Vom Fressen und Gefressen werden

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Vom Fressen und Gefressen werden – wo ist der Mittelweg in der Tierethikdiskussion?
Die derzeit aktuelle Tierethikdiskussion bewegt sich scheinbar zwischen ideologischen und
technologischen Gesichtspunkten. Der Kritische Agrarbericht 20141 räumt der Tierethikdiskussion mit
vor-und nachgelagerten Themenfeldern u. A. Agrarpolitik und soziale Lage, Welthandel und
Ernährung, Ökologischer Landbau, Produktion und Markt, Regionalentwicklung, Natur und Umwelt,
Gentechnik, Agrar- sowie Verbraucher und Ernährungskultur breiten Raum ein. Eine Frage, die FranzTheo Gottwald und Isabel Boergen in Ihrem Beitrag stellen, lautet: „Brauchen wir Tiere“? 1
beantworten die Autoren nach ihrer Analyse auch gleich selbst mit einem deutlichen „Ja“.
Auch auf der Frühjahrstagung der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) ging es um dieses Thema.
Insgesamt wird deutlich, wie vielschichtig und multipolar über Tierethik diskutiert wird. Es wird wohl
auch in absehbarer Zeit keinen Grundkonsens geben, da viele Meinungen und Interessen, die
teilweise diametral entgegenstehen, hier aufeinandertreffen.
Einerseits sieht man das Tier als Mitgeschöpf, das empfindet wie wir Menschen. Andererseits soll
dieses Mitgeschöpf aber auch einen „Nutzen“ haben, als Nutztier für Menschen. Zwischen diesen
beiden Vorstellungen gedeihen nun akademische, polemische, ethische und vielerlei andere
Diskussionen und auch Gesetzesentwürfe. Grundlegend dürfte auch die Frage sein, wie weit wir
Leben, Umwelt, Natur ökonomisieren und quantifizieren wollen und welche Rolle die Moral spielen
darf oder kann. Wir stellen Kernaussagen von Gottwald und Boergen und der ASG-Tagung vor:
1. Franz-Theo Gottwald und Isabel Boergen, Brauchen wir Tiere?
Vom Mitgeschöpf zur Ressource Von der Landwirtschaft aus gesehen, bewegen wir uns ökonomisch
und ethisch auf schmalem Grad. Zu Beginn der Tierhaltung war es so, dass beide Geschöpfe, also
Mensch und Tier, einen Nutzen vom Zusammenleben hatten. Der Mensch hatte Nahrung schnell
verfügbar, das Tier einen vermeintlich sicheren Schlafplatz, genug Futter und keine (anderen)
Fressfeinde. Die Veränderung von der bäuerlichen familiären Landwirtschaft zur industriellen
Agrarproduktion hat Diskussionen zu Fragen hervorgebracht, die sich früher nicht gestellt haben.
Ausreichender Platz, artgerechte Bewegungsmöglichkeiten, Bindungen der Tiere untereinander und
an den Menschen, artgerechtes Futter, kurze Wege zum Schlachten und Verarbeiten, körperliche
Unversehrtheit und würdevolles Sterben sind in der industriellen „Tierproduktion“ nicht
selbstverständlich. In Konflikt geraten Vorstellungen über artgerechte Tierhaltung mit den
ökonomischen Möglichkeiten. Wer die Erzeugerpreise, die Landwirte für Ihre Produkte erhalten,
analysiert, wird feststellen, dass eine tiergerechte, bäuerliche Landwirtschaft ökonomisch nicht nur
nicht lukrativ, sondern oft auch nicht tragfähig ist. Immer stärkere Rationalisierung und
Effektivierung haben die Nutztiere von Mitgeschöpfen zu Produktionsfaktoren und Rohstoffträgern
degradiert.
Etliche Verbraucher sehen eine Grenze überschritten und wollen nur noch mit Bioware, manche
vegetarisch oder vegan leben. Eine vegetarische und noch mehr eine vegane Ernährung verbrauchen
im Vergleich mit anderen (konventionellen) Ernährungsformen weitaus weniger Ressourcen und
emittieren weniger Schadgase.
Ein UN-Bericht aus dem Jahre 2010 beschreibt als eine Ursache für den Hunger in der Welt den stetig
wachsenden Fleischkonsum, der durch den Umweg über das Tier anderen Menschen auf diesem
Planeten Ressourcen wie Boden, Land und Wasser entzieht. Die ethische Verantwortung des
1
http://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB2014/KAB2014_267_274_Gottwald_Boergen.pdf
Menschen geht somit über das reine Tierwohl hinaus.
