Von einem sehr guten Orchester gespielt, würde der Klangdieser AusschnitteIhnen ganz anders erscheinen. Aber vielleicht zeigt diese Aufnahme besser, wie im Publikum viele sie zu hören schienen. Und vermutlich werden auch unter den Hörern dieses Vortrags viele sein, die nicht anders empfinden. Aber jetzt, da ich zum Ende meines Vortrags komme, möchte ich feststellen, daß, seit ich nach Amerika kam, mein Schicksal sich wieder zu ändern und sich zum Besseren zu wenden scheint. Das bedeutet, daß ich in diesen vier Jahren eine Zahl von Freunden in diesem Land gewonnen habe, die mich sehr hoffnungsvoll macht. Dies beruht vor allem auf dem Erfolg der Verklarten Nacht. Wie ich glaube, wird das amerikanische Publikum mehr Vertrauen in einen Komponisten setzen, der ein Stück zu komponieren vermochte, das es so sehr berührte wie diese Verkliiute Nacht. Und das ist der Grund, warum ich den Abend beenden möchte, indem ich für Sie den letzten Teil meiner Gtlwelieder spiele, den Schlußchor, der den Sonnenaufgang beschreibt. Und ich darf eine Bitte an die Hörer des folgenden Programms richten: Bitte, verlieren Sie nicht die Geduld, wenn unter den Werken, die Sie sogleich hören werden, etwas für Sie Störendes ist, etwas, das Sie unverständlicli oder sogar häßlich finden. Bitte, vergessen Sie nicht, daß a11 meine Musik erst häßlich gefunden wurde, aber daß es vielleicht einmal. einen Sonnenaufgang geben mag - wie in diesem Teil, den Sie jerzt hören werden --,der einen neuen Tag des Sonnenlichtes in der Musik verheißt, so wie ich ihn Ihnen gern bieten würde. [Es folgte eine Plattenaufnahme des Schlußchors aus Gurrelieder.] ent seinen Lebensunterhalt verdienen? Es ist wundervoll, daß amerikanische Studenten - meines Wissens häufiger als in anderen Ländern - sich während des Studiums ihren Lebensunterhalt verdienen. Der Vorteil davon ist offensichtlich: indem der Student auf sich selbst angewiesen ist, wird er reif; er gewinnt Achtung vor dem Wert des Geldes und weiß, was es bedeutet, keines zu haben; er lernt Menschen kennen, erwirbt Verständnis ihrer Psyche und ihrer sozialen Beziehungen; er lernt, was er von ihnen erwarten kann, wenn er sie richtig behandelt, und wie man fehlgehen kann, wenn man es nichr tut. Die Kenntnis der menschlichen Natur ist nicht der einzige Vorteil solcher Tätigkeit. Das Arbeiten als Verkäufer macht den Studenten mit der Beschaffenheit vieler Waren bekannt, mit der Art, wie sie hergestellt, versandt und verkauft werden Erfahrungen, die vielleicht für jeden wertvoll sind, so daß selbst ein ehemaliger Kellner eines Ausschanks alkoholfreier Getränke in späteren Jahren die Erfahrungen seiner Jugend nicht bedauern würde. Zweifellos ist es vorzuziehen, wenn ein Student, der seinen Lebensiinterhale verdient, einiges handwerkliches Geschick erwirbt. Meiner eigenen Erfahrung nach schärft die Beherrschung solcher Fertigkeiten den Sinn des Studenten für handwerkliches Rönnen in der Kunst. Es gibt viele Stufen, aber nur eine Art des menschlichen Denkens. Daher könnten die Prinzipien des künstlerischen Handwerks als bloße Variationen der Prinzipien der handwerklichen Künste angesehen werden. Ohne alle diese Vorteile zu leugnen, möchte ich einen direkteren Weg des Musikstudenten zu seinem Hauptziel empfehlen. Zumindest könnte der g ö ß e r e Teil der Zeit, die er zum Geldverdienen benötigt, Gegenständen gewidmet sein, die in engerer Beziehung zur Musik stehen. Es gibt vielleicht keinen Bereich menschlicher Tätigkeit, für den man mehr Zeit aufwenden muß als für Musik; selbst derjenige, der bescheiden nur nach einer mäßigen Kenntnis strebt, muß Jahre mit Arbeiten verbringen. Tatsächlich sind acht oder zehn Jahre nicht viel. Aber wer ein ausgezeichneter