Trikulturelles Europa? Geschichte der Juden, Muslime

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Trikulturelles Europa?
Geschichte der Juden, Muslime und Christen in der
Neuzeit
Juden und Muslime im Zeitalter der Aufklärung
Margit Roy, 2006
1
Inhaltsverzeichnis
1
Vorwort ................................................................................................................ 3
2
I s l a m ................................................................................................................ 4
3
4
2.1
Religion und Staat ........................................................................................ 4
2.2
Begegnung mit dem Westen ........................................................................ 6
2.3
Politisch-religiöse Reformer des 19. Jahrhunderts ....................................... 8
2.4
Menschenrechte ......................................................................................... 10
2.5
Zusammenfassung ..................................................................................... 11
J u d e n t u m .................................................................................................... 11
3.1
Die Lage der Juden am Ausgang des Mittelalters ...................................... 11
3.2
Die Lage der Juden in Deutschland ........................................................... 12
3.3
Die Sephardim und Aschkenasim in Holland ............................................. 14
3.4
Die Juden Wiens ........................................................................................ 15
3.5
Die Juden in Italien ..................................................................................... 17
3.6
Die Juden im Osmanischen Reich ............................................................. 17
3.7
Zusammenfassung ..................................................................................... 20
Literaturverzeichnis ........................................................................................... 22
2
Vorwort
Die Philosophie der Aufklärung ist ein europäisches Kulturphänomen, das sich
hauptsächlich in der Zeit des 18. Jahrhunderts in Frankreich wie auch in Deutschland
entwickelte. In Frankreich breitete sich die Bewegung sehr schnell aus und innerhalb
kürzester Zeit war die Mehrheit der Gesellschaft von den neuen Ideen beeinflusst.
Auch in Deutschland zeigten die Ideen nachhaltig Wirkungen, jedoch wurden Staat
und Gesellschaft nicht im gleichen Maße von der Bewegung durchdrungen. Aufklärer
kritisierten Politik und noch mehr die Religion.
Die Aufklärungsbewegung räumte mit der alten Ordnung in ihrer Gesamtheit auf. Die
Philosophie der Aufklärung wurde Grundlage und Ausgangspunkt des modernen
abendländischen Denkens.1 Im Mittelpunkt dieser Ideologie standen die Vernunft
des Menschen, sowie die Forderung nach Selbständigkeit im Denken und Handeln.
Nach Jahrhunderten der Leicht- und Abergläubigkeit wurde nun alles bewusst in
Frage gestellt und kritisch hinterfragt.2 Der Esprit der Aufklärung entfaltete sich auch
über Europa hinaus.3
Der bedeutendste Schriftsteller der deutschen Aufklärung war Gotthold Ephraim
Lessing (1729 – 1781). Er beschäftigte sich u.a. mit der Frage der Religion und ihrer
Bedeutung für die Menschheit. In seiner Erzählung „Ringparabel“ forderte er zu
religiöser Toleranz und praktischer Humanität auf. Diese Botschaften sind auch
heute noch aktuell.4 Seit seiner Zeit hatte in Europa ein Prozess der Säkularisierung
stattgefunden, eine fortschreitende Verweltlichung mit der Verdrängung kirchlicher
Autoritäten.
Zwar wirkten Religion und staatliche Ordnung bezüglich vieler Themen im Interesse
der Gesellschaft gemeinsam, jedoch behielt sich die Staatsgewalt die Aufsicht über
die Religion ihrer Untertanen vor.5
In der islamischen Welt hatte die Aufklärung zunächst keinen Einfluss auf die Politik.
Erst ein halbes Jahrhundert später zeigten sich erste Spuren der neuen Denkweise.
Doch je mehr sich die europäischen Kultur in der islamischen Welt entwickelte,
1
Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne.
Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46,
hier S. 29.
2
Werner Schneiders, Das Zeitalter der Aufklärung, München 22001, S. 11.
3
Ebd., S. 116.
4
Ebd., S. 106 – 109.
5
Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000, S. 94-96.
3
desto mehr sah man die Ideologie der Aufklärung als Abwendung von den
Grundlagen des Islam und stieß auf Ablehnung. Dennoch sind die Auswirkungen der
Aufklärung in der islamischen Welt
heute in weiten Teilen der Gesellschaft,
besonders in intellektuellen Kreisen, spürbar. 6
1
Islam
1.1 Religion und Staat
Ein zentrales Problem der islamischen Welt ist, dass es keine wirkliche Trennung von
Religion und Staat gibt. Von Beginn an wurde der islamische Staat von Muslimen
gelenkt.7
Die islamische Religion entfaltete sich im 7. Jahrhundert n. Chr.
gemeinsam mit einem Staatswesen auf der Arabischen Halbinsel. Als Staats- und
Gesetzesreligion musste der Islam die Beziehungen zwischen den Menschen regeln
und eine wirksame Verwaltung errichten.8
Die herrschende Kultur der islamischen Welt ist eine religiöse Kultur, gebunden an
religiöse Sitten und Werte, an religiöses Wissen und Bewusstsein und eine religiöse
Vorstellungswelt. Wichtigste Bezugsperson des Einzelnen ist Gott, gefolgt von
seinem irdischen Stellvertreter, dem Herrscher. Der wichtigste Aspekt in der
Bewertung eines Menschen sind sein Glaube oder sein Unglaube und im politischen
Leben Loyalität oder Opposition.
Die Bewegungen, die als Fundamentalismus bezeichnet werden, sind nicht an den
Ursprüngen im Sinne der lebendigen Wurzeln unserer Kultur interessiert. Für sie sind
diese Wurzeln vielmehr unveränderliche Gesetze, die nicht übertreten und nicht
ignoriert werden dürfen. Die Fundmentalisten versuchen das Vergangene in die
Gegenwart zu projizieren. Wir sehen hier eine totale Abkehr von der Vernunft.
