Das Musikalisch- Erotische in der Musik Mozarts – auf den Spuren

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Verführungs
Das MusikalischErotische
in der Musik
Mozarts –
auf den Spuren
von Sören
Kierkegaard
Lars Oberhaus
22
„Unsterblicher Mozart! Du, dem ich alles
verdanke, daß ich den Verstand verlor, daß
meine Seele erstaunte, daß ich in meinem
innersten Wesen mich entsetzte, du, dem
ich verdanke, daß ich nicht durchs Leben
gegangen bin, ohne daß etwas imstande
gewesen wäre, mich zu erschüttern, du
dem ich es danke, daß ich nicht gestorben
bin, ohne geliebt zu haben, mag meine
Liebe auch unglücklich gewesen sein.“1
Mit diesen Zeilen drückt der dänische
Philosoph und Schriftsteller Sören Kierkegaard (1813-1855) unmissverständlich
seine Leidenschaft für Mozarts Musik
aus. Im letzten Satz werden auch Bezüge
zu persönlichen unerfüllten Liebeserlebnissen deutlich. In seinen Schriften verarbeitet er diese Erfahrungen, indem er
durch Pseudonyme verschiedene Rollen
annimmt und aus deren Perspektive sein
eigenes moralisches Handeln deutet.
Kierkegaard macht keinen Hehl daraus,
dass er „nicht zu dem auserwählten Volk
der Musikverständigen“2 gehört, bezeichnet sich aber dennoch als „Musikliebhaber“, der Musik kritisch „von außen“ betrachtet. In seiner Schrift Entweder – Oder untersucht Kierkegaard verschiedene Opernarien Mozarts (Cherubino, Papageno, Don Giovanni) und stellt da-
musik & bildung
Thema
rin aus seiner Sicht verschiedene musikalisch-erotische Stadien fest, die er in Form
eines dreistufigen Modells verarbeitet.3
Im Unterricht
Im Unterricht wird aus musikanalytischer
Perspektive überprüft, ob die erotische
Mozartinterpretation von Kierkegaard
haltbar ist oder ob er die Musik „missbraucht“, um persönliche Erlebnisse zu
verarbeiten. Der besondere Reiz dieser
Unterrichtsthematik liegt zum einen in
der Auseinandersetzung mit Erotik als
menschlicher Grunderfahrung und zum
anderen in der musikanalytischen Überprüfung der Thesen Kierkegaards. Die
SchülerInnen begeben sich auf eine Art
„Spurensuche“, indem sie zunächst Kierkegaards erotische Mozartdeutung kennen lernen, diese anhand der Partitur
überprüfen und abschließend mit dessen
Biografie in Bezug setzen.
Die Erarbeitung der erotisch-musikalischen Stadien ist an keine spezifischen
Voraussetzungen seitens der Lerngruppe
künste
gebunden. Der hier dargestellte Unterrichtsbaustein zum Thema „Verführung“
lässt sich in eine größere Einheit über
die Bühnenwerke Mozarts oder dem Topos „Liebe und Erotik in der Musik“ integrieren (zur Vertiefung bietet sich Material zu folgenden Themen an: „Zur Gestalt des Don Juan/Don Giovanni“ – steht
zum Download auf musikpaedagogikonline.de bereit –, „Zum Rezeptionswandel der Don Juan-Thematik“, „Die musikalischen Wurzeln des Don Giovanni“ und
„Die musikalischen Wirkungen Don Giovannis nach Mozarts Tod“).4
Musikalisch-literarischer Appetizer
Um den SchülerInnen Sören Kierkegaards
Bewunderung für Mozarts Schaffen
„schmackhaft“ zu machen, wird die Ouvertüre zu Don Giovanni gehört (HB 5).
Parallel zur Musik liest der Lehrer eine
Passage vor, in der Kierkegaard seine
Mozartverehrung zum Ausdruck bringt
und die gerade erklingende Musik beschreibt (M 1). Die SchülerInnen vergleichen die Stimmung des Textes mit der
Wirkung der Musik. Unter Hinzunahme
von Partiturauszügen überprüfen die
SchülerInnen nun, ob sich die symbolischen Andeutungen im Notentext wieder
finden.5 Während die langsame Einleitung bereits durch Dynamikwechsel sowie durch das auftretende gis'' als Tritonus der Grundtonart d-Moll auf Don Giovannis dämonisches Wesen verweist (a
und b, Takte 11 ff.) und die wellenförmig
ansteigenden Sechzehntelläufe seinen
Lebensbeginn ankündigen (c, Takte 23
ff.), verdeutlicht das schnelle Tempo des
folgenden Allegros (D-Dur) seine Rastlosigkeit. Die Orgelpunkte der Bässe verkörpern „Standhaftigkeit“ und „Siegesgewissheit“ (d, Takte 31 ff.). Auch die von
Kierkegaard angeführten „leicht tanzenden Geigentöne“, die Don Giovannis
Freude, Jubel, Lust und Begierde ausdrücken, finden sich in den Seufzern und
Staccati der Streicher wieder (e und f,
z. B. Takte 36 und 46).
Mit der Biografie vergleichen
Diese musikalisch-literarische Annäherung macht die SchülerInnen erfahrungsgemäß neugierig für Kierkegaards Biografie. Anhand eines Textes werden zentrale Aspekte der Biografie erarbeitet
und dem Plenum präsentiert (M 2). Der
Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei
auf Kierkegaards religiösem Fatalismus
sowie auf den gescheiterten Beziehung
zum Vater und zu seiner Verlobten Regine Olsen. In Bezug auf seine schriftstellerischen Tätigkeiten wird das Spiel mit
Pseudonymen und Verstellungen hervorgehoben, das die „Verschleierung“ seiner persönlichen Einstellungen verdeutlicht und die SchülerInnen dazu motiviert, eine eigene Form von Wahrheit zwischen den Zeilen zu finden.
