KAPITEL 8: WIRTSCHAFTSPOLITISCHE MASSNAHMEN UND

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KAPITEL 8
KAPITEL 8: WIRTSCHAFTSPOLITISCHE
ZIELKONFLIKTE
MASSNAHMEN
UND
Gliederung
8.1
8.2
Wirtschaftspolitische Massnahmen für einzelne Problembereiche
Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld von Inflation und Arbeitslosigkeit
8.1
Wirtschaftspolitische Massnahmen für einzelne Problembereiche
8.1.1 Steigerung des BIP
Eine Steigerung des BIP wird aus verschiedenen Gründen angestrebt. Neben
einer Erhöhung des materiellen Wohlstands spielt etwa eine Verringerung von
Verteilungskonflikten oder eine Verringerung von Arbeitslosigkeit eine wichtige
Rolle.
Reales BIP
Boom
Abb. 8.1:
Wirtschaftswachstum und
Konjunkturschwankungen
Fluktuationen - idealisiert
Rezession
Boom
Rezession
Boom
W
hs
ac
m
tu
d
fa
sp
Laufendes BIP
Langfristiger Trend
Zeit
Abb. 8.1: Wirtschaftswachstum und Konjunkturschwankungen (idealisierte
Darstellung)
Abbildung 8.1 stellt die Entwicklung des BIP eines Landes schematisch dar
(Vgl. Abschnitt 4.3). Während das BIP sich langfristig auf einem
Wachstumspfad bewegt, kann es kurzfristig zu Schwankungen in der
Entwicklung kommen, die als Konjunkturzyklen bezeichnet werden. Diese
beiden Phänomene können in jeder Volkswirtschaft beobachtet werden. Sie
lassen sich grundsätzlich durch Konjunkturpolitik (kurzfristig) oder durch
Wachstumspolitik (langfristig) steuern.
Konjunkturpolitik
Kurzfristig starke Veränderungen des BIP nach oben und unten sind zu
vermeiden. Eine starke kurzfristige Steigerung des BIP beispielsweise führt in
der Regel zu einem Anstieg des Preisniveaus (Inflation). In der Folge kann
sich die reale gesamtgesellschaftliche Nachfrage verringern und es kann zu
einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums oder gar zu einer absoluten
Verringerung des BIP (Rezession) kommen.
Um negative Auswirkungen auf das Preisniveau und die Beschäftigung zu
vermeiden, sollte sich die Wirtschaftspolitik darum bemühen, die
1
DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL
Konjunkturschwankungen zu „glätten“. Dies kann beispielsweise dadurch
erreicht werden, dass die Staatsausgaben in Zeiten einer Rezession erhöht
und in einer Boomphase zurückgefahren werden (vgl. Multiplikatoranalyse in
Kapitel 4.4). Ein weiteres Mittel der Fiskalpolitik wäre das Verringern bzw.
Erhöhen von Steuern, speziell der Einkommenssteuer.
Wachstumspolitik
Im Gegensatz zur Konjunkturpolitik zielt Wachstumspolitik auf eine Steigerung
des maximal erreichbaren BIP in einer Volkswirtschaft ab. Man spricht hier
auch vom „potentiellen BIP“. Eine solche Steigerung bedeutet, dass die
Transformationskurve langfristig nach aussen verschoben wird.
Determinanten für Wirtschaftswachstum
Abb. 8.2:
Determinanten des
Wirtschaftswachstums
Produktionsfunktion: y = f (Faktor 1, Faktor 2, ...)
∆
∆
y
Faktormenge
f
∆
Faktorqualität
(Innovation)
∆
Preise
∆
Institutionen
Abb. 8.2: Determinanten des Wirtschaftswachstums
Wie in Grafik 8.2 schematisch dargestellt (vgl. auch Kapitel 4.3), kann eine
Verschiebung der Transformationskurve über die Veränderung der
eingesetzten Mengen an Produktionsfaktoren (etwa Arbeit, Kapital, Wissen,
...), der Qualität der Produktionsfaktoren oder die Veränderung der zur
Produktion eingesetzten Technologien (Verschieben der Produktionsfunktion f
durch Innovation) erreicht werden. Entsprechende Politik-Massnahmen
können etwa sein:
•
•
•
Infrastrukturpolitik, d.h. die Verbesserung der Produktionsmöglichkeiten durch bessere Infrastruktur (Bsp: Ausbau der
Kommunikations- und Transportnetze).
