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ORGELVORSPIEL
Evang. Universitätskirche
St. Markus
CHOR
„And the glory of the Lord shall be revealed“
(alle Choreinlagen aus Händels „Messiah“)
BEGRÜSSUNG
„Schläft ein Lied in allen Dingen“
(Joseph von Eichendorff)
Wintersemester 00/01
FACETTEN
GELEBTER FÖMMIGKEIT
Liebe Gemeinde,
wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und
des Geistes. Des Vaters, der an Weihnachten seinen Sohn sendet, damit er
uns seinen Geist schenke. Die Kerzen am Adventskranz erinnern an das Licht,
das mit der Menschwerdung Gottes in die Welt kommt. Und mag auch die
Distanz gegenüber dem Rummel der Vorweihnachtszeit noch so groß sein,
von den Lichtern des Advent geht gleichwohl ein Zauber aus. „Sich verzau­
bern lassen“, so lautet das Thema des heutigen Gottesdienstes. Wir wollen
uns heute verzaubern lassen von der biblischen Botschaft vom Messias, von
Weihnachtsliteratur und von Händels „Messias“. Damit wäre ich auch schon
beim Dank. Für ihre Mitwirkung an diesem Gottesdienst danke ich Herrn Kir­
chenmusikdirektor Holger Boenstedt, dem Markus-Chor und dem Orchester
„La banda“.
Sich verzaubern lassen
GEMEINDE
EG 1, 1-5 Macht hoch die Tür
REZITATION
„Sie sagen immer, wenn die Jahrszeit naht“
(aus William Shakespeare „Hamlet“)
GEBET
Prof. Dr. Jan Rohls
Sonntag, 17. Dezember 2000
Gütiger Gott,
wir warten auf deine Ankunft bei uns Menschen.
wir warten auf das Licht, das in unsere Finsternis leuchtet.
Denn wir haben gegen deine Gebot gehandelt,
du aber willst uns aus der Herrschaft der Sünde erlösen.
Du schickst uns deinen Sohn,
damit wir zu dir finden.
Aus der Fremde, in die wir uns begeben haben,
willst du uns zurückholen zu dir.
Schenke du uns deinen Geist,
damit wir unseren Geist bereit machen,
den Messias, deinen Sohn, unseren Retter
mit Freuden zu empfangen.
Amen.
CHOR
„And He shall purify the sons of Levi“
LESUNG
Jesaja 40, 1-4
CHOR
„O thou that tellest good tidings to Zion“
LESUNG
Lukas 2, 8-14
REZITATION
Weihnachtsbrief an die Mutter vom 19.12.1910
(Rainer Maria Rilke)
GEMEINDE
EG 13, 1-3 Tochter Zion, freue dich
PREDIGT
Jesaja 9, 1. 5-6
Am 13. April des Jahres 1742 wurde Georg Friedrich Händels „Messias“ in
einem Dubliner Theater uraufgeführt. Händel war von dem Lord Lieutenant
Irlands, das seit Cromwells Tagen der englischen Krone unterworfen war,
nach Dublin eingeladen worden. Er blieb dort ein knappes Jahr. Eine Zeitlang
wohnte er bei dem Dekan der anglikanischen St.Patricks-Church, dem be­
rühmten Schriftsteller Jonathan Swift, dem Autor von „Gullivers Reisen“. Kurz
vor seiner Abreise sah er den gefeiertsten Schauspieler seiner Zeit, David Gar­