6
Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne.
Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46,
hier S. 30.
7
Heinz Halm, Der Islam. Geschichte und Gegenwart, München 42002, S. 57f.
8
Hans-Georg Ebert, Tendenzen der Rechtsentwicklung, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner
Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 199-228, hier S. 200.
4
Alles was anders ist, anders denkend, anders handelnd, anders glaubend wird
verachtet und verfolgt. Die Gesellschaft wird zu einem durch Offenbarung diktierten
Gebilde. Die Religion wird auf Riten reduziert und verliert so ihren Sinn. Für den
Islam steht die Welt still. Die Politik wird als sakraler Akt gelebt. Die Erde soll dem
Himmel gleichen. So gehört auch eine Reinigung der Gesellschaft dazu. Das Töten
ist für den Fundamentalisten kein Verbrechen, sondern er glaubt daran, dass er die
Gesellschaft besser macht, indem der Ungläubige sie nicht mehr verschmutzt. Es
gibt auch kein irdisches Recht, das eine Person vor dem Urteil des göttlichen
Gesetzes retten könnte. Menschenrechte sind mit diesem Lebensmodell, das doch
an den Menschen selbst nicht glaubt, nicht vereinbar.9
Im Islam ist die Geschichte an ihrem Ende angekommen. Das Denken wird reduziert
auf eine Annullierung des Fragens. Das freie Individuum wird ersetzt durch den Text
der göttlichen Offenbarung. Die Religion gibt Antwort auf alle Fragen und wird
gepriesen. Religion und Kultur werden zur Kunst des Verschleierns, nicht des
Entschleierns. In solch einer Gesellschaft ist es nicht erwünscht neugierig zu sein.
Forschung wird gehemmt. In der islamischen Gesellschaft sind es die Menschen
gewohnt, sich zu unterwerfen, denn
es
fehlen ihnen die Erfahrungen der
Emanzipation, sowie der Freiheit.10
Im 7. Jahrhundert nach Christus verkündete Prophet Mohammed die islamische
Offenbarung, die als Summe des arabischen Weltbildes und als Ausdruck
endgültiger Wahrheit über den Menschen aufgefasst wurde. Der Ursprung ist das
Beständige und das ewig Unveränderliche.11 Die Gegenwart wird einer vergangenen
Epoche gleichgesetzt und erstarrt dadurch zum Gespenst der Vergangenheit. Das
Individuum existiert nur durch ein anderes Individuum, das der Ahnenzeit angehört.
Die Religion ist eine Institution, die weder Veränderung, noch Fortschritt oder
eigenes Denken zulässt. Sie behindert die Freiheit der Menschen und lässt ihnen
9
Adonis, Kultur und Demokratie in der arabischen Gesellschaft, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle
Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 130-137, hier
S. 132ff.
10
Khadija Katja Wöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien
und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen
Leitfaden für Politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 112.
11
Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi (Hrsg.), Einführung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten
arabischer Denker, München 22001, S. 7-28, hier S. 8.
5
keine eigene Identität und keine individuellen Rechte. Kreativität, Kritik, Modernität
werden als Bruch mit dem Ursprung gesehen. 12
Der Koran hat alles gesagt und der Mensch hat den Regeln des heiligen Buches zu
folgen.13 So stehen muslimische Intellektuelle vor einem schwierigen, wenn nicht vor
einem unlösbaren Problem.14
Muslimische Denker führen oft einen verzweifelten Überlebenskampf. Ihre Schriften
werden zensiert oder verboten. Viele von ihnen müssen im Exil leben. Doch trotz all
dieser Probleme gab es immer wieder politisch-religiöse Strömungen, die für neue
Ideen offen waren und versuchten mit der Zeit Schritt zu halten. Jedoch konnten sie
sich gegen die traditionellen Kräfte nie durchsetzen.15
1.2 Begegnung mit dem Westen
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die islamische Geschichte unauflösbar
mit der Geschichte der westlichen Expansion verbunden. Die europäischen Mächte
breiteten sich in der islamischen Welt aus.
Die islamische Welt realisierte sehr schnell,
dass ihr der Westen militärisch,
technisch und politisch weit überlegen war.16 Was die muslimische Welt allerdings
12
Adonis, Die Sackgasse der Moderne in der arabischen Gesellschaft, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle
Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 62-71, hier
S. 66ff.
13
Khadija KatjaWöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien
und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen
leitfaden für politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 113.
14
Hischam Djait, Moderne und islamische Erneuerung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten
arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 47-61, hier S. 60.
15
Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi (Hrsg.), Einführung, in Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten
arabischer Denker, München 22001, S. 7-28, hier S. 7.
16
Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in
der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner
Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90-127, hier S. 103f.
6
nicht begreifen konnte, war, dass die Grundlage der westlichen Kraft und Zivilisation
eine kritische Haltung gegenüber der Religion war.17
In
den
kolonisierten
Gebieten
leiteten
die
westlichen
Kolonialmächte
sozioökonomische und infrastrukturelle Veränderungen im Staat und in der
Gesellschaft ein. Diese Art von Politik trennte oftmals viele Einheimische von ihren
Lebensgrundlagen. Durch die Auflösung der althergebrachten Stammes- und
Gesellschaftsstrukturen stürzte die Bevölkerung
in eine Identitätskrise.18 Die
Muslime sahen daraufhin eine Notwendigkeit darin, ihre kulturelle Identität zu wahren
bzw. zu verteidigen.19
Es kam die Phase, in der man sich von den Einflüssen des Westens befreien
wollte.20
Produktive Intellektuelle begannen über Themen wie Modernität, Islam,
Demokratie, Freiheit und Orientalismus nachzudenken.
zwischen
den
Intellektuellen
und
den
Es kam zum Konflikt
Traditionalisten.21
Säkularisten
und
muslimische Reformer sahen in der Konfrontation nur eine Form der kulturellen
Herausforderung.22
Eine Modernisierung ohne Verwestlichung schien genauso
unmöglich zu sein wie die Verwestlichung ohne eine Gegenbewegung, die die
islamische Gesellschaft von der Verwestlichung bereinigen wollte.23
17
Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne.
Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46,
hier S. 32.
18
Khadija Katja Wöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien
und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen
Leitfaden für Politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 61f.
19
Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in
der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner
Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90-127, hier S. 106.
20
Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne.
Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46,
hier S. 37.
21
Ebd., S. 42f.
22
Hischam Scharabi, Moderne und islamische Erneuerung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle
Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 47-61, hier S. 50.
23
Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in
der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner
Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90-127, hier S. 108f.
7
In Europa öffnete man sich für eine viel versprechende Zukunft. In der muslimischen
Welt stand dies jedoch im zu großen Gegensatz zu ihren Lebensformen.24
1.3 Politisch-religiöse Reformer des 19. Jahrhunderts
Einzelne Persönlichkeiten setzten sich mit den Themen Religion, Politik und
Gesellschaft
unter
modernistischen,
säkularisierenden
und
rationalistischen
Gesichtspunkten auseinander und leiteten jene rationale Strömung und kulturelle
Erneuerungsbewegung ein, die von den Historikern später als die islamische
Renaissance – die Nadha – benannt wird. Zu ihnen gehörten Männer wie at-Tahtawi
(1801 – 1873), der Reformtheologe Djamal ad-Din al-Afghani (1838 – 1897) sowie
dessen Schüler Mohammed Abduh (1849 – 1905). Diese Bewegung der Erneuerung
wurde bald zu einer Welle und breitete sich von Ägypten über die ganze arabische
Welt aus.25
At-Tahtawi hatte während seines Aufenthalts in Europa Voltaire, Montesquieu und
Rousseau gelesen. Nach seiner Rückkehr in seine Heimat ließ er ein Werk
Montesquieus, „Grandeur et Décadence“ übersetzen. Er forderte eine industrielle und
wissenschaftliche Revolution. Er glaubte, damit die alte Macht der muslimischen Welt
zurückgewinnen zu können. Eine Erneuerung der Gesellschaft im Inneren stand bei
ihm nicht im Vordergrund.26
Einige Reformdenker bemühten sich in der gesamten islamischen Welt den
ursprünglichen, reinen Islam aus der Zeit des Propheten wieder einzuführen.27 Der
Ruf nach dem reinen Islam war ein Bestandteil des ideologischen Kampfes zwischen
24
Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne.
Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46,
hier S. 32.
25
Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi (Hrsg.), Einführung, in: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten
arabischer Denker, München 22001, S. 7-28, hier S. 13.
26
Hischam Djait, Das arabisch-muslimische Denken und die Aufklärung, in: Islam, Demokratie, Moderne.
Aktuelle Antworten arabischer Denker, hrsg. v. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi, München 22001, S. 29-46,
hier S. 33ff.
27
Rudolf Peters, Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis zum 20. Jahrhundert und die Rolle des Islam in
der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner
Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 90.127, hier S. 90.
8
dem Islam und dem Westen.28 Djamal ad-Din al-Afghani
und sein Schüler und
Freund Mohammed Abduh zählten zu den bedeutendsten Repräsentanten dieser
Reformbewegung.
Das Profil dieser beiden sonst unterschiedlichen Charaktere
weist eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf. Beide hatten eine klassische islamische,
als auch eine, an den westlichen Wissenschaften orientierte Ausbildung.
Die Interpretation normativ-religiöser Texte wurde zur bestimmenden Größe in der
Suche nach dem wahren Islam. Als Zeitzeugen des europäischen Imperialismus
identifizierten sie die Schwäche der muslimischen Welt mit deren Abkehr von den
wahren Lehren des Islam. Die politische und militärische Verteidigung
der
islamischen Welt gegen äußere Feinde verbanden sie untrennbar mit der
Notwendigkeit zur inneren Reform. Sie waren überzeugt, die islamische Religion
stünde in Übereinstimmung mit den Anforderungen des modernen Lebens.
Sie forderten die Reform des traditionellen islamischen Erziehungswesens, in dem
sie einen Hauptgrund für den Stillstand muslimischer Gesellschaften sahen. Dieses
öffentliche Engagement brachte die Reformer aber auch in Konfrontation mit den
einheimischen und kolonialen Machthabern. Aufgrund seiner revolutionären Haltung
war al-Afghani zum häufigen Standortwechsel gezwungen. Nach seiner Beteiligung
an den nationalistischen Wirren in Ägypten, war auch Muhammad Abduh
gezwungen, einige Jahre ins Exil zu gehen.
Nach den Vorschriften des Islam zu leben, war für Abduh der Schlüssel für das
Wohlergehen der Menschen. Für ihn war die Lehre des Islam nicht nur gottgefällig,
sondern auch der beste Weg, um Stabilität und den Fortschritt der Gemeinschaft zu
sichern.
Während des 19. Jahrhunderts beeinflusste die europäische Zivilisation und Technik
die islamische Welt immer mehr. Zwischen der europäisierten Elite und der einfachen
Bevölkerung wurde die Kluft immer größer. Abduh suchte nach einem Mittelweg um
diese Kluft aus dem Weg zu räumen. Wie al-Afghani war auch er nicht für eine
gedankenlose Annahme des Europäischen. Die Vereinbarkeit mit dem Islam musste
auf jeden Fall beachtet werden. Beide strebten eine islamische Einheit an, um dem
28
Ebd., S. 108.
