinast 2008)
28
–
–
fremd- oder eigengefährdendes Verhalten,
seltener Angst oder depressive Stimmung;
Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, Desorientiertheit, Bewusstseinsstörungen;
Stand- und Gangunsicherheit: Nystagmus,
Ataxie, Dysarthrie, Schwindel.
Therapie. Bei Fremd- oder Selbstgefährdung oder
Erregungszustände wird Haloperidol (7 Kap. 7;
7 Kap. 34) eingesetzt. Leichte und mittelschwere
Alkoholintoxikationen stellen in der Regel keine Indikation für eine pharmakotherapeutische Intervention dar.
Cave
28.1
Suchtmittel
Im Anschluss an die Darstellung der Abhängigkeitserkrankungen folgt jeweils die Therapie mit den entsprechenden Schwerpunkten.
Der Einsatz von Benzodiazepinen bei Alkoholintoxikationen ist wegen synergistischer Effekte am
GABAA-Rezeptorkomplex kontraindiziert.
Alkoholentzugssyndrom
28.1.1
Alkohol
Alkohol hat einen komplexen physiologischen Effekt
und hat sowohl eine stimulierende als auch sedierende Wirkung. Alkohol entfaltet eine Vielzahl von Wirkungen im ZNS, besonders am dopaminergen und
opioiden System, am GABAA-Benzodiazepinrezeptorkomplex, 5-HT3-Rezeptor (stimulatorisch) und
NMDA-Rezeptorkomplex (inhibitorisch).
Alkoholintoxikation
5 Bei akuter Alkoholintoxikation können bei
schwerer Ausprägung folgende Symptome auftreten:
– Enthemmung, Rededrang, Euphorisierung,
bei schwerer Intoxikation auch aggressives
5 Bei unkompliziertem Alkoholentzugssyndrom
kann es u. a. zu Blutdruckerhöhung, Tachykardie,
Tremor, Ängsten, psychomotorischer Unruhe,
Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö kommen.
5 In schweren Fällen entwickelt sich ein Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens, s. unten) oder ein
Grand-mal-Entzugskrampfanfall, in seltenen Fällen
eines Status epilepticus.
Therapie. Der Einsatz einer medikamentösen Therapie ist dringend indiziert. Im deutschsprachigen
Raum ist bei stationärer Behandlung Clomethiazol
(7 Abschn. 11.2.3) Mittel der ersten Wahl. Ambulant
werden Tiaprid oder Carbamazepin verordnet.
228
21
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30
Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
Cave
Clomethiazol ist nicht für die ambulante Anwendung geeignet, da es selbst zu einer Abhängigkeitsentwicklung führt.
Eine gleichwertige Alternative zu Clomethiazol sind
Benzodiazepine (7 Abschn. 11.2.3)
Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens)
5 Das Alkoholentzugsdelir kann sich als eine akute
organische Psychose primär oder aus einem Entzugssyndrom heraus entwickeln. Klinisch ist das
Alkoholentzugsdelir u. a. mit einer tief greifenden Orientierungsstörung, psychomotorischer
Unruhe, Auffassungsstörungen, Wahrnehmungsstörungen, optischen Halluzinationen und einer
Umkehr des Tag/Nacht-Rhythmus erkennbar.
Unbehandelt endet es in einem Drittel der Fälle letal.
Therapie. Das Delirium tremens darf nur stationär
behandelt werden. Clomethiazol, ggf. in Kombination
mit einem Antipsychotikum, ist das Mittel der Wahl.
Alkoholfolgekrankheiten
31
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37
38
39
40
Alkoholhalluzinose
5 Es treten akustische Halluzinationen mit dialogisierenden und beschimpfenden Stimmen, Angst
und Verfolgungswahn auf. Es werden bevorzugt
Antipsychotika, z. B. Haloperidol (5–10 mg/Tag)
verordnet.
Eifersuchtswahn
5 Wahnhafte Überzeugungen, vom Geschlechtspartner betrogen zu werden bestimmen das
Krankheitsbild, das fast ausschließlich bei Männern vorkommt. Antipsychotika sind indiziert.
Der alkoholbedingte Eifersuchtswahn spricht
aber schlechter als der Wahn bei schizophrenen
Störungen auf eine antipsychotische Behandlung an.
Wernicke-Korsakow-Syndrom
5 Verwirrtheit bis zur Desorientierung, Vigilanzschwankungen, Augenmuskelparesen, Ataxie
(Wernicke-Enzephalopathie) bzw. Desorientiertheit, amnestische Störungen und Konfabulationen
(Korsakow-Syndrom) prägen das Krankheitsbild.
Es wird hoch dosiert Vitamin B1 gegeben.
Hepatische Enzephalopathie
5 Es kommt zu einem deliranten Syndrom unterschiedlicher Schwere mit Bewusstseinsstörungen
bis hin zu Stupor und Koma. Weitere Symptome
sind: erhöhte Serumammoniakspiegel, psychomotorische Unruhe (auch stuporöse Zustandsbilder), »flapping tremor« der ausgestreckten
Hände. Bei schwerer Ausprägung ist eine Intensivüberwachung notwendig.
Rückfallprophylaxe der
Alkoholabhängigkeit
Therapieprinzipien und Gesamtbehandlungsplan
5 Voraussetzung für die Vermeidung von Alkoholrückfällen ist die Berücksichtigung neurobiologischer und psychosozialer Faktoren. Die
Behandlung alkoholabhängiger Patienten sollte
im Rahmen eines individuellen Gesamtbehandlungsplanes erfolgen. Dieser schließt pharmakologische, psychotherapeutische und sozialpsychiatrische Methoden ein. Gemeinsam mit dem
Patienten wird ein konkret formuliertes Behandlungsziel erarbeitet.
5 Hauptziel in der Behandlung alkoholabhängiger
Patienten ist das Erreichen der Abstinenz, das
aber bei Bestehen eines hohen Schweregrades
zugunsten eher erreichbarer Ziele, z. B. Verhinderung von Folgeschäden, aufgeweicht werden
kann. Schon die Verlängerung der Abstinenzphasen kann dann zunächst ein Therapieziel sein.
Wichtig
5 Die Entgiftung ist i. Allg. stationär als
qualifizierter Entzug mit psychoedukativen
Maßnahmen und Motivationsförderung
vorzunehmen.
5 Die Entwöhnungstherapie findet in anderen Ländern überwiegend ambulant, in
Deutschland noch überwiegend stationär
über 2–3 Monate statt. Weniger als 3% der
Alkoholabhängigen unterzog sich im Jahr
2002 einer stationären Langzeitentwöhnung,
weniger als 1% beendete ein vom Rentenversicherungsträger finanziertes strukturiertes ambulantes Entwöhnungsangebot.
5 Hilfreich ist eine Orientierung am Stufenmodell
der Veränderung, nach welcher der Betroffene
einen Kreislauf von Vorahnungsphase (Motivationsarbeit), Entscheidungsphase (Planung der
Behandlung/Entgiftung), Handlungsphase (Entgiftung), Abstinenzerhaltungsphase (Rückfallpro-
229
28.1 · Suchtmittel
phylaxe) und möglicherweise Abstinenzbeendigungsphase (Rückfall und erneute Motivationsarbeit) durchläuft.
5 Motivationale Therapie, kognitiv-behaviorale
Therapie, Vorgehen nach dem 12-Schritte-Modell
der anonymen Alkoholiker stellen erfolgreiche
psychotherapeutische Interventionen in der
Behandlung alkoholabhängiger Patienten dar. Die
Kombination dieser Techniken wird unter dem
Begriff der alkoholismusspezifischen Psychotherapie (ASP) zusammengefasst. Insbesondere die
motivationale Therapie ist für die Anwendung im
klinisch-psychiatrischen wie auch hausärztlichen
Alltag geeignet; für alle Techniken stehen praxisnahe Manuale zur Verfügung.
5 Die aktive Teilnahme an Selbsthilfegruppen (z. B.
Anonyme Alkoholiker mit einem strukturierten
12-Stufen-Programm) ist für viele Patienten in
der Nachsorgephase zur Abstinenzerhaltung hilfreich. Eine aus einem 12-Stufen-Programm abgeleitete Gruppentherapie wurde in einer großen amerikanischen Studie zu psychotherapeutischen Behandlungsverfahren bei Alkoholabhängigkeit (»Projekt Match«) in seiner Wirksamkeit bestätigt.
5 In den letzten 10 Jahren hat die medikamentöse
Rückfallprophylaxe zunehmend ihre Wirksamkeit erwiesen. Sie muss mit den anderen suchttherapeutischen Hilfen in einen Gesamtbehandlungsplan eingebunden werden.
Definition
5 Craving (unstillbares zwanghaftes Verlangen nach Alkohol) wird als Zeichen der
psychischen Abhängigkeit mit erhöhter
Auftrittswahrscheinlichkeit von Rückfällen
angesehen.
Pharmakotherapie der Rückfallprophylaxe
Nur 10% der Patienten erhalten zur Rückfallprophylaxe die richtige Therapie. Eine Pharmakotherapie ist
immer dann indiziert, wenn es bereits zu mehreren
Rückfällen kam. Es sind in den letzen Jahren mehrere
Optionen entwickelt worden:
5 Acamprosat (7 Abschn. 11.2.4) ist das Mittel der
ersten Wahl. Es zeigt in Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie eine bessere Wirksamkeit als die Medikation allein.
5 Naltrexon (7 Abschn. 11.2.4) ist in Europa zur
Alkoholrückfallprophylaxe noch nicht zugelassen, wurde aber bereits positiv bewertet.
28
5 Disulfiram (7 Abschn. 11.2.4) war früher das einzige Medikament, das zur Rückfallprophylaxe
zur Verfügung stand. Wegen potenziell lebensbedrohlicher Komplikationen bei Trinkzwischenfällen stellt es jedoch keine Standardtherapie dar.
Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit
5 Bei der Alkoholabhängigkeit besteht eine erhöhte
Komorbidität mit anderen psychiatrischen
Erkrankungen, besonders der Depression und
Angststörungen. Mehr als 30% aller alkoholabhängigen Patienten leiden an einer behandlungsbedürftigen Depression; mehr als 10% aller alkoholabhängigen Patienten suizidieren sich. Eine
Antidepressivatherapie bei komorbiden Depressions- oder Angststörungen senkt die Rückfallhäufigkeit. Ein großer Anteil von Alkoholabhängigen ist nikotinabhängig; auch diese Behandlung
unterstützt die Alkoholabstinenzerhaltung.
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie der Alkoholkrankheiten und der Rückfallprophylaxe bei
Alkoholabhängigkeit – Bewertung
5 Bei Erregungszuständen durch Alkoholintoxikationen ist Haloperidol am risikoärmsten einzusetzen.
5 Beim Alkoholentzugssyndrom und dem Delirium
tremens ist Clomethiazol das Mittel der Wahl.
5 Clomethiazol darf, besonders wegen eigener Abhängigkeitsentwicklung, nicht ambulant verordnet
werden; es darf nicht länger als 2 Wochen gegeben
werden.
5 Die Rückfallprophylaxe muss zwingend in einem
Gesamtbehandlungsplan eingebunden werden.
Psychotherapeutische Modelle, Selbsthilfegruppen
und Pharmakotherapie sind zu integrieren. Eine
Priorität einer Behandlungsform stellt sich hier (wie
etwa bei den Angststörungen oder der Depression)
nicht, da alle therapeutischen Möglichkeiten so intensiv wie möglich ausgeschöpft werden müssen. Die
hohe Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit ist zu
berücksichtigen.
5 Acamprosat ist zzt. das wichtigste Mittel zur Rückfallprophylaxe. Für Naltrexon gibt es positive Studien.
28.1.2
Benzodiazepine
Wenn Benzodiazepine länger oder in zu hohen Dosen
eingenommen werden (zumeist ≥1 Jahr) erhöht sich
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35
Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
das Abhängigkeitsrisiko. Problematik und entsprechende Therapie werden in 7 Abschn. 8.6.1 dargestellt.
5 Darüber hinaus kann es zu Intoxikationen unter
hohen Dosen oder Mischintoxikationen mit
anderen sedierenden Substanzen (z. B. Alkohol,
Opiate) kommen.
5 Symptome sind vor allem: Apathie, Bewusstseinstrübung, neurologische Symptome, gelegentlich Doppelbilder, Hypotension, Ateminsuffizienz, Schwindelzustände, Übelkeit und Kopfschmerzen.
5 Therapeutisch steht dann eine primäre Detoxifikation im Vordergrund. Als Antidot kann in
besonderen Fällen die Gabe von Flumazenil
durch Intensivmediziner erwogen werden.
28.1.3
Opiate/Opioide
Zur Substanzgruppe der Opiate gehören Morphin
und seine synthetischen und halbsynthetischen Derivate. Wichtigster Vertreter ist das Heroin. Opiate binden an spezifische Rezeptoren.
5 Den Opiaten gemeinsam sind euphorisierende,
tranquilisierende und analgetische Wirkungen
sowie eine Dämpfung des Atem- und Hustenzentrums, Obstipation und ausgeprägte periphere
parasympathomimetische Eigenschaften wie z. B.
Miosis.
5 Durch Opiate kommt es zu einer starken physischen und psychischen Abhängigkeit.
Opiatintoxikation
Intoxikationserscheinungen sind wegen des oft bestehenden zusätzlichen Substanzkonsums besonders
gefährlich. Bei anfänglicher Euphorie kommt es zur
vegetativen Dysregulation. Vigilanzstörungen können
zu Somnolenz und Koma führen. Hinweisendes Symptom ist Miosis.
36
Therapie. Als Antidot wird Naloxon (Narcanti®) i.v.
37
gegeben. Bei zu schneller bzw. hoch dosierter Gabe
von Naloxon können Opiatentzugssymptome mit
Erregungszuständen auftreten.
38
Opiatentzugssyndrom und
Entgiftungsbehandlung
39
5 Die wichtigsten Symptome des Opiatentzugssyndroms sind:
– Verlangen nach einem Opiat
– Rhinorrhö oder Niesen
– Tränenfluss
– Muskelschmerzen oder -krämpfe
40
–
Abdominelle Spasmen, Übelkeit, Erbrechen,
Diarrhö
– Pupillenerweiterung
– Tachykardie oder Hypertonie
– Gähnen und unruhiger Schlaf
5 Die Entzugssymptome treten 6–8 Stunden nach
der letzen Opiateinnahme auf, zeigen ihren Gipfel nach 2–3 Tagen und klingen nach ca. 5–
10 Tagen wieder ab.
5 In der Regel kommt es zwar subjektiv zu massiven Beeinträchtigungen durch Entzugssymptome, aber objektiv meist nicht zu vital bedrohlichen Symptomen (im Gegensatz zum Delirium
tremens).
Therapie. Bei Entgiftungsbehandlung kommen opiat/opioidgestützte und nichtopiat-/nichtopioidgestützte
Therapieverfahren zum Einsatz. Die Auswahl des Therapieverfahrens sollte im Hinblick auf den Gesamttherapieplan des Patienten (z. B. opiatfreie Langzeitentwöhnung, Substitution, Krisenintervention etc.) und
den subjektiven Präferenzen des Patienten erfolgen.
Für die erfolgreiche Durchführung eines Opiatentzugs sollte ein entsprechend geschultes Behandlungsteam vorhanden sein; verbindliche Verhaltensregeln,
z. B. in Form einer schriftlichen Therapievereinbarung, sollten festgelegt werden, um häufigen Behandlungsproblemen (Beikonsum, Drogenhandel etc.) zu
begegnen.
5 Die opiatgestützte Entgiftungsbehandlung wird
mit dem Opiatagonisten Methadon, Levomethadon oder dem Opiatagonisten Buprenorphin
durchgeführt (7 Abschn. 11.2.6).
5 Für die nichtopiatgestützte Entgiftung steht Clonidin zur Verfügung (7 Abschn. 11.2.6).
Substitutionsbehandlung bei
Opiatabhängigkeit
Die Aufrechterhaltung der Therapieteilnahme der
Patienten, die Verbesserung des Gesundheitszustandes und eine Verhinderung weiterer Folgeschäden stellen die wichtigsten unmittelbaren Ziele in
der Behandlung opiatabhängiger Patienten dar. Diese
Therapieziele lassen sich insbesondere für die Mehrzahl der schwerer betroffenen, noch nicht ausreichend
stabilisierten Patienten am ehesten mit einer Substitutionsbehandlung erreichen.
5 Zur Substitutionsbehandlung werden die langwirksamen Opiatagonisten Methadon, Levomethadon oder der kombinierte Opiatrezeptoragonist/-antagonist Buprenorphin zusammen mit
psychosozialen Begleittherapien eingesetzt. Eine
Opiatsubstitution verbessert die Therapietreue
231
28.1 · Suchtmittel
der Patienten und vermindert den Beikonsum
von Heroin und anderen Drogen. Weitere Vorteile sind die Ermöglichung einer sozialen Reintegration, die Distanzierung von der Szene sowie
eine Eindämmung der Beschaffungskriminalität
und ein Wegfall des Infektionsrisikos.
5 Bei Erfolg der Substitutionsbehandlung kann die
Einleitung einer »Take-home-Vergabe« bedacht
werden.
28
Therapie. Zur Aufrechterhaltung der Opiatabstinenz
kann der Opiatantagonist Naltrexon (. Tab. 11.1)
eingesetzt werden. Problematisch sind die hohen
Abbruch- und Rückfallquoten während der Behandlung. Alternative Behandlungsmöglichkeiten, z. B. die
Einleitung oder Wiederaufnahme einer Substitutionsbehandlung sind bei instabilen Patienten zu prüfen.
28.1.4
Kokain und Amphetamin
Wichtig
Die Vergabe muss im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzepts stehen. Die Substitutionsbehandlung sollte daher durch eine entsprechend
qualifizierte Einrichtung (Schwerpunktpraxis,
Gesundheitsamt, Ambulanz) erfolgen, in welcher
das Substitutionsmittel unter Aufsicht eingenommen wird.
5 In einer großen deutschen Untersuchung in mehreren Städten wird derzeit die Sicherheit und
Effektivität einer ärztlich kontrollierten Heroinvergabe bei Schwerstabhängigen untersucht, die
Veröffentlichung der Studienergebnisse liegt noch
nicht vor, erste vorab über das BMG veröffentlichte Analysen sprechen für die Wirksamkeit und
Sicherheit des Verfahrens.
Entwöhnungsbehandlung und
Rückfallprophylaxe der Opiatabhängigkeit
Das Ziel dieses Behandlungsabschnittes ist die »Entwöhnung«. Sie ist aber für eine Mehrzahl der Patienten aufgrund der Schwere oder Dauer der Störung
sowie erheblicher psychosozialer und medizinischer
Komplikationen erst längerfristig erreichbar.
Die Durchführung einer Entwöhnungsbehandlung sollte für ausreichend motivierte, psychisch stabile opiatabhängige Patienten erwogen werden. Sie wird
in der Regel unter stationären Bedingungen in einer
entsprechenden Fachklinik über einen Zeitraum von
8–52 Wochen durchgeführt. Während der Behandlung wird häufig ein Prinzip der therapeutischen
Gemeinschaft mit definierten sozialen Grundregeln
(Ersatzfamilie, Nachreifung) mit verschiedenen psychoedukativen, verhaltenstherapeutischen und rehabilitativen Maßnahmen angestrebt (z. B. Arbeitstherapie, berufliche und soziale Reintegration). Die Einleitung einer Entwöhnungsbehandlung erfolgt in der
Regel über eine Drogenberatungsstelle und setzt den
erfolgreichen Abschluss einer Opiatentgiftungsbehandlung (s. oben) voraus.
Diese Psychostimulanzien hemmen die neuronale
Wiederaufnahme von Dopamin, Noradrenalin und
Serotonin. Damit tritt eine vermehrte Neurotransmission in mesolimbischen und mesokortikalen Projektionen des dopaminergen Systems (sog. Rewardsystem) auf.
5 Initial kommt es zu einer Stimulation mit euphorischen Zuständen, Aktivitätssteigerung, erhöhter
Aufmerksamkeit, vermindertem Schlafbedürfnis
und subjektiv erhöhter Leistungsfähigkeit.
5 Beim Kokainentzugssyndrom treten die Zeichen
der verminderten katecholaminergen Transmission mit depressiver Verstimmung, Erschöpfung,
Angst- und Erregungszuständen auf. Die Symptome können bei Kokainabhängigkeit mehrere
Wochen anhalten. Die Therapie ist nur symptomatisch. Bei Angst- und Erregungszuständen im
Rahmen eines Entzugs können Benzodiazepine
eingesetzt werden.
Therapie. Bislang existiert kein ausreichend untersuchter pharmakologischer Therapieansatz zur
Behandlung einer Abhängigkeit von Kokain oder Psychostimulanzien.
28.1.5
Ecstasy und Eve
Ecstasy (MDMA, 3,4-Methylendioxymetamphetamin) und Eve (MDA, 3,4-Methylendioxyamphetamin) sind synthetische (sog. Designer-) Drogen. Es
wird keine physische, aber möglicherweise eine psychische Abhängigkeit induziert.
5 Die Wirkung entsteht durch Freisetzung von
Serotonin aus präsynaptischen Vesikeln bei
gleichzeitiger Serotoninrückaufnahmehemmung
und Ausschüttung von Dopamin.
5 Bei chronischer Anwendung zeigen sich neurotoxische Effekte mit degenerativen Veränderungen
serotonerger Neuronen u. a. im Neokortex und
im Hippocampus.
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Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
5 Psychotrope Akuteffekte sind zentrale Stimulation und Euphorie. Typisch sind erhöhte Kontaktbereitschaft und Empathiegefühle, verminderte
Ich-Abgrenzung sowie erhöhte Emotionalität. Im
Gegensatz zu Halluzinogenen sind halluzinatorische Effekte seltener, Wahrnehmungsverschärfungen häufiger.
5 Später können auftreten: Schlaf- und Appetitminderung, Konzentrationsstörungen, Gereiztheit sowie Erschöpfungszustände; danach auch
Depressionen Angstattacken, paranoide Syndrome und Depersonalisationssyndrome.
Therapie. Bei akut auftretenden Angst- und Erregungszuständen sollten Benzodiazepine verordnet werden. Eine spezifische Pharmakotherapie der
Abhängigkeit ist bislang nicht bekannt.
28.1.6
Psychotomimetika (LSD,
Meskalin, Psilocybin)
Die Substanzen dieser Gruppe charakterisiert eine
vorwiegend zentralserotonerge Wirksamkeit durch
einen partiellen Agonismus an Serotoninrezeptoren.
5 Bereits in sehr geringen Dosen kommt es zur
Manifestation psychotischer Phänomene: Störungen von Stimmung, Denken, Wahrnehmung,
Ich-Erleben, Zeit- und Raumerleben, rauschartigen Bewusstseinsveränderungen sowie insbesondere optischen und akustischen Illusionen
bzw. Halluzinationen, wobei für die Ausgestaltung des Rauschzustandes neben Art, Dosis und
Applikation die Umgebungsfaktoren (»Setting«)
bedeutsam sind.
5 Es resultiert eine schnelle Toleranzentwicklung
(bei Kreuztoleranz gegen verwandte serotonerge
Substanzen) mit rascher Rückbildung bei Absetzen; physische und psychische Abhängigkeit sind
selten.
5 Gefährlich sind Horrortrips mit suizidalen bzw.
fremdaggressiven Impulsen sowie Flashback-Psychosen (noch nach Monaten).
Therapie. Eine spezifische Pharmakotherapie der
Abhängigkeit ist bislang nicht bekannt. Für die
Behandlung von Flashbackpsychosen bestehen ebenfalls keine einheitlichen Leitlinien; positive Berichte
existieren u. a. für Benzodiazepine, Clonidin und Naltrexon.
28.1.7
Cannabis
Cannabis ist der wichtigste psychoaktive Bestandteil von Haschisch und Marihuana (Gewinnung aus
indischem Hanf; Haschisch: Harz der Pflanze, Marihuana: getrocknete Blätter und Blüten).
5 Als psychotroper Akuteffekt zeigt sich dosisabhängig eine anregende bzw. dämpfende Wirkung
mit Zunahme der Dämpfung bei höheren Dosen.
Verzerrung von Sinneseindrücken, Euphorie,
Entspannung und verändertes Zeitgefühl sind
typisch, gefolgt von Sedierung. In höheren Dosen
treten auch Halluzinationen auf. Horrortrips bzw.
Flashback-Psychosen sind beschrieben.
5 Die Substanz besitzt ein Abhängigkeitspotenzial;
es tritt eine Toleranzentwicklung ein.
5 Bis zu 25% der regelmäßigen Cannabisnutzer
berichten über unangenehme psychische
Nebenwirkungen. Langzeitmissbrauch kann zu
schweren Persönlichkeitsveränderungen (amotivationales Syndrom mit Konzentrations- und
Gedächtnisstörungen, Apathie, Desorganisiertheit) führen, die bei Abstinenz über mehrere Wochen reversibel sein können. Auch die
Berichte über psychotische Symptome von Cannabiskonsumenten häufen sich. Einige große Studien zeigten eine positive Korrelation zwischen
der konsumierten Menge an Cannabis und dem
Auftreten von psychotischen Symptomen bzw.
schizophrenen Störungen (Hall 2006).
Therapie. Eine spezifische Pharmakotherapie ist bislang nicht bekannt. Die Einmalgabe des Cannabinoid1-Rezeptorantagonisten Rimonabant konnte in einer
ersten offenen Studie akute euphorisierende Cannabis-Effekte aufheben. Zur rückfallprophylaktischen
Wirksamkeit dieser Substanz liegen noch keine Daten
vor. Rimonabant ist zur Therapie der Adipositas zugelassen (7 Abschn. 23.4).
28.1.8
Nikotin
Nikotin besitzt eine dosisabhängige Wirkung auf
nikotinische Azetylcholinrezeptoren (in niedrigen
Dosen als Agonist, in höheren Dosen als Antagonist).
Die Wirkungen entfalten sich sowohl über den Sympathikus als auch den Parasympathikus.
5 Es tritt eine charakteristische biphasische Wirkung mit initialer Stimulation sowie Dämpfung in höheren Dosen mit psychischer und physischer Abhängigkeit mit Toleranzentwicklung
auf.
28.2 · Behandlung der Abhängigkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter
5 Bei Intoxikation kommt es zu Tachykardie, Blutdrucksteigerung, peripherer Vasokonstriktion (in
sehr hohen Dosen auch Bradykardie und Hypotonie) und v. a. zu Beginn zu Übelkeit und Erbrechen. Sehr hohe Dosen können zu Atemdepression führen.
5 Bei Entzugssyndromen ist die Ausprägung sehr
unterschiedlich: Reizbarkeit, Nervosität, Ruhelosigkeit, Konzentrationsstörungen, Benommenheit, Müdigkeit, Schwächegefühl, Dysphorie, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen,
Angstzustände, Kopfschmerzen, Obstipation,
Übelkeit und Erbrechen, Appetitsteigerung und
Gewichtszunahme (u. U. für mehrere Wochen).
Nikotinersatzstoffe (7 Abschn. 11.2.11) sind, bei
schrittweisem Ausschleichen, therapeutisch hilfreich.
5 Entwöhnungstherapie: Neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (als Selbsthilfeintervention in Einzel- oder Gruppentherapie) gibt es bei
der Raucherentwöhnung eindeutige Wirksamkeitsnachweise für die verschiedenen Nikotinersatzstoffe und Bupropion (7 Abschn. 11.2.11). Die
Kombinationsbehandlung von Nikotinpflastern
und Bupropion wies in einer großen placebokontrollierten Studie einen additiven Effekt auf.
5 Mit dem Cannabinoid-1-(CB1-)Rezeptorantagonisten Rimonabant (Acomplia®) (7 Abschn. 13.2;
noch nicht zugelassen) und dem partiellen Agonisten am nikotinergen Acetylcholinrezeptor
Vareniclin (Champix®) (7 Abschn. 11.2.11; zugelassen) stehen in Zukunft zwei zusätzliche Therapieoptionen zur Verfügung.
233
28
Prävention
Vorwiegend wird bei Kindern und Jugendlichen versucht, aufklärende und präventive Maßnahmen einzusetzen. Randomisierte und kontrollierte Studien wurden zur Prävention von Nikotin-, Alkohol und Cannabiskonsum durchgeführt und konnten positive Effekte
nachweisen. Dabei waren vor allem soziale Kompetenztrainings und schulbasierte Programme wirksam.
Motivation und Therapie
Gerade bei Abhängigkeitserkrankungen im Kindesund Jugendalter hängt der therapeutische Erfolg von
der Motivation des Patienten und den psychosozialen
Belastungsfaktoren ab. Die häufigsten Indikationen
für Entgiftungen und Entwöhnungen in der Kinderund Jugendpsychiatrie stellen Alkohol- und Cannabisabhängigkeiten dar.
Führend bei der Behandlung sind psychosoziale
und psychotherapeutische Interventionen. Es konnte nachgewiesen werden, dass es durch KVT-Gruppenprogramme, Selbsthilfegruppen und Familientherapien zu einer Reduktion des Substanzkonsums bei
Jugendlichen kam.
Medikamentöse Therapien sind bei Überdosierungen und bei starken Entzugssymptomen notwendig und die Empfehlungen entsprechen dann denen
im Erwachsenenalter. Erfahrungen mit den Anticraving-Substanzen zur Behandlung von Suchterkrankungen liegen für das Kindes- und Jugendalter nicht
vor.
Die Wirksamkeit einer Methadontherapie bei
opiatabhängigen Kindern und Jugendlichen ist noch
nicht endgültig geklärt (Gilvarry 2000).
ADHS, Sucht und Psychostimulanzien
28.2
Behandlung der
Abhängigkeitsstörungen im
Kindes- und Jugendalter
Im Kindes- und Jugendalter beginnen viele Suchterkrankungen und bis zum Alter von 18 Jahren haben
über 50% der Jugendlichen suchterzeugende Substanzen eingenommen mit z. T. erheblichen psychosozialen Folgen. Häufig bestehen Komorbiditäten
wie Angststörungen, affektive Störungen, Psychosen,
ADHS oder Persönlichkeitsstörungen. Ob eine Entgiftung und Entwöhnung erfolgreich ist, hängt häufig
von den ersten Erfahrungen damit ab.
Kinder mit einer ADHS, die nicht mit Psychostimulanzien behandelt werden, haben ein größeres Risiko
eine Suchterkrankung zu entwickeln, als Kinder mit
ADHS ohne Psychostimulanzientherapie (Selbstmedikation).
Ein großes Problem stellt allerdings der Schwarzmarkt für Psychostimulanzien (z. B. Schulhof) dar.
Durch die Gabe von Retardpräparaten, wobei nur eine
einmalige morgendliche Einnahme nötig ist, lässt sich
das Problem vermindern (Greenhill 2006).
234
Kapitel 28 · Abhängigkeitsstörungen
28.3
Checkliste
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?
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1.
2.
3.
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4.
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40
Warum soll Clomethiazol, das Mittel der
ersten Wahl zur Alkoholentgiftung, nicht
ambulant verabreicht werden?
Welche Medikamente zur Substitutionstherapie bei Opiatabhängigkeit kennen Sie?
Was sind die häufigsten Indikationen für
Entgiftungen und Entwöhnungen in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie und welche
therapeutischen Maßnahmen sind indiziert?
Warum haben Kinder und Jugendliche mit
einer ADHS, die nicht mit Psychostimulanzien behandelt werden, ein größeres
Risiko eine Suchterkrankung zu entwickeln
als Kinder mit ADHS ohne Psychostimulanzientherapie?
235
29.1 ·
Bipolare affektive Störungen
29.1
Gesamtbehandlungsplan
– 237
29.2
Therapie
29.2.1
29.2.2
29.2.3
Manische Episode – 238
Bipolare affektive Störung – 238
Psychotherapie bei bipolaren affektiven Störungen
29.3
Behandlung der Bipolaren Störung im Kindes- und
Jugendalter – 241
29.4
Checkliste
– 237
– 241
– 240
29
236
21
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28
29
Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen
Patienten mit bipolarer Störung sind etwa die Hälfte
des Jahres nicht symptomfrei. Dabei überwiegen die
depressiven Episoden die manischen um den Faktor 3
(Kupka et al. 2005). Bei der bipoaren Störung besteht
ein hohes Lebenszeitrisiko von 10–20% an einem Suizid zu sterben (Goodwin u. Jamison 1990).
Die Psychopharmakotherapie der bipolaren Störungen ist deshalb so schwierig, weil sich im Krankheitsverlauf fünf verschiedene Symptomkonstellationen einstellen können, die jeweils sorgfältig voneinander abgegrenzt werden müssen.
Schließlich ist die Phasenprophylaxe von diesen
Syndromen zu trennen, dies sowohl für die bipolare
affektive Störung als auch für die schizoaffektive Psychose.
Deshalb muss mehr als bei jeder anderen psychischen Störung schon bei der Behandlung der einzelnen Episode der langfristige Verlauf und dessen
besondere polare Natur berücksichtigt werden. Denn
es ist möglich, dass die unsachgemäße Behandlung
der akut bestehenden Episode (7 Abschn. 29.2.2) den
langfristigen Verlauf der Störung ungünstig beeinflussen kann.
Jedes Syndrom erfordert eine spezielle Pharmakotherapie. Besonders schwierig wird die Therapie
dadurch, dass es für die einzelnen Therapien jeweils
Alternativen gibt, die zzt. noch evaluiert werden.
Bei Patienten mit häufigem Symptomwechsel subsyndromaler Ausprägung ist ebenfalls an eine bipolare Störung zu denken.
Neurobiologie der bipolar affektiven Störung. Spe-
zielle Untersuchungen, die für die Psychopharmakotherapie von Bedeutung sind, sind bei den einzelnen Syndromen nicht bekannt. Neurobiologisch, über
die Genetik hinaus, sind zzt. auch keine Unterschiede
zwischen einer unipolaren (7 Kap. 15) und einer bipolaren Depression evident. Bei der Manie wird aufgrund der guten Wirksamkeit von Antipsychotika,
wie u. a. bei der Schizophrenie, auch eine Neurotransmitterdysbalance mit einem hyperaktiven dopaminergem System postuliert.
30
Definition
31
32
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34
35
36
37
38
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40
Syndrome bei der bipolaren affektiven Störung
Die Manie (Syn.: manische Episode) ist durch situationsinadäquat gehobene Stimmung, Erregung, Hyperaktivität, Rededrang (laut, theatralisch) und Größenideen gekennzeichnet. Ein manischer Patient kommt
Tage lang ohne Schlaf aus. Es kann eine euphorische
Manie von einer gereizten Manie abgegrenzt werden. Bei schweren Ausprägungsformen können Wahn
und Halluzinationen hinzutreten (Manie mit psychotischen Symptomen). In der ICD-10 wird die manische Episode von der bipolaren affektiven Störung
abgegrenzt, wenn es sich um eine einzelne manische
Episode handelt.
Die Hypomanie stellt eine leichtere Ausprägungsform
der Manie dar. Wahn und Halluzinationen werden
nicht beobachtet.
Eine bipolare affektive Störung ist durch mindestens zwei affektive Episoden mit mindestens einer
Hypomanie oder Manie charakterisiert (ICD-10).
DSM-IV grenzt von der bipolaren Störung Typ I – bei
der mindestens eine manische Episode diagnostiziert
worden sein muss – die bipolare Störung vom Typ II
ab, bei der neben depressiven nur hypomanische Episoden vorkommen dürfen.
Die bipolare Depression (Synonym in der ICD-10: bipolare affektive Störung, depressive Episode) ist phänomenologisch nicht von der unipolaren Depression
zu unterscheiden. Treten Wahn oder Halluzinationen
hinzu, liegt eine Depression mit psychotischen Merkmalen vor.
Werden depressive und manische Symptome gleichzeitig bzw. in raschem Wechsel beobachtet, wird von
einer gemischten Episode gesprochen.
Rapid Cycling ist durch mindestens 4 Episoden in
einem Zeitraum von 12 Monaten gekennzeichnet.
Eine Differenzierung zwischen Akutbehandlung und
Phasenprophylaxe, wie bei den anderen Syndromen,
erfolgt beim Rapid Cycling nicht.
237
29.2 · Therapie
29.1
Gesamtbehandlungsplan
5 Ähnlich wie bei der Therapie unipolarer Depressionen sollte auch die Pharmakotherapie bipolarer affektiver Störungen in einen Gesamtbehandlungsplan eingebettet sein. Entsprechend
der Behandlungsphase ist folgende Gewichtung
der Therapieschwerpunkte sinnvoll:
– In der Akutphase wird – v. a. bei manischen
Syndromen mit geringer oder fehlender
Krankheitseinsicht – die Pharmakotherapie
im Vordergrund stehen.
– Im weiteren Behandlungsverlauf – Erhaltungstherapie und Phasenprophylaxe – nehmen psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen an Bedeutung zu.
5 Bei bipolaren affektiven Störungen ist die möglichst frühzeitige Vermittlung eines Krankheitskonzeptes von großer Bedeutung. Dabei erscheinen die folgenden Aspekte wichtig:
– Dem Patienten sollte vermittelt werden,
dass er an einer Störung leidet, bei der die
Behandlung der aktuellen Episode ganz
wesentlich den weiteren Krankheitsverlauf
bestimmen kann.
– Er muss darauf hingewiesen werden, dass die
Behandlung mit einem trizyklischen Antidepressivum (TZA) das Risiko in sich birgt,
eine Manie oder sogar ein Rapid Cycling zu
induzieren; selektive Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) haben ein geringeres Risiko, eine Manie oder Hypomanie zu induzieren.
Der Patient sollte darüber aufgeklärt werden, dass es nach heutigem Kenntnisstand
langfristig günstiger sein kann, bei leichter
Depression auf ein Antidepressivum zunächst
zu verzichten, auch wenn der akute Behandlungsverlauf u. U. verlängert wird. Bei leichter Depression können eine Verhaltenstherapie und die Gabe eines Stimmungsstabilisierers ausreichend sein.
Patienten mit schweren manischen Syndromen sind
in vielen Fällen nicht einwilligungsfähig bzw. müssen manchmal auch ohne ihr Einverständnis behandelt werden.
Bei Patienten mit einer Manie ist eine unzureichende Compliance häufig der Grund für ein Nichtansprechen.
29
Wichtig
Das Hauptelement der akuten Therapie der bipolaren affektiven Störung ist die Behandlung mit
Psychopharmaka. Die sehr enge Zusammenarbeit mit einem Psychiater, der auf diesem Gebiet
große Erfahrung hat, ist anzuraten. Deshalb sollte
am Ende einer jeden Erstexploration einer affektiven Störung abgesichert sein, ob
5 Hinweise für eine bipolare affektive Störung
(auch früher) vorliegen und
5 Hinweise auf psychotische Symptome (auch
anamnestisch) bestehen.
29.2
Therapie
Die Bewertung der Therapie ist gleichzeitig als Zusammenfassung vieler Einzeluntersuchungen zu verstehen. Wenn Psychotherapie eine Option darstellt, wird
sie erwähnt.
