DAS KVT HAUS AM LANDSGEMEINDEPLATZ TROGEN 1m 5m Kellergeschoss IMPRESSUM Grundrisse, Schnitte, Ansichten Affolter & Kempter Architekten, St. Gallen 2. Obergeschoss Zwei Quergiebel durchstossen das 2. Obergeschoss. Eine markante Veränderung erfuhr das Gebäude nach 1821 durch die Erhöhung des Firstes. Es ist anzunehmen, dass diese Massnahme zur Gewinnung von mehr Nutzfläche erfolgte. Der Ausdruck des Gebäudes veränderte sich durch das nun zudem steilere Dach zu mehr Stattlichkeit. Das für Anna und Conrad Zellweger-Rechsteiner um 1650 erbaute und heute im Besitz des Kantonsschulvereins Trogen befindliche ehemalige Fabrikantenhaus liegt leicht erhöht und prominent über dem bekannten Landsgemeindeplatz von Trogen. Der dazu gehörige um 1860 erbaute gequaderte Steinbau diente früher als Waschhaus. Sockelgeschoss Situationsplan Trogen Vincenzo Maddalena, Architekt, Basel Abbildungen Fotografie Titelbild, April 2011: Hubert Lämmler Restliche Bilder v.l.n.r., Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden (KBAR), KB-003915, KB-014347, KB-003815, Helv b 1202, KB-005177, KB-008782 Literatur Eugen Steinmann: Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Bd. 2. Der Bezirk Mittelland. Basel 1980 (Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 70) Haus-Analyse 20.02.2009, erstellt durch Affolter & Kempter Architekten, St.Gallen Johannes Schläpfer: Johann Ulrich Fitzi 1798-1855. Sulgen/Triesen 1995 Otto Zellweger: Der Dorfplatz in Trogen. Trogen 1954 Peter Kürsteiner: Appenzell Ausserrhoden auf druckgrafischen Ansichten. Herisau 1996 Einwohner-Etats der Gemeinde Trogen 1835, 1849, 1870, 1895, 1911, 1931 GEBÄUDETYPOLOGIE Entlang der Platzfront ist das massive Sockelgeschoss mit einem Kreuz- und Tonnengewölbe unterkellert. Dieses weist vergitterte Fensterchen mit Schlagläden auf. Die seitlich positionierte Eingangshalle mit Sandsteinplatten und einer Kassettendecke führt direkt in den mit Nussbaumtüren und einem Buffet aus Kirschbaumholz reich ausgestatteten ehemaligen Kontorraum. Eine repräsentative geschwungene Treppe aus Kunststein führt ins obere Geschoss. Dachgeschoss Konzept und Gestaltung Rahel Lämmler, Architektin Zürich [email protected] anlässlich der 90. Hauptversammlung des Kantonsschulvereins Trogen, 7. Mai 2011 Auflage: 200 Exemplare Druck: Druckerei Lutz, Speicher 2011 Landsgemeindeplatz Trogen Erdgeschoss Der rückseitige Eingang im Erdgeschoss führt zu den Wohnräumen. Alle Haupträume orientieren sich zum Landsgemeindeplatz, während die Nebenräume und das Treppenhaus hangseitig angeordnet sind. Querschnitt BAULICHE EINGRIFFE 1992-2011 Die ursprüngliche Gebäudestruktur und der architektonische Ausdruck sind trotz zahlreichen Nutzungsänderungen bemerkenswerterweise weitgehend erhalten. Seit 1992 wurden verschiedene Umbau- und Unterhaltsarbeiten durch das Architekturbüro Affolter & Kempter aus St.Gallen vorgenommen. Die abgebildeten Pläne zeigen den baulichen Zustand vom April 2011. 1992 2002 1. Obergeschoss Ausbau Treppe, Dachzimmer West Treppenhaus EG - 2.OG, Waschküche EG, Umbau Wohnung 2.OG / DG 2009 Hausanalyse mit technischen und energetischen Verbesserungs- und Umbauvorschlägen 2010/11 Aussenrenovation Fassaden mit Fensterersatz Heute befindet sich im Sockelgeschoss ein Atelier. Das Erdgeschoss und das 1. Obergeschoss werden von Schülern und Schülerinnen der Kantonsschule Trogen bewohnt. Die beiden obersten Etagen nutzt die Kantonale Verwaltung als Büroräumlichkeiten. Der KVT plant, das Haus in den nächsten Jahren in eine Stiftung und in eine wiederum vollumfängliche Nutzung durch die