9
europäischen Kolonialismus entgegenzutreten. Der Kernbegriff all ihrer Vorhaben
und Gedanken war der des wahren Islam. 29
1.4 Menschenrechte
Seit einigen Jahren herrscht in der islamischen Welt eine Diskussion um das Thema
Menschenrechte. Man ist bemüht, islamisierte Menschenrechte zu verabschieden.
Mittlerweile
liegen
verschiedene
Entwürfe
dieser
islamischen
Menschenrechtserklärungen vor. Das Problem aus westlicher Sicht hierbei ist, dass
diese Vorschläge schwerwiegende Defizite aufweisen, so zum Beispiel ist das
göttliche Gesetz noch immer den Menschenrechten übergeordnet.30
Weiters fehlt die grundlegende Aussage, dass „alle Menschen frei und gleich an
Würde und Rechten geboren“ sind.31
Auch von Religionsfreiheit wird nicht
gesprochen.32 Die im Koran verordneten Körperstrafen sind nach wie vor legitim. So
wird in einigen islamischen Ländern der Geschlechtsverkehr außerhalb einer legalen
Ehe mit Steinigung bestraft und bei Diebstahl wird dem Dieb die rechte Hand, im
Wiederholungsfall der linke Fuß abgetrennt.33 Und zu guter letzt gibt es laut Koran
(Sure 4, Vers 34 „[…] stehen die Männer über den Frauen“) keine Gleichheit von
Frau und Mann.34
Laut Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen sind noch im
Jahr 2000 51 Prozent der moslemischen Frauen Analphabeten und die Beteiligung
der Frauen am gesellschaftlichen Leben ist bei den arabischen am geringsten.35
29
Ebd., S. 114-122.
Alexander Flores, Die innerislamische Diskussion zu Säkularismus, Demokratie und Menschenrechten, in:
Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage,
München 2005, S. 620-635, hier S. 632f.
31
Fatima Mernissi, Der politische Harem. Mohammed und die Frauen, Freiburg im Breisgau 41992, S. 30.
32
Khadija Katja Wöhler-Khalfallah, Der islamische Fundamentalismus, der Islam und die Demokratie. Algerien
und Tunesien: Das Scheitern postkolonialer „Entwicklungsmodelle“ und das Streben nach einem ethischen
Leidfaden für Politik und Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 337.
33
Hans-Georg, Ebert, Tendenzen der Rechtsentwicklung, in: Der Islam in der Gegenwart, hrsg. v. Werner
Ende/Udo Steinbach, fünfte, aktualisierte und erweiterte Auflage, München 2005, S. 199-228, hier S. 209.
34
Fatima Mernisse, Der politische Harem. Mohammed und die Frauen, Freiburg im Breisgau 41992, S. 207.
35
Wolfgang Bergsdorf (Hrsg.), Der Islam und die Demokratie. Mohammed M. Shabestari im Disput mit
Wolfgang Bergsdorf, Jürgen Gnauck, Wolfgang Günter Lerch, Birgit Schäbler, Stefan Wild, Erfurt 2003, S. 43.
30
10
1.5 Zusammenfassung
Männer, die im 19. Jahrhundert als politische Reformer fungierten, sind als Vertreter
der Aufklärung zu betrachten. Diesen Männern der Tat lag es vor allem daran, die
Schwäche des zeitgenössischen Islam zu heilen. Selten ging es ihnen um die
Auseinandersetzung mit den hinter der Aufklärung stehenden Ideen. Zwar geht es
um eine Reform, nicht jedoch um ein leidenschaftliches Plädoyer für die Vernunft, vor
allem nicht um eine kritische Bestandsaufnahme der Religion.
Mit dem Ende der westlichen Kolonialherrschaft geriet die islamische Renaissance
ins Wanken. Die Herrscher in der arabischen Welt waren nicht in der Lage, die
elementarsten Pflichten gegenüber ihren Staatsbürgern zu erfüllen. Um diese
Schwächung der Legitimität zu verschleiern, wurde die Gedankenfreiheit der Bürger
unterdrückt, durch Despotismus und Gewalt.
In jener Zeit verbrachten viele Intellektuelle ihre Zeit im Gefängnis. In den letzten
Jahren erwachte der Fundamentalismus neu. Die islamischen Länder berufen sich
noch mehr zur Lehre des Islam. Die Erneuerungen, für die viele über ein halbes
Jahrhundert lang gekämpft hatten, wurden nie umgesetzt.
2 Judentum
2.1 Die Lage der Juden am Ausgang des Mittelalters
Der Vertreibung der Juden aus England und Frankreich um die Wende des 13.
Jahrhunderts, folgte 1492 die Ausweisung aus Spanien. In den folgenden Jahren
ereilte dasselbe Schicksal die Juden aus den Ländern, die mit Spanien in enger
Verbindung standen und um 1500 wurden die Juden auch aus Sizilien, Portugal,
Navarra und teilweise aus Neapel vertrieben.
11
Das Jahr 1492 kündigte eine neue Ära der Judennot an. In der christlichen Welt ist
zuerst ein Niedergang der jüdischen Diaspora zu verzeichnen. Indessen erhielten in
der östlichen Welt zahlreiche alte und neue jüdische Gemeinden Auftrieb.36 Von
Berichten über größere Toleranz angelockt, ließen sich die Juden bevorzugt im
osmanischen Gebiet nieder. So siedelten sich viele Juden in den Städten Istanbul ,
Izmir, Edirne sowie in anderen Städten Anatoliens und auf dem Balkan an. Im 16.
und frühen 17. Jahrhundert stand das osmanische Reich am Höhepunkt seiner
Macht. 1453 hatten die Osmanen Konstantinopel erobert, 1523 kam Rhodos und
1571 Zypern unter ihren Einfluss. Weiters wurden im 16. Jahrhundert dann noch
Ägypten, Syrien, Palästina und Teile Arabiens in das Osmanische Reich
eingegliedert. Diese neue Macht hieß die Juden willkommen. 37
2.2 Die Lage der Juden in Deutschland
Die Geschichte der Juden in Deutschland war eine Geschichte von Ausweisungen,
Repressalien und Einschränkungen. Meist wurden sie nur widerwillig geduldet und
wegen ihrer Religion von den Christen angefeindet und verfolgt. Sie mussten
andauernde
Belästigungen
und
Anfeindungen
ertragen.