rick, in der Rolle des Hamlet in Shakespeares Drama. Und eine Kollegin von
Garrick war es auch, die als Altistin in der Uraufführung des „Messias“ das
Dubliner Publikum verzauberte: Mrs. Cibber, die, wie es heißt, ihre schwache
Stimme durch die Intensität ihres Spiels mehr als wett machte. Die Premiere
des „Messias“ fand statt zum Besten der Insassen einiger Gefängnisse sowie
zur Unterstützung von Mercer’s Hospital in Stephen’s Street und des Wohl­
fahrtskrankenhauses am Inn’s Quay. Im Jahr nach der Dubliner Uraufführung
brachte Händel den „Messias“ in London heraus. Auch hier wieder für einen
wohltätigen Zweck. Und es kam zu regulären Wohltätigkeitsaufführungen
zugunsten des Londoner Findlingshospitals. Als Lord Kinnoul die edle Un­
terhaltung durch das Werk pries, antwortete ihm Händel: „Ich würde bedau­
ern, wenn ich meine Zuhörer nur unterhalten hätte, ich wünschte sie zu
besseren Menschen zu machen“. Der Zauber der Musik sollte sie moralisch
verwandeln. Bei einer der Aufführungen - man weiß nicht, ob er dachte, das
Oratorium sei bereits ans Ende gelangt - erhob sich der anwesende englische
König beim „Halleluja“, eine Sitte, die sich bis heute im englischen Sprach­
raum erhalten hat. Ja, vielleicht ist das „Halleluja“ das musikalische Zauber­
band, das die englische Kultur bis heute zusammenhält, die inoffizielle Hym­
ne der englischsprachigen Welt. In der Passionszeit des Jahres 1759 wohnte
Händel zum letzten Mal einer „Messias“-Aufführung in Covent Garden bei.
Kurz darauf erkrankte er schwer. Händel, der Lutheraner aus der pietistischen
Hochburg Halle, den die englischen Könige aus Hannover nach London geholt
hatten, hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als am Karfreitag zu sterben. Er
wollte sterben in der Hoffnung, mit seinem guten Gott und seinem gnädigen
Herrn und Heiland am Tage seiner Auferstehung vereint zu werden. Fast wäre
ihm sein Wunsch erfüllt worden. Er starb am Karsamstag um acht Uhr in der
Frühe. Sein Barbier James Smith, der bis zum Schluß bei ihm war, berichtet:
„Er starb wie er lebte, als ein guter Christ, mit klarem Bewußtsein seiner
Pflicht gegen Gott und die Menschen und in wahrer Nächstenliebe“.
Beigesetzt wurde er in Westminster Abbey. Über seinem Grab errichtete man
ein Denkmal. Es zeigt Händel mit dem linken Arm auf eine Orgel gestützt,
während er in der rechten Hand ein Notenblatt hält. Auf ihm steht der
Anfang des Larghetto aus dem dritten Teil des „Messias“: „Ich weiß, daß mein
Erlöser lebt“.
Wer ließe sich nicht verzaubern von dem hohen Pathos der Händelschen Mu­
sik! Der „Messias“ ist weit mehr als ein Musikstück aus dem Klassikrepertoire.