Kantonsschule Trogen zu überführen. Längsschnitt Laemmler_Maedchenkonvikt_110688.indd 1 05.05.11 16:22 Im Einwohner-Etat von 1911 wird Gemeinderat Emil Höhener als Besitzer und Bewohner des Hauses vermerkt. Er ist mit Bertha Schmid von Gais verheiratet; das Ehepaar hat vier Kinder, von denen 1911 drei noch leben. Die Kantonsschule, 1821 als Privatschule gegründet und 1865 vom Kanton übernommen, nutzte das Gebäude ab 1919 als ‚Pension Hunziker‘ für auswärtige Kantonsschüler. Im letzten überlieferten Einwohner-Etat von 1931 ist Fritz Hunziker als Besitzer und Bewohner angegeben. Hunziker und seine Ehefrau Emma Paul haben drei Dienstmägde aus Wildschönau (Österreich), Walzenhausen und Württemberg angestellt. Der Haushalt bietet zudem Herberge für 22 Pensionäre, Kantonsschüler aus Zofingen, München, Winterthur, Küsnacht, Luzern, Bolken SO, Reinach, Zürich, Münchenstein, Wetzikon, Hugelshofen, Neuenburg, Limpach BE, Richterswil, Kriens, Thun, Barcelona und Wien. Seit 1958 befindet sich das Gebäude im Besitz des Kantonsschulvereins Trogen KVT. Von 1968 bis 1996 wurde es als Mädchenkonvikt geführt. (Ansichtskarte um 1920, KB-003815) FASSADE Die Ansicht der Hauptfront oben links zeigt die 2011 renovierte Fassade mit neuer Fenstersprosseneinteilung. Das Gebäude wird mit dieser Anpassung einem zeitgenössischen Bedürfnis nach Grosszügigkeit gerecht, ohne den ursprünglichen identitätsstiftenden Ausdruck des traditionellen Gebäudes aufzugeben (vgl. oben rechts). Die Front ist vermutlich seit etwa 1780 bis zum First getäfert und hell bemalt. Vergipste Traufhohlkehlen führen elegant zum Dachvorsprung über. Reihenfenster mit Zugläden gliedern die Fassade. Die als Pilaster verkleideten Strickköpfe lassen Rückschlüsse auf die innere Raumeinteilung zu. Die Rückseite und die seitlichen Fassaden sind mit Schindeln verkleidet und mit Einzelfenstern und Schwenkläden versehen (rechts Seitenfassade Süd und Rückfassade 2011). HISTORISCHER HINTERGRUND Nach der Landteilung 1597 wurde Trogen zum Hauptort von Appenzell Ausserrhoden sowie im Turnus von zwei Jahren Tagungsort der Landsgemeinde. Das erste Rathaus (Bildmitte) wurde als Holzgiebelhaus 1598 erbaut und 1842 nach Bühler versetzt. Hans Ulrich Grubenmann erbaute 1755 das Pfarrhaus als Holzgiebelhaus, welches sich am Ende des Sonnenhofparkes (links im Bild) befand, 1825 in den Schopfacker versetzt wurde und 1972 dem Strassenbau weichen musste. Die heute noch bestehende Kirche wurde von 1779-1782 ebenfalls von Grubenmann erstellt. Abgesehen von diesen drei öffentlichen Gebäuden war das Bild des Landsgemeindeplatzes durch Privathäuser der Fabrikanten-, Ärzte- und Staatshäupterfamilien Zellweger, Honnerlag und Tobler geprägt. Noch bis Mitte des 18. Jahrhunderts befanden sich am Platz nur Holzhäuser, die meisten wurden in der Folge durch Steinpaläste ersetzt. Auf dieser Zeichnung von Johann Ulrich Fitzi ist ein Brunnen dargestellt, der heute - vermutlich als Replik - in halber Form den Abschluss der dem KVT Haus vorgelagerten Terrasse bildet. Mit dem Strassenbau nach Wald wurde er 1858 vom Platz entfernt. (Federzeichnung von Johann Ulrich Fitzi, vor 1842, nur als Ansichtskarte von 1915 erhalten, KB-003915) VOM WOHN-UND GESCHÄFTSHAUS ZUM KVT HAUS Um 1650 wurde für Anna und Conrad Zellweger-Rechsteiner (1630-1705) das Wohnhaus mit Geschäftssitz für den Textilhandel gebaut. Es ist das älteste Haus am Landsgemeindeplatz und wurde als 5-geschossiger traditioneller Strickbau mit schwach geneigtem Satteldach erstellt (Bildmitte, rechts das damalige Rathaus, links das ehemalige Pfarrhaus). Erhöht dahinter