Drei erotisch-musikalische
Stadien
Standbilder modellieren
Um sich dem Aspekt der „erotisch-musikalischen Stadienlehre“ Kierkegaards
anzunähern, modellieren die SchülerInnen zunächst verschiedene Standbilder,
die eine verführerische Haltung ausdrücken (mit Mitteln der „szenischen Interpretation“). Um persönliche Bezugnahmen zur Rolle auszuschließen und etwaige Hemmungen in der Darstellung zu
umgehen, ist es ratsam, die SchülerInnen vorher in eine andere Rolle „einzufühlen“, wie z. B. „Stellt euch vor, ihr
seid auf einem Schloss und verkörpert
eine Person, der die Frauen/Männer zu
Füßen liegen.“
Dann finden sich die SchülerInnen zu
Paaren zusammen: Ein Schüler übernimmt die Rolle des Standbilds, der andere versucht dessen Körperhaltung
möglichst „verführerisch“ zu modellieren. Die SchülerInnen modellieren den
ganzen Körper. Auch die Mimik sollte mit
einbezogen werden. Die Modellierung erfolgt ohne Worte.
Anschließend kommentieren sie ihr Ergebnis, indem sie eine Hand auf die
Schulter des Standbilds legen und einen
Satz aus der Ich-Perspektive formulieren,
wie z. B. „Ich bin so unwiderstehlich!“
Das Ziel der Methode liegt darin, sich in
eine fremde Rolle einzufühlen, verschiedene Ausdrucksformen kennen zu lernen
und sich auf der Metaebene mit dem
Aspekt der Erotisierung von Haltungen
auseinander zu setzen.
Zur Musik anpassen
Die Standbilder werden mit den drei Arien
von Cherubino (Hochzeit des Figaro), Papageno (Zauberflöte) und Don Giovanni
(Don Giovanni) unterlegt, die für Kierkegaard jeweils ein erotisch-musikalisches
Stadium repräsentieren (HB 6-8). Parallel
zu den Hörbeispielen überprüfen die
SchülerInnen ihre Haltungen und nehmen Veränderungen der Posen vor, um
sie mit dem Ausdruck der Musik zu synchronisieren. Auch hier werden die neu
entstandenen Bilder mit einem kurzen
Satz aus der Ich-Perspektive kommentiert. Eine anschließende Diskussion bietet eine erste Gelegenheit, um über die
unterschiedlichen Standbilder und den
damit verbundenen musikalischen Eindrücken in einem erfahrungsbezogenen
Feedback zu reflektieren. In Form kurzer
Referate werden je nach Leistungsstand
der Klasse weitere Informationen zu den
Arien im Hinblick auf ihre Stellung in der
Opernhandlung gegeben (zu finden auf
M 3).
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Cherubino – Stadium 1
In der Canzone „Euch holde Frauen, die
Lieb ihr kennt“ („Voi, che sapete che cosa è amor“) spielt Cherubino der Gräfin
und Susanna ein Ständchen. Die Pizzicato-Begleitung der Streicher spiegelt die
fließende Gitarrenbegleitung wider, mit
der der Page seine „sanft gewiegte“ Bewunderung preisgibt. Die Stimmung
wirkt durch das langsame Tempo und die
Gesangskantilenen sowie durch die aufsteigend-sequenzierten Seufzermotive
sehnsuchtsvoll. Der Text unterstreicht
den melancholischen Charakter Cherubinos, der seine noch unbestimmte Begierde in „weiten Fernen“ sucht.
Plakatpräsentationen
Als Vertiefung bieten sich die Interpretationen Kierkegaards zu den drei Opernarien an, die für ihn jeweils ein spezifisches Verführungsstadium symbolisieren. Dazu wird die Lerngruppe in Gruppen eingeteilt, die arbeitsteilig drei Texte
von Kierkegaard bearbeiten (M 4-6 links).
Die SchülerInnen gestalten Plakate, auf
denen sie die zentralen Thesen des Textes zusammenfassen und diese erläutern.
Alle Plakate werden im Klassenraum aufgehängt, sodass zu jeder Zeit auf die
zentralen Aspekte der jeweiligen Stadien
zurückgegriffen werden kann.
Während der „androgyne“ Cherubino die
unbestimmte „liebestrunkene Begierde“
verkörpert, in der das Sinnliche sehnsuchtsvoll erwacht, verdeutlicht die Entdeckerlust Papagenos bereits eine „suchende Begierde“, die „zwitschernd“ das
Weibliche immer aufs Neue erforscht.
Erst Don Giovanni repräsentiert in der
Interpretation Kierkegaards den Verführer in seiner „sinnlichen Genialität“, da
er rastlos im Moment lebt und dämonisch als „Inkarnation des Fleisches“ alle
Frauen begehrt.
Unter die Lupe nehmen
Um die Thesen Kierkegaards zu überprüfen, erhalten die SchülerInnen Partiturauszüge und Hörbeispiele, mit denen sie
innerhalb ihrer Gruppe analysieren, ob
sich die auf ihrem Plakat aufgelisteten
erotischen Zuschreibungen im Notentext
wieder finden (M 4-6 rechts).
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Papageno – Stadium 2
Papagenos Arie „Der Vogelfänger bin ich
ja“ erinnert durch ihre einfach gehaltene
rhythmisch-melodische Struktur an ein
Volkslied und verkörpert die Unbeschwertheit seines Charakters. Das prägnante Pfeifenmotiv, mit dem er den Mädchen nachpfeift, symbolisiert seine Entdeckerlust. Die drei Strophen erwecken
den Eindruck, als ob Papageno nach
„Dutzenden von Weibchen“ sucht und
sein Lied immer wieder von Neuem beginnt.
