Endlich mehr Zeit fürs Komponieren

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Endlich mehr Zeit
fürs Komponieren
Den Musiker Peter Roth kennt man im Toggenburg vor allem durch die Projekte der Klangwelt.
Seit er dort aber nicht mehr künstlerischer Leiter
ist, hat er wieder mehr Zeit für das, was er ursprünglich immer machen wollte: komponieren.
Dabei hat er sich einem neuen Musikgenre gewidmet und eine moderne, politische Oper geschrieben, die im September uraufgeführt wird.
Text: Mirjam Bächtold / Bilder: Katja Nideröst
Peter Roth ballt die Fäuste, wirft die Arme in die Luft
und schleudert sie zur Seite, so dass er sich schwungvoll um die eigene Achse dreht. Es braucht vollen
Körpereinsatz, um die zwei Chöre zu dirigieren, die
die Schlussakkorde der Oper «Spinnen» üben. Peter
Roth lebt beim Dirigieren mit der Musik, in seinen
Bewegungen, seiner Mimik kommen die Töne zum
Ausdruck. Bis vor kurzem war ihm das Musikgenre
der Oper noch gar nicht vertraut. Mehr zu Hause
fühlt er sich in der traditionellen Volksmusik und in
der Kirchenmusik. Neben dem Dirigieren jodelt er
und spielt Hackbrett, am Klavier aber auch sehr gerne Blues und Jazz. Seit 27 Jahren leitet er das Chorprojekt St. Gallen und bis vor drei Jahren auch den
Kirchenchor Alt St. Johann, mit dem er viele selbst
komponierte Werke aufführte, unter anderem die
«Toggenburger Passion».
Initiant für die Klangwelt
Bekannt geworden ist er aber vor allem als Initiant der
Toggenburger Klangwelt, deren Projekte 1993 mit
Kursen begonnen haben und die sich mit dem Klangweg, dem Naturstimmenfestival und der Klangschmiede zu einem Magneten für mehrere zehntausend Touristen jährlich entwickelt haben. Die St. Gallische Kulturstiftung hat ihn gleich zwei Mal ausge-
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zeichnet. Für seine Verdienste in der Volksmusik bekam Peter Roth zudem den Goldenen Violinschlüssel.
Vor drei Jahren ist er aber als künstlerischer Leiter
der Klangwelt zurückgetreten. Diesen Schritt bereut
er nicht: «Ich weiss, dass die Projekte der Klangwelt
bei meiner Nachfolgerin Nadja Räss in guten Händen
sind», sagt er. Nachdem er jahrelang Millionen für
Projekte gesammelt hatte, wollte er nun mehr Zeit für
andere Dinge haben. So nahm der heute 70-Jährige
zum Beispiel Privatunterricht bei einem Jazzpianisten.
Und dann kam die Anfrage eines Berner Chors, der
schon vorher Werke von Peter Roth aufgeführt hatte.
«Sie wollten, dass ich für sie eine Oper schreibe. Meine
erste Reaktion war: Ich weiss gar nicht, wie das geht,
Komponieren im Kerzenlicht – passend zur
Anti-Atomkraft-Oper.
ich interessierte mich bis dahin nicht für Opern.»
Doch der Gedanke daran liess ihn nicht mehr los.
Moderne Adaption von Gotthelf
In der Themenwahl war der Komponist frei. Da er die
Oper aber für einen Berner Chor schreiben würde,
suchte er etwas lokal Passendes. «Die ‹Schwarze
Spinne› von Jeremias Gotthelf hat mich schon in der
Ausbildung am Lehrerseminar fasziniert. Ich wollte
die Novelle aber nicht eins zu eins übernehmen, sondern sie in die heutige Zeit übertragen.» Wie bei
Gotthelf nehmen die Menschen auch in Peter Roths
Oper langfristige schlimme Konsequenzen auf sich,
um sich kurzfristige Vorteile zu verschaffen. In der
Novelle aus dem 19. Jahrhundert hilft der Teufel den
geplagten Bauern, einen Schattengang aus 100 Buchen für den tyrannischen Vogt zu bauen. «Bei mir
hilft eine andere teuflische Kraft: die Atomenergie»,
sagt Peter Roth. Dieses Thema hat den früheren SPKantonsrat schon immer beschäftigt. 1975 war er bei
der Besetzung des Baugeländes für das AKW in Kaiseraugst dabei. «Gotthelfs Protagonisten müssen
dem Teufel als Opfer ein ungetauftes Kind geben.