Je
nach
Zeitalter,
Umständen und Ort war ihr Leben geprägt von verschiedensten Konflikten.38
Der Ausgang des Mittelalters war auch im deutschsprachigen Raum von einer Welle
von Judenvertreibungen gekennzeichnet: so 1419 aus Trier, 1421 aus Wien, 1424
aus Köln, 1427 aus Bern, 1428 aus Freiburg (Schweiz), 1428 aus Zürich, 1462 aus
Mainz, 1472 aus Schaffhausen. Nur wenige jüdische Gemeinden überleben das 15.
Jahrhundert. Der zentralen Gewalt gelang es nicht, den Judenschutz wirksam wahr
zu nehmen und eine einheitliche Judengesetzgebung zu schaffen. Die einzelnen
Städte handhabten die Judenfrage meist nach eigenem Gutdünken. Trotz der
Reformation kam es zu keiner Besserung der sozialen Lage der Juden. Martin Luther
36
Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart - Bad Cannstatt 1980, S. 17f.
Bernard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Aus dem
Englischen von Liselotte Julius, München 2004, S. 103-114.
38
Klaus L. Berghahn, Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung, Köln – Weimar –
Wien - Böhlau 22001, S.
37
12
sagte zum Thema „dass Jesus Christus ein geborener Jude sey“ unter anderem: „…
Will man yhm helfen, so muss man nicht des Papsts, sondern christlicher Liebe
Gesetz an yhm üben und sie freundlich aufnehmen…“ Der jüdische Historiker Graetz
kommentierte dies: „Das war ein Wort, wie es die Juden seit einem Jahrtausend nicht
gehört hatten“.
bekehren könne.
Luther hatte geglaubt, dass er die Juden zum Evangelismus
Als er sich jedoch
getäuscht sah, änderte er seine offizielle
Denkensweise und sein Wohlwollen schlug in Zorn um.
Zu dieser Zeit waren die Juden überall nur kleine Gruppen von Staatenlosen und
Fremden geworden, die nur in bestimmten Stadtteilen wohnen und nur bestimmte
39
Sie durften keinen zünftisch organisierten Handwerken
und Gewerben nachgehen
und sie durften keinen Grund und Boden besitzen.
Berufe ausüben durften.
Infolgedessen waren sie auf Wechselgeschäfte, Geld- und Pfandleihe und Handel
angewiesen. Noch im 18. Jahrhundert mussten die Juden sich in der Öffentlichkeit
durch einen gelben Ring an Mantel oder Hut als Außenseiter kenntlich machen.
Die Juden, denen es möglich war regelmäßig hohe Schutzgelder zu bezahlen,
wurden von der Obrigkeit als so genannte Schutzjuden toleriert. Vielen Familien, die
diese Bedingungen nicht erfüllen konnten, blieb weder Lebensgrundlage noch
Aufenthaltsgenehmigung.40
Der natürlichen Vermehrung von Juden wollte das
Gesetz selbst einen Riegel vorschieben. So wurde nur eine geringe Zahl von
Judenehen genehmigt. Ab napoleonischen Zeiten besserte sich die Lage für einige
Juden, und es kam langsam zu bürgerlicher Gleichberechtigung.
In dieser Zeit
rückte in der christlichen Gesellschaft die Religion in den Hintergrund.
Männer wie Lessing, Mirabeau oder Dohm ergriffen das Wort für ihre jüdischen
Mitbürger und werfen Themen wie Toleranz und Humanismus auf. Dadurch wurde
sichtbar, dass der Niedergang und die soziale Entfremdung der Juden vornehmlich
auf ihrer Rechtlosigkeit und bürgerlichen Erniedrigung beruhten.
Durch diesen Sinneswandel wurde es möglich, dass sich seit Ende des 18.
Jahrhunderts einige Großkaufleute, Bankiers und Fabrikanten zu der großen Zahl der
39
40
Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 26f.
Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000,S. 264-267.
13
jüdischen Krämer und Händler gesellten. Juden waren nach wie vor aus der
christlichen bürgerlichen Gesellschaft ausgeschlossen, jedoch wurden sie nicht mehr
so unterdrückt. Wichtiger Denker dieser Zeit waren unter anderem Immanuel Kant
und sein Zeitgenosse Moses Mendelssohn. Immanuel Kant sagte: „Die Aufklärung ist
der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Da es
den Juden in dieser Zeit nicht möglich war, sich im irdischen Raum auszubreiten,
trachtete Mendelssohn danach, Raum im Raum des Geistes zu schaffen.41
Doch die Haltung der Aufklärer gegenüber den Juden war keineswegs einheitlich und
eindeutig. Für viele von ihnen galten die Juden als sittlich verderbt, habgierig und
betrügerisch. Während die christliche Tradition
eine
heilsgeschichtliche
Sonderrolle
zuwies,
den Juden als „Christusmördern“
führten
die
Obrigkeiten
die
Verdorbenheit der Juden jetzt auf die Umstände, wie z.B. ihre rechtliche Lage und
ihre niedrigen und verachteten Tätigkeiten zurück und man ging mit dem
volkspädagogischen Eifer der Aufklärung daran, die Juden zu bessern und zu
erziehen.42
2.3 Die Sephardim und Aschkenasim in Holland
Der Anfang der jüdischen Emanzipation geschah in den Niederlanden, wo erst gegen
Ende des 16. Jahrhunderts mit der Ankunft der Marranen aus Spanien die jüdische
Geschichte begann.