Don Giovanni – Stadium 3
Don Giovannis Champagner-Arie „Auf zu
dem Feste, froh soll es werden“ („Fin
chàl dal vino, calda la testa“) drückt
exemplarisch die Rastlosigkeit seines
Lebens aus. Das rasante Tempo im Presto
lässt ihm kaum Zeit zum Verschnaufen.
Die kurzen rhythmischen Motive und
zweitaktigen Phrasen erinnern an einen
Marsch und verkörpern die elementare
Kraft und Siegesgewissheit des Verführers.
Im Anschluss an die Analyse lässt sich
kritisch hinterfragen, inwieweit Kierkegaards erotische Interpretation der Musik Mozarts zutreffend erscheint. Festgehalten werden kann zunächst, dass sich
in der musikalischen Analyse der drei
Arien deutliche Parallelen zu den Stadien
Kierkegaards ergeben. Allerdings muss
auch hervorgehoben werden, dass Mozart nicht darum bemüht ist, ein erotisches Stufenmodell zu entwickeln. Es
liegt eher im Interesse Kierkegaards, die
ästhetische Lebensweise Don Giovannis
zu verurteilen, um den Leser und Hörer
zum Sprung in das ethische Stadium aufzufordern. In diesem Zusammenhang erscheint es also durchaus plausibel, dass
Kierkegaard die Musik Mozarts „missbraucht“, verfremdet und für eigene
Interessen ausnutzt.
Don Giovannis Widertönen
Kierkegaard behauptet in Bezug auf das
dritte und höchste erotische Stadium,
dass alle Rollen in Don Giovanni durch
Don Giovanni „widertönen“, denn sie
stehen „in einer Art erotischen Beziehung zu Don Juan“.6 Die Oper trägt einen
„Grundton“, eine „Einheit der Stimmung“, die durch die unreflektierte Leidenschaft des Verführers gekennzeichnet ist und sich in allen anderen Personen spiegelt. Don Giovanni ist „wesentlich Leben“ und alle anderen Personen
verkörpern „Leidenschaften, die durch
Don Juan gesetzt sind und insofern
wiederum musikalisch werden“.7
Kierkegaard verdeutlicht diese These anhand der ersten Arie der Donna Elvira
„Ach, werd’ ich ihn wohl finden“ („Ah chi
mi dice mai“), in der sie ihren ehemaligen Geliebten Don Giovanni sucht, um
sich an ihm zu rächen. Dieser versteckt
sich mit Leporello im Hintergrund. Kierkegaard behauptet nun, dass anhand einer Pause in der Musik hörbar wird, wie
Don Giovanni in Elvira „widerklingt“.
Die SchülerInnen erhalten zunächst Kierkegaards Deutung der Arie und bestimmen anschließend die von ihm erwähnte
Pause anhand des Partiturauszugs und
des Hörbeispiels (M 7 und HB 9). Sie ist
auf den ersten Blick nicht eindeutig zu
erkennen. Sind es die kurzen Orchestereinwürfe, die symbolisch das „Schleudern des Spottes“ verdeutlichen, oder
eher die bissig-ironischen Kommentare
Don Giovannis, mit denen er aus dem
Hintergrund den Gesang Elviras unterbricht? Gerade im letzten Falle ließe sich
Kierkegaards These zustimmen, da Don
Giovanni den Verlauf der Arie beeinflusst
und den Gesang unterbricht.
Fraglich bleibt allerdings, ob die Widertönen-These Kierkegaards der sensiblen
musikalischen Darstellung der Seelenzustände Donna Elviras gerecht wird. Mozarts Musik charakterisiert ein individuelles, verletzliches, aber stolzes Individuum. Hierauf verweisen der große
Ambitus, die Sprünge in der Gesangsstimme, die dynamischen Schwankungen sowie die Synkopen in der Begleitung.8
Wie das erotische Stufenmodell ist die
Widertönen-These zwar originell, aber im
Hinblick auf Mozarts musikalischer Darstellung der Charaktere nicht haltbar.
Vielmehr ließen sich auch hier Querverweise zu Kierkegaards Biografie ziehen.
Kierkegaard projiziert die Rolle der Donna Elvira auf Regine Olsen, die beide auf
der Suche nach ihrem ehemaligen Geliebten (Don Giovanni/Kierkegaard) sind.
Dieses Wunschdenken wird zwar durch
die Abweisungen Don Giovannis abgeschwächt, verdeutlicht aber die Untrennbarkeit der beiden Personen.
Ausblick: Sex-Images
in der Popmusik
Kierkegaards erotische Stadienlehre ist
keineswegs antiquiert, sondern bietet
Potenzial, die musikalische Lebenswelt
der SchülerInnen in Bezug auf Sex-Images der Popmusikstars näher zu beleuchten. Ausgehend von der begrifflichen Unterscheidung zwischen Erotik
als verborgenem Spiel mit den Sinnen
und Sex als offener Zurschaustellung
sinnlicher Reize, lassen sich kommerzielle Vermarktungsstrategien aufzeigen.
Christina Aguilera
Die Sängerin Christina Aguilera verkörpert z. B. ein solches Sex-Image. Anhand
von Musikvideos, Fotos ihres (fast nicht
mehr vorhandenen) Outfits und Songtexten lässt sich eine Glorifizierung des SexImages und eine Banalisierung des Erotischen festmachen (HB 10).9
Im Unterricht wird kritisch hinterfragt, ob
der Unterhaltungsmusik an der Erotisierung gelegen ist und ob sie in der Lage
ist, das verborgene und indirekte Spiel
mit der Sinnlichkeit zu transportieren.