Wir müssen uns mit dem ungelösten Problem des
strahlenden Atommülls abgeben. Dieser Abfall ist
wie die Pest, die in Gotthelfs Novelle ausbricht.»
Die wichtigste Voraussetzung für das Komponieren
der Oper war das Rollensetting. Erst als er die vier
Hauptrollen hatte, begann er mit dem Schreiben des
Librettos. Da ist Augusto Hagen, ein reicher Mann, •
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Mit seiner Energie begeistert
Peter Roth die 90 Chorleute.
der ein Schloss bewohnt und die Fabriken, Banken
und Zeitungen in der Stadt besitzt und dadurch
Macht erlangt hat. Er will, analog zur «Schwarzen
Spinne», dass für ihn 10 000 Bäume gepflanzt werden. Sein PR-Berater Titus T. rät Hagen zum Einsatz
von Atomenergie, mit dem Problem des strahlenden
Abfalls könne man sich später befassen.
Sein Gegenpart ist die mutige Christine, eine junge
alleinerziehende Mutter, die sich wie eine Greenpeace-Aktivistin gegen das Vorhaben von Hagen
wehrt. Sie hört als innere Stimme die vierte Solistin,
die Rolle der Sophie. «Sophie ist nur für das Publikum sichtbar, sie ist eine Überlebende aus Gotthelfs
Zeit und die innere Weisheit oder vielleicht auch das
Gewissen der Menschen», sagt Peter Roth.
Im Prolog singt Sophie von Unterdrückern, und von
Unterdrückten, von Verführern und von Verführten.
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Peter Roths Oper hat eine klare Botschaft: «Nicht nur
die Unterdrücker und die Verführer treffen Entscheidungen, sondern jeder Mensch für sich selbst. Wir
tragen Verantwortung, wenn wir uns nicht gegen das
Übel wehren.» Sophie nimmt die Rolle der Warnerin
ein, sie fordert die Menschen auf, eigenständig zu
denken, anstatt einfach blind mitzulaufen.
Intuition ist ein Geschenk
Wenn Peter Roth etwas komponiert, hört er die Melodie immer schon vorher in seinem Kopf, hört das
gesamte Orchester und die Solisten. «Dann geht es
ans Analysieren. Ich muss die verschiedenen Stimmen auseinandernehmen und einzeln niederschreiben.» Erst wenn das gesamte Orchester spielt, klingt
es wieder so, wie es Peter Roth zu Beginn gehört hat.
«Beim Komponieren geht vieles intuitiv. Das ist ein
Geschenk, und das Schönste, was man mit einem Geschenk machen kann, ist, es weiterzugeben.» Die
Oper hat er für Streicher, Hackbrett und Bläser geschrieben. Besonders wichtig ist Peter Roth aber die
Peitsche. Sie erinnert an die Geissel aus der Zeit Gotthelfs. Der Klang wird aber nicht von einer echten
Peitsche erzeugt, sondern durch zwei aufeinander
geschlagene Holzbretter. Als Gegenstück zur Peitsche
hat Peter Roth einen Part für einen Gong geschrieben. «Der Gong ist die Mutter des Klangs, in ihm ist
das Potenzial aller Töne enthalten.»
Konzertante Uraufführung
Peter Roth hat die Oper zwar für einen Chor in Bern
geschrieben, der sie auch szenisch uraufführen wird.
Die konzertante Uraufführung findet aber hier in der
Ostschweiz statt, gesungen vom Chorprojekt St. Gal-
len und dem Gemischten Chor Wald, den Jürg Surber leitet. Er ist auch der Leiter des Appenzeller Kammerorchesters, das bei «Spinnen» spielt. Jürg Surber
wird den ersten und zweiten Akt dirigieren, Peter
Roth den dritten. «Die Zuschauer sollten trotz der
beiden unterschiedlichen Dirigenten keine Unterschiede zwischen den Akten hören. Es ist ja eine Uraufführung, man hat keine Erwartungen, wie bei einem Werk, das oft aufgeführt wird.»
Jetzt, kurz vor der Aufführung ist Peter Roth nicht
nervös, aber angespannt. «Ich frage mich, wie meine
erste Oper beim Publikum ankommt.» Es brauche
Mut, als Komponist aus seinem gewohnten Stil auszubrechen und etwas Neues zu wagen. Er hofft, die Zuschauer werden die Botschaft seiner Oper verstehen. ■
Aufführungsdaten: www.spinnenoper.ch
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