Ergativität in Mayasprachen

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CHRISTEL STOLZ
Ergativität in Mayasprachen
1. Einleitung
Die Mayasprachen bilden eine Sprachfamilie von ca. 25 Sprachen, die in Mittelamerika, und zwar
in Mexiko, Belize und Guatemala, gesprochen werden. Die meisten dieser Sprachen zeigen
ergativische Züge, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß und oft gemischt mit akkusativischer
Markierung.
Nota bene: Die Begriffe Ergativ und Akkusativ können bei unvoreingenommenen, durchschnittlich
schulgebildeten Menschen den Eindruck erwecken, daß es sich hierbei um verschiedene Arten der
morphologischen Markierung von Kasus handelt. Zumindest der Begriff Akkusativ dürfte den
meisten ja aus der Schulgrammatik bekannt sein. Dies trifft allerdings nicht zu und kann auch
besonders für die Mayasprachen gar nicht zutreffen, weil diese keinen morphologischen Kasus am
Nomen kennen. Mit den Begriffen Ergativ-Absolutiv (Kurzform: Ergativ) bzw. NominativAkkusativ (Kurzform: Akkusativ) werden hier vielmehr zwei verschiedene Strategien bezeichnet,
die Hauptmitspieler (Partizipanten) des Verbs im Satz zu markieren. Diese Markierung findet in den
Mayasprachen notwendigerweise am Verb bzw. Prädikat und nicht am Nomen statt, weil es die
morphologische Kategorie Kasus eben nicht gibt.
Wie die beiden Strategien Ergativ-Absolutiv- und Nominativ-Akkusativ-Markierung genau zu
definieren sind, dazu weiter unten. Vorerst sollen Daten aus zwei verschiedenen Mayasprachen
verdeutlichen, wie die Partizipantenmarkierung im Satz funktioniert.
2. Tojolabal
Als erstes sehen wir uns das Tojolabal (wörtlich: „die korrekte Sprache“) an, eine Mayasprache des
Q’anjob’al-Zweigs, die in Chiapas, im Südwesten Mexikos, gesprochen wird. Tojolabal gilt als
relativ „reine“ Ergativsprache, d.h. daß die Kennzeichnung der Partizipanten des Verbs im
wesentlichen mit nur einer Strategie, nämlich der ergativischen, bewältigt wird.
Tojolabal hat zwei verschiedene Sätze von Pronomen, mit denen die Partizipanten des Verbs
gekennzeichnet werden. Das pronominale Set A (auch Ergativ-Pronomen genannt) besteht aus
Präfixen im Singular bzw. einem präfixalen und einem suffixalen Bestandteil im Plural, vgl. (1).
Der präfixale Bestandteil der Pluralpronomen ist identisch mit den jeweiligen Singularpronomen.
(1)
1
TOJ: Personalpronomen Set A (Ergativ-Pronomen)
SG
PL
1
k-/h-
k-/h-...-tik (inkl.)1
k-/h-...-tikon (exkl.)
2
haw-
haw-...-ex
3
y-/s-
y-/s-...e’
Tojolabal weist, wie einige andere Mayasprachen auch, eine Inklusiv-Exklusiv-Unterscheidung bei den Pronomen der
1. Person Plural auf. Das entscheidende Kriterium ist hierbei die Anwesenheit des Adressaten in der mit “wir”
bezeichneten Gruppe: bei der inklusiven Spielart ist der Adressat Mitglied der Gruppe (wir (inkl.) = ich + du + ...), bei
der exklusiven nicht (wir (exkl.) = ich + ..., aber nicht du).
Das pronominale Set B (auch Absolutiv-Pronomen genannt) besteht aus Suffixen, vgl. (2). Die
Pluralsuffixe sind identisch mit oder abgeleitet von den jeweiligen suffixalen Bestandteilen der
Pluralpronomen des Sets A.
(2)
TOJ: Personalpronomen Set B (Absolutiv-Pronomen)
SG
PL
1
-on
-otik (inkl.)
-otikon (exkl.)
2
-a
-ex
3
–Ø
-e’
Die Pronomen des Sets A werden im Tojolabal unter anderem verwendet für die Kennzeichnung
des pronominalen Possessors in einem Nominalsyntagma, vgl. (3).