Enigma
Um diese Fragestellung weiter zu verfolgen, wird der Song Mea Culpa von Enigma gehört (HB 11). Hierbei handelt es
sich um ein Solo-Projekt des deutschen
Komponisten und Produzenten Michael
Cretu, der atmosphärische Keyboardsounds und elektronische Beats mit Gregorianischen Chorälen verbindet. Der
mittelalterliche Mönchsgesang besitzt
zunächst eine meditative Wirkung und
suggeriert dem Hörer unterschwellig, in
eine fremde Welt hineinzutauchen. Das
Spiel mit dem Unbekannten, Heimlichen
und Verborgenen ist aber auch eine sexuelle Vermarktungsstrategie, da über
die Gegenüberstellung von Gregorianik
und hauchender Frauenstimme die verborgenen Wünsche des Käufers angesprochen werden. Gerade der Text verdeutlicht das geplante Spiel zwischen
Vulgarität („Prends moi“) und Keuschheit
(„Mea culpa“).
Im Vergleich zwischen Christina Aguilera
und Enigma wird deutlich, dass die Popsängerin auf die Vermarktung ihres eigenen Körpers abzielt, während Michael
Cretu auf einer nicht leicht zu durchschauenden psychologischen Ebene die
Tiefendimensionen der Hörer anspricht.
dreht sich der Außenkreis um eine Person nach
rechts, sodass neue Paarbildungen entstehen und
der Austausch erneut beginnt. Der Reiz dieser Methode liegt darin, dass die SchülerInnen ihren Vortrag präzisieren lernen und ihn mit neuen Erkenntnissen ergänzen. Materialien zur Arie finden sich
auf musikpaedagogik-online.de zum Download;
vgl. auch Heinz Klippert: Methodentraining.
Übungsbausteine für den Unterricht, Weinheim
und Basel 1994.
7 Kierkegaard, a. a. O., S. 122; S. 144.
8 Um zu überprüfen, ob Donna Elvira eine eigene
Persönlichkeit oder nur die Marionette Don Giovannis ist, bietet sich die Hinzunahme einer Verfilmung
der Oper an, wie z. B. die von Joseph Losey, der
sich auf das psychologische Verhältnis des Verführers zu seinen Opfern konzentriert. Vgl. J. Losey:
Wolfgang Amadeus Mozart – Don Giovanni, Artificial Eye, Frankreich/Italien/Deutschland 1979.
9 Der „wahre Charakter“ von Christina Aguilera
scheint allerdings ein anderer zu sein. So wird sie
aufgrund ihrer strengen und religiösen Erziehung
oft als „schüchtern“ und „prüde“ beschrieben. Ein
ähnliches Phänomen findet sich bei Madonna.
Grundlegender Zweifel ist aber auch bei solchen Informationen angebracht, da sie als Kontrastfolie
das Sex-Image umso interessanter machen.
1 Sören Kierkegaard: Entweder – Oder. Teil I und II,
hg. von Herrmann Diem und Walter Rest, München
2003, S. 59.
2 Kierkegaard, a. a. O., S. 79.
3 Theodor W. Adorno kritisierte Kierkegaards „Konstruktion des Ästhetischen“ und forderte Philosophie und Dichtung streng zu unterscheiden. Vgl.
Theodor W. Adorno: Kierkegaard. Konstruktion des
Ästhetischen, Darmstadt 1998 (= Gesammelte Werke Bd. 2).
4 Je nach Leistungsstand der Klasse und Unterrichtsthematik ließen sich Referate zum historischen Wandel des Don Juan-Stoffs, zur Entstehung
von Don Giovanni sowie zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte hinzuziehen. Materialien finden
sich auf musikpaedagogik-online.de. Weitere umfangreiche Anregungen hierzu bietet Kurt Pahlen:
Wolfgang Amadeus Mozart – Don Giovanni. Kompletter Text in italienischer Originalfassung mit der
deutschen Übersetzung und Erläuterung zum vollen Verständnis des Werkes, Wien 1987.
5 Ein besonderer Reiz liegt darin, den Text in zeitlicher Übereinstimmung mit der Musik der Ouvertüre zu gestalten. Die SchülerInnen müssen ihren
Vortrag so einteilen, dass Dynamik („Blitze“), und
Tempo („leicht tanzende Geigentöne“) übereinstimmen.
6 Kierkegaard, a. a. O., S. 151; Kierkegaard behauptet, dass auch Leporello in Don Giovanni widertönt.
Im Unterricht lassen sich arbeitsteilig die Arie der
Donna Elvira sowie Leporellos „Registerarie“ erarbeiten und in Form der „Kugellagermethode“ gegenüberstellen. Die SchülerInnen werden dazu in
zwei Gruppen eingeteilt, die sich im Kreis gegenüberstehen. In einem festgelegten Zeitrahmen erläutert zunächst die Gruppe 1 und dann die Gruppe
2 ihrem Gegenüber die „Ergebnisse“. Anschließend
7
Audio-Teil
HB 5: Ouvertüre Don Giovanni
HB 6: Hochzeit des Figaro, Arie
Cherubino
HB 7: Zauberflöte, Arie Papageno
HB 8: Don Giovanni, Arie Don Giovanni
HB 9: Don Giovanni, Arie Donna Elvira
HB 10: Christina Aguilera: Dirty
HB 11: Enigma: Mea Culpa
musikpaedagogik-online.de
• Zur Gestalt des Don Juan/Don
Giovanni
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musik & bildung
M1
Kierkegaard und Mozart
Sören Kierkegaard: Mozarts „Don Giovanni“
„Höre Don Juan, das heißt, kannst du durchs Hören keine Vorstellung von Don Juan bekommen, so kannst
du’s nie. Höre seines Lebens Beginn; wie der Blitz aus dem Dunkel der Wetterwolke sich löst, so bricht er
hervor aus der Tiefe des Ernstes, schneller als die Geschwindigkeit des Blitzes; unsteter als dieser und
doch ebenso taktfest; höre wie er sich in die Mannigfaltigkeit des Lebens hinabstürzt, wie er an dessen
festem Damm sich bricht, höre diese leichten tanzenden Geigentöne, höre den Wink der Freude, höre den
Jubel der Lust; höre des Genusses festliche Seligkeit, höre seine wilde Flucht, an sich selber eilt er vorüber,
immer schneller immer unaufhaltsamer, höre der Leidenschaft zügelloses Begehren, höre das Rauschen
der Liebe, höre das Raunen der Versuchung, höre den Wirbel der Verführung, höre des Augenblicks Stille –
höre, höre, höre Mozarts Don Juan!“
➜
a
b
c
d
e
f
26
Unten siehst du sechs Ausschnitte aus der Ouvertüre zu Don Giovanni.
