Der ewige Augenblick - Y

Werbung
gUJ P i iiiniBBi
.i. ^
•|
l**l
.(
£
l
;
•••Illllii
H l IS - 2 S1S F S l
i
issäHEisii i
S
^ ^A. .»_ W
er ewi
Wir hetzen von Termin
zu Termin, ärgern
uns über versäumte
Gelegenheiten, und beim
Gedanken an die
Zukunft wird uns mulmig.
Währenddessen lebt
unser Vierbeiner völlig
entspannt im Hier
und Jetzt. Ein Ausflug
in das Zeitempfinden
des Hundes
36
PARTNER HUND I DEZEMBER 2011
s gibt Hunde, nach denen könnte
man die Uhr stellen. Pünktlich um
sieben stupsen sie einem morgens
eine feuchte Nase ins Gesicht,
eine Minute vor dem Zwölf-Uhr-Läuten
beziehen sie vor ihrem Napf Stellung,
und exakt um sechs stehen sie für den
Abendspaziergang in der Tür.
Das Erstaunliche daran ist, dass Hunde
drei Sekunden nach einer Missetat schon
nicht mehr wissen, was sie gerade angestellt haben. Das behaupten jedenfalls
Hundetrainer, und um es gleich vorwegzunehmen: Sie haben völlig recht. Hunde
können tatsächlich nur Erfahrungen in
ihrem Gedächtnis verknüpfen, die sie innerhalb eines Zeitfensters von etwa drei
Sekunden machen. Dennoch sind sie nicht
nur in der Lage, den Postboten abzupas-
H
en
sen, sondern praktisch alles vorherzusehen, was sich einigermaßen regelmäßig
wiederholt. Wie machen sie das? Wie
funktioniert das Zeitgefühl von Hunden?
Wie erleben sie Zeit?
Aui der Suche
nach dem Ich
Jaes Hundes
Um das herauszufinden, hilft es, sich zunächst unser menschliches Zeitempfinden
näher anzusehen. Die Art und Weise, wie
wir Zeit wahrnehmen, hat viel mit unserem Gedächtnis zu tun. Indem wir uns
an das erinnern, was wir soeben erlebt
haben, fühlen wir, wie Zeit vergeht. Gemeinsam mit weiter zurückliegenden Er-
Testet man das mit Menschenaffen, dann
fassen sie sich meist an die markierte Stelle
und untersuchen sie, ein Beleg dafür, dass
sie sich im Spiegel selbst erkennen. Hunde
hingegen ignorieren ihr Spiegelbild, was
aber auch daran liegen kann, dass sie sich
grundsätzlich wenig für Äußerlichkeiten
interessieren.
Es gibt aber einige Belege dafür, dass
Hunde sich an Episoden erinnern können,
also an das Was, Wo und Wann. Wenn
Hunde Knochen vergraben, dann finden
sie sie nicht nur später wieder, sondern
Lektionen des
Lebens in drei
Sekunden
lebnissen ordnen wir diese nach und nach
zu der Geschichte unseres Lebens an.
Für dieses sogenannte autobiografische
Gedächtnis müssen wir uns aber nicht
nur an einzelne Episoden erinnern, also
daran, was wo und wann geschehen ist.
Wir müssen auch den Eindruck speichern,
dass wir es selbst erlebt haben. Für unsere
Art von Zeitgefühl ist also auch ein IchBewusstsein erforderlich.
Ob und wie Hunde sich selbst wahrnehmen, konnte bisher noch niemand klären,
trotz zahlreicher Untersuchungen über die
Geistesgaben von Hunden. Die bislang
beste Nachweismöglichkeit dafür ist der
Spiegel-Test: Ein Tier wird unbemerkt
mit Farbe markiert, meist im Gesicht.
Anschließend zeigt man ihm ein Spiegelbild von sich selbst.
warten auch einen gewissen Reifegrad ab,
bevor sie sie wieder ausgraben. Das heißt
aber nicht, dass sie sich daran erinnern,
den Knochen selbst vergraben zu haben.
Für uns Menschen ist diese Art von Erinnerung schwer vorstellbar, doch auch
wir wissen vieles, ohne uns konkret an
eine Szene erinnern zu können, in der
wir es gelernt haben. Das betrifft viele
Erlebnisse aus frühester Kindheit. Unser
autobiografisches Gedächtnis setzt erst
mit einem Alter von etwa drei Jahren ein.
Alles, was vorher stattfand, liegt jenseits
eines Horizontes, an dem unser persönliches Zeitempfinden beginnt. Ist das der
Zustand, in dem sich Hunde zeitlebens
befinden?
Dagegen spricht, dass Hunde regelmäßig wiederkehrende Ereignisse so präzise
vorhersehen können, siehe Eingangsbeispiele. Dagegen spricht auch, dass sie
sich generell gut zurechtfinden und ihre
Aktivitäten sinnvoll in ihren Tagesablauf integrieren: Fähigkeiten, die die von
Kleinkindern bei weitem übersteigen.
Ein Hilfsmittel, das Hunde dafür nutzen,
ist ihr ausgeprägter Hang, Zusammenhänge zwischen Ereignissen herzustellen,
die gleichzeitig stattfinden. Um die Macht
dieser Strategie zu erfassen, hilft es, sich
einen Moment in die Perspektive des
Hundes zu versetzen und so zu tun, als
würden wir alle drei Sekunden vergessen,
was wir gerade erlebt haben.
