PDF anzeigen

Werbung
DIE US-DYNASTIEN
Die Macht des Namens
Sollte in Amerika nicht die Herrschaft des Adels abgestreift werden und jeder
Mensch gleich sein? Doch das Land wird seit Jahrhunderten von wenigen
einflussreichen Familien dominiert. Warum eigentlich? Ein Essay
Von Ruth Hoffmann
D
ass ausgerechnet er einmal als Begründer der ersten amerikanischen Politdynastie gelten würde,
hätte John Adams (1735–
1826) wohl nie gedacht. Er war der erste
Vize- und zweite Präsident der USA, hatte den Boden bereitet für die Los­lösung
von England, an der Unabhängigkeitserklärung mitgeschrieben und die Verfassung von Massachusetts ausgearbeitet. Trotzdem wäre es Adams nie in den
Sinn gekommen, aus seinen Verdiensten für die USA einen Machtanspruch
abzuleiten, der automatisch auf seine
männlichen Nachkommen übergehen
würde. Im Gegenteil: Als Patriot der ersten Stunde gehörte er zu den vehementesten Gegnern jeder Art von dynastischer Erbfolge, wandte sich gegen eine
„künstliche Aristokratie, die sich auf
Wohlstand und Herkunft gründet“, und
sah in der Abkehr von England nicht zuletzt eine Chance, mit dem dynastischfeudalen System Europas zu brechen.
Aus den „Vereinigten Staaten“ sollte
ein völlig neues, freies Land werden,
ein Gegenentwurf zur Herrschaft von
Adel und Krone. Ein Land, in dem alle
Bürger gleich sind und jeder es ungeachtet seiner Herkunft bis ins höchste
Staatsamt schaffen kann. Ohne Fami­
lienbande im Hintergrund.
Beunruhigt verfolgte Adams daher,
wie eine Gruppe von Offizieren 1783
die „Society of the Cincinnati“ ins
­Leben rief: einen exklusiven Männer­
orden zur gegenseitigen Protektion,
der in seinen Statuten ankündigte,
auch politisch aktiv werden zu wollen.
Die Mitgliedschaft war wohlhabenden
A rmeeangehörigen vorbehalten und
­
vererbte sich automatisch auf deren
Söhne. Noch nie, schimpfte Adams,
habe sich eine Gesellschaft so schnell
einen Militäradel zugelegt.
Tatsächlich aber schrieben auch
die Adams über mehrere Generationen
hinweg US-Geschichte: Während John
Adams 1765 seine ersten englandkri­
tischen Reden hielt, machte sich sein
Cousin Samuel als Revolutionär und
Agitator einen Namen und beteiligte
sich an der Organisation der Bostoner
Tea Party. John Adams’ ältester Sohn
John Quincy (1767–1848) wurde 1824
zum sechsten Präsidenten gewählt,
und auch dessen Söhne, George
Washington Adams (1801–1829) und
­
Charles Francis Adams (1807–1886),
gingen in die Politik.
Genealogien wie bei den Adams
sind bis heute typisch für die USA. Das
demokratisch-dynastische Muster zieht
sich durch die Jahrzehnte und sämt­
liche Ebenen des Systems, vom Pro-
vinzparlament bis zum Senat. Wer aus
einer bekannten Familie kommt, macht
leichter Karriere, in der Wirtschaft wie
in der Politik.
Es geht um ein weitgefächertes, tief
verwurzeltes Netzwerk, und es geht um
Geld. Die Wahlkämpfe sind spenden­
finanziert – wenn man nicht gerade Donald Trump heißt –, und wer potente
Freunde hat, kann sich mehr TV-Spots
leisten und hat so die zugkräftigere
­K ampagne.
A
uch das politische System selbst
spielt eine Rolle: Die Verengung
auf nur zwei Parteien, in Verbindung mit der Zuspitzung auf einen einzelnen Kandidaten, schreit nach Glamour, Macht – und nach einem großen
Namen. Ein Mann wie Barack Obama,
der ohne prominenten oder reichen
Background an die Spitze des Staates
gelangt, ist eher eine Ausnahme. Dass
jeder es ins Oval Office schaffen könnte,
ist ein hübsches Märchen, das mit der
Realität noch nie allzu viel zu tun hatte. Die Amerikaner hören es trotzdem
gern, weil es von der Quintessenz des
amerikanischen Traums handelt. Der
Traum von unbegrenzten Möglichkeiten für alle.
In Umfragen gibt die Mehrheit der
Bürger regelmäßig an, es satt­zuhaben,
Dass jeder es ins Oval Office schaffen könnte, ist ein hübsches Märchen, das mit der Realität nie viel zu tun hatte
34
P. M. HISTORY – OKTOBER 2015
„Es wäre verrückt“, sagt Barbara
Bush, „wenn sich nicht mehr
als zwei Familien für das
Präsidentenamt bewerben“
FOTOS: INTERFOTO, ODILE HAIN
Ahnenreihe
Die Miniaturen (Kupferstiche aus dem 19. Jahrhundert) zeigen die
ersten US-Präsidenten
nach George Washington: John Adams
(Amtszeit: 1797–1801),
Thomas Jefferson
(1801–1809), James
Madison (1809–1817),
James Monroe (1817–
1825) und John Quincy
Adams (1825–1829).
Letzterer ist der erste
Präsident, der seinen
Vater auf dem Posten
beerbte
von Sprösslingen der immer gleichen
Familien regiert zu werden. Am Ende
geben sie aber doch den altbekannten
Namen ihre Stimme. Offenbar hat die
Bevölkerung der ältesten modernen
Demokratie der Welt eine Schwäche
für politische Erbfolgen. Innerhalb von
nur drei Generationen brachte etwa
der Bush-Clan unter anderem e­inen
­Senator, einen Vize, einen CIA-Direktor, zwei Gou­verneure, einen Botschafter und zwei Präsidenten hervor.
Selbst Barbara Bush sagte vergangenes Jahr in einem Interview, es sei
„doch verrückt, wenn sich in diesem
großartigen Land nicht mehr als zwei,
drei Familien fänden, die sich für das
Präsidentenamt bewerben“. Ginge es
nach ihr, der 90-jährigen Ehefrau des
41. und Mutter des 43. US-Präsidenten,
würde ihr Sohn John Ellis, genannt
Jeb, jedenfalls nicht kandidieren: „Wir
hatten genug Bushs im Weißen Haus.“
Trotzdem dürfte es auch diesmal
auf einen Kampf der Dynastien hinauslaufen. Viel spricht dafür, dass der
nächste Präsident (oder die Präsidentin) entweder wieder Bush oder wieder Clinton heißen wird. „Solange es
Wahlen gibt, werden die Leute für
­
­K andidaten stimmen, deren Namen sie
kennen“, konstatiert der Historiker und
Adams-Biograf Richard Brookhiser.
„Das ist der Tribut, den die Demokratie
der Aristokratie zu leisten hat.“
John Adams würde sich im Grab
umdrehen.
Ruth Hoffmann empfindet
jetzt, da sie sich mit der Macht
der Clans beschäftigt hat,
noch mehr Hoch­achtung für
die große Ausnahme Barack Obama.
P. M. HISTORY – OKTOBER 2015
35
Herunterladen