Nachdem die Sephardim hier
eine neue Heimat gefunden
hatten, kamen zu Beginn des 17. Jahrhunderts viele Juden aus Deutschland, das
durch den Dreißigjährigen Krieg sehr mitgenommen wurde, nach Holland. Um die
Mitte des Jahrhunderts folgten dann
noch viele Aschkenasim aus der Ukraine, die
wegen der Judenverfolgung des Kosakenführers Chmielnitzki aus ihrer alten Heimat
flüchten mussten.43
41
Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 27ff.
Barbara Stollberg-Rilinger, Europa im Jahrhundert der Aufklärung, Stuttgart 2000, S. 267.
43
Kurt Schubert, Jüdische Geschichte, München 42001, S. 97.
42
14
Die Niederlande waren trotz einiger Beschränkungen im Wirtschafts- und
Berufsleben für Juden das toleranteste Staatswesen dieser Zeit. Es bestand
Gleichheit vor dem Gesetz. So versammelten sich verfolgte Juden und judaisierende
Christen aus allen Ländern in Amsterdam. Dort betrieben sie Welthandel im großen
Stil, verkehrten in der Welt der Intellektuellen und schufen Wohlfahrtseinrichtungen.
Amsterdam wurde als ein neues Alexandria bezeichnet. Die Situation der Juden
Hollands zur Zeit der Frühaufklärung wurde von der Kirche weder begünstigt noch
behindert. Für das damalige Judentum war Amsterdam „das neue große Jerusalem“
und die „feste Arche in der Sintflut“.44
Während im Mittelalter die Sephardim noch die Mehrheit des Gesamtjudentums in
Holland bildeten, wurden sie im 18. Jahrhundert von den Aschkenasim eingeholt.
Diese hatten sich
Rabbinern,
Schulen
zu selbständigen Gemeinden mit besonderen Synagogen,
und
Wohlfahrtsinstitutionen
zusammengeschlossen.
Im
Gegensatz zu den exklusiven Gemeinden der Sephardim standen die Gemeinden
der Aschkenasim den Zuwanderern weit offen und wurden so zum eigentlichen
dynamischen Element der holländischen Judenheit.45
2.4 Die Juden Wiens
Wenn auch gegen den Widerstand der Wiener Hofkammer, gab Karl VI. seine
judenfeindliche Politik bis zu seinem Lebensende nicht auf. Seine Tochter und
Thronerbin Maria Theresia übernahm diese Antipathie und führte die Judenpolitik
ihres Vaters unverändert fort. Ihre streng katholische Haltung und das von der
Außenpolitik belastete Erbe verstärkten ihren anerzogenen Judenhass. So zielte sie
1744 auf die Vertreibung der Juden aus Böhmen ab. Der Befehl der Monarchin
konnte jedoch rückgängig gemacht werden, und in der folgenden Zeit schmälerte
sich der Judenhass der Kaiserin. Maria Theresia schien begriffen zu haben, dass
mittelalterliche Normen der Vergangenheit angehören mussten.
44
45
Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 30f.
Ebd., S. 32.
15
Sogar in Wien konnte eine jüdische Gemeinde entstehen. Ihre jüdischen Untertanen
kannte sie jedoch nicht unmittelbar, denn wenn sie Juden in Audienz empfing,
mussten sie durch einen Paravent von ihr getrennt sein.
Das Toleranzpatent ihres Sohnes, des Kaisers Josef II. aus dem Jahre 1782 gilt als
Meilenstein in der Geschichte der österreichischen Juden.46
In ihm kamen die
besten Absichten der Aufklärung zusammen, wie sie in England, Holland und
Preußen diskutiert wurden:
Aufhebung der demütigenden Beschränkungen, wie
Ghettozwang, Leibzoll, Judenzeichen, Ausgehverbot an christlichen Feiertagen,
religiöse Toleranz und bürgerliche Verbesserung der Juden.
Damit waren die
erkennbaren Zeichen der Ausgrenzung und Diskriminierung beseitigt.
Doch wurde den Juden weiterhin das Bürger- und Meisterrecht verwehrt und auch
die Zünfte verwehrten ihnen den Zugang. Man empfahl ihnen wie in Preußen den
Großhandel und riet ihnen Fabriken zu gründen. Es gibt keine Erwähnung von
Kapital- und Geldverkehr, denn seit der Rückkehr der Hofjuden, waren sie wichtige
Finanzberater des Kaisers und die tolerierten Familien in Wien waren für den Staat
unersetzlich. Die Juden waren ohne Zweifel ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und
bekamen deshalb ihr Toleranzpatent. Unter anderem wird im Toleranzedikt auch die
erzieherische und humane Tendenz betont. Die Juden galten jetzt nicht mehr als
unverbesserlich und verstockt, sondern man hielt sie für erziehbar.
Im Paragraph 7 hieß es: „Da Wir die jüdische Nazion hauptsächlich durch bessere
Unterrichtung und Aufklärung
ihrer Jugend, und durch Verwendung auf
Wissenschaften, Künste und Handwerke dem Staate nützlicher und brauchbarer,
zum Ziele nehmen.“ Den Juden war es jetzt erlaubt, eigene Schulen für ihre Kinder
zu errichten oder sie in christliche Schulen zu schicken. Allerdings durften sie nicht
die so genannte jüdischen Sprache und Schrift verwenden, sondern sie mussten
sich der landesüblichen Sprache bedienen. Innerhalb einer Frist von zwei Jahren
sollten die Juden Deutsch sprechen und schreiben.