Es werden 4 Psychopharmakagruppen differenziert gewichtet:
5 Lithium (7 Kap. 6)
5 Antiepileptika (Carbamazepin, Lamotrigin, Valproinsäure) (7 Kap. 6)
5 Atypische Antipsychotika (AAP); unter ihnen
sind Quetiapin und Olanzapin besonders intensiv
untersucht (7 Kap. 7)
5 Antidepressiva (7 Kap. 5)
Eine Monotherapie mit Benzodiazepinen ist nicht
indiziert. Bei manischen Episoden können zu Beginn
der Erkrankung sehr hohe Dosen, z. B. Lorazepam bis
20 mg tgl. als adjuvante Therapie oft sehr hilfreich sein
(Cave: nicht in Kombination mit Olanzapin) (Indikation für Anxiolytika; vgl. . Tab. 8.2).
Die primäre Behandlungsaufgabe liegt in einer
Besserung der momentanen Krankheitsphase – besonders auch der Vermeidung eines Suizidrisikos – ,
einer Reduktion der Episodenhäufigkeit und einer
Stabilisierung der Stimmung und der Lebensqualität
zwischen den Episoden.
238
Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen
29.2.1
Manische Episode
21
22
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27
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29
30
31
Fazit
Pharmakotherapie bei der manischen Episode –
Bewertung
5 Eine klassische (euphorische) Manie kann mit Lithium, Valproinsäure oder mit einem AAP behandelt
werden. Vorteile der AAP sind die im Vergleich zu
Lithium bessere Handhabbarkeit, der schnellere
Wirkungseintritt und die im Allgemeinen bessere
Verträglichkeit.
5 Bei gereizten Manien oder bei Manien im Rahmen
eines Rapid Cycling sollte einem AAP der Vorzug
gegeben werden. Alternativ kann Valproinsäure
erwogen werden.
5 Bei schweren manischen Syndromen, insbesondere
mit psychotischen Symptomen, muss oft auf eine
Kombinationstherapie zurückgegriffen werden. Am
besten evaluiert sind Kombinationen von Valproinsäure mit einem AAP (zugelassen: Olanzapin, Quetiapin, Risperidon) oder Lithium zusammen mit einem
AAP. Mehrere Studien belegen, dass diese Kombinationen wirksamer sind als Valproinsäure, Lithium oder
ein AAP allein.
5 Carbamazepin kann nur im Einzelfall eine Alternative
zu Lithium oder Valproinsäure sein.
32
33
34
35
29.2.2
Manische Episode im Rahmen einer
bipolaren affektiven Störung
5 Die Behandlung der manischen Episode im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung folgt
den Prinzipien der Behandlung der einzelnen
manischen Episode (7 Abschn. 29.2.1).
Bipolare Depression (ICD-10: bipolare
affektive Störung, depressive Episode)
37
5 Die Behandlung der depressiven Episode im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung gehört
zu den schwierigsten Aufgaben in der Pharmakopsychiatrie. Erst durch die sorgfältige Abgrenzung dieser Störung von der unipolaren Depression wurde die Sonderstellung evident.
5 Bei der bipolaren Depression sind alle Risiken
wie bei der unipolaren Depression zu beachten
(7 Kap. 15). Die Suizidgefährdung ist in der Regel
höher.
39
40
Der Einsatz von Antidepressiva bei der bipolaren
Depression ist vorsichtig abzuwägen und das unterschiedliche Risiko der einzelnen Substanzen bei
der Therapieentscheidung zu berücksichtigen.
Es ist relativ gut belegt, dass eine antidepressive Pharmakotherapie mit TZA bei Patienten mit einer bipolaren affektiven Störung nicht nur das Risiko, eine
Manie oder Hypomanie zu induzieren, erhöht, sondern auch zu einer Zunahme der Phasenfrequenz bis
hin zum Rapid Cycling führen kann (»cycling acceleration«). Das Risiko, ein Umkippen in die Manie
(»switch«) zu induzieren, ist bei den neueren Antidepressiva (z. B. SSRI) geringer.
Neuere Studien zeigen für die Behandlung mit
SSRI kein erhöhtes Risiko für ein Umkippen in eine
Manie (Gijsman et al. 2004; Bauer et al. 2005).
Venlafaxin erhöht das Risiko (im Vergleich zu
Sertralin und Bupropion), besonders bei 4 oder mehr
Episoden im letzten Jahr (Gijsman et al. 2004; Post et
al. 2006).
Entscheidet man sich für die Gabe von Antidepressiva auch längerfristig (bei der mittelschweren
oder schweren bipolaren Depression), sollte dies
unter dem Schutz eines Stimmungsstabilisierers erfolgen. Dabei wird in den USA die Kombination AAP
und SSRI (dort Olanzapin und Fluoxetin) favorisiert
(Bowden 2005).
Bipolare affektive Störung
36
38
Wichtig
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei bipolarer
Depression – Bewertung
5 Leichte depressive Episoden sollten mit Verhaltenstherapie und Lithium, einem Antikonvulsivum oder
einem AAP (Quetiapin oder Olanzapin) als Stimmungsstabilisierer behandelt werden, um das Risiko
der Entstehung einer Manie oder eines Rapid Cycling
gering zu halten. Die Pharmakotherapie (meist schon
als längerfristige Rezidivprophylaxe ausgewählt) wird
aufgrund der Schwere früherer Episoden (s. unten)
individuell sorgfältig abgewogen.
5 Bei mittelschweren und schweren depressiven
Syndromen, insbesondere mit Suizidalität, kann
nicht auf die Gabe eines Antidepressivums verzichtet
werden. Dann sind SSRI indiziert; TZA sind zu meiden.
Es ist jedoch unklar, wann die antidepressive Therapie
beendet werden soll, um das Risiko zu minimieren,
eine Manie oder ein Rapid Cycling zu induzieren.
239
29.2 · Therapie
5 Die Behandlungsstrategie der bipolaren Depression mit Antidepressiva bleibt unsicher wird auch
weiterhin kontrovers diskutiert und bedarf dringend
weiterer Erforschung.
Gemischte Episode bei bipolarer affektiver
Störung
Fazit
Pharmakotherapie der gemischten Episode bei
bipolarer affektiver Störung – Bewertung
5 Die vorhandenen wenigen Daten sprechen für eine
Wirksamkeit von Valproinsäure und AAP (zugelassen
Ziprasidon).
29
Fazit
Phasenprophylaxe bei bipolarer affektiver Störung –
Bewertung
5 Valproinsäure ist bei häufigeren Vorphasen, Lithium
bei wenigen Vorphasen zu bevorzugen.
5 Olanzapin und Quetiapin haben einen phasenphrophylaktischen Effekt. Möglicherweise haben die
anderen AAP den gleichen Effekt.
5 Lithium und Olanzapin sind gleich wirksam, wenn
depressive Episoden verhütet werden sollen. Vorteile
von Olanzapin sind die bessere Handhabbarkeit und
der schnellere Wirkungseintritt.
5 Lamotrigin ist für die Prophylaxe depressiver Syndrome im Rahmen einer bipolaren Störung wirksam
und zugelassen.
Cave
Phasenprophylaxe bei bipolarer affektiver
Störung
5 In Anlehnung an die bei der unipolaren Depression gebräuchliche Terminologie (7 Kap. 15) kann
auch bei bipolaren affektiven Störungen nach der
Akutphase eine Phase der Erhaltungstherapie (zur
Verhinderung eines Rückfalles derselben Episode)
von einer Phasenprophylaxe (zur Vermeidung eines
Rezidivs der Erkrankung) abgegrenzt werden.
5 Beim Absetzen einer Pharmakotherapie unmittelbar nach Abklingen der akuten Krankheitssymptome ist das Rückfallrisiko erhöht. Umgekehrt sinkt mit der Dauer der Beschwerdefreiheit
nach Abklingen der akuten Krankheitssymptome
das Rückfallrisiko.
5 Nach einer Episode einer bipolaren affektiven
Störung sollte eine mindestens 12-monatige
Erhaltungstherapie durchgeführt werden.
Für den Start einer Phasenprophylaxe gibt
es zzt. folgende Übereinstimmung:
5 Schon nach einer ersten manischen Episode
muss eine langfristige Phasenprophylaxe
erwogen werden.
5 Eine langfristige Phasenprophylaxe wird
nach einer zweiten Krankheitsepisode in
den meisten Fällen unumgänglich sein. Zur
Definition des notwendigen Zeitabstands
zur ersten Phase gibt es allerdings zu wenige
Daten.
5 Nach Absetzen einer Lithiumprophylaxe ist
das Rückfallrisiko wahrscheinlich höher als
im naturalistischen Verlauf; mit jeder Phase
nimmt möglicherweise die Phasenhäufigkeit
weiter zu und kann in ein Rapid Cycling
einmünden.
5 Wenn eine Lithiumprophylaxe doch abgesetzt wird, sollte dies, wenn irgend möglich,
langsam über viele Monate erfolgen.
5 Nach Absetzen von Lithium geht, wenn es
im Rahmen einer erneuten Episode einer
bipolaren affektiven Störung wieder angesetzt wird, möglicherweise seine Effektivität
verloren.
Rapid Cycling
Nach neueren epidemiologischen Untersuchungen
soll ein Rapid cycling bei bis zu 25% aller Patienten
mit einer bipolaren affektiven Störung vorkommen.
Oft ist v. a. zu Behandlungsbeginn ein Rapid Cycling
mit schnellen Stimmungswechseln schwer abzugrenzen von einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, wenn bei dieser affektive Labilität im Vordergrund steht.
240
Kapitel 29 · Bipolare affektive Störungen
29.2.3
21
22
23
24
25
26
Fazit
Pharmakotherapie bei Rapid Cycling – Bewertung
5 Ein Rapid Cycling kann meist nur durch eine Kombinationstherapie erfolgreich behandelt werden. Die
besten Hinweise für eine Wirksamkeit liegen derzeit
für Olanzapin und, am meisten abgesichert, für Quetiapin vor, eingeschränkt auch für Valproinsäure.
5 Haben die depressiven Episoden die Behandlungspriorität, sollte zunächst Lamotrigin gewählt werden.
Auch Lamotrigin kann entweder mit Olanzapin oder
mit Quetiapin kombiniert werden.
5 Stehen manische Phasen im Vordergrund sind Valproinsäure und die AAP vorzuziehen.
5 Auf Antidepressiva sollte verzichtet werden.
27
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31
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40
Phasenprophylaxe bei schizoaffektiver
Störung
Die Behandlung des akuten schizomanischen und
schizodepressiven Syndroms wird entsprechend der
ICD-10-Klassifikation unter den schizophrenen Störungen im 7 Kap. 30 abgehandelt.
Hier wird die Phasenprophylaxe besprochen, zu
der es allerdings nur sehr wenige Studien mit kleinen
Fallzahlen gibt.
Fazit
Phasenprophylaxe der schizoaffektiven Störung –
Bewertung
5 Bisher gibt es kaum eine Absicherung der häufig
geübten Praxis, prophylaktisch eine Kombination von
Antidepressiva mit Antipsychotika zu geben.
5 Lithium und Carbamazepin haben wahrscheinlich
einen phasenprophylaktischen Effekt bei der schizoaffektiven Störung; Carbamazepin hat jedoch Vorteile
bei rein schizodepressiven Verläufen und bei im
Vordergrund stehender psychotischer Symptomatik
5 Lithium hat bei der schizoaffektiven Störung wahrscheinlich eine geringere Wirksamkeit als bei der
bipolaren affektiven Störung.
Psychotherapie bei bipolaren
affektiven Störungen
Psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen haben
bei bipolaren Störungen stützenden Charakter. Die
Psychoedukation spielt besonders für die Compliance
in der Phasenprophylaxe eine entscheidende Rolle
(Vieta 2004).
Die Bedeutung der psychotherapeutischen
Behandlungsverfahren – auch im Vergleich zur Pharmakotherapie – kann gegenwärtig nur sehr zurückhaltend bewertet werden, weil in den Kontrollgruppen die Patientenzahlen sehr klein sind. Zusätzlich
erschweren die heterogenen Episoden und unterschiedlichen Phasenhäufigkeiten die Studienauswertung (de Jong-Meyer et al. 2007).
Zu den folgenden Verfahren liegen Erfahrungen
vor:
5 Kognitive Verhaltenstherapie: Die KVT, sowohl
einzeln als auch in Gruppen, erhöht die Medikamentencompliance. Ob auch die Lebensqualität
und soziale Funktionen der Patienten verbessert
sowie depressive Symptome und Rückfallraten
reduziert werden, ist noch offen und wird kontrovers diskutiert (Scott et al. 2006; Lam 2006). KVT
scheint dann indiziert, wenn die Erkrankung
früh beginnt und noch wenige Episoden aufgetreten sind.
5 Familienzentrierte Therapie: Hier stehen Aufklärung über die Erkrankung sowie Vermittlung von
kommunikativen und sozialen Fertigkeiten im
Vordergrund. In einer ersten kontrollierten Studie über 9 Monate konnten die Rückfallraten in
der mit familienzentrierter Therapie behandelten
Patientengruppe gesenkt werden.
5 Interpersonelle und Sozialrhythmus-Therapie:
Dieses Verfahren entstand aus der interpersonellen Therapie, die primär für die unipolare
Depression entwickelt wurde. Die Prinzipien der
interpersonellen Psychotherapie wurden um verhaltenstherapeutische Komponenten erweitert,
die zum Ziel haben, zirkadiane und Schlaf-WachRhythmen zu stabilisieren, zwischenmenschliche Probleme zu mindern und die Medikamentencompliance zu erhöhen. Erste Befunde zeigen
allerdings, dass IPSRT (»interpersonal and social
rhythm therapy«) einer intensiven, regelmäßigen
klinischen Betreuung mit Psychoedukation nicht
überlegen ist (Frank et al. 2005).
241
29.4 · Checkliste
Fazit
Psychotherapie bei bipolaren affektiven Störungen –
Bewertung
5 Psychoedukation (z. B. Medikamentencompliance,
Schlafregulation, Selbstbeobachtung von Stimmung
und Aktivitäten, Verhalten gegenüber Drogen und
Alkohol, Stressbewältigung) sollte neben der Pharmakotherapie bei der bipolaren affektiven Störung
gezielt in der Akuttherapie und Phasenprophylaxe
eingesetzt werden.
5 Leichte depressive Episoden sollten mit Verhaltenstherapie und einem Stimmungsstabilisierer behandelt werden.
5 Grundsätzlich wird zzt. davon ausgegangen, dass bei
allen Formen der bipolaren affektiven Störung zusätzliche psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen
neben der Pharmakotherapie wertvoll sind.
29.3
Behandlung der Bipolaren
Störung im Kindes- und
Jugendalter
Bipolare Störungen werden oft erst in der späten Adoleszenz diagnostiziert, da das Symptomspektrum im
Kindesalter sehr viel unspezifischer ist und häufig
durch wiederkehrende Zyklen von Dysphorie, Hypomanie und Agitiertheit gekennzeichnet ist. Häufig treten komorbid Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), Störungen des Sozialverhaltens, Angststörungen und Suchterkrankungen auf.
Gerade bei Kindern beginnt die Erkrankung häufig
mit einer Aufmerksamkeitsstörung.
Therapie
5 Die manische Episode wird wie im Erwachsenenalter behandelt.
5 Das Hauptelement der akuten Therapie der
bipolaren affektiven Störung ist auch im Kindes- und Jugendalter die Behandlung mit Psychopharmaka. Die Quintessenz der Studien zu
bipolaren Störungen im Kindes- und Jugendalter (7 Abschn. 6.12) ist: Stimmungsstabilisierer haben generell eine geringe Effektstärke bei
der Behandlung bipolarer Störungen im Kindesund Jugendalter und nur etwa 40% der Patienten
profitieren von einer Monotherapie. Kombiniert
man allerdings die Stimmungsstabilisierer, z. B.
Lithium mit Valproinsäure oder Lithium mit aty-
29
pischen Antipsychotika, wird das Ergebnis deutlich besser (Kowatch et al. 2005).
5 Erst nach der medikamentösen Einstellung sind
die Kinder und Jugendlichen meist aufnahmebereit für das Erlernen neuer Verfahren. Jetzt können Psychoedukation, Übungen zur Verbesserung der Kommunikation und zum Erlernen
von Problemlösungsstrategien in Bezug auf das
Umgehen mit den Symptomen der Krankheit
sowie Übungen zur Emotionsregulierung und
Impulskontrolle eingesetzt werden. Die therapeutischen Techniken hierfür basieren auf familiären und kognitiv-behavioralen Interventionen
(Kowatch et al. 2005).
5 Durch eine familiäre Psychoedukation bei Kindern mit affektiven Störungen konnte nach einer
6-monatigen Nachuntersuchung im Vergleich
zu Familien, die keine Psychoedukation erhalten hatten, ein besseres Wissen der Eltern über
die affektiven Störungen ihrer Kinder, eine verbesserte familiäre Interaktion bzw. Unterstützung
des Kindes und eine verbesserte Ausnutzung
angemessener Hilfen für die Familien erzielt werden (Fristad et al. 2003).
29.4
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Welche Symptomkonstellationen bei der
bipolaren affektiven Störung kennen Sie?
Was versteht man unter Rapid Cycling?
Welches Risiko besteht bei der Verabreichung von Antidepressiva insbesondere von
TZA zur Behandlung einer Depression im
Rahmen einer bipolaren affektiven Störung?
Unter welchen Konstellationen kann bei
einer Depression im Rahmen einer bipolaren
affektiven Störung nicht auf die Gabe eines
Antidepressivums verzichtet werden?
Welche Antidepressiva sollten gewählt
werden?
Von welchen nicht-medikamentösen Therapieformen profitieren Kinder- und Jugendliche mit bipolaren Störungen?
243
30.1 ·
30
Schizophrenie
30.1
Gesamtbehandlungsplan
30.2
Therapie
– 245
– 245
30.2.1
30.2.2
30.2.3
30.2.4
30.2.5
30.2.6
30.2.7
30.2.8
Akutphase/Positivsymptomatik – 245
Negativsymptomatik – 246
Depressive Symptomatik – 247
Kognitive Störungen – 247
Katatone Symptomatik – 247
Komorbide psychiatrische Störungen bei Schizophrenie – 247
Schizoaffektive Störungen – 248
Schwere Depression mit psychotischen Symptomen
(»wahnhafte Depression«) – 249
30.2.9 Schizotype Störungen, wahnhafte Störungen,
induzierte wahnhafte Störungen – 249
30.2.10 Akute vorübergehende psychotische Störungen – 249
30.2.11 Langzeittherapie, ungenügende Response und
Therapieresistenz – 249
30.2.12 Psychotherapie und psychosoziale Interventionen bei
Schizophrenie – 251
30.3
Behandlung der Schizophrenie im Kindes- und
Jugendalter – 253
30.4
Checkliste
– 254
244
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
Kapitel 30 · Schizophrenie
Das komplexe Bild der Schizophrenien wird nach
ICD-10 in verschiedene kategoriale Unterformen
und Verlaufsbilder unterteilt. Gleichwohl orientiert
sich die Therapie primär an Zielsyndromen. Bei den
Unterformen treten in wechselnder Prägnanz Positivund Negativsymptomatik in den Vordergrund.
Definition
Die ICD-10 nennt folgende Subtypen der Schizophrenie:
5 Paranoide Schizophrenie. Es ist der häufigste Subtyp; im Vordergrund stehen Positivsymptome.
5 Hebephrene Schizophrenie. Affektive Veränderungen prägen das Krankheitsbild (meist
flacher, inadäquater Affekt, Manierismen,
flüchtige Halluzinationen, inkonsistenter
Wahn, ungeordnetes Denken). Typisch sind
ein früher Beginn und eine schnelle Entwicklung von Negativsymptomen, besonders
mit Affektverflachung, Antriebsverlust und
desorganisiertem Verhalten.
5 Katatone Schizophrenie. Sie wird geprägt
durch psychomotorische Störungen mit
Erregung, Stupor, Negativismus, Mutismus,
Bewegungsstereotypien und Haltungsverharren. Vorübergehende isolierte katatone
Symptome können bei jeder anderen
Schizophrenieunterform und auch bei
hirnorganischen sowie affektiven Störungen
auftreten.
5 Undifferenzierte Schizophrenie. Es ist ein
Subtyp, bei dem Positiv- und Negativsymptome weniger prägnant hervortreten. Eine
Zuordnung zu einer anderen Unterform ist
nicht möglich.
5 Schizophrenia simplex. Primäre Negativsymptomatik und kognitive Defizite entwickeln sich progredient.
5 Postschizophrene Depression. Eine depressive Episode tritt im Anschluss an eine
schizophrene Erkrankung auf. Positiv- und
Negativsymptome sind noch vorhanden,
beherrschen aber nicht das Krankheitsbild.
5 Schizophrenes Residuum. In diesem chronischen Stadium stehen die anhaltenden
Negativsymptome im Vordergrund.
Im Verlauf schizophrener Störungen können bis zur
klinischen Erstmanifestation zwei Vorstadien unterschieden werden, die in Umrissen schon Kraepelin
1919 als Vorläufersymptome beschrieben hatte, die
dem Ausbruch psychotischer Symptome Monate oder
Jahre vorausgehen:
5 Unspezifisches Vorstadium (früh): motorische,
soziale, affektive und kognitive Auffälligkeiten
bereits in Kindheit und Jugend (häufig retrospektive Interpretation).
5 Prodromalstadium mit erhöhtem Risiko für den
Übergang in eine schizophrene Störung (spät):
Es treten Hochrisikokonstellationen mit kurzen
vorübergehenden psychotischen Symptomepisoden (»brief limited intermittend psychotic symptoms«, BLIPS) mit kurz anhaltenden Positivsymptomen und spontaner Remission auf (ausführlich 7 Abschn. 30.2.2).
Das Risiko für den Übergang eines psychosenahen
Prodroms in eine Schizophrenie ist mit etwa 30–80%
pro Jahr erhöht; gleichwohl ist das Risiko »falsch-positiver« Vorhersagen mit etwa 30–60% ebenfalls hoch.
Zwischen psychosenahen Prodromen und der klinischen Erstmanifestation einer schizophrenen Störung liegen 1–3 Jahre, die Erstdiagnose liegt bei Männern häufig zwischen 20 und 25 Jahren, bei Frauen
zwischen 25 und 30 Jahren, bei Frauen ist zudem ein
zweiter Häufigkeitsgipfel (ab dem 45. Lebensjahr) zu
beobachten.
Neurobiologie der Schizophrenie. Neben den für die
Psychopharmakotherapie wichtigen neurochemischen
Systemstörungen in der dopaminergen, serotonergen
und glutaminergen Transmission (7 Kap. 7) haben
neuroanatomische und jetzt besonders molekulargenetische Befunde für die Pathogenese der Erkrankung
eine große Bedeutung.
Die neurobiologische Hypothese geht davon
aus, dass genetische und andere biologische Einflüsse zu embryonalen Hirnentwicklungsstörungen im
ZNS führen. Es kommt zu einem Verlust nichtneuronaler Elemente, den Neuropils, als Korrelat hirnatrophischer Veränderungen im dorsolateralen präfrontalen Kortex. Die Degenerationshypothese (es kommt
bei einem Drittel der Patienten zu kognitiven Einbußen mit defizitärem Ausgang) stützt sich auf gut abgesicherte hirnmorphologische Befunde. Wahrscheinlich gelten die Modelle zur Ätiologie der Schizophrenie jeweils nur für einen Teil der Patienten.
Neu, aber gut bestätigt, ist die Entdeckung von
den drei Dispositionsgenen: Dysbidin-Gen, Neuregulin-1-Gen und G72/DAOA-Gen. Sie kodieren Proteine von der Hirnentwicklung bis zur Stabilisierung der
glutamatergen Synapsen. Damit kann gezeigt werden,
dass die Gene nicht für Diagnosen, sondern für Funktionen kodieren. Es gibt keinen Hinweis für einen
245
30.2 · Therapie
monogenen Erbgang. Somit werden wahrscheinlich keine kausalen, sondern nur risikomodulierende
Gene gefunden. Es wird also bei der Schizophrenie,
wie z. B. auch bei den bipolaren affektiven Störungen
und Abhängigkeitserkrankungen, ein polygener Erbgang angenommen. Weiterhin spielt, wie bei der
Depression (7 Kap. 15), die Gen-Umwelt-Interaktion
eine wichtige Rolle. Aber auch diese neuen Befunde
können weder zur Frühdiagnostik, noch zur individuellen Voraussage zur Wirkung eines spezifischen Antipsychotikums beitragen (Falkai u. Maier 2006).
Ausführliche Darstellung der Neurobiologie schizophrener Erkrankungen findet sich bei Bogerts
(2008).
30.1
Gesamtbehandlungsplan
Dem Patienten sollte frühzeitig das Konzept eines
Gesamtbehandlungsplans mit den beiden Schwerpunkten einer medikamentösen Therapie und den
psychosozialen Therapiemaßnahmen erläutert werden:
5 In der Akutphase liegt der Schwerpunkt auf der
Medikation.
5 In der Stabilisierungsphase und der Phase der
Rezidivprophylaxe bzw. Symptomsuppression (Langzeittherapie) gewinnen psychosoziale
Maßnahmen in Kombination mit einer verträglichen Antipsychotikabehandlung zunehmend an
Bedeutung.
Nur auf der Basis einer positiven Arzt-PatientenBeziehung kann die therapeutische Allianz langfristig
gelingen. Dazu gehören:
5 Therapiemotivation,
5 Vermittlung eines Krankheitskonzepts,
5 Festigung der Compliance,
5 Einbeziehen von Bezugspersonen bzw. Familienangehörigen.
Es wird heute eine möglichst frühzeitige Behandlung
der schizophrener Störungen mit einem atypischen
Antipsychotikum (AAP) empfohlen (7 Kap. 7).
Wichtig
Die entscheidenden Ziele bei der Behandlung des
schizophrenen Patienten sind:
5 Symptomreduktion,
5 Verbesserung der Lebensqualität,
5 Reduktion der Rückfallrate.
30.2
30
Therapie
Wichtig
Zu Beginn einer Therapie sollten zunächst folgende Fragen geklärt sein:
5 Wie schwer ist die Episode?
5 Besteht Suizidalität?
5 Gibt es ein Risiko der Fremdgefährdung?
5 Kann der Patient ambulant betreut werden
oder ist eine stationäre/teilstationäre Behandlung indiziert?
5 Können Angehörige oder Sozialarbeiter
hinzugezogen werden?
5 Ist eine organisch bedingte oder substanzinduzierte Störung sicher durch körperliche
und Laboruntersuchungen ausgeschlossen?
5 Handelt es sich um eine schizophrene Ersterkrankung oder um ein Rezidiv?
5 Gibt es komorbide psychiatrische Erkrankungen?
5 Wenn Akuität und Zielsymptomatik geklärt sind,
können die ersten Behandlungsschritte folgen.
Bei der Auswahl des Medikaments sind besonders zu berücksichtigen:
– früheres Ansprechen,
– Patientenpräferenz,
– Nebenwirkungsprofil und Bereitschaft
Nebenwirkungen zu tolerieren,
– erwartete Compliance,
– geplante Applikationsform.
30.2.1
Akutphase/
Positivsymptomatik
5 Ziel jeder medikamentösen Therapie in der akuten Phase einer Schizophrenie sind:
– Symptomreduktion,
– Verhindern von Selbst- und Fremdgefährdungen,
– Versuch der sozialen Eingliederung und
– Erstellung eines mittelfristigen und langfristigen Gesamtbehandlungsplans.
5 In der Akutphase ist abzuklären, ob eine Klinikeinweisung nötig ist.
5 Antipsychotika sind zur Akut- und Langzeitbehandlung der Schizophrenie sicher wirksame
Medikamente.
5 Atypische Antipsychotika (AAP) (7 Kap. 7) wie
Olazapin, Risperidon und Quetiapin haben sich
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Kapitel 30 · Schizophrenie
auch in der Akuttherapie der Schizophrenie
bewährt. Sie haben gerade zu Beginn einer Therapie geringere Nebenwirkungen als konventionelle Antipsychotika. Besonders ist das Risiko
für extrapyramidal-motorische Symptome (EPS)
deutlich geringer.
Die Dosis sollte, wenn möglich, langsam aufdosiert werden (7 Abschn. 7.5).
Kommt es im Rahmen der akuten Symptomatik allerdings zu ausgeprägten pychomotorischen
Erregungszuständen oder aggressiv-impulsivem Verhalten mit Eigen- oder Fremdgefährdung, können auch initial sehr hohe Dosen gegeben werden. Bei Unwirksamkeit der AAP können
auch konventionelle hochpotente Antipsychotika
(ggf. parenterale Applikation) versucht werden.
Die kurzfristige Gabe von Benzodiazepinen in
der Akuttherapie kann schnell Angst und Agitation lindern. Die vorübergehende Kombination eines Antipsychotikums mit Lorazepam (bis
zu 10 mg tgl.) ist bei Erregungszuständen in der
Regel effektiver als eine hohe antipsychotische
Monotherapie.
Erstmalig erkrankte Patienten sprechen besser
auf eine antipsychotische Therapie an als mehrfach Erkrankte. Die Dosis ist auch niedriger.
Die Symptome in dieser Frühphase überlappen
sich mit depressiven Symptomen (Yung et al. 2003;
Häfner u. Maurer 2006) genauso wie bei den im Rahmen der voll ausgeprägten Psychose auftretenden
Negativsymptomen (Gerbaldo et al. 1995). Somit
sind phänomenologisch die Schizophrenie und die
Depression sowohl im Prodromalstadium, als auch in
den Episoden der Negativsymtomatik nur schwer von
einander zu unterscheiden (Gerbaldo et al. 1995; Häfner u. Maurer 2006). Es mehren sich somit auch die
Indizien, die eine von Kraepelin Anfang des Jahrhunderts angenommene Dichotomie zwischen Schizophrenie und Depression immer unwahrscheinlicher
werden lassen.
Wichtig
Negativsymptomatik. Die Symptome sind stärker als
im Prodromalstadium ausgeprägt. Die Reduktion oder
der Verlust normaler Funktionen und Verhaltensweisen wird deutlicher. Die Patienten sind affektflach,
freudlos, sprachlich verarmt, oft ungepflegt, scheuen
den Augenkontakt und ziehen sich sozial noch weiter zurück. Diese voll ausgeprägten Negativsymptome
treten im Langzeitverlauf in den Vordergrund und
können ohne wesentliche Positivsymptomatik bestehen (»primäre Negativsymptomatik«). In der Akutphase werden sie häufig von Positivsymptomen überlagert (7 Abschn. 30.2.1), im Langzeitverlauf bestehen
oft Überschneidungen mit depressiver Symptomatik
(7 Abschn. 30.2.3), EPS und psychosozialen Auswirkungen der Erkrankung (»sekundäre Negativsymptomatik«).
Mit Besserung der Positivsymptomatik geht häufig ein Verschwinden der Negativsymptomatik einher.
Die Therapie der Negativsymptomatik bleibt weiterhin schwierig. AAP sind gegenüber den konventionellen Antipsychotika zu bevorzugen und die Mittel der Wahl. Bei persistierenden Negativsymptomen
kann eine Kombination eines AAP mit einem SSRI
oder Mirtazapin versucht werden.
Möglichst frühzeitig sollte die Behandlung schizophrener Störungen in der Akutphase mit einem
AAP begonnen werden. Die Wahrscheinlichkeit
des Ansprechens auf eine Medikation nimmt ab
und die Prognose für den Patienten wird ungünstiger, wenn eine akute schizophrene Psychose –
insbesondere bei einer Ersterkrankung – längere
Zeit unbehandelt bleibt.
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40
30.2.2
Negativsymptomatik
In den letzten Jahren wurde bei der beginnenden Schizophrenie psychopathologisch ein Prodromalstadium
herausgearbeitet. Da es der Negativsymptomatik sehr
ähnelt, wird es in diesem Kapitel beschrieben. Es kann
aber jeder Form der Schizophrenie vorausgehen.
Prodromalstadium. Die ersten Zeichen sind Depres-
sivität, Unruhe, Ängstlichkeit, Denk- und Konzentrationsprobleme, Mangel an Selbstvertrauen, Energieverlust, sozialer Rückzug und geringe Leistungsfähigkeit.
Wichtig
Patienten im Prodromalstadium müssen als
Hochrisikopatienten erkannt werden. Eine konsequente Frühtherapie bei Erstmanifestation einer
schizophrenen Störung ist angezeigt. Es ist anzunehmen, dass KVT im Prodromalstadium die Therapie der Wahl ist; Evidenzen liegen aber nicht vor.
Eine frühzeitige Antipsychotika-Therapie kann allerdings noch nicht generell empfohlen werden.
247
30.2 · Therapie
30.2.3
Depressive Symptomatik
Depressive Symptome und Suizidalität sind im Rahmen einer Schizophrenie häufig (an der Heiden et al.
2005). Die Depression ist auch das häufigste Symptom
in der ersten psychotischen Episode. Die depressive
Symptomatik kann schwer von einer Negativsymptomatik unterschieden werden (7 Abschn. 33.2.2).
5 AAP haben im Vergleich zu konventionellen
Antipsychotika (z. B. Haloperidol) günstigere
Effekte.
5 Bei Versagen psychosozialer und psychotherapeutischer Interventionen (supportive Ansätze, Stressbewältigungsverfahren; kognitive Verhaltenstherapie) sollte eine Dosisanpassung bzw.
Umstellung des Antipsychotikums bei depressiven Syndromen erwogen werden.
5 Bei Erstmanifestation einer schizophrenen Störung nach Gabe eines AAP für 2–4 Wochen und
anhaltender signifikanter Depressivität wird die
zusätzliche Gabe eines Antidepressivums (bevorzugt SSRI) empfohlen.
5 Auch nach weitgehender Remission der Positivsymptomatik und Weiterbestehen oder Neuauftreten eines depressiven Syndroms ist nach Optimierung der Antipsychotikatherapie die vorsichtige zusätzliche Gabe von Antidepressiva für ca.
6–8 Wochen indiziert.
5 Allerdings soll die zusätzliche Gabe von Antidepressiva bei schizophrenen Patienten mit depressiven Symptomen während gleichzeitig bestehender florider Positivsymptomatik vermieden werden.
Wichtig
Bei ausgeprägter Suizidalität, auch unabhängig
von depressiven Symptomen, ist eine vorübergehende sedierende Begleitmedikation mit einem
Benzodiazepin (Lorazepam oder Diazepam) oft
nötig (7 Kap. 34).
30.2.4
Kognitive Störungen
Neurokognitive Defizite (verbales Gedächtnis, Exekutivfunktionen, Vigilanz, Wortflüssigkeit, motorische
Fertigkeiten) stellen ein Kernsyndrom schizophrener
Störungen dar und sind bei 60–80% der Patienten
nachweisbar. Es besteht ein enger Zusammenhang
zum sozialen Problemlöseverhalten und Alltagsaktivitäten (Green et al. 2000). Es gilt als gesichert, dass die
30
neurokognitiven Störungen keinesfalls Konsequenzen
der antipsychotischen Behandlung sind. AAP sind bei
der Therapie zu bevorzugen. Gezielte Therapierichtlinien bestehen noch nicht.
30.2.5
Katatone Symptomatik
Seit dem Wissen um die schnelle Wirkung von Benzodiazepinen bei Mutismus und Katatonie (Heuser u.
Benkert 1986) ist die Indikation einer Elektrokrampftherapie (EKB) kaum mehr gegeben. Nur noch bei der
sehr seltenen lebensbedrohlichen febrilen Katatonie
wird sie bei schizophrenen Störungen angewandt.
> Bei Stupor und Mutismus oder starker psychomotorischer Hemmung (katatoniformen Zuständen)
ist Lorazepam zunächst in einmaliger Dosis von
2–2,5 mg indiziert (auch als langsame i.v.-Gabe
möglich). Vor dieser Medikation ist differenzialdiagnostisch ein malignes neuroleptisches Syndrom
(7 Abschn. 7.6) auszuschließen.
30.2.6
Komorbide psychiatrische
Störungen bei Schizophrenie
Komorbide Sucht- und
Abhängigkeitserkrankungen
Bei einem Großteil der Patienten mit Schizophrenie
(insbesondere bei jüngeren Männern) liegt zusätzlich ein Substanzabusus oder eine Abhängigkeitserkrankung vor. Das Risiko für eine solche komorbide
Erkrankung ist bei schizophrenen Patienten etwa 5fach gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht. Am
häufigsten werden Nikotin und Koffein konsumiert,
bei 20–50% der Patienten besteht zusätzlich Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit. Weiterhin zeigt sich
eine deutliche Tendenz zu Cannabismissbrauch ab.
Dabei ist die Induktion einer frühen Manifestation
einer schizophrener Störungen zu bedenken.
5 Bei Nikotinabhängigkeit (7 Kap. 11) und deren
Behandlung ist der pharmakokinetische Einfluss auf die meisten Antipsychotika (in der Regel
beschleunigter Metabolismus durch Induktion
des CYP-Systems durch Rauchen) zu beachten.
5 Bei komorbider Alkoholabhängigkeit muss eine
Entgiftungstherapie (7 Kap. 11) erwogen werden;
zur Wirksamkeit bei der Alkoholrückfallprophylaxe liegt für Naltrexon in Kombination mit stabiler Antipsychotikamedikation und psychotherapeutischen Maßnahmen eine kontrollierte Studie vor.
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Kapitel 30 · Schizophrenie
5 Bei komorbider Opiatabhängigkeit (7 Kap. 11)
werden zur Schizophreniebehandlung AAP empfohlen.
5 Bei Vorliegen einer Schizophrenie und einer
Suchterkrankung sind zur Erhöhung von Therapiemotivation, Compliance und der längerfristigen Einbindung der Patienten und ihrer
Bezugspersonen integrative Therapieprogramme
von besonderer Bedeutung. Neben einer Antipsychotikamedikation ist hier indiziert:
– Motivationsförderung für die Therapie (z. B.
»motivational interviewing«),
– Psychoedukation,
– kognitive Verhaltenstherapie (einzeln oder in
Gruppen),
– Familienintervention,
– sozialpsychiatrische Interventionen.
Komorbide Angst- und Zwangstörungen
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Häufig finden sich bei Patienten mit Schizophrenie zusätzlich Symptome von Angst- und Zwangsstörungen, die vor Beginn und nach Abklingen produktiv-psychotischer Episoden nachweisbar sein können. Die Abgrenzung einer komorbiden Angst- oder
Zwangsstörung von der schizophrenen Kernsymptomatik ist oft nicht möglich. Bei etwa 20–30% der schizophrenen Patienten besteht auch während florider
oder residualer psychotischer Episoden eine ausgeprägte Angst- oder Zwangssysmptomatik.
5 Angst- und Zwangsymptome können, genau wie
affektive Störungen auch unter Antipsychotika als
unerwünschte Wirkung auftreten. Die Behandlung besteht dann in der Regel in der Dosisreduktion oder im Wechsel auf ein anderes Antipsychotikum.
5 Ausgeprägte soziale Ängste sind bei schizophrenen Patienten recht häufig. Sie müssen von
einer Negativsymptomatik abgegrenzt werden.
Auch hier sind AAP neben psychotherapeutische
Maßnahmen erfolgversprechend. Sonst sind die
Therapien wie bei den phobischen Störungen
anzuwenden (7 Abschn. 18.2.1). Allerdings sind
sog. Floddingtherapien bei schizophrenen Patienten zu vermeiden, da die Gefahr einer Reaktivierung psychotischer Ängste unter starkem
Stress besteht.
5 SSRI haben bei Zwangssymptomen bei schizophrenen Patienten keine Wirkung; psychotherapeutische Interventionen sind indiziert.
Andere komorbide Syndrome
Sehr häufig treten im Verlauf schizophrener Störungen
akut behandlungsbedürftige unspezifische psychopathologische Symptome auf.
