12 Wir HOLZBAUER FRÜHER STALL, HEUTE BÜRO In mehr als 150 Jahren ist das Hammergut zu einem stattlichen Gutshof gewachsen. Heute verbindet die Umnutzung Vergangenheit und Moderne. Wo einst Pferd und Kalb Unterschlupf fanden, arbeiten heute Menschen in einem Grossraumbüro. Altbauten wurden saniert und Neubauten an den baulichen Kontext angepasst. TEXT SANDRA DEPNER, PD | FOTOS PIRMIN JUNG – INGENIEURE FÜR HOLZBAU | PLÄNE EM2N ARCHITEKTEN Oberhalb der Villa Hammer in Cham liegt das geschichtsträchtige Hammergut. Mehr als 150 Jahre ist der Gutshof alt, der jetzt im Rahmen einer Umnutzung Alt- und Neubau raffiniert kombiniert. Im Vordergrund der Baumassnahmen stand, den Charakter und das Bild des Gutsbetriebs beizubehalten. Das ist den verantwortlichen Planern und Ingenieuren gelungen, denn das modernisierte Hammergut ist immer noch tief in seiner Vergangenheit verwurzelt. Nicht zuletzt ist das heutige Anwesen das Ergebnis intensiver und guter Zusammenarbeit zwischen Architekten, Holzbauern und Holzbauingenieuren; dies gilt insbesondere bei Umbauten dieser Dimension, die nicht zu 100 Prozent geplant werden können. Bei dem 1854 erbauten Gutshof handelt es sich um eine ganz besondere landwirtschaftliche Hofanlage für die Schweiz. Anders als viele anderen Bauernhöfe, die mit der Zeit unkoordiniert gewachsen sind, wurde dieser Hof wie auf dem Reissbrett geplant und gebaut. Wo zunächst nur Wohnhaus, Scheune und Nebengebäude standen, fügten sich peu à peu Waschhaus, Heuschober, Trotte und viele andere Gebäude harmonisch in das Ensemble ein. Keine wie wild durcheinander gewürfelten Häuser, Ställe und Das Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz AUSGABE 4.2016 BAUEN Altbau trifft Neubau: Sorgsam wurde bei den Arbeiten des Hammerguts bei Cham der historische Charakter gewahrt – dank Kooperation aller Beteiligter am Projekt. 13 14 Wir HOLZBAUER Das Verbandsmagazin von Holzbau Schweiz Zeitreise: Die Entwicklung eines Musterhofs von 1854 bis zur Umnutzung 2014. 1854 1870 1881 Hütten auf dem Gelände, sondern ein wohldurchdachter Landwirtschaftsbetrieb mit Gutshaus und grossem Innenhof, der umgeben von den anderen Betriebsgebäuden und Ställen wie ein kleiner Dorfplatz wirkt. Bei den Baumassnahmen ist diese bauliche Struktur erhalten geblieben; Altbauten wurden saniert, der Gutshof ist nach wie vor das historische Zentrum des Hammerguts und Neubauten ersetzen in ähnlicher Positionierung und vergleichbaren Volumen die alten Gebäude. Stein und Holz als traditionelle Materialien spielten bei den Arbeiten bereits bei den alten Bauten eine wichtige Rolle und so auch jetzt beim Neubau – im Austausch mit der örtlichen Denkmalpflege. Die Akteure Der Umbau des Hammerguts zu einem neuen Quartier hat insgesamt 27 Mil- 1895 Der ehemalige Kälberstall ist heute ein Grossraumbüro. Erhalten ist der historische Dachstuhl, der saniert und verstärkt wieder zum Einsatz kommt. lionen Schweizer Franken gekostet. Die historischen Gebäude dienen heute als Büros oder Wohnungen. Platz für rund 40 neue Wohnungen bieten auf dem weitläufigen Gelände des Hammerguts die Neubauten. Bis die ersten Baumassnahmen 2014 abgeschlossen werden konnten, war es ein weiter Weg. Bereits 2005 ging das Projekt des Zürcher Architekturbüros EM2N als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Von 2009 bis 2013 dauerte die Planungsphase, 2011 wurden mit den ersten Baumassnahmen begonnen. Bauherr und Bauleitung ist die Immobilienfirma Hammer Retex. Die Ingenieursarbeit für den Holzbau lieferten Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau AG – ausgeführt wurden die Arbeiten von Fridli Holzbau aus Linthal. Altbau: die Geschichte erhalten Dachaufsicht des Hammerguts. N 0 50 Im südlichen Teil des Grundstücks wurden vier bestehende und zum Teil schützenswerte Gebäude saniert − unter anderem zwei Bauten, die eindrücklich zeigen, was Umnutzung bedeutet: Wo einst Pferde und Kälber unterstanden, stehen heute Schreibtisch und Computer. Aus Stall und AUSGABE 4.2016 1898/99 BAUEN 1912/18 Die Neubauten sind Massivbaukonstruktionen mit grossf lächiger Dachkonstrukion und vorgehängter Schalung aus Holz. Scheune wurden Büros, das alte Verwalterhaus und das ehemalige Waschhaus sind heute Wohnbauten. Milchproduktion, Ackerbau und insbesondere die Pferdezucht hatten eine grosse Tradition auf dem Gut der HammerDynastie. In den 1970ern setzte das Hammergut in der industrialisierten Landwirtschaft und Kalbsmast mit rund 400 Tieren neue Massstäbe. For- 2005 2014 Die