Trikulturelles Europa? Geschichte der Juden, Muslime und Christen in der Neuzeit Juden und Muslime im Zeitalter der Aufklärung Margit Roy, 2006 1 Inhaltsverzeichnis 1 Vorwort ................................................................................................................ 3 2 I s l a m ................................................................................................................ 4 3 4 2.1 Religion und Staat ........................................................................................ 4 2.2 Begegnung mit dem Westen ........................................................................ 6 2.3 Politisch-religiöse Reformer des 19. Jahrhunderts ....................................... 8 2.4 Menschenrechte ......................................................................................... 10 2.5 Zusammenfassung ..................................................................................... 11 J u d e n t u m .................................................................................................... 11 3.1 Die Lage der Juden am Ausgang des Mittelalters ...................................... 11 3.2 Die Lage der Juden in Deutschland ........................................................... 12 3.3 Die Sephardim und Aschkenasim in Holland ............................................. 14 3.4 Die Juden Wiens ........................................................................................ 15 3.5 Die Juden in Italien ..................................................................................... 17 3.6 Die Juden im Osmanischen Reich ............................................................. 17 3.7 Zusammenfassung ..................................................................................... 20 Literaturverzeichnis ........................................................................................... 22 2 Vorwort Die Philosophie der Aufklärung ist ein europäisches Kulturphänomen, das sich hauptsächlich in der Zeit des 18. Jahrhunderts in Frankreich wie auch in Deutschland entwickelte. In Frankreich breitete sich die Bewegung sehr schnell aus und innerhalb kürzester Zeit war die Mehrheit der Gesellschaft von den neuen Ideen beeinflusst. Auch in Deutschland zeigten die Ideen nachhaltig Wirkungen, jedoch wurden Staat und Gesellschaft nicht im gleichen Maße von der Bewegung durchdrungen. Aufklärer kritisierten Politik und noch mehr die Religion. Die Aufklärungsbewegung räumte mit der alten Ordnung in ihrer Gesamtheit auf. Die Philosophie der Aufklärung wurde Grundlage und Ausgangspunkt des modernen abendländischen Denkens.1 Im Mittelpunkt dieser Ideologie standen die Vernunft des Menschen, sowie die Forderung nach Selbständigkeit im Denken und Handeln. Nach Jahrhunderten der Leicht- und Abergläubigkeit wurde nun alles bewusst in Frage gestellt und kritisch hinterfragt.2 Der Esprit der Aufklärung entfaltete sich auch über Europa hinaus.3 Der bedeutendste Schriftsteller der deutschen Aufklärung war Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781). Er beschäftigte sich u.a. mit der Frage der Religion und ihrer Bedeutung für die Menschheit. In seiner Erzählung „Ringparabel“ forderte er zu religiöser Toleranz und praktischer Humanität auf. Diese Botschaften sind auch heute noch aktuell.4 Seit seiner Zeit hatte in Europa ein Prozess der Säkularisierung stattgefunden, eine fortschreitende Verweltlichung mit der Verdrängung kirchlicher Autoritäten. Zwar wirkten Religion und staatliche Ordnung bezüglich vieler Themen im Interesse der Gesellschaft gemeinsam, jedoch behielt sich die Staatsgewalt die Aufsicht über die Religion ihrer Untertanen vor.5 In der islamischen Welt hatte die Aufklärung zunächst keinen Einfluss auf die Politik. Erst ein halbes Jahrhundert später zeigten sich erste Spuren der neuen Denkweise. Doch je mehr sich die europäischen Kultur in der islamischen Welt entwickelte, 1 Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46, hier S. 29. 2 Werner Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung, München 22001, S. 11. 3 Ebd., S. 116. 4 Ebd., S. 106 – 109. 5 Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000, S. 94-96. 3 desto mehr sah man die Ideologie der Aufklärung als Abwendung von den Grundlagen des Islam und stieß auf Ablehnung. Dennoch sind die Auswirkungen der Aufklärung in der islamischen Welt heute in weiten Teilen der Gesellschaft, besonders in intellektuellen Kreisen, spürbar. 