9. Grenzen der Wirtschaftspolitik/Rationale Erwartungen

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Wipol WS 2005/2006 -Tut 9Prof. Dr. R. Eisen
9. Grenzen der Wirtschaftspolitik/Rationale Erwartungen
1. Was versteht man unter statischen, extrapolativen, adaptiven und rationalen Erwartungen?
Welche Konsequenzen ergeben sich aus den verschiedenen Erwartungsbildungshypothesen
für die Stabilisierungspolitik des Staates? Welche Rolle spielt hierbei die Phillips-Kurve?
Mit dem Auftreten der Theorie der Quantitativen Wirtschaftspolitik (Tinbergen) wurde in den
fünfziger Jahren verstärkt versucht, zukünftige Wirtschaftsentwicklungen über ökonometrische
Modelle zu schätzen. Erwartungen (Prognosen über die künftige Entwicklung oder fremdes
Verhalten) wurden hierbei (wie bei Keynes) als exogene Variablen angesehen. In den siebziger
Jahren sank aber die Prognosekraft dieser Modelle. Angeregt durch die Kritik von Lucas begann
man, Erwartungen nicht mehr als konstante, exogene Parameter zu betrachten, sondern versuchte,
sie zu endogenisieren. Dabei lassen sich die Ansätze in zwei Gruppen teilen.
Extrapolative Erwartungen gehen davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungsgröße
aus realisierten Werten (der betreffenden Variable) aus der Vergangenheit konstruieren und dabei
eine einwertige Erwartung bilden (sie erwarten einen konkreten Wert).
Bei rationalen Erwartungen wird davon ausgegangen, dass bei der Bildung der Erwartungsgröße
ein Modell und der reale Prozess zugrunde liegen. Die Erwartungen werden mehrwertig genannt, da
hierbei mehrere Werte bzw. eine Wahrscheinlichkeitsverteilung erwartet wird.
1. extrapolative Erwartungen (allgemeine Form):
Das Modell der extrapolativen Erwartung konstruiert die Erwartungsgröße aus den realisierten
Werten der entsprechenden Variablen für die Vergangenheit, indem sie der Konstruktionsvorschrift
eine entsprechende Gewichtungsfunktion W zugrunde legt:
X*t+1 =W( L)Xt-i
Xt-i = realisierte Größen in den Perioden t-1, t-2,..., t-n
X*t+1= erwarteter Wert der Größe X in der Periode t+1
L = allgemeiner Lag-Operator (lag, engl. zeitliche Verzögerung, Bsp.
geometrische Reihe)
Die Erwartungsgröße X*t+1 kann wie folgt gebildet werden:
X*t+1 = Xt + b (Xt - Xt-1)
Hier ist der Anpassungskoeffizient -1 < b < 1 als Konstante gegeben.
b = 0 → statische Erwartung, da die realisierte Größe in der Periode t
gleich dem Erwartungswert in der folgenden Periode ist;
b = 1 → die Differenz zwischen Xt und Xt-1 wird als Tendenz in die
nächste Periode fortgeschrieben;
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b < 0 → Umkehr der Tendenz.
Wählt man mehrere vergangene Perioden zur Bestimmung der Tendenz, werden die Gewichte als
fallende geometrische Reihe gewählt.
2. adaptive Erwartungen:
Hier werden die Fehler aus der Vergangenheit bei der Bildung des neuen Erwartungswertes
verwendet und damit ein Element des Lernens eingebaut:
X*t+1 = X*t + a (Xt − X*t)
a ist ein über die Perioden konstanter Anpassungskoeffizient, definiert für 0<a≤1. Die
Erwartungsgröße X*t+1 wird gebildet aus der erwarteten Größe der Vorperiode, korrigiert um die
Abweichung der realisierten von der erwarteten Größe der Vorperiode, gewichtet mit dem
Koeffizienten a.
a = 1 → statische Erwartung, d.h., Reproduktion der realisierten Größe als
Erwartungsgröße. Die Differenz der Erwartungsgröße der folgenden(t+1)
und
laufenden
Perioden(t) entspricht der Differenz der realisierten und erwarteten Größe in der
vorhergehenden Periode(t-1).