Er ist ein Monument der abendländischen Kultur, ein Mythos. Wo man von
einem Beitrag des Protestantismus zur Kultur spricht, da darf der „Messias“
nicht fehlen. Er wurde zum Symbol für die bloße Tätigkeit des Chorsingens
überhaupt und des Gemeinschaftsgeistes, der dadurch gefördert wurde. 1869
fand in Boston eine Aufführung des „Halleluja“ mit 10 000 Sängern und 500
Instrumenten statt. Und im viktorianischen England diente der „Messias“
dazu, die breiten Massen über die Mitgliedschaft im Chor für die christliche
Kultur zu gewinnen und sie religiös-moralisch zu erbauen. Die Zauberkraft
der Musik sollte noch einmal das leisten, was die trockene Predigt nicht
länger vermochte. Wenn wir uns heute hier von Händels Musik verzaubern
lassen, dann allerdings nicht mehr von einer Mammutbesetzung, wie sie für
das bürgerliche Zeitalter typisch war, sondern von einem Ensemble jenes Um­
fangs und mit jenen Instrumenten, die der barocken Entstehungszeit des
„Messias“ entsprechen. Händel begann mit der Niederschrift des „Messias“
am 22. August 1741 und vollendete das Werk am 12. September desselben
Jahres. Das Libretto stammte von Charles Jennens. Das Werk wurde, wohlge­
merkt, im Theater aufgeführt, nicht in der Kirche. Ja, die Kirche hatte wenig
im Sinn damit, Menschen durch ein Oratorium über den Messias zu verzau­
bern. Das Libretto bestand aus Texten des Alten und Neuen Testaments. War
das nicht eine Entweihung der Heiligen Schrift, eine schreckliche Pro­
fanisierung der Bibel, daß man diese Texte dubiosen Musikern, Kastraten und
Komödianten anvertraute? Hieß das nicht Perlen vor die Säue werfen, wenn
man sie vor einem Kreis von Personen zum besten gab, die zwar ständig ins
Theater rannten, um die neuesten Opern im italienischen Stil zu sehen, deren
Kirchenbesuch aber eher lax zu nennen war? Verwechselte man da nicht die
Bühne mit der Kanzel, den Sänger mit dem Geistlichen, den Opern- mit dem
Kirchenchor? Stellte man den Messias nicht auf eine Stufe mit den fiktiven
Gestalten der Mythologie und Dichtung, wenn man ihn zum Helden eines
Oratoriums machte? Zwar versuchte Händel diesem letzten Einwand dadurch
zu entgehen, daß er den Titel „Messias“ auf den Plakaten strich und sich mit
der Bezeichnung „Ein geistliches Oratorium“ begnügte. Aber es war tat­
sächlich seine Absicht, den Hörern außerhalb des kirchlichen Gottesdienstes
den Messias nahe zu bringen. Jeder Einzelne sollte sich in seiner Sehnsucht
nach Erlösung angesprochen fühlen, wenn der Tenor das Oratorium mit den
Worten eröffnete „Tröste dich, tröste dich o Zion“. Jeder Einzelne sollte
verwandelt werden durch den in Noten gesetzten biblischen Text. Hier sollte
nicht der Kirchenbesucher, sondern die gesamte Menschheit von der Kunde
des Messias erreicht und verzaubert werden.
Sich verzaubern lassen. Derzeit lassen sich Kinder und Erwachsene in Scharen
von Harry Potter verzaubern. Auch da blieb eine kirchliche Reaktion nicht
aus. Eine evangelische Kirchengemeinde auf der Schwäbischen Alb verbannte
„Harry Potter“ aus ihrer Bücherei, um die fromme Schar der Gläubigen vor
dem schädlichen Einfluß heidnischer Zauberei zu bewahren. Mit Zauberei im
höheren Sinn hat es aber auch Händels „Messias“ zu tun. Denn natürlich ist
es ein Wunder, von dem er handelt, ein dreifaches Wunder: das Wunder von
Weihnachten, von Karfreitag und von Ostern. Geburt, Tod und Auferstehung
des Messias. Uns geht es heute um das Wunder von Weihnachten, von dem
wir uns Jahr für Jahr aufs neue verzaubern lassen. Von diesem Wunder
handelt der erste Teil des Messias. Der Librettist Jennens hat hier Texte aus
dem Alten und Neuen Testament gegenübergestellt, Texte aus den Propheten