Bildungspolitik, d.h. die Verbesserung der Qualität des Faktors
Arbeit durch den Ausbau der Bildungsinstitutionen.
Geldpolitik in dem Sinn, dass der Produktionsfaktor „Kapital“ durch
eine nachhaltige Verbesserung der Zinsstruktur vergrössert wird.
(Zinsen werden auf ein dauerhaft tieferes Niveau gebracht).
2
KAPITEL 8
8.1.2 Aussenhandel
Ein weiteres wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel ist es, die Ertragsbilanz
soweit wie möglich ausgeglichen zu halten. Dies wird über den
Zusammenhang zwischen der Zahlungsbilanz und dem Wechselkurs
begründet. Ein Überschuss in der Zahlungsbilanz führt nämlich zu einer
Aufwertung der eigenen Währung, was negative Folgen für die Exportindustrie
haben kann.1 Ein Defizit in der Zahlungsbilanz ist hingegen ein Zeichen für
Devisenabflüsse und kann mittel- bis langfristig zu einer internationalen
Zahlungsunfähigkeit führen.
Letzteres ist von Bedeutung in der Diskussion um die Schuldenkrise der
Entwicklungsländer. Um die in diesem Zusammenhang diskutierte
Importabhängigkeit der Entwicklungsländer abzuschwächen, lassen sich zwei
Strategien anführen:
• Exportförderung
durch
Subventionierung
bestimmter
Industriezweige.
• Importsubstitution durch Errichten von Zollmauern.
Beide Strategien sind allerdings aus folgenden Gründen nicht unumstritten:
• Es ist schwierig, jene Branchen zu finden, welche gefördert werden
sollen.
• Beide Mechanismen funktionieren nur, wenn die Handelspartner
keine Gegenmassnahmen ergreifen (Zölle, Subventionen).
• Damit die eigenen Produkte wettbewerbsfähig werden, müssten die
Begünstigungen für die betreffenden Industriezweige nach und
nach wieder abgebaut werden. Genau dies wird zumeist durch
intensives Lobbying der begünstigten Unternehmen verhindert.
8.1.3 Inflation
Massnahmen zur Dämpfung von Inflation wurden bereits in Kapitel 6.3
diskutiert. Abschnitt 8.2 geht ausführlicher auf eventuelle Zielkonflikte
zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit ein.
Deswegen sei hier nur auf ein Beispiel für einen typischen Zielkonflikt
zwischen Inflationsbekämpfung und der Förderung von Wachstum verwiesen:
Einem Ansteigen des Preisniveaus infolge von steigender Auslandsnachfrage
solle mit einer kontraktiv ausgerichteten Geld- oder Fiskalpolitik
entgegengewirkt werden. Dies kann die Förderung von Wirtschaftswachstum
behindern. Wenn der Staat zum Beispiel im Zuge einer kontraktiven
Ausgabenpolitik die Ausgaben für Infrastruktur oder Bildung verringert,
gefährdet dies die Aussichten auf ein höheres Wachstum in der Zukunft.
Allerdings wird Inflationspolitik faktisch meistens durch regelgebundene
Geldpolitik betrieben. Die SNB z.B. geht von einem Inflationsziel von 1%-2%
aus. Dieses Inflationsziel versucht sie durch die Beeinflussung der
Marktzinssätze über die Leitzinsen, oder über die Mindestreservesätze, die sie
den Geschäftsbanken vorschreibt, zu erreichen. Es sei daran erinnert, dass
sich der nominale Zinssatz aus dem realen Zins zuzüglich der Inflationsrate
ergibt.
Wenn die Inflation zunimmt, dann reagiert die Nationalbank in der Regel durch
eine überproportionale Anhebung der Leitzinssätze. Durch diese Anhebung
wird die im Umlauf befindliche Geldmenge reduziert und damit entfällt die
Alimentation der Inflation.
1
Die Begriffe „Zahlungsbilanzüberschuss“ und „Zahlungsbilanzdefizit“ sind irreführend, da
die Zahlungsbilanz an sich per Definition ausgeglichen ist. (Vgl. Kapitel 5.1 Zahlungsbilanz.)
