Soziologische Jurisprudenz - Juristischen Fakultät Basel

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Vorlesung Rechtssoziologie
HS 2012
Soziologische Jurisprudenz
Ass.-Prof. Dr. Michelle Cottier
Juristische Fakultät
Universität Basel
Soziologische Jurisprudenz
Fragestellungen:
• Wie entwickelt sich Recht weiter? Aus welchen
Quellen sollte sich neues Recht speisen?
Bsp. Aktuelle Debatten um die Revision des
Erbrechts
(Motion Felix Gutzwiller, Geschäfts-Nr. 10.3524)
• Wie wirkt Recht? Welches Verhältnis besteht
zwischen geschriebenem Recht und
Rechtswirklichkeit?
Bsp. Evaluation des Gleichstellungsgesetzes
Rechtssoziologie HS 2012
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Eugen Ehrlich (1862-1922)
Rechtssoziologie HS 2010
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Rechtssoziologie HS 2010
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Kontext und Vorläufer
• Wissenschaftlicher Kontext:
– Deutschsprachige Rechtswissenschaft von
Pandektistik und Begriffsjurisprudenz dominiert.
– Gesetzespositivistische, staatliches Recht
privilegierende Jurisprudenz.
– Begründung der Soziologie durch Auguste Comte
• Vorläufer
– Friedrich Carl von Savigny (1779-1861), Historische
Rechtsschule
– Rudolf von Jhering (1818-1892) „Der Zweck im
Recht“
Rechtssoziologie HS 2012
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Ehrlichs Rechtssoziologie
„Der Schwerpunkt der Rechtsentwicklung liegt auch in
unserer Zeit, wie zu allen Zeiten weder in der
Gesetzgebung noch in der Jurisprudenz, sondern in der
Gesellschaft selbst.“
Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, 1913,
Vorrede
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Fragen zur Lektüre
Zu Eugen Ehrlich
• Was meint Ehrlich mit dem „lebenden Recht“? Wovon
grenzt er es ab?
• Inwiefern ist die Kritik Ehrlichs an der
Rechtswissenschaft Ihrer Ansicht nach heute noch
aktuell?
Rechtssoziologie HS 2012
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Ehrlichs Rechtssoziologie
„Da das Recht eine gesellschaftliche Erscheinung ist, so
gehört jede Art der Jurisprudenz den Gesellschaftswissenschaften an, aber die eigentliche Rechtswissenschaft ist
ein Teil der theoretischen Gesellschaftswissenschaft, der
Soziologie. Die Soziologie des Rechts ist die wissenschaftliche Lehre vom Rechte.“
Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, 1913, S. 33
Rechtssoziologie als Grundlagenwissenschaft für
Rechtspraxis und Rechtspolitik
Rechtssoziologie HS 2012
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Ehrlichs Rechtssoziologie
Pandektistik/
Begriffsjurisprudenz
• Deduktive Methode:
Ableitung der
Rechtsnormen aus einem
in sich logischen
Begriffssystem
• Quelle: vergangenes
römisches Recht
Eugen Ehrlich
• Induktive Methode:
Entwicklung der
Rechtsnormen aus der
gelebten
Rechtswirklichkeit
• Quelle: gegenwärtig
„gelebtes“ Recht
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Das lebende Recht
Rechtspluralismus als Ausgangspunkt
«Es leben im Herzogtum Bukowina gegenwärtig, zum Teile
sogar noch immer ganz friedlich nebeneinander, neun
Volksstämme: Armenier, Deutsche, Juden, Rumänen, Russen
(Lipowaner), Rutenen, Slowaken […], Ungarn, Zigeuner. Ein
Jurist der hergebrachten Richtung würde zweifellos
behaupten, alle diese Völker hätten nur ein einziges, und
zwar genau dasselbe, das in ganz Österreich geltende
österreichische Recht. Und doch könnte ihn schon ein
flüchtiger Blick davon überzeugen, dass jeder dieser Stämme
in allen Rechtsverhältnissen des täglichen Lebens ganz andre
Rechtsregeln beobachtet. Der uralte Grundsatz der
Personalität im Rechte wirkt daher tatsächlich weiter fort, nur
auf dem Papier längst durch den Grundsatz der Territorialität
ersetzt.» (Ehrlich 1916)
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Das lebende Recht
Drei Normenkomplexe:
• gesellschaftliches Recht: innere Ordnung der
gesellschaftlichen Verbände
• Juristenrecht: Lehre und Rechtsprechung
• staatliches Recht: Gesetzgebung
Lebendes Recht ist gesellschaftliches Recht auf
höherer, nämlich auf einer durch Reaktion auf
Juristenrecht und staatliches Recht beeinflussten Stufe
(Rehbinder)
Rechtssoziologie HS 2012
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Das lebende Recht
Gesellschaftliches Recht im Besonderen
• Gesellschaft gemäss Ehrlich = Gesamtheit der
gesellschaftlichen Verbände
• Gesellschaftliche Verbände: „urwüchsige Verbände“:
Familie, Sippe, Hausgemeinschaft; historisch später:
Vereine, Kirchen, Gemeinden, Parteien, Landgut, Fabrik...