Zählen Sie bis drei, blinzeln Sie, und
stellen Sie sich vor, Sie wären soeben
erwacht. Alles, was Sie um sich herum
sehen, kennen Sie. Ihr bisheriges Wissen
über die Welt ist präsent, Sie erkennen
Menschen und Dinge, aber wissen nicht
mehr, was vor dem Blinzeln geschah.
Nach drei Sekunden beginnen Sie von
vorne.
Bitte blättern Sie um
FORSCHUNG
Sie blinzeln und vergessen alles, mit wenigen Ausnahmen: Besonders wichtige
Eindrücke bleiben in Ihrem Gedächtnis
haften; berührende oder erschreckende
Momente; Ereignisse, die just in diesen
drei Sekunden gleichzeitig stattfinden. Der
Blick auf die Vergangenheit, auf den Ablauf der vergangenen Stunden, Tage oder
Jahre fehlt zwar, doch was Sie in diesen
drei Sekunden lernen, wissen Sie später
- allerdings ohne sich daran zu erinnern,
wie Sie es gelernt haben.
Sie pflücken eine Rose und stechen sich:
Also werden Sie künftig vorsichtiger sein.
Sie probieren den Kuchen auf dem Küchentisch, und er schmeckt Ihnen: Dann
werden Sie öfter dort nachsehen, wenn
Sie hungrig sind. Sie bekommen einen
Klaps auf die Finger, weil der Kuchen als
Geschenk gedacht ist: Beim nächsten Kuchen werden Sie sich erst mal umsehen,
ob jemand in der Nähe ist.
Alle drei Sekunden haben Sie die Möglichkeit, durch Zusammenhänge eine
neue Regel zu lernen. Und wenn Sie ein
hinreichend gutes Gedächtnis haben, werden Sie sich bald ohne Weiteres in Ihrer
Umwelt zurechtfinden, auch ohne ein Gefühl für Zeit oder eine Vorstellung von
Vergangenheit und Zukunft.
Dieses Gedankenexperiment entspricht
grob dem Zeitempfinden eines Hundes,
mit einem entscheidenden Unterschied:
Hunde haben ein unfehlbares Instrument,
um trotzdem in gewisser Weise Zeit wahrzunehmen: ihre Nase.
Der Genien
von Stunden
,f tmcl Minuten
Zeit kann man tatsächlich riechen. Mitunter gelingt das sogar Menschen: Wenn wir
auf dem Speicher eine alte Kiste öffnen,
merken wir schon am Geruch, wie tief
wir in die Vergangenheit eintauchen. Der
extrem feine Geruchssinn von Hunden
liefert ihnen eine Fülle von Informationen
über die Zeit, die uns völlig verborgen
bleiben.
Beispielsweise verändert sich der Geruch eines Raumes im Tagesverlauf. Je
nachdem, wie die Sonne einstrahlt, die
Luft strömt und die Umgebung Düfte
hereinweht, hat jeder Moment seinen individuellen Geruchsabdruck. Duftmarken
von Artgenossen verändern ihren Geruch
ebenso mit der Zeit wie Fußabdrücke oder
Kleidungsstücke. Und selbst die regelmäßigen hormoneilen und physiologischen
Schwankungen unseres eigenen Körpers
sind für den Hund ein offenes Buch.
Während wir Menschen als Augentiere
den Lauf der Zeit als einen Film im Kopf
erleben, stehen für den Hund ganz andere
Sinneseindrücke im Vordergrund, allen
voran Gerüche. Wenn er eine Vorstellung
von Zeit hat, dann hat sie mit Sicherheit
nichts mit unserem Zeitgefühl zu tun.
Hunde erleben sich nicht als Wanderer
in der Zeit, fühlen nicht, wie Sekunden
verstreichen, setzen keine Erlebnisse zu
ihrer Lebensgeschichte zusammen. Sie
denken weder über Vergangenes nach,
noch grübeln sie, was die Zukunft wohl
bringen mag. Nichtsdestotrotz birgt ihr
Leben im Hier und Jetzt einen Reichtum,
den wir Menschen nur erahnen können:
den Duft des Augenblicks.
Thomas Görblich
HUNDE ERLEBEN DIE ZEIT IN KLEINEN PORTIONEN
Der Mensch Wir empfinden die Gegenwart als ein Zeitfenster von ca. 3 Sekunden. Aus diesen Augenblicken
schafft unser Gehirn mithilfe von Kurz- und Langzeitgedächtnis den Eindruck, dass die Zeit gleichmäßig vergeht.
Ein Verbot verstehen wir
als abstrakte Regel
Es gilt auch, wenn wir kurz
weg oder abgelenkt sind,
weil wir die Ereignisse der
Vergangenheit überblicken
Folge: Aus unserer Sicht
war der Hund ungehorsam
Der Hund Auch er nimmt Zeit m kleinen Häppchen von wenigen Sekunden wahr. Allerdings speichert er vor allem
Ereignisse im Gedächtnis, die er als gleichzeitig empfindet. Im Gegensatz zum Menschen entsteht kein Film im Kopf.
Der Hund verknüpft Ereignisse, die in der Gegenwart stattfinden, also innerhalb weniger Sekunden.
Das Verbot Q\\\. jetzt
38
PARTNER HUND I DEZEMBER 2011
Geht der Mensch weg, gibt
er aus Sicht des Hundes
den Besitzanspruch auf.
Das Spielzeug ist nun auch
für ihn wieder erlaubt
Selbst wenn sich der Hund
nur für wenige Sekunden
abwendet, verschwindet
die vorhergehende Szene
aus seinem Gedächtnis
Wird er in diesem Moment
getadelt, bezieht er es auf
das, was er gleichzeitig
tut, in dem Fall das Nagen
am Knochen
Herunterladen