Probleme menschgemacht
Damit wird jedoch nur eine Seite der Medaille betrachtet. Auf der Erde leben rund 1,3 Milliarden
Menschen direkt oder indirekt von kleinbäuerlicher extensiver Tierhaltung und Viehzucht. Sie stellen
durch die ressourcenschonende Haltung mit Grasfütterung keine direkte Nahrungskonkurrenz zur
menschlichen Ernährung dar. Diese teilweise nomadischen Haltungsformen ermöglichen erst die
Erschließung von Proteinquellen zur menschlichen Ernährung durch Gräser und Heu durch den
Widerkäuermagen. Neben der Ernährungsfunktion hat die die Viehhaltung in der Steppenlandschaft
Asiens und Afrikas auch eine biologische Funktion zur Düngung des Bodens, Verteilen von Samen,
Bearbeitung des Bodens durch Huftritte. Dies ist für den Erhalt dieser Landschaften notwendig.
Obendrein wird durch diese Haltungsform mehr Kohlendioxid gebunden als in herkömmlicher
Ackerfläche. Somit ist die entscheidende Frage für den Klima- und Umweltschutz die Haltungsfrage.
Hochgezüchtete, mit zugekauftem Getreide gefütterte Rassen in industriellen Mastanlagen haben
eine ungünstige Auswirkung auf Klima, Boden, Luft und Wasser, weil das Gleichgewicht im
Landschaftsverbrauch und der Landschaftspflege nicht gewährleistet wird. Es ist also der Mensch und
nicht das Tier, was diese Probleme verursacht.
Gesundheit und Leben
Ein ganz anderer Aspekt ist die Tatsache, dass zum Leben auch der Tod gehört. Wer nun als
Vegetarier/Veganer das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken ablehnt, wird gefragt, warum er das
Töten auf Tiere beschränkt und nicht Pflanzen und Mikroorganismen mit einbezieht und damit seine
eigene Existenz in Frage stellt. Andererseits gibt es aber gesundheitliche Beweggründe für eine
vegetarische oder vegane Ernährung.
. Dort, wo Milch, Fleisch und Eier reichlich „fließen“ steigt das Risiko von Herz-Kreislauf- und
degenerativer Erkrankungen rapide an. Abschließend steht die Frage, ob eine tierlose Landwirtschaft
überhaupt möglich sei. Langzeitstudien im Ökolandbau belegen, dass der Humusgehalt der Böden,
die Fruchtbarkeit und Nährstoffverfügbarkeit bei Mischbetrieben höher als bei viehlosen Betrieben
ist. Die Tierhaltung gehört somit zum Kreislaufsystem der Natur. Für Betriebe, die nach Rudolf
Steiner wirtschaften, ist Viehhaltung sogar vorgeschrieben. Grundsätzlich besteht Forschungsbedarf,
was die Substitution von Stallmist mit Gründüngung betrifft.
Folgendes Fazit ziehen Gottwald und Boergen in ihrem Beitrag:
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-
intensive Massentierhaltung ist ökologisch und moralisch nicht vertretbar
vegetarische Ernährungsweise, die auf Milch und Eier nicht verzichtet ist nur bedingt eine
Alternative, da männliche Tiere getötet werden (Küken) und Haltungsbedingungen ebenfalls
Fragen aufwerfen
konsequenter Veganismus ist kein gesamtgesellschaftlich vertretbares Modell; ebenso ist
viehlose Landwirtschaft weltweit weder möglich noch wünschenswert
Ziel einer umweltverträglichen Landwirtschaft muss sein, die Eigenschaften der Widerkäuer
zu berücksichtigen und alle Tiere gemäß ihrer Fähigkeiten und natürlichen Bedürfnisse in den
Betriebsablauf zu integrieren
Um eine ökologische und klimaverträgliche Tierhaltung zu ermöglichen, müsste der Konsum
tierischer Produkte in den Industrienationen stark reduziert, mindestens halbiert werden.
2. Beiträge von der asg-Frühjahrstagung 2
Dr. Katharina Kluge: Tierhaltung, Tierschutz und Tiergesundheit: Wie die Bundesregierung die
Umsetzung plant
Politische Ziele
Die Politik nimmt mittlerweile kritische Anfragen der Verbraucher auf und stellt sich ebenfalls die
Frage, wie Nutztiere zu sehen sind: als Lebensmittel, Ressource oder Mitgeschöpf.
Auch der Koalitionsvertrag der aktuellen Koalition greift die Thematik auf, da die Bevölkerung
offensichtlich durch diverse Skandale sensibilisiert und die stetige Ausweitung industrieller
Mastanlage mancherorts deutlich sicht- und riechbar geworden ist.