Jesaja, Deuterojesaja, Haggai, Maleachi, Sacharja auf der einen und aus den
Evangelien Matthäus und Lukas auf der anderen Seite. Eine Jahrhunderte alte
Tradition christlicher Auslegung des Alten Testaments hatte die prophe­
tischen Texte als messianische Weissagungen gedeutet, als Voraussagen des
kommenden Messias, der die Welt erlösen wird. An diese Tradition knüpfte
Händels Librettist an, und das ganz bewußt. Denn die Zeit, zu der der „Messi­
as“ entstand, war eine Zeit, in der gerade in England Weissagungen und
Wunder keinen leichten Stand mehr hatten. Es war die Zeit des Deismus, der
ganz im Sinne der Aufklärung das Christentum von allen wunderhaften
Elementen befreien wollte. „Christianity not mysterious“, so lautete ein Werk
des berühmten Deisten John Toland, das er 1696 auf den Markt brachte, zu
deutsch: „Das Christentum ohne Geheimnis“. Das Christentum wurde entzau­
bert. Es büßte seinen wunderhaften, mysteriösen Charakter ein. Für Toland
enthielt es nichts, was an sich unbegreiflich und der Vernunft unzugänglich
wäre. Das Christentum ist durch und durch vernünftig. Tolands Buch war nur
der Anfang einer wahren Flut deistischer Traktate, die an den Pfeilern der
überlieferten Rechtgläubigkeit rüttelten und sie schließlich zum Einsturz
brachten. Das galt auch für die messianischen Weissagungen des Alten Tes­
taments. Es war Anthony Collins, ein Freund des berühmten Philosophen John
Locke, der ihnen den Garaus machte. Keineswegs nämlich beziehen sich die
alttestamentlichen Propheten mit ihren Erwartungen auf den Messias Jesus
von Nazareth. Vielmehr ist es umgekehrt so, daß die neutestamentlichen
Autoren die prophetischen Texte so gedeutet haben, als bezögen sie sich alle­
samt auf Christus. Damit fiel eine altehrwürdige Stütze des Wahrheitsbe­
weises für das Christentums dahin. Man konnte jetzt nicht länger sagen: das
Christentum ist wahr, weil die prophetischen Weissagungen des Alten Tes­
taments sämtlich in der Person des Messias Jesus in Erfüllung gegangen sind.
Das Christentum war entzaubert. Die Aufklärung hatte mit Wundern und
Weissagungen aufgeräumt.
Annexion gefeiert und wie ein ägyptischen Pharao bei der Thronbesteigung
besungen. Jesaja war offenbar von diesem neugeborenen Kind so verzaubert,
daß er in ihm den Retter Israels sah.
Die Entzauberung der messianischen Weissagungen war endgültig. Heute ist
es Gemeinplatz, daß jene prophetischen Texte, die Händels Librettist als
Weissagungen auf den Messias Jesus deutete, keine derartigen Weissagungen
sind. Was immer die Propheten erwarteten, an Jesus von Nazareth dachten
sie nicht. Doch wovon, wenn nicht von der Geburt in Bethlehem, spricht der
prophetische Text, den der Chor soeben gesungen hat? Es handelt sich um
eine Stelle aus Jesaja, Jes.9,5: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist
uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt
Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“. Dem Chor voraus geht
eine Arie, der als Text Jes.9,1 zugrundeliegt: „Das Volk, das im Finstern
wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finsteren
Lande, scheint es hell“. Mit dem Volk, das im Finstern wandelt, meint Jesaja
keineswegs die Menschheit überhaupt, und mit dem großen Licht meint er
nicht den Erlöser der Menschheit. Nein, er hat eine ganz konkrete geschicht­
liche Situation vor Augen, die unter der assyrischen Fremdherrschaft
leidenden Bewohner des Nordreichs, denen er Rettung verheißt. Diese
Rettung verbindet er aber mit der Geburt eines Kindes. Gedacht ist an einen
Thronfolger aus dem Hause Davids in der Hauptstadt des Südreichs, in Jeru­