Beweis:
X*t+1 - X*t = a (Xt - X*t)
X*t+1 - X*t =1 (Xt − X*t)
X*t+1 - X*t =
Xt − X*t
a < 1 → adaptive Erwartungen: Je weiter die Realisationsgrößen zurückliegen, desto
geringer ist ihr Einfluss auf den zu bildenden Erwartungswert.
Das adaptive Modell der Erwartungsbildung kann als Fehlerkorrekturverfahren angesehen werden,
da der Erwartungswert um den Anteil a der Differenz zwischen der Realisation und dem
entsprechenden Erwartungswert korrigiert wird.
3. rationale Erwartungen (John Muth):
Nach dem Konzept der rationalen Erwartungen bilden sich diese aus dem zugrunde liegenden
Modell und dem realen Prozess. Hierbei sind zwei Annahmen grundlegend:
a) Die Wirtschaftssubjekte sind im Besitz der relevanten Informationen über gegenwärtige und
vergangene Wirtschaftsdaten. (d.h. jeder weiß dasselbe!)
b) Die Wirtschaftssubjekte besitzen ein „richtiges“ Modell der Wirtschaft, so dass Ausgangsdaten
in Zukunftsdaten transformiert werden können. Der in der Periode t gegebene Informationsstand I
lässt sich somit als Informationsmenge aus relevanten Daten D und Kenntnis der Struktur des
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„wahren“ Modells M zum Zeitpunkt t beschreiben:
It = {Dt, Mt}
Rationale Erwartungen sind formale Prognosen, die aus einer systematischen Auswertung von
Erkenntnissen über Zusammenhänge zwischen relevanten Variablen gewonnen werden. Da
angenommen wird, dass die Wirtschaftssubjekte in der Lage sind, die Ausgangsdaten in
Zukunftsdaten zu transformieren, gilt:
X*t+1 = Xof
of =optimal forecast
Der Erwartungswert von X [X*t+1] ist gleich dem optimalen Zukunftswert, wenn man alle
verfügbaren
Informationen
verwendet.
Die
Erwartungsgröße
wird
häufig
gleich
dem
Erwartungswert der Größe bei gegebenem Informationsstand gesetzt, wenn man eine
Normalverteilung unterstellen kann. Wegen der vorherrschenden Unsicherheit bei wirtschaftlichen
Abläufen bauen die Modelle auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf, was einen mathematischstatistischen Aufwand nötig macht.
Kritik:
Das Ziel der Erwartungsbildung ist die gedankliche Vorwegnahme der Zukunft, um die daraus
fließenden Plandaten in das gegenwärtige Handeln so einzubauen, dass der Handlungserfolg
optimal ist. Für das Modell der Erwartungen ergibt sich aus dieser Zielsetzung der Anspruch, alle
für den Planungserfolg relevanten Daten zu berücksichtigen.
Extrapolative Erwartungsmodelle beziehen nur Vergangenheitsdaten ein. Das bedeutet, dass die
Abhängigkeit der Prozessentwicklung von anderen Größen als der betrachteten Variablen selbst
ignoriert wird (z.B. kurzfristige Schocks).
An den rationalen Erwartungsmodellen werden die beiden Annahmen der Informiertheit in Bezug
auf Berechenbarkeit (Modellreichweite) und der (kostenlosen) Datenverfügbarkeit kritisiert: Der
Mensch ist nur bedingt in der Lage, Informationen zu verarbeiten. Ferner kennen Menschen in der
Regel nicht das „wahre“ Modell, sondern sie lernen aufgrund von Beobachtungen der
Verhaltensweise anderer. Rationale Erwartungsmodelle unterstellen implizit gleichgewichtssuchende Systeme und schränken damit die mögliche Komplexität der Realität ein.
Konsequenzen für die Stabilisierungspolitik:
Die Neue Klassische Makroökonomie (NKM) baut die rationale Erwartungsbildung in ihre
Hypothese der Politikineffektivität ein. Sie setzt folgende Annahmen:
− Vollständige Markträumung,
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− Rationale Erwartungsbildung,
− Fehlen jeglichen Informationsvorsprungs von Trägern der Wirtschaftspolitik.
Die NKM besagt, dass bei diesen Annahmen die Geldpolitik unwirksam hinsichtlich der
angestrebten Ziele ist.