Wenn also diese Begriffe im folgenden verwendet werden, dann beziehen sie sich auf die
Zahlungsbilanz abzüglich der Veränderungen in einer (hypothetischen) Devisenbilanz, wie sie
in einem fixen Wechselkurssystem existieren.
3
DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL
Die Zinserhöhung kann allerdings kontraproduktiv im Hinblick auf das Ziel
sein, eine Rezession zu überwinden bzw. im Hinblick auf das Ziel, die
Nettoexporte zu erhöhen. Höhere Realzinsen verringern nämlich die
Investitionen und die Nettoexporte.
Zinssatz und Investitionen
Der reale Zinssatz beeinflusst die Kosten eines Investitionsprojekts, das mit
Krediten finanziert wird. Der reale Zinssatz ist aber auch dann relevant, wenn
das Projekt vollständig mit Eigenkapital finanziert wird, denn eine Alternative
zum Investitionsprojekt ist die Anlage des Geldes am Kapitalmarkt. Der reale
Zinssatz bestimmt damit die Opportunitätskosten des Investitionsprojekts.
Wenn die realen Zinssätze steigen, werden weniger Projekte durchgeführt.
Dadurch sinkt die Nachfrage nach Investitionsgütern und mit ihr die
aggregierte Nachfrage.
Angenommen alle anderen Nachfragekomponenten bleiben unverändert,
dann führen tiefere Zinsen zu einem höheren realen BIP, da die
Investitionsnachfrage steigt.
Zinssatz und Nettoexporte
Die Nettoexporte entsprechen der Differenz von Exporten und Importen von
Gütern und Dienstleistungen. Höhere Zinsen in einem Land, z.B. in der
Schweiz, führen zu einem Zufluss von Kapital aus dem Ausland und damit zu
einer erhöhten Nachfrage nach CHF. Dieser Kapitalzufluss ist darauf
zurückzuführen, dass es attraktiver wird in der Schweiz zu investieren, wenn
die Zinsen in der Schweiz relativ zu den ausländischen Zinsen steigen.
Diese erhöhte Nachfrage nach CHF führt zu einer Aufwertung (steigender
Preis für CHF) und damit zu einem sinkenden Wechselkurs aus
schweizerischer Sicht. Dies führt zu einer Verringerung der Nettoexporte, weil:
-
die Exporte aus der Schweiz abnehmen, denn schweizerische
Güter werden für das Ausland teurer,
-
die Importe ausländischer Waren in die Schweiz hingegen
zunehmen, denn ausländische Waren werden relativ zu
schweizerischen Waren billiger.
Insgesamt
führen
also
steigende
Zinsen
zu
einer
tieferen
Investitionsnachfrage und zu einer Verringerung der Nettoexporte. Dies
beides impliziert eine Verringerung der gesamtwirtschaftlichen (aggregierten)
Nachfrage und damit ein tieferes reales BIP.
8.1.4 Arbeitslosigkeit
Die Realisierung einer möglichst niedrigen Arbeitslosenquote ist bekanntlich
ein wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel. Wie im vorangegangenen Kapitel
erläutert, kann unfreiwillige Arbeitslosigkeit beispielsweise dadurch entstehen,
dass der Staat „zu hohe“ Mindestlöhne festsetzt oder duldet
(Tarifvereinbarungen der Sozialpartner). Ein Herabsetzen oder Aufheben
dieser Mindestlöhne würde zwar die unfreiwillige Arbeitslosigkeit verringern,
hätte allerdings den Nachteil, dass die betroffenen Bevölkerungsschichten
kein gesichertes Mindesteinkommen mehr haben. Dies kann die kaufkräftige
4
KAPITEL 8
Nachfrage reduzieren und damit einen unerwünschten dämpfenden Effekt auf
das BIP haben.