46
Ebd., S. 33.
16
Was vorerst aussieht wie eine Volksaufklärung, zeigt sich bei näherer Betrachtung
als Zwangsintegration im Interesse des Staates und der Wirtschaft.47
2.5 Die Juden in Italien
Im Mittelalter zeigte sich Italien Juden gegenüber toleranter als andere europäische
Länder, jedoch seit der Reformation änderte es seine Judenpolitik. Wesentlich für
das jüdische Dasein war nunmehr das Ghetto, das sich in Rom
entwickelte.
Abraham Levi aus Amsterdam berichtete als Reisender, dass über 4000 Juden in
dem Ghetto, das aus zwei Hauptstraßen und sechs Nebenstrassen bestand,
zusammengepfercht
waren.
Beruflich
waren
die
Ghettojuden
durchwegs
Handwerker, vor allem Schneider oder Trödelhändler.
Steuerlich wurden diese Ghettojuden erdrückend ausgebeutet, was ihre Existenz
jedoch für die Kurie rechtfertigte. Diese Geisteshaltung der Kirche ist an der
Ausrichtung des Ghettos deutlich zu sehen. Dem Haupteingang gegenüber war ein
großes hölzernes Kreuz angebracht, auf dem als Inschrift der Bibelvers prangte:
„Den ganzen Tag recke ich meine Hände aus zu einem ungehorsamen Volke (Jes.
65,2)“.48
2.6 Die Juden im Osmanischen Reich
Nach ihrer Vertreibung aus verschiedenen Teilen des christlichen Abendlandes
flohen viele Juden in das osmanische Reich. Oft kamen die Juden aber nicht freiwillig
in die osmanischen Gebiete. Durch die Ausländer- und Ansiedlungspolitik der
osmanischen Herrscher wurden oft ganze Bevölkerungsgruppen im Interesse des
Reiches umgesiedelt.
47
Klaus L. Berghahn, Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung, Köln – Weimar –
Wien – Böhlau 22001, S. 35ff.
48
Jacob Allerhand, Das Judentum in der Aufklärung, Stuttgart – Bad Cannstatt 1980, S. 34f.
17
Längerfristig hatte sich als Folge von Zwangverschiebungen, Deportationen und
freiwilligen
Einwanderungen
Selbstbestimmungskonzept
der
ein
von
der
Reichsverwaltung
gelenktes
Städte und innerstädtischen Gemeinschaften
herausgebildet. Im 16. Jahrhundert verfolgte man in Saloniki die gleiche Politik. Ein
Register von 1519 zeigt, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Juden mit Namen
aus südeuropäischen Städten und Ländern war. 1613 waren bereits 68 Prozent der
Einwohner Juden. Auch in Rhodos und Zypern siedelte man Juden an, nachdem die
Türken diese Gebiete erobert hatten. Es wurden aber nicht irgendwelche Juden
umgesiedelt. Es wurde den Gouverneuren eingeschärft, reiche Juden auszusuchen.
Als die Türken dann Belgrad und Buda eroberten, wurden dort wohnhafte Juden und
Christen zu tausenden in osmanische Städte umgesiedelt.49
So verstärkten die ankommenden Juden die osmanischen Städte und erlebten vor
allem im 16. Jahrhundert eine Blütezeit. Der kulturelle Beitrag der osmanischen
Juden zum türkischen Leben war vor allem auf den Gebieten der Medizin, der
Schauspiel- und Buchdruckerkunst.50 Rechtlich gesehen waren die Juden zwar
gegenüber Muslimen mit einer höheren Steuer belastet, genossen dafür aber eine
religiöse Autonomie und ein hohes Maß an Toleranz.
Aus türkischen Dokumenten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts geht hervor, dass
immer wieder Hass unter der muslimischen Bevölkerung aufflackerte und sie sich
über die Freiheiten der nichtmuslimischen Gemeinden beschwerte. So mussten die
Sultane die Einschränkungen, die das heilige Gesetz den Juden auferlegte, erneuern
oder ihnen wieder Geltung verschaffen. So wurde den Juden wieder ins Gedächtnis
gerufen, dass sie keine Pferde reiten oder Sklaven halten durften, und dass es ihnen
verboten war, Wein zu verkaufen. Selbst die Freizügigkeit in der Kleidung, wich
einer strengeren Anwendung der Vorschriften, insbesondere in den Provinzen.
Christen oder Juden trugen ihre Pantoffel in den Farben Rot, Violett oder Schwarz.
Diese Order wird mit solcher Genauigkeit befolgt, dass man an den Füßen oder am
Kopf erkennen kann, welchen Glaubens wer ist.
49
Bernhard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Aus dem
Englischen von Liselotte Julius, München 2004, S. 113ff.
50
Ebd., S. 119.
18
Ausschlaggebend für das Wohlergehen der Juden unter der osmanischen Herrschaft
war wohl, dass sie ein nützliches und produktives Element waren und als Werkzeug
imperialer Politik benutzt werden konnten. Viele Juden brachten Kapital mit, das bei
finanziellen Engpässe der osmanischen Regierung half. Bei Verhandlungen mit den
europäischen Mächten, übten sie wegen ihrer Sachkenntnisse über Europa eine Zeit
lang eine bedeutsame Beraterfunktion aus.
Als die Einwanderung endete und es keine Berührungspunkte mehr mit Europa gab,
verloren die Juden ihre Fertigkeiten, die ihren türkischen Herren zuvor dienlich
gewesen waren. Die Juden hatten das Lateinische vergessen und konnten sich
daher mit den Christen nicht mehr verständigen. Sie hatten nun nichts Nützliches
mehr anzubieten.
