Vorlesung 3b Versuche, Erfolge, Wartezeiten: Die Welt des p-Münzwurfs von Bernoulli zu Poisson 1 Unser heutiger Rahmen: p- Münzurf alias Bernoulli-Folge 2 Jacob Bernoulli (1654-1705) 3 Sei p ∈ (0, 1), q := 1 − p, und (Z1, Z2, . . .) ein fortgesetzter p-Münzwurf (eine Bernoulli-Folge zum Parameter p) : Für jede endliche 01-Folge (a1, . . . , an) mit k Einsen und n − k Nullen ist P(Z1 = a1, . . . , Zn = an) = pk q n−k . 4 Zur Erinnerung: Für jedes n ist die Anzahl der Einsen in (Z1, . . . , Zn) (die “Anzahl der Erfolge in n Versuchen”) binomial(n, p)-verteilt: n k n−k p q . P(Z1 + · · · + Zn = k) = k 5 Teil 1: Der Zeitpunkt des ersten Erfolgs und die geometrische Verteilung 6 T := inf{i : i ∈ N, Zi = 1} ist der Zeitpunkt des ersten Erfolges. Wie sieht die Verteilung von T aus? 7 P(T = n) =? {T = n} = {Z1 = 0, . . . Zn−1 = 0, Zn = 1} Also P(T = n) = P(Z1 = 0, . . . Zn−1 = 0, Zn = 1) = q n−1 p. 8 Alternativ: {T > n} = {Z1 = 0, . . . , Zn = 0} Also P(T > n) = q n. 9 P(T = n) = q n−1 p P(T > n) = q n Das passt zusammen: P(T = n) = P(T > n − 1) − P(T > n) = q n−1 − q n = q n−1 (1 − q) = q n−1 p. 10 Definition Sei p ∈ (0, 1). Eine Zufallsvariable T mit Zielbereich N heißt geometrisch verteilt mit Parameter p, kurz Geom(p)-verteilt, wenn P(T > a) = q a, a = 0, 1, 2 . . . , mit q := 1 − p. 11 E[T ] =? Anschaulich ist klar: Beim gewöhnlichen Würfeln kommt im Mittel jedes 6-te Mal eine Sechs. Beim Münzwurf mit Erfolgswahrscheinlichkeit p kommt im Mittel jedes (1/p)-te Mal ein Erfolg. Also wird gelten: 1 E[T ] = . p 12 Das beweist man auch schnell mit dem folgenden Lemma (Buch S. 34) Ist X eine Zufallsvariable mit Zielbereich N oder N0, dann ist E[X] = X P(X > i) i≥0 13 Beweis. ρ(j) seien die Verteilungsgewichte von X. E[X] = X jρ(j) = i≥0 P{X > i} = ρ(j) j≥1 i=0 j≥1 X X j−1 X X ∞ X ρ(j) i≥0 j=i+1 Warum ist das gleich? 14 Wie sieht man die Gleichheit X j−1 X j≥1 i=0 ρ(j) = X ∞ X ρ(j) ? i≥0 j=i+1 15 j i X j−1 X j≥1 i=0 ρ(j)= ∞ X X a(i, j) i≥1 j=i 16 j i X j X j≥1 i=1 a(i, j) = X ∞ X ρ(j) i≥0 j=i+1 17 j i Es kommt nicht auf die Reihenfolge der Summation an 18 j i X j−1 X j≥1 i=0 ρ(j) = X ∞ X ρ(j) i≥0 j=i+1 19 Fazit Für eine Geom(p)-verteilte Zufallsvariable T ergibt sich: E[T ] = X P(T > i) = i≥0 X i≥0 qi 1 = . p 1 E[T ] = p 20 Teil 2 Münzwurf mit kleiner Erfolgswahrscheinlichkeit: Wie lange dauert es bis zum ersten Erfolg? Wieder sei T der zufällige Zeitpunkt des ersten Erfolgs in einem fortgesetzten p-Münzwurf. 21 Beispiel: 1 p= 1000 P(T > 2000) ≈ e−2. P T > 2 ≈ e−2. E[T ] 22 Betrachten wir T auf der Skala seines Erwartungswertes: T T := = pT . E[T ] f Für t ∈ R+ und kleines p ist f P(T > t) = P T t t = P T > > p j k p = 1−p = 1−p t p j k 1 p t p p ≈ (e−1)t = e−t. 23 Diese Tatsache formulieren wir als einen Grenzwertsatz: (vgl. Buch S. 42) Satz Sei X1, X2, . . . eine Folge von geometrisch verteilten Zufallsvariablen mit der Eigenschaft → ∞. E[Xm] m→∞ Dann gilt für jedes c ≥ 0: P Xm → e−c ≥ c m→∞ E[Xm] 24 Teil 3: Münzwurf mit kleiner Erfolgswahrscheinlichkeit: Wie viele Erfolge gibt es bei einer großen Zahl von Versuchen? Die Poisson-Näherung. 