8.2
Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld von Inflation und
Arbeitslosigkeit
8.2.1 Die Phillipskurve
Die Phillipskurve ist ein Instrument, mit dessen Hilfe man den Zusammenhang
von Inflation und Arbeitslosigkeit näher analysieren kann. Betrachten wir
zunächst die Entstehung der Phillipskurve (PK). In einem Aufsatz aus dem
Jahre 1958 berichtete A.W. Phillips über den Zusammenhang zwischen der
Wachstumsrate der Nominallöhne und der Arbeitslosenquote für
Grossbritannien im Zeitraum von 1861 bis 1957. Die Daten ergaben einen
negativen Zusammenhang beider Variablen, was zur Schlussfolgerung führte,
dass eine Gesetzmässigkeit bestehe. Der funktionale Zusammenhang wurde
von Phillips mit einer Hyperbel beschrieben. Wie die nachfolgende Abbildung
zeigt, scheinen die Datenpunkte für die Jahre 1948 bis 1957 derselben
Gesetzmässigkeit zu folgen wie die Datenpunkte für die Jahre 1861-1913. Die
entsprechende Funktion wurde als Phillipskurve bekannt.
Abb. 8.3:
Die Phillipskurve
Abb. 8.3: Die Phillipskurve. Quelle: Phillips (1958, S. 296) aus Jerger/Landmann
(1999, S. 89)
Die modifizierte Phillipskurve beschreibt den Zusammenhang zwischen der
Arbeitslosenquote (u) und der Inflationsrate (π). Anders als die originäre
Phillipskurve wurde der in Abb. 8.4 dargestellte Zusammenhang theoretisch
behauptet und nicht „nur“ empirisch beobachtet.
5
DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL
Abb. 8.4:
Die modifizierte
Phillipskurve
Inflationsrate π
u*
Arbeitslosenquote
u
Abb. 8.4: Die modifizierte Phillipskurve
Die modifizierte Phillipskurve schuf bis weit in die 70er Jahre die Grundlage
für eine wirtschaftspolitische „Speisekarte“. Man ging davon aus, dass jedes
Niveau der Arbeitslosenquote mit einer entsprechenden Inflationsrate
verbunden sei, und dass weniger Arbeitslosigkeit mit höherer Inflation einher
gehe (Trade-Off). Damit schien es bloss noch eine Frage der
wirtschaftspolitischen Präferenzen zu sein, welche InflationsratenArbeitslosenquoten-Kombination man wählt. Exemplarisch kommt dies in
einem Motto aus dem deutschen Wahlkampf der 70er Jahre zum Ausdruck:
“Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit”
8.2.2 Langfristige Überlegungen
E. Phelps (1967) und M. Friedmann (1968) zweifelten an der Trade-OffInterpretation der Phillipskurve. Sie wiesen auf einen Denkfehler in der
Interpretation der Phillipskurve hin, denn die ursprüngliche Phillipskurve gilt
nur, wenn die Wirtschaftssubjekte Preisstabilität erwarten. Jeder Punkt auf der
Phillipskurve kann als Schnittpunkt einer gesamtwirtschaftlichen Angebotsund Nachfragefunktion interpretiert werden, wobei von einer fallenden
Gesamtnachfrageund
einer
steigenden
Gesamtangebotsfunktion
ausgegangen wird (Vgl. Abb. 8.5).
6
KAPITEL 8
Abb. 8.5:
Das kurzfristige
gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht
Abb. 8.5: Das kurzfristige gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht
Eine expansive fiskalpolitische Massnahme zum Abbau der Arbeitslosigkeit
verschiebt die aggregierte Nachfrage nach aussen. Dies führt zu einem neuen
Gleichgewicht (Punkt B) bei höherem realen BIP, also tieferer Arbeitslosigkeit
und höherer Inflation.
Ein derartiger Inflationsanstieg wird nun aber von den wirtschaftlichen
Akteuren antizipiert. Insbesondere Arbeitgeber und Arbeitnehmer
interessieren sich für Reallöhne. Die Erwartungen über die künftige
Inflationsrate werden daher in Nominallohnverhandlungen einbezogen, was
überproportionale Nominallohnerhöhungen und damit einen Anstieg der
Inflation impliziert.
Ein solcher Anpassungsprozess von Seiten der Wirtschaftssubjekte führt
dazu, dass die erwartete Inflationsrate (πe) als Verschiebungsparameter der
modifizierten Phillipskurve wirksam wird. Eine Verminderung der
Arbeitslosigkeit durch Tolerierung einer höheren Inflationsrate ist demnach
nicht mehr möglich, denn jede Veränderung der erwarteten Inflationsrate führt
zur Verschiebung der Phillipskurve in vertikaler Richtung (Vgl. Abb. 8.6).
