SWP – 12.04.13 - NATALIE DEININGER „Ich liebe das arme Theater“ Uraufführung an der AdK: „Die Stunde der Viper“ von Peter Radtke Autor Peter Radtke führt bereits zum zweiten Mal in Ulm Regie. Sein Stück „Die Stunde der Viper“ inszenierte er hier erstmals für die Bühne. Am Mittwoch hatte es am Akademietheater Premiere. „Ich werde Sie töten“! „Wer sind Sie überhaupt?“ „Ihr Schicksal! Und Sie haben schon richtig gehört: Ich werde Sie töten!“ Dieser Dialog entspinnt sich zwischen zwei scheinbar willkürlich aufeinandertreffenden Menschen in einem Zugabteil der 1. Klasse. Irgendwo im Großraum Stuttgart. Der eine, ein erfolgreicher Geschäftsmann (Holger Birke). Der andere, eine kleinwüchsige Frau (Jana Zöll), eine Schlange – die Viper. Sie verwickelt ihn in ein Gespräch, das zum zerstörerischen Sog wird und ihn unwiederbringlich in den Abgrund reißt. „Die Stunde der Viper“ dauert – wie der Titel schon verrät – genau eine Stunde. Der Regisseur und Autor Peter Radtke schrieb den Text bereits vor mehr als 20 Jahren. 1992 wurde der Text vom WDR als Hörspiel inszeniert, doch das Ergebnis hat Radtke nicht gefallen: „Die Produktion war lieb- und leblos, die kosmische Dimension fehlte komplett.“ Als er das Stück jetzt selbst an der Akademie für darstellende Kunst (AdK) uraufgeführt hat, kam es ihm „wie ein fremdes Stück“ vor. „Der Text hat unheimlich Tiefe, das habe ich damals gar nicht so gesehen.“ Die Kernfrage stellt die Viper etwa in der Mitte des Schauspiels: „Warum sind Sie geboren?“ Diese Frage nach dem „Warum lebst Du?“ wird dem Geschäftsmann zum Verhängnis. Er beginnt zu rechtfertigen, zu erklären, weshalb sein irdisches Dasein berechtigt ist. „Die Stunde der Viper“ ist eine Lebensparabel von Peter Radtke, der 1943 mit der Glasknochenkrankheit geboren wurde. Kaum das Licht der Welt erblickt, wurde ihm schon zum ersten Mal das Leben gerettet: Der zuständige Arzt händigte Radtkes Vater ein Attest aus – wider besseres Wissen – dass sein Sohn Peter nicht an einer unheilbaren Krankheit leide. Was den Nationalsozialisten sonst eingefallen wäre, ist hinreichend bekannt. Diese Geschichte ist nur eine von vielen, die dem Autor als Impuls für die Entstehung des Texts „Die Stunde der Viper“ diente. Der 70-Jährige nennt diese Impulse „Subtexte meines Lebens“. Seine Glasknochenkrankheit hat ihn keineswegs davon abgehalten sein Leben zu gestalten, im Gegenteil: Abitur, Studium der Germanistik und Romanistik, Heirat, Promotion, eine Theaterkarriere mit dem Resultat, dass er der berühmteste behinderte Schauspieler Deutschlands wurde, die Berufung in den Deutschen Ethikrat und seine Arbeit als Schriftsteller und Regisseur. Nicht zu vergessen ist sein bedingungsloser Einsatz für Behinderte. Noch in den 80er Jahren schlug Radtke herbe Kritik entgegen. Doch er ließ sich nicht beirren und verfolgte seinen Weg. Er sagt: „Künstler mit Behinderung brauchen Mut, Talent und sehr viel Fleiß – vor allem aber auch eine gehörige Portion Glück.“ Radtke hatte Glück. Sein Glück hieß George Tabori, manche nennen ihn den Theaterkönig. Tabori verhalf Radtke zum Durchbruch, zu seiner Karriere, „zu seinem Ja-Sagen zu mir und zu meiner Art“. Vier Produktionen bei den Münchner Kammerspielen arbeiteten die beiden zusammen, die fünfte endete im Zerwürfnis mit einem anderen Darsteller. Die Arbeit an der AdK – er führt dort bereits zum zweiten Mal Regie – gefiel dem Regisseur. „Ich liebe das arme Theater.“ Die Produktion sei optimal gewesen, „die Harmonie hat gestimmt“. Im Herbst würde er gern ein Tabori-Stück inszenieren, das „Jubiläum“, zur Reichspogromnacht. Allerdings habe hier das letzte Wort Ralf Rainer Reimann, der Leiter der AdK Ulm. Im Stück zieht die Viper den Geschäftsmann immer mehr in ihren Bann. Zunehmend schleichen sich Zweifel ein, sein scheinbar so perfektes Leben zerrinnt ihm wie Sand zwischen den Fingern. „Wer wird um sie trauern? Niemand wird um sie weinen! Niemand!“ Info Weitere Vorstellungen von „Die Stunde der Viper“ im Akademietheater Ulm, Unterer Kuhberg 10-12: heute und morgen, 20.15 Uhr.