befindet sich das jüngste Gebäude am Platz: ein Palast in Holzkonstruktion und mit Walmdach 1807-1810 für den Kaufmann Michael Tobler-Zuberbühler (1761-1830) erbaut. (Federaquarell von Johann Ulrich Fitzi um 1822, KB-014347) LEINWANDSCHAU Die erste Leinwandschau von Appenzell Ausserrhoden fand ca. 1667 im Geschäftshaus von Conrad Zellweger-Rechsteiner als deren Begründer statt. Zusammen mit seinem Sohn Conrad Zellweger-Tanner verkaufte er einzelne Leinwandtuche, welche die beiden entweder auf eigene Kosten weben liessen oder von anderen Fabrikanten in Kommission genommen hatten. Eine Handelsniederlassung in Lyon ab 1717 kurbelte das Exportgeschäft an; ab der Mitte des 18. Jahrhunderts kam der Fernhandel mit Baumwolle dazu. Auch die nachfolgenden drei Generationen waren europaweit erfolgreich als Kaufleute tätig. Ende des 18. Jahrhunderts gehörte die Familie Zellweger zu den wohlhabendsten Familien der Ostschweiz und war politisch auf eidgenössischer Ebene einflussreich. (Beispiel einer Leinwandschau aus einem St.Galler Bilderzyklus, Lit.: Curt Schirmer und Hermann Strehler: Vom alten Leinwandgewerbe in St.Gallen. St.Gallen 1967) AUSSENRAUM Das KVT Haus blickt leicht von oben auf den von städtischen Häusern mit Walmdächern gesäumten konischen Platz. Eine Referenz für diese Steinpaläste findet sich im Genua des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. In Kombination mit der aus der Achse verschobenen Kirche, deren Hauptfassade von einer vorgeblendeten dreigeschossigen Säulenarchitektur beherrscht wird, wähnt man sich auf einer italienischen Piazza. Lediglich zwei Holzgiebelhäuser - das Gasthaus Krone und das KVT Haus - weisen auf die einheimische Bauweise hin. Zusammen mit der gegen den Landsgemeindeplatz orientierten Terrasse mit vorgelagerter Brunnenanlage wird der Aussenraum in repräsentativer Weise gegliedert. Rechts im Bild das Rathaus, links davon die Krone. (Ansichtskarte um 1950, KB-005177) SITUATION Das KVT Haus befindet sich in der Kern- und Ortsbildschutzzone von nationaler Bedeutung. Im April 2011 wurde in Trogen ein Kredit zur Neugestaltung des Landsgemeindeplatzes vom Stimmvolk gutgeheissen. Das Konzept der Gebrüder Quarella Architekten aus St.Gallen sieht vor, den kiesgedeckten Landsgemeindeplatz und die Zwischenräume der den Platz säumenden Gebäude durch einen einheitlichen Bodenbelag, eine Pflästerung, zu vereinen. Die Pflästerung anstelle des Asphalts im Bereich der Kantonsstrasse verlangsamt zudem den Verkehr und betont die Dorfmitte. Der Belag wird beidseitig des KVT Hauses bis an eine aus der Abstimmungsvorlage nicht exakt eruierbare Stelle hochgeführt. Dies führt dazu, dass das Haus künftig beinahe vollständig von Pflastersteinen umschlossen sein wird, denn der hangseitige Eingangsplatz weist bereits heute eine Pflästerung auf. (Aquatintaradierung von Johann Baptist Isenring, zwischen 1831 und 1833, KB-005177) Das KVT Haus gehört gemäss den Einwohner-Etats von Trogen 1835 Johannes Walser von Trogen, einem unverheirateten Kaufmann, der dort zusammen mit Anna Egg aus Ellikon TG, wohl seiner Dienstmagd, lebt. 1849, 1870 und 1895 werden Barbara Louise und Johann Jakob Sturzenegger-Kündig von Trogen als Hausbewohner und -besitzer angegeben. Sie haben drei Töchter. In ihrem Haushalt ist 1849 eine von einem Speicherer getrennt lebende Ehefrau aus Ravensburg, eine Katholikin, nachgewiesen. 1870 lebt im Sturzeneggerschen Haushalt eine ebenfalls katholische Emilie Denzel aus Singen und 1895 die Dienstmagd Rosa Schellenberg von Töss. Laemmler_Maedchenkonvikt_110688.indd 2 05.05.11 16:22