6 1 Islam 1.1 Religion und Staat Ein zentrales Problem der islamischen Welt ist, dass es keine wirkliche Trennung von Religion und Staat gibt. Von Beginn an wurde der islamische Staat von Muslimen gelenkt.7 Die islamische Religion entfaltete sich im 7. Jahrhundert n. Chr. gemeinsam mit einem Staatswesen auf der Arabischen Halbinsel. Als Staats- und Gesetzesreligion musste der Islam die Beziehungen zwischen den Menschen regeln und eine wirksame Verwaltung errichten.8 Die herrschende Kultur der islamischen Welt ist eine religiöse Kultur, gebunden an religiöse Sitten und Werte, an religiöses Wissen und Bewusstsein und eine religiöse Vorstellungswelt. Wichtigste Bezugsperson des Einzelnen ist Gott, gefolgt von seinem irdischen Stellvertreter, dem Herrscher. Der wichtigste Aspekt in der Bewertung eines Menschen sind sein Glaube oder sein Unglaube und im politischen Leben Loyalität oder Opposition. Die Bewegungen, die als Fundamentalismus bezeichnet werden, sind nicht an den Ursprüngen im Sinne der lebendigen Wurzeln unserer Kultur interessiert. Für sie sind diese Wurzeln vielmehr unveränderliche Gesetze, die nicht übertreten und nicht ignoriert werden dürfen. Die Fundmentalisten versuchen das Vergangene in die Gegenwart zu projizieren. Wir sehen hier eine totale Abkehr von der Vernunft. 6 Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46, hier S. 30. 7 Heinz Halm, Der Islam. Geschichte und Gegenwart, München 42002, S. 57f. 8 Hans-Georg Ebert, Tendenzen der Rechtsentwicklung, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 199-228, hier S. 200. 4 Alles was anders ist, anders denkend, anders handelnd, anders glaubend wird verachtet und verfolgt. Die Gesellschaft wird zu einem durch Offenbarung diktierten Gebilde. Die Religion wird auf Riten reduziert und verliert so ihren Sinn. Für den Islam steht die Welt still. Die Politik wird als sakraler Akt gelebt. Die Erde soll dem Himmel gleichen. So gehört auch eine Reinigung der Gesellschaft dazu. Das Töten ist für den Fundamentalisten kein Verbrechen, sondern er glaubt daran, dass er die Gesellschaft besser macht, indem der Ungläubige sie nicht mehr verschmutzt. Es gibt auch kein irdisches Recht, das eine Person vor dem Urteil des göttlichen Gesetzes retten könnte. Menschenrechte sind mit diesem Lebensmodell, das doch an den Menschen selbst nicht glaubt, nicht vereinbar.9 Im Islam ist die Geschichte an ihrem Ende angekommen. Das Denken wird reduziert auf eine Annullierung des Fragens. Das freie Individuum wird ersetzt durch den Text der göttlichen Offenbarung. Die Religion gibt Antwort auf alle Fragen und wird gepriesen. Religion und Kultur werden zur Kunst des Verschleierns, nicht des Entschleierns. In solch einer Gesellschaft ist es nicht erwünscht neugierig zu sein. Forschung wird gehemmt. In der islamischen Gesellschaft sind es die Menschen gewohnt, sich zu unterwerfen, denn es fehlen ihnen die Erfahrungen der Emanzipation, sowie der Freiheit.10 Im 7. Jahrhundert nach Christus verkündete Prophet Mohammed die islamische Offenbarung, die als Summe des arabischen Weltbildes und als Ausdruck endgültiger Wahrheit über den Menschen aufgefasst wurde. Der Ursprung ist das Beständige und das ewig Unveränderliche.11 Die Gegenwart wird einer vergangenen Epoche gleichgesetzt und erstarrt dadurch zum Gespenst der Vergangenheit. Das Individuum existiert nur durch ein anderes Individuum, das der Ahnenzeit angehört. Die Religion ist eine Institution, die weder Veränderung, noch Fortschritt oder eigenes Denken zulässt. Sie behindert die Freiheit der Menschen und lässt ihnen 9 Adonis, Kultur und Demokratie in der arabischen Gesellschaft, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 130-137, hier S. 132ff. 10 Khadija Katja Wöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen Leitfaden für Politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 112. 11 Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi (Hrsg.), Einführung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, München 22001, S. 7-28, hier S. 8. 5 keine eigene Identität und keine individuellen Rechte. Kreativität, Kritik, Modernität werden als Bruch mit dem Ursprung gesehen. 12 Der Koran hat alles gesagt und der Mensch hat den Regeln des heiligen Buches zu folgen.13 So stehen muslimische Intellektuelle vor einem schwierigen, wenn nicht vor einem unlösbaren Problem.14 Muslimische Denker führen oft einen verzweifelten Überlebenskampf. Ihre Schriften werden zensiert oder verboten. Viele von ihnen müssen im Exil leben. Doch trotz all dieser Probleme gab es immer wieder politisch-religiöse Strömungen, die für neue Ideen offen waren und versuchten mit der Zeit Schritt zu halten. Jedoch konnten sie sich gegen die traditionellen Kräfte nie durchsetzen.15 1.2 Begegnung mit dem Westen In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die islamische Geschichte unauflösbar mit der Geschichte der westlichen Expansion verbunden. Die europäischen Mächte breiteten sich in der islamischen Welt aus. Die islamische Welt realisierte sehr schnell, dass ihr der Westen militärisch, technisch und politisch weit überlegen war.16 Was die muslimische Welt allerdings 12 Adonis, Die Sackgasse der Moderne in der arabischen Gesellschaft, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 62-71, hier S. 66ff. 13 Khadija KatjaWöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen leitfaden für politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 113. 14 Hischam Djait, Moderne und islamische Erneuerung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 47-61, hier S. 60. 15 Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi (Hrsg.), Einführung, in Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, München 22001, S. 7-28, hier S. 7. 