(3)
TOJ
kok2
1.A- Bein
„mein Bein” (Furbee-Losee 1976, 75)
Die Pronomen des Sets B werden ausschließlich mit Prädikaten verwendet, so unter anderem zur
Kennzeichnung des einzigen Partizipanten bei stativischen Prädikaten, also nominalen Ausdrücken
für, unter anderem, Zustände und Eigenschaften, vgl. (4).
(4)
TOJ
ixuk -on
xa
Frau -1.SG.B
jetzt
„Ich bin jetzt eine Frau.”
Auch bei stativischen Prädikaten können Formen aus beiden pronominalen Sätzen in Kombination
auftreten, nämlich genau dann, wenn ein stativisches Prädikat mit Possession verbunden ist, vgl. (5).
(5)
TOJ
hmon
-a
1.A- Gefährte
-2.SG.B
„Du bist mein Gefährte.” (Furbee-Losee 1976, 223)
Bei intransitiven Verben wird der einzige Partizipant genau wie bei stativischen Prädikaten durch
ein Pronomen des Sets B ausgedrückt. Dies ist unabhängig von anderen grammatischen Kategorien,
die ebenfalls am Verb ausgedrückt werden, z.B. vom jeweiligen Aspekt: die Partizipantenmarkierung durch B-Pronomen ist im Imperfektiv, vgl. (6), und im Perfektiv, vgl. (7), identisch.
2
In den Beispielen werden zur besseren Unterscheidung Pronomen des Sets A kursiv gedruckt, Pronomen des Sets B
hingegen fett.
20
(6)
TOJ
ti -Ø
la- hak
-iy
-on
-ah3
da -3.SG.B IPF- weggeh -UA -1.SG.B -da
„Ich gehe weg.“ (Furbee-Losee 1976, 292)
(7)
TOJ
Ø- wah -iy -on
b’a chon
-ab’
PF- geh -UA -1.SG.B wo verkauf -NOM
„Ich ging in die Stadt [da, wo verkauft wird].“ (Furbee-Losee 1976, 139)
Die Partizipantenmarkierung ist ebenfalls unabhängig vom syntaktischen Status des Satzes, dessen
Hauptprädikat das jeweilige intransitive Verb darstellt und der ebenfalls durch Verbsuffixe kodiert
wird. Im Tojolabal ist der syntaktische Status des Satzes mit dem jeweiligen Modus des Verbs
korreliert. (8) enthält eine Verbhandlung im Futur, der am Verb ein Modusmarker für den
Potentialis entspricht (zukünftige Handlungen sind per definitionem immer potentiell und (noch)
nicht aktuell). Das Verb ist hier Bestandteil eines abhängigen Satzes. (9) zeigt einen unabhängigen
Satz, dessen Status ebenfalls durch ein Verbsuffix, in diesem Falle –iy, ausgedrückt wird. In beiden
Fällen ist die Partizipantenmarkierung nicht von den ebenfalls am Verb ausgedrückten grammatischen Kategorien beeinflußt.
(8)
TOJ
oh -xa
k’ot
-k
-otik
ha
b’a chon
-ab’
FUT -jetzt ankomm -POT -1.PL.INKL.B DEF wo verkauf -NOM
„Wir werden gleich in der Stadt ankommen.“ (Lenkersdorf 1994, 143)
(9)
TOJ
la- xiw
-iy
-on
IPF- Angst.hab -UA -1.SG.B
„Ich habe Angst.“ (Furbee-Losee 1976, 125)
Es ist ebenfalls für die Partizipantenmarkierung irrelevant, welche semantische Rolle der einzige
Partizipant des Verbes innehat. So tritt in (6) ein Partizipant mit der semantischen Rolle Agens auf,
während der Partizipant in (9) eine weniger agentivische Rolle, nämlich die des Experiencers,
aufweist. Die fehlende Interaktion der Partizipantenmarkierung mit anderen grammatischen und
semantischen Kategorien im Tojolabal ist besonders bemerkenswert, weil im weiteren eine
Mayasprache diskutiert wird, in der dies anders aussieht.
Bei transitiven Verben, also solchen mit zwei Partizipanten, werden Elemente aus beiden pronominalen Paradigmen zur differentialen Markierung der Partizipanten eingesetzt. Dabei drückt ein
Element des Sets A das Agens des transitiven Verbs aus, während ein Element des Sets B auf das
Patiens des transitiven Verbs referiert. Diese Regularitäten der Partizipantenmarkierung interagieren
wiederum nicht mit den anderen am Verb ausgedrückten grammatischen Kategorien wie z.B.