Welche passen zu dem oben Beschriebenen? Vergleiche mit dem Hörbeispiel.
musik & bildung
Thema
M2
Kierkegaard – Biografie
Sören Kierkegaard
Sören Kierkegaard wurde am 5. Mai 1813 in Kopenhagen
geboren. Sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, erzog seinen Sohn nach strengen christlichen Grundsätzen. Kierkegaards Mutter war die zweite Frau des Vaters
und die ehemalige Dienstmagd, die er ein Jahr nach
dem Tod seiner ersten Frau geheiratet hatte. Von den
insgesamt sieben Kindern war Sören das Jüngste. Fünf
seiner Geschwister starben im Kindesalter.
1830 beginnt Kierkegaard in Kopenhagen Theologie zu
studieren. Er schließt sein Studium nicht ab, sondern
gerät 1834/35 in eine Krise, die er selbst als das „große
Erdbeben“ bezeichnet, weil er glaubt, dass auf der Familie ein „Fluch“ lastet. Er hatte erfahren, dass sein Vater in jungen Jahren Gott verflucht hat und angeblich
vorehelichen Kontakt mit seiner ehemaligen Dienstmagd hatte. Kierkegaard ist überzeugt davon, dass
durch diesen Fluch alle Kinder, also auch er, vor dem
Vater sterben werden.
Aus „Verzweiflung“ zieht er aus und führt in Kopenhagen das Leben eines Bohemiens. Doch im Jahre 1838
passiert das Unerwartete. Der Vater stirbt. Trotz des
„Schicksalsschlags“ glaubt Kierkegaard aber weiter
an den Familienfluch.
Porträtiert von Niels
Christian Kierkegaard, 1838
Um 1840 lernt er die 17-jährige Regine Olsen kennen
und verlobt sich bereits nach kurzer Zeit mit ihr. Allerdings bereut er schon zwei Tage später seinen Entschluss. Die Angst vor dem Fluch und seine Schwermütigkeit zwingen ihn dazu, sein wahres Wesen vor Regine
zu verheimlichen, sodass er das Verlöbnis löst. Er legt
es darauf an, aus dem „Verhältnis als ein Schurke“ herauszukommen. So spielt er, um seine Braut abzustoßen, den frivolen Lebemann und Verführer und beendet
die Verlobung. Allerdings kann sich Kierkegaard nicht
von Regine befreien, hadert mit Gewissensbissen und
sucht nach Wegen, um ihr sein Handeln verständlich zu
machen. Dies ist die Zeit, in der er unter Pseudonymen
seine Hauptwerke veröffentlicht, wie z. B. Entweder –
Oder. In ihnen verarbeitet er seine gescheiterte Liebesbeziehung. Bis zum Tod glaubt er an eine „Wiederholung“ der Beziehung, selbst als Regine verheiratet ist
und seine Briefe ungelesen zurückschickt.
Ab 1846 veröffentlicht Kierkegaard zunehmend religiöse Schriften und Flugblätter, in denen er die Rituale der
dänischen Kirche kritisiert. Am 2. Oktober 1855 bricht
er auf offener Straße zusammen und stirbt eine Woche
später, ohne den Segen der Kirche erhalten zu haben.
Bei kaum einem anderen Philosophen ist das Denken
so eng mit dem Leben verbunden, wie bei Sören Kierkegaard. Im Rahmen seiner bereits in der Biografie angelegten unmissverständlichen Herausstellung der Bedeutung der Existenz jedes Einzelnen, der Verantwortung für seine Freiheit übernimmt, unterscheidet er zwischen drei Existenzebenen, der ästhetischen, ethischen
und religiösen Lebensweise. Kierkegaard gilt als Vorreiter des Existenzialismus.
Porträt von Peter Klæstrup, 1845
27
musik & bildung
M3
Die Figuren
Cherubino
Cherubino (Hochzeit des Figaro) ist der junge Page des Grafen
Almaviva. Seit einiger Zeit spürt er Liebesverlangen und ist auf
der Suche nach ersten (heimlichen) Rendezvous. Er möchte am
liebsten mit allen weiblichen Wesen anbandeln, soweit sie begehrenswert erscheinen. Hierzu gehören die Gräfin Rosina, Barbarina (die Tochter des Gärtners) und auch Susanna (die Zofe
der Gräfin und Verlobte des Figaro). Die Arien von Cherubino
verdeutlichen dessen stille Sehnsucht und rastlose Liebesbegierde. Cherubino wird zu einer Art irrationalem Wesen stilisiert,
das primär nur emotional agiert.
Cherubino ist allerdings nicht der einzige, der dem „Liebeswahn“ verfällt, denn auch der Graf begehrt Susanna und verlangt aus standesrechtlichen Gründen das Recht auf die „erste
Nacht“ mit ihr. Da der Graf die stille Begierde von Cherubino zu
seiner Gemahlin erahnt, will er ihn in Verbannung schicken.
Allerdings gehorcht der Page nicht und versucht weiterhin sein
Glück bei den jungen Damen.