16 Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90-127, hier S. 103f. 6 nicht begreifen konnte, war, dass die Grundlage der westlichen Kraft und Zivilisation eine kritische Haltung gegenüber der Religion war.17 In den kolonisierten Gebieten leiteten die westlichen Kolonialmächte sozioökonomische und infrastrukturelle Veränderungen im Staat und in der Gesellschaft ein. Diese Art von Politik trennte oftmals viele Einheimische von ihren Lebensgrundlagen. Durch die Auflösung der althergebrachten Stammes- und Gesellschaftsstrukturen stürzte die Bevölkerung in eine Identitätskrise.18 Die Muslime sahen daraufhin eine Notwendigkeit darin, ihre kulturelle Identität zu wahren bzw. zu verteidigen.19 Es kam die Phase, in der man sich von den Einflüssen des Westens befreien wollte.20 Produktive Intellektuelle begannen über Themen wie Modernität, Islam, Demokratie, Freiheit und Orientalismus nachzudenken. zwischen den Intellektuellen und den Es kam zum Konflikt Traditionalisten.21 Säkularisten und muslimische Reformer sahen in der Konfrontation nur eine Form der kulturellen Herausforderung.22 Eine Modernisierung ohne Verwestlichung schien genauso unmöglich zu sein wie die Verwestlichung ohne eine Gegenbewegung, die die islamische Gesellschaft von der Verwestlichung bereinigen wollte.23 17 Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46, hier S. 32. 18 Khadija Katja Wöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen Leitfaden für Politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 61f. 19 Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90-127, hier S. 106. 20 Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46, hier S. 37. 21 Ebd., S. 42f. 22 Hischam Scharabi, Moderne und islamische Erneuerung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 47-61, hier S. 50. 23 Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90-127, hier S. 108f. 7 In Europa öffnete man sich für eine viel versprechende Zukunft. In der muslimischen Welt stand dies jedoch im zu großen Gegensatz zu ihren Lebensformen.24 1.3 Politisch-religiöse Reformer des 19. Jahrhunderts Einzelne Persönlichkeiten setzten sich mit den Themen Religion, Politik und Gesellschaft unter modernistischen, säkularisierenden und rationalistischen Gesichtspunkten auseinander und leiteten jene rationale Strömung und kulturelle Erneuerungsbewegung ein, die von den Historikern später als die islamische Renaissance – die Nadha – benannt wird. Zu ihnen gehörten Männer wie at-Tahtawi (1801 – 1873), der Reformtheologe Djamal ad-Din al-Afghani (1838 – 1897) sowie dessen Schüler Mohammed Abduh (1849 – 1905). Diese Bewegung der Erneuerung wurde bald zu einer Welle und breitete sich von Ägypten über die ganze arabische Welt aus.25 At-Tahtawi hatte während seines Aufenthalts in Europa Voltaire, Montesquieu und Rousseau gelesen. Nach seiner Rückkehr in seine Heimat ließ er ein Werk Montesquieus, „Grandeur et Décadence“ übersetzen. Er forderte eine industrielle und wissenschaftliche Revolution. Er glaubte, damit die alte Macht der muslimischen Welt zurückgewinnen zu können. Eine Erneuerung der Gesellschaft im Inneren stand bei ihm nicht im Vordergrund.26 Einige Reformdenker bemühten sich in der gesamten islamischen Welt den ursprünglichen, reinen Islam aus der Zeit des Propheten wieder einzuführen.27 Der Ruf nach dem reinen Islam war ein Bestandteil des ideologischen Kampfes zwischen 24 Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46, hier S. 32. 25 Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi (Hrsg.), Einführung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, München 22001, S. 7-28, hier S. 13. 26 Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46, hier S. 33ff. 27 Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90.127, hier S. 90. 8 dem Islam und dem Westen.28 Djamal ad-Din al-Afghani und sein Schüler und Freund Mohammed Abduh zählten zu den bedeutendsten Repräsentanten dieser Reformbewegung. Das Profil dieser beiden sonst unterschiedlichen Charaktere weist eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Beide hatten eine klassische islamische, als auch eine, an den westlichen Wissenschaften orientierte Ausbildung. Die Interpretation normativ-religiöser Texte wurde zur bestimmenden Größe in der Suche nach dem wahren Islam. Als Zeitzeugen des europäischen Imperialismus identifizierten sie die Schwäche der muslimischen Welt mit deren Abkehr von den wahren Lehren des Islam. Die politische und militärische Verteidigung der islamischen Welt gegen äußere Feinde verbanden sie untrennbar mit der Notwendigkeit zur inneren Reform. Sie waren überzeugt, die islamische Religion stünde in Übereinstimmung mit den Anforderungen des modernen Lebens. Sie forderten die Reform des traditionellen islamischen Erziehungswesens, in dem sie einen Hauptgrund für den Stillstand muslimischer Gesellschaften sahen. Dieses öffentliche Engagement brachte die Reformer aber auch in Konfrontation mit den einheimischen und kolonialen Machthabern. Aufgrund seiner revolutionären Haltung war al-Afghani