Aspekt: (10) zeigt einen Satz im Perfektiv, (11) einen Satz im Imperfektiv und (12) einen Satz im
Präsens Progressiv, einer Subkategorie des Imperfektivs. Im letzten Fall ist die Präfigierung von
zwei Aspektmorphemen, dem Progressiv-Marker wa- und dem semantisch allgemeineren Imperfektiv-Marker x-, erforderlich. Die Partizipantenmarkierung durch B-Pronomen ist aber in allen drei
Fällen gleichförmig.
3 Die Nullform des Pronomens der 3.Singular nach ti “da” erklärt sich dadurch, daß es im Tojolabal, wie in vielen
anderen Mayasprachen, eine ausgeprägte Tendenz zur Topikalisierung gibt, so daß das lokale Adjunkt ti-Ø „es ist da“
kein Bestandteil des Satzes ist. Übersetzen läßt sich so eine Konstruktion am besten durch einen Spaltsatz: Es ist da,
wohin ich weggehe.
21
(10)
TOJ
Ø- kil
-aw -a
PF- 1.A- seh -TR -2.SG.B
„Ich sah dich.“ (Furbee-Losee 1976, 131)
(11)
TOJ
xkil
-aw
IPF- 1.A- seh
-TR
„Ich sehe sie.” (a.a.O.)
-e’
-3.PL.B
(12)
TOJ
waxkil
-aw -e’
PRÄS.PROG- IPF- 1.A- seh -TR -3.PL.B
„Ich schaue sie an.” (a.a.O.)
Die Regularitäten der Partizipantenmarkierung im Tojolabal lassen sich in folgender Tabelle (13)
zusammenfassen. Nur der Vollständigkeit halber ist hier die Kodierung des Possessors durch APronomen mit aufgeführt, obwohl es sich hierbei natürlich nicht um eine Partizipantenmarkierung
im strengen Sinne handelt, die ja an die Existenz von Prädikaten und ihre entsprechenden Valenzen
gebunden ist. Die Nummern hinter den einzelnen Funktionen verweisen auf die jeweiligen
Beispiele.
(13)
Set A
Possessor eines Nomens (3,5)
Set B
einziger Partizipant stativischer Prädikate (45)
einziger Partizipant intransitiver Verben:
Agens, Patiens oder andere Rollen (6-9)
Agens des transitiven Verbs (10-12)
Patiens des transitiven Verbs (10-12)
Die ergativische Partizipantenmarkierung im Tojolabal läßt sich im Schaubild (14) verdeutlichen,
das mehr oder weniger eine graphische Umsetzung von (13) ist. Die Abkürzungen stehen für die
semantischen Rollen und syntaktischen Relationen, die bei der Partizipantenmarkierung eine Rolle
spielen: Ai (einziger Partizipant des intransitiven Verbs, semantische Rolle Agens), Pi (einziger
Partizipant des intransitiven Verbs, semantische Rolle inaktiv, d.h. Patiens o.ä.), Pt (Patiens des
transitiven Verbs), At (Agens des transitiven Verbs), und, wieder der Vollständigkeit halber, POSS
(Possessor). Kodierung mit Pronomen des Sets A wird durch Kursivdruck angezeigt, Kodierung mit
Pronomen des Sets B durch Fettdruck.
Das spezifisch Ergativische an diesem Muster der Partizipantenmarkierung ist nun, daß das Patiens
des transitiven Verbs (Pt) genauso markiert wird wie der einzige Partizipant der intransitiven
Verben (Ai bzw. Pi), im Tojolabal nämlich durch B-Pronomen. Das Agens des transitiven Verbs
(At) hat hingegen eine spezielle Form der Markierung, nämlich durch A-Pronomen. Andere
Partizipanten werden nicht mit A-Pronomen kodiert; nur bei der Zuweisung von Possessoren, also
im nominalen Bereich, spielen A-Pronomen sonst noch eine Rolle.
22
(14)
Rein ergative Partizipantenmarkierung im Tojolabal
Ai
Pt
At (= POSS)
Pi
Tojolabal und eine Handvoll anderer Hochlandsprachen zeigen ein relativ reines ergatives Muster
der Partizipantenmarkierung: der einzige Partizipant von intransitiven Verben (egal ob aktiv oder
inaktiv) wird genauso markiert wie das Patiens transitiver Verben, und zwar in allen
aspektuellen/modalen Kategorien. Es gibt im Tojolabal schwache Anzeichen dafür, daß es evtl. eine
nicht sehr prominente Ergativspaltung bedingt durch den Belebtheitsgrad der Partizipanten geben
könnte. Die Daten sind aber leider zu dünn gesät, um Genaueres sagen zu können. Deshalb gilt
Tojolabal (bis auf weiteres) als reine Ergativsprache.