Die Arbeitslosenquote u* stellt dann diejenige Arbeitslosenquote dar, bei der
erwartete Inflationsrate und tatsächliche Inflationsrate übereinstimmen. Dieser
7
DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL
Wert wird häufig als inflationsstabile Arbeitslosenquote bezeichnet oder kurz
als NAIRU (Non-Accelerating-Inflation-Rate-of-Unemployment).
Fazit: Langfristig ist die Phillipskurve vertikal, d.h. u* ist mit verschiedenen
Inflationsraten vereinbar. Der oben erwähnte Trade-Off gilt langfristig nicht.
Abb. 8.5:
Die erweiterte
Phillipskurve
Abb. 8.6: Die erweiterte Phillipskurve. Punkt A gibt die Arbeitslosenquote an, bei
der das Preisniveau stabil ist (π=0) und die Wirtschaftssubjekte Preisstabilität erwarten
(πe=0). Eine expansive Nachfragepolitik kann die Volkswirtschaft nach Punkt B
bringen, sofern die Wirtschaftssubjekte erwarten, dass die Preise stabil bleiben (πe=0)
bzw. ihr Reallohn konstant bleibt. Der Rückgang der Arbeitslosenquote von u* nach uB
kann durch eine Inflationsrate π1 erkauft werden, sofern die Wirtschaftssubjekte nicht
ihre
Lohnforderungen
anpassen.
Wenn
die
Wirtschaftssubjekte
ihre
Inflationserwartungen in die Nominallohnverhandlungen einbeziehen, wird die
Inflationsrate um mehr als π1 steigen, da die künftigen Preissteigerungen schon jetzt
antizipiert werden. Nun sind nur noch schlechtere Inflationsrate-ArbeitslosenquoteKombinationen möglich: Entweder hält man die Inflationsrate π1 konstant, was die
Arbeitslosenquote durch die angepassten Inflationserwartungen aber wieder auf u*
ansteigen lässt (Punkt C). Oder man versucht, die Arbeitslosenquote uB zu halten,
was aber zur Verdopplung der Inflationsrate π2 führt (Punkt D). Punkt D gilt jedoch für
eine erwartete Inflationsrate πe=π1. Die Situation in Punkt D ist genauso wenig
aufrechtzuerhalten wie Punkt B, da sich die Erwartungen anpassen und die
Phillipskurve nach oben verlagert wird. Es kommt also zur Beschleunigung der
Inflation über Punkt D hinaus – theoretisch bis ins „unendliche“ – wenn man die
Arbeitslosenquote uB aufrechterhalten möchte.
8.2.3 Empirische Beobachtungen
Auch empirisch lässt sich ein „Trade-Off“ Zusammenhang von Inflation und
Arbeitslosigkeit nicht erkennen. Die Abbildungen 8.7 und 8.8 zeigen
empirische Daten für die USA und Deutschland für die Jahre 1961 bis 1999.
Ein einfacher Zusammenhang, wie mit der Phillipskurve ursprünglich
postuliert, ist hier nicht erkennbar. Die Unterschiede zwischen den beiden
Ländern werden folgendermassen erklärt: die Arbeitslosigkeits-InflationsKombinationen oszillieren in den USA infolge einigermassen korrekter
Inflationserwartungen um die inflationsstabile Arbeitslosenquote. In
8
KAPITEL 8
Deutschland hingegen hat sich die inflationsstabile Arbeitslosenquote infolge
struktureller Probleme zunehmend nach aussen verschoben.
USA
10
1975
Abb. 8.7:
Arbeitslosenquote und
Inflationsrate in den
USA
Inflationsrate
8
6
1969
4
1983
1999
2
0
1961
0
2
4
6
8
Arbeitslosenquote
10
12
Abb. 8.7: Arbeitslosenquote und Inflationsrate in den USA
Deutschland
10
Abb. 8.8:
Arbeitslosenquote und
Inflationsrate in
Deutschland
Inflationsrate
8
6
1961
4
2
0
1992
1975
0
2
1999
1985
1967
4
6
8
Arbeitslosenquote
10
12
Abb. 8.8: Arbeitslosenquote und Inflationsrate in Deutschland
Quelle: Jerger/Landmann (1999, S. 107f)
9
DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL
8.2.4 Eine alternative Argumentation
Alternativ zu den hinter der Phillipskurve stehenden Überlegungen zum
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage kann man
auch annehmen, dass die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve kurzfristig bei
einer gegebenen Inflationsrate fixiert ist (vgl. die aggregierte Angebotskurve in
Abb. 8.9).
