Wien, 21. Juni 2016 21er Haus Museum für zeitgenössische Kunst Quartier Belvedere Arsenalstraße 1 1030 Wien Pressedownloads: 21erhaus.at/presse Rückfragehinweis: Julia Aßl, 21er Haus +43 1 795 57 185 [email protected] Herbert Kreuzeder, TU Wien +43 1 58 801 410 23 herbert.kreuzeder@t uwien.ac.a t 21er Pavillon 2016: Leben in der Wand, © Belvedere, Wien, Foto: Julia Wagner 21er PAVILLON 2016: Leben in der Wand Belebungszeitraum: 22. Juni bis 23. Oktober 2016 Wie kann Wohnraum optimal genutzt werden? Welche räumlichen Voraussetzungen sind heute maßgeblich, um günstig und angenehm zu wohnen? Wie wirken sich neue Grundbedürfnisse der Menschen in Krisenzeiten auf die Architektur von temporären Behausungen wie Notunterkünften, den sozialen Wohnbau oder auf die Revitalisierung von Altbau in den Städten aus? Braucht es einen Paradigmenwechsel in der Wohnbauauffassung? All diesen Fragen geht das diesjährige Pavillon-Projekt Leben in der mit Studierenden der TU Wien nach. Die „Wand“ als konstruktives sollte im finalen Entwurf innovativ und neu interpretiert werden. Das Sommermonate im Tiefhof des 21er Haus zu besichtigen und Wand in Zusammenarbeit und funktionales Element Resultat ist nun über die vor allem zu begehen. Leben – Wohnen – Aneignen Die Besucher haben auch die Möglichkeit das aktive Gespräch mit dem Entwickler des Pavillons zu suchen, da dieser den Pavillon während des Belebungszeitraumes im Juni/Juli auch tatsächlich bewohnen wird. Abgerundet wird das Projekt durch öffentliche Vorlesungen, Performances, und Veranstaltungen. Der Pavillon bietet Gelegenheit zum Verweilen und zur Auseinandersetzung mit den vielfältigen Möglichkeiten zur Nutzung von begrenztem Lebensund Wohnraum in der Stadt. „Es geht nicht darum, ob Architektur Kunst ist, sondern darum, in welchem Verhältnis die Ideen von Architektur mit jenen der zeitgenössischen Kunst in einen Dialog eintreten“ erklärt Harald Krejci, Kurator der 21er Pavillon Reihe, und verweist auf die bewegte Vorgeschichte des Gebäudes von Karl Schwanzer, welches das heutige 21er Haus beherbergt: „Vom Weltausstellungspavillon zum Kunstmuseum – keine leichte Aufgabe für einen Pavillon, aber gerade darin liegt die Charakteristik jener Architekturgattung, die per definitionem in ihrer Funktion und Charakteristik offen angelegt ist und im 21er Pavillon bereits zum zweiten Mal nach 2014 beispielhaft umgesetzt wird.“ Das Projekt wird von den Architektur-Studierenden - Rafael Baumgartner, Bibiana Hernandez, Lisa Jindra, Daniel Kruml, Aaron Merdinger, Bekim Morina, Franziska Peters, Marius Till und Julia Wagner - unter der Leitung von Christine Hohenbüchler (Leiterin des Instituts für Kunst und Gestaltung, Zeichnen und visuelle Sprachen) und Architekt David Calas (Lektor in der Abteilung Wohnbau und Entwerfen) von der TU Wien umgesetzt. Aktuelle Informationen und Termine unter: www.facebook.com/LebeninderWand #lebeninderwand Museum und Architektur: eine Geschichte oder ein Erlebnis? Harald Krejci (Chefkurator 21er Haus, Kurator 21er Pavillon) Das Gebäude von Karl Schwanzer, welches das heutige 21er Haus beherbergt, ist von seiner bewegten Geschichte geprägt. Auf der Expo in Brüssel 1959 wurde der österreichische Glaspavillon von der Presse gefeiert und mit dem Grand Prix d’Architecture ausgezeichnet. Wirtschaft und Politik waren sich damals einig, den Bau weiterverwenden zu wollen, und so wurde im Schweizergarten unter der Direktion von Werner Hofmann das