4. Die originäre Phillipskurve:
Es besteht eine inverse, nicht-lineare Beziehung zwischen dem Anstieg der Nominallöhne ŵ und
der Arbeitslosigkeit U (empirische Studie von Alban William Housego Phillips (1914-1975), 1958).
Modifizierte Phillipskurve (Samuelson/Solow, AER 1960):
Sie beschreibt den negativen Zusammenhang zwischen (prozentualer) Veränderung des Preisniveaus p bzw. der Inflationsrate π und der Arbeitslosigkeit U. Lohnerhöhungen im Ausmaß des
Wachstums der Arbeitsproduktivität
Y
sind hier inflationsneutral.
N
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Geht man von einer Wachstumsrate der (Grenz-)Produktivität der Beschäftigten
Y
von 2% aus,
N
dann zeigt sich anhand der obigen Graphik, dass Lohnerhöhungen ŵ von 2% inflationsneutral sind.
Bei steigender Arbeitslosigkeit sinkt der Reallohn W/P wegen geringerer Lohnerhöhungen bei
gegebener erwarteter Inflationsrate, d.h. der Faktor Arbeit wird günstiger für den Produzenten.
Seine Nachfrage nach Arbeitskräften steigt, die Anzahl der Arbeitslosen U sinkt.
Dieser trade-off zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit hat nur kurzfristigen Charakter, da von
einer gegebenen erwarteten Inflationsrate ausgegangen wird, diese sich aber im Laufe des
Anpassungsprozesses verändert. Bei rationalen Erwartungen verläuft die Phillipskurve senkrecht
über Ū (langfristige Phillipskurve). Insofern gibt es (nach M. Friedman und E. Phelps) ein
gleichgewichtiges Niveau der Arbeitslosigkeit, bei dem die Inflationsrate konstant ist („natürliche“
Arbeitslosenquote oder Non-accelerating inflation rate of unemployment in Punkt O).
Die Lage der kurzfristigen Phillipskurve wird durch die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte
bestimmt. Bei adaptiven/statischen Erwartungen orientieren sie sich an dem realisierten Wert in der
Vorperiode. Lag z.B. in der Vorperiode die (erwartete und realisierte) Inflationsrate bei 2%,
erwarten die Wirtschaftssubjekte auch 2% Inflation für die nächste Periode. Die wahre Inflation
steigt indes auf Grund einer exogenen Größe (z.B. auf Grund staatlicher Beschäftigungspolitik) in
der betreffenden Periode langsam auf 4%. Als Folge sinkt die Zahl der Arbeitslosen kurzfristig
wegen geringerer Reallöhne (Wanderung auf der kurzfristigen Phillipskurve von Punkt A zu Punkt
B). Jetzt erkennen aber die Wirtschaftssubjekte, dass sie sich geirrt haben, und die
Arbeitslosenquote kehrt auf das Niveau der „natürlichen“ Arbeitslosenquote zurück (Punkt C). Die
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Wirtschaftspolitik oder Geldpolitik kann also kurzfristig durch Steigerung der Inflation das
Beschäftigungsniveau steigern, da durch das Ansteigen der Preise, bei starren Nominallöhnen, die
Reallöhne sinken. Somit wird Arbeit billiger. Auf kurze Sicht passen sich Preise schneller an als
Löhne. Die Arbeitnehmer realisieren aber, dass ihre Reallöhne gesunken sind und fordern
Kompensation in Form von höheren Nominallöhnen, d.h. der Reallohn steigt wieder und die
Unternehmernachfrage nach Arbeit sinkt. Dieser Prozess kann sich prinzipiell beliebig wiederholen
(Punkte C, D und E), langfristig wird aber die „natürliche“ Arbeitslosenquote Ū nicht
unterschritten.
Eine negativ verlaufende Phillipskurve kann also nicht auf lange Sicht als eine stabile Beziehung
zwischen der Inflation und der Arbeitslosigkeit angesehen werden. Sie stellt nur einen kurzfristigen
trade-off der wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger dar, der auch nur solange funktioniert, wie
die Wirtschaftssubjekte von den Maßnahmen der Politik überrascht werden können.