Abb. 8.9:
Gesamtwirtschaftliches
Gleichgewicht bei
kurzfristig horizontaler
Angebotskurve
Abb. 8.9: Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bei kurzfristig horizontaler
Angebotskurve
Expansive Fiskalpolitik würde dann die Inflationsrate nicht erhöhen. Die
“Phillipskurve” wäre also horizontal (vgl. Abb. 8.10).
Inflationsrate
π
Abb. 8.10:
Die “Phillipskurve” bei
kurzfristig horizontaler
Angebotskurve
π0
Arbeitslosenquote
u
Abb. 8.10: Die “Phillipskurve” bei kurzfristig horizontaler Angebotskurve
10
KAPITEL 8
Zur Begründung für eine kurzfristig horizontale Angebotskurve lässt sich
anführen, dass viele Preise für einen längeren Zeitraum festgelegt sind. Dies
gilt etwa für:
-
Löhne
Mietverträge
Preise in gedruckten Katalogen
Krankenkassenprämien.
Auch bei einer kurzfristig horizontalen “Phillipskurve” lässt sich langfristig die
Bekämpfung von Arbeitslosigkeit nicht durch höhere Inflation erkaufen. Dies
kann folgendermassen begründet werden:
Werden etwa die Staatsausgaben erhöht, um die Arbeitslosigkeit zu senken,
so verschiebt dies kurzfristig die aggregierte Nachfragekurve nach aussen. Da
das Preisniveau als kurzfristig konstant angenommen ist, gelingt es, kurzfristig
das BIP zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit zu senken, ohne die Inflation zu
erhöhen. Mittel- und langfristig beginnen aber die Unternehmen, die Preise
nach oben anzupassen. In Abb. 8.11 wird dies durch die Verschiebung der
kurzfristigen Angebotskurve nach oben dargestellt. Das höhere Preisniveau
führt nun dazu, dass der private Konsum zurückgeht und die aggregierte
Nachfrage sinkt. Diese Bewegung setzt sich fort, bis sich die Volkswirtschaft
beim realen BIP2 wieder auf dem anfänglichen Niveau des potentiellen BIP
(BIP0) befindet. Die Inflation befindet sich nun auf einem höheren Niveau,
während die Beschäftigung und damit die Arbeitslosigkeit sich wieder auf
dem Ausgangsniveau befinden (Punkt C). Die zum BIP0 gehörende
Beschäftigung bzw. die mit dem BIP0 verbundene Arbeitslosenquote
entspricht der NAIRU.
Abb. 8.11:
Mittel- und langfristige
Auswirkungen einer
Steigerung der
Staatsausgaben
Abb. 8.11: Mittel- und langfristige Auswirkungen einer Steigerung der
Staatsausgaben
Weitergehende Überlegungen
Die Überlegungen zum langfristigen Zusammenhang von Inflation und
Arbeitslosigkeit stehen im Widerspruch zu den Ergebnissen der
Multiplikatoranalyse, welche in Kapitel 4 vorgestellt wurden. Der Grund hierfür
ist, dass in der Multiplikatoranalyse Inflation und gesamtwirtschaftliches
Angebot nicht berücksichtigt wurden. Da sich die Verschiebung des
11
DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL
aggregierten Angebots wegen der angesprochenen Preisrigiditäten nicht
sofort vollzieht, sind kurzfristig Multiplikatoreffekte möglich. Mit einer
Veränderung
der
Staatsausgaben
lässt
sich
kurzfristig
ein
Beschäftigungseffekt erzielen. Sobald die Unternehmen jedoch die Preise
anpassen, setzt eine Gegenbewegung ein, die sich fortsetzt, bis sich die
Volkswirtschaft wieder auf einem höheren Inflationsniveau beim potentiellen
BIP befindet. Eine langfristige BIP-Erhöhung ist durch Staatsausgabenerhöhung also nicht möglich.
Literatur
Jerger J./Landmann O. (1999): Beschäftigungstheorie, Berlin, Heidelberg,
New York: Springer, S. 87-120
Taylor, J. B. (2001): Economics, Houghton Mifflin Company, Kapitel: 23 bis
27
12
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