KAPITEL 8 KAPITEL 8: WIRTSCHAFTSPOLITISCHE ZIELKONFLIKTE MASSNAHMEN UND Gliederung 8.1 8.2 Wirtschaftspolitische Massnahmen für einzelne Problembereiche Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld von Inflation und Arbeitslosigkeit 8.1 Wirtschaftspolitische Massnahmen für einzelne Problembereiche 8.1.1 Steigerung des BIP Eine Steigerung des BIP wird aus verschiedenen Gründen angestrebt. Neben einer Erhöhung des materiellen Wohlstands spielt etwa eine Verringerung von Verteilungskonflikten oder eine Verringerung von Arbeitslosigkeit eine wichtige Rolle. Reales BIP Boom Abb. 8.1: Wirtschaftswachstum und Konjunkturschwankungen Fluktuationen - idealisiert Rezession Boom Rezession Boom W hs ac m tu d fa sp Laufendes BIP Langfristiger Trend Zeit Abb. 8.1: Wirtschaftswachstum und Konjunkturschwankungen (idealisierte Darstellung) Abbildung 8.1 stellt die Entwicklung des BIP eines Landes schematisch dar (Vgl. Abschnitt 4.3). Während das BIP sich langfristig auf einem Wachstumspfad bewegt, kann es kurzfristig zu Schwankungen in der Entwicklung kommen, die als Konjunkturzyklen bezeichnet werden. Diese beiden Phänomene können in jeder Volkswirtschaft beobachtet werden. Sie lassen sich grundsätzlich durch Konjunkturpolitik (kurzfristig) oder durch Wachstumspolitik (langfristig) steuern. Konjunkturpolitik Kurzfristig starke Veränderungen des BIP nach oben und unten sind zu vermeiden. Eine starke kurzfristige Steigerung des BIP beispielsweise führt in der Regel zu einem Anstieg des Preisniveaus (Inflation). In der Folge kann sich die reale gesamtgesellschaftliche Nachfrage verringern und es kann zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums oder gar zu einer absoluten Verringerung des BIP (Rezession) kommen. Um negative Auswirkungen auf das Preisniveau und die Beschäftigung zu vermeiden, sollte sich die Wirtschaftspolitik darum bemühen, die 1 DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL Konjunkturschwankungen zu „glätten“. Dies kann beispielsweise dadurch erreicht werden, dass die Staatsausgaben in Zeiten einer Rezession erhöht und in einer Boomphase zurückgefahren werden (vgl. Multiplikatoranalyse in Kapitel 4.4). Ein weiteres Mittel der Fiskalpolitik wäre das Verringern bzw. Erhöhen von Steuern, speziell der Einkommenssteuer. Wachstumspolitik Im Gegensatz zur Konjunkturpolitik zielt Wachstumspolitik auf eine Steigerung des maximal erreichbaren BIP in einer Volkswirtschaft ab. Man spricht hier auch vom „potentiellen BIP“. Eine solche Steigerung bedeutet, dass die Transformationskurve langfristig nach aussen verschoben wird. Determinanten für Wirtschaftswachstum Abb. 8.2: Determinanten des Wirtschaftswachstums Produktionsfunktion: y = f (Faktor 1, Faktor 2, ...) ∆ ∆ y Faktormenge f ∆ Faktorqualität (Innovation) ∆ Preise ∆ Institutionen Abb. 8.2: Determinanten des Wirtschaftswachstums Wie in Grafik 8.2 schematisch dargestellt (vgl. auch Kapitel 4.3), kann eine Verschiebung der Transformationskurve über die Veränderung der eingesetzten Mengen an Produktionsfaktoren (etwa Arbeit, Kapital, Wissen, ...), der Qualität der Produktionsfaktoren oder die Veränderung der zur Produktion eingesetzten Technologien (Verschieben der Produktionsfunktion f durch Innovation) erreicht werden. Entsprechende Politik-Massnahmen können etwa sein: • • • Infrastrukturpolitik, d.h. die Verbesserung der Produktionsmöglichkeiten durch bessere Infrastruktur (Bsp: Ausbau der Kommunikations- und Transportnetze). Bildungspolitik, d.h. die Verbesserung der Qualität des Faktors Arbeit durch den Ausbau der Bildungsinstitutionen. Geldpolitik in dem Sinn, dass der Produktionsfaktor „Kapital“ durch eine nachhaltige Verbesserung der Zinsstruktur vergrössert wird. (Zinsen werden auf ein dauerhaft tieferes Niveau gebracht). 