Der Regional Commissioner an den Ministerpräsidenten am 1. 8

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Der Regional Commissioner an den Ministerpräsidenten am 1. 8. 1946
NW 179/7 Abschri (Übersetzung)
(Betri: Bildung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen.)
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!
Ich war sehr erfreut über die Ergebnisse unserer Besprechung am vergangenen Dienstag. Ich bin gewiß,
daß Sie gern eine schriliche Bestätigung der besprochenen Punkte haben möchten, und ich möchte
Ihnen hiermit die Entscheidungen, die ich getroen habe, mitteilen.
Ich bitte, anliegendes Memorandum als die ozielle Bestätigung Ihrer Ernennung entgegenzunehmen.
Einige Teile des Memorandums erscheinen Ihnen vielleicht zu ausführlich; ich bin jedoch überzeugt, Sie
werden mir zugeben, daß eine Darlegung Ihrer Verantwortlichkeiten Ihre Stellung leichter machen wird.
Ich glaube auch, daß Sie froh sein werden, vorweg zu wissen, welche Punkte ich auf unserm Treen mit
den Parteiführern zu besprechen beabsichtige.
Sie haben eine große Aufgabe übernommen und ich möchte Ihnen mein volles Vertrauen und meinen
aufrichtigsten Glauben an Ihre Fähigkeiten und Ihren Erfolg versichern.
Ihr ergebener
William Asbury1
Landesbeauragter Nordrhein-Westfalen
MEMORANDUM2
1. Bildung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen
1.
In Bestätigung der am 24. Juli 1946 zwischen den Provinzbeauragten von Westfalen und Nordrhein und
Ihnen in Münster abgehaltenen Besprechungen und der darauf bei unserm Treen in Düsseldorf am 30.
Juli 1946 erfolgten Festlegung werden Sie hiermit zum Ministerpräsidenten des neuen Landes NordrheinWestfalen ernannt. Ihre Ernennung gilt mit Wirkung vom 24. Juli 1946 bis zu den Landeswahlen und
hängt im übrigen ab von Ihrer loyalen und wirksamen Durchführung der von meinem Hauptquartier
erlassenen Regierungsgrundsätze.
1
William Asbury (1889–1961), britischer Politiker (Labour Party). 1924–1942 Ratsherr in Sheeld. 1930–
1932 Mitglied der Kommission für die Arbeitslosenversicherung. Von 1942 bis 1945 Tätigkeit in der
Verwaltung der Zivilverteidigung der Südregion. 1946–1948 Zivilbeauragter (Regional Commissioner
bzw. Gouverneur) der britischen Militärregierung für die Nordrheinprovinz bzw. Nordrhein-Westfalen
(Amtssitz: Cambridge House bzw. Stahlhof (s. Dok. 2 a Anm. 1); Residenz: Schloß Hardenberg in
Ratingen). 1948–1950 in gleicher Funktion in Schleswig-Holstein.
2
Das Memorandum ist in der englischen Fassung ediert bei Steininger, Ruhrfrage, als Dokument Nr. 225
(S. 958 ff.).
2.
Das neue Land umfaßt die bisherigen Provinzen Nordrheinland und Westfalen. Ihre Hauptstadt
ist Düsseldorf. Das Land Lippe wird in Kürze der Provinz Hannover angegliedert, worüber bald
entsprechende Anweisungen der Militärregierung ergehen.
3.
Ich habe nunmehr die Stellung des Landesbeauragten für Nordrhein-Westfalen (Regional
Commissioner of Land Nordrhein and Westfalen) angetreten. Sie und das von Ihnen gebildete Kabinett
arbeiten unter meiner Leitung.
4.
Als Landesbeauragter bin ich der Vertreter des Obersten Kommandeurs der britischen Besatzungszone,
bei dem die höchste Regierungsgewalt liegt. Alle Regierungsbefugnisse des neuen Landes werden durch
mich ausgeübt. Daraus folgt, daß die deutsche Landesregierung nur diejenigen Vollmachten hat, die ihr
durch mich übertragen werden.