3. Yukatekisch
Ein anderes Muster der Ergativität zeigt sich im Yukatekischen, einer weiteren Mayasprache, die
aber mit dem Tojolabal nicht sehr eng verwandt ist. Sie gehört zum yukatekischen Zweig der
Mayasprachen und wird ebenfalls hauptsächlich in Mexiko gesprochen, nämlich auf der Halbinsel
Yukatan im Südosten des Landes. Im Yukatekischen findet sich ein Phänomen, das gemeinhin als
gespaltene Ergativität bezeichnet wird.
Das yukatekische Maya hat ebenfalls zwei verschiedene Sätze von Pronomen, mit denen die
Partizipanten am Verb gekennzeichnet werden. Das pronominale Set A (die Ergativ-Pronomen)
besteht im Yukatekischen aus vorangestellten Klitika im Singular und der 1. Person Plural bzw.
einem klitischen und einem suffixalen Bestandteil in den anderen beiden Pluralpersonen, vgl. (15).
Der klitische Bestandteil der morphologisch komplexen Pluralpronomen ist identisch mit den
jeweiligen Singularpronomen.
(15)
YUK: Personalpronomen Set A (Ergativ-Pronomen)
SG
PL
1
in
k4
2
a
a ...-e’x
3
u
u ...-o’b
Das pronominale Set B (die Absolutiv-Pronomen) besteht im Yukatekischen, wie im Tojolabal, aus
Suffixen, vgl. (16). Die Pluralsuffixe der 2. und 3. Person sind identisch mit den jeweiligen
suffixalen Bestandteilen der komplexen Pluralpronomen aus Set A.
4
Die im Tojolabal vorkommende Inklusiv-Exklusiv-Unterscheidung bei der 1. Person Plural wird im Yukatekischen
nur in einigen Dialekten vorgenommen, ist also kein durchgängiges Phänomen. Deshalb habe ich sie der Einfachheit
halber weggelassen.
23
(16)
YUK: Personalpronomen Set B (Absolutiv-Pronomen)
SG
PL
1
-en
-o’n
2
-ech
-e’x
3
-e’/-Ø
-o’b
Die Pronomen des Sets A werden im Yukatekischen unter anderem verwendet für die Kennzeichnung des pronominalen Possessors in einem Nominalsyntagma, vgl. (17). In diesem Bereich
des Pronominalgebrauchs unterscheidet sich das Yukatekische also nicht vom Tojolabal.
(17)
YUK
in
w- òok
1.SG.A EU- Bein
„mein Bein“
Wie im Tojolabal werden die Pronomen des Sets B ausschließlich mit Prädikaten verwendet, so
auch bei der Kennzeichnung des einzigen Partizipanten bei stativischen Prädikaten, vgl. (18).
(18)
YUK
nohoch máak
-en
groß
Person
-1.SG.B
„Ich bin erwachsen.”
Ebenfalls können bei stativischen Prädikaten Formen aus beiden pronominalen Sets kombiniert
auftreten, und zwar in dem Falle, daß ein stativisches Prädikat mit Possession verbunden ist, vgl. (19).
(19)
YUK
in
suku’n
-ech
1.SG.A älterer.Bruder -2.SG.B
„Du bist mein älterer Bruder.“
Bei den transitiven Verben des Yukatekischen gibt es ebenfalls bezüglich der Partizipantenmarkierung keine größeren Unterschiede zum Tojolabal. Das heißt, daß das Agens des transitiven
Verbs durch ein A-Pronomen ausgedrückt wird, das Patiens aber durch ein B-Pronomen. Dieses
Muster ist im Yukatekischen wie im Tojolabal unabhängig von anderen am Verb ausgedrückten
grammatischen Kategorien wie z.B. Aspekt. So finden wir in (20) einen Satz im Perfektiv, in (21)
im Imperfektiv und in (22) im Progressiv.
(20)
(21)
YUK
t- in
w- il
PF- 1.SG.A EU- seh
„Ich sah dich.”
YUK
kin
w- il
IPF- 1.SG.A EU- seh
„Ich sehe dich.”