2 KAPITEL 8 8.1.2 Aussenhandel Ein weiteres wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel ist es, die Ertragsbilanz soweit wie möglich ausgeglichen zu halten. Dies wird über den Zusammenhang zwischen der Zahlungsbilanz und dem Wechselkurs begründet. Ein Überschuss in der Zahlungsbilanz führt nämlich zu einer Aufwertung der eigenen Währung, was negative Folgen für die Exportindustrie haben kann.1 Ein Defizit in der Zahlungsbilanz ist hingegen ein Zeichen für Devisenabflüsse und kann mittel- bis langfristig zu einer internationalen Zahlungsunfähigkeit führen. Letzteres ist von Bedeutung in der Diskussion um die Schuldenkrise der Entwicklungsländer. Um die in diesem Zusammenhang diskutierte Importabhängigkeit der Entwicklungsländer abzuschwächen, lassen sich zwei Strategien anführen: • Exportförderung durch Subventionierung bestimmter Industriezweige. • Importsubstitution durch Errichten von Zollmauern. Beide Strategien sind allerdings aus folgenden Gründen nicht unumstritten: • Es ist schwierig, jene Branchen zu finden, welche gefördert werden sollen. • Beide Mechanismen funktionieren nur, wenn die Handelspartner keine Gegenmassnahmen ergreifen (Zölle, Subventionen). • Damit die eigenen Produkte wettbewerbsfähig werden, müssten die Begünstigungen für die betreffenden Industriezweige nach und nach wieder abgebaut werden. Genau dies wird zumeist durch intensives Lobbying der begünstigten Unternehmen verhindert. 8.1.3 Inflation Massnahmen zur Dämpfung von Inflation wurden bereits in Kapitel 6.3 diskutiert. Abschnitt 8.2 geht ausführlicher auf eventuelle Zielkonflikte zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit ein. Deswegen sei hier nur auf ein Beispiel für einen typischen Zielkonflikt zwischen Inflationsbekämpfung und der Förderung von Wachstum verwiesen: Einem Ansteigen des Preisniveaus infolge von steigender Auslandsnachfrage solle mit einer kontraktiv ausgerichteten Geld- oder Fiskalpolitik entgegengewirkt werden. Dies kann die Förderung von Wirtschaftswachstum behindern. Wenn der Staat zum Beispiel im Zuge einer kontraktiven Ausgabenpolitik die Ausgaben für Infrastruktur oder Bildung verringert, gefährdet dies die Aussichten auf ein höheres Wachstum in der Zukunft. Allerdings wird Inflationspolitik faktisch meistens durch regelgebundene Geldpolitik betrieben. Die SNB z.B. geht von einem Inflationsziel von 1%-2% aus. Dieses Inflationsziel versucht sie durch die Beeinflussung der Marktzinssätze über die Leitzinsen, oder über die Mindestreservesätze, die sie den Geschäftsbanken vorschreibt, zu erreichen. Es sei daran erinnert, dass sich der nominale Zinssatz aus dem realen Zins zuzüglich der Inflationsrate ergibt. Wenn die Inflation zunimmt, dann reagiert die Nationalbank in der Regel durch eine überproportionale Anhebung der Leitzinssätze. Durch diese Anhebung wird die im Umlauf befindliche Geldmenge reduziert und damit entfällt die Alimentation der Inflation. 1 Die Begriffe „Zahlungsbilanzüberschuss“ und „Zahlungsbilanzdefizit“ sind irreführend, da die Zahlungsbilanz an sich per Definition ausgeglichen ist. (Vgl. Kapitel 5.1 Zahlungsbilanz.) Wenn also diese Begriffe im folgenden verwendet werden, dann beziehen sie sich auf die Zahlungsbilanz abzüglich der Veränderungen in einer (hypothetischen) Devisenbilanz, wie sie in einem fixen Wechselkurssystem existieren. 