zum häufigen Standortwechsel gezwungen. Nach seiner Beteiligung an den nationalistischen Wirren in Ägypten, war auch Muhammad Abduh gezwungen, einige Jahre ins Exil zu gehen. Nach den Vorschriften des Islam zu leben, war für Abduh der Schlüssel für das Wohlergehen der Menschen. Für ihn war die Lehre des Islam nicht nur gottgefällig, sondern auch der beste Weg, um Stabilität und den Fortschritt der Gemeinschaft zu sichern. Während des 19. Jahrhunderts beeinflusste die europäische Zivilisation und Technik die islamische Welt immer mehr. Zwischen der europäisierten Elite und der einfachen Bevölkerung wurde die Kluft immer größer. Abduh suchte nach einem Mittelweg um diese Kluft aus dem Weg zu räumen. Wie al-Afghani war auch er nicht für eine gedankenlose Annahme des Europäischen. Die Vereinbarkeit mit dem Islam musste auf jeden Fall beachtet werden. Beide strebten eine islamische Einheit an, um dem 28 Ebd., S. 108. 9 europäischen Kolonialismus entgegenzutreten. Der Kernbegriff all ihrer Vorhaben und Gedanken war der des wahren Islam. 29 1.4 Menschenrechte Seit einigen Jahren herrscht in der islamischen Welt eine Diskussion um das Thema Menschenrechte. Man ist bemüht, islamisierte Menschenrechte zu verabschieden. Mittlerweile liegen verschiedene Entwürfe dieser islamischen Menschenrechtserklärungen vor. Das Problem aus westlicher Sicht hierbei ist, dass diese Vorschläge schwerwiegende Defizite aufweisen, so zum Beispiel ist das göttliche Gesetz noch immer den Menschenrechten übergeordnet.30 Weiters fehlt die grundlegende Aussage, dass „alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ sind.31 Auch von Religionsfreiheit wird nicht gesprochen.32 Die im Koran verordneten Körperstrafen sind nach wie vor legitim. So wird in einigen islamischen Ländern der Geschlechtsverkehr außerhalb einer legalen Ehe mit Steinigung bestraft und bei Diebstahl wird dem Dieb die rechte Hand, im Wiederholungsfall der linke Fuß abgetrennt.33 Und zu guter letzt gibt es laut Koran (Sure 4, Vers 34 „[…] stehen die Männer über den Frauen“) keine Gleichheit von Frau und Mann.34 Laut Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen sind noch im Jahr 2000 51 Prozent der moslemischen Frauen Analphabeten und die Beteiligung der Frauen am gesellschaftlichen Leben ist bei den arabischen am geringsten.35 29 Ebd., S. 114-122. Alexander Flores, Die innerislamische Diskussion zu Säkularismus, Demokratie und Menschenrechten, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 620-635, hier S. 632f. 31 Fatima Mernissi, Der politische Harem. Mohammed und die Frauen, Freiburg im Breisgau 41992, S. 30. 32 Khadija Katja Wöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen Leidfaden für Politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 337. 33 Hans-Georg, Ebert, Tendenzen der Rechtsentwicklung, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 199-228, hier S. 209. 34 Fatima Mernisse, Der politische Harem. Mohammed und die Frauen, Freiburg im Breisgau 41992, S. 207. 35 Wolfgang Bergsdorf (Hrsg.), Der Islam und die Demokratie. Mohammed M. Shabestari im Disput mit Wolfgang Bergsdorf, Jürgen Gnauck, Wolfgang Günter Lerch, Birgit Schäbler, Stefan Wild, Erfurt 2003, S. 43. 30 10 1.5 Zusammenfassung Männer, die im 19. Jahrhundert als politische Reformer fungierten, sind als Vertreter der Aufklärung zu betrachten. Diesen Männern der Tat lag es vor allem daran, die Schwäche des zeitgenössischen Islam zu heilen. Selten ging es ihnen um die Auseinandersetzung mit den hinter der Aufklärung stehenden Ideen. Zwar geht es um eine Reform, nicht jedoch um ein leidenschaftliches Plädoyer für die Vernunft, vor allem nicht um eine kritische Bestandsaufnahme der Religion. Mit dem Ende der westlichen Kolonialherrschaft geriet die islamische Renaissance ins Wanken. Die Herrscher in der arabischen Welt waren nicht in der Lage, die elementarsten Pflichten gegenüber ihren Staatsbürgern zu erfüllen. Um diese Schwächung der Legitimität zu verschleiern, wurde die Gedankenfreiheit der Bürger unterdrückt, durch Despotismus und Gewalt. In jener Zeit verbrachten viele Intellektuelle ihre Zeit im Gefängnis. In den letzten Jahren erwachte der Fundamentalismus neu. Die islamischen Länder berufen sich noch mehr zur Lehre des Islam. Die Erneuerungen, für die viele über ein halbes Jahrhundert lang gekämpft hatten, wurden nie umgesetzt. 2 Judentum 2.1 Die Lage der Juden am Ausgang des Mittelalters Der Vertreibung der Juden aus England und Frankreich um die Wende des 13. Jahrhunderts, folgte 1492 die Ausweisung aus Spanien. In den folgenden Jahren ereilte dasselbe Schicksal die Juden aus den Ländern, die mit Spanien in enger Verbindung standen und um 1500 wurden die Juden auch aus Sizilien, Portugal, Navarra und teilweise aus Neapel vertrieben. 11 Das Jahr 1492 kündigte eine neue Ära der Judennot an. In der christlichen Welt ist zuerst ein Niedergang der jüdischen Diaspora zu verzeichnen. Indessen erhielten in der östlichen Welt zahlreiche alte und neue jüdische Gemeinden Auftrieb.36 Von Berichten über größere Toleranz angelockt, ließen sich die Juden bevorzugt im osmanischen Gebiet nieder. So siedelten sich viele Juden in den Städten Istanbul , Izmir, Edirne sowie in anderen Städten Anatoliens und auf dem Balkan an. Im 16. und frühen 17. Jahrhundert stand das osmanische Reich am Höhepunkt seiner Macht. 