Fassade aus Schweizer Weisstanne ist mit einer Vorvergrauungslasur behandelt, die abschnittsweise den Farbton wechselt. scher, Lehrlinge und Bauern sind nach Cham gereist, um sich dort inspirieren zu lassen. Bei den Baumassnahmen zur Umnutzung sollte nur so viel wie nötig erneuert werden, um die erhöhten Anforderungen an die Nutzung und Langlebigkeit zu gewährleisten. Das noch gut erhaltene Primärtragsystem wurde deshalb durch neue Sekundär- HAMMERGUT Das Objekt: historischer Bauernhof bei Cham (ZG) Umnutzung/Umbau, Neubau und Sanierung Grösse: 7000 m2 Bauherrschaft und Bauleitung: Hammer Retex AG, Cham Holzbauingenieur: Pirmin Jung Ingenieure für Holzbau AG, Rain (LU) Holzbau: Fridli Holz, Linthal Architekt: EM2N Architekten ETH/SIA, Zürich Projektwettbewerb: 2005 (1. Platz) Planung: 2009 bis 2013 Bauzeit: 2011 bis 2014 Kosten: 27 Millionen Franken bauteile wie Dächer- und Deckenkonstruktionen ergänzt. Die beiden Tierställe weisen Primärbinder als Fachwerkträger auf. Um den gestiegenen Lasten und Anforderungen gerecht zu werden, mussten die Fachwerke zusätzlich verstärkt werden, was zum grössten Teil mit einer sehr subtilen Vernagelung der Knoten erfolgte. Heute präsentiert sich der Kälberstall als hoher Raum mit grosszügiger Galerie. In dem Grossraumbüro sieht man auf den ersten Blick nicht allzu viel von seinem Ursprung. Doch wenn die Augen nach oben zur Decke wandern, taucht die Geschichte des Kälberstalls wieder auf: Der historische Dachstuhl ist erhalten geblieben. Er wurde während der Bauzeit abgetragen, saniert und verstärkt wieder aufgestellt. Für die Altbauten wurden druckimprägnierte Schalungsbretter in einem Braunton gewählt – im Gegensatz zur Verwendung bei den Neubauten von Kälberstall und Pferdescheune jedoch als Deckleistenschalung. Punkthaus, Wagenschopf und 15 AUSGABE 4.2016 BAUEN Die historische Anordnung der auf dem Anwesen verteilten Gebäude ergibt stimmungsvolle Hofräume. Kälberstall sind mit einer Aussendämmung versehen. Neubau: der Gegenwart angepasst Im nördlichen Teil des Grundstücks sind sieben dreigeschossige Neubauten entstanden: vier Gebäude in Massivbau mit vorgehängter Holzkonstruktion mit Holzschalung und drei Gebäude in Sichtbeton. Gemeinsam haben alle eine grossflächige und stützenfreie Dachkonstruktion in Holz. Die neuen steinernen Gebäude stehen im Zentrum der Anlage um die historischen und neuen Rampenanlagen. Drei der neuen Wohngebäude wurden mit einer zeitgemäss interpretierten Holzbretterschalung verkleidet. Die heute als Büro ausgelegte ehemalige Obstscheune überspannt das Dachgeschoss mit einer stützen- und pfettenfreien Zeltdachkonstruktion von über 15 Metern. Die Kräfte werden hierbei über die Dachscheibe auf die Giebelwände eingeleitet. Die abgesetzt montierte Hinterlüftungslattung ist mit JustierDistanzschrauben direkt ohne zusätzliche Konstruktion in die Massivbauwand befestigt. Die Neubauten wurden mit einer Holzfassade in Schweizer Weisstanne erstellt. Die Ausrichtung Lageplan des Hammerguts. wechselt zwischen den Fenstern von der Vertikalrichtung zu einer Horizontalschalung. Dabei sind die vertikalen Bereiche vor der horizontalen Schalung versetzt, um den Stossübergang witterungstechnisch sauber zu lösen. Die Stossanordnung ist so gelegt, dass der untere Übergang der Schalungsorientierung mit den Fensterbänken übereinstimmt. Die nahezu astfreien Bretter sind mit einer Vorvergrauungslasur behandelt, die zwischen den 17 N 0 250 Gebäuden im Farbton leicht wechselt und die natürliche Vergrauung des Holzes vorwegnimmt. Die Befestigung der Bretter erfolgte nicht sichtbar. Als Kompensationsmassnahme wegen der unterschrittenen Gebäudeabstände ist der Hinterlüftungshohlraum jeweils geschossweise abgetrennt. Kombiniert mit der geschlossenen Schalung kann so ein Feuerüberschlag wirkungsvoll vermindert werden. 1:10 CHRONOLOGIE 1827: Bau der Villa Hammer. 1854: Oberhalb der Villa wird das Hammergut als Vorzeigebauernhof konzipiert und gebaut. 1912: Die Papierfabrik «Papieri» kauft das Hammergut. Milchwirtschaft, Viehzucht und Ackerbau machen das Hammergut zu einem der bedeutendsten Bauerhöfen der Umgebung. 1973: Das Hammergut wird von der Immobilienfirma Industrieholding Cham übernommen. Industrialisierte Landwirtschaft und Mastbetrieb setzen neue Massstäbe in der Branche. 2014: Rund zehn Jahre nachdem der Gutsbetrieb eingestellt wurde, ist auf dem Hammergut eine grosse Überbauung entstanden, die im Rahmen einer Umnutzung Wohn- und Gewerberaum in Alt- und Neubau bietet.