-ah
-TR.PF
-ech
-2.SG.B
-ik
-ech
-TR.IPF -2.SG.B
24
(22)
YUK
táan
u
hats’ -ik
-o’n
PROG 3.A
schlag -TR.IPF -1.PL.B
„Er schlägt uns gerade.”
Hier enden allerdings die Parallelen der yukatekischen Partizipantenmarkierung mit der des
Tojolabal, denn bei den intransitiven Verben liegt im Yukatekischen ein anderes Muster vor.
Allerdings begegnen uns die aus dem Tojolabal bekannten Regularitäten der Partizipantenmarkierung bei den Perfektiva, also wenigstens bei einem Teil der yukatekischen intransitiven
Verben. So liegt in (23) ein komplexer Satz mit zwei einfachen Sätzen imperfektiven Aspekt vor.
Beide Partizipanten werden durch ein B-Pronomen markiert. In (24) liegt ein einfacher Satz mit
vorangestelltem Topic vor. Der einzige Partizipant der Verbwurzel hàan “essen” wird ebenfalls
wieder durch ein B-Pronomen ausgedrückt. Wie im Tojolabal ist es bei perfektiven Intransitiva im
Yukatekischen gleichgültig, welche semantische Rolle der einzige Partizipant erfüllt. In (23) und
(24) wäre dies die Agens-Rolle, während es in (25) die Patiens-Rolle ist. Das yukatekische Verb
síih ist patiensorientiert; eine adäquate Übersetzung ins Deutsche wäre deshalb eine PassivÜbersetzung: “geboren werden”. Die Verwendung der B-Pronomen ist von diesen Unterschieden
bezüglich der semantischen Rollen nicht betroffen.
(23)
YUK
ma’ h
bin -en
-i’ tuméen h tàal
-ech
tèech
NG PF geh -1.SG.B -NG weil
PF komm -2.SG.B P.EMP.2.SG
„Ich ging nicht weg, weil DU kamst.” (Bohnemeyer 1998)
(24)
YUK
behe’la -e’
mix
h hàan -en
-i’
heute -TOP NG.EMP PF ess
-1.SG.B -NG
„Heute habe ich [noch] gar nicht gegessen.”
(25)
YUK
ba’x àanyoh h síih
-ech?
was Jahr
PF geboren.werd -2.SG.B
„In welchem Jahr wurdest du geboren?”
In (26) lassen sich die Strategien der Partizipantenmarkierung bei intransitiven und transitiven
Verben sehr gut nebeneinander betrachten. Alle Teilsätze sind im perfektiven Aspekt. Die Verben
in den ersten drei Textzeilen sind intransitiv, ihr einziger Partizipant wird mit einem B-Pronomen
(das hier zweimal in der Nullform für die 3.Person Singular auftritt) ausgedrückt. In der vierten
Textzeile tritt das transitive abgeleitete Verb ahs “aufwecken” auf, dessen Patiens-Argument durch
ein B-Pronomen markiert wird, während das Agens-Argument durch ein präponiertes A-Pronomen
ausgedrückt wird.
(26)
YUK
Tèen
-e’ chéen káa
h hòok’ -Ø
Pèedroh -e’
P.EMP.1.SG -TOP nur
und.dann PF weggeh -3.SG.B Peter
-TOP
káa
h wèen -en
hun -p’íit.
und.dann PF schlaf -1.SG.B ein -bißchen
Le káa
DET und.dann
h k’uch
-Ø
Pèedroh
PF ankomm -3.SG.B Peter
25
káa
t -u
yah
-s
-ah
-en.
und.dann PF -3.A EU- erwach -KAUS -TR.PF -1.SG.B
„Ich, als Peter wegging, schlief ich ein bißchen. Als Peter wiederkam, weckte er mich.”
(Bohnemeyer 1998, 482-3)
Die Markierung der einzigen Partizipanten von Intransitiva durch B-Pronomen ist allerdings nicht
auf den perfektiven Aspekt beschränkt. In abhängigen Sätzen werden Verben des Yukatekischen in
einer bestimmten Weise konjugiert; die entsprechende grammatische Kategorie wird Subjunktiv
genannt. Im Subjunktiv der Intransitiva treten ebenfalls B-Pronomen als Ausdruck des einzigen
Partizipanten auf. In (27) fungiert das Substantiv sáam „(vergangene) Weile“ als Matrixsatz (d.h.
übergeordneter Satz). In (28) tritt als Matrixsatz in k’áat „ich will“ auf, der das A-Pronomen der 1.