1453 hatten die Osmanen Konstantinopel erobert, 1523 kam Rhodos und 1571 Zypern unter ihren Einfluss. Weiters wurden im 16. Jahrhundert dann noch Ägypten, Syrien, Palästina und Teile Arabiens in das Osmanische Reich eingegliedert. Diese neue Macht hieß die Juden willkommen. 37 2.2 Die Lage der Juden in Deutschland Die Geschichte der Juden in Deutschland war eine Geschichte von Ausweisungen, Repressalien und Einschränkungen. Meist wurden sie nur widerwillig geduldet und wegen ihrer Religion von den Christen angefeindet und verfolgt. Sie mussten andauernde Belästigungen und Anfeindungen ertragen. Je nach Zeitalter, Umständen und Ort war ihr Leben geprägt von verschiedensten Konflikten.38 Der Ausgang des Mittelalters war auch im deutschsprachigen Raum von einer Welle von Judenvertreibungen gekennzeichnet: so 1419 aus Trier, 1421 aus Wien, 1424 aus Köln, 1427 aus Bern, 1428 aus Freiburg (Schweiz), 1428 aus Zürich, 1462 aus Mainz, 1472 aus Schaffhausen. Nur wenige jüdische Gemeinden überleben das 15. Jahrhundert. Der zentralen Gewalt gelang es nicht, den Judenschutz wirksam wahr zu nehmen und eine einheitliche Judengesetzgebung zu schaffen. Die einzelnen Städte handhabten die Judenfrage meist nach eigenem Gutdünken. Trotz der Reformation kam es zu keiner Besserung der sozialen Lage der Juden. Martin Luther 36 Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart - Bad Cannstatt 1980, S. 17f. Bernard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Aus dem Englischen von Liselotte Julius, München 2004, S. 103-114. 38 Klaus L. Berghahn, Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung, Köln – Weimar – Wien - Böhlau 22001, S. 37 12 sagte zum Thema „dass Jesus Christus ein geborener Jude sey“ unter anderem: „… Will man yhm helfen, so muss man nicht des Papsts, sondern christlicher Liebe Gesetz an yhm üben und sie freundlich aufnehmen…“ Der jüdische Historiker Graetz kommentierte dies: „Das war ein Wort, wie es die Juden seit einem Jahrtausend nicht gehört hatten“. bekehren könne. Luther hatte geglaubt, dass er die Juden zum Evangelismus Als er sich jedoch getäuscht sah, änderte er seine offizielle Denkensweise und sein Wohlwollen schlug in Zorn um. Zu dieser Zeit waren die Juden überall nur kleine Gruppen von Staatenlosen und Fremden geworden, die nur in bestimmten Stadtteilen wohnen und nur bestimmte 39 Sie durften keinen zünftisch organisierten Handwerken und Gewerben nachgehen und sie durften keinen Grund und Boden besitzen. Berufe ausüben durften. Infolgedessen waren sie auf Wechselgeschäfte, Geld- und Pfandleihe und Handel angewiesen. Noch im 18. Jahrhundert mussten die Juden sich in der Öffentlichkeit durch einen gelben Ring an Mantel oder Hut als Außenseiter kenntlich machen. Die Juden, denen es möglich war regelmäßig hohe Schutzgelder zu bezahlen, wurden von der Obrigkeit als so genannte Schutzjuden toleriert. Vielen Familien, die diese Bedingungen nicht erfüllen konnten, blieb weder Lebensgrundlage noch Aufenthaltsgenehmigung.40 Der natürlichen Vermehrung von Juden wollte das Gesetz selbst einen Riegel vorschieben. So wurde nur eine geringe Zahl von Judenehen genehmigt. Ab napoleonischen Zeiten besserte sich die Lage für einige Juden, und es kam langsam zu bürgerlicher Gleichberechtigung. In dieser Zeit rückte in der christlichen Gesellschaft die Religion in den Hintergrund. Männer wie Lessing, Mirabeau oder Dohm ergriffen das Wort für ihre jüdischen Mitbürger und werfen Themen wie Toleranz und Humanismus auf. Dadurch wurde sichtbar, dass der Niedergang und die soziale Entfremdung der Juden vornehmlich auf ihrer Rechtlosigkeit und bürgerlichen Erniedrigung beruhten. Durch diesen Sinneswandel wurde es möglich, dass sich seit Ende des 18. Jahrhunderts einige Großkaufleute, Bankiers und Fabrikanten zu der großen Zahl der 39 40 Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 26f. Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000,S. 264-267. 13 jüdischen Krämer und Händler gesellten. Juden waren nach wie vor aus der christlichen bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen, jedoch wurden sie nicht mehr so unterdrückt. Wichtiger Denker dieser Zeit waren unter anderem Immanuel Kant und sein Zeitgenosse Moses Mendelssohn. Immanuel Kant sagte: „Die Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Da es den Juden in dieser Zeit nicht möglich war, sich im irdischen Raum auszubreiten, trachtete Mendelssohn danach, Raum im Raum des Geistes zu schaffen.41 Doch die Haltung der Aufklärer gegenüber den Juden war keineswegs einheitlich und eindeutig. Für viele von ihnen galten die Juden als sittlich verderbt, habgierig und betrügerisch. Während die christliche Tradition eine heilsgeschichtliche Sonderrolle zuwies, den Juden als „Christusmördern“ führten die Obrigkeiten die Verdorbenheit der Juden jetzt auf die Umstände, wie z.B. ihre