1936 .................. GEBURT Was damals passierte 1936 – EIN BESONDERES JAHR ..................... Wie die Zeit dahinfliegt: Acht Jahrzehnte sind seit unserer Geburt vergangen! Wir haben in all diesen Jahren viel erlebt, Krisen gemeistert und das Land wieder mit aufgebaut. Wir werden zwar in schwierige Zeiten hineingeboren, doch tun unsere Eltern alles, um uns eine behütete und geborgene Kindheit zu ermöglichen. Zum Glück können wir uns später viele Jahrzehnte lang über Frieden, Freiheit und Wohlstand freuen. Gerade weil wir noch einer Generation angehören, die den Krieg erfahren hat, wissen wir das unendlich zu schätzen. Im Jahr unserer Geburt sind die Nationalsozialisten an der Macht. Seit 1933 herrscht Adolf Hitler über die Deutschen, und die Diktatur durchdringt längst alle Bereiche des täglichen Lebens. Dass 1936 gleich zwei sportliche Großereignisse – die Olympischen Sommer- und Winterspiele – auf deutschem Boden ausgetragen werden, versuchen die Nazis propagandistisch für sich zu nutzen. Wie unsere Eltern wohl damals die Lage beurteilten? Vermutlich zwiespältig, denn viele Familien profitieren erst einmal von der angekurbelten Wirtschaft und freuen sich darüber, dass sie ihrem Nachwuchs genug zu essen geben können. Was sich sonst noch zugetragen hat, zeigt dieses Buch auf den folgenden Seiten – bei einem bunten Streifzug durch unsere Kindheit und Jugend. Wie soll das Kind denn heißen? Aus unserer Schulzeit und dem Freundeskreis ist es uns bekannt: Die beliebtesten Vornamen unseres Jahrgangs sind Hans, Günther, Klaus und Horst für Jungen und Helga, Ingrid, Ursula und Christa für Mädchen. 6 Sicher und geborgen Unsere Mutter ist stolz auf uns und froh, dass wir gesund zur Welt gekommen sind. Das kann ich auch! Manche von uns haben schon früh große Ambitionen. Journalist, Sekretärin oder Bestsellerautorin – was ist aus uns geworden? Übung macht die Meisterin Zur Vorbereitung auf ihre bevorstehende Rolle als Mutter lassen sich viele junge Frauen in den 30er Jahren in sogenannten Mütterschulen die Säuglingspflege erklären. Auskunft darüber gibt auch der 1934 erschienene Ratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Haarer, der sich allerdings sehr stark an den Erziehungsvorstellungen der Nazis orientiert. Zur „neuzeitlichen“ Kleinkindversorgung und -erziehung gehörte damals die strikte Rhythmisierung der Schlaf- und Wachzeiten. 7 1936 .................. ALLTAG Familienleben in der Diktatur SONNTAGS EINTOPF ..................... Als wir geboren werden, spüren viele deutsche Familien erst einmal Erleichterung. Die harten Jahre der Wirtschaftskrise scheinen überwunden, durch die Einführung der Wehrpflicht und die zunehmende Aufrüstung des nationalsozialistischen Regimes gehen die Arbeitslosenzahlen zurück. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt, denn die Arbeitsbedingungen unserer Väter verschlechtern sich trotz herrschendem Fachkräftemangel: 1936 beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit eines Arbeiters 45,6 Stunden. Das ist über eine Stunde mehr als noch im Jahr davor, bei nahezu gleichbleibendem Lohn. Auch für unsere Mütter ist es nicht einfach. Als Hüterinnen der Familie und des Haushalts haben sie mit der verminderten Lebensmittelqualität zu kämpfen. Im Rahmen der NS-Ideologie sind sie dazu angehalten, nur deutsche Produkte zu verarbeiten. Einfache Hausmannskost und wenig Fleisch, so lautet die Devise. Vor dem Essen wird gebetet Sonntags kommt die ganze Familie zum Essen zusammen. Einmal im Monat wird jedoch auf das gute Sonntagsessen verzichtet. Dann heißt es Eintopf statt Braten. Das dadurch gesparte Geld spenden unsere Eltern dem Winterhilfswerk, das vom NSRegime gegründet wurde, um die Not von Teilen der Bevölkerung zu lindern und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen. Neben dem Eintopfsonntag gab es noch zahlreiche weitere Aktionen, bei denen abkassiert wurde. 