salem. Von diesem neugeborenen Kind wird - so Jesajas Verheißung Rettung für den unterdrückten Norden ausgehen. Wie bei den Pharaonen in
Ägypten wird dem Thronfolger bereits bei seiner Geburt die Königswürde ver­
liehen. Als Zeichen dafür wird ihm der Königsmantel umgelegt. Denn die
Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und ebenso werden ihm Thronnamen
zugesprochen. So wie etwa der Pharao beim Fest der Thronbesteigung „Kräf­
tiger Stier, geschickt an Plänen“ oder „Groß an Wundern in Karnak“ genannt
wird, so wird der Sproß aus dem Hause Davids als „Wunder-Rat“, also als voll
an gutem Rat und großen Taten bezeichnet. Ja, nicht nur das. Als Statthalter
Gottes hat er teil an der Stärke Gottes und wird dementsprechend als „GottHeld“ tituliert. Als Landesvater denkt man sich ihn mit ewigem Leben ausge­
stattet, so daß er „Ewig-Vater“ genannt wird. Und schließlich sammelt sich
alle Hoffnung auf einen Frieden im Sinne der Befreiung von fremder Be­
satzung in dem Titel „Friede-Fürst“. Jesajas Verheißung bezieht sich also ganz
konkret auf die Geburt eines Kronprinzen aus der Dynastie Davids. Dieser
neugeborene Kronprinz wird als Befreier des Nordens aus der assyrischen
Versteht man den Jesajatext in diesem Sinne, so handelt es sich bei ihm nicht
länger um eine messianische Weissagung, sondern um die Verheißung, daß
der Norden von dem neugeborenen Thronfolger aus dem Hause Davids von
der assyrischen Besatzung befreit werde. Die berühmte messianische Weis­
sagung steht entzaubert da. Doch das hat, selbst als jene Verheißung sich
nicht erfüllte und der Norden nicht befreit wurde, spätere Generationen nicht
daran gehindert, die Verheißung aus ihrem konkreten geschichtlichen Kon­
text zu lösen und neu zu deuten. So kam es schließlich dazu, daß man auch
die Gestalt Jesu im Lichte jener großartigen prophetischen Verheißungen sah.
Das Volk, das im Finstern wandelt, wurde zur verlorenen Menschheit, das
Licht zu Jesus Christus, dem Messias, der sie erlöst. Der Zauber, der sich für
Jesaja mit dem neugeborenen Thronfolger in Jerusalem verband, ging für die
Christen von Jesus aus. War es nicht sein Leben und Sterben, das seine
Anhänger so verzauberte, daß sie in Jesus den Messias sahen? Liegt es nicht
daran, daß auch wir noch unwillkürlich die Jesajastelle auf die Geburt Jesu
im Stall von Bethlehem beziehen? In Händels Oratorium wird diese Stelle aus
dem Propheten Jesaja denn auch verbunden mit der Verkündigung des Engels
an die Hirten in der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums. Beide
Stellen werden auf dasselbe Ereignis bezogen, die Geburt des Messias in der
Krippe. Was der Prophet verheißt, geht Weihnachten in Erfüllung. Im England
Händels bedeutete das Festhalten an dieser alten Deutung auch eine Kritik an
den Deisten und ihrer Destruktion der messianischen Weissagungen. Doch wir
können das jetzt auf sich beruhen lassen und uns dem Zauber hingeben, den
diese Stelle aus dem Propheten Jesaja in ihrer alten christlichen Deutung
erlangt hat. Alle Hoffnung, Sehnsucht und Erwartung, die mit der guten Re­
gierung verbunden waren, die Idee des Friedens, der Weisheit, der Güte und
der Stärke, sah die christliche Gemeinde in der Gestalt des menschge­
wordenen Gottes, des Messias im Stall von Bethlehem verwirklicht. Ist das
nicht Ausdruck der Verzauberung, die die frühen Christen durch die Person
Jesu erfuhren? Und lassen nicht auch wir uns, so distanziert wir bestimmten
Dogmen des christlichen Glaubens auch sonst gegenüber stehen mögen, zu­
mindest an Weihnachten immer wieder verzaubern von dem Messias. Ein
Zauber, der ja noch gesteigert wird durch die musikalische Form, in die
Händel diese Stelle kleidet.