rechtliche Lage und ihre niedrigen und verachteten Tätigkeiten zurück und man ging mit dem volkspädagogischen Eifer der Aufklärung daran, die Juden zu bessern und zu erziehen.42 2.3 Die Sephardim und Aschkenasim in Holland Der Anfang der jüdischen Emanzipation geschah in den Niederlanden, wo erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit der Ankunft der Marranen aus Spanien die jüdische Geschichte begann. Nachdem die Sephardim hier eine neue Heimat gefunden hatten, kamen zu Beginn des 17. Jahrhunderts viele Juden aus Deutschland, das durch den Dreißigjährigen Krieg sehr mitgenommen wurde, nach Holland. Um die Mitte des Jahrhunderts folgten dann noch viele Aschkenasim aus der Ukraine, die wegen der Judenverfolgung des Kosakenführers Chmielnitzki aus ihrer alten Heimat flüchten mussten.43 41 Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 27ff. Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000, S. 267. 43 Kurt Schubert, Jüdische Geschichte, München 42001, S. 97. 42 14 Die Niederlande waren trotz einiger Beschränkungen im Wirtschafts- und Berufsleben für Juden das toleranteste Staatswesen dieser Zeit. Es bestand Gleichheit vor dem Gesetz. So versammelten sich verfolgte Juden und judaisierende Christen aus allen Ländern in Amsterdam. Dort betrieben sie Welthandel im großen Stil, verkehrten in der Welt der Intellektuellen und schufen Wohlfahrtseinrichtungen. Amsterdam wurde als ein neues Alexandria bezeichnet. Die Situation der Juden Hollands zur Zeit der Frühaufklärung wurde von der Kirche weder begünstigt noch behindert. Für das damalige Judentum war Amsterdam „das neue große Jerusalem“ und die „feste Arche in der Sintflut“.44 Während im Mittelalter die Sephardim noch die Mehrheit des Gesamtjudentums in Holland bildeten, wurden sie im 18. Jahrhundert von den Aschkenasim eingeholt. Diese hatten sich Rabbinern, Schulen zu selbständigen Gemeinden mit besonderen Synagogen, und Wohlfahrtsinstitutionen zusammengeschlossen. Im Gegensatz zu den exklusiven Gemeinden der Sephardim standen die Gemeinden der Aschkenasim den Zuwanderern weit offen und wurden so zum eigentlichen dynamischen Element der holländischen Judenheit.45 2.4 Die Juden Wiens Wenn auch gegen den Widerstand der Wiener Hofkammer, gab Karl VI. seine judenfeindliche Politik bis zu seinem Lebensende nicht auf. Seine Tochter und Thronerbin Maria Theresia übernahm diese Antipathie und führte die Judenpolitik ihres Vaters unverändert fort. Ihre streng katholische Haltung und das von der Außenpolitik belastete Erbe verstärkten ihren anerzogenen Judenhass. So zielte sie 1744 auf die Vertreibung der Juden aus Böhmen ab. Der Befehl der Monarchin konnte jedoch rückgängig gemacht werden, und in der folgenden Zeit schmälerte sich der Judenhass der Kaiserin. Maria Theresia schien begriffen zu haben, dass mittelalterliche Normen der Vergangenheit angehören mussten. 44 45 Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 30f. Ebd., S. 32. 15 Sogar in Wien konnte eine jüdische Gemeinde entstehen. Ihre jüdischen Untertanen kannte sie jedoch nicht unmittelbar, denn wenn sie Juden in Audienz empfing, mussten sie durch einen Paravent von ihr getrennt sein. Das Toleranzpatent ihres Sohnes, des Kaisers Josef II. aus dem Jahre 1782 gilt als Meilenstein in der Geschichte der österreichischen Juden.46 In ihm kamen die besten Absichten der Aufklärung zusammen, wie sie in England, Holland und Preußen diskutiert wurden: Aufhebung der demütigenden Beschränkungen, wie Ghettozwang, Leibzoll, Judenzeichen, Ausgehverbot an christlichen Feiertagen, religiöse Toleranz und bürgerliche Verbesserung der Juden. Damit waren die erkennbaren Zeichen der Ausgrenzung und Diskriminierung beseitigt. Doch wurde den Juden weiterhin das Bürger- und Meisterrecht verwehrt und auch die Zünfte verwehrten ihnen den Zugang. Man empfahl ihnen wie in Preußen den Großhandel und riet ihnen Fabriken zu gründen. Es gibt keine Erwähnung von Kapital- und Geldverkehr, denn seit der Rückkehr der Hofjuden, waren sie wichtige Finanzberater des Kaisers und die tolerierten Familien in Wien waren für den Staat unersetzlich. Die Juden waren ohne Zweifel ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und bekamen deshalb ihr Toleranzpatent. Unter anderem wird im Toleranzedikt auch die erzieherische und humane Tendenz betont. Die Juden galten jetzt nicht mehr als unverbesserlich und verstockt, sondern man hielt sie für erziehbar. Im Paragraph 7 hieß es: „Da Wir die jüdische Nazion hauptsächlich durch bessere Unterrichtung und Aufklärung ihrer Jugend, und durch Verwendung auf Wissenschaften, Künste und Handwerke dem Staate nützlicher und brauchbarer, zum Ziele nehmen.“ Den Juden war es jetzt erlaubt, eigene Schulen für ihre Kinder zu errichten oder sie in christliche Schulen zu schicken. Allerdings durften sie nicht die so genannte jüdischen Sprache und Schrift verwenden, sondern sie mussten sich der landesüblichen Sprache bedienen. Innerhalb einer Frist von zwei Jahren sollten die Juden Deutsch sprechen und schreiben. 46 Ebd., S. 33. 