5 Aggressivität und Suizidalität: 7 Kap. 34.
5 Schlafstörungen: AAP mit sedierender Wirkung
sind primär indiziert, aber auch Melperon und
Pipamperon haben eine gute Wirkung (s. auch
7 Abschn. 24.1.2).
30.2.7
Schizoaffektive Störungen
Unter schizoaffektiven Störungen treten gleichzeitig oder abwechselnd Symptome einer Schizophrenie
und einer affektiven Störung auf. Nach ICD-10 wird
eine schizoaffektive Störung klassifiziert, wenn sowohl
eindeutig schizophrene als auch eindeutig affektive
Symptome gleichzeitig oder nur durch wenige Tage
getrennt und während der gleichen Krankheitsepisode vorhanden sind. Die Validität der Diagnose wird
aufgrund neuer genetischer Untersuchungen wissenschaftlich immer mehr in Frage gestellt, denn psychotische, manische und depressive Syndrome kommen
sowohl bei der Schizophrenie als auch bei der bipolaren affektiven Störung vor.
Definition
Es werden nach Überwiegen der Symptome getrennt:
5 schizophrene Symptome (schizodominant)
und
5 affektive Symptome (affektdominant).
Zur Akutbehandlung der schizoaffektiven Störung:
5 AAP (z. B. Olanzapin, Risperidon) sind bei
manischer, depressiver oder gemischter Symptomatik wirksam.
5 Bei akuter schizomanischer Symptomatik ist die
zusätzliche Gabe von Lithium indiziert. Bei stark
erregten Patienten weist die Kombination von
Lithium mit Antipsychotika eine bessere Wirksamkeit als eine Monotherapie auf.
5 Bei schizodepressiver Symptomatik kann die
Kombination eines Antipsychotikums mit einem
Antidepressivum versucht werden.
Zur Phasenprophylaxe der schizoaffektiven Störung
7 Abschn. 29.2.2. Zur Akutbehandlung der »wahnhaften Depression« 7 Abschn. 30.2.8.
30.2 · Therapie
30.2.8
Schwere Depression mit
psychotischen Symptomen
(»wahnhafte Depression«)
Weil die psychotische Symptomatik bei dieser Diagnose dominiert, erfolgt hier die Besprechung.
5 Die erste Option ist bei Beginn der Therapie die
Gabe eines Antidepressivums (SSRI).
5 Bei ausbleibender Wirkung wird dann gegen
die psychotischen Merkmale zusätzlich ein AAP
(z. B. Olanzapin, Risperidon) bis zum Sistieren der psychotischen Symptomatik zu geben.
Danach wird das Antipsychotikums über 3–
6 Monate langsam unter Beibehaltung des Antidepressivums abgesetzt.
5 Als zweite Option wird von Beginn an das Antidepressivum mit einem AAP kombiniert.
5 Eine Monotherapie mit einem Antipsychotikum
ist nicht indiziert.
5 Bei sehr schweren, wahnhaften oder therapierefraktären Depressionen scheint die EKB einer
Pharmakotherapie, insbesondere in Bezug auf
einen frühen Wirkungseintritt, überlegen zu sein.
30.2.9
Schizotype Störungen,
wahnhafte Störungen,
induzierte wahnhafte
Störungen
Es gibt eine Gruppe von psychotischen Störungen, die
vorwiegend mit Antipsychotika behandelt werden.
Bei wahnhaften Störungen, insbesondere im Alter,
sind medizinische Faktoren sorgfältig auszuschließen. In manchen Fällen fällt die Differenzialdiagnose schwer, z. B. bei chronischen taktilen Halluzinosen
(Dermatozoenwahn).
5 Akute wahnhafte Exazerbationen (mit Angst und
Erregung) sprechen relativ gut auf eine Antipsychotika-Behandlung an, während langjährig
bestehende chronische Wahnstörungen häufig
therapierefraktär sind (z. B. Eifersuchts-, Liebesoder Querulantenwahn).
5 Sonst sind bei Angst und Erregung auch zusätzliche vorübergehende Gaben von Benzodiazepinen nützlich.
5 Insbesondere bei Liebeswahn (Erotomanie),
hypochondrisch-körperbezogenen Wahninhalten oder Halluzinationen kann aufgrund von klinischen Einzelfallberichten Risperidon in niedriger Dosierung empfohlen werden. Einzelfälle mit Eifersuchtswahn und zwanghafter Komponente wurden erfolgreich mit SSRI behandelt.
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30
5 Bei induzierten wahnhaften Störungen ist vor
Gabe eines Antipsychotikums zunächst die
getrennte adäquate Therapie des Wahn-induzierenden Patienten anzustreben. Sistiert der induzierte Wahn nach etwa 2 Wochen nicht, sollte ein
niedrig dosiertes AAP (z. B. Risperidon) erwogen
werden. Psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen sind Schwerpunkt der Behandlung, um
den ansonsten nicht seltenen Rückfällen vorzubeugen.
5 Supportive Psychotherapie ist in den meisten Fällen auch längerfristig indiziert.
30.2.10 Akute vorübergehende
psychotische Störungen
5 In der ICD-10 werden parallel zur Schizophrenie
und den schizoaffektiven Störungen unter F23
die akuten vorübergehenden psychotischen Störungen kategorisiert.
5 Es gibt sowohl zur Epidemiologie als auch zur
Therapie keine empirischen Daten. Die Störungen zeichnen sich durch eine günstige Prognose aus, allerdings ist die Rezidivgefahr groß.
5 Die akute Störung wird mit Antipsychotika, ggf.
zusätzlich mit Benzodiazepinen, behandelt.
5 Eine Entscheidung über eine Rezidivprophylaxe
muss im Einzelfall getroffen werden.
30.2.11 Langzeittherapie,
ungenügende Response und
Therapieresistenz
Im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung kommt
es bei etwa 20–30% der Patienten wahrscheinlich auch
ohne Therapie zu keinem erneuten Rezidiv und weitgehender Erholung (Remission); bei mindestens einem
Drittel der Patienten erfolgen jedoch weitere Episoden, die sich jeweils durch erneute Prodromalstadien
ankündigen können und die sich im Anschluss zumindest partiell wieder zurückbilden (Teilremission). Ein
weiteres Drittel der Patienten zeigt einen rasch chronifizierenden Verlauf mit einem zumindest über Jahre hinweg zunehmenden oder weitgehend stabil wirkenden Restzustand, v. a. mit ausgeprägter Negativsymptomatik, aber auch mit persistierenden Positivsymptomen und kognitiven Defiziten. Allerdings
erfüllten sogar 90% aller schizophrenen Patienten nicht
die gewünschten Kriterien für Symptomfreiheit, soziale Funktionalität und Wohlgefühl, trotz medikamentöser und psychosozialer Maßnahmen (Lambert et al.
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Kapitel 30 · Schizophrenie
2006). Schließlich erleiden auch bei gesicherter Medikamenteneinnahme 20% der Patienten ein Rezidiv.
Definition
Man spricht von medikamentöser Therapieresistenz, wenn zwei unterschiedliche Antipsychotika in ausreichender Dosis für jeweils 4–8 Wochen
nicht angesprochen haben. Zu definieren ist
auch, bei welchen Subtypen eine ungenügende
Response festzustellen ist.
–
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Mögliche Gründe für Therapieresistenz
unter Antipsychotika
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das allerdings mit einem hohen Nebenwirkungsrisiko verbunden ist. Bei pharmakologischer Therapieresistenz stellt das Umsetzen auf Clozapin unter individueller Nutzen-Risiko-Abwägung die Maßnahme der
ersten Wahl dar (30–60% Erfolgsquote nach
etwa 6 Wochen bei primären Non-Respondern). Clozapin scheint zusätzlich therapeutische Wirkungen bez. Suizidalität, Feindseligkeit, Aggressivität und Rauchverhalten zu
besitzen.
Non-Compliance
Unzureichende Dosis oder Therapiedauer
Absorptionsstörung
Pharmakodynamische Gründe für individuelles Nichtansprechen
5 Pharmakokinetische Besonderheiten (z. B.
beschleunigter Metabolismus durch Rauchen, Wirkungsabschwächung durch hohen
Kaffeekonsum)
5 Gleichzeitige Drogeneinnahme oder andere
psychiatrische Komorbidität
5 Falsche Diagnose
5 Zur Behandlungsoptimierung gibt es also eine
Vielzahl von Strategien, wie Sicherstellung der
Compliance, Dosisüberprüfung, Plasmaspiegelüberprüfung, Reevaluierung der Diagnose und der
Komorbiditäten.
5 Immer sollten die psychosozialen Stressoren, die
einen ungünstigen Einfluss auf den Behandlungsverlauf nehmen können, festgestellt werden. Entsprechende Maßnahmen, einschließlich psychotherapeutischer Interventionen, sind ggf. einzuleiten.
5 Bei schlechtem Ansprechen auf die bisherige
Therapie oder gar Therapieresistenz gibt es verschiedene Möglichkeiten:
–
Kombination von Antipsychotkia.
Es erhalten bis zu 25% der ambulanten und
bis 50% der stationären Patienten mindestens
zwei Antipsychotika gleichzeitig.
Bei allen Kombinationsbehandlungen von
Antipsychotika sind mögliche Komplikationen und auftretende Nebenwirkungen und
Wechselwirkungen besonders sorgfältig zu
prüfen und regelmäßig zu überwachen.
Konventionelle Antipsychotika sollten wegen
des erhöhten Risikos für EPS nur in Ausnahmefällen oder bei zu hohen Risiken
unter AAP (z. B. metabolisches Syndrom,
7 Abschn. 7.6) verordnet werden.
–
Augmentationsstrategien.
Bei unzureichendem Ansprechen der
erwähnten Therapie können alternativ zu
Kombinationen von Antipsychotika einige,
aber wissenschaftlich nicht abgesicherte Strategien angewendet werden. Dazu gehört die
Kombination mit Benzodiazepinen, Antidepressiva und Stimmungsstabilisierern.
Wichtig
Carbamazepin sollte nicht mit Clozapin kombiniert werden (erhöhtes Agranulozytoserisiko).
Auch bei anderen Kombinationen sind die möglichen Wechselwirkungen sorgfältig zu beachten.
Fazit
Wechsel des Antipsychotikums.
Allerdings ist ein Umsetzen unter einer schon
bestehenden partiell wirksamen Antipsychotika-Therapie immer mit dem Risiko einer
Exazerbation verbunden.
Ein Umsetzen in der Stabilisierungsphase
sollte sehr behutsam über Wochen erfolgen.
Eine Ausnahmestellung unter den Antipsychotika hat immer noch das Clozapin,
Pharmakotherapie bei Schizophrenie – Bewertung
5 AAP sollten Arzneimittel der ersten Wahl bei der Behandlung schizophrener Störungen in der Akutphase
sein. Konventionelle Antipsychotika haben ein zu
hohes EPS-Risiko.
5 Bei der Langzeittherapie ist der Patient über die möglichen Nebenwirkungen der Antipsychotika, auch der
AAP, sorgfältig aufzuklären.
251
30.2 · Therapie
5 Bei Suizidalität und Fremdgefährdung ist eine stationäre Einweisung indiziert.
5 Symptomreduktion und Verbesserung der Lebensqualität sind zwei Therapieziele der Pharmakotherapie.
5 Die Subtypen bei der Schizophrenie sind zu differenzieren und ggf. spezifisch zu behandeln.
5 Bei begleitender depressiver Symptomatik können
neben AAP auch Antidepressiva verordnet werden. Es
ist dann darauf zu achten, dass sich die psychotische
Symptomatik nicht verschlechtert.
5 Bei katatoniformen Zuständen ist in der Regel Lorazepam gut wirksam.
5 Substanzabusus oder Abhängigkeitserkrankungen
sind bei schizophrenen Patienten besonders häufig;
neben der Pharmakotherapie sind integrative Therapieprogramme anzustreben.
5 Komorbide Angst- und Zwangsstörungen können mit
SSRI neben den AAP behandelt werden. Bei akuten
Angstsymptomen sind Benzodiazepine hilfreich.
5 Bei schizomanischer Symptomatik sind neben AAP
auch Lithiumsalze, bei schizodepressiver Symptomatik SSRI indiziert.
5 Man spricht von medikamentöser Therapieresistenz, wenn zwei unterschiedliche Antipsychotika
in ausreichender Dosis für jeweils 4–8 Wochen nicht
angesprochen haben.
5 Bei Kombinationstherapien müssen die Wechselwirkungen beachtet werden.
30.2.12 Psychotherapie und
psychosoziale Interventionen
bei Schizophrenie
Im
Rahmen
eines
Gesamtbehandlungsplans
(7 Abschn. 30.1) gewinnen neben der medikamentösen Therapie psychoedukative, familientherapeutische und kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze
an Bedeutung. Akutphase, Stabilisierungsphase und
Langzeittherapie werden unterschieden.
Das Vulnerabilitätsstressmodell ist ein wichtiger
Pfeiler psychosozialer und familientherapeutischer
Interventionen bei schizophrenen Patienten.
30
Definition
Nach dem Vulnerabilitätsstressmodell besteht
eine erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit durch
ungünstige Umweltbedingungen, die mit der
biologisch-genetischen Prädisposition des Patienten interagieren.
5 Ungünstige Umweltbedingungen sind belastende Lebensereignisse (»life events«) und
ein überstimulierendes oder feindseliges soziales Umfeld einschließlich »high expressed
emotions« (HEE) in der Familie.
5 HEE in der Familie äußern sich in vermehrter Kritik oder in übergroßer emotionaler
Anteilnahme. HEE stehen in ungünstigem
Zusammenhang mit Krankheitsverlauf und
Rückfallhäufigkeit.
5 Eine positive, von gegenseitigem Interesse,
Respekt und adäquater Zurückhaltung geprägte Familienatmosphäre und ein entsprechender Interaktionsstil führen hingegen
zu einer besseren sozialen Anpassung und
geringerer Rückfallrate bei durchschnittlich
niedrigeren Antipsychotika-Dosen.
Den subjektiven Aspekten des Krankheitserlebens
(Krankheitskonzept, Bewältigung, Lebensqualität)
sollte im Rahmen psychoedukativer, psycho- und
soziotherapeutischer Maßnahmen frühzeitig Rechnung getragen werden. Die subjektive Akzeptanz und
die vorhandenen psychosozialen Ressourcen des Patienten sowie das Einbeziehen seiner Lebenswelt haben
im Rahmen einer partnerschaftlichen therapeutischen
Allianz in der Langzeittherapie schizophrener Patienten große Bedeutung. Es ist darauf zu achten, dass
aktive Beteiligung des Patienten, insbesondere in
der Frühphase der Erkrankung, auch eine Belastung
sein kann. Vor dem Einsatz eines der möglichen Verfahren ist nach einer Problemanalyse ein individueller, bedürfnisangepasster Therapieplan zu erstellen
(Klingberg et al. 2006).
Akutphase
In der Akutphase steht die strukturierende und stützende Psychotherapie, die supportive Therapie, im
Vordergrund. Aufgrund des Mangels an weiterführenden psychotherapeutischen Programmen wird
sie in deutschen und internationalen »guidelines« als
Standard empfohlen (DGPPN 2006, NICE 2002, APA
2004).
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32
Kapitel 30 · Schizophrenie
Voraussetzung ist die Vermittlung eines verständlichen Krankheitsmodells, das auch den Einsatz einer
medikamentösen Behandlung im Rahmen der Psychoedukation erklärt. Die Ergebnisse der Metaanalysen dazu sind allerdings nicht einheitlich positiv
(NICE 2002; Pekkala u. Merinder 2004). Psychoedukation ist vom klinischen Standpunkt besonders dann
unerlässlich, wenn eine langfristige Behandlung mit
Antipsychotika notwendig ist, um die Therapiemotivation und Compliance des Patienten zu erhöhen und
Rückfälle zu vermeiden. Die Zugänglichkeit des Patienten für eine solche Aufklärung in der Akutphase
hängt stark von der Ausprägung der aktuellen Symptomatik ab.
Physiotherapie und Ergotherapie fördern das
positive Körpererlebens und stärken Kreativität und
Selbstvertrauen. Patienten können im Rahmen gestufter Trainingsprogramme (z. B. kognitives Computertraining) ohne Überforderung an zweckbezogene
Tätigkeiten herangeführt werden.
Stabilisierungsphase
In der Stabilisierungsphase wird die Psychoedukation
unter Berücksichtigung des Vulnerabilitätsstressmodells fortgesetzt (z. B. Angehörigengruppen, Entspannung des Familienklimas, bei konkreten Problemen
Entwicklung von Lösungsstrategien). Auf die Therapiecompliance ist zu achten (u. a. Umgang mit Nebenwirkungen, Gewichtsmanagement, Alkohol- und
Nikotinkonsum, Erkennen von Frühwarnzeichen).
Langzeittherapie
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40
In der Langzeittherapie gewinnt – zusätzlich zur
medikamentösen Therapie – die Psychotherapie
mit dem Schwerpunkt kognitive Verhaltenstherapie
(KVT) zunehmend an Bedeutung. Ein Einsatzschwerpunkt sind residuale Positivsymptome, soziale Ängste,
Depressivität und Negativsymptome. KVT als Gruppentherapie zeigte gegenüber der üblichen Therapie
allerdings keine signifikanten Vorteile (es besserten
sich nur die negative Selbsteinschätzung und Hoffnungslosigkeit; Siddle et al. 2006).
Folgende Ziele sollen durch die KVT erreicht werden:
5 Verbesserung der Medikamentencompliance
5 Förderung vorhandener Bewältigungs- und
Kompensationsressourcen
5 Verminderung psychosozialer Stressoren
5 Verbesserung der verbalen Kommunikationsfähigkeit
5 Verbesserung sozialer Kompetenzen
5 Aneignung lebenspraktischer Fertigkeiten
5 Selbstkontrollansätze zur Rezidivfrüherkennung (Schlafstörungen, Gereiztheit, depressive
Verstimmung, Aggressivität, Misstrauen, Angst,
affektive Labilität, reduzierte Belastbarkeit, Beziehungsideen, sozialer Rückzug)
5 Interventionsmöglichkeiten bei Rezidivverdacht
organisieren (z. B. Vorstellung beim Psychiater,
Dosissteigerung der Medikation)
Das Integrierte Psychologische Therapieprogramm
(Brenner et al. 1994; Briand et al. 2006) soll kognitive, soziale und Problemlösungsfertigkeiten (kognitive Differenzierung, soziale Wahrnehmung, verbale Kommunikation, soziale Fertigkeiten und interpersonelles Problemlösen) verbessern. Eine Metaanalyse über 28 unabhängige Studien ergab, dass das Therapieprogramm einen signifikant höheren mittleren
Therapieeffekt im Vergleich zu Kontrollbedingungen
erzielen konnte (Müller et al. 2007).
Integriert wird die Soziotherapie mit:
5 Belastungserprobung im Alltag,
5 Arbeitstraining und
5 Berufsfindung.
In der Langzeittherapie werden die psychotherapeutischen Strategien zunehmend positiv beurteilt (Butler et al. 2006; Turkington et al. 2006). Die meisten
Studien gibt es zur KVT. Die Follow-up-Studien wurden i.d.R. über ein Jahr geführt. Allerdings wird aufgrund methodischer Schwierigkeiten die Evidenzdiskussion auch kontrovers geführt (Schooler et al. 1997;
Bailer u. Rist 2001; Stieglitz u. Vauth 2001). Es besteht
ein dringender Forschungsbedarf, besonders für psychotherapeutische Studien zur »effectiveness«, um die
Praxisrelevanz zu überprüfen (Puschner et al. 2006).
Fazit
Psychotherapie und psychosoziale Interventionen
bei Schizophrenie – Bewertung
5 Im Gegensatz zu den Angst- und depressiven
Störungen erfolgen die psychotherapeutischen- und
psychosozialen Interventionen allein additiv zur
antipsychotischen Therapie.
5 Psychosoziale Interventionen sind ein fester Bestandteil im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans der
Schizophrenie.
5 In der Langzeittherapie steht unter den psychotherapeutischen Strategien die KVT an prominenter Stelle;
die Ergebnisse sind aber noch nicht eindeutig.
253
30.3 · Behandlung der Schizophrenie im Kindes- und Jugendalter
30.3
Behandlung der
Schizophrenie im Kindesund Jugendalter
Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht stellt sich
die Frage, inwieweit man die ICD-10- und DSM-IVKriterien der schizophrenen Störungen auch auf Kinder anwenden kann. Gerade bei Kindern unter 10 Jahren ist dies problematisch, da sie in diesem Alter oft
unter kognitiven und emotionalen Entwicklungsstörungen leiden. Dies erschwert eine Klassifikation in
ein System, das für Erwachsene konstruiert wurde. Im
Jugendalter nähert sich die Symptomatik derjeniger
erwachsener Patienten an. Im Kindes- und Jugendalter kann die Symptomatik situativ stark wechseln. Insbesondere das Ausmaß affektiver Symptome zeigt eine
hohe intraindividuelle Variabilität. Auch bei sicherer
Diagnosestellung ist eine wiederholte Überprüfung
im weiteren Verlauf erforderlich; 20% der Schizophrenien im Jugendalter beginnen mit einer depressiven
Symptomatik (Resch 2005; Remschmidt 2005).
Verlaufstypen
5 Im Kindes- und Jugendalter können zwei Verlaufstypen unterschieden werden: ein schleichender, hebephrenie-ähnlicher Verlauf und eine
akut einsetzende, schubartig verlaufende, meist
paranoid-halluzinatorische Form mit ggf. katatonen »Zustandsbildern«. Die Störungen verlaufen häufig in Phasen oder Schüben. Bei der »early onset schizophrenia« (EOS) liegt der Beginn
vor dem 18. Lebensjahr, bei der »very early onset
schizophrenia« (VEOS) vor dem 13. Lebensjahr.
5 Je früher die Erkrankung allerdings beginnt,
desto ungünstiger ist die Prognose mit rascher
Progredienz oder schleichendem, unproduktivem
Prozess. Erst ab der Pubertät verlaufen schizophrene Psychosen ähnlich wie im Erwachsenenalter, dann auch mit etwas besserer Prognose als
im Kindesalter.
Therapie mit Antipsychotika
5 In der akuten Krankheitsphase steht im Kindes- und Jugendalter, wie im Erwachsenenalter,
die Psychopharmakotherapie mit Antipsychotika im Vordergrund, bevor dann mit Zurücktreten der akut-psychotischen Symptomatik psychound soziotherapeutische Maßnahmen an Bedeutung gewinnen.
Folgende Behandlungsmaßnahmen sollten im
Kindes- und Jugendalter zum Einsatz kommen
(Remschmidt 2005):
30
psychopharmakologische Behandlung der
Akutsymptomatik,
– psychopharmakologische Aspekte der Rezidivprophylaxe,
– psychotherapeutische Maßnahmen,
– familienbezogene Maßnahmen,
– spezifische Rehabilitationsmaßnahmen dort,
wo sie indiziert sind.
5 Etwa 40% der Adoleszenten, die an einer Schizophrenie erkranken, sollten aufgrund der möglichen Chronifizierung ihrer Erkrankung oder
aufgrund familiärer Probleme (»high EE«) in
einer Rehabilitationseinrichtung weiter gefördert
werden.
5 Dank ihrer besseren extrapyramidalen Verträglichkeit, ihrer überlegenen Wirksamkeit auch auf
die Negativsymptomatik und der daraus resultierenden höheren Lebensqualität der Patienten
kommen die AAP der Zielsetzung einer modernen Therapie ziemlich nahe. Es wird empfohlen, gerade bei kindlichen und jugendlichen Erstmanifestationen AAP anzuwenden, obwohl sie
zumeist »off-label« verordnet werden müssen.
Trotz der vorhandenen Nebenwirkungen von
Clozapin empfiehlt es sich, nach zwei erfolglosen
Therapieversuchen mit einem konventionellen
Antipsychotikum und/oder AAP, auf Clozapin
umzustellen. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gilt Clozapin als Referenzsubstanz für
die AAP und es konnte in kontrollierten Studien
gezeigt werden, dass Clozapin gegenüber Haloperidol und Olanzapin bei therapieresistenten schizophrenen Störungen im Kindes- und Jugendalter überlegen ist (Kumra et al., 1996; Shaw et al.,
2006). Clozapin ist ab dem 16. Lebensjahr für die
Behandlung von Psychosen zugelassen.
5 Zugelassene konventionelle Antipsychotika
7 Abschn. 7.12.
–
Elektrokrampfbehandlung
5 Zusätzlich zur medikamentösen Therapie kommt
in seltenen Fällen auch die Elektrokrampfbehandlung (EKB) in Betracht. Lebensrettende
Wirksamkeit kann die EKB bei der perniziösen
Katatonie, als extreme Ausprägung der katatonen Schizophrenie, haben. Es sei hier erwähnt,
dass die Hauptindikation für EKB im Jugendalter depressive bzw. bipolare Störungen mit
Ansprechraten bis zu 100% sind (7 Kap. 15). Bei
Jugendlichen mit schizophrenen Störungen liegt
die Ansprechrate bei 42% (Rey u. Walter 1997).
EKB ist nicht Therapie der ersten oder zweiten
Wahl bei schizophrenen Störungen und soll nur
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Kapitel 30 · Schizophrenie
bei therapieresistenten Patienten in Erwägung
gezogen werden (Remschmidt et al. 2001).
Pharmakotherapie und Psychotherapie
5 Die anfänglich im Vordergrund stehende Pharmakotherapie sollte immer mit einem psychound soziotherapeutischen Gesamtkonzept verbunden werden.
5 Voraussetzung für eine psychotherapeutische
Behandlung sollte eine tragfähige Arzt-PatientenBeziehung mit Einbeziehung der Angehörigen
sein. Im Mittelpunkt stehen die Erarbeitung von
Belastungen und Ressourcen des Patienten. Mit
Hilfe von Psychoedukation lassen sich die Rückfall- und Rehospitalisierungsraten senken. Weiterhin stehen die Identifizierung individueller
Risikofaktoren und die Erarbeitung eines Planes,
falls Krisen auftreten, im Mittelpunkt.
5 Die psychotherapeutischen Angebote sind vornehmlich verhaltensorientiert. Wichtig ist das
(Wieder-) Erlernen sozialer Kompetenzen.
Dadurch kann eine Verkürzung der stationären
Aufenthaltsdauer, Verminderung der Rückfallrate und eine Verbesserung bei der Übertragung
von sozialen Fertigkeiten auf Alltagssituationen
erreicht werden. Auch Problemlösetrainings sind
essenzieller Bestandteil der Therapie. Die Therapie stützt sich auf die Zerlegung von Problemen
in Teilprobleme, Erarbeiten von Lösungen, Sichten von Vorgehensweisen, deren Bewertung und
Umsetzung.
5 Es gibt Mehrkomponentenrehabilitationstrainings, die soziale Kompetenz- und Problemlösetrainings miteinander verbinden. Dazu gehört
das Integrierte Psychologische Trainingsprogramm (7 Abschn. 30.2.11), welches für schizophrene Jugendliche modifiziert wurde (Kienzle
und Martinus, 1992).
Wichtig
5 In der akuten Krankheitsphase steht auch im
Kindes- und Jugendalter die Psychopharmakotherapie im Vordergrund, bevor dann mit
Zurücktreten der akut-psychotischen Symptomatik psycho- und soziotherapeutische
Maßnahmen an Bedeutung gewinnen.
30.4
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Welcher Stellenwert kommt der Behandlung
mit Antipsychotika bei der Schizophrenie zu?
Was versteht man unter Negativsymptomatik, welche medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten kennen Sie?
Unter welchen Bedingungen ist bei der
Schizophrenie die Kombination einer
antipsychotischen Behandlung mit einem
Antidepressivum sinnvoll?
Welche Medikation wird bei Mutismus und
Katatonie im Rahmen von schizophrenen
Störungen eingesetzt?
Welche Psychopharmaka werden zur
Behandlung schizoaffektiver Störungen
eingesetzt?
Mit welchen Psychopharmaka wird eine
schwere Depression mit psychotischen
Symptomen behandelt?
Wann spricht man bei der Behandlung
der Schizophrenie von medikamentöser
Therapieresistenz? Welche therapeutische
Optionen gibt es?
Warum haben schizophrene Störungen mit
Beginn im Kindes- und Jugendalter eine
schlechtere Prognose und wie sollten sie
behandelt werden?
255
31.1 ·
Demenz
31.1
Gesamtbehandlungsplan
– 258
31.2
Medikamentöse Therapie
– 258
31.3
Nichtmedikamentöse Maßnahmen
31.4
Checkliste
– 260
– 259
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28
Kapitel 31 · Demenz
Die Demenz (Syn.: demenzielles Syndrom) tritt bei
verschiedenen organischen Grunderkrankungen auf.
Die wichtigsten Merkmale sind Gedächtnisstörungen
und kognitive Einbußen mit Verlust der Konzentration, gestörter Informationsverarbeitung und vermindertem Urteilsvermögen. Die Demenz tritt am häufigsten bei der Alzheimer-Krankheit (Syn.: AlzheimerDemenz/AD) und bei Gefäßerkrankungen (vaskuläre
Demenz/VD) auf. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von weiteren hirnorganischen Erkrankungen, die
zu einer Demenz führen, s. unten.
Die Demenzen werden entsprechend ihrer Ätiologie in verschieden Diagnosegruppen unterteilt. Sie
erfordern jeweils einen spezifischen Therapieplan und
werden in diesem Kapitel systematisch besprochen.
Wichtig
Allerdings ist im praktischen Umgang mit Patienten mit Demenz die Differenzialdiagnose oft
sehr schwierig, oft gar nicht möglich. Die Demenz
ist in der Regel ein multimorbides Geschehen.
29
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34
Die ersten klinischen Zeichen einer Demenz sind
meist unspezifisch. Man spricht dann von leichter
kognitiver Störung (»mild cognitive impairment«,
MCI, s. unten).
Allerdings entwickelt wahrscheinlich ein großer Teil dieser Patienten im weiteren Verlauf eine
zu Beginn noch nicht diagnostizierbare AlzheimerKrankheit. Mehr als 70% der Patienten, die innerhalb
von 2–3 Jahren eine Demenz entwickelten, hatten
vorher ein MCI. Aufgrund der Alterspyramide nehmen Demenzerkrankungen deutlich zu, mit einer zu
erwartenden Verdoppelung der Prävalenz bis 2050.
Diagnostisches Vorgehen
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Die Diagnostik stützt sich v. a. auf die genaue Anamnese, die Fremdanamnese und den neurologischen,
psychiatrischen und neuropsychologischen Befund.
Unterstützend sind standardisierte Testserien und die
zerebrale Bildgebung. Es muss zunächst entschieden
werden, ob in der klinischen Routineuntersuchung
nur eine Eingangsdiagnostik mit grober Abschätzung der Defizite (zumeist durch den Allgemeinarzt)
erfolgen soll oder ob das Ziel in einer Absicherung
der Diagnose der Demenz liegt, die dann spezialisierten Zentren vorbehalten bleibt. Die Diagnosegruppen
sind aufgrund der bestehenden Multimorbidität klinisch nur schwer, oftmals auch gar nicht, voneinander zu trennen.
Wichtig
Diagnostisch muss immer so früh wie möglich
abgeklärt werden, ob dem beginnenden demenziellen Syndrom ein Krankheit zugrunde liegt, die
ursächlich behandelt werden kann (z. B. HIV-Infektion, s. unten).
Leichte kognitive Störung (MCI)
Als MCI wird das Vorliegen eines kognitiven Defizits (mehr als 1,5 Standardabweichungen unterhalb der Altersnorm) bezeichnet, das sowohl subjektiv als auch objektiv zu belegen ist und das nicht zu
einer Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten führt.
Die leichte kognitive Störung bietet eine Möglichkeit
der Sekundärprävention der Demenzen (Maßnahmen
7 Abschn. 31.1). MCI-Patienten leiden oft zusätzlich
an einer depressiven Störung.
Als mögliche Prädiktoren eines späteren Übergangs
in eine AD werden u. a. neuropsychologische Untersuchungen, APOE-Genotypisierung, Liquormarker (Aβ42, Gesamt-Tau, hyperphosphoryliertes Tau),
MRT (hippocampale/entorhinale Atrophie), SPECT
und PET eingesetzt und hinsichtlich ihrer Vorhersagekraft untersucht.
Demenz bei Alzheimer-Krankheit (AD)
Die AD ist eine primär degenerative zerebrale Erkrankung mit progressivem Verlust von Nervenzellen.
Die Folgen sind ein Abbau der intellektuellen Leistungsfähigkeit, Einschränkung der Bewältigung des
Alltagslebens und Verhaltensauffälligkeiten. Die Ätiologie ist erst in Ansätzen bekannt; es finden sich charakteristische neuropathologische und neurochemische Merkmale. Die AD beginnt meist schleichend,
in der Regel nach dem 60. Lebensjahr; nach erster
Diagnosestellung führt sie im Durchschnitt nach 3,1–
6,6 Jahren zum Tode.
Die Frühsymptome einer AD werden von der
Umgebung des Patienten häufig erst später wahrgenommen, der Patient kann sie überspielen. Zunächst
fallen Störungen der Merkfähigkeit und Konzentration, später Gedächtnis- und Orientierungsstörungen
auf. Schließlich kommt verminderte Urteilskraft hinzu.
Nicht nur kognitive Einbußen, sondern auch die
demenzassoziierten Verhaltensstörungen (»behavioral and psychological symptoms in dementia«,
BPSD) mit depressiven Störungen, Apathie, aggressivem Verhalten und Persönlichkeitsveränderungen
(7 Abschn. 31.2) prägen im weiteren Verlauf das
Krankheitsbild und führen schließlich zu einem Ver-
257
Demenz
lust der Selbstständigkeit. Die AD-Diagnose ist erst
durch eine autoptische neuropathologische Untersuchung zu sichern.
Neurobiologie der AD. Typische, aber nicht pathognomonische neuropathologische Befunde sind: intrazelluläre neurofibrilläre Bündel aus hyperphosphoryliertem Tau-Protein, extrazelluläre Amyloidplaques
aus Amyloid-β (Aβ) (insbesondere Aβ42, das durch
proteolytische Spaltung des Amyloid-Precursor-Proteins (APP) durch die β- und γ-Sekretase entsteht),
Neuronenverlust mit reaktiver Gliose, verminderte
Aktivität der Acetylcholintransferase, aber auch Alterationen anderer Neurotransmittersysteme wie Somatostatin und Glutamat. Neuere Untersuchungen weisen auf Veränderungen des Glukosestoffwechsels und
immunologische Störungen hin.
Definition
In der Amyloidhypothese der AD wird postuliert,
dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
der Anhäufung toxischer Amyloid-β-Peptide (Aβ)
im Gehirn, der Bildung von Neurofibrillenbündeln
und dem Untergang von Nervenzellkontakten
und Nervenzellen besteht. Es ist ein wichtiges
Ziel der Therapie und Prävention der AD solche
Anti-Amyloidpharmaka zu finden, die sowohl die
Bildung von Amyloidprotein verhindern als auch
schon gebildete Aggregate abbauen können.
Es findet sich ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer AD bei Angehörigen 1. Grades mit AD,
bei familiärer Belastung mit Down-Syndrom (Trisomie), bei Vorliegen eines APOE-e4-Allels (besondere
Bedeutung der Chromosomen 21, 14, 1 und 19) und
bei Vorliegen kardiovaskulärer Risikofaktoren.
Zur cholinergen Hypothese und der Hypothese
der Fehlfunktion der glutamatergen Neurotransmission bei der AD: 7 Abschn. 10.2.
Vaskuläre Demenz (VD) und gemischte
Demenz
Die VD entwickelt sich meist mehr oder weniger
schnell nach einer Reihe von Schlaganfällen als Folge von zerebrovaskulärer Thrombose, Embolie oder
Blutung.
Somit ist an eine VD insbesondere bei plötzlichem Beginn, schrittweisen oder abrupten Verschlechterungen im Verlauf, Krampfanfällen in der
Anamnese und Vorliegen fokal-neurologischer Ausfälle zu denken. In seltenen Fällen kann ein einziger
ausgedehnter Infarkt Ursache sein. Zu Beginn zeigen
31
sich bei der VD häufiger als bei der AD Aufmerksamkeitsstörungen, Verlangsamung der Denkabläufe und
der Psychomotorik, depressive Symptome (hier bis
zu 40%, bei AD 15–25%) mit Antriebslosigkeit, aber
auch Harninkontinenz, Gangstörungen und andere
neurologische Zeichen.
Die VD stellt die zweithäufigste Ursache einer
demenziellen Entwicklung dar. Bei der gemischten
Demenz (VD plus AD) kommt es bei AD-Patienten zu
intrakraniellen Blutungen und ischämischen Infarkten (sehr häufig).
Zusätzlich finden sich zahlreiche verschiedene
Formen von VD, je nach der zugrunde liegenden
Genese:
5 Post-Stroke-Demenz (nach Einzelinfarkt mit akutem Beginn, ca. 17%),
5 Multiinfarktdemenz (vorwiegend kortikale
Demenz, ca. 40%) und
5 subkortikale vaskuläre Enzephalopathie (mit arterieller Hypertonie assoziiert, ischämische Läsionen überwiegend im Marklager, ca. 40%).
Spezielle Demenzformen
Es gibt neben der AD, der VD und den gemischten
Formen noch eine große Zahl weiterer, entsprechend
ihrer Ätiologie definierter Diagnosegruppen.
Unter diesen ist die Demenz mit Lewy-Körperchen
(»Lewy bodies«) am häufigsten. Sie zeichnet sich durch
charakteristische Lewy-Körperchen in cholinergen
Neuronen aus. Typisch sind hochgradige antipsychotikainduzierte (EPS, aber auch sedierende oder anticholinerge) Nebenwirkungen für diese Demenzform.
Bei Parkinson-Patienten tritt im Verlauf der
Erkrankung bei 40% der Patienten eine Demenz auf.
Es ist die Demenz bei Parkinson-Syndrom. Als Risikofaktoren für das Auftreten dieser Demenz gelten ein
akinetisch-rigider Verlaufstyp und höheres Lebensalter (meist ≥65 Jahre).
Demenzen können auch bei Stoffwechselerkrankungen oder auch bei akuten Stoffwechselentgleisungen auftreten, z. B. bei Addison-Krankheit,
Cushing-Syndrom, bei Nieren- und Leberversagen,
Hypo- und Hypernatriämie, Hyper- und Hypoparathyriodismus oder Hypo- und Hyperthyriodismus.
Auch Autoimmunerkrankungen, wie multiple
Sklerose oder Lupus erythematosus, können die Ursache einer Demenz sein.
Weitere Gründe für die Entwicklung einer
Demenz können sein: Intoxikationen oder der Abusus
von Alkohol oder anderen Drogen, Intoxikationen
mit Schwermetallen; infektiöse Krankheiten (Herpesvirusinfektionen, HIV, Neurosyphilis, Neuroborreliose); Kopfverletzungen oder Epilepsie.
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31.1
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Kapitel 31 · Demenz
Gesamtbehandlungsplan
Die Behandlung der organischen Ursachen, die Ausschöpfung der Therapieeffekte mit Antidementiva
und die nichtmedikamentösen Maßnahmen müssen
eng ineinander greifen. Oft ist die Therapie der BPSD
mit Antipsychotika (7 Abschn. 31.2) zusätzlich nötig.