Bei rationalen Erwartungen wissen die Wirtschaftssubjekte über die Geschehnisse auf den Märkten
Bescheid. Das heißt, sie antizipieren die Eingriffe der Wirtschaftspolitik und berücksichtigen sie in
ihren Lohn- und Preisforderungen. Die Wirtschaftspolitiker haben keinen trade-off mehr, da die
Inflation keinen Einfluss mehr auf die Beschäftigung hat. Bei rationalen Erwartungen und
augenblicklicher Markträumung gilt die langfristige vertikale Phillipskurve dann auch kurzfristig!
2. Aufgrund der Globalisierung wird von einigen wirtschaftspolitischen Akteuren eine erhebliche
Senkung der Höhe der Unternehmenssteuern gefordert. Wie beurteilen Sie diese Forderung
vor dem Hintergrund eines vergleichsweise geringen Wirtschaftswachstums und hoher
Arbeitslosigkeit?
Nachfrageorientierte (keynesianische) Sichtweise:
Aufgrund der konjunkturell schlechten Lage kann eine Steuersenkung als antizyklisches Instrument
zur Stimulierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verwendet werden. Dazu sollten jedoch
Steuern gesenkt werden, die die Konsumenten tangieren. Durch eine Senkung der
Unternehmenssteuer könnten höchstens die Produktionsbedingungen der Unternehmer verbessert
werden. Da in der keynesianischen Sicht das Saysche Gesetz nicht gilt, muss es nicht zu
Investitionen (und damit einer Ankurbelung der Wirtschaft) kommen, wenn die entsprechende
kaufkräftige Nachfrage fehlt bzw. die Unternehmer dies erwarten.
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Angebotsorientierte (neoklassische) Sichtweise:
Durch eine Senkung der Unternehmenssteuer verbessert man die Gewinnaussichten der
Unternehmen, so können sie mehr Güter zum Marktpreis anbieten. Um diese zu produzieren,
müssen Investitionen getätigt und Arbeitskräfte eingestellt werden. Hierbei könnte man neben der
KSt auch an die Gewerbesteuer denken.
Ein weiterer Grund für die Steuersenkung ist, dass international operierende Unternehmen ihren
Gewinn
so
verschieben
können
(durch
unternehmensinterne
An-
und
Verkäufe
von
Produkten/Waren), dass sie Gewinne in Länder mit geringem Steuersatz realisieren. Somit entsteht
ein Nachteil bei Firmen, die lediglich im Inland produzieren.
Die Möglichkeit Gewinne zu verschieben, zeigt sich bspw. daran, dass ein wirtschaftlich starkes
und großes Land wie Deutschland mit dem höchsten Körperschaftssteuersatz in der EU das
niedrigste Körperschaftssteueraufkommen erzielt. Allgemein spricht man davon, dass mobile
Faktoren nicht oder nur in geringem Maße besteuert werden können, da sie sich sonst der
Besteuerung entziehen -und Kapital gilt heutzutage als überaus mobil. Eine gemeinsame
europäische Unternehmenssteuerpolitik könnte dem entgegenwirken.
3. Skizzieren Sie den „Politischen Konjunkturzyklus“. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt
sein, damit die jeweilige Regierungspartei sich diesen Mechanismus auf Dauer zunutze
machen kann? Welche Rolle spielen die verschiedenen „time-lags“ zwischen den
wirtschaftspolitischen Maßnahmen und ihren Wirkungen auf die makroökonomischen
Größen?
Die Ziele der Globalsteuerung sind Vollbeschäftigung, Preisstabilität, stetiges Wachstum und eine
ausgeglichene Zahlungsbilanz. (vgl. §1 StabG)
Politiker aber sind meist nicht an der Umsetzung dieser Hauptziele interessiert, sondern primär am
Ziel der Erreichung einer Stimmenmehrheit, um ihre politischen Ziele umzusetzen und die
Regierungsmacht zu erhalten. Die Parteien werden folglich die Ziele der Globalsteuerung nur dann
verfolgen, wenn sie sich davon Stimmengewinne versprechen.
Also haben Parteien eine Neigung zum opportunistischen Handeln in bestimmten Situationen.
Berücksichtigt man zusätzlich die Wahlperioden, zeichnet sich ein politischer Konjunkturzyklus
ab.