8 Wo fliegt das Vögelchen? Für uns ist die Welt noch in Ordnung. Von den Problemen der Erwachsenen bekommen wir nichts mit. Am liebsten spielen wir mit unseren Freunden auf der Straße und genießen die Freiheit, unbeobachtet zu sein. Auch wenn die propagierten Erziehungsideale Gehorsam, Selbstbeherrschung und Disziplin lauten: Unsere Eltern haben andere Sorgen, als uns „an die Härten des Lebens zu gewöhnen“. Was kostet 1936 wie viel? 1 kg Brot: 0,33 RM ½ l Bier: 0,30 RM 1 kg Butter: 7,03 RM 1 l Benzin: 0,39 RM Durchschnittlicher Monatslohn: 148,50 RM Ihr Kinderlein, kommet Die Familienpolitik wünscht sich zwar große, kinderreiche Familien, die Realität sieht aber anders aus. Tatsächlich manifestiert sich der Trend zur Zwei-Kind-Familie. Für uns bedeutet das zwar weniger Spielkameraden, dafür aber auch weniger Konkurrenz um den Platz auf Mutters Schoß. 9 1936 .................. KINO Piraten, Südsee, Liebeszauber Clark Gable und Mamo Clark in dem oscarprämierten Film „Meuterei auf der Bounty“. Deutsche Cowboys und Herzensbrecher LEINWANDLIEBLINGE ..................... Im Kinojahr 1936 entstehen viele Filme, die heute als Klassiker gelten. Charlie Chaplin kämpft in „Moderne Zeiten“ mit Maschinen, Stan Laurel und Oliver Hardy torkeln in „Die Doppelgänger“ über die Leinwand, und der Oscar für den besten Film geht in diesem Jahr an „Meuterei auf der Bounty“. In Deutschland sind diese Filme allerdings noch nicht zu sehen, sie werden bei uns erst in den 50er Jahren große Erfolge feiern. Doch auch das deutsche Kinojahr hat einiges zu bieten: Am 20. Februar findet in Dresden die Uraufführung von „Durch die Wüste“ statt, dem ersten Karl-May-Tonfilm. Für einige Schmunzler sorgt der sächsische Akzent von Hadschi Halef Omar alias Heinz Evelt. Weitere Highlights sind die in Amerika spielenden Filme „Glückskinder“ und „Der Kaiser von Kalifornien“, die beide über die Grenzen hinaus Erfolge feiern. Erfolgreich im Ausland Shooting Star Für den „Kaiser von Kalifornien“, der die Geschichte eines deutschen Siedlers in Amerika erzählt, erhält Luis Trenker den Preis für den besten Film bei den Filmfestspielen in Venedig. 1936 gelingt Johannes Heesters – hier zusammen mit Gusti Wolf – der große Durchbruch: Er übernimmt in gleich drei Filmen tragende Rollen und muss sich auch in den folgenden Jahren keine Gedanken um Engagements machen. 11 1936 .................. SPORT Die ganze Welt blickt nach Deutschland SPORT UND PROPAGANDA ..................... 1936 wird das öffentliche Leben in Deutschland von zwei Großereignissen bestimmt: Im Februar finden die IV. Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen statt, am 1. August werden dann in Berlin die XI. Olympischen Sommerspiele eröffnet. Sie werden eingeleitet vom ersten Fackellauf der olympischen Geschichte. 3 961 Athleten aus 49 Nationen nehmen an den Wettkämpfen teil, so viele wie niemals zuvor. Aus heutiger Sicht kurios ist, dass zu den Disziplinen der sportlichen Wettkämpfe auch Kunstwettbewerbe gehören. Hier werden Werke aus den Bereichen Malerei, Bildhauerei, Baukunst, Musik und Literatur ausgezeichnet, die einen Bezug zu Olympia haben. Schon im Vorfeld waren die Spiele wegen der Vergabe an das nationalsozialistische Deutschland in die Kritik geraten. Um die Gemüter zu besänftigen und selbst in einem weltoffenen Licht zu erscheinen, garantieren die Veranstalter allen Nationen und Religionen die Teilnahme an den Spielen. Auf die öffentliche Schikanierung von jüdischen Bürgern in Berlin wird während der Austragung verzichtet. Public Viewing anno 1936 Die Olympischen Spiele machen auch das Fernsehen in Deutschland bekannt. In Berlin können die Bürger in öffentlichen Fernsehstuben der Reichspost jeden Abend ein Programm aus Nachrichten, Unterhaltung und Spielfilmausschnitten verfolgen. 12 Von Olympia nach Athen Insgesamt 3 400 Fackelläufer tragen das olympische Feuer über eine Strecke von 3 075 km von Griechenland nach Berlin. Berlin im Ausnahmezustand Wir sind noch zu klein, um uns daran zu erinnern, aber aus den Erzählungen wissen wir: In diesem Sommer ist das ganze Land vom Olympia-Fieber erfasst. Weißt du’s? Welche Sportart ist 1936 zum ersten Mal bei den Olympischen Spielen zugelassen? Antwort: Basketball Bester Athlet Mit Jesse Owens wird entgegen der von den Nazis propagierten Überlegenheit der „weißen Rasse“ ein afroamerikanischer Sportler zum erfolgreichsten Athleten der Spiele. Er gewinnt vier Goldmedaillen. 13