16 Was vorerst aussieht wie eine Volksaufklärung, zeigt sich bei näherer Betrachtung als Zwangsintegration im Interesse des Staates und der Wirtschaft.47 2.5 Die Juden in Italien Im Mittelalter zeigte sich Italien Juden gegenüber toleranter als andere europäische Länder, jedoch seit der Reformation änderte es seine Judenpolitik. Wesentlich für das jüdische Dasein war nunmehr das Ghetto, das sich in Rom entwickelte. Abraham Levi aus Amsterdam berichtete als Reisender, dass über 4000 Juden in dem Ghetto, das aus zwei Hauptstraßen und sechs Nebenstrassen bestand, zusammengepfercht waren. Beruflich waren die Ghettojuden durchwegs Handwerker, vor allem Schneider oder Trödelhändler. Steuerlich wurden diese Ghettojuden erdrückend ausgebeutet, was ihre Existenz jedoch für die Kurie rechtfertigte. Diese Geisteshaltung der Kirche ist an der Ausrichtung des Ghettos deutlich zu sehen. Dem Haupteingang gegenüber war ein großes hölzernes Kreuz angebracht, auf dem als Inschrift der Bibelvers prangte: „Den ganzen Tag recke ich meine Hände aus zu einem ungehorsamen Volke (Jes. 65,2)“.48 2.6 Die Juden im Osmanischen Reich Nach ihrer Vertreibung aus verschiedenen Teilen des christlichen Abendlandes flohen viele Juden in das osmanische Reich. Oft kamen die Juden aber nicht freiwillig in die osmanischen Gebiete. Durch die Ausländer- und Ansiedlungspolitik der osmanischen Herrscher wurden oft ganze Bevölkerungsgruppen im Interesse des Reiches umgesiedelt. 47 Klaus L. Berghahn, Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung, Köln – Weimar – Wien – Böhlau 22001, S. 35ff. 48 Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 34f. 17 Längerfristig hatte sich als Folge von Zwangverschiebungen, Deportationen und freiwilligen Einwanderungen Selbstbestimmungskonzept der ein von der Reichsverwaltung gelenktes Städte und innerstädtischen Gemeinschaften herausgebildet. Im 16. Jahrhundert verfolgte man in Saloniki die gleiche Politik. Ein Register von 1519 zeigt, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Juden mit Namen aus südeuropäischen Städten und Ländern war. 1613 waren bereits 68 Prozent der Einwohner Juden. Auch in Rhodos und Zypern siedelte man Juden an, nachdem die Türken diese Gebiete erobert hatten. Es wurden aber nicht irgendwelche Juden umgesiedelt. Es wurde den Gouverneuren eingeschärft, reiche Juden auszusuchen. Als die Türken dann Belgrad und Buda eroberten, wurden dort wohnhafte Juden und Christen zu tausenden in osmanische Städte umgesiedelt.49 So verstärkten die ankommenden Juden die osmanischen Städte und erlebten vor allem im 16. Jahrhundert eine Blütezeit. Der kulturelle Beitrag der osmanischen Juden zum türkischen Leben war vor allem auf den Gebieten der Medizin, der Schauspiel- und Buchdruckerkunst.50 Rechtlich gesehen waren die Juden zwar gegenüber Muslimen mit einer höheren Steuer belastet, genossen dafür aber eine religiöse Autonomie und ein hohes Maß an Toleranz. Aus türkischen Dokumenten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts geht hervor, dass immer wieder Hass unter der muslimischen Bevölkerung aufflackerte und sie sich über die Freiheiten der nichtmuslimischen Gemeinden beschwerte. So mussten die Sultane die Einschränkungen, die das heilige Gesetz den Juden auferlegte, erneuern oder ihnen wieder Geltung verschaffen. So wurde den Juden wieder ins Gedächtnis gerufen, dass sie keine Pferde reiten oder Sklaven halten durften, und dass es ihnen verboten war, Wein zu verkaufen. Selbst die Freizügigkeit in der Kleidung, wich einer strengeren Anwendung der Vorschriften, insbesondere in den Provinzen. Christen oder Juden trugen ihre Pantoffel in den Farben Rot, Violett oder Schwarz. Diese Order wird mit solcher Genauigkeit befolgt, dass man an den Füßen oder am Kopf erkennen kann, welchen Glaubens wer ist. 49 Bernhard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Aus dem Englischen von Liselotte Julius, München 2004, S. 113ff. 50 Ebd., S. 119. 18 Ausschlaggebend für das Wohlergehen der Juden unter der osmanischen Herrschaft war wohl, dass sie ein nützliches und produktives Element waren und als Werkzeug imperialer Politik benutzt werden konnten. Viele Juden brachten Kapital mit, das bei finanziellen Engpässe der osmanischen Regierung half. Bei Verhandlungen mit den europäischen Mächten, übten sie wegen ihrer Sachkenntnisse über Europa eine Zeit lang eine bedeutsame Beraterfunktion aus. Als die Einwanderung endete und es keine Berührungspunkte mehr mit Europa gab, verloren die Juden ihre Fertigkeiten, die ihren türkischen Herren zuvor dienlich gewesen waren. Die Juden hatten das Lateinische vergessen und konnten sich daher mit den Christen nicht mehr verständigen. Sie hatten nun nichts Nützliches mehr anzubieten. An die Stelle der Wanderbewegungen europäischer Juden in die Türkei, fand nun einer der osmanischen Christen in umgekehrter Richtung statt. Die Söhne dieser Christen wurden zur Erziehung nach Europa geschickt und erwarben so die Fertigkeiten und Kenntnisse, die früher die Juden so wichtig gemacht hatten. Der jüdische Anteil am internationalen Handel ging zurück und im 17. Jahrhundert erreichte er den Nullpunkt. Das Verhalten der Türken wurde jetzt mitunter feindselig. Viele Anzeichen zeigen eine Wende zum Schlechteren hin. Der anwachsende Fanatismus bringt härtere Lebensumstände für die Nichtmuslime. Die Beschränkungen, die das Heilige Gesetz den Nichtmuslimen auferlegte, verstärkten regionale und soziale Absonderungen. Es kommt aber so gut wie zu keiner offenen Verfolgung und zu keinen Gewalttätigkeiten. Mit dem allmählichen Strukturwandel des Osmanischen Reiches, setzt eine Verschlechterung der Stellung der Juden ein, die eine Neuorientierung ihres Selbstverständnisses erforderte.51 51 Ebd., S. 126-134. 