Ein stetiger Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Therapeuten ist anzustreben. Nur so kann
man bei der immer zugrunde liegenden Multimorbidität dem Wunsch nach einer optimalen Fürsorge
gerecht werden.
Im Verlauf verschlimmern immer wieder Komorbiditäten, z. B. depressive Episoden, das Krankheitsbild.
Vorübergehend
notwendige
internistische
Begleitmedikation oder eine Narkose bei kleinen chirurgischen Eingriffen kann zu Veränderungen des
Stoffwechsels und somit zu einer akuten Symptomverschlechterung führen. Das ist auch bei einschneidenden Lebensereignissen, wie Verlust der Wohnung
oder des Partners, möglich.
Prävention
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Es gibt mehrere Ansätze zum Versuch einer Primärprävention der Demenz.
5 Als mögliche protektive Faktoren hinsichtlich des
Auftretens einer demenziellen Erkrankung gelten regelmäßige körperliche Aktivität, kognitiv stimulierende Freizeitaktivitäten (z. B. Lesen,
Schreiben, Lösen von Kreuzworträtseln, Musizieren, Gesellschaftsspiele), soziale Aktivitäten und
das Vermeiden kardiovaskulärer Risikofaktoren,
z. B. kalorische Restriktion.
5 Weiterhin wurde eine Risikoreduktion durch
regelmäßigen Verzehr von Fisch, Omega-3-Fettsäuren, mediterrane Diät und moderaten Alkoholkonsum beschrieben. Die mögliche Wirkung
von Folsäure wird kontrovers diskutiert.
5 Für einen Einsatz von Östrogenen bei postmenopausalen Frauen fand sich kein Beleg; eher
gab es Hinweise, dass bei älteren Frauen Östrogene und die Östrogen-Gestagen-Kombination
negative Effekte auf kognitive Funktionen sowie
ein höheres Risiko für MCI und Demenz haben.
Auch vor der Gabe von α-Tocopherol (Vitamin E)
ist abzuraten. Statine (Lipidsenker) reduzieren
wahrscheinlich nicht die Inzidenz von Demenz.
5 Schließlich ist nach derzeitigem Wissensstand
eine medikamentöse Behandlung der MCI mit Acetylcholinesterasehemmern (AChE-I) oder anderen Substanzen (Statine, Östrogene, Antiphlogistika, Antioxidanzien) nicht angezeigt.
31.2
Medikamentöse Therapie
Demenz bei Alzheimer-Krankheit (AD)
5 Das Ziel einer medikamentösen Therapie im
Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans liegt
in einer Verminderung des Fortschreitens der
Erkrankung, einer Verminderung der BPSD und
dem Erhalt der Lebensqualität. Eine frühzeitige
Behandlung sollte angestrebt werden.
5 Die AChE-I Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sowie der NMDA-Antagonist Memantin sind gut evaluiert (7 Abschn. 10.6). Kombinationen von AChE-I und Memantin können vorteilhaft sein.
Vaskuläre Demenz (VD) und gemischte
Demenz
5 Im Vordergrund stehen Interventionen zur Prophylaxe vaskulärer Risikofaktoren.
5 Eine Behandlung der vaskulären Grundkrankheit
ist für den Verlauf der VD wichtig.
5 AChE-I und Memantin können »off label« empfohlen werden, sind aber noch nicht ausreichend
evidenzgesichert; dies gilt auch für die gemischte
Demenz.
Spezielle Demenzformen
5 Bei der Demenz mit Lewy-Körperchen sind
AChE- I erfolgsversprechend. Bei einer notwendigen Antipsychotikaverordnung kann Quetiapin
oder Clozapin gegeben werden.
5 Auch für die Demenz bei Parkinson-Syndrom liegen mit AChE-I positive Ergebnisse vor. Bei psychotischen Symptomen ist Quetiapin das Mittel
der Wahl.
5 Für die anderen Demenzformen gibt es keine
positiven Studien.
Demenzassoziierte Verhaltensstörung
(BPSD)
5 Die Pharmakotherapie der demenzassoziierten
Verhaltensstörungen (BPSD) mit psychomotorischer Unruhe, Aggressivität, nächtlicher Desorientierung, desorganisiertem Verhalten oder
paranoidem Erleben kann sich sehr schwierig
gestalten.
5 Zunächst sollten medizinische, situative und
umgebungsbedingte Auslöser überprüft und ggf.
modifiziert werden und Stressoren, wenn möglich, reduziert werden. Alle nichtmedikamentösen Maßnahmen mit Zuwendung, Orientierungshilfen oder Tagesstrukturierung sind anzuwenden.
259
31.3 · Nichtmedikamentöse Maßnahmen
5 Vor einer symptomspezifischen medikamentösen
Behandlung von BPSD sollte ein Behandlungsversuch mit AChE-I oder Memantin stehen. Auf diese
Weise kann bei leicht ausgeprägten BPSD bereits
teilweise eine ausreichende Besserung, bei ausgeprägten BPSD eine Einsparung von Antidepressiva oder Antipsychotika erreicht werden.
5 AChE-I und Memantin können demenzassoziierte
Verhaltensstörungen günstig beeinflussen, wenngleich das Ausmaß der Verbesserungen insgesamt
gering ist.
5 Die atypischen Antipsychotika (AAP) Risperidon
und Olanzapin zeigen nach bisheriger Studienlage den besten Wirksamkeitsbeleg bei BPSD.
5 Risperidon hat als einziges AAP eine formale
Zulassung in dieser Indikation.
Wichtig
Bei älteren Patienten mit Demenz besteht für alle
Antipsychotika ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse.
5 Die Wirksamkeit von Melatonin (0,3–5 mg zur
Nacht) bei Patienten mit Schlafstörungen im
Alter und mit Demenz wird kontrovers diskutiert;
zur Verordnung von Benzodiazepinhypnotika
7 Abschn. 9.10.
5 Die Empfehlungen zum Einsatz von Antidepressiva in der Behandlung depressiver Syndrome bei Demenz entsprechen den Empfehlungen zur Behandlung der Depression im Alter
(7 Abschn. 5.10).
5 In 7 Abschn. 15.7.8 wird besonders auf die Notwendigkeit der Gabe von Antidpressiva bei körperlichen Krankheiten, die mit einer Depression assoziiert sind, eingegangen. Zu nennen
ist hier besonders die Depression nach Schlaganfall (»post stroke depression«), die Vorläufer einer Demenz sein kann. Auch die Depression, die allgemein mit kognitiven Dysfunktionen
auftritt und bei geriatrischen Patienten als Pseudodemenz bezeichnet wird, kann das erste Zeichen einer beginnenden Demenz sein. Bei diesen Depressionen auf organischer Grundlage sind
SSRI indiziert. Wenn SSRI langfristig verordnet
werden, sind die Risikovorbeugungen zu bedenken (7 Abschn. 5.6).
31
Wichtig
Ältere Menschen haben eine erhöhte Suszeptibilität für Sedierung, Parkinsonoid, anticholinerge
Wirkungen und Orthostase. Oft ist die renale
Clearance vermindert und der hepatische Metabolismus verzögert.
31.3
Nichtmedikamentöse
Maßnahmen
5 Die Information, Motivation und Psychoedukation des Patienten und der Angehörigen bzw. des
Betreuers ist die Basis der Behandlung und sollte
sich auch auf die Einnahme von Antidementiva
beziehen. Es sollte besonders betont werden, dass
ein vorübergehender Stillstand des Leistungsabbaus bereits ein Erfolg ist. Auch soziale, finanzielle und rechtliche Aspekte sowie Strategien zum
Selbstmanagement und zur Problemlösung von
Konfliktsituationen im Umgang mit dem Kranken sollten im Rahmen der Angehörigenarbeit
besprochen werden.
5 Die Informiertheit aller Beteiligten über den diagnostischen und therapeutischen Stand ist die
Basis für die Therapiearbeit (Lautenschlager et al.
2008):
Für den Bereich der Demenzen und anderer neurodegenerativer Störungen sind dabei besonders
zu erwähnen:
– die Informationen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und
Nervenheilkunde (http://www.dgppn.de),
– der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
(http://www.dgn.org/48.0.html),
– der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
(AWMF) (http://www .uni-duesseldorf.de/
awmf/ oder http://leitlinien.net/),
– der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie
und Geriatrie (http://www.dggg-online.de),
– des Deutschen Zentrums für Alternsforschung (www.dzfa.de) sowie
– des deutschen Zentrums für Altersfragen
(http://www.dza.uni-heidelberg.de).
5 Weiterhin ist für eine psychosoziale Entlastung
der Angehörigen zu sorgen, bei denen sich sonst
in über 80% der Fälle depressive Störungen entwickeln können.
5 Psychotherapeutische und persönlichkeitsstützende Verfahren und verhaltenstherapeutische
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Kapitel 31 · Demenz
Interventionen können bei leichten bis mittel-
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5
5
schweren Demenzen eingesetzt werden. Ein kompensatorisches Vorgehen mit dem Ziel, dass der
Patient trotz Einbußen im Alltag zurechtkommt,
ist anzustreben.
Spezielle und verbliebene Fähigkeiten sollten
gefördert werden. Einfache interne Strategien
(»Memotechniken«) wie Gesichter-NamenAssoziationslernen und einfache externe Strategien (Listen, Kalender, aktive Hinweisreize wie
Wecker) zur vereinfachten Umfeldstrukturierung
können hilfreich sein. Informationen zu Personen, Zeit und Ort werden in der »Realitätsorientierungstherapie« (ROT) gelernt.
In der »Milieutherapie« wird versucht, durch
Anpassung des Wohn- und Lebensbereiches
(Schaffung einer überschaubaren, aber anregenden Umgebung, konstant strukturierter Tagesablauf etc.) das Wohlbefinden und die verbliebenen Alltagskompetenzen des Patienten zu fördern.
Bei schwereren Demenzen scheint die »Erinnerungstherapie«, die auch emotional entlastend ist
und bei der auf alte Gedächtnisinhalte zurückgegriffen wird, sinnvoll zu sein.
Weitere Maßnahmen können die »Validationstherapie«, die »Selbsterhaltungstherapie« (SET),
Ergo-, Musik-, Kunst- und Bewegungstherapie
sowie die multimodale sensorische Stimulation
umfassen.
Auch bei der BPSD sind nichtmedikamentöse
Maßnahmen mit Zuwendung, Orientierungshilfen oder Tagesstrukturierung ein erster wichtiger
Therapieschritt.
Physiotherapie und sportlichen Aktivität unterstützen alle Therapiemaßnahmen.
Defizite im sensorischen Bereich müssen soweit
wie möglich behoben werden.
Hilfen im Umgang mit Miktionsstörungen (insbesondere Inkontinenz) können auch zur Besserung psychiatrischer Begleitstörungen beitragen; Mobilität und Selbstwertempfinden werden
gestärkt.
Bei bereits eingetretener sozialer Isolierung
sollten die von den Krankenkassen finanzierten
ambulanten Soziotherapien genutzt werden.
Die Pflege und Medikationseinnahme kann
durch Sozialstationen oder Hausbesuche im Rahmen von Programmen der Institutsambulanzen
psychiatrischer Kliniken verbessert werden. Auch
Tageskliniken können die therapeutischen Optionen erweitern.
31.4
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
Welche Antidementiva sind bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz evaluiert?
Wie werden vaskuläre Demenz und
gemischte Demenzen pharmakologisch
behandelt?
Welche Medikamente werden bei demenzassoziierten Verhaltensstörungen eingesetzt?
Was ist bei der Behandlung von Patienten
mit einem demenziellen Syndrom zu beachten?
261
32.1 ·
32
Bewegungsstörungen in der Psychiatrie
32.1
Therapie
– 262
32.2
Behandlung von Bewegungsstörungen im Kindes- und
Jugendalter – 263
32.3
Checkliste
– 263
262
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Kapitel 32 · Bewegungsstörungen in der Psychiatrie
Bewegungsstörungen sind ein Grenzgebiet der Psychiatrie. Sie können sowohl dem psychiatrischen als
auch dem neurologischen Fachgebiet zugeschrieben
werden. Da Parasomnien zusammen mit Bewegungsstörungen oft gemeinsam auftreten, werden sie in diesem Kapitel mit beschrieben.
Restless-legs-Syndrom (RLS) und periodic
limb movements in sleep (PLMS)
Beim RLS kommt es zum Bewegungsdrang der Beine
(oft mit sensiblen Störungen) und motorischer Unruhe. Die Symptome treten ausschließlich in Ruhe auf.
Es kommt zu einer vorübergehenden Erleichterung
bei Aktivität. Die Symptome sind abends und in der
Nacht deutlich ausgeprägter als zu anderen Tageszeiten. Die Nachtruhe wird gestört. PLMS ist durch
kurze stereotype Bewegungen bzw. Muskelkontraktionen im Bein mit einem Rhythmus von 20–60 s
gekennzeichnet. Polysomnographie, Bewegungsaufzeichnung und Immobilisationstests sichern die Diagnose.
RLS und PLMS treten besonders ab dem
50. Lebensjahr und oft auch kombiniert auf. Symptomatische Formen des RLS kommen u. a. bei Niereninsuffizienz, rheumatischer Polyarthritis und Eisenmangelanämie vor.
Ticstörungen
Tics sind plötzliche, unwillkürliche Bewegungen
und/oder Lautäußerungen. Es sind dabei funktionell zusammenhängende Skelettgruppen gleichzeitig oder nacheinander einbezogen. Sie sind typischerweise schnell, abrupt einschießend und weniger als
eine Sekunde andauernd, wobei sie sich oft in kurzen
Serien stereotyp wiederholen. Tics sind nicht zweckgebunden und werden subjektiv als sinnlos erlebt.
Sie variieren über die Zeit in ihrer Erscheinungsform
(Komplexität, Art, Intensität, Häufigkeit) und lassen
sich nach ihrer Qualität (motorisch/vokal) und ihrem
Komplexitätsgrad (einfach, komplex) unterschieden.
Die Spontanremissionsrate für die einfachen/multiplen Tics liegt zwischen 50–70%. Von chronischen
Tics wird gesprochen, wenn die Tics länger als ein Jahr
andauern. Treten sowohl motorische als auch und
vokale Tics länger als ein Jahr auf, wird vom Gilles-dela-Tourette-Syndrom gesprochen. Die Spontanremission liegt hier zwischen 3 und 40%.
Pathogenetisch wird davon ausgegangen, dass die
Basalganglien und die mit ihnen verbundenen thalamischen und kortikalen Strukturen betroffen sind
und eine erhöhte dopaminerge Aktivität im Striatum
besteht (Rothenberger et al. 2005).
Parasomnien
Die folgenden Syndrome sind sowohl mit Bewegungsstörungen als auch mit Störungen des Schlafes assoziiert.
In Alpträumen werden lebensbedrohliche Ängste
erlebt. Sie treten im REM-Schlaf in den frühen Morgenstunden auf. Beim Erwachen ist der Betroffene
orientiert. Dagegen ist Pavor nocturnus an den Tiefschlaf gebunden und geht mit einer vegetativen Erregung und vorübergehenden Desorientierung einher. Pavor nocturnus findet sich zumeist bei Kindern
und Jugendlichen. Schlafwandeln (Somnambulismus)
tritt im Tiefschlaf auf. Der Betroffene gestikuliert mit
geöffneten Augen im Bett, geht im Zimmer auf und
ab, reagiert kaum auf Ansprache und ist vorübergehend desorientiert. Zum Ablauf besteht eine Amnesie. Auch Zähneknirschen (Bruxismus) wird den Parasomnien zugezählt.
Enuresis nocturna 7 Abschn. 33.3.
32.1
Therapie
Die Therapie dieser Störungen wird i.d.R. ein Spezialist mit Schlaflabor übernehmen. Die wichtigen Therapieoptionen werden genannt. Für die Parasomnien
gibt es keine etablierten medikamentösen Therapien.
Restless-legs-Syndrom (RLS) und Periodic
limb movements in sleep (PLMS)
L-DOPA und Dopaminagonisten sind die Mittel der
Wahl (7 Abschn. 14.2).
Ticstörungen
Es stehen Psychoedukation und eine symptomzentrierte Verhaltenstherapie (einschließlich Entspannungsverfahren) im Vordergrund. Bei starken Ausprägungen empfiehlt sich eine medikamentöse Therapie mit dem Dopamin2-Antagonisten Tiaprid oder
dem Antipsychotikum Risperidon.
Alternativ können Clonidin, Benzodiazepine,
Baclofen, Antidepresssiva, Cannabinoide und ggf.
Dopaminagonisten angewendet werden.
Bei der Komorbidiät mit ADHS sollte bei leichterer Ausprägung zunächst mit einem Antipsychotikum behandelt werden, bei stärkerer Ausprägung ist
teilweise eine Kombination aus Antipsychotikum und
Methylphendiat sinnvoll. Bei komorbiden Zwangsstörungen kommt eine Kombination aus Antipsychotikum und Antidepressivum in Betracht (Rothenberger et al. 2005).
263
32.3 · Checkliste
32.3
32
Checkliste
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Bewegungsstörungen
5 Restless-legs-Syndrom und »periodic limb movements in sleep« werden i.d.R. durch den Neurologen
mit L-DOPA und Dopaminagonisten behandelt.
5 Die medikamentöse Therapie wird durch spezifische
Verhaltensmaßregeln ergänzt, dies gilt besonders für
die Ticstörungen.
32.2
Behandlung von
Bewegungsstörungen im
Kindes- und Jugendalter
Parasomnien treten zumeist im Kleinkindalter auf.
Die Behandlung der Parasomnien beinhaltet Psychoedukation der Eltern und Entspannungsverfahren mit
den Kindern. Eine medikamentöse Empfehlung zur
Behandlung von REM-Parasomnien (Alpträume) im
Kindes- und Jugendalter gibt es nicht. Zur pharmakologischen Behandlung der Non-REM-Parasomnien
(Pavor nocturnus, Schlafwandeln) wird Clonazepam
empfohlen. Bei Bruxismus sollte zusätzlich zu den
Entspannungsverfahren eine Vorstellung beim Zahnarzt erfolgen.
Enuresis nocturna: 7 Abschn. 33.3
Das RLS und die PLMS haben ungefähr ein Prävalenz von 2% bei Kindern und können »off-label« mit
Clonidin, Clonazepam, Gabapentin und Dopaminrezeptoragonisten behandelt werden.
Die Ticstörungen beginnen im Median zwischen 6 und 7 Jahren. Etwa die Hälfte der Kinder leidet zusätzlich unter einer ADHS oder einer Zwangsstörung. Auch Schlafstörungen wie z. B. Ein- und
Durchschlafschwierigkeiten, nächtliche Trennungsangst, Parasomnien wie Schlafwandeln und Pavor
nocturnus kommen häufig komorbid vor. Die therapeutischen Maßnahmen sind die gleichen wie die im
Erwachsenalter und sollten Psychoedukation, Verhaltenstherapie und ggf. eine Antipsychotikatherapie mit
z. B. Risperidon beinhalten (Rothenberger et al. 2005)
(7 Abschn. 32.1).
?
1.
Welche Medikamente zur Behandlung des
Restless-legs-Syndroms kennen Sie?
265
33.1 ·
Spezielle Störungen im Kindes- und
Jugendalter
33.1
Tief greifende Entwicklungsstörungen – 266
33.1.1
Therapie – 267
33.2
Trennungsangst
33.2.1
Therapie – 268
33.3
Enuresis
33.3.1
Therapie – 269
33.4
Bindungsstörungen
33.4.1
Therapie – 270
33.5
Checkliste
– 268
– 269
– 270
– 270
33
266
33.1
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Kapitel 33 · Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter
Tief greifende
Entwicklungsstörungen
Die tief greifenden Entwicklungsstörungen subsumieren eine Gruppe von Störungen, die durch qualitative
Beeinträchtigungen in der gegenseitigen Interaktion
und Kommunikation und durch ein eingeschränktes,
stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten gekennzeichnet sind. Diese Störungen bestehen von frühester Kindheit an und manifestieren sich in den ersten 5 Lebensjahren.
Die Kernsymptome zeigen eine entwicklungspsychologische Variabilität und erhebliche Unterschiede
im Ausprägungsgrad, bleiben aber bis ins Erwachsenenalter als persistierende Symptomatik erhalten.
Nach ICD-10 umfasst die Gruppe der tief greifenden Entwicklungsstörungen die folgenden Erkrankungen:
5 Frühkindlicher Autismus
5 Atypischer Autismus
5 Asperger-Syndrom
5 Rett-Syndrom
5 Desintegrative Störungen des Kindesalters
5 Überaktive Störung mit Intelligenzminderung
und Bewegungsstereotypien
Das »Autismus-Spektrum« umfasst den frühkindlichen Autismus, den atypischen Autismus und das
Asperger-Syndrom. Diese Bezeichnung soll demonstrieren, dass die Störungen sich nicht qualitativ unterscheiden, sondern quantitativ, d. h. in Bezug auf den
Schweregrad der Störung.
Vor allem beim frühkindlichen Autismus kommen häufig assoziierte Erkrankungen wie Epilepsie,
Chromosomenanomalien (einschließlich fragiles XSyndrom, Down-Syndrom), tuberöse Sklerose, Neurofibromatose, metabolische Störungen (Phenylketonurie, Lesh-Nyhan-Syndrom, Histidinämie) und
Infektionen (Röteln, Zytomegalie, Herpes simplex)
vor. Während 30% der Betroffenen eine leichte Beeinträchtigung der Intelligenz aufweisen, haben 40% eine
deutliche geistige Behinderung, und 30% verfügen
über eine durchschnittliche Intelligenz.
Die Prävalenz für die tief greifenden Entwicklungsstörungen liegt bei 30–60/10.000. In Bezug auf
den frühkindlichen Autismus wird von einer Häufigkeit von 5–10/10.000 ausgegangen. Jungen sind beim
frühkindlichen Autismus 3- bis 4-mal häufiger und
beim Asperger-Syndrom 8-mal häufiger betroffen,
wobei Mädchen meist stärker beeinträchtigt sind.
Frühkindlicher Autismus
Der frühkindliche Autismus wird auch nach dem
Erstbeschreiber Kanner benannt (Kanner-Syndrom).
Die Entwicklungsauffälligkeiten müssen in den ersten
drei Jahren bereits vorhanden sein. Innerhalb der
Diagnose des frühkindlichen Autismus unterscheidet
man klinisch zwischen
5 »Low-functioning-Autismus«: Personen mit
Intelligenzminderung und sehr geringen sprachlichen Fähigkeiten.
5 »High-functioning-Autismus«: Personen ohne
Intelligenzminderung und mit guten sprachlichen Fähigkeiten.
Etwa die Hälfte der Kinder entwickeln keine oder sehr
verspätet eine nichtkommunikative Sprache, die später (im Schulalter oder danach) einen partiellen kommunikativen Charakter gewinnen kann. Viele Kinder
zeigen eine Echolalie mit pronominaler Umkehr. Die
Sprache ist durch grammatikalische Fehler und durch
Neologismen gekennzeichnet. Der Sprechrhythmus
ist häufig unmelodisch und abgehackt.
Das Spielverhalten der Kinder mit frühkindlichem
Autismus ist deutlich auffällig und interaktives Spielen
ist kaum möglich. Spielzeug wird oft zweckentfremdet
und stereotyp benutzt und häufig zur Selbststimulation von Sinnesbereichen umgewandelt. Zumeist bestehen Störungen der Reaktion auf Sprache, Geräusche
und Körperempfindungen (Kälte, Schmerzen). Die
meisten Patienten lehnen einen körperlichen Kontakt ab. Die Kinder zeigen ein ängstlich-zwanghaftes
Bedürfnis nach Gleicherhaltung des Umfelds und
umschriebene Ängste. Der Schlaf-Wach-Rhythmus
ist häufig gestört.
Neurobiologie. In mehreren Studien konnte gezeigt
werden, dass Patienten mit einem frühkindlichen
Autismus ein erhöhtes Gesamtgehirngewicht, ein
erhöhtes Volumen des Zerebellums sowie Malformationen im parietotemporalen Kortex aufweisen, welche durch Störungen des neuronalen Wachstums und
der Zellmigration verursacht werden. Weiterhin sprechen Befunde der funktionellen Bildgebung dafür,
dass Prozesse der Gesichtserkennung, mentale Verarbeitungsprozesse und exekutive Funktionen verändert
sind. Die Ergebnisse biochemischer Untersuchungen
sind noch sehr heterogen. 30–50% der Kinder mit
frühkindlichem Autismus weisen einen erhöhten
Serotoninblutspiegel auf. Diskutiert werden auch Veränderungen im dopaminergen, noradrenergen und
peptidergen System. Zur Erhebung neuropsychologischer Korrelate autistischer Störungen werden Intelligenzstruktur, exekutive Funktionen, Störungen der
267
33.1 · Tief greifende Entwicklungsstörungen
»Theory of Mind« und schwache zentrale Kohärenz
untersucht.
Atypischer Autismus
Der atypische Autismus wird vom frühkindlichen
Autismus dadurch abgegrenzt, dass die Kinder nicht
alle Kriterien nach ICD-10 bzw. DSM-IV erfüllen
oder, dass sich Entwicklungsauffälligkeiten erst nach
dem 3. Lebensjahr manifestieren. Diese Kinder sind
meist stark intelligenzgemindert.
Asperger-Syndrom
Diese Störung wird in der Regel später als der frühkindliche Autismus und zwar zumeist um das 3. Lebensjahr diagnostiziert, was auf die frühe Sprachentwicklung und die gute kognitive Entwicklung der Kinder
zurückzuführen ist. Die Sprache ist oft elaboriert mit
großem Wortschatz. Die motorische Entwicklung ist
häufig etwas verspätet. Die Patienten haben zumeist
eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung. Sie werden dann auffällig, wenn besondere Anforderungen an
ihre soziale Kompetenz und Emotionen gestellt werden (Kindergarten, Schule). Die betreffenden Kinder
sind sowohl in ihrem nonverbalen Verhalten (Gesten,
Mimik, Gebärden, Blickkontakt) als auch durch ihre
Unfähigkeit, zwanglose Beziehungen zu Gleichaltrigen
oder Älteren herzustellen, auffallend. Sie können auch
emotional nur wenig mitreagieren und somit an den
Emotionen anderer Menschen nur wenig teilhaben.
Häufig haben sie intensive, eng umgrenzte und teilweise unsinnige Sonderinteressen mit lexikalischem
Wissen. Es dominiert jedoch die reine Wissensspeicherung und es gelingt zumeist nicht, das Wissen in
größere Zusammenhänge einzuordnen.
Rett-Syndrom
Beim Rett-Syndrom kommt es nach zunächst unauffälliger Entwicklung zwischen dem 7. und 24. Lebensmonat zu einem vollständigen Verlust des zielgerichteten Gebrauchs der Hände mit eigenartigen windenden Bewegungsstereotypien. Es kommt zu einem
Verlust der Sprache und einer Verlangsamung des
Kopfwachstums. Die Störung kommt fast ausschließlich bei Mädchen vor. Ursächlich hierfür ist eine
Mutation des MECP2-Gens, welches auf dem distalen
Abschnitt des X-Chromosoms lokalisiert ist. Tritt diese Mutation bei männlichen Individuen auf, so ist sie
in der Regel tödlich.
Desintegrative Störung des Kindesalters
Bei der desintegrativen Störung des Kindesalters,
auch Hellersche-Demenz genannt, kommt es zu
einem Verlust bzw. fortschreitendem Abbau der Spra-
33
che, der intellektuellen, der sozialen und kommunikativen Fähigkeiten der Kinder. Die Darm- und Blasenkontrolle und motorische Funktionen sind ebenfalls
betroffen. Die Störung tritt in der Regel zwischen dem
2. und 4. Lebensjahr auf und beginnt schleichend.
Überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien
Betroffene Kinder weisen eine schwere Intelligenzminderung (IQ <50) sowie eine erhebliche Hyperaktivität,
Aufmerksamkeitsstörung und stereotype Verhaltensmuster auf. Die Erkrankung ist häufig von einer Vielzahl von Entwicklungsstörungen begleitet.
33.1.1
Therapie
Durch therapeutische Interventionen können einzelne Symptome bedeutsam gebessert, nicht aber geheilt
werden.
Frühförderung
Die Behandlung muss so früh wie möglich beginnen
und über längere Zeiträume durchgeführt werden.
Die Behandlung kann die Interaktionsfähigkeit, die
Anpassung an die Anforderungen des Alltags und die
Selbständigkeit verbessern.
Psychoedukation
Das nicht adäquate Reagieren des Kindes auf Kontaktversuche der Eltern verlangt eine ausführliche Aufklärung der Eltern über Art und Schwere der Erkrankung. Die frühzeitige Entlastung der Familie und
wirksame Unterstützung der Hauptbezugsperson
müssen ein wesentlicher Bestandteil des Therapieplans sein. Eine individuelle Therapie ohne Einbeziehung der Bezugspersonen (Kindergarten, Schule) ist
nicht sinnvoll, weil bei autistischen Kindern ein situationsübergreifender Transfer neuer Verhaltensweisen
kaum stattfindet.
Verhaltenstherapie
Die gezielte Therapie bezieht sich auf die Entwicklung
der sozialen Wahrnehmung, der Kommunikation
und der Sprachförderung. Verhaltenstherapeutischen
Techniken kommt ein besonderer Stellenwert zu, wie
z. B. verstärkerorientiertem Training, Üben von Alltagssituationen anhand von Spielmaterial sowie Elementen des Rollenspiels. Zur Verbesserung der Selbstkontrolle und der Kontaktfähigkeit sind Therapieprogramme, die auf den Abbau von »Theory of Mind«Defiziten abzielen, wichtig. Die Kommunikation
kann z. B. durch das Modifikationsprogramm nach
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Kapitel 33 · Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter
Lovaas verbessert und exzessives, störendes Verhalten abgebaut werden. Durch Instruktionssysteme wie
TEACCH kann die Selbständigkeit im lebenspraktischen Alltagsbereich und im Spielverhalten unter
Betonung von Interaktionselementen trainiert werden. Zur Verbesserung der sozialen Fertigkeiten und
der Kommunikationsfähigkeiten sind Aktivitäten mit
Bezugspersonen (»Peers«) unverzichtbar. Für den
Aufbau der Sprache ist es wichtig, die soziale Bedeutung der Sprache, z. B. durch sprachliches Kommentieren, für das Kind im sozialen Kontext zu erarbeiten
und Einzelelemente sozialer Handlungen zu erfassen.
Pharmakotherapie
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Eine signifikante Verbesserung von restriktiven, repetitiven und stereotypen Verhaltensmustern, Interessen
und Aktivitäten sowie eine signifikante Reduktion von
aggressivem und selbstverletzendem Verhalten konnte bei Patienten mit tief greifenden Entwicklungsstörungen in mehreren kontrollierten Studien durch Risperidon erzielt werden. Jedoch hat die Risperidonmedikation keinen Einfluss auf die soziale Interaktion
und Kommunikation. Bei Unverträglichkeit von Risperidon können auch andere AAP wie z. B. Olanzapin, aber auch SSRI, Stimmungsstabilisierer und Clonidin eingesetzt werden.
Bei Hyperaktivität und impulsivem Verhalten
können Risperidon, andere AAP, Psychostimulanzien,
Clonidin und Propranolol in Betracht kommen. Patienten mit einer überaktiven Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien profitieren
zumeist nicht von einer Therapie mit Psychostimulanzien. Am ehesten sollte bei vorhandener Indikation
mit einem AAP, z. B. Risperidon, behandelt werden.
Bei komorbiden starken Ängsten kann eine
Behandlung mit AAP, Buspiron oder Clonidin, bei
depressiven Syndromen mit SSRI, notwendig sein.
Bei zusätzlichen Anfallsleiden sind Stimmungsstabilisierer unverzichtbar.
Weitere Therapiemaßnahmen
Krankengymnastik und Heilpädagogik sind zur
Behandlung motorischer Defizite und zur Besserung
der Wahrnehmungsfähigkeit in Einzelfällen sinnvoll.
Musiktherapie und Reittherapie können zur weiteren
Kontaktaufnahme eingesetzt werden. Bei starken
Eigen- und Fremdaggressionen kann die Festhaltetherapie in moderater Form zur Unterbrechung aggressiven Verhaltens eingesetzt werden. Eine stationäre
Therapie bzw. eine Aufnahme in eine spezialisierte
Institution ist bei erheblichen Selbst- und Fremdaggressionen, Stereotypien und Ritualen oder bei Überforderung der Familie indiziert.
Die berufliche Eingliederung muss eine klientennahe Betreuung durch strukturierte und schrittweise
aufgebaute Arbeitsaufträge und Anleitungen beinhalten (Leitlinien der Deutschen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 2003; Remschmidt
2005).
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei tief greifenden Entwicklungsstörungen
5 Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen bei tief
greifenden Entwicklungsstörungen stellen Psychoedukation, Frühförderung, Verhaltenstherapie und
Pharmakotherapie dar. Pharmakologisch hat sich
zur Behandlung einiger Kern- und Begleitsymptome
Risperidon bewährt.
33.2
Trennungsangst
Die emotionale Störung des Kindesalters mit Trennungsangst wird auch als Schulphobie bezeichnet und
gehört zusammen mit der Schulangst und dem Schulschwänzen in die Gruppe der Schulverweigerungen.
Eine Trennungsangst liegt vor, wenn das Kind die
Angst vor der Trennung von der Bezugsperson(en)
als überwältigend erlebt, die Angst über die entwicklungsphysiologische Alterstufe hinaus andauert und
die psychosoziale Entwicklung längerfristig erheblich
beeinträchtigt ist, sodass das Kind z. B. den Kindergarten oder die Schule nicht mehr besuchen kann. Für die
Entstehung dieser Störung ist eine Kombination aus
ängstlicher Disposition und schwierigen Lebenseinflüsse, wie z. B. begründete Ängste vorm Verlassenwerden, maßgebend.
33.2.1
Therapie
Psychoedukation und Verhaltenstherapie
Leichtere Trennungsängste sind durch eine ambulante
Psychoedukation und Vermittlung verhaltentherapeutischer Übungen der Bezugspersonen behebbar. Kind
und Eltern müssen wieder die Erfahrung machen,
dass bei einer Trennung die befürchteten Gefahren
nicht eintreten. Dem Kind soll nicht in der Angst
Zuwendung zukommen, sondern, wenn es erfolgreich
die Angst überwunden hat. Es ist zu vermitteln, dass
die begleitenden körperlichen Symptome, wie z. B.
Magen- und Kopfschmerzen, tatsächlich vorliegen,
269
33.3 · Enuresis
aber eine Folge der Angst sind. Auch die Bezugspersonen im Kindergarten und Schule müssen aufgeklärt
und teilweise die Kinder dann speziell in der Einrichtung in Empfang genommen oder zu Hause abgeholt
werden. Ist auch die elterliche Trennungsangst von
Krankheitswert, sollte das erkrankte Elternteil sich
ebenfalls einer verhaltenstherapeutischen Behandlung unterziehen.
Bei mittelschweren Trennungsängsten ist eine
tagesklinische Behandlung, bei schweren Ängsten
eine vollstationäre Behandlung indiziert. Es wird
dann zusammen mit dem Kind und den Eltern nach
den Ursachen gesucht und es werden Verhaltenspläne für Trennungssituationen erarbeitet. Weitere verhaltenstherapeutische Behandlungsstrategien sind:
Desensibilisierung, Lernen am Modell, Rollenspiele,
KVT und Selbstbehauptungsübungen.
Psychopharmakotherapie
Falls eine antidepressive Begleitmedikation befristet indiziert ist, empfiehlt sich eine Behandlung mit
einem SSRI. Eine Studie konnte die Wirksamkeit von
Fluvoxamin nach vorheriger erfolgloser Verhaltenstherapie belegen (Blanz et al. 2006).
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei
Trennungsangst
5 Die zentralen Therapiekomponenten bei Trennungsangst sind Psychoedukation und Verhaltenstherapie.
Falls diese Maßnahmen nicht ausreichend sind,
empfiehlt sich eine medikamentöse Behandlung mit
einem SSRI.
33.3
Enuresis
Die Enuresis kommt häufig im Kindesalter vor und
weist eine hohe spontane Remissionsrate auf.
Sie wird als unwillkürlicher Harnabgang ab einem
Alter von 5 Jahren und einem geistigen Intelligenzalter von 4 Jahren definiert. Organische Grunderkrankungen müssen ausgeschlossen werden. Für das Stellen der Diagnose muss das Einnässen mindestens
3 Monate bestehen und die monatliche Häufigkeit
des Einnässens muss 1-mal (<7 Jahre) bzw. 2-mal pro
Monat betragen. Es wird nach tageszeitlichem Auftreten des Einnässens zwischen Enuresis nocturna, Enuresis diurna und Enuresis nocturna et diurna unterschieden. Die meisten Kinder, die tagsüber einnässen,
33
haben allerdings eine funktionelle Harninkontinenz,
d. h. es liegt eine organisch bedingte Blasendysfunktion vor. Unter einer primären Enuresis versteht man
ein Einnässen ohne längere trockene Periode, während die sekundäre Enuresis durch Wiedereinnässen
nach einer längeren trockenen Periode (>6 Monate)
definiert ist. An Komorbiditäten treten expansive,
externalisierende Störungen, wie z. B. Störungen des
Sozialverhaltens und ADHS, häufiger als emotionale,
introversive Störungen auf.
Neurobiologie. Es besteht eine genetisch bedingte
Reifungsstörung des Zentralennervensystems. Neurophysiologische Untersuchungen weisen auf eine Störung der Hirnstammfunktionen hin. Bei vielen Kindern findet man eine vermehrte Urinproduktion,
Veränderungen des zirkadianen Rhythmus des antidiuretischen Hormons (ADH) und eine erschwerte
Erweckbarkeit.
33.3.1
Therapie
Psychoedukation und Verhaltenstherapie
Zunächst sollten unspezifische Maßnahmen wie Beratung und Beruhigung der Eltern, positive Verstärkung
und Motivationsaufbau erfolgen. Es sollte auch dokumentiert werden, wie oft und in welchen Situationen
das Kind einnässt. Falls diese Maßnahmen alleine
nicht ausreichen, ist die apparative Verhaltenstherapie
mittels »Klingelhose« oder »Klingelmatte« das Mittel
der Wahl. Das Kind sollte darüber gut aufgeklärt und
in die Planung miteinbezogen werden. Bei dieser Therapiemethode ist es wichtig, dass das Gerät jede Nacht
eingesetzt wird, das Kind komplett nach dem Einnässen wach wird und die Therapie lange genug fortgesetzt wird. Ein weiteres effektives, aber aufwändigeres
verhaltenstherapeutisches Programm stellt das »dry
bed training« dar.
Psychopharmakotherapie
Eine medikamentöse Therapie ist indiziert, wenn
andere Maßnahmen nicht gegriffen haben oder
nicht durchgeführt werden können oder eine spezifische Indikation, wie z. B. das Nichteinnässen auf
einer Klassenfahrt, besteht. Das Mittel der Wahl ist
dann das synthetische Analog des ADH Desmopressin (Minirin®). Bei ca. 70% der Patienten kommt es
zu einer Reduktion des nächtlichen Einnässens. Das
Medikament sollte nicht länger als 12 Wochen verordnet werden. Besonders wirksam ist die Kombination von Desmopressin und apparativer Verhaltenstherapie, vor allem bei hoher Einnässfrequenz und
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Kapitel 33 · Spezielle Störungen im Kindes- und Jugendalter
begleitenden Verhaltensauffälligkeiten (von Gontard
2005).