• Recht hat in erster Linie die Funktion der Ordnung der
gesellschaftlichen Verbände (auch Individualrechte!)
• faktische Quellen der in den Verbänden wirksamen
Regeln: Übung, Besitz, Herrschaft und Willenserklärung
(Verträge, letztwillige Verfügungen und Satzungen)
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Das lebende Recht
Gesellschaftliches
Recht
Staatliches
Recht
Juristenrecht
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Das lebende Recht
«Das lebende Recht ist das nicht in den Rechtssätzen
festgelegte Recht, das aber doch das Leben beherrscht.
Die Quellen seiner Erkenntnis sind vor allem die moderne
Urkunde, aber auch die unmittelbare Beobachtung des
Lebens, des Handels und Wandels, der Gewohnheiten und
Gebräuche, dann aber aller Verbände, sowohl der rechtlich
anerkannten als auch der von dem Rechte übersehenen
und übergangenen, ja sogar der rechtlich missbilligten»
(Grundlegung der Soziologie des Rechts, S. 415)
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Das lebende Recht
• Ehrlich als erster Jurist, der die Methoden empirischer
Sozialforschung verwendet.
• Selbsteinschätzung Ehrlichs: keine namhaften
empirischen Resultate, aber didaktische Erfolge
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Ehrlich als Begründer der Freirechtsschule
• Grundlage: „Freie Rechtsfindung und freie
Rechtswissenschaft“, Ehrlich 1903
• Freirechtsschule als Methodenlehre:
– gegen das Dogma der Lückenlosigkeit der
Rechtsordnung
– Richter als eigenverantwortliches Organ der
Rechtsfortbildung
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Ehrlich als Begründer der Freirechtsschule
• Weiterentwicklung durch Interessenjurisprudenz
– Gesetze als Resultat widerstreitender Interessen
– Teleologische und objektiv-historische
Auslegungsmethode
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Sociological Jurisprudence – Legal Realism
(USA)
Oliver Wendell Holmes
Jr. (1841-1935)
Roscoe Pound (1870-1964)
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Karl Llewellyn (1893-1962)
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Sociological Jurisprudence – Legal Realism
(USA)
• Justice Oliver Wendell Holmes
«bad man view of law»/«prediction theory of law»
• Roscoe Pound
«Law in the Books and Law in Action»
«Sociological Jurisprudence»
«Social Engineering»
• Karl Llewellyn
«Legal Realism»
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Soziologische Jurisprudenz heute
• Teleologische und objektiv-historische
Auslegungsmethode allgemein anerkannt
• Rezeption sozialwissenschaftlicher, insbes. empirischer
Erkenntnisse in Gesetzgebung und Rechtsprechung
Kritik:
– Recht hat keine Steuerungswirkung auf die Gesellschaft
– Rechtswissenschaft als normative und Sozialwissenschaft
als erklärende/beschreibende Wissenschaft sollten
getrennt bleiben
Beschränkung auf den «strictly legal point of view»
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Fragen zur Lektüre
Fragen zu Durkheim und Raiser:
• Welches Verhältnis besteht für Durkheim zwischen
Rechtsentwicklung und sozialer Entwicklung?
• Welche Arten der gesellschaftlichen Solidarität
unterscheidet Durkheim und welche Arten von Recht
entsprechen ihnen?
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