Nach verschiedenen Versteckspielen und Intrigen fassen die
Frauen den Plan, den Grafen zu täuschen, um seine unmoralische Liebesbegierde und Eifersucht zu bestrafen. Nach einer
turbulenten Verwechslungskomödie steht der Hochzeit von
Figaro und Susanna nichts mehr im Wege.
In Bezug auf die Besetzung der Oper ist erwähnenswert, dass
Cherubino als „Hosenrolle“ von einer Frauenstimme gesungen
wird. Hiermit soll v. a. der jugendliche Charakter des Pagen ausgedrückt werden. Das Libretto von Lorenzo da Ponte ist der
Komödie Der Barbier von Sevillla von Beaumarchais entlehnt.
Die im Original vorherrschenden sozialkritischen und politischen
Hintergründe sind im Text von da Ponte weitestgehend ausgelassen worden.
Papageno
Papageno (Zauberflöte) ist ein liebenswürdiger, humorvoller,
aber nicht immer ehrlicher Vogelhändler, der gerne viel erzählt
und auf der Suche nach einem weiblichen Ebenbild, einer Papagena ist. Nachdem er sich als vermeintlicher Retter von Tamino,
der von einer Schlange verfolgt wurde, ausgab, wird ihm wegen
seiner Lügen ein Schloss vor dem Mund gehängt. Er soll Tamino
bei der Suche nach Pamina, der Tochter der Königin der Nacht
helfen, die von Sarastro gefangen gehalten wird. Zu beider
Schutz erhält Tamino eine Zauberflöte und Papageno ein Glockenspiel mit magischen Kräften. Die Instrumente dienen dazu,
Gefahren fernzuhalten und das „Ziel“ zu finden.
In Bezug auf verschiedene Läuterungsszenen, die Tamino für die
Liebe zu Pamina reif machen sollen, nimmt auch der plappernde
Papageno an den Prüfungen teil, nachdem ihm versprochen
wurde, dass er eine zu ihm passende Gefährtin finden werde.
Besonders schwer fällt ihm die Einhaltung des Schweigegebots.
Papageno entpuppt sich als ein nach erotischer Sinnlichkeit begehrender Mensch. Mehrfach wird er gewarnt und gestraft. So
erscheint ihm z. B. sein zukünftiges Frauchen als ein altes Weib.
Nachdem Pamina und Tamino zueinander gefunden haben und
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der vermeintliche Bösewicht Sarastro sich als ein ethisch würdevoller Mensch erwiesen hat, wird auch Papageno in das Reich
des Lichts hineingezogen. Für sein nicht immer einwandfreies
Verhalten wird er mit einem hübschen Frauenzimmer, der hübschen Papagena, „belohnt“.
Das Libretto zur Zauberflöte schrieb der Theaterunternehmer
Emanuel Schikaneder speziell für das Vorstadttheater im Freihaus an der Wieden (dem späteren Theater an der Wien). Während viele Arien (v. a. die der Königin der Nacht) noch der ernsten italienischen Operntradition (opera seria) verpflichtet sind,
verdeutlicht gerade Papageno in seiner Anlage zwischen Liebenswürdigkeit und Trotteligkeit einen Typus des Wiener Singspiels. Sein Streben nach einem Weibchen begründet immer
auch die komischen Züge der Oper.
Don Giovanni
Der nach Lust strebende Don Giovanni hat Donna Anna verführt.
Als ihr Verlobter Don Ottavio verkleidet hat er sich heimlich in ihr
Zimmer geschlichen und auf der Flucht ihren Vater, den Komtur,
getötet. Ohne schlechtes Gewissen ist Don Giovanni bereits am
nächsten Tag wieder auf „Frauenfang“, worüber sich sein Diener
Leporello „beschwert“. Als plötzlich die ehemalige Verführte
Donna Elvira auftaucht, eine ehemalige Verführte, verschwindet
der Gigolo, und Leporello ergreift die Gelegenheit, um das „Verführungsregister“ seines Herrn vorzutragen: 640 Frauen in Italien, 201 in Deutschland, 100 in Frankreich, 91 in der Türkei und
1003 in Spanien.
Währenddessen ist Don Giovanni unterwegs zu seinem neuen
Opfer Zerlina, der Braut eines Bauern. Um als Edelmann leichtere Verführungschancen zu besitzen, lädt er sie auf sein Schloss
ein und verkündet in der Champagnerarie den potenziellen Verlauf des Fests. Donna Anna mischt sich zusammen mit ihrem
Verlobten und Donna Elvira unter die Gäste. Don Giovanni wird
allerdings nicht entlarvt.
Nach erneuten Verstellungen und mit Verkleidungen, in denen
Don Giovanni immer wieder entkommt, lädt er in seinem Übermut auf einem Friedhof die Statue des ermordeten Komturs zum
Nachtmahl ein. Der „steinerne Gast“ erscheint als lebendige Gestalt zum Mahl und fordert Don Giovanni auf, seine Verführungen zu bereuen. Don Giovanni aber weist jede Schuld von sich
und verschwindet in der Hölle.
Don Giovanni ist Mozarts „anstößigste“ Oper, da sie in keine
moralische Schublade passt, der Verführer sympathisch wirkt
und die Betrogenen keine Reue erhalten. Obwohl sich alles um
Don Giovanni und seine Betrügereien dreht, bleibt seine musikalische Behandlung dürftig. In der ganzen Oper singt er nur zwei
kurze Arien. Mozart konzentriert sich vornehmlich auf die Darstellung der Nebenpersonen, wie z. B. Leporello, der seinen
Herrn im Hinblick auf das Verführungsregister gerne nacheifern
möchte, aber unterlegen erscheint. Allerdings betrachtet er das
rastlose Leben aus der Distanz und beurteilt die Handlungen
aus ethischer Perspektive.