Zugelassen sind auch Clonipramin und Imipramin; sie werden aber in der Regel nicht mehr verordnet.
Fazit
Psychopharmakotherapie
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Enuresis
5 Für die Behandlung einer Enuresis ist zunächst eine
Psychoedukation essentiell, an die sich verhaltenstherapeutische Maßnahmen anschließen sollten. Falls
diese Maßnahmen nicht erfolgreich sind, kann eine
vorübergehende Gabe von Desmopressin wirksam
sein.
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Kind aus der Familie herausgenommen werden muss.
Da zumeist umschriebene Entwicklungsrückstände
vorliegen, sind unter besonderer Berücksichtigung
des Beziehungsaspektes Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie erforderlich. Psychotherapeutische Verfahren können erst eingesetzt werden, wenn
ein entsprechendes Entwicklungsalter erreicht ist.
Bei Kindern, die sehr unruhig und aggressiv sind bzw.
unter ausgeprägten Schlafstörungen leiden, kommt
eine Behandlung mit Antipsychotika (z. B. Risperidon) in Betracht (Pfeiffer u. Lehmkuhl 2005).
Fazit
Pharmakotherapie und Psychotherapie bei Bindungsstörungen
33.4
Bindungsstörungen
Die Definitionskriterien der Bindungsstörungen
(ICD-10: Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters
(F94.1) und Bindungsstörung des Kindesalters mit
Enthemmung (F94.2)) beziehen sowohl intrapersonales Verhalten als auch interpersonelles Beziehungsverhalten mit ein. Das Krankheitsbild wird durch unzureichende oder traumatisierende Beziehungen in den
ersten Lebensjahren verursacht und die Symptomatik
ist an das Kleinkind- und Vorschulalter gebunden. Es
können 2 Subtypen unterschieden werden:
5 eine gehemmte Form mit Vermeidung, Rückzug
und Hypervigilanz,
5 eine ungehemmte Form mit vorwiegend nichtselektivem, distanzlos-diffusem Kontaktverhalten.
Neurobiologie. Da frühe traumatisierende Beziehungserfahrungen in einer vulnerablen Phase, in
der eine erhöhte neuronale und synaptische Plastizität besteht, auf das Gehirn einwirken, kommt es zu
Veränderungen der synaptischen Verbindungen und
des neuronalen Netzes. Vorwiegend treten Veränderungen im limbischen System auf, welches eine wichtige Funktion beim Steuern von Emotionen und beim
Lernen hat.
33.4.1
Therapie
Ziel der Behandlung ist die Herstellung und Sicherung
eines entwicklungsfördernden, bindungsstabilen Milieus. Häufig ist eine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt notwendig; manchmal ist es auch nötig, dass ein
5 Für die Behandlung von Bindungsstörungen ist ein
entwicklungsförderndes und bindungsstabiles Milieus wichtig. Die Patienten profitieren von Krankengymnastik, Ergotherapie, Logopädie und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen. Bei ausgeprägter
Symptomatik ist eine medikamentöse Behandlung
mit Antipsychotika vorübergehend sinnvoll.
33.5
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
5.
Was versteht man unter den Kernsymptomen tief greifender Entwicklungsstörungen und welche medikamentösen
Behandlungsmöglichkeiten kennen Sie?
Welche Therapiekomponenten können bei
tief greifenden Entwicklungsstörungen zusätzlich zur Pharmakotherapie sinnvoll sein?
Was versteht man unter Trennungsangst und
wie wird sie behandelt?
Wie wird Enuresis definiert und therapiert?
Welche verschiedenen Bindungsstörungen
gibt es und wie ist die medikamentöse Therapieempfehlung?
271
34.1 ·
34
IV
Spezielle Aspekte der
Psychopharmakotherapie
34
Notfallpsychiatrie
– 273
35
Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit
36
Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit
– 287
– 281
273
34.1 ·
Notfallpsychiatrie
34.1
Psychomotorische Erregungszustände
– 275
34.2
Delirante Syndrome
– 276
34.3
Stuporöse Zustände
– 276
34.4
Suizidalität
34.5
Psychopharmaka als Ursache psychiatrischer
Notfallsituationen – 278
34.6
Notfallsituationen in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie – 279
34.7
Checkliste
– 277
– 279
34
274
21
22
23
24
25
26
27
Kapitel 34 · Notfallpsychiatrie
Psychiatrische Notfallsituationen kommen als krisenhafte Zuspitzungen im Rahmen psychiatrischer
Grundkrankheiten und bei Gesunden (z. B. Agitiertheit, Stupor bei akuter Belastungsreaktion oder Suizidalität bei Anpassungsstörungen) vor. Die medikamentöse Behandlung erfolgt syndromgerichtet. Folgende Syndrome stehen im Mittelpunkt:
5 psychomotorische Erregungszustände, auch im
Rahmen einer Psychose,
5 delirante Syndrome,
5 stuporöse Zustände,
5 Suizidalität.
Auch die Störungen des Bewusstseins gehören zu dieser Gruppe; sie sind aber in der Regel keine Indikation
für Psychopharmaka. Eine Ausnahme sind delirante
Syndrome (s. oben).
Auswahl der Notfallmedikation
28
29
Für die Pharmakotherapie psychiatrischer Notfallsituationen haben sich einige Antipsychotika und Benzodiazepine besonders bewährt (. Tab. 34.1):
30
> Die Kombination Haloperidol mit dem Benzodiazepin
Lorazepam ist gut untersucht. Beide Dosen können
dann geringer gewählt werden, dadurch wird das
Risiko von Nebenwirkungen verringert. Auch können
Benzodiazepine die Akathisie durch Antipsychotika
dämpfen. Olanzapin sollte nicht mit Lorazepam
kombiniert werden.
Verhalten in der psychiatrischen
Notfallsituation
Die folgenden Maßnahmen sollten der medikamentösen Behandlung des psychiatrischen Notfalls unmittelbar vorausgehen (. Abb. 34.1):
5 Abschätzung einer akuten Gefahr für Patient,
Untersucher, Personal und/oder sich selbst.
5 Ausschluss einer unmittelbaren vitalen Bedrohung durch eine internistische oder chirurgische
(Grund)erkrankung.
5 Vorläufige diagnostische Einordnung von Notfallsyndrom und vermuteter zugrunde liegender psychiatrischer Störung (psychotisch, affektiv, Intoxikation, reaktiv, Persönlichkeitsstö-
. Tab. 34.1. Auswahl der wichtigsten Psychopharmaka für die psychiatrische Notfallsituation
31
32
Präparat
Indikation
Dosierung
Bemerkungen
CAVE
Haloperidol
HaldolJanssen®
Psychotische und delirante Zustandsbilder;
psychomotorische
Erregung auch
schwerster Ausprägung
i.m./p.o.: 5–10 mg,
bei älteren Patienten
niedriger (zunächst 1–
1,5 mg); ggf. Wiederholung alle 30 min
Bewährtes Antipsychotikum; hohes
Wirkpotenzial;
hohes EPS-Risiko
v. a. im hohen Dosisbereich
In hohen Dosen
kardiotoxisches
Risiko.
Cave: nicht i.v.
Bei Frühdyskinesien, Biperiden (Akineton®)
Olanzapin
Zyprexa®
Psychotische Zustandsbilder; psychomotorische Erregung
bei Schizophrenie und
Manie
i.m.a: initial 5–10 mg;
p.o.: initial 10–20 mg;
Wiederholung alle
30 min möglich
Bewährtes AAP;
geringeres
EPS-Risiko
QTc-Verlängerung
(7 Abschn. 7.6)
möglich;
Nicht i.v.a
Melperon
Eunerpan®
Leicht- bis mittelgradige psychomotorische
Erregung bei geriatrischen und internistisch erkrankten Patienten
i.m.: initial 50–100 mg,
maximal 200 mg/24 h
Gute sedierende
Eigenschaften bei
mäßiger antipsychotischer Wirkung: keine anticholinergen
Eigenschaften
Hypotonie
Lorazepam
Tavor®
Psychomotorische
Erregung leichteren
Grades;
Angstzustände
i.v./i.m.a: initial 0,5–
1 mg
p.o.: initial 1–2,5 mg
Ggf. Wiederholung
alle 60 min, maximal
7,5 mg/24 h
Kurze Halbwertszeit,
keine aktiven Metaboliten;
gut steuerbar
Hypotonie und
Atemdepression
möglich, insbesondere in hohen
Dosen und bei i.v.Gabe;
i.v.-Applikation sehr
langsam!
33
34
35
36
37
38
39
40
a
Lorazepam nicht mit Clozapin oder Olanzapin kombinieren.
275
34.1 · Psychomotorische Erregungszustände
34
. Abb. 34.1. Handlungsablauf bei psychomotorischen Erregungszuständen.
(Aus Benkert u. Hippius 2007)
Agitierter Patient
5 ruhig und sicher auftreten
5 Patienten ernst nehmen
5 klare, eindeutige Anweisungen geben
5 aktiv und empatisch zuhören
5 Patienten nicht in die Enge treiben
5 Gefährdung evaluieren
Kooperativ?
Gesprächsbereit?
ja
Krisenintervention:
nein
5 Gespräch
Spannungsreduktion durch Angebote:
5 gemeinsame Konfliktlösung suchen
5 geplante Maßnahmen erklären
5 ggf. Essen, Trinken, Zigarette anbieten
5 Angehörigen nach Wunsch des Patienten
einbeziehen oder ausschließen
5 ggf. Medikation
Erfolg
5 Absprachefähigkeit
beurteilen
5 Aufnahmeindikation
klären
kein Erfolg
5 Gefährdung
reevaluieren
5 Stärke und Präsenz (Personal) signalisieren
5 Befugnis ggf. zu Maßnahmen gegen
den Willen des Patienten erklären
Erfolg
5 Entschlossenheit zeigen
kein Erfolg
Nach Regelung der Rechtsgrundlage:
5 Medikation auch ohne Einwilligung
des Patienten
5 ggf. kurzfristige Fixierung
rung) durch Fremdanamnese (Polizei, Personal,
Angehörige) und Verhaltensbeobachtung. Eine
genauere Diagnosestellung ist initial häufig nicht
möglich und hat auch keine Priorität.
5 Festlegung der Behandlungsstrategie und -modalität (freiwillig – unfreiwillig, sofort – nach Aufnahme/Übernahme). Besteht Selbst- oder Fremdgefährdung, muss sofort gehandelt werden; für
eine Rechtsgrundlage (Unterbringungsbeschluss,
Betreuung) ist ggf. unmittelbar nach Bewältigung
der akuten Krise zu sorgen.
34.1
Psychomotorische
Erregungszustände
Psychomotorische Erregungszustände sind durch ausgeprägte Antriebssteigerung sowie motorische Hyperaktivität, z. T. mit Gereiztheit, Aggressivität und Kontrollverlust gekennzeichnet. Oft besteht eine ängstliche Grundstimmung (v. a. bei psychotischen Erregungszuständen und Angststörungen). Erste Anzeichen sind mangelnde Kooperation, motorische Unruhe, Auf- und Abschreiten, intensives Gestikulieren,
laute Sprache mit Drohgebärden, »Starren«, Reizbarkeit und Impulsivität. Eigen- und/oder Fremdgefährdung sind möglich.
276
21
22
Kapitel 34 · Notfallpsychiatrie
> Notfalltherapie
5 Die Basistherapie besteht aus einer antipsychotischen Therapie: Haloperidol oder Olanzapin
(. Tab. 34.1).
5 Als Zusatzmedikation kann (nur bei Haloperidol)
Lorazepam gegeben werden.
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
> Notfalltherapie beim deliranten Syndrom
5 Beim Alkoholentzugsdelir wird Clomethiazol
gegeben (7 Abschn. 11.2.3, Cave: Risiken).
5 Eine Alternative sind Benzodiazepine, v.a. Lorazepam (. Tab. 34.1).
34.3
34.2
Stuporöse Zustände
Delirante Syndrome
Ein Delir ist eine akute organische Psychose mit
unterschiedlicher, häufig multifaktorieller Genese.
Leitsymptome sind Bewusstseins- , Aufmerksamkeitsund kognitive Störungen (z. B. mnestische Störungen,
Verwirrtheit) sowie Desorientiertheit. Zusätzlich können vorkommen: Wahrnehmungsstörungen mit – v. a.
optischen – Halluzinationen und illusionären Verkennungen, erhöhte Suggestibilität, psychomotorische
Unruhe und Erregung, z. T. mit Bewegungsstereotypien; außerdem fokal-neurologische Symptome wie
Ataxie, Dysarthrie, Tremor und vegetative Symptome
wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe, Hyperhidrosis,
Hyperthermie und Tachykardie, Blutdruckanstieg.
5 Charakteristisch sind die Entwicklung der Symptomatik bis zum Vollbild innerhalb kürzester
Zeit (Stunden bis wenige Tage) und ein Fluktuieren der Ausprägung.
5 Delirante Syndrome sind potenziell lebensbedrohliche Zustände; kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter ist dringend geboten.
5 Ätiologisch liegen v. a. Entzugssyndrome (hauptsächlich Alkohol), Intoxikationen sowie Komplikationen bei internistischen und neurologischen
Erkrankungen zugrunde.
Diagnostik bei Verdachtsdiagnose Delir:
5 körperliche Untersuchung,
5 Vitalparameter, EKG, Körpertemperatur,
5 laborchemische und hämatologische Parameter
(v. a. Alkoholspiegel, Glukose, Elektrolyte, Leberund Nierenparameter, Entzündungszeichen, Blutbild),
5 Urinstatus mit Drogenscreening,
5 Thoraxröntgen,
5 zerebrale Bildgebung, wenn möglich MRT,
5 evtl. EEG zum Ausschluss epileptischer Aktivität,
5 evtl. Lumbalpunktion.
Unter einem Stupor wird ein abnormer Zustand psychomotorischer Hemmung mit eingeschränkter bzw.
aufgehobener Reaktivität auf Umweltreize verstanden.
Das Wachbewusstsein ist voll erhalten, eine Amnesie
entsteht in der Regel nicht. Die Ätiologie ist vielfältig,
das Syndrom kann bei verschiedenen psychiatrischen
und internistischen Grunderkrankungen auftreten.
Stupor bei katatoner Schizophrenie
Die katatone Schizophrenie (7 Abschn. 30.2.5) zeigt
sich mit psychomotorischer Hemmung, zumeist mit
Mutismus und Stupor. Beobachtet werden kann dabei
auch das Phänomen der »wächsernen Biegsamkeit«
(Flexibilitas cerea): hierbei wird die passiv bewegte
Extremität in z. T. grotesken Stellungen beibehalten.
Wichtig
Ein abruptes Umschlagen von katatonem Stupor in einen katatonen psychomotorischen Erregungszustand ohne offensichtlichen äußeren Anlass ist möglich. Sehr selten handelt es sich hierbei
um einen Zustand mit lebensbedrohlicher perniziöse Katatonie mit Fieber (febrile Katatonie),
autonomer Entgleisung, Akrozyanose, Petechien,
Bewusstseinstrübung. Differenzialdiagnose: malignes neuroleptisches Syndrom (7 Abschn. 34.5).
> Notfalltherapie beim Stupor bei katatoner Schizophrenie
5 Indiziert ist ein differenzialtherapeutischer
Versuch mit Lorazepam, z. B. 1–2,5 mg p.o. (z. B.
Expidet-Formulierung) oder 0,5–1 mg i.v. (maximal 7,5 mg/24 h).
5 Bei ausbleibendem Erfolg wird das Antipsychotikum Haloperidol dann verordnet, wenn ein
malignes neuroleptisches Syndrom ausgeschlossen ist (7 Abschn. 34.5).
Wichtig
Depressiver Stupor
40
Es ist zu beachten, dass sich die Behandlung des
Alkoholentzugsdelirs (7 Abschn. 28.1.1) von den
übrigen Delirformen unterscheidet.
Bei Vorliegen der diagnostischen Kriterien für eine
depressive Episode steht eine ausgeprägte Antriebsminderung mit psychomotorischer und kognitiver
277
34.4 · Suizidalität
Hemmung (»Pseudodemenz«) im Vordergrund. Die
affektive Resonanzfähigkeit kann bis zur Affektstarre eingeschränkt sein, häufig besteht Negativismus.
Blickkontakt ist vorhanden, das Verhalten bei Exploration wirkt passiv-duldend, weniger autistisch und
bizarr als bei der katatonen Schizophrenie.
> Notfalltherapie beim depressiven Stupor
5 Sie besteht ebenfalls aus einer Lorazepam-Medikation (s. oben).
Stupor bei organischer katatoner Störung
Phänomenologisch besteht Ähnlichkeit mit dem Stupor bei katatoner Schizophrenie. Differenzialdiagnostisch wegweisend sind pathologische Befunde bei der
internistischen bzw. neurologischen Diagnostik. Es
kann ggf. Haloperidol verordnet werden.
Dissoziativer Stupor (psychogener Stupor)
Bei bestehender psychomotorischer Hemmung mit
Mutismus sowie fehlender oder stark eingeschränkter
Reagibilität auf äußere Reize finden sich unauffällige organische Befunde, anamnestisch sind meistens
keine psychiatrischen Achse-I-Störungen festzustellen. Diagnostisch wegweisend sind unmittelbar bzw.
kurz zuvor vorausgegangene belastende Erlebnisse
(Fremdanamnese). Häufig liegt eine auffällige Persönlichkeitsstruktur zugrunde.
> Notfalltherapie beim psychogenen Stupor
5 Reizabschirmung, Distanz vom belastenden
Ereignis bzw. belastenden Faktoren schaffen; Gespräch in ruhiger, neutraler Umgebung suchen;
Zeit nehmen.
5 Lorazepam-Medikation (s. oben).
34.4
Suizidalität
Suizidalität kommt als Symptom bei allen psychiatrischen Erkrankungen vor. Besonders häufig treten
sie im Rahmen unipolarer oder bipolaren Störungen,
schizophrenen Psychosen, alkoholbezogenen und
Persönlichkeitsstörungen (besonders Borderline-Persönlichkeitsstörung) auf.
Auch unabhängig von psychiatrischen Krankheitsbildern, z. B. im Terminalstadium schwerer
somatischer Erkrankungen, als »Bilanzsuizid«, in
Lebenskrisen, bei Verlusten und Trennungen, drastischen von außen kommenden Änderungen der
Lebensweise, schweren Kränkungen kann Suizidalität auftreten.
34
Bei 90% aller Suizide liegt eine psychiatrische
Erkrankung zugrunde (bei ca. 60% eine affektive Störung; Hauptrisikofaktor für einen Suizid ist die Diagnose einer Major Depression). Weitere Risikofaktoren sind: schwere Schlafstörungen, konkrete frühere
Suizidversuche, fehlende soziale Einbindung oder
Verlust von Bezugspersonen und handlungsweisender
Charakter der Suizidideationen.
Ein generell höheres Suizidrisiko haben Männer, ältere und allein lebende Menschen, psychiatrisch ersterkrankte Patienten sowie alters- und diagnoseunabhängig Patienten mit schlechtem Behandlungserfolg. Besonders gefährdet sind weiterhin Personen mit Suizidversuchen in der Anamnese und diagnoseübergreifend Patienten mit aktuell depressiver
oder dysphorisch-agitierter Symptomatik. Gute familiäre, soziale und berufliche Bindungen sind protektive Faktoren.
Umgang mit suizidalen Patienten
Jede Suizidäußerung eines Patienten ist ernst zu nehmen, eine ausführliche Exploration ist dann zwingend
nötig.
5 Zur Einschätzung der akuten Gefährdung ist die
ausführliche Anamnese wichtig. Bei Verdacht auf
Suizidalität muss diese offen thematisiert werden,
die Absprachefähigkeit des Patienten ist zu beurteilen.
Wichtig
5 Akut suizidale Patienten sind unverzüglich
in Begleitung in eine psychiatrische Klinik
einzuweisen, bei fehlender Krankheitseinsicht oder Behandlungsbereitschaft kann
eine Einweisung nach dem Betreuungsrecht
(BGB) bzw. dem Psychisch-Kranken-Gesetz
(PsychKG) notwendig werden.
> Wichtige Fragen:
5 Bestehen schon konkrete Vorstellungen oder
sind schon Vorbereitungen getroffen?
5 Drängen sich Suizidgedanken passiv auf?
5 Wurden Suizidabsichten bereits angekündigt?
5 Haben sich zwischenmenschliche Kontakte in der
letzten Zeit reduziert?
> Notfalltherapie bei Suizidalität
5 Die Therapie ist stets abhängig von der Grunderkrankung, grundsätzlich sollte kombiniert
pharmako- und psychotherapeutisch vorgegangen werden.
278
21
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28
29
30
31
Kapitel 34 · Notfallpsychiatrie
5 Immer ist für einen ausreichenden Nachtschlaf
(v. a. Durchschlafen) zu sorgen. Empfehlenswert
ist ggf. eine Dosisverteilung des sedierenden
Antipsychotikums bzw. Antidepressivums eher
am späten Abend. Auch kann die zusätzliche
Verordnung eines Schlafmittels notwendig sein.
5 Bei Suizidalität bei psychotischen Angst- und
Erregungszuständen ist eine konsequente
antipsychotische Behandlung (ggf. zusätzlich
passagere Gabe von Lorazepam 2–4 mg/Tag)
indiziert.
Benzodiazepine haben einen sehr schnellen
Effekt und können die Hoffnungslosigkeit, die
oft Anlass der Suizidalität ist, vorübergehend
lindern.
5 Bei Suizidalität im Rahmen depressiver Störungen werden ebenfalls zunächst Benzodiazepine (z. B. Lorazepam) gegeben.
Die konsequente antidepressive Pharmakotherapie ist in der Akut- und Notfallsituation
wegen der langen Wirklatenz zweitrangig. Bei
hochsuizidal depressiven Patienten kann die EKB
(7 Abschn. 15.6) lebensrettend sein.
5 Bei suizidalen Krisen bei Persönlichkeitsstörungen sind auch primär Benzodiazepine (z. B.
Lorazepam) indiziert.
5 Bei Suizidalität im Rahmen von Suchterkrankungen steht zunächst die stationäre Entgiftung
im Vordergrund (7 Kap. 28).
34.5
Psychopharmaka als
Ursache psychiatrischer
Notfallsituationen
Psychopharmaka können selbst, über die bekannten
Nebenwirkungen wie Unruhe, Umtriebigkeit, Erregtheit hinaus (besprochen in den jeweiligen Kapiteln),
Notfallsituationen induzieren; die drei typischen werden im Folgenden besprochen. Die Therapie erfolgt in
der Regel in der Notfallmedizin.
Malignes neuroleptisches Syndrom
Beim malignen neuroleptischen Syndrom handelt es
sich um eine sehr seltene Nebenwirkung einer Antipsychotikatherapie, vorwiegend bei hohen Dosen
hochpotenter Antipsychotika, in Einzelfällen auch
unter AAP, jedoch auch bei normaler Dosierung. In
der Regel tritt es innerhalb von 2 Wochen nach Beginn
der Antipsychotikatherapie auf; dabei besteht vitale
Gefährdung. Die Symptome entwickeln sich innerhalb von 24–72 h.
Die Symptome sind: extrapyramidale Störungen
mit Rigor, Akinesie, z. T. auch Dys- und Hyperkinesien, Stupor, fluktuierende Bewusstseinsstörungen
bis zum Koma sowie autonome Funktionsstörungen
mit Tachykardie, (labiler) Hypertonus, Tachy- bzw.
Dyspnoe, Hautblässe oder -rötung, Hypersalivation, Hyperhidrose und Harninkontinenz. Im Labor ist
besonders die Kreatinkinase (CK) erhöht.
32
Suizidprävention
Zentrales Serotoninsyndrom
33
Wichtigste Maßnahme zur längerfristigen Suizidprävention bei psychiatrischen Erkrankungen ist die
Beim zentralen Serotoninsyndrom (7 Abschn. 5.6)
kommt es zu seltenen Neben- bzw. Wechselwirkungen
von Pharmaka mit serotonerger Wirkkomponente,
v. a. bei SSRI, Venlafaxin, Mirtazapin (additiv), TZA,
MAO-Hemmer, 5-HT-Agonisten, Tryptophan, Kokain, Amphetamine, aber auch Lithium (vorwiegend in
der Kombinationstherapie als pharmakodynamische
Interaktion auf Ebene der serotonergen Neurotransmission im Sinne einer serotonergen Überaktivität).
Es ist potenziell lebensbedrohlich und tritt überwiegend innerhalb der ersten 24 h nach Applikation auf.
Die Symptome sind: Trias aus Fieber (»Schüttelfrost«), neuromuskulären Symptomen (Hyperrigidität, Hyperreflexie, Myoklonie, Tremor) und psychopathologischen Auffälligkeiten (delirante Symptome wie
Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen, Desorientiertheit, Verwirrtheit, z. T. Erregungszustände). Weiterhin gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö; vital bedrohliche Komplikationen durch epileptische Anfälle; Herzrhythmusstörungen; Koma; Multiorganversagen; Verbrauchskoagulopathie.
34
35
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37
38
39
40
Durchführung einer Erhaltungstherapie bzw. Rezidivprophylaxe (je nach Diagnose antipsychotisch, antide-
pressiv bzw. phasenprophylaktisch oder kombiniert).
Wichtig
Je akuter und ausgeprägter die Suizidalität ist,
desto mehr muss zunächst die sedierende Komponente der medikamentösen Therapie betont
werden. Eine kontinuierliche Überwachung und
Betreuung des Patienten ist selbstverständlich.
Der Patient sollte möglichst frühzeitig mit dem
auch langfristig weiterbehandelnden Arzt in Kontakt gebracht werden, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
279
34.7 · Checkliste
Zentrales anticholinerges Syndrom
Das zentrale anticholinerge Syndrom tritt auf bei
Überdosierung bzw. Intoxikation mit anticholinerg
wirksamen Pharmaka (z. B. Clozapin, TZA) sowie
additiv bei deren Kombination, aber auch bereits in
normalen Dosisbereichen. Es ist potenziell lebensbedrohlich.
Die Symptome sind: anticholinerge Symptome
wie trockene Haut und Schleimhäute, Hyperthermie,
Mydriasis, Harnverhalt, Obstipation (bis zum paralytischen Ileus), Tachykardie und Herzrhythmusstörungen.
Bei der agitierten Verlaufsform kann sich eine delirante Symptomatik, Desorientiertheit, Verwirrung,
Sinnestäuschungen, motorische Unruhe und Agitation, Dysarthrie und zerebrale Krampfanfälle entwickeln, bei der sedativen Verlaufsform kommt es zu
Somnolenz bzw. Koma.
34.6
Notfallsituationen
in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie
Alle Notfälle des Erwachsenenalters können auch bei
Kindern und Jugendlichen vorkommen und sollten
dann ebenso wie bei Erwachsenen behandelt werden.
Notfälle bzw. Krisen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie werden durch schwerwiegende psychopathologische Symptome, Eigen- und Fremdgefährdung
und gravierende Mängel im Betreuungs- und Bezugssystem definiert. Bei Mängeln im Betreuungs- und
Bezugssystem wie Deprivation mit Misshandlung,
sexuellem Missbrauch oder Gedeihstörungen sollte
man sich an staatliche Institutionen, wie z. B. Jugendamt, Gesundheitsamt, Polizei oder Familiengericht,
wenden.
Häufige Notfälle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stellen Intoxikationen dar. Im Kindesalter
sind es noch vorwiegend akzidenzielle Vergiftungen,
während in der Adoleszenz hauptsächlich Intoxikationen mit Alkohol, Drogen und Medikamenten vorkommen. Durch Intoxikationen mit chemischen oder
pflanzlichen Drogen können Psychosen ausgelöst
werden. Dann ist häufig eine medikamentöse Therapie mit Antipsychotika und Benzodiazepinen nötig.
Einige Drogen induzieren extrem psychotisches Erleben (z. B. LSD) und einige verursachen starke vegetative Nebenwirkungen (z. B. Stechapfel). Wann immer
der Verdacht auf eine unklare oder starke Intoxikation
besteht, empfiehlt es sich, sofort eine Notfallambulanz
aufzusuchen oder den Notarzt zu rufen und Rücksprache mit einer Vergiftungszentrale zu halten.
34
Im Rahmen von Intoxikationen, aber auch von
anderen Krisen, kann oft eine Eigen- und Fremdgefährdung mit Suizidalität, selbstschädigendem Verhalten, Aggressionen und Delinquenz bestehen. Dann
sollte sofort gehandelt werden und der Notarzt und/
oder die Polizei verständigt werden. Die medikamentöse Akuttherapie besteht dann häufig aus Antipsychotika und/oder Benzodiazepinen.
34.7
Checkliste
?
1.
2.
3.
Welches Antipsychotikum hat sich bei der
Behandlung von schweren psychomotorischen Erregungszuständen bewährt?
Welche Rolle spielt die Behandlung mit Benzodiazepinen, insbesondere mit Alprazolam,
in Notfallsituationen?
Welche Medikation ist bei suizidalen Krisen
indiziert?
281
35.1 ·
35
Psychopharmaka in Schwangerschaft
und Stillzeit
35.1
Antidepressiva – 282
35.2
Lithium
35.3
Antikonvulsiva – 283
35.4
Antipsychotika – 283
35.5
Benzodiazepine und Non-Benzodiazepinhypnotika
35.6
Checkliste
– 283
– 285
– 284
282
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37
Kapitel 35 · Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit
Die Pharmakotherapie während der Schwangerschaft
ist nicht geregelt, weil kein Psychopharmakon für diese Indikation speziell zugelassen ist. Durch den häufigeren Gebrauch gerade der neueren Antidepressiva
und Antipsychotika werden auch mehr unerwünschte
Wirkungen und Risiken in der Schwangerschaft und
Stillzeit erkannt. Eine Beeinflussung für das Kind oder
den Säugling durch Psychopharmaka ist zu keiner
Zeit auszuschließen, denn nahezu alle Psychopharmaka sind plazentagängig und gehen in die Muttermilch über.
So wird die Gabe psychotroper Medikamente
während der Schwangerschaft und Stillzeit stets ein
sorgfältiges Abwägen zwischen der Exposition des
Kindes auf der einen und dem Risiko des Rezidivs der
psychischen Erkrankung der Mutter nach dem Absetzen der Medikation auf der anderen Seite beinhalten.
Auch gibt es schwere psychische Krankheiten, die ein
Neuansetzen eines Antidepressivums, Antipsychotikums oder Benzodiazepins erforderlich machen.
Eine Behandlung mit Psychopharmaka insbesondere im 1. Trimenon sollte nur dann durchgeführt werden, wenn das mit der psychischen Störung assoziierte Risiko für Mutter und Fetus das mit
einer medikamentösen Behandlung verbundene Risiko übersteigt. Für Antidepressiva gilt diese Einschränkung nach neueren Beobachtungen auch für die Zeit
nach der 20. Schwangerschaftswoche.
Wichtig
5 Aufgrund der bekannten Risiken von Psychopharmaka in der Schwangerschaft und
Stillzeit nimmt die Bedeutung engmaschiger
Psychotherapie bei leichten und mittelschweren psychischen Erkrankungen zu.
5 Wenn ein Psychopharmakon bei schweren
Erkrankungen dennoch verordnet werden
muss, ist die niedrigste effektive Dosis über
die kürzeste Behandlungszeit zu wählen.
5 Die Indikation zur Behandlung mit Psychopharmaka muss in der Schwangerschaft
besonders eng gestellt werden. Die Eltern
sind ausführlich über die möglichen Risiken
aufzuklären.
38
39
40
Bei Beschreibung der Risiken wird die Wirkung des
Psychopharmakons auf
5 Teratogenität,
5 Perinatalsyndrome (Perinataltoxizität) und
5 postnatale Entwicklungs- und Verhaltensstörungen (Verhaltenstoxizität)
unterschieden. Es werden hier nur Beobachtungen
erwähnt, die auch Konsequenzen in der Verordnung
haben.
35.1
Antidepressiva
Während man bisher davon ausging, dass SSRI ohne
Risiko in der Schwangerschaft gegeben werden könnten, ist kürzlich eine Assoziation zwischen SSRIBehandlung nach der 20. Schwangerschaftswoche und
pulmonaler Hypertension beim Neugeborenen deutlich geworden. Eine solche Assoziation fand sich nicht
nach Einnahme von Amitriptylin, Imipramin, Nortriptylin, Venlafaxin oder Bupropion in der Schwangerschaft. Für Escitalopram und Fluvoxamin liegen noch
nicht genügend Daten vor, um eine Risikoabschätzung zu treffen.
Darüber hinaus fand sich eine Assoziation zwischen SSRI-Behandlung in der Schwangerschaft
und einer verkürzten Schwangerschaftsdauer, einem
geringeren Geburtsgewicht sowie einem schlechteren
Apgar-Wert. Der Zusammenhang mit dem ApgarWert fand sich jedoch nur bei Einnahme des SSRI im
3. Trimenon der Schwangerschaft. Auch zeigte sich
eine erhöhte intensivmedizinische Behandlungsnotwendigkeit für Neugeborene, deren Mütter im 3. Trimenon SSRI eingenommen hatten. Es gibt aber auch
Untersuchungen, die einen solchenZusammenhang
nicht finden.
Fazit
Pharmakotherapie mit Antidepressiva in der
Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
5 Durch die Ergebnisse der oben genannten Studie zur
Assoziation von SSRI-Behandlung von Schwangeren
nach der 20. Schwangerschaftswoche und pulmonaler Hypertension bei Neugeborenen muss die
Empfehlung zur Verordnung von Antidepressiva in
der Schwangerschaft weiter eingeengt werden.
5 Bei leichten und mittelschweren Depressionen sollte
auf die kognitive Verhaltenstherapie oder die interpersonelle Psychotherapie zurückgegriffen werden.
5 Bei der Auswahl des Antidepressivums sollte berücksichtigt werden, dass SSRI mit erhöhter Perinataltoxizität und einem erhöhten Risiko für eine pulmonale
Hypertension einhergehen können. Paroxetin sollte in
der Schwangerschaft nicht gegeben werden.
5 Werden die Risiken der Depression für die Mutter
höher als die Risiken für das Kind eingestuft und ist
somit eine Indikation für Antidepressiva gegeben,
283
35.4 · Antipsychotika
scheinen heute TZA unproblematischer als SSRI hinsichtlich erhöhter Perinataltoxizität und der Gefahr
der Entstehung einer pulmonalen Hypertension zu
sein. Da unter TZA bisher schon Nortriptylin wegen
der geringsten Nebenwirkungen innerhalb dieser
Gruppe der Vorzug gegeben wurde, könnte dieses
Präparat zzt. das Mittel der Wahl sein.
5 Diese vorsichtigen Empfehlungen sollten aber in keinem Fall dazu führen, dass depressiven Schwangeren
eine notwendige Therapie vorenthalten wird.
35.2
Lithium
5 Durch Einnahme von Lithium (7 Abschn. 6.4.1)
während der Schwangerschaft können kardiovaskuläre Fehlbildungen ausgelöst werden, selten
kann es auch zur Ausbildung einer Ebstein-Anomalie (Kombination aus Trikuspidalinsuffizienz,
offenem Ductus arteriosus und Hypoplasie des
rechten Ventrikels) kommen.
5 Auch das Frühgeburtsrisiko ist bei Schwangeren
unter Lithium erhöht.
5 Bei Behandlung der Mutter mit Lithium in den
letzten Schwangerschaftswochen zeigt das Neugeborene u. U. ein Floppy-infant-Syndrom: Lethargie, muskuläre Hypotonie, Hypothermie, Ateminsuffizienz, abgeschwächte Saugreflexe mit
Ernährungsstörungen. Eine Rückbildung ist
meist innerhalb von 1–2 Wochen zu erwarten.
Gelegentlich bei Neugeborenen beobachtete Strumen sind innerhalb einiger Monate reversibel.
5 Bei Einnahme von Lithium während der Stillzeit
werden beim Säugling Werte zwischen 10 und
50% der bei der Mutter erhobenen Spiegel gemessen. Folgen dieser Lithiumserumspiegel für das
Kind sind unbekannt.
Fazit
Pharmakotherapie mit Lithium in der Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
5 Frauen, die Lithium einnehmen, sollten aufgrund des
potenziell teratogenen Risikos grundsätzlich kontrazeptive Maßnahmen einleiten.
5 Bei geplanter Schwangerschaft ist eine Latenz von
2 Wochen zwischen Absetzen von Lithium und Konzeption notwendig.
5 Es sollte grundsätzlich versucht werden, im 1. Trimenon auf eine Behandlung mit Lithium zu verzichten.
5 Vom Stillen unter Lithium ist abzuraten.
35
5 Es ist daran zu denken, dass rasches Absetzen von
Lithium das Rezidivrisiko erhöht und möglicherweise
bei Wiederansetzen von Lithium keine Response
mehr zu erreichen ist.
35.3
Antikonvulsiva
5 Carbamazepin, Lamotrigin und Valproinsäure
müssen bei Einnahme im 1. Trimenon als teratogen betrachtet werden.
5 Das Risiko für Fehlbildungen bei Kindern epilepsiekranker Frauen, die während der Schwangerschaft Antikonvulsiva einnahmen, ist 2- bis 3fach gegenüber der Normalbevölkerung erhöht.
Carbamazepin- und Valproinsäureeinnahme
während des 1. Trimenons erhöht das Risiko für
Neuralrohrverschlussstörungen (Spina bifida)
und für Verschlussstörungen im Urogenitaltrakt
(Hypospadie). Eine Folsäuresubstitution ist indiziert.
Fazit
Pharmakotherapie mit Antikonvulsiva in der
Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
5 Auf Carbamazepin, Lamotrigin und Valproinsäure
sollte während der Schwangerschaft bei psychischen
Erkrankungen verzichtet werden.
5 Vom Stillen ist unter diesen Präparaten abzuraten.
5 Falls Antikonvulsiva dennoch verordnet werden
müssen, ist Folsäure zu geben.
35.4
Antipsychotika
5 Bisher gibt es keinen eindeutigen Nachweis teratogenen Potenzials und einer damit verbundenen
Zunahme von Fehlbildungen nach Antipsychotikaexposition. Aber nach pränataler Exposition
gegenüber Phenothiazinen (z. B. Chlorpromazin)
gibt es Berichte über das Auftreten von Fehlbildungen im Bereich der kardiovaskulären Organe,
des ZNS und des Skeletts.
5 Die Erfahrungen mit atypischen Antipsychotika
(AAP) in der Schwangerschaft sind begrenzt. Die
umfangreichsten Daten sind für Olanzapin publiziert; obwohl diese nicht auf erhöhte Fehlbildungsraten hinweisen, kann aufgrund der niedrigen Fallzahlen auch diese Substanz nicht als
284
21
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26
27
Kapitel 35 · Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit
unbedenklich gelten. In einer kleinen prospektiven Studie mit Olanzapin, Quetiapin und Risperidon in der Schwangerschaft fanden sich keine
Hinweise auf erhöhte Fehlbildungsraten. Für die
anderen AAP liegen nur Einzelfallberichte vor.
5 Auf eine ausreichende Zufuhr an Folsäure ist
besonders bei Patienten, die unter AAP an
Gewicht zunehmen, zu achten.