oder gar glänzender Fachmann werden will, kann nicht sicher sein, daß ein ganzes Leben genügt. Früher war es für Musiker leichter; da sie manchmal Bedienstete von Fürsten waren, brauchten sie keine große Ausbildung zu besitzen. Das ist heute anders, w o eine Ausbildung unumgänglich ist und selbst Autofahren und Kinobesuche Zeit brauchen - dies gehört auch zu unserer Ausbildung - als nächstes gehört vielleicht Fliegen dazu. Darf ich jetzt eine Anzahl von Bescliäftigungen aufzählen, die zur Musik in näherer Beziehung stehen und einen Musikstudenten Dinge lehren, die ihm später nützlich sein können. Jeder Musiker sollte eine gute musikalische Handschrift besitzen. Er sollte fehler- Wie kann ein Musikstrrdent seinen Lebemrrnteri~al~~ v e r d r r ~ i o ~36i I frei schreiben können. Diese beiden Eigenschaften würden ihn erstens zum gutbezahlten Kopisten und zweitens zum Korrektor machen. Ich las einmal die Anzeige eines Zeichenlehrers, worin stand: »Wenn Sie schreiben lernen können, können Sie auch zeichnen lernen.« Fast jeder Student kann Notenschreiber werden; damit kann er zwanzig und mehr Dollar die Woche verdienen bei täglich ein paar Stunden Arbeit. Fortgeschrittene Studenten mit gutem Gehör und einiger Erfahrung im Orchesterspiel können als Assistenten von Arrangeuren, wenn nicht gar selber als Awangerue Beschäftigung finden. Pianisten könnten Orchester- und Kammermusik für zwei und vier Hände und andere Besetzungen arrangieren. Für diese Tätigkeit würden sie von Verlegern, Komponisten, Ausführenden, Unterhaltern und Laien angestellt - nicht zu vergessen die Rundfunkanstalten. Korrepetieren und Unterrichten gehören zu den Dingen, die die Kenntnisse junger Musiker am meisten fördern. Von diesen Tätigkeiten wäre das Korrepetieren mit Sängern, ihnen ihren Part beizubringen und sie zu begleiten, Pianisten besonders zu empfehlen. Natürlich kann man den gleichen Nutzen aus der Korrepetition mit Instrumentalisten und aus deren Begleitung ziehen. Ein Geiger könnte auch Violinduos, ein Pianist Klavierduos spielen, und der Cellist und der Bratscher könnten engagiert werden, um mit Laien Kammermusik einzustudieren (womit ich selbst mir manchmal die Butter fürs Brot verdiente). Außerdem könnte ein fortgeschrittener Student aufgefordert werden, jüngeren Studenten nachzuhelfen, zum Beispiel als N[ational] Y[outh] A[dministratioii]-Angestellter. In ähnlicher Weise kann fast jeder Student auf seinem Instrument Anfänger und Laien oder andere Personen unterrichten - wenn er jemanden findet, der weniger kann als er und ihn für eine Autorität hält; iind für den Schüler braucht das nicht schlechter zu sein als bei irgendeinem anderen Lehrer, den er sich leisten kann. Indessen liann das Unterrichten von Theorie sowohl für den Studenten als Lehrer als auch für den Studenten als Schüler von Vorteil sein. Allgemeine Musiklehre, Harmonie und Kontrapunkt schon gleich im nächsten Jahr, nachdem der Student selber sie gelernt hat, zu unterrichten, zwingt den lehrenden Studenten dazu, sich systematisch an alles zu erinnern, was er gelernt hat, und es so wiederzuliauen, daß er es nie vergißt. Ich frage mich, ob ein junger Student, der einem anderen Studenten [das Lel-irfach] Mtisikverständnis beibringt, eine andere Bezahlung als die Freude, einen neuen Akoluthen seines eigenen andächtigen Glaubens an die Musik gewonnen zu haben, erwarten sollte. Aber Zahlen oder Bezahltwerden braucht nicht die Aufrichtigkeit des Idealismus zu beeinträchtigen. Eines erstaunt mich: warum schreiben Musilrstudenten, besonders solche an Universitäten, nicht über Musik. Ich treffe oft junge Leute, die sich über Konzertprogramme (die immer dieselben zwanzig Werlre bieten) oder Eintrittspreise