Scherenschnitte von Lotte Reinigers
musik & bildung
M4
Die erotischen Stadien – 1
Erstes Stadium – Cherubino
Thema
Die Hochzeit des Figaro – „Euch holde Frauen, die Lieb ihr kennt“
„Das erste Stadium ist im Pagen des Figaro angedeutet. Das Sinnliche erwacht. Die Begierde ist noch nicht
erwacht, sie ist schwermütig geahnt. Die Begierde ist
stille Begierde, die Sehnsucht stille Sehnsucht, die
Schwärmerei, stille Schwärmerei.
Die Begierde also, die in diesem Stadium nur in einer
Ahnung ihrer selbst gegenwärtig ist, ist ohne Bewegung, ohne Unruhe, sanft gewiegt nur von einer unerklärlichen inneren Rührung.
Obgleich die Begierde in diesem Stadium nicht als Begierde bestimmt [ist, und] obgleich diese nur geahnte
Begierde hinsichtlich ihres Gegenstandes gänzlich unbestimmt ist, hat sie doch eine Bestimmung: sie ist
nämlich unendlich tief.
Die Begierde ist so unbestimmt, daß das Begehrte androgynisch in der Begierde ruht. Hinsichtlich des Pagen ist es gleich wesentlich, daß er in die Gräfin verliebt ist und in Marseline, sein Gegenstand ist nämlich
die Weiblichkeit, und die haben sie beide gemeinsam.
Sollte ich nun einen Versuch wagen, im Hinblick auf
den Pagen im Figaro das Eigentümliche an Mozarts
Musik mit einem einzigen Prädikat zu bezeichnen, so
würde ich sagen: sie ist liebestrunken; doch wie jeder
Rausch, so kann auch ein Rausch der Liebe auf zweierlei Weise wirken, entweder erhöhte durchsichtige Lebensfreude oder zu verdichteter unklarer Schwermut.
Das letztere ist hier mit der Musik der Fall; die Stimmung läßt sich durch das Wort nicht ausdrücken; sie
ist zu schwer und zu gewichtig, als daß das Wort sie
zu tragen vermöchte; die Musik allein vermag sie
wiederzugeben.“
aus: Sören Kierkegaard: Entweder – Oder,
München 72003, S. 91 ff.
Aufgabe
Fasst die Kernaussagen des Textes
stichpunktartig zusammen!
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musik & bildung
M5
Die erotischen Stadien – 2
Zweites Stadium – Papageno
„Dieses Stadium ist durch Papageno in der Zauberflöte bezeichnet. In Papageno geht die Begierde auf Entdeckungen aus. Diese Entdeckerlust ist das Pulsierende in sich, ist ihre Heiterkeit. Den eigentlichen Gegenstand dieser Entdeckung findet sie nicht, aber sie entdeckt das Mannigfaltige, indem sie darin den Gegenstand sucht, den sie entdecken möchte. Die Begierde
ist somit erwacht, ist aber nicht als Begierde bestimmt. Die suchende Begierde ist nämlich noch nicht
begehrend, sie sucht nur das, was sie begehren kann,
begehrt es aber nicht. Daher wird am bezeichnendsten für sie vielleicht das Prädikat sein: sie entdeckt.
So auch hier mit Papageno, es ist stets dasselbe Lied,
dieselbe Melodie; er fängt, wenn er fertig ist, frischweg von vorne an und so immer wieder.
Wollte ich nun den Versuch machen, das Eigentümliche der Mozartschen Musik in dem Teil dieses
Stückes, der uns interessiert, mit einigen wenigen
Prädikaten zu bezeichnen, so würde ich sagen: sie ist
fröhlich zwitschernd, lebenstrotzend, liebessprühend.
Bekanntlich begleitet Papageno seine lebensfrohe
Heiterkeit auf einer Rohrflöte. Ein jedes Ohr hat sicherlich von dieser Begleitmusik sich wundersam bewegt gefühlt; man wird nicht müde, sie immer wieder
zu hören, weil sie einen absolut adäquaten Ausdruck
für das ganze Leben Papagenos darstellt, dessen ganzes Leben solch ein unaufhörliches Gezwitscher ist.
Ihre große Bedeutung in musikalischer Hinsicht hat
die erste Arie des Papageno demnach als der unmittelbar-musikalische Ausdruck für sein ganzes Leben und seine Geschichte. Das Glockenspiel ist der
musikalische Ausdruck seiner Tätigkeit, von der man
wiederum allein durch Musik eine Vorstellung bekommt; sie ist bezaubernd, verführerisch, verlockend
gleich dem Spiel jenes Mannes, der die Fische dazu
brachte, innezuhalten und zu lauschen.“
aus: Sören Kierkegaard: Entweder – Oder,
München 72003, S. 95 ff.
Aufgabe
Fasst die Kernaussagen des Textes
stichpunktartig zusammen!
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Die Zauberflöte – „Der Vogelfänger bin ich ja“
musik & bildung
M6
Thema
Die erotischen Stadien – 3
Drittes Stadium – Don Juan
Don Giovanni – „Auf zu dem Feste, froh soll es werden“
„Dieses Stadium ist mit Don Juan bezeichnet. Im Don Juan ist
die Begierde absolut als Begierde bestimmt. Die Begierde hat
in dem einzelnen ihren absoluten Gegenstand, sie begehrt das
einzelne absolut. Hierin liegt das Verführerische. Die Begierde
ist deshalb in diesem Stadium absolut gesund, sieghaft, triumphierend, unwiderstehlich und dämonisch. Dies ist die Idee der
sinnlichen Genialität. Der Ausdruck für diese Idee ist Don Juan,
und der Ausdruck für Don Juan wiederum ist einzig und allein
Musik.