5 Bei Neugeborenen, deren Mütter während der
Schwangerschaft konventionelle Antipsychotika eingenommen haben, muss mit EPS gerechnet
werden, die sich nach einigen Tagen zurück bilden. Perinatalsyndrome wurden jedoch auch bei
Gabe von Olanzapin berichtet. Clozapin ist kontraindiziert.
5 Antipsychotika können in unterschiedlichem
Umfang in die Muttermilch übergehen. Daher ist
bei Behandlung mit Antipsychotika vom Stillen
abzuraten.
30
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33
34
35
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37
Fazit
Pharmakotherapie mit Antipsychotika in der
Schwangerschaft und Stillzeit – Bewertung
5 Auf Antipsychotika im 1. Trimenon sollte verzichtet
werden.
5 Muss eine Behandlung während der Schwangerschaft durchgeführt werden, sollte ca. 14 Tage vor
dem erwarteten Geburtstermin ein Absetzversuch
bzw. zumindest eine Dosisreduktion angestrebt
werden, um das Risiko für EPS beim Neugeborenen
zu verringern. Bei zwingender Notwendigkeit ist am
ehesten eine niedrig dosierte Therapie mit Haloperidol durchzuführen, da hier die größten klinischen
Erfahrungen vorliegen. Wenn ein AAP verordnet
werden soll, erscheint Olanzapin zzt. am wenigsten
risikoreich.
5 Vom Stillen unter Antipsychotika ist abzuraten.
5 Auf die Gabe des Antiparkinsonmittels Biperiden
sollte in der Schwangerschaft verzichtet werden, da
die Substanz als zumindest gering teratogen einzuschätzen ist.
38
35.5
39
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5
5
5
28
29
5
Benzodiazepine und NonBenzodiazepinhypnotika
5 Eine definitive Aussage zur Teratogenität von
Benzodiazepinen, besonders bei Gabe im 1. Trimenon, kann zzt. nicht gemacht werden. Vor
allem in älteren Untersuchungen gibt es Hinweise
auf das gehäufte Auftreten von Gesichtsspalten.
Clonazepam wird hinsichtlich des teratogenen
Risikos gegenwärtig als am wenigsten bedenklich
eingeschätzt.
Bei Neugeborenen kann es zum Floppy-infantSyndrom (7 Abschn. 35.2) kommen. Auch Entzugssyndrome kommen beim Neugeborenen
nach längerer Benzodiazepineinnahme durch die
Mutter vor. Diese Symptome halten meist nur
wenige Stunden oder Tage an, sie können jedoch
bis zu mehreren Wochen persistieren. Langwirksame Benzodiazepine mit aktiven Metaboliten
sind als besonders bedenklich einzuschätzen, da
sie im Fetus wegen des unzureichenden Stoffwechsels kumulieren können.
Benzodiazepine gehen in die Muttermilch über;
die beschriebenen Spiegel sind in der Regel allerdings sehr niedrig.
Klinische Untersuchungen zeigen unterschiedliche Ergebnisse hinsichtlich Entwicklungsverzögerungen. Häufig findet sich bei retardierter Entwicklung der Kinder bei den Müttern neben der
Einnahme von Benzodiazepinen ein Missbrauch
von Alkohol oder Drogen.
Fazit
Pharmakotherapie mit Benzodiazepinen und
Non-Benzodiazepinen in der Schwangerschaft und
Stillzeit – Bewertung
5 Benzodiazepe im 1. Trimenon sollten aufgrund
des nicht auszuschließenden teratogenen Risikos
vermieden werden. Im 2. Trimenon scheinen geringe
Gaben von Benzodiazepinen keine Komplikationen
hervorzurufen.
5 Da die Metabolisierungskapazitäten beim Säugling
nicht ausgereift sind, muss mit ausgeprägten Benzodiazepinwirkungen (Sedierung, Lethargie, Trinkschwierigkeiten) gerechnet werden. Da Benzodiazepine jedoch nur in geringem Maße in die Muttermilch
übergehen, raten einige Autoren dennoch nicht
prinzipiell vom Stillen ab.
5 Für die Non-Benzodiazepinhypnotika liegen nur
wenige Daten vor; sie sollten in Schwangerschaft und
Stillzeit nicht gegeben werden.
35.6 · Checkliste
35.6
Checkliste
?
1.
2.
3.
4.
Was ist bei der Behandlung einer Depression
in der Schwangerschaft zu bedenken?
Welche Antipsychotika haben in der
Schwangerschaft nach dem derzeitigen
Wissensstand das geringste Risiko?
Was ist bei einer Behandlung mit Lithium in
der Schwangerschaft und in der Stillzeit zu
beachten?
Welche Risiken beinhaltet die Gabe von Benzodiazepinen in der Schwangerschaft und in
der Stillzeit?
285
35
287
36.1 ·
36
Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit
36.1
Checkliste
– 290
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Kapitel 36 · Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit
Fahrtüchtigkeit, Alltagsicherheit und Reaktionsfähigkeit können durch psychische Krankheiten und durch
Psychopharmaka beeinträchtigt werden. Deshalb
müssen mögliche Änderungen dieser Eigenschaften
stets abgeschätzt werden, um Einschränkungen durch
eine eingeleitete Psychopharmakotherapie frühzeitig
zu erkennen. Im Vordergrund dieser Ausführungen
steht die Fahrtüchtigkeit. Diese, die Reaktionsfähigkeit und die Alltagssicherheit werden von Psychopharmaka im gleichen Sinne beeinflusst.
Es gibt deshalb im Umgang mit Psychopharmaka einige Regeln:
5 In der Ein- oder Umstellungsphase mit sedierenden Psychopharmaka muss in der Regel die Fahrtüchtigkeit für mindestens ca. 14 Tage verneint
werden. Diese Zeitspanne kann im Einzelfall
erheblich länger sein.
5 Eine stabile Erhaltungstherapie wird in der Regel
die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen
nicht beeinflussen. Die Einnahme von Benzodiazepinen, sedierenden Antidepressiva oder Antipsychotika hingegen kann die Fahrtüchtigkeit auch
langfristig beinträchtigen.
Bei einigen Erkrankungen, die von sich aus die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen
können, kann erst durch die Arzneimittelbehandlung
die Voraussetzung zum Führen von Kraftfahrzeugen
wieder erreicht werden. Entscheidend bleibt jedoch
auch hier, ob eine Arzneimitteltherapie zu einer
wesentlichen Beeinträchtigung der psychophysischen
Leistungsfähigkeit führt. Bei Unsicherheit in dieser
Frage kann ggf. eine verkehrsmedizinische Untersuchung unter Einbeziehung objektiver Leistungstests
erfolgen.
Wichtig
35
36
37
38
39
40
5 Über eine mögliche Beeinträchtigung der
Fahrtüchtigkeit durch Psychopharmaka
sowie über mögliche Interaktionen mit
anderen Arzneimitteln, besonders mit
Alkohol, muss der Patient vor Teilnahme am
Straßenverkehr stets aufgeklärt werden. Die
Inhalte der Aufklärung sollten im Krankenblatt dokumentiert werden.
5 Dem Patienten muss eine Mitverantwortung
und Entscheidungskompetenz zugewiesen
werden.
Das Gutachten »Krankheit und Kraftverkehr« (zuletzt
2000 vom Gemeinsamen Beirat für Verkehrsmedizin
von den Bundesministerien für Verkehr und Gesundheit unter dem neuen Titel »Begutachtungsleitlinien
zur Kraftfahrteignung« herausgegeben), beinhaltet
Grundlagen zur medizinischen Beurteilung der Fahreignung. Es ist eine Stellungnahme, die im Einzelfall,
aber nicht für jeden Patienten Gültigkeit haben kann.
Sinngemäß enthalten die »Begutachtungsleitlinien zur
Kraftfahrteignung« u. a. folgende Leitsätze zu psychiatrischen Grunderkrankungen:
5 Bei jeder schweren Depression, die z. B. mit
Wahn, stuporösen Symptomen oder akuter Suizidalität einhergeht, und bei allen manischen Phasen sind die Voraussetzungen zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen nicht gegeben, ebenso
wenig wie in akuten Stadien schizophrener Episoden, bei Demenz oder bei organischen Psychosen wie einem Delir oder einem Korsakow-Syndrom.
5 Grundsätzlich werden nach Abklingen der Akutsymptomatik Überprüfungen der Fahrtauglichkeit empfohlen. Die Eignung zur aktiven Wiederteilnahme am Straßenverkehr setzt allerdings
symptomfreie Intervalle voraus. Diese differieren
je nach Grunderkrankung erheblich, z. B. kann
in der Regel nach einer ersten schweren psychotischen Episode nach 6-monatiger Symptomfreiheit die Fahrerlaubnis wiedererlangt werden.
Besonders günstige Krankheitsverläufe rechtfertigen eine Verkürzung dieser Zeit.
. Tabelle 36.1 gibt einen Überblick über die Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit.
Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit
289
36
. Tab. 36.1. Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit unter Psychopharmaka
Psychopharmaka
Eigenschaften
Einfluss auf Fahrtüchtigkeit
Antidepressiva
Sedierend (z. B. Amitriptylin, Doxepin,
Mirtazapin)
Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung
und in den ersten 2 Wochen nach Erreichen der Zieldosis eingeschränkt; Beeinträchtigung auch während Erhaltungstherapie möglich
Nichtsedierend (z. B. Desipramin,
Duloxetin, MAO-Hemmer, Nortriptylin,
Reboxetin, SSRI, Venlafaxin)
Fahrtüchtigkeit oft nicht eingeschränkt;
Beeinträchtigung kann im Einzelfall
jedoch auch längerfristig fortbestehen
Zu Beginn der Behandlung Sedierung
und Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit, orthostatische Dysregulation
(besonders Phenothiazine mit aliphatischer Seitenkette, z. B. Levopromazin)
Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung
und in den ersten 2 Wochen nach Erreichen der Zieldosis eingeschränkt; Beeinträchtigung auch während Erhaltungstherapie möglich
Sedierender Effekt bei Clozapin,
Olanzapin und Quetiapin kann länger
anhaltend sein
Bei Clozapin, Olanzapin und Quetiapin
muss mit längerer Einschränkungszeit
gerechnet werden
Benzodiazepine
(auch Non-Benzodiazepinhypnotika)
Sedierend, Konzentrationsstörung und
Funktionsstörungen der Muskulatur
bekannt, Amnesie möglich
Fahrtüchtigkeit in Einstellungsphase und
Erhaltungstherapie dosisabhängig eingeschränkt; bei längerer Halbwertszeit
Hang-over möglich
Dopamin-Agonisten
(Levodopa, Pramipexol,
Ropinirol)
Übermäßiger Schläfrigkeit; gelegentlich
plötzliches Einschlafen, auch ohne vorherige Warnzeichen
Es muss mit längeren Einschränkungen
gerechnet werden
Opioid-Agonisten
(Buprenorphin, Methadon)
Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel
Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung
und in den ersten Wochen nach Dosisstabilisierung eingeschränkt; Beeinträchtigung auch während stabiler Dosis möglich
Antipsychotikaa
Stimmungsstabilisierer
a
5 Carbamazepin
Bei Therapiebeginn Benommenheit,
Schwindel, ataktische Störungen und
Müdigkeit bekannt
5
Lamotrigin
Oft verschwommenes Sehen, Schwindel und Müdigkeit, auch Reizbarkeit;
Tremor und Ataxie
5
Lithium
Als initiale Nebenwirkungen leichte
Müdigkeit und feinschlägiger Tremor
bekannt
5
Valproinsäure
Bei Therapiebeginn Sedierung, Tremor
und ataktische Störungen bekannt
Fahrtüchtigkeit während Aufdosierung
eingeschränkt; Beeinträchtigung auch
während Erhaltungstherapie möglich
Konventionelle Antipsychotika beeinträchtigen die Fahrtüchtigkeit i.d.R. stärker als atypische Antipsychotika.
290
Kapitel 36 · Psychopharmaka und Fahrtüchtigkeit
36.1
Checkliste
21
?
22
1.
23
2.
24
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40
3.
Welchen Effekt haben Antidepressiva auf die
Fahrtüchtigkeit?
Was ist bei der Gabe von Antipsychotika in
Bezug auf die Fahrtüchtigkeit zu beachten?
Welche Auswirkung hat die Gabe von Benzodiazepinen auf die Fahrtüchtigkeit?
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate
Anhang
A1
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und
die entsprechenden Präparate – 292
A2
Antworten zu den Checkfragen – 295
Literatur
– 311
Diagnoseverzeichnis
– 321
Pharmakaverzeichnis
– 323
Sachverzeichnis
– 325
291
A1
292
A1
22
A1 · Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe
und die entsprechenden Präparate
23
Chemische
Kurzbezeichnung
Handelsname
Chemische
Kurzbezeichnung
Handelsname
24
Acamprosat
Campral®
Haloperidol
Haldol
Alprazolam
Tafil®
Hydroxyzin
Atarax®
Amisulprid
Solian®
Hyperikumextrakt
(diverse Präparate)
Amitriptylin
Saroten®
Imipramin
Tofranil®
Aripiprazol
Abilify®
Lamotrigin
Elmendos®, Lamictal®
Atomoxetin
Strattera®
Levomethadon
L-Polamidon®
Buprenorphin
Subutex®
Lithiumsalze
Bupropion
Elontril®1, Zyban®2
Quilonum retard®
(Lithiumcarbonat)
Lorazepam
Tavor®
Buspiron
Bespar®
Lormetazepam
Carbamazemin
Tegretal®, Timonil®
Noctamid®; Ergocalm
Tabs®
Chloralhydrat
Chloraldurat 500®
Lorprazolam
Sonin®
Chlordiazepoxid
Librium®
Melperon
Eunerpan®
Citalopram
Cipramil®, Sepram®
Memantin
Axura®, Ebixa®
Clomethiazol
Distraneurin®
Methadon
Methaddict®
Clomipramin
Anafranil®
Methylphenidat
Clonazepam
Rivotril®
Equasym®, Medikinet®,
Medikinet retard®,
Ritalin®, Concerta®,
Clozapin
Leponex®
Milnacipran
Dalcipran®
Cyproteronacetat
Androcur®
Mirtazapin
Remergil®
Diazepam
Valium®
Moclobemid
Aurorix®
Diphenhydramin
Dolestan®
Modafinil
Vigil®
Donepezil
Aricept®
Naltrexon
Nemexin®
Duloxetin
Cymbalta®
Natriumoxybat
Xyrem®
Escitalopram
Cipralex®
Nortriptylin
Nortrilen®
Fluoxetin
Fluctin®
Olanzapin
Zyprexa®
Flupentixol
Fluanxol®
Opipramol
Insidon®
Flurazepam
Dalmadorm®
Orlistat
Xenical®
Fluvoxamin
Fevarin®
Oxazepam
Adumbran®
Galantamin
Reminyl®
Paliperidon
Invega®
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1
als Antidepressivum; 2 als Mittel zur Raucherentwöhnung
Übersicht über die erwähnten Wirkstoffe und die entsprechenden Präparate
Chemische
Kurzbezeichnung
Handelsname
Paroxetin
Seroxat®, Tagonis®
Pipamperon
Dipiperon®
Pregabalin
Lyrica®
Propranolol
Dociton®
Quetiapin
Seroquel®
Reboxitin
Edronax®
Rimonabant
Acomplia®
Risperidon
Risperdal®
Rivastigmin
Exelon®
Sertralin
Gladem®, Zoloft®
Sibutramin
Reductil®
Sildenafil
Viagra®
Tadalafil
Cialis®
Temazepam
Remestan®
Triazolam
Halcion®
Trimipramin
Stangyl®
Valproinsäure
Ergenyl chrono®,
Orfiril long®
Vardenafil
Levitra®
Vareniclin
Champix®
Venlafaxin
Trevilor® retard
Zaleplon
Sonata®
Ziprasidon
Zeldox®
Zolpidem
Stilnox®
Zopiclon
Ximovan®
293
A1
295
A2
Antworten zu den Checkfragen
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 1
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 2
1. Pharmakon mit therapeutisch nützlicher Wirkung.
2. Ein Fertigarzneimittel ist ein Arzneimittel aus
industrieller Fertigung.
3. Therapeutische Breite bezeichnet den Quotienten
LD50/ED50, d. h. das Verhältnis der Dosis, bei der
50% der Versuchstiere sterben, zur Dosis, bei der
50% des therapeutischen Effektes erzielt werden.
4. Phase III einer klinischen Prüfung umfasst kontrollierte Studien (randomisiert, verblindet) zum
Nachweis der Wirksamkeit und Überprüfung der
Sicherheit an vielen Patienten mit gut definierten
Einschluss- und Ausschlusskriterien.
5. Bei pharmakokinetischer Toleranz findet eine
Induktion arzneimittelmetabolisierender Enzyme
statt. Dadurch wird der Abbau der Wirksubstanz
beschleunigt. Es muss eine höhere Dosis gewählt
werden.
6. Kein Risiko der Entwicklung einer pharmakodynamischen Toleranz besteht bei den meisten
im therapeutischen Einsatz befindlichen Psychopharmaka, z. B. Antidepressiva, Antipsychotika,
Antidementiva. Ausnahme sind Benzodiazepine,
Opioide, Amphetamine.
7. Diagnosestellung, Schweregrad der Erkrankung,
Dauer der Erkrankung, medikamentöse Vorbehandlungen, Besonderheiten, die sich auf die
Pharmakokinetik auswirken, Besonderheiten,
die sich auf die Pharmakodynamik auswirken,
Suchtanamnese, Wirkprofil des Psychopharmakons, Nebenwirkungen und Kontraindikationen des Psychopharmakons, mögliche Wechselwirkungen des Psychopharmakons mit anderen
Medikamenten, Aufklärung des Patienten über
Dosis, Wirkung und mögliche Nebenwirkungen.
8. Eine Erhaltungstherapie ist oft notwendig zur
Verhinderung eines Rückfalls, insbesondere wenn in der Vorgeschichte mehrere Episoden
vorkamen.
9. Neuere Studien haben gezeigt, dass die Besserung
in einer frühen Phase das spätere Ansprechen
oder Nichtansprechen vorhersagt.
1. Absorption, Distribution, Metabolisierung,
Exkretion
2. Zusammenfassung von Metabolisierung und
Exkretion
3. Verteilungsvolumen Quotient der Pharmakonkonzentration im Körper zur Konzentration im
Plasma
4. Die CYP-Isoenzyme 1A2, 2C9, 2C19, und 3A4
5. CYP1A2
6. Paroxetin, Fluoxetin
7. Metabotrope und ionotrope Rezeptoren
8. Tranylcypromin ist ein irreversibler Hemmstoff
von Monoaminoxidase
9. Medikamente wirken über einen Rezeptor
10. Vermeidung von Intoxikationen (z. B. Lithium),
Verdacht auf Nichteinnahme der verordneten
Medikamente, kein oder ungenügendes Ansprechen bei klinisch üblicher Dosis, ausgeprägte
Nebenwirkungen bei klinisch üblicher Dosis,
Verdacht auf Arzneimittelinteraktionen, Kombinationsbehandlung mit einem Medikament
mit bekanntem pharmakokinetischem Interaktionspotenzial, Rezidiv unter Erhaltungsdosis,
bekannte pharmakogenetische Besonderheiten,
Kinder und Jugendliche, Alterspatienten über
65 Jahre
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 3
1. Die Aufklärung des Patienten beinhaltet Information über Dosis, zu erwartende therapeutische Effekte und unerwünschte Wirkungen. Der
Patient soll verstehen, dass eine medikamentöse
Behandlung notwendig ist.
2. Die Therapieentscheidung und die Aufklärung
des Patienten sollen auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen beruhen.
3. Primärliteratur umfasst die Veröffentlichungen
von Forschungsergebnissen in Journalen in Form
der Originalarbeiten.
4. Zu bevorzugen sind immer Publikationen in
Journalen mit Gutachtersystem.
5. SPC bedeutet »Summary of Product Characteristics«. Den SPC entsprechen in Deutschland die
Fachinformationen. Sie müssen für jedes Arzneimittel nach gesetzlicher Auflage vom Hersteller
296
21
A2
6.
23
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7.
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8.
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9.
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31
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33
34
A2 · Antworten zu den Checkfragen
des Arzneimittels verfasst werden. Sie beschreiben die wesentlichen präklinischen und klinischen Eigenschaften des Arzneimittels.
Die Cochrane-Datenbank liefert für den Therapeuten Information auf der Grundlage der evidenzbasierten Medizin. Über sie wird der aktuelle Stand des Wissens der klinischen Forschung
in kurzer Zeit verfügbar gemacht. Damit sollen
Entscheidungen im Gesundheitssystem verbessert werden.
Über den PubMed-Service, ein weltweit frei
zugänglicher Service der National Library of
Medicine in den USA, kommt man über das
Internet zu Zusammenfassungen (Abstracts)
von Originalarbeiten oder Übersichtsartikeln
(Reviews).
Bei der Angabe »gelegentlich« ist in mindestens
0,1% der Verordnungen mit der entsprechenden
Nebenwirkung zu rechnen.
Es handelt sich um eine unerwünschte schwerwiegende Wirkung. Sie ist an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ)
zu melden, auch im Verdachtsfall.
3.
4.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 4
1. Bei schweren Depressionen, psychotischen Symptomen oder schweren Zwangsstörungen ist oft
erst nach dem Wirkeintritt einer Pharmakotherapie ein psychotherapeutischer Zugang zu den
Patienten möglich.
2. Bei psychotischen Symptomen, Schizophrenien,
schweren Depressionen, Manien und akuter Suizidalität besteht eine klare Indikation für eine
Psychopharmakotherapie.
5.
35
36
37
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39
40
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 5
1. Auf der Basis der Serotonin-Noradrenalinhypothese erfolgte eine intensive Forschung in der
biologischen Psychiatrie mit dem Ziel Medikamente zu entwickeln, die gezielt die Neurotransmitterkonzentration im synaptischen Spalt beeinflussen und dadurch antidepressiv wirken. Die
Blockade der Inaktivierungsmechanismen für
die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin stellt einen wichtigen Angriffspunkt für viele
Antidepressiva dar.
2. Die selektiven Serotoninrückaufnahmehemmer
sind nebenwirkungsärmer als die MAO-Hemmer
und TZA, außerdem sind sie weniger toxisch im
6.
Falle einer versehentlichen Überdosierung oder
bei Einnahme in suizidaler Absicht.
Bei den neuen dualen Antidepressiva wird versucht neben der möglichst selektiven Aktivierung
des Serotoninsystems ein zweites Neurotransmittersystem – meist das noradrenerge System –
selektiv zu aktivieren und dadurch eine verbesserte antidepressive Wirkung zu erreichen bei
gleichzeitig möglichst guter Verträglichkeit.
Der Neurotransmitter oder meist seine Vorstufe wird ins Neuron aufgenommen. Der Neurotransmitter wird an die Nervenendigungen transportiert und in Vesikeln gespeichert. Bei einem
Aktionspotenzial erfolgt ein Ca2+-Einstrom,
der Neurotransmitter wird in den synaptischen
Spalt freigesetzt. Die Syntheserate und die Menge des freigesetzten Neurotransmitters kann
durch präsynaptische Auto- bzw. Heterorezeptoren reguliert werden. Nach Diffusion reagiert
der Neurotransmitter mit Rezeptoren auf der
postsynaptischen Seite. Verschiede Mechanismen
führen zur Inaktivierung des Transmitters: Aufnahme in das präsynaptische Neuron; Aufnahme in das postsynaptische Neuron und in synapsenbegleitende Gilazellen und Abbau des Transmitters. Die Blockade dieser Inaktivierungsmechanismen ist ein wichtiger Angriffspunkt für
Antidepressiva. Viele Antidepressiva blockieren
die neuronale Wiederaufnahme der Transmitter
NA und Serotonin. Inhibitoren des in den Mitochondrien lokalisierten Enzyms Monoaminoxidase (MAO) hemmen den Abbau aminger Transmitter. Auf der postsynaptischen Seite besetzen
die freigesetzten Neurotransmitter Rezeptoren,
dadurch werden Signale ausgelöst und in das
rezeptive Neuron weitergeleitet.
Antidepressiva entfalten ihre volle Wirkung erst
nach einer Latenz von Tagen bis Wochen. Dies ist
der Fall obwohl die Veränderung der chemischen
Neurotransmission und -transduktion im ZNS
unter der Gabe von Antidepressiva sehr schnell
erfolgt. Deshalb ist die Vorstellung entstanden,
dass die akuten pharmakologischen Effekte nicht
den eigentlichen Wirkungsmechanismus der
Antidepressiva darstellen, sondern dass adaptive Veränderungen an den Rezeptoren (Veränderungen der Rezeptorendichte und der Funktionalität) auf der postsynaptischen Seite angestoßen
werden, die schließlich zu der antidepressiven
Wirkung führen.
Mit einer antidepressiven Wirkung ist nach einer
Wirklatenz von ca. 2 Wochen zu rechnen; nach
4−8 Wochen sollte ein voller Wirkungseintritt
297
Antworten zu den Checkfragen
7.
8.
9.
10.
feststellbar sein. Ziel ist die vollständige Remission. Typischerweise treten aber mögliche Nebenwirkungen besonders am Anfang einer Behandlung mit Antidepressiva auf und bessern sich später häufig. Für die Behandlung von depressiven
Patienten, insbesondere bei Suizidalität, bedeutet
dies, dass zu Beginn einer antidepressiven Therapie oft vorübergehend auch Benzodiazepine
(Anxiolytika) verabreicht werden um die Phase
der Wirklatenz zu überbrücken.
Bei akuter Suizidalität sollte zusätzlich zu der
antidepressiven Behandlung und stützenden
Gesprächen sowie engmaschiger Beobachtung
auch die Gabe eines Benzodiazepins zur akuten
Entlastung und Anxiolyse erwogen werden. Das
Suizidrisiko ist besonders bei Patienten erhöht,
bei denen der Antrieb gesteigert, aber die Stimmungsaufhellung noch nicht eingetreten ist. Die
meisten der modernen Antidepressiva haben keine sedierenden Eigenschaften mehr und können
damit Gefühle der inneren Unruhe und Getriebenheit, die von den Patienten als sehr quälend
erlebt werden, nicht ausreichend abfangen.
Bei den TZA kommen häufig Mundtrockenheit,
Akkomodationsstörungen, orthostatische Dysregulation, Sedierung und Gewichtszunahme
vor. Bei den SSRI klagen Patienten besonders in
der Anfangsphase öfter über Übelkeit, Erbrechen
und Diarrhö, Schwitzen, Kopfschmerzen sowie
Agitation und Schlafstörungen. Bei den dualen
Antidepressiva Duloxetin und Venlafaxin stehen
gastorintestinale Beschwerden im Vordergrund
und bei Mirtazapin tritt Gewichtszunahme auf.
Oft wird unter einer Behandlung mit Antidepressiva über sexuelle Funktionsstörungen berichtet.
Es ist wichtig mit Patienten über mögliche
Nebenwirkungen zu sprechen, im Verlauf der
Behandlung wiederholt danach zu fragen und
ggf. Verhaltensänderungen zu initiieren, z. B.
beim Essverhalten, und ggf. nach Behandlungsalternativen zu suchen um die Compliance nicht
zu gefährden.
Antidepressiva werden auch zur Behandlung von
Angststörungen wie sozialer Phobie, generalisierter Angst, PTSD und Panikstörung mit und
ohne Agoraphobie eingesetzt sowie bei Zwangsstörungen, Bulimie und zur Behandlung von
Schmerzsyndromen.
Beim plötzlichen Absetzen von Antidepressiva können Symptome wie Schwindel, Gangunsicherheit, Übelkeit, Erbrechen, grippeähnliche
Symptome, sensible Störungen, Schlafstörungen,
Irritabilität, gedrückte Stimmung, Unruhe sowie
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Konzentrations- und Gedächtnisstörungen bis
hin zur Verwirrtheit auftreten. Antidepressiva
sollten deswegen allmählich abgesetzt werden.
SSRI sind deutlich besser verträglich als TZA.
TZA haben das höchste Risiko für kardiale
Nebenwirkungen (arrhythmogen) und cholinerge
zentralnervöse Nebenwirkungen, die bis zum
Delir führen können. Bei der häufig bestehenden
internistischen Begleitmedikation sind die Präparate zu wählen, die ein niedriges Interaktionspotenzial haben. Auch die dualen Antidepressiva
Mirtazapin und Venlafaxin sind im höheren Alter
gut verträglich.
Bei Depressionen mit Schlafstörungen ist Mirtazapin das Mittel der Wahl, es lässt sich zur Augmentation gut mit SSRI oder SNRI kombinieren. In niedriger Dosierung ist es auch geeignet
zur Schlafinduktion bei Schlafstörungen ohne
depressive Symptomatik.
In einzelnen Studien waren Johanniskrautpräparate Placebos bei leichter und mittelschwerer
Depression überlegen. Derzeit gibt es noch viele
Unsicherheiten bez. der Wirksamkeit im Vergleich mit Standardantidepressiva. Johanniskrautpräparate haben ein beträchtliches Interaktionspotenzial mit anderen Medikamenten, das oft
unterschätzt wird.
Kinder und Jugendliche mit depressiven Syndromen sollten mit einem SSRI behandelt werden,
allerdings besteht nur für Fluoxetin ein Wirksamkeitsnachweis. Fluoxetin ist ab dem Alter von
8 Jahren bei mittelgradigen bis schweren Episoden einer Major Depression zugelassen, wenn
im Vorfeld durch 4–6 psychotherapeutische Sitzungen keine Verbesserung der Symptomatik
erzielt werden konnte. Eine engmaschige
therapeutische Betreuung ist wegen der möglichen Suizidalität unter SSRI unbedingt nötig
(7 Abschn. 5.6 u. 5.12).
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 6
1. Stimmungsstabilisierer sind nach den neuesten
Therapiekonzepten die Basis der Behandlung der
bipolaren affektiven Störung. Durch sie soll die
Stimmung langfristig ausgeglichen werden und es
sollen sowohl depressive als auch manische Symptome behandelt werden. Sie werden in der Akutbehandlung und zur Phasenprophylaxe eingesetzt.
2. Als Stimmungsstabilisierer sind Lithium, Antikonvulsiva (Valproinäure, Carbamazepin, Lamo-
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trigin) und atypische Antipsychotika (Olanzapin,
Quetiapin) indiziert.
Adjuvant können in depressiven Phasen – falls
die depressive Symptomatik mit Stimmungsstabilisieren alleine nicht zu behandeln ist – Antidepressiva (keine TZA) eingesetzt werden. Allerdings wird diskutiert, ob Antidepressiva, insbesondere TZA manische Phasen induzieren und/
oder die Phasenfrequenz erhöhen können.
In manischen Phasen können adjuvant Antipsychotika und Benzodiazipine verabreicht werden.
Eine Therapie der bipolaren affektiven Störung
mit Stimmungsstabilisieren stellt ein langfristiges
Behandlungskonzept dar. Stimmungsstabilisierer sollen unabhängig von der akuten Symptomatik kontinuierlich eingenommen werden, also
auch in symptomfreien Phasen. Dies verlangt
eine gute Compliance. Insbesondere bei Absetzen
von Lithium ist das Rückfallrisiko wahrscheinlich
höher als im naturalistischen Verlauf.
Wichtigste Indikationen für Stimmungsstabilisierer sind:
– Manische Episode
– Manische, depressive oder gemischte Episode bei bipolarer affektiver Störung sowie die
Phasenprophylaxe
– Akutbehandlung und Phasenprophylaxe des
Rapid Cyclings
– Phasenprophylaxe bei der schizoaffektiven
Störung
– Phasenprophylaxe bei der rezidivierenden
unipolaren Depression
Die Lithiumdosierung bei Kindern und Jugendlichen muss teilweise höher sein als bei Erwachsenen, da Lithium bei Kindern und Jugendlichen
aufgrund der besseren Nierenfunktion schneller
ausgeschieden wird.
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Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 7
1. Unter AAP werden Antipsychotika zusammengefasst, die im Vergleich mit den konventionellen
Antipsychpotika folgende Charkteristika aufweisen sollen:
– gute antipsychotische Wirksamkeit
– weniger extrapyramidale Symptomatik (EPS)
– Wirksamkeit bei Negativsymptomatik
– Wirksamkeit bei Therapieresistenz
– geringere Prolaktinerhöhungen
2. Die Wirksamkeit von Antipsychotika ist gesichert
bei
– schizophrenen und schizoaffektiven Störungen,
– bipolaren affektiven Störungen (Akutbehandlung der Manie, Phasenprophylaxe),
– psychotische Depression (in Kombination
mit Antidepressiva),
– Schmerzsyndromen,
– Neurologische Erkrankungen (z. B. Tic-Störungen)
Als Begleittherapie werden sie eingesetzt bei
– Persönlichkeitsstörungen
– Zwangsstörungen
– Angststörungen
– anderen organischen Psychosen (z. B. Alkoholpsychose)
– nichtpsychotischer Depression
Außerdem werden sie in Notfallsituationen bei
psychomotorischen Erregungszuständen eingesetzt.
3. Neben den oralen Antipsychotika gibt es Depotpräparate mit Injektionsintervallen von 1‒
4 Wochen. Sie gewährleisten eine ausreichende
Behandlung bei Patienten, die nicht in der Lage
sind, orale Medikation regelmäßig und kompliant
einzunehmen und verringern dadurch das Rückfallrisiko.
4. Bei den konventionellen Antipsychotika spielen EPS wie Frühdyskinesien und das Parkinsonoid mit Hypomimie, kleinschrittigem Gang
und Rigor eine wichtige Rolle. Außerdem können
Akathisie (Sitz-und Stehunruhe), Spätdyskinesien
sowie selten ein malignes neuroleptisches Syndrom auftreten.
5. Auch bei den AAP treten zahlreiche Nebenwirkungen auf, besonders wichtig ist das metabolische Syndrom mit Gewichtszunahme, pathologische Glukosetoleranz, Diabetes mellitus und
Hyperlipidämie. Es ist ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entstehung von Herz-KreislaufErkrankungen.
6. Als wirksamstes Antipsychotikum bei therapieresistenten schizophrenen Störungen im Kindesund Jugendalter hat sich Clozapin erwiesen. In
kontrollierten Studien war Clozapin gegenüber
Haloperdiol sowie Olanzapin überlegen.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 8
1. Benzodiazepine sind in der Akuttherapie psychiatrischer Erkrankungen, z. B. bei akuten
Antworten zu den Checkfragen
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Angstzuständen oder Suizidalität, unverzichtbar. Bei längerfristiger Verordnung sind sie in
einen Gesamtbehandlungsplan einzubinden. Bei
Abhängigkeitserkrankungen sollte – außer in
Notfallsituationen – auf Benzodiazepine verzichtet werden. Das Abhängigkeitsrisiko steigt mit
zunehmender Dosis und der Dauer der Einnahme. Die Behandlungsdauer sollte auf 4‒6 Wochen
beschränkt bleiben. Um Entzugssymptome zu
vermeiden ist ein langsames Absetzen von Benzodiazepinen notwendig.
Benzodiazepine sind hochwirksam, sie wirken
schnell und zuverlässig und haben eine große
therapeutische Breite.
Benzodiazepine werden nosologieübergreifend
eingesetzt. Die Zielsymptome sind Angst, innere Unruhe, muskuläre Spannung, Hypervigilanz, Schlafstörungen, katatone, mutistische oder
stuporöse Zustände sowie unerwünschte Wirkungen von Antipsychotika wie Akathisie und
Spätdyskinesien. Sie werden in vielen Notfallsituationen eingesetzt, bei psychiatrischen Erkrankungen, aber auch bei internistischen Erkrankungen wie z. B. beim akuten Herzinfarkt.
Benzodiazepine haben ein Abhängigkeitsrisiko; bei der anxiolytischen Wirkung tritt aber –
im Gegensatz zu der sedierenden Komponente ‒ kaum eine Toleranzentwicklung ein. Sie treten in Wechselwirkung mit Alkohol. Sie können zu Müdigkeit bis zur Sedation führen sowie
zu Koordinationsstörungen und Störungen des
Kurzzeitgedächtnisses.
Wenn somatische Symptome im Vordergrund
stehen (Zittern, Schwitzen), z. B. bei spezifischen
Phobien wie Prüfungsangst oder Flugangst, können auch β-Rezeptorenblocker als Anxiolytika
eingesetzt werden.
Die wichtigste Medikamentengruppe zur längerfristigen Behandlung von Angststörungen
sind Antidepressiva, ihr Vorteil gegenüber den
Benzodiazepinen liegt im fehlenden Abhängigkeitspotenzial, ihr Nachteil in der Wirklatenz.
Bei älteren Menschen sind oft geringerer Dosen
von Benzodiazepinen notwendig als bei jüngeren
Menschen. Bei langwirksamen Benzodiazepinen
besteht die Gefahr der Kumulation mit Schwindel, Koordinationsstörungen, Ataxie und sich
daraus ergebener Sturzgefahr. Es können paradoxe Reaktionen auf die Gabe von Benzodiazepien auftreten mit Erregungsphänomenen wie
Agitiertheit, Euphorisierung, Erregungszuständen, Schlaflosigkeit und Aggressivität.
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8. Bei der Gabe von Benzodiazepinen muss über die
Gefahr der Entstehung einer Abhängigkeit informiert werden, insbesondere dann, wenn eine
Behandlung in hoher Dosierung und über einen
längeren Zeitraum notwendig ist. Unter Benzodiazepinen ist die Reaktionsgeschwindigkeit verlängert, die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt sowie
die Fähigkeit an Maschinen zu arbeiten.
9. Beim abrupten Absetzen von Benzodiazepinen treten 3 Typen von Absetzsymptomen auf:
Reboundsymptome, Rückfallsymptome und Entzugssymptome. Entzugssymptome treten 2‒
10 Tage nach dem Absetzen der Benzodiazepine auf. Sie sind gekennzeichnet durch vermehrte Angst und Unruhe, Schlaflosigkeit, Irritabilität, Übelkeit und Erbrechen, Schwitzen, Zittern,
Kopfschmerzen und Muskelverspannungen und
können bis zu Verwirrtheitszuständen, Depersonalisation und Derealisation, psychoseartigen
Zuständen und zum Delir reichen.
10. Die SSRI haben eine gute Wirksamkeit bei der
GAD, Trennungsangst und sozialer Phobie im
Kindes- und Jugendalter gezeigt. Allerdings muss
am Anfang einer Therapie mit SSRI eine engmaschige ärztliche Kontrolle erfolgern, da es zu Suizidideen und suizidalen Handlungen kommen
kann.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 9
1. Die beiden wichtigsten Gruppen der Hypnotika
sind die Non-Benzodiazepine und die Benzodiazepinhypnotika, andere Hypnotika wie Antihistaminika und Chloralhydrat haben eine deutlich
geringere Bedeutung.
2. Sie haben eine viel größere therapeutische Breite,
auch Überdosierungen führen nicht zu schweren
Intoxikationen, dies ist besonders im Zusammenhang mit Suizidalität wichtig. Sie sind nebenwirkungsärmer als die früheren Hypnotika.
3. Die Patienten müssen über das Risiko einer
Abhängigkeit bei langfristigem Gebrauch aufgeklärt werden sowie über Wechselwirkungen mit
Alkohol und Medikamenten wie z. B. Schmerzmitteln. Insbesondere bei länger wirksamen Benzodiazepinhypnotika ist auf Hang-over-Effekte
mit Tagesmüdigkeit, reduzierter Konzentration
und Reaktionsgeschwindigkeit hinzuweisen.