erste Museum moderner Kunst Wiens gegründet. Der nach Wien transferierte Pavillon musste dafür jedoch adaptiert werden: Das Erdgeschoss wurde vom Architekten geschlossen, dennoch wurde der Charakter des schwebenden quadratischen Obergeschosses als Rundgang mit Balustrade und freiem Blick ins Erdgeschoss bewahrt. Mit dem Einzug der zeitgenössischen Sammlung und des Ausstellungsbetriebs des 21er Haus als Teil des Museums Belvedere erlebte das Gebäude durch den Architekten Adolf Krischanitz einen weiteren Umbau. Diese unvollständige Vorgeschichte könnte noch um viele spannende Details der Planung und der Adaption eines temporären Ausstellungsgebäudes erweitert werden. Eine Geschichte, die sowohl kultur, als auch architekturhistorisch äußerst spannend ist. Vor allem weil der Bau ein gelebtes und bewegtes Stück Architektur im wahrsten Sinne des Wortes darstellt. War es im Brüsseler Pavillon u. a. noch mit einem Kindergarten während der Expo 1959 bespielt worden, musste das Gebäude dann in Wien den sich ändernden musealen Anforderungen eines internationalen Kunstbetriebs gerecht werden. Keine leichte Aufgabe für einen Pavillon, aber gerade darin liegt die Charakteristik jener Architekturgattung, die per definitionem in ihrer Funktion und ihrer Charakteristik offen angelegt ist. Architektur ist auch immer als Aneignung eines Raums und damit auch per se als soziales Gebilde anzusehen. Mit dem längerfristigen Projekt 21er Pavillon als Teil der Ausstellungsaktivität des 21er Haus nimmt auch die Auseinandersetzung mit Architektur wieder einen wichtigen Platz ein. Mit dem Pavillon 2014, einer Kooperation mit der Technischen Universität Wien sowie mit Kristina Schinegger und Stefan Rutzinger von soma architecture, zog erneut die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kernfragen der Architektur ins 21er Haus ein, nun wird diese mit dem Kooperationsprojekt Leben in der Wand weitergeführt. Die Studentinnen und Studenten der TU Wien stellten sich unter der Leitung von Christine Hohenbüchler und David Calas der Auseinandersetzung mit temporärer Architektur, den Fragen nach der Präsentation von architektonischen Prozessen in einem Museum und nach dem Erlebnis von Architektur selbst und setzten gemeinsam eine Idee um. Spannend war die Beschäftigung damit, wie denn eine planerische Idee konzipiert, belebt, diskutiert und dann vom Publikum vereinnahmt werden kann, sobald sie in einem musealen Kontext als 1:1-Modell erlebbar wird. Dass Architektur ein lebendiger Prozess ist, scheint damit vor allem in einem Museum erneut erfahrbar. In der heutigen Zeit, in der die performativen Künste den Kontext des Museums hinterfragen und die bildende Kunst sich das Museum mit neuen Themen und Formaten aneignet, kann auch die Auseinandersetzung mit der Architektur innerhalb des Kunstmuseums erneut Fragen aufwerfen, wie wir im Kunst-Raum miteinander agieren und ob wir den Prozess von Veränderung innerhalb des Kunstbetriebs ernst nehmen. Es geht nicht darum, ob Architektur Kunst ist, sondern darum, in welchem Verhältnis die Ideen von Architektur mit den Ideen der zeitgenössischen Kunst in einen Dialog eintreten. 