Die Koalition möchte unter Anderem:
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Eine Tierwohloffensive entwickeln
Sachkunde bei Tierhaltern fördern
Ein bundeseinheitliches Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhaltungssysteme entwickeln
EU-einheitliche und höhere Tierschutzstandards durchsetzen
Sich für ein EU-Tierschutzlabel nach deutschem Vorbild einsetzen
Eine flächengebundene Tierhaltung anstreben
Eine tiergerechte Nutztierhaltung fördern
Einen wissenschaftlichen Diskurs über Größen in der Nutztierhaltung auf den Weg bringen
Die Agrarforschung besser verzahnen
Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger
Landwirtschaft verstetigen
Die Charta für Landwirtschaft und Verbraucher, die aus der gesellschaftlichen Diskussion der
vergangenen Legislaturperiode entstanden ist, zeigt Lösungsansätze in politischen Handlungsfeldern
für die Land- und Ernährungswirtschaft auf. Darin finden sich Verbrauchererwartungen und es treten
Zielkonflikte offen zu Tage. Einige Maßnahmen, z.B. die Änderung des Tierschutzgesetzes bezüglich
des Verbots der betäubungslosen Ferkelkastration, wurden bereits umgesetzt.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft setzt auf mehr Forschung im Bereich
Tierschutz und stellt dafür Mittel aus verschiedenen Bereichen des Ministeriums und der
Landwirtschaftlichen Rentenbank zur Verfügung. Dazu gehören auch rund 21 Millionen EUR für
Modell-.und Demonstrationsvorhaben als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis. Mittlerweile
wurde auch eine Beratungsoffensive für Landwirte gestartet, die zukünftig auf das Kupieren der
Schwänze bei Ferkeln verzichten wollen.
2
http://asg-goe.de/ASG-Fruehjahrstagung-2014.shtml
Dr. Doris Lange: Die Zukunft der Tierhaltung – tiergerecht und gesellschaftlich akzeptiert-DAFAStrategie Nutztiere
Verbände der Landwirte haben sich der Thematik angenommen und diskutieren breit, wie
Konfliktfelder und gesellschaftliche Erwartungen ökonomisch zusammenzubringen sind. Es geht
ihnen darum, einerseits günstige Preise bei wachsendem Lebensmittelbedarf, gesunde Nahrung,
Erhalt von Kulturlandschaft, Arbeitsplätzen und räumlichen Strukturen zu ermöglichen, aber auch
betriebliche Existenzen zu erhalten. Das Fachforum Nutztiere der Deutschen Agrarforschungsallianz
hat sich daher zum Ziel gesetzt, „Auf wissenschaftlicher Grundlage eine messbare Verbesserung des
Zustandes der deutschen Nutztierhaltung herbeizuführen.“
Jochen Dettmer: Das Zweistufige Label „Für mehr Tierschutz“: Erfahrungen nach einem Jahr und
Erwartungen an die Politik von Bund und Ländern
Tierwohllabel eine Antwort
Ein Schritt in diese Richtung ist das – wenn auch umstrittene – Label des Deutschen
Tierschutzbundes. In anderen EU-Ländern sind ähnliche Ideen mit unterschiedlichen
Kennzeichnungen schon länger umgesetzt und werden wohl auch vom Verbraucher akzeptiert. Trotz
aller Kritik wird das Tierwohllabel als eine Antwort auf die Diskussion zur Tierethik von Initiatoren,
Verbänden und Anwendern gesehen und als erster Schritt in die richtige Richtung. Ob und wie
Sicherheit und Durchschaubarkeit durch die Kennzeichnung für den Verbraucher gewährleistet sind
und wie nützlich und ehrlich das Tierschutzlabel ist, wird bisweilen auch debattiert.3
Kommentar: Die Beiträge aus der Frühjahrstagung der ASG als auch Artikel des Kritischen
Agrarberichts zeigen, dass die Diskussionen fortgeführt werden, um weitere Schritte in Richtung
Tierwohl und artgerechte Haltung in der Landwirtschaft zu gehen.
Quellen und Links
1http://www.kritischer-agrarbericht.de/index.php?id=340
2 http://asg-goe.de/ASG-Fruehjahrstagung-2014.shtml
3 http://www.tierschutzlabel.info/home/
Weiterführende Links
http://www.kda-nordelbien.de/tierethik/211-texte9.html (auf edl-website)
http://www.bauernstimme.de/unabhaengige-bauernstimme/aktuelleausgabe/details/browse/1/article/absichtserklaerung-fuerablass.html?tx_ttnews%5BbackPid%5D=43&cHash=4d231f3a50f1c525e20168671ba4c3a4
http://www.aktion-kirche-und-tiere.de/cms/front_content.php?idcat=73
http://www.ttn-institut.de/tierethik
http://www.bauernverband.de/initiative-tierwohl-landwirtschaft-entwickelt-die-tierhaltung-weiter
Literaturliste
Tiere wie wir: Zur Verantwortung des Menschen für die Nutztiere- Kirchliche Positionen; Franz-Theo
Gottwald; oekom 2004
Tierethik: Grundlagentexte; Frederike Schmitz (Hrsg.); Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2014
Zoopolis: Eine politische Theorie der Tierrechte; Sue Donaldson, Will Kymlicka; Suhrkamp 2013
Haben Tiere eine Würde?: Grundfragen der Tierethik; Norbert Hörster; Verlag C.H. Beck 2004
Gott und die Tiere: Ein Perspektivwechsel; Rainer Hagencord; Verlag Matthias-Grünewald 2008
Ethik der Mensch-Tier-Beziehung; Ursula Wolf; Klostermann 2012
Vegetarisch leben – Die Vorteile einer fleischlosen Ernährung; Armin Risi, Ronald Zürrer (Govinda
2012)
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