4. Bei Benzodiazepinhypnotika besteht – insbesondere wenn sie längerfristig eingenommen werden – ein Abhängigkeitsrisiko. Die Dosis wird
dabei meist nicht gesteigert, man spricht dann
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von einer »low-dose-dependence«. Beim Absetzen muss mit protrahiert zunehmenden Entzugserscheinungen über Wochen gerechnet werden.
Das Absetzen muss deswegen langsam erfolgen.
Bei Schlafstörungen im Rahmen einer Depression ist es sinnvoll den schlafinduzierenden Effekt
sedierender Antidepressiva synergistisch zu nutzen. Im Gegensatz zur depressionslösenden Wirkung reichen zur Schlafinduktion oft niedrige
Dosierungen aus und der schlafverbessernde
Effekt tritt schnell ein.
Hypnotika sollten in möglichst niedriger Dosierung, wenn möglich nur intermittierend (2- bis
4-mal pro Woche, verabreicht werden. Sie sollten
nur für max. 4 Wochen verschrieben werden.
Bei längerem Gebrauch müssen sie sehr langsam
abgesetzt werden.
Die Möglichkeit paradoxer Reaktionen (Erregungszustände mit Agitiertheit, Schlaflosigkeit
und Aggressivität) nimmt mit dem Alter zu, insbesondere bei dementen, verwirrten Patienten
und organischen Grunderkrankungen. Bei langwirksamen Benzodiazepinen besteht die Gefahr
der Kumulation.
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Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 10
1. Bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz liegen für AChE-I (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) und den NMDA-Antagonisten Memantin Wirksamkeitsnachweise vor im Sinne einer
leichten Verbesserung des Störungsbildes sowie
einer Verlangsamung des Fortschreitens der
Erkrankung
werden; es findet gute Akzeptanz durch die Patienten.
4. Durch die relativ neuen retardierten Psychostimulanzienpräparate, die nur einmalig morgens eingenommen werden und über mindestens
8 Stunden wirken, lässt sich der Schwarzmarkt
für Psychostimulanzien vermindern, da die Patienten ihre Medikamente nicht mehr z. B. mit
in die Schule nehmen und diese dort verkaufen
können.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 12
1. Bei der pharmakologischen Behandlung erektiler
Dysfunktion stehen die PDE-5-Hemmer an erster
Stelle. Sie sind wirksam, nebenwirkungsarm und
zugelassen. Der kardiovaskuläre Status muss vor
der Gabe abgeklärt werden, bei schweren HerzKreislauf-Erkrankungen dürfen sie nicht eingesetzt werden.
2. Unter SSRI kommt es häufig zu einer verzögerten
Ejakulation bei Männern, auch Frauen berichten
über Anorgasmie. Diese Nebenwirkungen werden häufig nicht spontan angegeben, sondern erst
bei gezielter Nachfrage berichtet. Sie sind aber ein
wichtiger Grund für Non-Compliance.
3. Die Pharmakotherapie pathologisch gesteigerter
Libido bei Männern kann insbesondere bei Störungen der sexuellen Orientierung (Paraphilie)
eingesetzt werden, um Straftaten zu verhindern.
Zugelassen ist das Antiandrogen Cyproteronacetat. Es dämpft den gesteigerten sexuellen Drang
und kann damit auch eine Verhaltensänderung
bewirken, aber die abweichende sexuelle Orientierung nicht heilen. Ein begleitende Sozio- und
Psychotherapie ist unabdingbar.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 11
1. Clomethiazol ist das Mittel der ersten Wahl zur
stationären Alkoholentgiftung, es behandelt Entzugssymptome (Puls- und Blutdruckanstieg,
Ängstlichkeit, Unruhe), es hat außerdem eine
delirverhütende und krampfanfallhemmende
Wirkung.
2. Positive Effekte (Verringerung des Suchtdrucks,
Craving) sind für Acamprosat und Naltrexon
belegt. Acamprosat ist zugelassen.
3. Buprenorphin hat durch sein besonderes Wirkprofil am Opiatrezeptor eine große Sicherheitsspanne. Aufgrund der langen Halbwertszeit kann
eine höhere Einmaldosis alle 2‒3 Tage verabreicht
Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 13
1. Orlistat ist ein Lipasehemmer, der nur lokal im
Darm wirksam ist und dort die Aufnahme von
Lipiden um etwa 30% reduziert.
Sibutramin ist ein zentral wirksamer kombinierter Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer, der wahrscheinlich über eine Appetitreduktion und eine Zunahme der Theramogenese wirkt.
301
Antworten zu den Checkfragen
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 14
1. Bei der Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter können noradrenerg wirkende Antidepressiva wie Nortriptylin, Desipramin und Reboxetein sowie Venlafaxin mit einem kombiniert noradrenergen/serotonergen Wirkmechanismus eingesetzt werden.
2. Methylphenidat ist auf Grund seiner erwiesenen
Wirksamkeit das Medikament der ersten Wahl
bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Bei Unverträglichkeit oder
Unwirksamkeit kann auf das andere gängige Psychostimulanz Amphetaminsaft gewechselt werden. Als Medikament der zweiten Wahl wird Atomoxetin angesehen, bei zusätzlicher begleitender
emotionalen Auffälligkeiten gehört es auch zur
ersten Wahl. TZA, Clonidin und Antipsychotika
sind Medikamente der dritten Wahl.
3. Zur Behandlung der Narkolepsie wird Modafinil
eingesetzt, es hat ein Abhängigkeitspotenzial und
ist BtM-pflichtig.
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Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 15
6.
1. Wichtig ist die Vermittlung eines akzeptablen
und verstehbaren Krankheitsmodells durch den
Arzt oder Psychologen und die Entwicklung
eines Gesamtbehandlungsplans, in den psychotherapeutische, psychoedukative und medikamentöse Behandlungsstrategien integriert sind.
In Bezug auf die medikamentöse Behandlung
bietet es sich dabei an, die biochemischen Veränderungen bei einer Depression als »Stoffwechselstörung« darzustellen, z. B. in Analogie zu einem
Diabetes oder einer essenziellen Hypertonie, wo
ebenfalls eine zwar symptomatische, aber sehr
effektive Therapie vorgenommen wird. Bei einer
schweren Depression kann eine Behandlung mit
einem Antidepressivum einen psychotherapeutischen Zugang erst möglich machen. Eine symptomatische medikamentöse Behandlung führt
oft zu einer Verbesserung der Möglichkeiten mit
Problemen und Stressoren umzugehen und adäquate Problemlösestrategien zu entwickeln.
2. Für die Akuttherapie der schweren Depression ist von einem synergistischen Effekt von KVT
und einer Behandlung mit Antidepressiva auszugehen. ‒ Der Effekt der medikamentösen Therapie ist in der Regel nur so lange gegeben wie die
Pharmakotherapie fortgeführt wird, für psychotherapeutische Verfahren gibt es Hinweise, dass
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eine erfolgreiche Psychotherapie auch nach ihrer
Beendigung einen rezidivprophylaktischen Effekt
hat.
Bei einer leichten bis mittelschweren Depression
sind SSRI indiziert. Bei einer schweren Depression ist zu empfehlen gleich die neuen dualen
Antidepressiva einzusetzen.
Für Venlafaxin und Mirtazapin wurde in kontrollierten Studien in den ersten beiden Behandlungswochen ein schneller Wirkungseintritt
(frühe Response von 20%) beschrieben. Nach
4 Wochen Behandlungszeit gab es dagegen keinen Unterschied mehr zwischen den verschiedenen Antidepressiva. Die frühe Response von
mindestens 20% Verbesserung des Depressionssummenscores in den ersten beiden Behandlungswochen ist bei allen Antidepressiva ein
hochsensitiver Prädiktor für den späteren
Behandlungserfolg. Tritt sie nicht ein, so ist auch
ein späterer durchschlagender Therapieeffekt
eher unwahrscheinlich.
Unter Mirtazapin verbessern sich wegen der
sedierenden Komponente Schlafstörungen, Agitiertheit und somatische Beschwerden schneller
als unter SSRI.
Patienten mit einer depressiven Störung entwickeln in mehr als 50% im Verlauf weitere depressive Episoden. Patienten sollten deswegen über
die Möglichkeit eines Rezidivs informiert werden
und Frühsymptome einer Depression kennen.
Die pharmakologische Therapie sollte mit einer
Erhaltungs- und ggf. Langzeittherapie fortgeführt
werden, zu frühes Absetzen von Antidepressiva
birgt ein hohes Rückfallrisiko. In der Psychotherapie sollte das Thema eines möglichen Rückfalls
angesprochen werden. KVT und IPT habe sich
auch im Sinne einer Rückfallprophylaxe bewährt.
Wegen der Gefahr einer erneuten Depression
sollte auch bei einer ersten depressiven Episode nach Remission eine Weiterbehandlung über
mindestens 6 Monate erfolgen. Diese Erhaltungstherapie sollte mit der Dosis fortgeführt werden,
die zum Behandlungserfolg geführt hat. Bei mehr
als 20% der Patienten klingt die depressive Symptomatik nicht völlig ab, dann darf die Erhaltungstherapie nicht beendet werden.
Die Indikation für eine medikamentöse Rezidivprophylaxe ist gegeben:
– bei einer dritten depressiven Episode,
– oder wenn zwei depressive Episoden innerhalb der letzten 5 Jahre aufgetreten sind
– oder eine weitere schwere depressive Episode
innerhalb der letzten 3 Jahre aufgetreten ist
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oder eine weitere depressive Episode und die
positive Familienanamnese einer bipolaren
oder einer rezidivierenden Depression vorliegt.
Zur Rezidivprophylaxe bei der unipolaren
Depression gibt es verschiedene Möglichkeiten:
– Weiterführung der Pharmakotherapie mit
Antidepressiva,
– Lithium ist der Behandlung mit Antidepressiva ebenbürtig. Der Plasmaspiegel sollte dabei
zwischen 0,6 und 0,8 mmol/l liegen
– KVT erwies sich der medikamentösen Therapie als gleichwertig
– Additive Effekte sind anzunehmen
Wenn das erste Antidepressivum trotz ausreichender Dosierung keinen ausreichenden
Behandlungserfolg bringt, die Besserung nach
einem Behandlungszeitraum von 4‒8 Wochen
nur 25 bis 50% beträgt, ist ein Wechsel des Antidepressivums auf ein Antidepressivum mit einem
anderen Angriffspunkt im ZNS angezeigt. Führt
auch dieses nicht zu einer ausreichenden Wirkung, ist eine Kombinationstherapie aus zwei
Antidepressiva mit komplementärem pharmakologischem Wirkmechanismus indiziert.
Außerdem gibt es Augmentationstrategien mit
Substanzen, die für sich alleine keine antidepressive Wirkung entfalten. Am besten belegt ist die
Augmentation mit Lithium, es wird dabei ein
synergistischer Effekt mit Lithium angenommen. Schilddrüsenhormone können hilfreich
sein, insbesondere bei subklinischem Hypoparathyreoidismus. Atypische Antipsychotika werden zusammen mit Antidepressiva eingesetzt.
Der Einsatz von Hormonen kann bei Frauen in
den Wechseljahren und bei postpartaler Depression sinnvoll sein, eine individuelle Risikoabwägung ist dabei zu treffen. Die positive Wirkung
der Elektrokrampftherapie (EKT) bei Therapieresistenz ist belegt. Die repetitive transkranielle
Magnetstimulation (rTMS) ist derzeit nicht zugelassen, eine Indikation ist allenfalls bei leichten
bis mittelschweren Depressionen gegeben. Die
Vagusnervstimulation ist ebenfalls noch nicht zur
routinemäßigen klinischen Anwendung ausgereift.
Benzodiazepine werden häufig in der ersten
Behandlungsphase einer Depression gemeinsam
mit dem Antidepressivum verabreicht, um die
Phase der Wirklatenz des Antidepressivums zu
überbrücken. Insbesondere bei Suizidalität werden Benzodiazepine zur akuten Entlastung eingesetzt.
13. Antidepressiva haben im Gegensatz zu Benzodiazepinen auch bei langer Behandlungsdauer kein
Abhängigkeitspotenzial. Allerdings können bei
abruptem Absetzen Absetzeffekt auftreten; Antidepressiva sollten deswegen allmählich abgesetzt
werden.
14. Schlafentzug, Bewegungstherapie, Lichttherapie,
EKT.
15. Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen Depression und körperlichen Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ2-Diabetes und Osteoporose. Auch körperliche
Erkrankungen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall)
gehen oft mit einer Depression einher, die die
Prognose einer Rehabilitationsbehandlung verschlechtert und die Mortalität erhöht. Auch bei
Morbus Parkinson und Demenz sind Depressionen häufig.
16. Durch Dauerstress kommt es zur CRH-Hyperaktivität und vermehrter Kortisolausschüttung. Bei fehlregulierter HPA-Achse wird das
noradrenerge/adrenerge System konstant aktiviert, dies führt zu Arousal- und Vigilanzsteigerung mit gesteigertem Angstverhalten. Schließlich kommt es zu einer Erschöpfung der Noradrenalinsystems, die mit motorischer Verlangsamung, kognitiver Hemmung und emotionaler
Verarmung einhergeht. Erhöhte Kortisolspiegel senken die Serotoninsynthese. Die Regulationsmechanismen sind komplex. Der Serotoninrezeptor spielt dabei eine wichtige Rolle. Eine
Kurzform des Promotors des 5-HT-TransporteGens (s/s) geht mit einer erhöhten Stresssensitivität einher. Menschen mit dieser Konstellation
entwickeln signifikant häufiger depressive Symptome bei stressinduzierenden Lebensereignissen
als Menschen mit dem Genotyp l/l, der Langform
des 5-HT-Transporte-Gens.
17. Die Therapie der Wahl bei mittelgradigen und
schweren depressiven Syndromen im Kindesund Jugendalter besteht aus der Kombination
eines SSRI (am ehesten Fluoxetin) mit KVT.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 16
1. Die wichtigste Intervention bei einer akuten
Panikattacke ist nach Ausschluss einer organischen Erkrankung das beruhigende Gespräch
und die Information über die Entstehung von
Panikattacken. Medikamentös kann eine akute
Panikattacke schnell und wirkungsvoll mit einem
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Benzodiazepin (z. B. Lorazepam oder Alprazolam) koupiert werden.
Zur längerfristigen Behandlung einer Panikstörung bieten sich neben der Psychotherapie, insbesondere der KVT, Antidepressiva an.
Bei schwerer oder chronischer Panikstörung und,
insbesondere wenn eine komorbide Depression
vorliegt, ist eine Kombinationstherapie aus KVT
und einem Antidepressivum indiziert. Da beide Verfahren Zeit brauchen bis ein Therapieeffekt
eintritt, können anfänglich vorübergehend auch
Benzodiazepine zur akuten Entlastung indiziert
sein.
Das erste Antidepressivum, das bei der Panikstörung gute Therapieeffekte erbrachte, war Imipramin. Mittlerweile werden wegen der deutlich besseren Verträglichkeit SSRI oder das duale Antidepressivum Venlafaxin eingesetzt.
Ist eine Panikstörung von einer Agoraphobie
begleitet kommt der KVT mit Expositionsbehandlung eine besondere Bedeutung zu. Diese
kann mit Antidepressiva kombiniert werden.
Die Behandlung mit Antidepressiva sollte –
anders als bei der Depression – langsam einschleichend erfolgen, da Patienten mit Panikstörung Nebenwirkungen von Antidepressiva sehr
schlecht tolerieren und die Angstsymptomatik
sich vorübergehend sogar verstärken kann.
Mit einem deutlichen Therapieeffekt ist bei einer
Behandlung mit Antidepressiva erst nach einer
Zeit von 2‒4 Wochen zu rechnen. Vorübergehend können zusätzlich Benzodiazepine verordnet werden.
Benzodiazepine sind hochwirksame Anxiolytka.
Sie können Panikattacken koupieren. Sie wirken
schnell und sicher. Sie haben kaum Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und geringe
vegetative Nebenwirkungen. Allerdings besteht
die Gefahr der Abhängigkeit und von Entzugserscheinungen. Sie können zu Sedierung, Koordinationsstörungen und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses führen. Sie beeinträchtigen das Reaktionsvermögen (Autofahren, Arbeit an Maschinen). Sie verstärken die Wirkung von Alkohol.
Die Gabe von Antidepressiva wird über einen
Zeitraum von 1‒2 Jahren empfohlen, um einem
Rückfall vorzubeugen. Dieser lange Behandlungszeitraum bietet für die Patienten die Chance
unter dem Schutz der antidepressiven Medikation neue Verhaltensweisen zu etablieren und sich
bei begleitender Agoraphobie mit bisher vermiedenen Situationen zu konfrontieren.
303
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10. Die Antidepressiva sollten langsam abgesetzt
werden. Bei der Reduktion der Dosis sollte wiederholt geprüft werden, ob erneut Symptome der
Panikstörung auftreten. Ist dies der Fall, so sollte
die Medikation erneut erhöht und fortgeführt
werden. Eine sinnvolle Alternative stellt eine
zusätzliche KVT in der Ausschleichphase dar, da
für die KVT ein guter Therapieeffekt über den
Behandlungszeitraum hinaus belegt ist.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 17
1. Antidepressiva sind Mittel der ersten Wahl zur
längerfristigen Behandlung der GAD. Bewährt
haben sich die SSRI, z. B. Escitalopram; sie haben
vergleichsweise wenige Nebenwirkungen. Sie
werden in der gleichen Dosierung verabreicht wie
bei der Depressionsbehandlung. Außerdem zeigt
das duale Antidepressivum Venlafaxin eine gute
Wirkung bereits bei einer Dosierung von 75 mg
(bei der Depressionsbehandlung werden üblicherweise 150 mg verabreicht).
2. Bei den SSRI und Venlafaxin muss mit einem
langsamen Wirkungseintritt über einen Zeitraum
von 2‒4 Wochen gerechnet werden. Sie können deswegen vorübergehend mit Benzodiazepinen kombiniert werden, um diese Zeitspanne zu
überbrücken.
3. In akuten Notfallsituationen, die sich durch ein
Gespräch alleine nicht entspannen lassen, ist die
vorübergehende Gabe von Benzodiazepinen indiziert.
4. Bei Buspiron, das bei der GAD eine gute Wirksamkeit zeigt, ist wie bei den Antidepressiva von einem langsamen Wirkungseintritt über
2 Wochen auszugehen.
5. Sowohl Antidepressiva als auch Buspiron haben
kein Anhängigkeitspotenzial, dies ist insbesondere bei Patienten mit einer Suchtanamnese wichtig.
6. Eine medikamentöse Behandlung der GAD mit
Antidepressiva oder Buspiron sollte sich mindestens über 6 Monate erstrecken. Es ist zu empfehlen die Medikation als Erhaltungstherapie über
2 Jahre fortzuführen und langsam auszuschleichen. Frühes schnelles Absetzen birgt ein hohes
Rezidivrisiko.
7. Bei mittelschwerer oder schwerer GAD, besonders wenn sie durch eine Chronifizierung kompliziert ist, ist eine Kombinationstherapie angezeigt.
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Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 18
1. SSRI und das duale Antidepressivum sind Mittel
der ersten Wahl bei der Behandlung phobischer
Störungen. Dabei ist der SSRI Paroxetin besonders gut geprüft, hat aber Nachteile gegenüber
Escitalopram.
2. Die antiphobische Wirkung dieser Antidepressiva tritt oft zeitlich verzögert und später als die
antidepressiven Effekte ein, also etwa nach 2–
4 Wochen.
3. Wenn die soziale Phobie stark generalisiert und
chronifiziert ist und insbesondere wenn es aufgrund der immer stärker werdenden Einengung
zur sozialen Isolation zusätzlich zu einer komorbiden (sekundären) Depression gekommen ist.
4. Antidepressiva sollen bei phobischen Störungen
über mindestens 12 Wochen gegeben werden.
Frühes Absetzen führt häufig zu Rezidiven. Deswegen ist ein längerer Behandlungszeitraum von
6–12 Monaten und sehr langsames Absetzen über
Wochen zu empfehlen.
5. Wegen des relativ hohen Nebenwirkungsrisikos
sollten bei phobischen Störungen kein Antipsychotika gegeben werden.
6. Soziale Phobien im Kindes- und Jugendalter
sollten frühzeitig behandelt werden, da die Patienten durch diese Störungsbild in ihrer emotionalen, sozialen und schulischen Entwicklung stark beeinträchtigt sein können und sich
Komorbiditäten, wie andere Angststörungen
und affektive Störungen, entwickeln können. Bei
schweren und chronischen Verläufen ist therapeutisch eine Kombination aus KVT mit SSRI
anzustreben.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 19
1. Der erste überzeugende Wirkungsnachweis bei
Zwangsstörungen gelang für das trizyklische
Antidepressivum Clomipramin, ein Antidepressivum mit einer starken serotonergen Komponente. Da die anderen TZA nicht wirksam waren,
entwickelte sich daraus die Hypothese, dass der
Serotoninstoffwechsel bei den Zwangsstörungen
eine wesentliche Rolle spielt. Dies bestätigt sich
durch die Wirksamkeit der SSRI.
2. Bei der Behandlung von Zwangsstörungen werden in erster Linie Serotoninwiederaufnahmehemmer eingesetzt.
3. Bei der Behandlung von Zwangsstörungen
sind höhere Dosen als bei der Behandlung der
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Depression notwendig. Dies macht eine langsame
Aufdosierung notwendig.
Es kann recht lange dauern bis sich bei der
Behandlung der Zwangsstörungen mit SSRI ein
durchgreifender Erfolg einstellt. Oft ist dies erst
nach 2‒3 Monaten der Fall.
Meist wird durch eine Behandlung mit SSRI nur
eine graduelle Besserung mit einer Verminderung der Symptomatik von 40‒50% erreicht.
Es soll über einen Zeitraum von 12‒24 Monaten
behandelt werden.
Beim Absetzen der SSRI besteht ein hohes Rezidivrisiko (80%). Die Medikation sollte sehr langsam herunterdosiert werden. Oft ist es sinnvoll
parallel eine KVT durchzuführen, um das Rezidivrisiko zu reduzieren.
Falls SSRI nicht erfolgreich sind, kann ein
Behandlungsversuch mit Clomipramin gemacht
werden, dies ist allerdings mit mehr Nebenwirkungen verbunden. Clomipramin kann auch in
Kombination mit einem SSRI eingesetzt werden.
Es gibt auch Belege für einen verbesserten Therapieeffekt bei einer Kombination mit atypischen
Antipsychotika (Risperidon und auch erste
Belege für Quetiapin). Positive Berichte gibt es
weiter für eine Kombination eines SSRI mit Lithium, dem Benzodiazepin Clonazepam und dem
Anxiolytikum Buspiron.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 20
1. Bei der PTSD besteht eine hohe Komorbidität
mit Angststörungen, Depressionen und somatoformen Störungen.
2. Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der
Psychotherapie, etabliert haben sich KVT und
EMDR (»eye movement desensitization and
reprocessing«).
3. Bei schweren Formen der PTSD, bei begleitenden
schweren Angststörungen und Depressionen sind
SSRI indiziert, ebenso bei fehlender Response
oder Partialresponse unter KVT oder EMDR.
Zugelassen ist Paroxetin; für Sertralin gibt es
positive Befunde.
4. Die Responserate liegt bei 40–50%.
5. Es wird eine Behandlungsdauer von 1‒2 Jahren
empfohlen. Die Antidepressiva sollen langsam
abgesetzt werden.
Antworten zu den Checkfragen
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 21
1. Zur kurzfristigen Entlastung können Benzodiazepine eingesetzt werden.
2. Zur längerfristigen Behandlung von Anpassungsstörungen (insbesondere mit depressiver Reaktion und Ängsten) können Antidepressiva eingesetzt werden. Obgleich bisher systematische
empirische Untersuchungen fehlen, bieten sich
wie bei der Behandlung der Depression und der
Angststörungen SSRI und das duale Antidepressivum Venlafaxin an.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 22
1. Selektive Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer (duale Antidepressiva) sind bei der
Behandlung von Depressionen mit somatischem
Syndrom den Serotoninwiederaufnahmehemmern überlegen.
2. Wenn Ängste und Anspannung einen starken
Leidensdruck verursachen ist der vorübergehende Einsatz von Benzodiazepinen zu rechtfertigen. Sie werden insbesondere eingesetzt, um die
Wirklatenz bei der Behandlung mit Antidepressiva zu überbrücken.
3. Beim langfristigen Einsatz von Depotantipsychotika besteht das Risiko von Spätdyskinesien.
4. Bei der Behandlung der somatoformen Schmerzstörung haben sich besonders Antidepressiva mit
dualer Komponente bewährt, die sowohl auf der
noradrenerge als auf das serotonerge System einwirken. Es mehren sich Studien, die auf einen
stärkeren antinocizeptiven Effekt hinweisen als
bei den selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern.
5. Antidepressiva werden mit Erfolg bei der
Behandlung chronischer Schmerzen bei organischen Erkrankungen wie Krebs, rheumatischen
Erkrankungen, neuralgiformen Schmerzen u. a.
eingesetzt, dadurch kann die Gabe von Analgetika oft reduziert werden. Es kommt nicht zu einer
Toleranzentwicklung.
6. Eine Behandlung mit Antidepressiva führt beim
chronischen Müdigkeitssyndrom leider nur zu
geringen, nicht überzeugenden Besserungen.
7. Duale Antidepressiva (z. B. Venlafaxin, Duloxetin) sind den SSRI – wie auch bei anderen
Schmerzsyndromen – überlegen.
8. Beim prämenstruellen Syndrom ist die Wirksamkeit von SSRI belegt, auch unter dualen Anti-
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depressiva und unter Clomipramin waren hohe
Responseraten zu verzeichnen.
9. Der therapeutische Effekt von Antidepressiva bei
somatoformen Störungen ist geringer als bei der
Behandlung von Angststörungen und Depressionen. Psychotherapeutischen Interventionen
kommt der größte Stellenwert zu. Synergieeffekte
durch eine Kombination von Antidepressiva und
Psychotherapie sind bisher nicht untersucht.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 23
1. Bisher zeigten sich keine klaren Erfolge bei der
Behandlung der Anorexia nervosa mit Antidepressiva oder anderen Psychopharmaka.
2. Patientinnen mit einer Anorexia nervosa leiden
häufig an komorbiden Störungen wie Ängsten,
Zwängen oder einer Depression. Liegt diese Konstellation vor, dann ist eine Behandlung mit Antidepressiva sinnvoll.
3. Die Behandlung mit einem Antipsychotikum,
z. B. Olanzapin, kann bei schweren und chronischen Ausprägungen der Anorexia nervosa zur
leichten Sedierung bei starkem Bewegungsdrang
zur Verbesserung inhaltlicher Denkstörungen
sowie der Körperschemastörung und zur Appetitsteigerung sinnvoll sein.
4. Bei der Bulimia nervosa habe trizyklische Antidepressiva und SSRI positive Ergebnisse erbracht.
5. SSRI sind nebenwirkungsärmer als die älteren trizyklische Antidepressiva, sie sollten deswegen die
erste Präferenz haben. Zugelassen ist nur Fluoxetin.
6. Zugelassen sind Sibutramin, ein Serotonin-Noradrenalinrückaufnahmehemmer (SNRI), der
auch bei »binge eating« wirksam ist und Orlistat,
ein Lipasehemmer, der nur im Darm wirksam
ist und die Fettresorption vermindert. Die neueste Zulassung ist der Cannabinoid-1-Rezeptorantagonist Rimonabant.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 24
1. Schlafstörungen sind bei den affektiven Störungen besonders häufig, 90% der Patienten leiden unter einer Insomnie, 10% unter einer
Hypersomnie.
2. Hypnotika: Non-Benzodiazepin und Benzodiazepinhypnotika, sedierende Antidepressiva und
sedierende Antipsychotika.
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3. Für die medikamentöse Kurzzeittherapie – z. B.
in einer akuten Belastungssituation – sind NonBenzodiazepinhypnotika Mittel der Wahl.
4. Zuerst sollten die nichtmedikamentösen Verfahren ausgeschöpft werden. Wenn Schlafmittel zum
Einsatz kommen, sollten sie
– in der niedrigst möglichen Dosis verordnet
werden,
– möglichst nur intermittierend 2- bis 4-mal/
Woche gegeben werden,
– nur für kurze Zeiträume verschrieben werden,
– langsam abgesetzt werden.
5. Antidepressiva mit sedierenden Eigenschaften
(Amitriptylin, Doxepin, Trimpramin, Mirtazapin) wirken schlaffördernd. Bei der primären
Insomnie werden niedrige Dosierungen verwendet. Ihre Wirkung setzt sofort ein.
6. Bei abhängigkeitsgefährdeten Patienten sind
sedierende Antidepressiva und Antipsychotika
Benzodiazepinen und Non-Benzodiazepinhypnotika vorzuziehen.
7. Sedierende Antidepressiva und Antipsychotika können wegen ausgeprägter anticholinerger
Eigenschaften besonders bei älteren Patienten zu
einem Delir führen.
8. Neben einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus und einem stabilen Lebensumfeld führt
Modafinil zu einer deutlichen Verbesserung der
Narkolepsie, Mittel der zweiten Wahl ist Methylphenidat.
9. Das Restless-legs-Syndrom wird mit L-DOPADerivaten und Dopaminagonisten behandelt.
10. Die primäre Insomnie im Kindes- und Jugendalter sollten immer verhaltenstherapeutisch mit
z. B. Entspanunngsverfahren und Verbesserung
der Schlafhygiene behandelt werden. Bei längeranhaltender Insomnie können vorübergehend
Hypnotika, Antidepressiva oder ggf. auch Antipsychotika eingesetzt werden. Im Gegensatz zu
Erwachsenen ist auch die Behandlung mit Melatonin erfolgversprechend.
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Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 25
1. Bei Persönlichkeitsstörungen ist insbesondere auf
depressive Episoden sowie Substanzmissbrauch
bzw. -abhängigkeit zu achten.
2. Komorbide depressive Episoden können gut mit
Antidepressiva behandelt werden, dabei bieten
sich wegen der guten Verträglichkeit SSRI an.
3. Viele Patienten mit Persönlichkeitsstörungen stehen Medikamenten skeptisch gegen über; es ist
oft schwierig, »compliantes« Verhalten zu erreichen; insbesondere bei Patienten mit BPS ist
selbstschädigendes Verhalten und Suizidalität zu
berücksichtigen.
4. Die medikamentöse Behandlung erfolgt syndromorientiert; dabei sind die wichtigsten Zielsyndrome:
– depressive und andere affektive Zielsyndrome,
– unkontrollierbare Impulsivität und Aggressivität,
– Dissoziation und psychotische Symptome.
5. Bei der BPS haben sich drei medikamentöse
Optionen bewährt:
– SSRI bei vorherrschender Depressivität,
Angst oder Ärger,
– AAP bei psychotischen Symptomen,
– Stimmungsstabilisierer bei vorherrschenden
impulsiven Störungen.
6. Die verschiedenen Störungen des Sozialverhaltens sind durch dissoziales, aggressives
oder aufsässiges Verhalten mit Verletzungen
altersentsprechender sozialer Erwartungen
gekennzeichnet. Die Symptomatik muss mindestens 6 Monate vorhanden sein. Bei extremen
Ausprägungen wird medikamentös am häufigsten
mit Risperidon, für das auch eine Zulassung für
diese Indikationen vorliegt, behandelt.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 26
1. Bei sexuellen Funktionsstörungen ist eine umfassende Diagnostik notwendig, die psychobiosoziale Faktoren in einem integrativen Konzept
zusammenfasst (z. B. Medikamentenanamnese,
körperliche und psychiatrischen Erkrankungen,
Sexualanamnese, Partnerschaftskonflikte), aus
dem sich die entsprechenden therapeutischen
Optionen und ggf. ihre Kombinationen ableiten
lassen.
2. Die häufigste sexuelle Funktionsstörung unter
Psychopharmaka und Drogen ist die erektile
Dysfunktion. Besonders häufig wird sie hervorgerufen durch Psychopharmaka (Antipsychotika, Benzodiazepine, Stimmungsstabilisierer und
Antidepressiva, insbesondere TZA) und Alkohol,
Nikotin sowie Opiate/Opioide. Ejakulationsverzögerungen können unter SSRI auftreten.
Antworten zu den Checkfragen
3. Für sexuelle Störungen bei Frauen steht bisher
keine etablierte Pharmakotherapie zur Verfügung.
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4. Patienten mit ADHS, die nicht mit Psychostimulanzien behandelt werden, neigen eher zur Selbstmedikation mit Drogen (z. B. Cannabis, Kokain,
Speed, Alkohol) um die Symptome zu mindern.
Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 27
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 29
1. Es gibt auch im Erwachsenenalter positive
Befunde zur Behandlung des ADHS mit Psychostimulanzien wie Methylphenidat und für den
selektiven Noradrenalinrückaufnahmehemmer
Atomoxetin, aber beide Medikamente sind nicht
zugelassen. Zurzeit werden die meisten Patienten
im Erwachsenenalter mit Antidepressiva behandelt.
2. Kinder und Jugendliche mit ausgeprägter ADHSSymptomatik sollten mit Psychostimulanzien und
Verhaltenstherapie behandelt werden. Bei Unverträglichkeit der Psychostimulanzien und/oder
zusätzlichen emotionalen Auffälligkeiten kann
Atomoxetin verordnet werden. Der Vorteil dieser Kombinationstherapie liegt darin, dass nicht
nur die Kernsymptome der ADHS (Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität) reduziert werden, sondern es auch möglich
ist, die sozialen Fertigkeiten, die Symptomatik
komorbider Störungen, die Eltern-Kind-Beziehung und die Schulleistungsprobleme zu verbessern.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 28
1. Die Einnahme von Clomethiazol kann zu einer
Abhängigkeitsentwicklung führen, deswegen
bedarf der Einsatz dieses Medikamentes der
strikten ärztlichen Kontrolle.
2. Zur Substitutionsbehandlung werden langwirksame Opiatagonisten wie Methadon und Levomethadon eingesetzt sowie Buprenorphin, das
sowohl agonistische als auch antagonistische
Eigenschaften am Opiatrezeptor hat.
3. Die häufigsten Indikationen für Entgiftungen
und Entwöhnungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie stellen Alkohol- und Cannabisabhängigkeiten dar. Zu den wichtigsten Behandlungsstrategien gehören psychosoziale und psychotherapeutische Interventionen. Als wirksam haben
sich dabei KVT-Gruppenprogramme, Selbsthilfegruppen und Familientherapien erwiesen.
Bei Überdosierungen und starken Entzugssymptomen ist eine medikamentöse Therapie notwendig.
1. Bei der bipolaren affektiven Störung kommen
5 verschiedene Syndrome vor: Manische Episode,
Hypomanie, Depression, gemischte Episode und
Rapid Cycling.
2. Rapid Cycling ist durch mindestens 4 Episoden
in 12 Monaten charakterisiert.
3. Bei der Verabreichung von Antidepressiva, insbesondere von TZA, zur Behandlung einer Depression im Rahmen einer bipolaren affektiven Störung besteht das Risiko eine Hypomanie, eine
Manie oder ein Rapid Cycling zu induzieren.
Auch bei Venlafaxin ist das Risiko erhöht.
4. Bei einer Depression im Rahmen einer bipolaren
affektiven Störung kann auf die Gabe eines Antidepressivums nicht verzichtet werden, wenn eine
schwere depressive Episode vorliegt, insbesondere wenn sie mit Suizidalität einhergeht.
5. Wenn bei einer depressiven Episode im Rahmen
einer bipolaren affektiven Störung die Behandlung mit einem Antidepressivum unverzichtbar
ist, sollten SSRI gewählt werden, da bei ihnen das
geringste Risiko besteht, einen »switch« in eine
Hypomanie oder Manie hervorzurufen oder ein
Rapid Cycling zu induzieren. Zusätzlich sollte ein
Stimmungsstabilisierer gegeben werden.
6. Kinder- und Jugendliche mit bipolaren Störungen
profitieren zusätzlich zur Therapie mit Stimmungsstabilisieren von einer ausführlichen Psychoedukation und kognitiv-behavioralen Interventionen, wie z. B. Übungen zur Verbesserung
der Kommunikation und zum Erlernen von Problemlösungsstrategien in Bezug auf das Umgehen mit den Symptomen der Krankheit sowie
Übungen zur Emotionsregulierung und Impulskontrolle. Weiterhin hat sich eine ausführliche
Psychoedukation der Bezugspersonen als wirksam gezeigt.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 30
1. In der Akutphase der Erkrankung liegt der
Schwerpunkt auf der antipsychotischen medikamentösen Behandlung. Die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf Antipsychotika nimmt
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A2 · Antworten zu den Checkfragen
ab und die Prognose wird ungünstiger, wenn eine
akute schizophrene Psychose längerfristig unbehandelt bleibt. Die möglichst frühzeitige Behandlung mit AAP wird empfohlen. In der Stabilisierungsphase und in der Phase der Rezidivprophylaxe bzw. Symptomsuppression (Langzeittherapie) gewinnen psychosoziale Maßnahmen und
die Vermittlung eines Gesamttherapiekonzepts
zunehmend an Bedeutung. Zunehmend wird
KVT additiv zur Medikation eingesetzt.
Negativsymptomatik ist gekennzeichnet durch
Denk- und Konzentrationsprobleme, Mangel an
Selbstvertrauen, Energieverlust, mangelnde Leistungsfähigkeit, affektive Verflachung und sozialen Rückzug mit Reduktion der psychosozialen Funktionsfähigkeit. Die Therapie ist schwierig und oft langwierig. AAP sind gegenüber den
konventionellen Antipsychotika zu bevorzugen.
Bei fortbestehender Negativsymptomatik ist eine
Kombination eines AAP mit einem SSRI oder mit
Mirtazapin sinnvoll.
Depressive Symptome und Suizidalität kommen
im Rahmen einer Schizophrenie häufig vor, insbesondere in der ersten depressiven Episode.
Bei noch florider Positivsymptomatik sollte die
Gabe eines Antidepressivums vermieden werden. Besteht nach weitgehender Remission der
Positivsymptomatik ein depressives Syndrom, so
ist die zusätzliche Gabe eines Antidepressivums
(insbesondere eines SSRI) zu empfehlen.
Bei Mutismus und Katatonie ist die Gabe von
Lorazepam (zunächst 2–2,5 mg) indiziert.
Bei der Behandlung der schizoaffektiven Störung sind AAP bei manischer, depressiver und
gemischter Symptomatik wirksam. Bei akuter
schizomanischer Symptomatik ist die zusätzliche
Gabe von Lithium indiziert. Überwiegt die schizodepressive Symptomatik, so kann die Kombination eines Antipsychotikums mit einem Antidepressivum versucht werden.
Die erste Option bei der Behandlung einer wahnhaften Depression ist die Therapie mit einem
Antidepressivum. Remittiert die psychotische
(wahnhafte) Symptomatik nicht, so wird im zweiten Schritt zusätzlich ein AAP hinzugefügt. Die
zweite Option, ist die sofortige Kombination
eines Antidepressivums mit einem AAP.
Von Therapieresistenz spricht man, wenn zwei
ausreichend hoch dosierte Antipsychotika über
einen Behandlungszeitraum von jeweils 4–
8 Wochen nicht zu einem ausreichenden Therapieeffekt geführt haben. Die erste Option ist –
nach Abwägung des individuellen Therapierisi-
kos – die Umsetzung auf Clozapin, das unter den
AAP immer noch eine Ausnahmestellung inne
hat und auch bei primären Non-Respondern oft
zu Erfolg führt. Allerdings hat es ein erhöhtes
Nebenwirkungsrisiko und bedarf der kontinuierlichen psychiatrischen Kontrolle.