für Konzerte oder Notenpreise oder den Mangel an Aufführungen amerilianischer und zeitgenössischer Komponisten beklagen; oder über den Vorzug, den Konzertagenturen dem Ausführenden vor den Werken selbst geben. Sie beschweren sich, aber warum mir gegenüber, warum nicht öffentlich?Warum schreiben sie nicht über ihre Bedürfnisse? Natürlich zahlt sich Schreiben - wie andere Verbrechen- nicht aus. Seltsam genug: es ist schwer, jemanden zu finden, der nicht draufzahlt, wenn er etwas zum Druck gibt. Sonst könnte er nichts zum Druck geben. Trotzdem sollten junge Leute schreiben, wenn auch nur, um die psychologischen Erfahrungen des Verkäufers zu machen, der es mit Leuten zu tun hat, die nichts erwerben wollen. Selbstverständlich ist es nicht leicht, Sachen zu verkaufen, die die Leute nicht wollen. Vielleicht mag der durchschnittliche Verkäufer seine Waren selber nicht. Wie anders ist es, wenn ein Verkäufer an seine Waren glaubt. Könnte ein musikliebender Student einen möglichen Käufer nicht wirksamer dazu bringen, gute statt schlechter Musik zu kaufen? Selbst obwohl es nicht seine Sache ist, könnte er ein guter Anwalt der Musilrlrultur werden. Meiner Erfahrung nach finden sich kaum gute Musiker, die Musikinstrumente verkaufen - Klaviere, Geigen, Plattenspieler, Radios usw. Wer sonst könnte einen Käufer wirklich so gut beraten wie ein guter Musilier, oder wer könnte Schallplatten so gut beurteilen? Dagegen bin ich wahrscheinlich nicht der einzige, der von der trivialen Musilr abgestoßen wurde, durch die ein mittelmäßiger Musiker für sein Erzeugnis Reklame zu machen versuchte. Schließlich möchte ich eine Anzahl von Tätigkeiten in einem Geschäft erwähnen, bei denen ein Musiltstudent als Biiroangestellter, Verkäufe,; Arbeiter, Elandwerlter oder Mandwerltslehrling arbeiten liann. Zum Beispiel könnte er in einem Verlagsliaus die Aussichten von Musik bewerten, die gedruckt werden soll; er könnte in der Werbung nützlich sein iind im Koritaltt mit den Ausführenden; er könnte Manuskripte zum Stechen vorbereiten und Korrelteur lesen. Und er könnte hier nebenher sehr viel lernen: über das Verbot, die durch Urheberrecht geschützten Einfälle anderer Komponisten zu stehlen, und über die Möglichkeit, trotzdem Plagiate zu begehen, wenn man nur den Buchstabcri des Gesetzes kennt und befolgt. Dies könnte er lernen und auf ehrenhafte Weise zu seinem Vorteil verwenden, auf eine Weise, die die Interessen der Kultur und das Leben der Schaffenden schützt - wollen wir hoffen! In ähnlicher Weise könnte es studentische Tätigkeiten iri Drrtckereien, bei Notenstechern und in Kopieranstalten geben. Es ist erstaunlich, wie wenige Musiker diese Vorgänge kennen, und es ist noch erstaunlicher, wie wenig Interesse diese Betriebe am Fortschritt und an der Entwicklung unserer Kunst zeigen. Lassen Sie mich hier erwähnen, daß, als eines meiner fortschrittlichsten Werlre gestochen wurde, der ständige Korrektor der Notcnstecherwerkstalt mich in einer Randbemerkung in meinem Manuskript fragte, ob da in Takt 724 kein Fehler sei, da die erste Geige D und die zweite Dis habe. Dies nach 723 'Takten! Ich stelle mit Freuden fest, daß man angefangen hat, immer mehr Musiker beim Rundfunk und in der Schallplattenindustrie zu verwenden. Der richtige Mann für die Zukunft wird der volllrommene Musilter mit einer physil<-alisch-mechanischenAiisbildung sein. Bei einer solchen Beschäftigung kann ein Musilrstudent praktisch viel lernen, wenn er jedoch mit der Theorie vertraut wäre, würden sein musikalischer Geschrnaclr, sein Gehör, sein Formgefühl und seine Partiturlrenntnisse uns Musiker von der schmerzlichen Tortur befreien, die wir sonst erleiden müssen. 