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Die Theorie des politischen Konjunkturzyklus sagt im Wesentlichen aus, dass
•
durch die vorgegebene Sequenz der Wahltermine ein „künstlicher“ Konjunkturzyklus, d.h.
ein Auf und Ab von Inflationsraten und Arbeitslosenquoten generiert wird und
•
daraus unter bestimmten Umständen eine Tendenz zur steigenden Inflation resultiert.
Annahmen des Modells des „politischen Konjunkturzyklus“:
1. Parteien, bzw. Regierung sind Stimmenmaximierer zwecks Realisierung ihrer exogenen
Ziele;
2. Zwei Parteien werden betrachtet;
3. Wähler bewerten die Leistung der politischen Parteien nach der aktuellen konjunkturellen
Entwicklung;
4. Wähler sind kurzsichtig im folgenden Sinne: sie lassen sich jeweils durch kurzfristige
makroökonomische Daten (aktuelle Arbeitslosenquote) bei ihrer (aktuellen) Bewertung der
Leistung der Politiker beeinflussen, „erinnern“ sich jedoch nicht an frühere Daten aus der
Legislaturperiode;
5. Ein kurzfristiger Trade-Off zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit ist möglich, d.h. es gibt
eine Phillipskurve;
6. Time-Lags liegen vor, d.h. zeitliche Verzögerungen zwischen der Wahrnehmung einer
Fehlentwicklung und der Wirkung der ergriffenen Maßnahmen:
•
Inside lags sind Verzögerungen zwischen der Wahrnehmung einer Fehlentwicklung und der
Entscheidungsfindung über die geeigneten Maßnahmen („Entscheidungs-Lags“);
•
Outside lags sind Verzögerungen zwischen der Umsetzung der Maßnahmen, ihrer Wirkung
und ihrer Wahrnehmung durch die Wirtschaftssubjekte („Wirkungs-Lags“).
Wahrnehmung einer
Fehlentwicklung
Inside lag
Entscheidung
über geeignete
Maßnahmen
Outside lag
Wirkung der
Maßnahmen/
Wahrnehmung
Unter diesen Annahmen versuchen Parteien vor einer Wahl die makroökonomischen Daten zu
beeinflussen. Die Arbeitslosenquote und die Inflationsrate sind wahrscheinlich die wichtigsten
Größen, wenn Wähler Regierungen beurteilen sollen. Demnach versucht eine Regierung, kurz vor
dem Wahltermin die Arbeitslosenquote zu senken, z.B. durch Erhöhung der Staatsausgaben
(Schaffung neuer Arbeitsmarktstrategien, verstärktes Bemühen um Schaffung neuer Arbeitsplätze,
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ABM, etc.). Da die Wähler kurzsichtig sind, sehen sie nur die positiven Effekte der ergriffenen
Maßnahmen. Die sinkende Arbeitslosenquote kann als politischer Erfolg der jeweiligen
Regierungspartei verbucht werden. Die Chancen auf eine Wiederwahl steigen.
Erst nach der Wiederwahl zeichnen sich die negativen Folgen der Maßnahmen ab. Die tatsächliche
Inflationsrate steigt an. Die Wirtschaftssubjekte werden nach einer gewissen Zeitverzögerung
(outside lag) diese Steigerung wahrnehmen und ihre Inflationserwartungen anpassen. Die
Arbeitslosenquote steigt wieder auf ihr altes Niveau. Für die jeweilige Partei ist dies aber nicht
weiter gravierend, da sie für die gesamte Legislaturperiode gewählt ist und somit kurz nach der
Wiederwahl keine Stimmen maximieren muss.
Folglich kann sie jetzt eine Anti-Inflationspolitik betreiben, unter Inkaufnahme der Verschärfung
der Arbeitslosigkeit. Es wird unterstellt, dass die Wirtschaftssubjekte die Geschehnisse zu Beginn
einer Legislaturperiode am Ende der laufenden Periode vergessen haben.
Einschränkungen:
Das hier vorgestellte Modell des „politischen Konjunkturzyklus“ setzt voraus, dass:
•
die Wahlperioden nicht zu kurz bemessen sind;
•
die Wähler kurzsichtig sind und nicht aus der Vergangenheit lernen;
•
die Wähler sich nur durch die genannten Argumente beeinflussen lassen.
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