3 DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL Die Zinserhöhung kann allerdings kontraproduktiv im Hinblick auf das Ziel sein, eine Rezession zu überwinden bzw. im Hinblick auf das Ziel, die Nettoexporte zu erhöhen. Höhere Realzinsen verringern nämlich die Investitionen und die Nettoexporte. Zinssatz und Investitionen Der reale Zinssatz beeinflusst die Kosten eines Investitionsprojekts, das mit Krediten finanziert wird. Der reale Zinssatz ist aber auch dann relevant, wenn das Projekt vollständig mit Eigenkapital finanziert wird, denn eine Alternative zum Investitionsprojekt ist die Anlage des Geldes am Kapitalmarkt. Der reale Zinssatz bestimmt damit die Opportunitätskosten des Investitionsprojekts. Wenn die realen Zinssätze steigen, werden weniger Projekte durchgeführt. Dadurch sinkt die Nachfrage nach Investitionsgütern und mit ihr die aggregierte Nachfrage. Angenommen alle anderen Nachfragekomponenten bleiben unverändert, dann führen tiefere Zinsen zu einem höheren realen BIP, da die Investitionsnachfrage steigt. Zinssatz und Nettoexporte Die Nettoexporte entsprechen der Differenz von Exporten und Importen von Gütern und Dienstleistungen. Höhere Zinsen in einem Land, z.B. in der Schweiz, führen zu einem Zufluss von Kapital aus dem Ausland und damit zu einer erhöhten Nachfrage nach CHF. Dieser Kapitalzufluss ist darauf zurückzuführen, dass es attraktiver wird in der Schweiz zu investieren, wenn die Zinsen in der Schweiz relativ zu den ausländischen Zinsen steigen. Diese erhöhte Nachfrage nach CHF führt zu einer Aufwertung (steigender Preis für CHF) und damit zu einem sinkenden Wechselkurs aus schweizerischer Sicht. Dies führt zu einer Verringerung der Nettoexporte, weil: - die Exporte aus der Schweiz abnehmen, denn schweizerische Güter werden für das Ausland teurer, - die Importe ausländischer Waren in die Schweiz hingegen zunehmen, denn ausländische Waren werden relativ zu schweizerischen Waren billiger. Insgesamt führen also steigende Zinsen zu einer tieferen Investitionsnachfrage und zu einer Verringerung der Nettoexporte. Dies beides impliziert eine Verringerung der gesamtwirtschaftlichen (aggregierten) Nachfrage und damit ein tieferes reales BIP. 8.1.4 Arbeitslosigkeit Die Realisierung einer möglichst niedrigen Arbeitslosenquote ist bekanntlich ein wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel. Wie im vorangegangenen Kapitel erläutert, kann unfreiwillige Arbeitslosigkeit beispielsweise dadurch entstehen, dass der Staat „zu hohe“ Mindestlöhne festsetzt oder duldet (Tarifvereinbarungen der Sozialpartner). Ein Herabsetzen oder Aufheben dieser Mindestlöhne würde zwar die unfreiwillige Arbeitslosigkeit verringern, hätte allerdings den Nachteil, dass die betroffenen Bevölkerungsschichten kein gesichertes Mindesteinkommen mehr haben. Dies kann die kaufkräftige 4 KAPITEL 8 Nachfrage reduzieren und damit einen unerwünschten dämpfenden Effekt auf das BIP haben. 8.2 Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld von Inflation und Arbeitslosigkeit 8.2.1 Die Phillipskurve Die Phillipskurve ist ein Instrument, mit dessen Hilfe man den Zusammenhang von Inflation und Arbeitslosigkeit näher analysieren kann. Betrachten wir zunächst die Entstehung der Phillipskurve (PK). In einem Aufsatz aus dem Jahre 1958 berichtete A.W. Phillips über den Zusammenhang zwischen der Wachstumsrate der Nominallöhne und der Arbeitslosenquote für Grossbritannien im Zeitraum von 1861 bis 1957. Die Daten ergaben einen negativen Zusammenhang beider Variablen, was zur Schlussfolgerung führte, dass eine Gesetzmässigkeit bestehe. Der funktionale Zusammenhang wurde von Phillips mit einer Hyperbel beschrieben. Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, scheinen die Datenpunkte für die Jahre 1948 bis 1957 derselben Gesetzmässigkeit zu folgen wie die Datenpunkte für die Jahre 1861-1913. Die entsprechende Funktion wurde als Phillipskurve bekannt. Abb. 8.3: Die Phillipskurve Abb. 8.3: Die Phillipskurve. Quelle: Phillips (1958, S. 296) aus Jerger/Landmann (1999, S. 89) Die modifizierte Phillipskurve beschreibt den Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote (u) und der Inflationsrate (π). Anders als die originäre Phillipskurve wurde der in Abb. 8.4 dargestellte Zusammenhang theoretisch behauptet und nicht „nur“ empirisch beobachtet. 5 DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL Abb. 8.4: Die modifizierte Phillipskurve Inflationsrate π u* Arbeitslosenquote u Abb. 8.4: Die modifizierte Phillipskurve Die modifizierte Phillipskurve schuf bis weit in die 70er Jahre die Grundlage für eine wirtschaftspolitische „Speisekarte“. Man ging davon aus, dass jedes Niveau der Arbeitslosenquote mit einer entsprechenden Inflationsrate verbunden sei, und dass weniger Arbeitslosigkeit mit höherer Inflation einher gehe (Trade-Off). Damit schien es bloss noch eine Frage der wirtschaftspolitischen Präferenzen zu sein, welche InflationsratenArbeitslosenquoten-Kombination man wählt. Exemplarisch kommt dies in einem Motto aus dem deutschen Wahlkampf der 70er Jahre zum Ausdruck: “Lieber 5 % Inflation als 5 % Arbeitslosigkeit” 8.2.2 Langfristige Überlegungen E. Phelps (1967) und M. Friedmann (1968) zweifelten an der Trade-OffInterpretation der Phillipskurve. Sie wiesen auf einen Denkfehler in der Interpretation der Phillipskurve hin, denn die ursprüngliche Phillipskurve gilt nur, wenn die Wirtschaftssubjekte Preisstabilität erwarten. Jeder Punkt auf der Phillipskurve kann als Schnittpunkt einer gesamtwirtschaftlichen Angebotsund Nachfragefunktion interpretiert werden, wobei von einer fallenden Gesamtnachfrageund einer steigenden Gesamtangebotsfunktion ausgegangen wird (Vgl. Abb. 8.5). 6 KAPITEL 8 Abb. 8.5: Das kurzfristige gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht Abb. 8.5: Das kurzfristige gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht Eine expansive fiskalpolitische Massnahme zum Abbau der Arbeitslosigkeit verschiebt die aggregierte Nachfrage nach aussen. Dies führt zu einem neuen Gleichgewicht (Punkt B) bei höherem realen BIP, also tieferer Arbeitslosigkeit und höherer Inflation. Ein derartiger Inflationsanstieg wird nun aber von den wirtschaftlichen Akteuren antizipiert. Insbesondere Arbeitgeber und Arbeitnehmer interessieren sich für Reallöhne. Die Erwartungen über die künftige Inflationsrate werden daher in Nominallohnverhandlungen einbezogen, was überproportionale Nominallohnerhöhungen und damit einen Anstieg der Inflation impliziert. Ein solcher Anpassungsprozess von Seiten der Wirtschaftssubjekte führt dazu, dass die erwartete Inflationsrate (πe) als Verschiebungsparameter der modifizierten Phillipskurve wirksam wird. Eine Verminderung der Arbeitslosigkeit durch Tolerierung einer höheren Inflationsrate ist demnach nicht mehr möglich, denn jede Veränderung der erwarteten Inflationsrate führt zur Verschiebung der Phillipskurve in vertikaler Richtung (Vgl. Abb. 8.6). Die Arbeitslosenquote