362 Aufsatze zur Mr/sik Die Musiklehrer können hier viel helfen. Vor allem scheint mir, daß Eltern, die in der Lage sind, ihre Kinder während des Studiums zu unterstützen, ihnen raten sollten, nur solche Beschäftigungen anzunehmen, die ihre Kenntnisse erweitern. Die Musilclehrer könnten ihre Autorität dazu benutzen, die Eltern in dieser Richtung zu beeinflussen. Sie könnten noch mehr tun. Sie könnten versuchen, einflußreiche Persönlichkeiten aller Art - Schuladministratoren, leitende Beamte der Stadtverwaltung, Geschäftsleute usw. - durch Uberzeugungskraft dahin zu bringen, daß sie solche und ähnliche Tätigkeiten für Musilrstudenten schaffen. Niemand würde dies bedauern. Im Gegenteil, einige offensichtliche Vorteile würden sich sehr bald ergeben. Musiker, die durch diese Tätigkeiten während der Studienzeit ihre Kenntnisse erweitert haben, werden wissen, wie sie im Notfall ihren Unterhalt verdienen können. Sie könnten zur echten Intelligenzia werden, die die Kulturgüter furchtlos gegen die höheren und niedereren Banalisierungsversuche verteidigt. Kunst und Film Als die Ufa in Berlin um 1728/27 ihre ersten erfolgreichen Versuche mit Tonfilmen machte, wurde ich eingeladen, mich in Bild und Ton aufnehmen zu lassen. Die Rede, die ich hielt, war eine begeisterte Begrüßungsansprache an die neue Erfindung, von der ich die Wiedergeburt der Künste erwartete. Der Stummfilm war zu diesem Zeitpunkt auf der niedrigsten Stufe der Vulgarität angelangt und wäre ohne diese neue Erfindung, vermutlich in wenigen Jahren tot gewesen. Jetzt erwartete ich eine Wiedergeburt des Wortes - eine Wiedergeburt von Gedanken, von Ideen - die sich mit den höchsten Problemen der Menschheit beschäftigen würden. Wie hatte ich mich geirrt! Als ich diese Wünsche aussprach, dachte ich an das Publikum des Wiener Burgtheaters oder des Deutschen Theaters in Berlin; ein Publikum, das zum größten Teil aus Leuten bestand, die nicht nur ein paar Zitate kannten, sondern ganze Seiten aus Shakespeare, Schiller, Goethe, Wagner auswendig aufsagen konnten; ein Publikum, das nicht nur ins Theater ging, um schallend zu lachen, sondern das den Feinheiten eines Dialogs mit einem feinen stillen Lächeln folgte; ein Publikum, das noch lange nachher die Probleme eines Dramas erörterte. Es liebte auch seine Stars, aber sein eigentliches Interesse konzentrierte sich auf die Figuren - darauf, ob es einen Helden oder Schurken haßte oder bewunderte, bedauerte oder beneidete. Kein Schauspieler hatte nur aufgrund seiner persönlichen Wirkung Erfolg, wenn er nicht die Macht besaß, sich mit einer Person zu identifizieren - einen König Lear, einen Piccolomini, einen G ö u von Berlichingen, einen Wotan zum Leben zu erwecken -, wenn sein Gebrauch des Wortes die Gefühle des Publikums nicht ebenso überwältigend anzusprechen wie seine geistigen Erwartungen zufriedenzustellen vermochte. Wie hatte ich mich geirrt: einige Monate später wurde mein Traum zerstört durch das Erscheinen des ersten »ausgewachsenen'< Films, »ausgewachsen. auch an Vulgarität, Sentimentalität und billiger Effelrthascherei. Es war der erste Schritt abwärts zu der niedrigsten Art von Unterhaltung, und seither ist niemals mit ebensolchem Erfolg ein Schritt in entgegengesetzter Richtung gewagt worden. Die Filmproduktion wandte sich gänzlich von jedem auf das ICünstlerische gerichteten Versuch ab und blieb eine Industrie, die erbarmungslos jeden künstlerischen Zug als gefährlich unterdrückte. Erstaunlicherweise beugte sich die gebildetere Schicht nach einigem Zögern den Tatsachen. Betört von den neuen technischen Wundern, verzichtete man auf höhere Ideen und gab sich mit einem billigen Happy-End zufrieden. Ich hatte von einer Verfilmung der Seuaphita von Balzac oder Srrindbergs Nach Damaskus oder des