5.
Das Kabinett wird nach Genehmigung und Bildung unter Ihrem Vorsitz das Ausführungsorgan der
Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen sein. Es ist für die loyale Durchführung der von mir oder
meinen Vertretern erlassenen Regierungsgrundsätze verantwortlich. Die Bewohner des Landes werden
durch einen „Ernannten Rat“ vertreten, der möglichst bald nach besonderen Anweisungen meines
Hauptquartiers gebildet werden soll.
6.
Es ist Ihre Picht und die Picht Ihrer Minister, den „Ernannten Rat“ über alle grundsätzlichen
Anordnungen meines Hauptquartiers in vollem Umfange zu unterrichten. Im Endergebnis sollen die
gesetzgeberischen Befugnisse für das neue Land deutscherseits bei einem gewählten Rat liegen.
7.
Verfahren für die Bildung des neuen Landeskabinetts.
Nach Übereinkommen soll das Landeskabinett aus folgenden Ministerien bestehen:
(I)
(II)
(III)
(IV)
Ministerpräsident
I (V)
Stellv. Ministerpräsident
Ministerium des Innern I (VI)
Finanzministerium
I(VII)
Wirtschasministerium +
Verkehrsministerium +
(VIII)
I (IX)
I (X)
Ministerium für
Ernährung und
Landwirtscha +
Arbeitsministerium +
Ministerium für
Gesundheitswesen und
Öentl. Wohlfahrt
Kultusministerium
Ministerium für
Wiederauau +
Justizministerium +
Der Stellvertretende Ministerpräsident soll zugleich Innenminister sein. Die mit + gekennzeichneten
Ministerien sind ganz oder teilweise von der Kontrolle durch die Landesregierung ausgenommen.
8.
Funktionen, die der Militärregierung vorbehalten bleiben.
Sowohl die allgemeine Ausrichtung der „vorbehaltenen“ Funktionen als auch ihre Durchführung
werden von der Militärregierung durch Zonalstellen, die der Landesregierung nicht verantwortlich
sind, überwacht. Daher haben die für diese Funktionen zuständigen Minister keine vollziehende
Gewalt (executive responsibility), wenngleich beträchtliche Aufgaben von ihnen verlangt werden;
nämlich die nähere Auslegung von Richtlinien der Militärregierung gegenüber dem Kabinett und
der Öentlichkeit, die Sammlung und Formulierung von auauenden kritischen Äußerungen und
Anregungen zur Berücksichtigung durch die zuständige Fachabteilung der Militärregierung. Hinsichtlich
des Wirtschasministers wird ausdrücklich betont, daß er in keiner Weise in die Verwaltung des deutschen
Wirtschasrates eingreifen darf und keine Befugnisse gegenüber dem Landeswirtschasamt hat.
9.
Das politische Gleichgewicht.
Bis zu den Wahlen bestimmt die Militärregierung den politischen Charakter des neuen Landes. Das
Landeskabinett setzt sich zusammen aus den leitenden Politikern der Hauptparteien und zwar gemäß
nachfolgendem Schlüssel. Der Anteil der Parteien wird – wie Sie sehen, in enger Anlehnung an Ihren
Vorschlag – wie folgt sein:
3 CDU
1 FDP
3 SPD
2 Zentrum
2 KPD
Außerdem muß die Militärregierung gewisse weitere Vorbehalte machen. Erstens: Das Kabinett
muß beide Provinzen vertreten. Herr Arnold soll Stellvertretender Ministerpräsident und zugleich
Innenminister sein, vorausgesetzt, daß er diese Stellung annimmt und die Parteien mit ihm
zusammenarbeiten wollen. Es steht Ihnen jedoch frei, mit Zustimmung der Parteien andere Vorschläge
entgegenzunehmen, die dann von der Militärregierung erwogen werden. Herr Dr. Lehr3, der frühere
Oberpräsident der Nordrheinprovinz, soll aufgefordert werden, eine andere Stellung zu übernehmen,
ausgenommen jedoch die Stellung des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und des Innenministers.