Eine weitere Option ist die Kombination von
Antipsychotika. Dabei sind mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen besonders sorgfältig zu prüfen und zu überwachen.
8. Kinder und Jugendliche mit schizophrenen Störungen sind aufgrund des frühen Krankheitsbeginns in ihrer emotionalen, sozialen, schulischen
und körperlichen Entwicklung beeinträchtigt. Zusätzlich zur psychopharmakologischen
Behandlung der Akutsymptomatik und zur Rezidivprophylaxe, sind psychotherapeutische und
familienbezogene Maßnahmen sowie spezifische
Rehabilitationsmaßnahmen indiziert.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 31
1. Positive Effekte bei der Behandlung der Alzheimer-Demenz sind für AChE-I wie Donepezil, Galantamin und Rivastigmin belegt sowie für
den NMDA-Antagonisten Memantin.
2. Bei der Behandlung der vaskulären und der
gemischten Demenzen sind ebenfalls AChE-I
und der NMDA-Antagonist Memantin zu empfehlen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine
»Off-label«-Behandlung, da (noch) nicht genügend empirische Belege für eine Zulassung vorliegen.
3. Bei der Behandlung von demenzassoziierten Verhaltensstörungen werden neben AChE-I und
dem NMDA-Antagonisten Memantin atypische
Antipsychotika eingesetzt. Risperidon und Olanzapin zeigen die besten Wirkungen, zugelassen ist
derzeit nur Risperidon.
4. Patienten mit einem demenziellen Syndrom sind
oft multimorbid und haben ein höheres Alter, sie
reagieren deswegen oft empfindlich auf Medikamente, z. B. mit orthostatischen Beschwerden
und anticholinergen Nebenwirkungen.
Antwort zu den Checkfragen 7 Kap. 32
1. Beim Restless-legs-Syndrom sind L-DOPA und
Dopaminantagonisten Mittel der Wahl
Antworten zu den Checkfragen
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 33
1. Zu den Kernsymptomen der tief greifenden Entwicklungsstörungen gehören qualitative Beeinträchtigungen der gegenseitigen Interaktion und
Kommunikation sowie ein eingeschränktes, stereotypes, repetitives Repertoire an Interessen und
Aktivitäten. Das am besten untersuchte Medikament bei tief greifenden Entwicklungsstörungen
ist Risperidon. Durch Risperidon konnten in den
meisten Studien eine signifikante Verbesserung
von restriktiven, repetitiven und stereotypen Verhaltensmustern, Interessen und Aktivitäten sowie
eine Reduktion von aggressiven und selbstverletzenden Verhaltensweisen erzielt werden.
2. Am Anfang der Behandlung steht eine ausführliche Psychoedukation. Therapeutisch profitieren
die Patienten von einer Frühförderung, welche
die Interaktionsfähigkeit, die Anpassung an die
Anforderungen des Alltags und die Selbständigkeit verbessern kann. Verhaltenstherapeutische
Interventionen zielen darauf ab, die Entwicklung
der sozialen Wahrnehmung, der Kommunikation und der Sprachförderung anzubahnen bzw.
zu verbessern. Eine stationäre Therapie bzw. eine
Aufnahme in eine spezialisierte Institution ist bei
erheblichen Selbst- und Fremdaggressionen, Stereotypien und Ritualen oder bei Überforderung
der Familie indiziert.
3. Die emotionale Störung des Kindesalters mit
Trennungsangst, die auch als Schulphobie
bezeichnet wird, liegt vor, wenn das Kind die
Angst vor der Trennung von der Bezugsperson als überwältigend erlebt, die Angst über die
entwicklungsphysiologische Alterstufe hinaus
andauert und die psychosoziale Entwicklung längerfristig erheblich beeinträchtigt ist. Leichtere
Trennungsängste sind durch eine ambulante Psychoedukation und Vermittlung verhaltenstherapeutischer Übungen der Bezugspersonen behebbar. Schwere Trennungsängste müssen häufig stationär behandelt werden. Falls eine Begleitmedikation befristet indiziert ist, empfiehlt sich eine
Behandlung mit einem SSRI.
4. Die Enuresis wird als unwillkürlicher Harnabgang ab einem Alter von 5 Jahren definiert. Je
nach tageszeitlichem Auftreten des Einnässens
wird zwischen Enuresis nocturna, Enuresis diurna und Enuresis nocturna et diurna unterschieden. Unter einer primären Enuresis versteht man
ein Einnässen ohne längere trockene Periode,
während die sekundäre Enuresis durch Wiedereinnässen nach einer längeren trockenen Periode
309
A2
(>6 Monate) definiert ist. Therapeutisch sollten
anfänglich die Beratung der Eltern sowie eine
Dokumentation des Einnässens erfolgen. Falls
diese Maßnahmen nicht ausreichen, ist die apparative Verhaltenstherapie mittels »Klingelhose«
angezeigt. Eine medikamentöse Therapie mit
Desmopressin ist indiziert, wenn andere Maßnahmen nicht erfolgreich waren.
5. Bindungsstörungen beziehen sowohl das intrapersonale Verhalten als auch das interpersonelle Beziehungsverhalten mit ein. Es werden
zwei Subtypen unterschieden. Der erste Typus
ist gekennzeichnet durch ein gehemmtes Verhalten mit Vermeidung, Rückzug und Hypervigilanz, während der zweite Typus durch ein ungehemmtes Verhalten mit vorwiegend unselektivem, distanzlosem Kontaktverhalten geprägt ist.
Das wichtigste Behandlungsziel ist ein entwicklungsförderndes und bindungsstabiles Milieu
herzustellen. Da zumeist umschriebene Entwicklungsrückstände vorliegen, sind häufig Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie erforderlich. Psychotherapeutische Verfahren können erst eingesetzt werden, wenn ein entsprechendes Entwicklungsalter erreicht ist. Bei ausgeprägter Symptomatik kommt eine vorübergehende Behandlung mit Antipsychotika (z. B.
Risperidon) in Betracht.
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 34
1. Bei schweren psychomotorischen Erregungszuständen hat sich die Gabe von Haloperidol
bewährt.
2. Das Benzodiazepin Alprazolam wirkt schnell und
zuverlässig anxiolytisch, es hat eine kurze Halbwertzeit und ist damit gut steuerbar. Es kann
in höherer Dosierung depressiven Stupor lösen
und ist in Kombination mit Haloperidol gut zur
Behandlung psychomotorischer Erregungszustände geeignet.
3. Bei suizidalen Krisen hat sich – neben intensiven Gesprächen und ggf. auch einer Unterbringung auf einer beschützten psychiatrischen Station – die vorübergehende Gabe von Benzodiazepinen bewährt. Sie sind schnell und gut wirksam
und können die Hoffnungslosigkeit lindern, die
oft mit Suizidalität verknüpft ist.
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A2 · Antworten zu den Checkfragen
Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 35
1. Bei leichten und mittelschweren Depressionen ist
psychotherapeutischen Interventionen der Vorzug zu geben. Ist bei einer schweren Depression
eine medikamentöse Behandlung notwendig, so
ist die Gabe des TZA Nortriptylin zu empfehlen.
2. Bei zwingend notwendiger Behandlung mit Antipsychotika in der Schwangerschaft sollte, wegen
der großen klinischen Erfahrung mit diesem Präparat, Haloperidol in möglichst niedriger Dosis
gewählt werden. Unter den atypischen Antipsychotika ist nach derzeitigem Stand Olanzapin am
wenigsten risikoreich.
3. Lithium hat ein teratogenes Risiko (kardiovaskuläre Fehlbildung). Es sollte im 1 Trimenon deswegen nicht gegeben werden. Bei einer geplanten
Schwangerschaft sollte eine Latenz von mindestens 2 Wochen zwischen dem langsamen
Absetzten von Lithium und der Konzeption
bestehen. Auf das Stillen sollte bei einer Lithiumbehandlung verzichtet werden.
4. Benzodiazepine sollten im 1 Trimenon möglichst nicht gegeben werden, ältere Studien ergaben Hinweise für das vermehrte Auftreten von
Gesichtsspalten. Geringe Dosen scheinen sich im
2 Trimenon nicht negativ auszuwirken. Bei Gabe
in der Zeit vor der Geburt kann es zum Floppyinfant-Syndrom führen und auch zu Entzugssymptomen beim Neugeborenen.
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Antworten zu den Checkfragen 7 Kap. 36
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1. Unter den nichtsedierenden Antidepressiva (z. B.
SSRI) ist die Fahrtüchtigkeit oft nicht eingeschränkt. Unter sedierenden Antidepressiva ist
sie während der Aufdosierungsphase und in den
ersten beiden Wochen nach Erreichen der der
Zieldosis eingeschränkt.
2. Unter der Behandlung mit Antipsychotika ist die
Fahrtüchtigkeit während der Aufdosierung und
in den ersten beiden Wochen nach erreichen der
Zieldosis eingeschränkt, dies kann auch während
der Erhaltungstherapie der Fall sein, insbesondere bei Antipsychotika mit sedierendem Effekt.
3. Unter der Gabe von Benzodiazepinen ist die
Fahrtüchtigkeit generell eingeschränkt.
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Diagnoseverzeichnis
demenzassoziierte Verhaltensstörung
(BPSD) 258
Depression bei körperlichen
Erkrankungen 150
Depression mit psychotischen
Merkmalen 236
depressive Störungen 135
depressiver Stupor 276
desintegrative Störung des Kindesalters 267
dissoziativer Stupor 277
Double Depression 149
Dysthymie 149
A
Abhängigkeitsstörungen 225
Absetzsyndrome 48
Adipositas 197
Agoraphobie 168
akute Belastungsstörung 181
Akutphase/Positivsymptomatik
– Schizophrenie 245
Alkoholabhängigkeit 111
Alkoholentzugsdelir 228
Alkoholentzugssyndrom 227
Alkoholhalluzinose 228
Alkoholintoxikation 227
Alpträume 262
Anorexia nervosa 195
Anpassungsstörung 181
Asperger-Syndrom 267
atypische Depression 149
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen 221
Autismus 266
– atypischer 267
E
early onset schizophrenia 253
Eifersuchtswahn 228, 249
Ejaculatio praecox 217
Enuresis 269
EPS-Nebenwirkungen 76
Erektionsstörungen 216
F
B
Fibromyalgiesyndrom 190
Floppy-infant-Syndrom 283
frühkindlicher Autismus 266
Funktionsstörungen
– Antipsychotika 77
Binge-eating-Störung 197
bipolare affektive Störung 235
bipolare Depression 236, 238
bipolare Störung
– gemischte Episode 236
– Typ I 236
– Typ II 236
Borderline-Persönlichkeitsstörung 208, 212
Bulimia nervosa 196
Burnout-Syndrom 151
G
gemischte Demenz 257
gemischte Episode
– bipolare Störung 236
generalisierte Angststörung 161
Gilles-de-la-Tourette-Syndrom 262
C
chronisches Müdigkeitssyndrom
Colon irritabile 190
D
Delir 276
Delirium tremens 228
Demenz 255
– bei Alzheimer-Krankheit 256
– mit Lewy-Körperchen 257
– bei Parkinson-Syndrom 257
H
189
hebephrene Schizophrenie 244
hepatische Enzephalopathie 228
hyperkinetische Störungen 222
Hypersomnie 204
hypochondrische Störung 188
Hypomanie 236
I
induzierte wahnhafte Störungen
Intelligenzminderung
– Verhaltensstörungen 211
249
K
Kanner-Syndrom 266
katatone Schizophrenie 244
Kleine-Levin-Syndrom 204
Kleptomanie 211
Klimakterium virile 119
Kokainentzugssyndrom 231
körperdysmorphe Störung 189
L
leichte kognitive Störung (MCI)
Liebeswahn 249
M
malignes neuroleptisches Syndrom 76, 278
Manie mit psychotischen Symptomen 236
manische Episode 238
– im Rahmen einer bipolaren
affektiven Störung 238
metabolisches Syndrom 76
Migräne 189
Minor Depression 149
Multiinfarktdemenz 257
N
Narkolepsie 204
Nikotinentzugssyndrom 233
O
Opiatabhängigkeit 112, 230
Opiatentzugssyndrom 230
Opiatintoxikation 230
Orgasmusstörungen 217
256
322
21
22
L
D
25
26
27
28
29
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31
32
33
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37
38
39
40
Diagnoseverzeichnis
P
Panikstörungen 45, 155
paranoide Schizophrenie 244
Paraphilie 217
Parasomnien 262
pathologisches Spielen 211
Pavor nocturnus 262
periodic limb movements in sleep
(PLMS) 262
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 207
Phobie
– soziale 168
– spezifische 168
phobische Störungen 167
postschizophrene Depression 244
Post-Stroke-Demenz 257
posttraumatische Belastungsstörung 177
prämenstruelles Syndrom 190
primäre Insomnie 200
Pseudodemenz 259
psychogener Stupor 277
psychomotorische Erregungszustände 275
psychotische Störungen
– akute vorübergehende 249
Pyromanie 211
R
Rapid Cycling 236
Recurrent brief depression 149
Restless-legs-Syndrom (RLS) 262
Rett-Syndrom 267
rezidivierende depressive
Störung 148
rezidivierende kurze depressive
Episode 149
Rhabdomyolyse 77
S
saisonal abhängige affektive
Störung 149
schizoaffektive Störungen 240, 248
– Phasenprophylaxe 240
schizophrenes Residuum 244
Schizophrenia simplex 244
Schizophrenie 243, 247
– depressive Symptomatik 247
– katatone Symptomatik 247
– kognitive Störungen 247
Schlafapnoesyndrom 205
Schlafwandeln 262
Schmerzsyndrome
– unabhängig von einer somatoformen Schmerzstörung 189
Schulphobie 268
Schwangerschaft 282, 283
sexuelle Erregung
– Störungen bei der Frau 47, 217
sexuelle Funktionsstörungen 47, 215,
218
– substanzinduzierte 218
sexuelles Verlangen
– gesteigertes 217
– vermindertes 217
Somatisierungsstörung 188
somatoforme autonome Funktionsstörung 188
somatoforme Schmerzstörung 189
somatoforme Störungen 185
Spannungskopfschmerz 189
Störungen des Sozialverhaltens 212
Stupor bei katatoner
Schizophrenie 276
subkortikale vaskuläre Enzephalopathie 257
Suizidalität 49, 150, 277
– Kindes- und Jugendalter 59
Syndrom der inadäquaten
ADH-Sekretion (SIADH) 49
T
Ticstörungen 262
Trennungsangst 268
Trichotillomanie 211
U
überaktive Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien 267
undifferenzierte Schizophrenie 244
unterschwellige Depression 149
V
vaskuläre Demenz 257
very early onset schizophrenia
253
W
wahnhafte Exazerbationen 249
Wernicke-Korsakow-Syndrom 228
Winterdepression 149
Z
Zähneknirschen 262
zentrales anticholinerges
Syndrom 279
zentrales Serotoninsyndrom 50, 278
Zwangsstörungen 45, 171
323
Pharmakaverzeichnis
In das Pharmakaverzeichnis sind die chemischen Kurzbegriffe kursiv und die Handelsnamen in gerader Schrift aufgenommen.
Eine fettgedruckte Seitenzahl verweist auf die tabellarische Beschreibung im jeweiligen Teil »Präparategruppen«.
A
AADC-Inhibitorpräparate 130
Abilify 79
Acamprosat 111, 229
Acomplia 114, 125
Adumbran 92
Agomelatin 39
Akineton 274
Alprazolam 92, 93, 158
Amisulprid 73, 79
Amitriptylin 57
Anafranil 57
Androcur 120
Aricept 108
Aripiprazol 73, 79
Atarax 93
Atomoxetin 128, 129, 131, 223
Aurorix 58
Axura 108
B
Baldrianpräparate 102
Bespar 93
Biperiden 274
Buprenorphin 111, 112, 230
Bupropion 39, 56, 114, 218
Buspiron 85, 88, 91, 93, 94, 163
C
Campral 111
Carbamazepin 62, 69, 210, 211, 227,
283
Champix 111, 114
Chloraldurat 500 102
Chloralhydrat 96, 97, 99, 102
Chlordiazepoxid 84
Chlorprothixen 81
Cialis 121
Cipralex 54
Cipramil 54
Citalopram 54, 157
Clomethiazol 110, 111, 227
Clomipramin 57, 173
Clonazepam 92, 263, 284
Clonidin 111, 113, 131, 230, 232
Clozapin 73, 74, 77, 78, 79, 80, 81, 258
Concerta 129
Cymbalta 55
Cyproteronacetat 119, 120, 217
D
Dalcipran 55
Dalmadorm 101
Desipramin 111
Desmopressin 269
DHEA 146, 217
Diazepam 92, 94, 247,
Diphenhydramin 97, 102
Dipiperon 80
Distraneurin 111
Disulfiram 111, 112, 229
Dociton 93
Dolestan 102
Donepezil 108, 258
Duloxetin 54, 55, 187, 189, 190
E
Ebixa 108
Edronax 56
elmendos 69
Elontril 56
Equasym 129
Ergenyl chrono 69
Ergocalm Tabs 101
Escitalopram 54, 157, 162, 173
Eunerpan 80, 274
Exelon 108
F
Fevarin 54
Fluanxol 80
Fluctin 54
Flumazenil 85, 111
Fluoxetin 53, 54, 59, 120, 152, 173,
196, 197
Flupentixol 80
Fluphenazin 81
Flurazepam 101
Fluvoxamin 54, 59, 173, 175, 269
G
Galantamin 108, 258
Gladem 54
H
Halcion 101
Haldol 80
Haldol-Janssen 274
Haloperidol 80, 81, 110, 111, 274
Hydroxyzin 86, 88, 91, 93
Hyperikumextrakt 58
I
Imipramin 57, 111, 142, 156, 162
Insidon 93
Invega 78
J
Johanniskrautextrakt 58, 188
L
Lamotrigin 62, 69, 239, 283
Leponex 79
Levitra 121
Levodopa 289
Levomethadon 111, 112, 230
Levomopromazin 81
Librium 84
Lithium 143, 210, 239, 283
Lithiumcarbonat 69
Liviella 217
Lorazepam 92, 158, 247, 274
Lormetazepam 101
Lorprazolam 101
L-Polamidon 111
Lyrica 93
M
Medikinet retard 129
Melatonin 96, 102, 259
324
21
22
L
D
P
26
27
28
29
30
31
32
Pharmakaverzeichnis
Melperon 80, 81, 102, 203, 274
Memantin 107, 108, 258
Methadon 111, 112, 230
Methylphenidat 128, 129, 204, 223
Milnacipran 55, 187, 190
Minirin 269
Mirtazapin 55, 56, 101, 140, 142, 218,
246
Moclobemid 57, 58
Modafinil 128, 129, 131, 204, 205, 223
N
Naloxon 111, 230
Naltrexon 111, 113, 210, 211, 229,
231, 232
Narcanti 230
Natriumoxybat 129, 204
Nikotinpflaster 111
Noctamid 101
Nortrilen 57
Nortriptylin 57
O
Olanzapin 69, 73, 79, 203, 239, 245,
248, 249, 274
Opipramol 86, 88, 91, 9393, 188
Orfiril long 69
Orlistat 124, 125
Oxazepam 92
R
Reboxetin 55, 56
Reductil 125
Remergil 56
Remestan 101
Reminyl 108
Restex 130
Rimonabant 114, 124, 125, 232
Risperdal 79
Risperidon 79, 81, 210–212, 245, 248,
249, 259, 262, 268
Ritalin 129
Rivastigmin 108, 258
Rivotril 92
Ropinirol 289
S
Saroten 57
Sepram 54
Seroquel 69, 79
Seroxat 54
Sertralin 54, 120, 178
Sibutramin 124, 125, 197
Sildenafil 120, 121, 216, 218
Solian 79
Sonata 101
Sonin 101
Stangyl 57
Stilnox 101
Strattera 129
P
33
34
35
36
37
38
39
40
Paliperidon 78
Paroxetin 54, 178, 282
Perazin 81
Pimozid 81
Pindolol 94
Pipamperon 80, 81, 203
Pramipexol 289
Pregabalin 86, 88, 93, 163
Propranolol 93, 94
Prozac 53
Q
Quetiapin 69, 79, 203, 210, 239, 245,
258
Quilonum retard 69
T
Tadalafil 121
Tafil 92
Tagonis 54
Tavor 92, 274
Tegretal 69
Temazepam 101
Testosteron 217
Theophyllin 205
Tiaprid 227, 262
Tibolon 217
Timonil 69
Tofranil 57
Tranylcypramin 57
Trevilor retard 55
Triazolam 101
Trimipramin 57, 102
Tryptophan 96, 102
V
Valium 92
Valproinsäure 62, 69, 210, 211, 239,
283
Vardenafil 121
Variniclin 111, 114
Venlafaxin 54, 55, 140, 142, 158, 162,
187, 190
Viagra 121
Vigil 129
X
Xenical 125
Ximovan 101
Xyrem 129
Y
Yohimbin
118
Z
Zaleplon 97, 101
Zeldox 79
Ziprasidon 73, 79
Zoloft 54
Zolpidem 97, 101
Zopiclon 97, 101
Zyban 111
Zyprexa 69, 79, 274
325
Sachverzeichnis
A
Abhängigkeitsstörungen 226
Absetzsyndrome
– Antidepressiva 48
Absorption 12, 15
Acetylcholinesterasehemmer 106
ADHS
– multimodale Therapie 130
Agonist 17
Agoraphobie 168
Agranulozytose
– Antipsychotika 77
Akathisie 76
Akkumulation 12
Alkoholabhängigkeit
– Rückfallprophylaxe 228
Alkoholentzugsdelir 228
Alkoholentzugssyndrom 227
Alkoholfolgekrankheiten 228
Alkoholhalluzinose 228
Alkoholoabhängigkeit
– Rückfallprophylaxe 111
Allianz, therapeutische 251
Alpträume 262
Amphetamin 231
Amyloidhypothese 257
Androgene 119
Angst
– Neurobiologie 151
Anorexia nervosa 195
Anpassungsstörung 182
Antagonist 17
Antiadiposita 124
Antiandrogene 119
Antidepressiva 289
– ADHS 129
– Akuttherapie 140
– Angsterkrankungen 89
– chemische Struktur 39
– Definition 38
– Dosierung 45
– Drug-Monitoring 45
– duale Antidepressiva 38, 187
– – Schmerzen 187
– generalisierte Angststörung 162
– Gewichtszunahme 47
– hämatopoetisches System 47
– historische Entwicklung 38
– im höheren Lebensalter 52
– Indikationen 43
– kardiale Nebenwirkungen 45
– Kombinationsstrategien 144
–
–
–
–
–
Manieinduktion 237
Non-Compliance 43
Panikstörungen 156
Persönlichkeitsstörungen 210
pharmakologische Angriffspunkte 42
– Plasmakonzentration
– Plasmaspiegel 45
– primäre Insomnie 203
– Psychotherapie 137
– Rezidivprophylaxe 142
– Routineuntersuchungen
– Schwangerschaft und Stillzeit 280
– Suizidalität 49
– trizyklische Antidepressiva
– – Entwicklung 38
– – Therapieempfehlung 57
– Wechselwirkungen 51
– Wirkungseintritt 140
– Wirkungsmechanismus 40
– Zwangsstörung 173
Antidepressivastudien
– Methodik 39
Antiepileptika 84
– Alkoholkrankheit 111
Antihistaminika 84, 97, 99
Antiinsomnika 96
Anticraving-Substanzen 111
Antikonvulsiva 62
– Schwangerschaft und Stillzeit 283
Antipsychotika 76, 289
– Absetzversuch 75
– Alkoholkrankheit 110
– als Anxiolytika 86, 89
– atypische Antipsychotika
– – Definition 72
– – Stimmungsstabilisierer 62
– Begleittherapie 74
– Behandlungsdauer 74
– gesicherte Wirksamkeit 73
– Insomnie 203
– kardiale Nebenwirkungen 77
– Kombination 250
– konventionelle Antipsychotika 72
– – Definition 72
– Langzeiteffekt 73
– Lebensqualität 73
– Persönlichkeitsstörungen 210
– psychosoziale Integration 73
– Routineuntersuchungen 78
– Schwangerschaft und Stillzeit 283
– vegetative Nebenwirkungen 77
– Wechsel 250
– Wirkungsmechanismus 72
Arzneimittel
– Definition 4
Asperger-Syndrom 267
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen
– Neurobiologie 222
Augmentationsstrategien 145
Autismus
– Neurobiologie 266
Azapirone 84
B
Barbiturate 84, 85, 96
Beipackzettel 23, 24
Belastungsstörung 181
– posttraumatische 177
Benzodiazepine 289
– Abhängigkeit 90
– Alkoholkrankheit 110
– generalisierte Angststörung 163
– Indikationen 87
– Panikstörungen 158
– paradoxe Reaktionen 99
– Schlaf-EEG 97
– Schwangerschaft und Stillzeit 284
– Wirkungsmechanismus 84
Benzodiazepinhypnotika 96
Benzodiazepinrezeptorantagonisten 85
Beta-(β-)Rezeptorenblocker 84, 86
– Angststörungen 158
Bewegungsstörungen 130, 261
Bewegungstherapie 147
Bilanzsuizid 277
Bindungsstörungen 270
Binge-eating-Störung 197
Bioverfügbarkeit 13
bipolare affektive Störung 236, 239
– Phasenprophylaxe 236, 239
BLIPS
– Schizophrenie 244
– Depression 141
Blutungen, gastrointestinale
– SSRI 47
Bromide 96
Bruxismus 262
BPSD (Verhaltensstörung, demenzassoziierte) 258
Bulimia nervosa 196
Burnout-Syndrom 151
Buspiron 168
– Wirkmechanismus 85
326
21
22
23
24
25
S
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
Sachverzeichnis
C
Cannabis 232
Cannabisabhängigkeit 113
Carbamazepin 67
Chloralhydrat 97
Chlordiazepoxid 84
cholinerge Hypothese
– Demenz 106
Clearance 13, 14
Cochrane-Datenbank 26
Colon irritabile 190
Craving 229
cycling acceleration 238
Cytochrom P450 15
D
D2-artige Rezeptoren 73
Degenerationshypothese
– Schizophrenie 244
Delirium tremens 228
Demenz
– bei Alzheimer-Krankheit 256
-- cholinerge Hypothese 106
-- Neurobiologie 257
– Prävention 258
demenzielles Syndrom 256
Depotpräparate 75
Depression
– atypische 149
– bipolare 236
– blips 141
– Erhaltungstherapie 142
– Genetik 136
– hirnmorphologische
Veränderungen 136
– Hormone 146
– bei körperlichen Erkrankungen 150
– Krankheitsmodell 137
– Neurobiologie 136
– Noradrenalin- und Serotoninhypothesen 38
– mit psychotischen Merkmalen 236
– Relapserate 39
– Remission 143
– rezidivierende
– – Therapie 148
– rezidivierende kurze 149
– Therapie 148
– wahnhafte
-- EKB 249
depressive Episode, s. Depression
Designerdrogen 231
Desorientiertheit 276
DHEA-Therapie 120
Dispositionsgene
– Schizophrenie 244
Distribution 12, 15
Dopaminagonisten 130, 289
Dopaminrezeptor 72
Dosis-Wirkung-Beziehung 6
Double Depression 149
Drug-Monitoring 19
Dysthymie 149
E
Ebstein-Anomalie 283
EC50 7
Ecstasy 231
Ecstasy-Abhängigkeit 113
ED50 7
Effekt
– antinozizeptiver
– – Antidepressiva 189
Eifersuchtswahn 228
Ejaculatio praecox 217
Ejakulationen, schmerzhafte 218
Ejakulationsverzögerungen 218
Elektrokrampfbehandlung (EKB) 147
– Kindes- und Jugendalter 253
Eliminationshalbwertszeit 13, 14
Entgiftung 228
– qualifizierte 226
Entspannungsverfahren
– Insomnie 202
Entwicklungsstörungen, tief
greifende 266
Entwöhnung
– Definition 227
Entwöhnungstherapie 228
Entzugssymptome
– Benzodiazepine 90
Enuresis 269
EPS-Nebenwirkungen 76
Erektionsstörungen 216
Erhaltungstherapie
– Bedingungen 9
Erregungszustände, psychomotorische 275
Essstörungen 193
– Neurobiologie 194
Eve 231
Eve-Abhängigkeit 113
evidenzbasierte Medizin 26
Exkretion 12, 16
eye movement desensitization and
reprocessing (EMDR) 179
F
Fachinformation 24
Fibromyalgiesyndrom 190
first generation antipsychotics 72
Flashback-Psychosen 232
Flexibilitas cerea 276
Floppy-infant-Syndrom 283
Folsäuresubstitution 283
Frühdyskinesie 76
G
GABA 84
GABAA-Rezeptoren 85
GABA-Benzodiazepinkomplex 85
Gammaaminobuttersäure (GABA) 84
generalisierte Angststörung
– Antidepressiva 162
Generikum 5
Gestagene 119
Gewichtszunahme
– Antidepressiva 47
– Antipsychotika 76
Gleichgewichtszustand (Steady
State) 14
H
Hang-over-Effekte 99
Haschisch 232
Heroinvergabe, ärztlich
kontrollierte 231
Herzinfarkt
– Antidepressiva 52
Herz-Kreislauf-Erkrankungen 46
high expressed emotions 251
Hormonersatztherapie 120
Horrortrip 232
5-HT-Transporter-Gen 30
hyperkinetische Störungen 222
Hypersomnie 204
Hypnotika
– Abhängigkeit 98
– pflanzliche Präparate 96
Hypomanie 236
hypothalamisch-hypophysär-adrenales
System (HPA) 39, 156
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System 136
327
Sachverzeichnis
I
IC50 7
Imipramin
– Entdeckung 38
inadäquate ADH-Sekretion (SIADH)
Insomnie
– Alkohol 201
– Antipsychotika 203
– Neurobiologie 201
– primäre 200
-- Antidepressiva 203
– Ursachen 200
intrinsische Aktivität 17
Isoenzyme 15
49
J
Johanniskrautextrakte
– Therapieempfehlung 58
K
kardiale Nebenwirkungen 77
– Antidepressiva 45
– Antipsychotika 77
Kataplexie 204
Katatonie
– febrile 276
– perniziöse 276
kognitive Störung, leichte 256
Kokain 231
Kombinationsbehandlung
– Psycho- und Pharmakotherapie 31
Krampfanfälle 76
Kumulationsphänomene 99
L
Lampenfieber 159
Langzeittherapie
– Bedingungen 9
LD50 7
Leuprorelinacetat 121
LHRH-Antagonisten 121
Libidosteigerungen 218
Lichttherapie 147
Lipasehemmer 124
Lithium
– Plasmakonzentration 65
– Routineuntersuchungen 67
– Schwangerschaft und Stillzeit
– Wirkungsmechanismus 62
– zirkadiane Ryhthmen 63
M
Magnetstimulation, repetitive
transkranielle 147
malignes neuroleptisches
Syndrom 76, 278
Manie
– Neurobiologie 236
MAO-Hemmer
– Entdeckung 38
– Therapieempfehlung 57
Marihuana 232
Marker, biologischer 136
Mebrobamat 84
Medikamentencompliance
– Psychotherapie 31
Medikamentenentwicklung
– Phasen 6
Medroxyprogesteron 121
Meskalin 232
metabolisches Syndrom 76
Metabolisierung 12, 15
Methylphenidat
– ADHS 128
Migräne 189
Minor Depression 149
Missbrauch
– Definition 226
Mitralklappenprolaps 159
mnestische Störung 276
mood stabilizer 62
Müdigkeitssyndrom, chronisches
N
283
Nikotinabhängigkeit 114
Nikotinersatzstoffe 114
NMDA-Antagonist 106
NMDA-Rezeptoren 106
Non-Benzodiazepinhypnotika 97
– Schwangerschaft und Stillzeit 284
Non-Compliance
– Antipsychotika 75
Non-REM-Schlafepisoden 201
Noradrenalin-Dopaminrückaufnahmehemmer 56
Lithiumaugmentation
– im höheren Lebensalter 66
Lithiumprophylaxe
– Absetzen 64
Locus coeruleus 151
low-dose dependence 90, 98
LSD 232
Nachahmungspräparate 5
Nap 202
Narkolepsie 204
Negativsymptomatik
– und Prodromalstadium 246
– Schizophrenie 246
neuroleptische Potenz 72
Neuron 17
Neuropils 244
Neurotransmission
– serotonerge 62
– – Lithium 62
Nikotin 232
O
off-label 22
Opiatabhängigkeit
– Entwöhnungsbehandlung 231
– Substitutionsbehandlung 230
Opiatentzugssyndrom 113, 230
Opiatintoxikation 230
Opioid-Agonisten 289
Orexinsystem 201, 204
Östrogenmangel 119
P
189
Panikstörungen
– Antidepressiva 45
Paraphilie 217
Parasomnien 262
Parkinson-Erkrankung
– Depression 52
Parkinsonoid 76
Patienteninformation 22
Pavor nocturnus 262
PDE-5-Hemmer 118, 217
periodic limb movements in sleep
(PLMS) 130, 262
Persönlichkeitsstörungen 207
– Neurobiologie 208
Pharmakodynamik 12, 16
Pharmakokinetik 12, 13
Pharmakon
– Definition 4
phase advance 63
Phasenfrequenz 238
Phasenprophylaxe
– bipolare affektive Störung 236, 239
Phobie
– Agoraphobie 168
– soziale 168
– spezifische 168
phobische Störung
– Antidepressiva 168
Phosphodiesterase-Typ-5Hemmer 118
328
21
22
23
24
25
S
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
Sachverzeichnis
Placebo 39
Polymorphismus 16
Polytoxikomanie
– Definition 226
post-stroke depression 150
posttraumatische Belastungsstörung
(PTSD) 177, 181
– Neurobiologie 178
Priapismus 218
Prodromalstadium
– Schizophrenie 246
Pseudodemenz 277
– depressive 150
Psilocybin 232
Psycho- und Pharmakotherapie
– Kombinationsbehandlung 31
Psychoanaleptikum 128
Psychomimetika 232
– Abhängigkeit 113
Psychopharmaka
– Fahrtüchtigkeit 288
– Schwangerschaft 282
Psychostimulanzien 222
Psychotherapie
– Medikamentencompliance 31
PTSD, s. posttraumatische Belastungsstörung
R
Rapid Cycling 236, 239
rapid-eye-movement 201
Rauchen 78
Reboundsymptome 90
recurrent brief depression 149
Redner- und Prüfungsangst 159
Reizdarm 190
REM-Schlaf 201
Restless-legs-Syndrom 130, 262
Rett-Syndrom 267
reuptake 40
Rezeptorbindung 16
Rezeptoren, glutamaterge 106
Rezeptor-Signal-Transduktion 17
Rezidivprophylaxe
– Bedingungen 9
Rhabdomyolyse 77
riskanter Konsum
– Definition 226
Rote Liste 23
Rückfallsymptome
– Benzodiazepine 90
S
SAD 149
Schilddrüsenhormone 146
schizoaffektive Störung 240
– Phasenprophylaxe 240
Schizophrenie 244
– katatone 276
– – Stupor 276
– Neurobiologie 244
– Prodromalstadium 244
– Therapieresistenz 249
– unspezifisches Vorstadium 244
Schlaf, nichterholsamer 200
Schlafanalyse 200
Schlafapnoesyndrom 205
Schlaf-EEG
– Benzodiazepine 97
Schlafentzug 146
Schlafhygiene 202
Schlafmittel 96
Schlafstörungen 199
– nichtorganische 200
– organische 200
Schlaf-Wach-Regulation 201
Schlafwandeln 262
Schlaganfall
– Antidepressiva 52
Schmerzen
– duale Antidepressiva 187
Schmerzstörung 189
Schmerzsyndrome 187
seasonal affective disorder 147
second generation antipsychotics 72
Sedierung
– Antidepressiva 47
Selbsthilfegruppen 229
Serotonin (5-HT)-Transporter 42
Serotoninregulation
– Essstörungen 194
Serotoninsyndrom, zentrales 50, 278,
279
Sexualhormone 119
sexuelle Funktionsstörungen 215
– Antidepressiva 47
– Antipsychotika 76
– Neurobiologie 216
SIADH 49
Sleep-Onset-REM-Episoden 204
SNRI
– Therapieempfehlung 53, 55, 56
somatoforme Störung 185
Somnambulismus 262
Sozialrhythmus-Therapie 240
Spannungskopfschmerz 189
Spätdyskinesien 76
SSRI 53
– Angst
– Bulimia nervosa 196
– depressive Störungen 140
– Ejaculatio praecox 120
– Entwicklung 38
– generalisierte Angststörung 162
– Insomnie 202
– Manieinduktion 237
– Panikstörung 157
– Persönlichkeitsstörungen 210
– phobische Störung 168
– Plasmakonzentration 45
– posttraumatische Belastungsstörung 178
– prämenstruelles Syndrom 190
– somatoforme Störung 187
– und Suizidalität 59
– – Kindes- und Jugendalter 59
– Therapieempfehlung 53
– Wechselwirkung 18
– Zwangsstörung 172
Steady State 14
Stimmungsstabilisierer 289
– Definition 62
– Indikationen 64
– – Übersicht 64
Störungen
– hyperkinetische 222
– leichte kognitive 256
– mnestische 276
– phobische 168
– – Antidepressiva 168
– schizoaffektive 240
– – Phasenprophylaxe 240
– somatoforme 185
Stress 151
Stresshormonachse, PTSD 178
Stupor
– depressiver 276
– dissoziativer 277
– psychogener 277
Suchtmittel 227
Suizidalität 277
– unter Antidepressiva 49
switch 238
Syndrom 190
– delirantes 276
– demenzielles 256
– der inadäquaten ADH-Sekretion
(SIADH) 49
– malignes neuroleptisches 76, 278
– metabolisches 76
– prämenstruelles 190
– – SSRI 190
– somatisches 196
– – depressive Störung 196
– zentrales anticholinerges 278
329
Sachverzeichnis
T
Testosteron
– Stimmungsregulation 146
Testosteronsubstitution 217
Testosterontherapie 120
therapeutic-dose dependence 90, 98
therapeutische Breite 7
therapeutisches Fenster 52
– Plasmakonzentration 45
Therapieresistenz
– Depression 143
– – Algorithmus 145
– Schizophrenie 249
Ticstörungen 262
Tiefenhirnstimulation 173
Toleranz
– pharmakodynamische 8
– pharmakokinetische 7
Toleranzbildung 7
Trennungsangst 268
TZA (trizyklische Antidepressiva)
– Manieinduktion 237
V
Z
Vagusnervstimulation 147
Venlafaxin 168
Verhaltensstörung, demenzassoziierte
(BPSD) 258
Verteilungsvolumen 13
Verwirrtheit 276
Vulnerabilitätsstressmodell 251
W
Wechselwirkung 18
Wernicke-Korsakow-Syndrom
Winterdepression 149
Wirkstoffentwicklung 5
Zähneknirschen 262
228
Zwangsgedanken 172
Zwangshandlungen 172
Zwangsstörung
– Antidepressiva 173
– – Dosierung 45
– Neurobiologie 172
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