21er Pavillon 2016: Leben in der Wand, Foto: © Belvedere, Wien Das Neue kommt von den Rändern Christian Kühn (Studiendekan für Architektur und Building Science, TU Wien) Architekten. Lauter Trottel. Vergessen immer die Treppen. So spitzt Gustave Flaubert im Wörterbuch der Gemeinplätze ein Grundmisstrauen gegen die Architektur zu, das uns bis heute verfolgt. Reflexartig bemühen sich die Architekturschulen, nur ja keine Trottel auszubilden, und überfrachten Ihre Studienpläne gern mit detailliertem Wissen, das angesichts neuer Materialien, Methoden und Techniken immer nur lückenhaft sein kann. Sinnvoll ist dieser Ansatz insofern, als er den Architekturstudierenden klar macht, dass Architektur eine komplexe Angelegenheit ist, dass sie auf die Kooperation mit anderen Fachleuten angewiesen ist, und dass die Studierenden ihr Leben lang Wissenslücken stopfen werden, ohne damit je zu einem Ende zu kommen. Mindestens genauso wichtig ist es, Architekturstudierende in Situationen zu bringen, in denen die üblichen Gemeinplätze der Architektur, der sichere Boden der idealisierten Übereinstimmung zwischen Form, Funktion und Konstruktion nicht mehr oder nur sehr bedingt von Bedeutung ist. Leben in der Wand ist schon als Begriff eine solche Herausforderung. Ist nicht die Trennung von Figur und Grund, von bewohnbarem und nicht bewohnbarem Raum eine unzweifelhafte Voraussetzung jeder Architektur? Da erinnert man sich dunkel an die Grundrisse barocker Schlösser mit ihren Raumfluchten und den verborgenen Gängen in ihren Mauern, auf denen Liebhaber und Dienstboten zu ihren Auftritten durch Tapetentüren huschten. Ist das Leben in der Zwischenwelt vielleicht aufregender als in den hellen kartesianischen Schachteln, in denen das offizielle Leben vor sich geht? Die Projekte, die beim Entwerfen über das Leben in der Wand entstanden sind, zeigen, dass sich die Beschäftigung mit solchen Fragen lohnt. Ich freue mich, dass unsere Fakultät mit diesem Entwerfen nun schon den zweiten Auftritt im 21er Haus hat und ich danke allen Beteiligten in beiden Institutionen, die dazu beigetragen haben. Vor allem danke ich den Studierenden, die sich auf dieses Projekt an der Grenze zwischen Kunst und Architektur eingelassen haben. Von solchen Manövern an den Rändern der Disziplinen dürfen wir uns Neues erwarten. Leben in der Wand – Eine realisierte Haltung David Calas (Abteilung Wohnbau und Entwerfen, TU Wien) Eine Installation im 21er Haus mit Studierenden zu konzipieren und zu realisieren ist an sich eine tolle Erfahrung. Diese mit urbanem Leben zu füllen und in einen belebten Bereich über die Sommermonate zu verwandeln – eine große Herausforderung. Ein vielschichtiges Team aus Studierenden, einem Kurator und Betreuern standen dieser Aufgabe gegenüber. In Arbeitsgruppen eingeteilt, wurde gemeinsam am Bewohnen und Beleben der Installation gearbeitet. Ausgangspunkt der Installation ist die Kritik an der aktuellen Wohnauffassung sowie die Infragestellung der wohnraumbildenden Elemente. Sich dem Thema Wohnen zuzuwenden beinhaltet eine Reihe stereotypischer Handlungsweisen, die mit den Rollenbildern von Wohnraum eng verknüpft sind. Diese beruhen stets auf geschichtlich-baukulturell gewachsenen Umständen, die in der heutigen Gesellschaftsentwicklung teilweise nicht mehr nachvollziehbar sind. Die gesellschaftlichen Notwendigkeiten stellen den Wohnraum vor große Herausforderungen und bieten gleichzeitig einen fruchtbaren Boden für neuinterpretierte Paradigmen. Dabei liegt die Herausforderung nicht ausschließlich in der kritischen Haltung zum „Wohnen“, sondern im Ausdruck der realisierten Installation und dessen Bespielung, wie es bei Leben in der Wand der Fall ist. Die Konzeption und Ausführung der lebendigen Wand zielt auf die