u* stellt dann diejenige Arbeitslosenquote dar, bei der erwartete Inflationsrate und tatsächliche Inflationsrate übereinstimmen. Dieser 7 DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL Wert wird häufig als inflationsstabile Arbeitslosenquote bezeichnet oder kurz als NAIRU (Non-Accelerating-Inflation-Rate-of-Unemployment). Fazit: Langfristig ist die Phillipskurve vertikal, d.h. u* ist mit verschiedenen Inflationsraten vereinbar. Der oben erwähnte Trade-Off gilt langfristig nicht. Abb. 8.5: Die erweiterte Phillipskurve Abb. 8.6: Die erweiterte Phillipskurve. Punkt A gibt die Arbeitslosenquote an, bei der das Preisniveau stabil ist (π=0) und die Wirtschaftssubjekte Preisstabilität erwarten (πe=0). Eine expansive Nachfragepolitik kann die Volkswirtschaft nach Punkt B bringen, sofern die Wirtschaftssubjekte erwarten, dass die Preise stabil bleiben (πe=0) bzw. ihr Reallohn konstant bleibt. Der Rückgang der Arbeitslosenquote von u* nach uB kann durch eine Inflationsrate π1 erkauft werden, sofern die Wirtschaftssubjekte nicht ihre Lohnforderungen anpassen. Wenn die Wirtschaftssubjekte ihre Inflationserwartungen in die Nominallohnverhandlungen einbeziehen, wird die Inflationsrate um mehr als π1 steigen, da die künftigen Preissteigerungen schon jetzt antizipiert werden. Nun sind nur noch schlechtere Inflationsrate-ArbeitslosenquoteKombinationen möglich: Entweder hält man die Inflationsrate π1 konstant, was die Arbeitslosenquote durch die angepassten Inflationserwartungen aber wieder auf u* ansteigen lässt (Punkt C). Oder man versucht, die Arbeitslosenquote uB zu halten, was aber zur Verdopplung der Inflationsrate π2 führt (Punkt D). Punkt D gilt jedoch für eine erwartete Inflationsrate πe=π1. Die Situation in Punkt D ist genauso wenig aufrechtzuerhalten wie Punkt B, da sich die Erwartungen anpassen und die Phillipskurve nach oben verlagert wird. Es kommt also zur Beschleunigung der Inflation über Punkt D hinaus – theoretisch bis ins „unendliche“ – wenn man die Arbeitslosenquote uB aufrechterhalten möchte. 8.2.3 Empirische Beobachtungen Auch empirisch lässt sich ein „Trade-Off“ Zusammenhang von Inflation und Arbeitslosigkeit nicht erkennen. Die Abbildungen 8.7 und 8.8 zeigen empirische Daten für die USA und Deutschland für die Jahre 1961 bis 1999. Ein einfacher Zusammenhang, wie mit der Phillipskurve ursprünglich postuliert, ist hier nicht erkennbar. Die Unterschiede zwischen den beiden Ländern werden folgendermassen erklärt: die Arbeitslosigkeits-InflationsKombinationen oszillieren in den USA infolge einigermassen korrekter Inflationserwartungen um die inflationsstabile Arbeitslosenquote. In 8 KAPITEL 8 Deutschland hingegen hat sich die inflationsstabile Arbeitslosenquote infolge struktureller Probleme zunehmend nach aussen verschoben. USA 10 1975 Abb. 8.7: Arbeitslosenquote und Inflationsrate in den USA Inflationsrate 8 6 1969 4 1983 1999 2 0 1961 0 2 4 6 8 Arbeitslosenquote 10 12 Abb. 8.7: Arbeitslosenquote und Inflationsrate in den USA Deutschland 10 Abb. 8.8: Arbeitslosenquote und Inflationsrate in Deutschland Inflationsrate 8 6 1961 4 2 0 1992 1975 0 2 1999 1985 1967 4 6 8 Arbeitslosenquote 10 12 Abb. 8.8: Arbeitslosenquote und Inflationsrate in Deutschland Quelle: Jerger/Landmann (1999, S. 107f) 9 DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL 8.2.4 Eine alternative Argumentation Alternativ zu den hinter der Phillipskurve stehenden Überlegungen zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage kann man auch annehmen, dass