Don Juan ist, wenn ich so sagen darf, die Inkarnation des Fleisches oder die Begeisterung des Fleisches aus des Fleisches
eigenen Geist. Don Juan ist somit der Ausdruck des Dämonischen, als das Sinnliche bestimmt. So wie die Sinnlichkeit in
Don Juan aufgefaßt ist – als Prinzip –, so ist sie in der Welt
noch nie zuvor aufgefaßt worden; daher wird auch das Erotische hier durch ein anderes Prädikat bestimmt, die Erotik ist
hier Verführung. Don Juan ist von Grund auf ein Verführer. Seine Liebe ist nicht seelisch, sondern sinnlich, und sinnliche Liebe ist ihrem Begriff nach nicht treu, sondern absolut treulos,
sie liebt nicht eine, sondern alle, das heißt: sie verführt alle.
Sie existiert nämlich nur im Moment, der Moment aber ist
begrifflich gedacht eine Summe von Momenten, und damit
haben wir den Verführer.
Don Juan hat keine Zeit, für ihn ist alles nur eine Sache des Moments. Sie sehen und lieben ist eins, so ist es im Moment, im
selben Moment ist alles vorbei, und das gleiche wiederholt
sich ins Unendliche. Die seelische Liebe ist ein Bestehen in
der Zeit, die sinnliche ein Verschwinden in der Zeit, das Medium aber, das dies ausdrückt, ist eben die Musik. Von Don
Juan muß man den Ausdruck Verführer mit großer Vorsicht gebrauchen, weil er überhaupt nicht unter ethische Bestimmungen fällt. Ich möchte ihn daher lieber einen Betrüger nennen,
weil darin doch immerhin etwas mehr Zweideutiges liegt. Um
Verführer zu sein, bedarf es stets einer gewissen Reflexion
und Bewusstheit. An dieser Bewußtheit fehlt es Don Juan. Er
genießt die Befriedigung der Begierde und diese Begierde
wirkt verführend; sobald er sie genossen hat, sucht er einen
neuen Gegenstand, und so fort ins Unendliche. Er hat somit
überhaupt kein Bestehen, sondern hastet in ewigem Verschwinden dahin, geradeso wie die Musik, von der es gilt, daß
sie vorbei ist, sobald sie aufgehört hat zu tönen, und nun wieder entsteht, indem sie abermals ertönt. In diesem Reiche ist
die Sprache nicht zu Hause, nicht die Besonnenheit des Denkens, der Reflexion mühevolles Erringen, dort ertönt allein die
elementarische Stimme der Leidenschaft, das Spiel der Lüste,
der wilde Lärm des Rausches, dort genießt man nur in ewigem
Taumel. Der Erstling dieses Reiches ist Don Juan. Erst indem
die Reflexion hinzutritt, erweist es sich als Reich der Sünde;
aber da ist Don Juan getötet, da verstummt die Musik […].“
aus: Sören Kierkegaard: Entweder – Oder,
München 72003, S. 146 ff.
Aufgabe
Fasst die Kernaussagen des Textes stichpunktartig zusammen!
31
musik & bildung
M7
Verführung als Widertönen
Arie der Donna Elvira
Ach, werd’ ich ihn wohl finden
(Ah, chi mi dice mai)
„Don Juan ist der Held der Oper, auf ihn konzentriert
sich das Hauptinteresse. Freilich darf dies nicht in
irgendeinem äußerlichen Sinne verstanden werden,
vielmehr ist es gerade das Geheimnis der Oper, daß
ihr Held auch die Kraft darstellt, die in den übrigen
Personen wirkt; Don Juan ist das Lebensprinzip in
ihnen. Seine Leidenschaft setzt die Leidenschaft der
anderen in Bewegung, seine Leidenschaft hallt allenthalben wider, sie hallt darin wider und trägt den
Ernst des Komturs; den Zorn Elvirens, Annas Haß,
Ottavios Wichtigtuerei; Zerlinens Angst, Mazettos
Erbitterung; Leporellos Verwirrung. Als Held der
Oper ist Don Juan der Nenner des Stückes.
Durch nähere Betrachtung einer einzelnen Situation
möchte ich zeigen, was ich meine. Ich wähle die erste Arie der Elvira. Das Orchester trägt das Vorspiel
vor, Elvira tritt auf. Die Leidenschaft, die in ihrer Brust
tobt, muß Luft haben, und ihr Gesang verhilft ihr dazu. Im Hintergrund sieht man Don Juan und Leporello
in gespannter Erwartung, daß die Dame, die sie
schon am Fenster bemerkt haben, erscheine. Das Zusammentreffen will gesehen, die musikalische Situation will gehört werden. Die Einheit der Situation ist
nun die Zusammenstimmung, daß Elvira und Don
Juan zusammenklingen.
Die Arie der Elvira beginnt. Ihre Leidenschaft weiß ich
nicht anders zu bezeichnen denn als Liebeshaß, eine
gemischte, aber doch klangvolle, tönende Leidenschaft. Es folgt eine Pause in der Musik.
Was aber kann diese Erschütterung hervorrufen? Es
kann nur eines sein – Don Juans Spott. Mozart hat
daher die Pause dazu benutzt, Juans Spott in sie hineinzuschleudern. Nun lodert die Leidenschaft stärker, ungestümer, noch brandet sie und in ihr und
bricht in Tönen hervor. Noch einmal wiederholt es
sich, da erbebt ihr Inneres, da brechen Zorn und
Schmerz gleich einem Lavastrom hervor in jenem bekannten Lauf, mit dem die Arie endet. Hier sieht man
nun, was ich meine, wenn ich sage, daß Don Juan in
Elvira wiedertöne; denn zwar ist es Don Juan, der
singt, aber er singt so, daß der Zuschauer, je entwickelter sein Ohr ist, um so mehr das Gefühl hat, als
käme es von Elvira selbst.“
aus: Sören Kierkegaard: Entweder – Oder,
München 72003, S. 144 ff.
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