19 2.7 Zusammenfassung Die Juden wurden auch im Zeitalter der Aufklärung von ihrer christlichen Umwelt nicht respektiert. Jedoch gab es im 18. Jahrhundert für sie keine extreme Bedrohung ihrer physischen Existenz mehr. Es gab keine schweren Pogrome mehr wie im Mittelalter. Zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert waren die Juden aus ihren iberischen und mitteleuropäischen Siedlungsgebieten nach Osteuropa vertrieben worden. Allmählich hatten sie sich aber wieder in Mitteleuropa angesiedelt. Im Laufe des 17. Jahrhunderts, als es in der Ukraine wieder zu einer grausamen Judenverfolgung kam, flüchteten die Aschkenasim nach Holland, um sich dort niederzulassen. Im 18. Jahrhundert gab es fast überall in Europa wieder jüdische Gemeinden. Überall waren sie aber nur geduldet. Sie waren Außenseiter ohne rechtlichen Status, jederzeit von einer Ausweisung bedroht. Wenn es ihnen möglich war, regelmäßig hohe Schutzgelder zu zahlen, duldeten die Obrigkeiten sie als so genannte Schutzjuden. In den Gemeinden gab es Synagogen, Rabbiner, Schulen und eigene Fürsorgeeinrichtungen. Die Kehrseite der jüdischen Gemeindeautonomie war die traditionelle Ausgrenzung der Juden durch die christliche Umwelt. Sie durften keine Christen heiraten. Sie konnten keinen Grund und Boden erwerben und besaßen kein Bürgerrecht in den Städten. Es war ihnen verboten einem zünftisch organisierten Gewerbe nachzugehen und sie waren von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Kurzum, sie waren von den allermeisten Erwerbsmöglichkeiten ausgeschlossen und daher auf Handel, Wechselgeschäfte, Geld- und Pfandleihe und ein paar anderen Nischenerwerbszweige angewiesen. Auch im 18. Jahrhundert mussten sich die Juden durch sichtbare äußere Zeichen, wie einen gelben Ring an Mantel oder Hut in der Öffentlichkeit als Außenseiter zu erkennen geben. Als Hoffaktoren waren einzelne jüdische Familien für den europäischen Monarchen für den Ausbau ihrer Staaten und den Glanz ihrer Höfe überaus wertvoll. Dafür bekamen sie eine privilegierte Stellung und wurden von den meisten Verboten, die sonst für Juden galten, ausgenommen. Da Privilegien jedoch jederzeit widerrufen 20 werden konnten, waren sie immer völlig von der Gunst der Monarchen abhängig und wurden gerade deshalb von diesen als zuverlässige Werkzeuge hoch geschätzt. Da die meisten Obrigkeiten nur den finanziell leistungsfähigen Juden gegen hohe Abgaben Aufenthalt und Gewerbe in ihrem Land gewährten, blieb vielen Familien, die diese Bedingungen nicht erfüllen konnten, weder Lebensgrundlage noch Aufenthaltsgenehmigung. So lebten immer mehr Juden als heimatlose Bettler in der Illegalität. Die Einstellung der Aufklärer gegenüber den Juden war keineswegs einheitlich und eindeutig. Für einige von ihnen galten die Juden als sittlich verderbt, habgierig und betrügerisch. Mit dem charakteristischen volkspädagogischen Eifer der Aufklärung wollte man nun die Juden vor allem bessern und erziehen. Die Toleranz- und Bürgerrechtsforderungen der Aufklärung schlossen auch die Juden nicht aus. Der preußische Regierungsbeamte Dohm, der mit Moses Mendelssohn befreundet war, prangerte 1781 zum ersten Mal offen das jahrhundertealte christliche Unrecht gegenüber den Juden an und forderte ihre Gleichberechtigung. Sie sollten die gleichen Rechte haben wie alle Untertanen, sie sollten ihre Religion frei ausüben können und uneingeschränkten Zugang zu allen Berufen erhalten. Ein Jahr später hob Joseph II. die Berufs- und Wohnbeschränkungen für Juden auf. Insgesamt stellt sich die Wirkung der Aufklärung für die Juden in Europa durchaus ambivalent dar. Das Ausgrenzen durch die feindliche christliche Außenwelt förderte ihre Blockade nach innen und ermöglichte ein strenges Traditionsbewusstsein, Zusammengehörigkeitsgefühl und die Wahrung der kulturellen Identität über Jahrhunderte hinweg. 21 3 Literaturverzeichnis Adonis, Kultur und Demokratie in der arabischen Gesellschaft, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001. Adonis, Die Sachgasse der Moderne in der arabischen Gesellschaft, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001. Allerhand, Jacob, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980 Bergsdorf, Wolfgang (Hrsg.), Der Islam und die Demokratie. Mohammed M. Shabestari im Disput mit Wolfgang Bergsdorf, Jürgen Gnauck, Wolfgang Günter Lerch, Birgit Schäbler, Stefan Wild, Erfurt 2003. Berghahn, Klaus L., Grenzen der Toleranz. 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