Person Singular enthält. Das Auftreten des A-Pronomens erklärt sich dadurch, daß es sich bei k’áat
um ein Substantiv mit der Bedeutung „Wunsch, Wille“ handelt, das mit dem entsprechenden APronomen als Possessor-Zeichen versehen wird, vgl. (17).
(27)
YUK
sáam wáah k’uch
-uk
-ech?
Weile ALT ankomm -ITR.SUBJ -2.SG.B
„Ist es schon eine Weile her, daß du ankamst?” (Bohnemeyer 1998, 407)
(28)
YUK
in
k’áat
káa hàan -ak
-o’b
1.SG.A Wunsch daß ess
-ITR.SUBJ -3.PL.B
„Ich will [mein Wunsch ist], daß sie essen.”
Der entscheidende Unterschied zwischen der tojolabalischen und der yukatekischen Strategie der
Partizipantenmarkierung liegt, wie oben bereits erwähnt, bei den intransitiven Verben. Im
imperfektiven Aspekt erhalten yukatekische Intransitiva eine andere Partizipantenmarkierung als
im perfektiven Aspekt und im Subjunktiv. Die beiden intransitiven Verben in (29), bàaxal „spielen“
und áawat „rufen“ haben jeweils einen Partizipanten, der durch ein A-Pronomen ausgedrückt wird.
Diese Strategie ist im Tojolabal unbekannt. Gleiches gilt für den einzigen Partizipanten des
intransitiven Verbs kìim „sterben“ in (30).
(29)
YUK
wáah ka bàaxal yéetel mìis -a’ ku yàawat
wenn IPF- 2.A spiel
EU- mit Katze -D1 IPF- 3.A EU- ruf
„Wenn du mit einer Katze spielst [sie ärgerst], schreit sie.” (Bohnemeyer 1998, 332)
(30)
YUK
táan u
kìim -il
le
nohoch máak -o’
PROG 3.A sterb -ITR.PF DET groß
Person -D2
„Der alte Mann stirbt gerade.”
Die Regularitäten der Partizipantenmarkierung im Yukatekischen lassen sich, analog zu den
tojolabalischen Fakten in (13), in der Tabelle (31) zusammenfassen. Die Nummern hinter den
einzelnen Funktionen verweisen wiederum auf die entsprechenden Beispiele. Die fettgedruckte
dritte Zeile in (31) verdeutlicht den Punkt, an dem die Partizipantenmarkierung im Yukatekischen
von der im Tojolabal abweicht: intransitive Verben verhalten sich im Yukatekischen bezüglich ihrer
Partizipantenmarkierung nicht einheitlich wie die Intransitiva des Tojolabal, sondern wechseln
ihren pronominalen Ausdruck in Abhängigkeit vom verbalen Aspekt.
26
(31)
Set A
Possessor eines Nomens (17,19)
Set B
einziger Partizipant stativischer Prädikate (1819)
einziger Partizipant intransitiver Verben einziger Partizipant intransitiver Verben
im Imperfektiv (29-30)
im Perfektiv und Subjunktiv (23-28)
Agens des transitiven Verbs (20-22,26)
Patiens des transitiven Verbs (20-22,26)
Zur weiteren Klärung werden noch einmal Minimalpaare von tojolabalischen und yukatekischen
Sätzen demonstrieren, wie genau der Unterschied in der Partizipantenmarkierung beschaffen ist. In
(32)-(33) werden Intransitiva im Perfektiv (der hier auch stellvertretend für den Subjunktiv steht)
aus beiden Sprachen gegenübergestellt. Im Tojolabal (32) wie im Yukatekischen (33) wird der
einzige Partizipant gleichförmig durch ein B-Pronomen kodiert. In (34)-(35) wird die
Partizipantenmarkierung von Intransitiva im Imperfektiv demonstriert. Im Tojolabal (34) wird
genau wie im perfektiven Aspekt das Argument durch ein B-Pronomen ausgedrückt, wohingegen
das Yukatekische (35) sich abweichend verhält, weil hier der einzige Partizipant eines intransitiven
Verbs im Imperfektiv durch ein A-Pronomen ausgedrückt wird.