An die Stelle der Wanderbewegungen europäischer Juden in die Türkei, fand nun
einer der osmanischen Christen in umgekehrter Richtung statt. Die Söhne dieser
Christen wurden zur Erziehung nach Europa geschickt und erwarben so die
Fertigkeiten und Kenntnisse, die früher die Juden so wichtig gemacht hatten.
Der jüdische Anteil am internationalen Handel ging zurück und im 17. Jahrhundert
erreichte er den Nullpunkt. Das Verhalten der Türken wurde jetzt mitunter feindselig.
Viele Anzeichen zeigen eine Wende zum Schlechteren hin. Der anwachsende
Fanatismus
bringt
härtere
Lebensumstände
für
die
Nichtmuslime.
Die
Beschränkungen, die das Heilige Gesetz den Nichtmuslimen auferlegte, verstärkten
regionale und soziale Absonderungen. Es kommt aber so gut wie zu keiner offenen
Verfolgung und zu keinen Gewalttätigkeiten.
Mit dem allmählichen Strukturwandel des Osmanischen Reiches, setzt eine
Verschlechterung der Stellung der Juden ein, die eine Neuorientierung ihres
Selbstverständnisses erforderte.51
51
Ebd., S. 126-134.
19
2.7 Zusammenfassung
Die Juden wurden auch im Zeitalter der Aufklärung von ihrer christlichen Umwelt
nicht respektiert. Jedoch gab es im 18. Jahrhundert
für sie keine
extreme
Bedrohung ihrer physischen Existenz mehr. Es gab keine schweren Pogrome mehr
wie im Mittelalter. Zwischen dem 13. und dem 15. Jahrhundert waren die Juden aus
ihren iberischen und mitteleuropäischen Siedlungsgebieten nach Osteuropa
vertrieben worden. Allmählich hatten
sie sich aber
wieder in Mitteleuropa
angesiedelt.
Im Laufe des 17. Jahrhunderts, als es in der Ukraine wieder zu einer grausamen
Judenverfolgung kam, flüchteten die Aschkenasim nach Holland, um sich dort
niederzulassen. Im 18. Jahrhundert gab es fast überall in Europa wieder jüdische
Gemeinden. Überall waren sie aber nur geduldet. Sie waren Außenseiter ohne
rechtlichen Status, jederzeit von einer Ausweisung bedroht. Wenn es ihnen möglich
war, regelmäßig hohe Schutzgelder zu zahlen, duldeten die Obrigkeiten sie als so
genannte Schutzjuden. In den Gemeinden gab es Synagogen, Rabbiner, Schulen
und eigene Fürsorgeeinrichtungen.
Die Kehrseite der jüdischen Gemeindeautonomie war die traditionelle Ausgrenzung
der Juden durch die christliche Umwelt. Sie durften keine Christen heiraten. Sie
konnten keinen Grund und Boden erwerben und besaßen kein Bürgerrecht in den
Städten.
Es
war
ihnen
verboten
einem
zünftisch
organisierten
Gewerbe
nachzugehen und sie waren von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Kurzum, sie
waren von den allermeisten Erwerbsmöglichkeiten ausgeschlossen und daher auf
Handel, Wechselgeschäfte, Geld- und Pfandleihe
und ein paar anderen
Nischenerwerbszweige angewiesen. Auch im 18. Jahrhundert mussten sich die
Juden durch sichtbare äußere Zeichen, wie einen gelben Ring an Mantel oder Hut
in der Öffentlichkeit als Außenseiter zu erkennen geben.
Als Hoffaktoren waren einzelne jüdische Familien für den europäischen Monarchen
für den Ausbau ihrer Staaten und den Glanz ihrer Höfe überaus wertvoll. Dafür
bekamen sie eine privilegierte Stellung und wurden von den meisten Verboten, die
sonst für Juden galten, ausgenommen. Da Privilegien jedoch jederzeit widerrufen
20
werden konnten, waren sie immer völlig von der Gunst der Monarchen abhängig und
wurden gerade deshalb von diesen als zuverlässige Werkzeuge hoch geschätzt.
Da die meisten Obrigkeiten nur den finanziell leistungsfähigen Juden gegen hohe
Abgaben Aufenthalt und Gewerbe in ihrem Land gewährten, blieb vielen Familien,
die diese Bedingungen nicht erfüllen konnten, weder Lebensgrundlage noch
Aufenthaltsgenehmigung. So lebten immer mehr Juden als heimatlose Bettler in der
Illegalität.
Die Einstellung der Aufklärer gegenüber den Juden war keineswegs einheitlich und
eindeutig. Für einige von ihnen galten die Juden als sittlich verderbt, habgierig und
betrügerisch. Mit dem charakteristischen volkspädagogischen Eifer der Aufklärung
wollte man nun die Juden vor allem bessern und erziehen. Die Toleranz- und
Bürgerrechtsforderungen der Aufklärung schlossen auch die Juden nicht aus.
Der preußische Regierungsbeamte Dohm, der mit Moses Mendelssohn befreundet
war, prangerte 1781 zum ersten Mal offen das jahrhundertealte christliche Unrecht
gegenüber den Juden an und forderte ihre Gleichberechtigung. Sie sollten die
gleichen Rechte haben wie alle Untertanen, sie sollten ihre Religion frei ausüben
können und uneingeschränkten Zugang zu allen Berufen erhalten.
Ein Jahr später hob Joseph II. die Berufs- und Wohnbeschränkungen für Juden auf.
Insgesamt stellt sich die Wirkung der Aufklärung für die Juden in Europa durchaus
ambivalent dar. Das Ausgrenzen durch die feindliche christliche Außenwelt förderte
ihre Blockade nach innen und ermöglichte ein strenges Traditionsbewusstsein,
Zusammengehörigkeitsgefühl und die Wahrung der kulturellen Identität über
Jahrhunderte hinweg.
21
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Das
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postkolonialer
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23
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