die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve kurzfristig bei einer gegebenen Inflationsrate fixiert ist (vgl. die aggregierte Angebotskurve in Abb. 8.9). Abb. 8.9: Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bei kurzfristig horizontaler Angebotskurve Abb. 8.9: Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bei kurzfristig horizontaler Angebotskurve Expansive Fiskalpolitik würde dann die Inflationsrate nicht erhöhen. Die “Phillipskurve” wäre also horizontal (vgl. Abb. 8.10). Inflationsrate π Abb. 8.10: Die “Phillipskurve” bei kurzfristig horizontaler Angebotskurve π0 Arbeitslosenquote u Abb. 8.10: Die “Phillipskurve” bei kurzfristig horizontaler Angebotskurve 10 KAPITEL 8 Zur Begründung für eine kurzfristig horizontale Angebotskurve lässt sich anführen, dass viele Preise für einen längeren Zeitraum festgelegt sind. Dies gilt etwa für: - Löhne Mietverträge Preise in gedruckten Katalogen Krankenkassenprämien. Auch bei einer kurzfristig horizontalen “Phillipskurve” lässt sich langfristig die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit nicht durch höhere Inflation erkaufen. Dies kann folgendermassen begründet werden: Werden etwa die Staatsausgaben erhöht, um die Arbeitslosigkeit zu senken, so verschiebt dies kurzfristig die aggregierte Nachfragekurve nach aussen. Da das Preisniveau als kurzfristig konstant angenommen ist, gelingt es, kurzfristig das BIP zu erhöhen und die Arbeitslosigkeit zu senken, ohne die Inflation zu erhöhen. Mittel- und langfristig beginnen aber die Unternehmen, die Preise nach oben anzupassen. In Abb. 8.11 wird dies durch die Verschiebung der kurzfristigen Angebotskurve nach oben dargestellt. Das höhere Preisniveau führt nun dazu, dass der private Konsum zurückgeht und die aggregierte Nachfrage sinkt. Diese Bewegung setzt sich fort, bis sich die Volkswirtschaft beim realen BIP2 wieder auf dem anfänglichen Niveau des potentiellen BIP (BIP0) befindet. Die Inflation befindet sich nun auf einem höheren Niveau, während die Beschäftigung und damit die Arbeitslosigkeit sich wieder auf dem Ausgangsniveau befinden (Punkt C). Die zum BIP0 gehörende Beschäftigung bzw. die mit dem BIP0 verbundene Arbeitslosenquote entspricht der NAIRU. Abb. 8.11: Mittel- und langfristige Auswirkungen einer Steigerung der Staatsausgaben Abb. 8.11: Mittel- und langfristige Auswirkungen einer Steigerung der Staatsausgaben Weitergehende Überlegungen Die Überlegungen zum langfristigen Zusammenhang von Inflation und Arbeitslosigkeit stehen im Widerspruch zu den Ergebnissen der Multiplikatoranalyse, welche in Kapitel 4 vorgestellt wurden. Der Grund hierfür ist, dass in der Multiplikatoranalyse Inflation und gesamtwirtschaftliches Angebot nicht berücksichtigt wurden. Da sich die Verschiebung des 11 DAS MAKROÖKONOMISCHE FLUKTUATIONSMODELL aggregierten Angebots wegen der angesprochenen Preisrigiditäten nicht sofort vollzieht, sind kurzfristig Multiplikatoreffekte möglich. Mit einer Veränderung der Staatsausgaben lässt sich kurzfristig ein Beschäftigungseffekt erzielen. Sobald die Unternehmen jedoch die Preise anpassen, setzt eine Gegenbewegung ein, die sich fortsetzt, bis sich die Volkswirtschaft wieder auf einem höheren Inflationsniveau beim potentiellen BIP befindet. Eine langfristige BIP-Erhöhung ist durch Staatsausgabenerhöhung also nicht möglich. Literatur Jerger J./Landmann O. (1999): Beschäftigungstheorie, Berlin, Heidelberg, New York: Springer, S. 87-120 Taylor, J. B. (2001): Economics, Houghton Mifflin Company, Kapitel: 23 bis 27 12