(32=7)
TOJ
Ø- wah -iy -on
b’a chon
-ab’
PF- geh -UA -1.SG.B wo verkauf -NOM
„Ich ging in die Stadt [da, wo verkauft wird].“ (Furbee-Losee 1976, 139)
(33)
YUK
h bin -en
ho’
PF geh -1.SG.B Mérida
„Ich ging nach Mérida.“
(34=6)
TOJ
ti -Ø
la- hak
-iy
-on
-ah
da -3.SG.B IPF- weggeh -UA -1.SG.B -da
„Ich gehe weg.“ (Furbee-Losee 1976, 292)
(35)
YUK
táan
im
bin
PROG 1.SG.A geh
„Ich gehe jetzt.“
Bei der Partizipantenmarkierung im Yukatekischen handelt es sich, wie bereits oben erwähnt, um
eine sog. gespaltene Ergativität, also einen Mischfall aus ergativisch-absolutivischer und nominativisch-akkusativischer Partizipantenmarkierung. Schaubild (36) verdeutlicht die Ergativspaltung.
27
(36)
Gespaltene Ergativität im Yukatekischen
Ai
Pt
Ai
At
Pt
At
(=POSS)
(=POSS)
Pi
Pi
ERGATIVISCH
im Perfektiv/Subjunktiv
AKKUSATIVISCH
im Imperfektiv
Die linke Seite des Schaubildes (36) entspricht genau den tojolabalischen Verhältnissen, wie sie in (14)
dargestellt wurden. Im Perfektiv bzw. Subjunktiv unterscheiden sich die beiden Sprachen also bezüglich
ihrer Partizipantenmarkierung nicht: alle Partizipanten bis auf das Agens des transitiven Verbs werden
einheitlich mit B-Pronomen ausgedrückt. Das Agens des transitiven Verbs stellt die Ausnahme dar und
wird durch A-Pronomen kodiert. Im rechten Bereich des Schaubildes, bei der akkusativischen
Markierung im Imperfektiv, bieten sich exakt spiegelbildliche Verhältnisse: alle Partizipanten bis auf
das Patiens des transitiven Verbs werden gleichartig ausgedrückt, nämlich mit Pronomen der A-Reihe.
Das Patiens des transitiven Verbs bildet die Ausnahme und wird mit B-Pronomen ausgedrückt. Dies
entspricht den Markierungsverhältnissen, wie wir sie z.B. auch aus hauptsächlich akkusativisch
markierenden Sprachen wie dem Deutschen kennen. Gespaltene Ergativität läßt sich also wie in (37)
definieren. Die Definition wurde von Dixon (1979, 1994) übernommen.
(37)
Gespaltene Ergativität:
Der einzige Partizipant intransitiver Verben wird mal wie das Agens und mal wie das
Patiens transitiver Verben kodiert.
4. Schluß
Die Unterschiede zwischen ergativisch-absolutivischer und nominativisch-akkusativischer
Partizipantenmarkierung lassen sich abschließend auf folgende kurze Formel bringen, vgl. (38):
(38)
Nominativisch-akkusativische Partizipantenmarkierung:
der einzige Partizipant intransitiver Verben wird so wie das Agens transitiver Verben
ausgedrückt
Ergativisch-absolutivische Partizipantenmarkierung:
der einzige Partizipant intransitiver Verben wird so wie das Patiens transitiver Verben
ausgedrückt.
Unter Mayanisten wird generell angenommen, daß das Yukatekische einen Fall von aspektbedingter
Ergativspaltung aufweist. Über die diachronen Ursachen einer solchen Ergativspaltung siehe
Bricker (1981). Der Split folgt genau dem Muster der aspektbedingten Spaltung der
Partizipantenmarkierung, den DeLancey (1981) als typologisch dominant unter den Sprachen der
Welt charakterisiert hat: der Ergativ-Absolutiv erscheint mit dem Perfektiv, der NominativAkkusativ mit dem Imperfektiv.
28
Das Yukatekische weicht allerdings in einer Hinsicht von der durch DeLancey (1981) als kanonisch
beschriebenen Ergativ-Spaltung ab: im Yukatekischen sind nur die Intransitiva betroffen, während
die Partizipantenmarkierung der transitiven Verben in allen aspektuellen Kategorien durchgängig
nominativisch-akkusativisch bleibt. Insofern wäre es genauso gerechtfertigt, von „split-S-marking“
(Silverstein 1976) zu reden, also von gespaltener Intransitivität, und nicht von gespaltener
Ergativität.