CHOR
„For unto us a child is born“
In der englischsprachigen Welt bürgerte sich die Sitte ein, Händels „Messias“
in der Vorweihnachtszeit aufzuführen. „Tröste dich, tröste dich o Zion“ be­
ginnt der Tenor im ersten Teil, der vom Wunder der Weihnacht handelt. Und
nach der Verkündigung des Engels an die Hirten auf dem Felde singt der So­
pran: „Wohlauf, frohlocke, o Tochter von Zion“. Das erinnert natürlich an eine
andere berühmte Komposition Händels, an das als Adventslied bekannte
„Tochter Zion, freue dich“, das dem geistlichen Oratorium „Judas Maccabäus“
entstammt. Und das wiederum führt mich abschließend zu einem lite­
rarischen Werk, das jenen Zauber, der von Weihnachten ausstrahlt, mit
diesem Lied verbindet. Weihnachten im Hause Buddenbrook in der luthe­
rischen Freien und Hansestadt Lübeck, das klingt so: „‘Tochter Zion, freue
dich!’ sangen die Chorknaben. Diese hellen Stimmen, die sich, getragen von
den tieferen Organen, rein, jubelnd und lobpreisend aufschwangen, zogen
aller Herzen mit sich empor, ließen das Lächeln der alten Jungfern milder
werden und machten, daß die alten Leute in sich hineinsahen und ihr Leben
überdachten, während die, welche mitten im Leben standen, ein Weilchen ih­
rer Sorgen vergaßen. ‘Jauchze laut, Jerusalem!’ schlossen die Chorknaben,
und die Stimmen, die fugenartig nebeneinander hergegangen waren, fanden
sich in der letzten Silbe friedlich und freudig zusammen. Der klare Akkord
verhallte, und tiefe Stille legte sich über Säulenhalle und Landschaftszimmer.
Die Konsulin aber schritt langsam zum Tische. Sie zog die große Bibel heran.
Dann schob sie die Brille auf die Nase, öffnete die beiden ledernen Spangen,
mit denen das kolossale Buch geschlossen war, und begann das Weih­
nachtskapitel zu lesen. Sie las die altvertrauten Worte langsam und mit
einfacher, zu Herzen gehender Betonung, mit einer Stimme, die sich klar, be­
wegt und heiter von der andächtigen Stille abhob. ‘Und den Menschen ein
Wohlgefallen!’ sagte sie. Kaum aber schwieg sie, so erklang in der Säulen­
halle dreistimmig das ‘Stille Nacht, heilige Nacht’“. Da ist er, der Zauber von
Weihnachten, der Zauber, der vom Messias ausgeht. Nicht nur zu Händels
Zeiten, nicht nur um 1900, sondern auch heute noch, hundert Jahre später.
Lassen wir uns also verzaubern. „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist
uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt
Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“. Amen.
GEMEINDE
EG 7, 1-7 O Heiland reiß die Himmel auf
FÜRBITTEN, VATERUNSER, SEGEN
Herr, unser Gott,
wir preisen deine unergründliche Liebe,
mit der du uns entgegenkommst.
Dein Licht scheint in unsere Finsternis.
Du hast dich erniedrigt, um bei uns zu sein.
Du erbarmst dich über uns
und machst uns zu Bürgern unseres Reiches
und zu Miterben deiner Herrlichkeit.
Wir bitten dich:
Herrsche in unseren Herzen, und regiere unsere Gedanken.
Bringe die Völker unter die Herrschaft deines Friedens.
Laß Gerechtigkeit wohnen,
wo jetzt noch Angst und Gewalt regieren.
Laßt uns zum Herrn bitten:
CHOR
„Glory to God in the highest“
Gestaltung des Gottesdienstes:
Prof. Dr. Jan Rohls (Predigt und Liturgie)
Dr. Christina Hoegen-Rohls
Felix Nicolai Rohls
Rüdiger Kronthaler
KMD Holger Boenstedt
Markus-Chor München
Orchester „La Banda“ auf Originalinstrumenten
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