Das Wirtschasministerium soll einem Mitglied der Sozialdemokratischen Partei angeboten werden.
Unter Berücksichtigung dieser Vorbehalte bitte ich Sie, in der nachstehenden Weise mit den politischen
Parteien zu verhandeln und deren Vorschläge für die Besetzung der verschiedenen Ministerposten
entgegenzunehmen.
10.
3
Dr. iur. Robert Lehr (1883–1956), Beamter und Politiker (ab 1945 CDU). Nach dem Studium der
Rechtswissenschaen ab 1913 Tätigkeit in der Stadtverwaltung Düsseldorf; 1924–1933 Oberbürgermeister
von Düsseldorf. Im April 1933 Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten; Eintritt in den Ruhestand.
Aktivität im Widerstand. 1945 Ernennung zum Dezernenten für Innere Verwaltung im Oberpräsidium
der Nordrheinprovinz; von Oktober 1945 bis zur Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen Oberpräsident
der Nordrheinprovinz. Beteiligung an der Gründung der Düsseldorfer CDU. 1946/47 Präsident des
ernannten Landtages, danach Abgeordneter (bis 1950). 1948/49 Mitglied des Parlamentarischen Rates. Ab
1949 Mitglied des Bundestages. Von 1950 bis 1953 Bundesinnenminister.
Verhandlung mit den Parteien.
Um Ihnen diese Verhandlungen zu erleichtern, werde ich die Parteiführer zusammenrufen, und ihnen
eine kurze Darlegung des ganzen Verfahrens geben.
Die Konferenz wird wie folgt stattnden:
(I)
Die Bekanntgabe Ihrer Ernennung zum Ministerpräsidenten durch mich und Darlegung der Politik der
Militärregierung. Dann ziehen sich die Vertreter der Militärregierung zurück und überlassen Ihnen die
Leitung der Konferenz. Die Tagesordnung soll eine Aussprache über folgende Punkte enthalten:
(II)
Die vorgeschlagene Ernennung Herrn Arnolds zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister
des Innern.
(III)
Die Verteilung der einzelnen Ministerien auf die Parteien.
(IV)
Die Benennung des jeweiligen Ministers durch die in Frage kommende Partei.
Dann kommt ein Vertreter der Militärregierung zurück in die Konferenz, um
(V)
den Stand der Aussprache durch den Vorsitzenden zu erfahren,
(VI)
notfalls zu bestimmen, welche weiteren Verhandlungen zu führen sind.
Diese Konferenz wird sobald wie möglich von der Militärregierung nach Rücksprache mit Ihnen
einberufen werden. Der Stichtag für die Einreichung Ihrer Vorschläge für das Landeskabinett ist der 12.
August 1946.
11.
Aufgaben des Landeskabinetts.
Sobald die Minister ernannt sind, stellen sie unter Ihrem Vorsitz das Landeskabinett dar; sie machen
Vorschläge, wie am besten die verschiedenen Verwaltungen der derzeitigen beiden Provinzen vereinigt
werden können. Die Vorschläge des Kabinetts sind an mich zu richten.
(I)
Zur näheren Prüfung des Problems der Verschmelzung ist es die erste Aufgabe des Kabinetts, deutsche
Unterausschüsse unter dem Vorsitz der zuständigen Minister zu bilden; diese Unterausschüsse arbeiten
eng mit entsprechenden britischen Ausschüssen zusammen.
(II)
Zweite Aufgabe des Kabinetts ist es, mir geeignete Beamte vorzuschlagen, welche die
Hauptausführungsbeamten der neuen Ministerien werden sollen. Diese Beamten müssen nicht-politische
Verwaltungsbeamte sein, deren Aufgabe es sein soll, ihre Minister bei der Durchführung der Aufgaben
unparteilich zu beraten und die Anordnungen und Anweisungen, die ihnen von den Ministern gegeben
werden, loyal auszuführen.
Der Provinzialbeauragte
des Landes Nordrhein-Westfalen
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