Abschließend läßt sich noch anmerken, daß ergativische Partizipantenmarkierung in den meisten
Mayasprachen vorkommt5. Sie ist jedoch in vielen Fällen gespalten. Die durch den Imperfektiv
hervorgerufene Spaltung im Yukatekischen ist typisch, was die Kausalität von Ergativspaltungen
angeht. Allerdings werden solche Splits in anderen Mayasprachen auch durch andere
aspektuelle/modale Kategorien als den Imperfektiv hervorgerufen, und zwar besonders durch den
Progressiv und den Subjunktiv. (Im Yukatekischen dagegen werden Verben im Progressiv als einer
Subkategorie des Imperfektivs wie jene im Imperfektiv akkusativisch konjugiert, während Verben
im Subjunktiv zusammen mit jenen im Perfektiv eben nicht akkusativisch, sondern ergativisch
flektieren.) Von den in Tabelle (39) aufgeführten zwanzig Mayasprachen mit ergativischer
Partizipantenmarkierung weisen immerhin dreizehn eine Spaltung auf, die in den meisten Fällen
durch Aspekt oder Subordination hervorgerufen wird. In der ersten Spalte rechts neben der
Sprachbezeichnung wird durch ein „+“ angegeben, ob eine akkusativische Partizipantenmarkierung,
also eine Ergativspaltung in der jeweiligen Sprache vorliegt. Die Spalten weiter rechts geben
ebenfalls durch ein „+“ an, durch welche kookkurierende grammatische Kategorie die Spaltung
ausgelöst wird. Ein Gleichheitszeichen gibt an, daß der Ausdruck einer grammatischen Kategorie
identisch mit dem einer anderen, ebenfalls in der Tabelle auftauchenden, ist.
(39)
Ergativische Mayasprachen mit akkusativischer Partizipantenmarkierung: ein Überblick
Sprache
Wastekisch
Yukatekisch
Lakandonisch
Ch’orti
Ch’ol
Tzotzil
Tzeltal
Tojolabal
Chuj
Jakaltekisch
Mocho’
Mam
Awakatekisch
Ixil
K’iche’
Kaqchikel
Tzutujil
Poqom
Poqomchi’
Q’eqchi’
5
Akkusat. Imperf.
+
+
+
+
Subjunk. Progress. Anderes
+
+
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+
+
+
+
+
+
+
=+
=+
=+
Für eine mögliche Ausnahme siehe Danziger 1996.
29
+
(nach Dayley 1990)
Abkürzungen:
1
erste Person
2
zweite Person
3
dritte Person
A
Pronomen des Sets A
B
Pronomen des Sets B
ALT Alternativfrage
D1
proximale Deixis
D2
distale Deixis
DEF definit
DET Determinator
EMP emphatisch
EU
euphonisches Element
FUT Futur
INKL inklusiv
IPF
Imperfektiv
ITR Intransitiv
KAUS Kausativ
NG
Negation
NOM Nominalisierer
P
Pronomen
PRÄS Präsens
PF
Perfektiv
PL
Plural
POT Potentialis
PROG Progressiv
SG
Singular
SUBJ Subjunktiv
TOP Topic
TR
transitiv
UA
unabhängige Aussage
Literatur:
Bohnemeyer, Jürgen 1998. Time relators in discourse. Evidence from a comparative
approach to Yukatek Maya. Nijmegen: Eigenverlag.
Bricker, Victoria 1981. “The source of the ergative split in Yucatec Maya”. In: Journal of
Mayan Linguistics 2, 83-127.
Dailey, Jon P. 1990. „Voz y ergatividad en idiomas Mayas“. In: England, Nora; Elliott,
Stephen (Hrsg.), Lecturas sobre la lingüistica maya. Guatemala: CIRMA.
Danziger, Eve 1996. „Split intransitivity and active-inactive patterning in Mopan Maya“. In:
International Journal of American Linguistics 62, 379-414.
DeLancey, Scott (1981). „An interpretation of split ergativity and related patterns“. In:
Language 57, 626-57.
Dixon, Robert 1979. „Ergativity“. In: Language 55, 59-138.
Dixon, Robert 1994. Ergativity. Cambridge: Cambridge UP.
Furbee-Losee, Louanna 1976. The correct language, Tojolabal: a grammar with ethnographic notes. Now York: Garland.
Lenkersdorf, Carlos 1994. Tojolabal para principiantes.Lengua y cosmovisión mayas en
Chiapas. México D.F.: CRT.
Silverstein, Michael 1976. „Hierarchy of features and ergativity“. In: Dixon, Robert (Hrsg.),
Grammatical categories in Australian languages. Princeton, N.J.: Humanities Press, 112-71.
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