25 p klein, n groß X := Z1 + Z2 + . . . + Zn P(X = k) ≈? 26 Beispiel: 1 , p = 1000 P(X = 0) = qn n = 3000 = 1− ≈ e−3 3000 1 1000 P(X = 1) = npq n−1 ≈ 3e−3 2q n−2 ≈ 1 (np)2q n ≈ 1 32e−3 P(X = 2) = n p 2 2 2 27 Clou: p klein, n groß: q n = (1 − p)n ≈ e−np 1 k k n n k n−k 1 p q ≈ n p q ≈ (np)k e−np k k! k! 28 Fazit Sei p eine kleine positive Zahl, n eine große natürliche Zahl und X eine Bin(n, p)-verteilte Zufallsvariable. Man kann dann die Verteilungsgewichte von X approximativ als Funktion von E[X] = n p ausdrücken. Rigoros fasst man diese Behauptung im folgenden Grenzwertsatz: 29 Satz (Poissons Gesetz der seltenen Ereignisse) (vgl. Buch S. 30) Sei λ > 0 und sei Xn, n = 1, 2, . . ., eine Folge von Bin(n, pn)-verteilten Zufallsvariablen, so dass für n → ∞ E[Xn] → λ , λ d. h. pn ∼ . n Dann gilt für jedes k = 0, 1, 2, . . . λk −λ P(Xn = k) → e . k! 30 Siméon Denis Poisson (1781-1840) 31 Beweis: n k pn(1 − pn)n−k = k n 1 n(n − 1) · · · (n − k + 1) np n k −k (np ) (1 − p ) 1 − n n | {z } | {z } k! | n{zk n } {z } | k →1 →1 →λ 1 k −λ . → λ e k! →e−λ 32 Definition (Poissonverteilung) (Buch S. 29) Sei λ ∈ R+. Eine Zufallsvariable X mit Zielbereich N0 heißt Poissonverteilt mit Parameter λ, kurz Pois(λ)-verteilt, wenn λk −λ P(X = k) = e , k! k = 0, 1, 2, . . . . 33 0.20 0.15 0.10 0.05 0.00 0 5 10 15 20 Binomialgewichte zu n = 100 und p = 0.03 0.20 0.15 0.10 0.05 0.00 0 5 10 15 20 Poissongewichte zum Parameter λ =3 00 55 10 10 15 15 20 20 0.00 0.00 0.05 0.05 0.10 0.10 0.15 0.15 0.20 0.20 Satz. Der Erwartungswert einer Pois(λ)-verteilten Zufallsvariablen X ist E[X] = λ. Beweis: λk −λ k e E[X] = k=0 k! ∞ X λk−1 −λ =λ e =λ·1 k=1 (k − 1)! ∞ X 37 Zusammenfassung: 1. Im p-Münzwurf ist die Wartezeit auf den ersten Erfolg Geom(p)-verteilt: 2. Für kleine p gilt: P(T > n) = q n. P T > t ≈ e−t E[T ] 3. Für kleine p und große n ist die Anzahl der Erfolge in n Versuchen approximativ Pois(np)-verteilt. Für eine Pois(λ)-verteilte Zufallsvariable gilt: λk −λ P(X = k) = e , k = 0, 1, 2, . . . . k! 38 Nachtrag zur Vorlesung 3a: Eine Bedingung für die Existenz des Erwartungswertes (wenn man mit unendlich vielen Ausgängen rechnen muss): Damit die Summe X a P(X = a) exisitiert, muss gelten: a∈S X a∈S, a>0 a P(X = a) < ∞ oder X a∈S, a<0 a P(X = a) > −∞ Damit die Summe X a P(X = a) exisitiert, muss gelten: a∈S X a∈S, a>0 a P(X = a) < ∞ oder X a P(X = a) > −∞ a∈S, a<0 ∞ ist als Summenwert erlaubt, −∞ auch. Aber ∞ − ∞ gibt keinen Sinn. Beispiele: 1. P(X = 2j) = 2−j, j = 1, 2, . . .: Beispiele: 1. P(X = 2j) = 2−j, E[X] = ∞ j = 1, 2, . . .: Beispiele: 1. 2. P(X = 2j) = 2−j, E[X] = ∞ P X = (−2)j = 2−j, j = 1, 2, . . .: j = 1, 2, . . .: Beispiele: 1. 2. P(X = 2j) = 2−j, E[X] = ∞ P X = (−2)j = 2−j, j = 1, 2, . . .: j = 1, 2, . . .: E[X] exisitiert nicht.