Erzeugung von gesellschaftlichem Mehrwert ab, um den Nutzen raumbildender Elemente weiterzudenken. Die Wand als wichtiges Element der Wohnbauproduktion, die sich seit dem Bestehen der Baukultur kaum verändert hat, rückt dabei ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Abstraktion dieser, füllt das Innenleben der Installation mit einem Programm, wodurch ein Wohn-, Aufenthalts- und Lebensraum geschaffen wird. Die Installation stellt sich darüber hinaus die Frage, wie sich städtisches Leben im kleinen Maßstab initiieren und verwirklichen lässt. Welche Impulse gegeben werden müssen, um einen Aneignungscharakter hervorzurufen? Auf diese Fragen reagiert die Installation mit einem vielschichtigen Programm, um urbanes Leben anzuziehen. Der definierte Rahmen beinhaltet konkrete Anziehungsevents, bleibt jedoch „formbar“ hinsichtlich willkommener Aneignungen von außen. Die Raumkomponente spielt dabei eine zentrale Rolle und gibt dem Projekt eine starke Haltung im städtischen Umfeld. Der öffentliche Raum sowie der private Raum werden mit der Installation Leben in der Wand aufeinander abgestimmt und sehen sich dabei als Ergänzung im belebten Aneignungsraum des 21er Haus. Wie man wohnt Christine Hohenbüchler (Institut für Kunst und Gestaltung 1, TU Wien) Kann es eine künstlerische Annäherung an diese Frage geben, die gesellschaftlich und politisch immer mehr an Bedeutung gewinnt, wie gerade jetzt, wo Ressourcen knapp und Raum zum Leben zu einem essentiellen Gut werden? Was ist noch leistbar, wie viel Raum kann ich bekommen und wie viel steht mir tatsächlich zur Verfügung. Es fehlt immer ein Zimmer, damit müssen wir umgehen lernen. Wo bringe ich die Kleidung, die Bücher, die Kinder unter, oder lebe ich doch lieber mit meinen Freunden, das geht finanziell leichter. Durch das „Ankommen“ wird uns wieder so richtig bewusst, was Wohnraum überhaupt bedeuten kann. Für alle jungen Leute, die sich ihre Existenz aufbauen müssen, diejenigen, die fliehen mussten, stellt sich die Frage: Wo gibt es das „leistbare Wohnen“? Das Leben in der Wand, wie eine schlecht geplante Fiktion? Ist es der Raum der wirklich notwendig ist? Einige Quadratmeter zum Schlafen, Essen, Duschen und der Toilette. Das Abdecken der wesentlichsten Grundbedürfnisse. Darf es weniger sein? Geht das Fenster noch etwas kleiner und das Bett, muss es 2 m lang sein, würden 180 cm nicht reichen? Ein Experiment, das einen heißen Sommer lang das Leben in der Gründerzeitwandbreite forciert, bis der Lagerkoller kommt und das Leben auf so engem Raum fast unwahrscheinlich erscheint. Wie vielen Menschen geht es jetzt so? Sie müssen durchhalten und bei jedem Ortswechsel stellt sich die Frage nach einem ordentlichen Bett. Die große Sehnsucht nach dem Dach über dem Kopf, sich einfach hinlegen und schlafen. Etwas Schatten abbekommen und eine kühlere Brise, ein fließendes Wasser oder doch ein kleines Bad einbauen, was geht sich noch aus? Kein smartes Wohnen, ein leistbares Leben. Wer gibt schon gerne zu, dass er oder sie sich das Wohnen kaum mehr finanzieren kann. Also noch weniger Quadratmeter. Ein Tisch, ein Bett, die Wand - kann mich jemand besuchen kommen? Ich drehe mich um, das Fenster, ja das geht gerade noch auf, leider nur nach Osten, hier bekommen wir die Sonne am Morgen. Im Winter wird es schnell dunkel in der Wohnung. Da der Raum klein ist, bleibt es relativ gut warm. Wir müssen hinaus, wir brauchen Luft, Licht, Freiraum! Ja, wir schaffen es!