Warum wählen? In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ein Wahlrecht, aber anders als in einigen anderen Ländern - keine Wahlpflicht. Die Entscheidung, sich an der Wahl zu beteiligen, liegt also bei jedem/r einzelnen Bürger/-in. Zu bedenken ist, dass das Wahlrecht keineswegs selbstverständlich ist, sondern es sich bei ihm um ein in langen historischen Auseinandersetzungen erkämpftes demokratisches Grundrecht handelt. In Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz heißt es: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." Da die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat ist, sind die politischen Entscheidungsrechte auf unterschiedliche Ebenen verteilt. Neben die Bundes- und Landesebene tritt "unten" die kommunale Ebene und "oben" die Ebene der Europäischen Union. Auf allen vier Ebenen finden Wahlen zu Volksvertretungen statt. Die bisher wichtigste politische Ebene ist die Bundesebene, da auf ihr die meisten grundlegenden Entscheidungen fallen, z.B. die über Krieg und Frieden (Einsatz der Bundeswehr). Die besondere Bedeutung der Bundesebene auch aus der Sicht der Bürger/-innen drückt sich z.B. in der regelmäßig höchsten Wahlbeteiligung aus. Die Bundesrepublik Deutschland wird auch als parlamentarische Demokratie bezeichnet. Das Bundesparlament, der Deutsche Bundestag, ist das einzige Verfassungsorgan auf Bundesebene (=> Verfassungsorgane), das direkt vom Volk gewählt wird. Mit den Bundestagsabgeordneten wählt die Bürgerschaft Repräsentanten, die als Treuhänder die in der Bevölkerung vorhandenen politischen Interessen und Meinungen widerspiegeln und in die staatliche Willensbildung einbringen sollen. Die Bürgerschaft entscheidet bei der Bundestagswahl direkt "nur" über die Zusammensetzung des Bundestages. Sie trifft mit der Auswahl zwischen konkurrierenden Parteien und Personen aber eine politische Richtungsentscheidung, bestimmt die Möglichkeiten einer Mehrheitsbildung im Parlament und entscheidet damit indirekt auch über den Kanzler und die Regierungsbildung. Eine lebendige Demokratie ist auf eine möglichst breite Rückkoppelung und Beteiligung der Bürgerschaft angewiesen. Wer sein Stimmrecht bei der Bundestagswahl nicht ausübt - z.B. aus politischem Desinteresse, allgemeiner Politik- oder Parteienverdrossenheit oder als "Denkzettel" für Unzufriedenheit mit "seiner" Partei - nimmt die Entscheidung der aktiven Wähler/innen passiv hin. Nur wer wählt, nutzt seine demokratische Chance, mit bescheidenem Aufwand die Entscheidung über die politische Machtverteilung im Bund für die nächsten vier Jahre mit seiner Stimme zu beeinflussen. Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland Wahlvoraussetzungen Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden nach Art. 38 Abs. 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Allgemeine Wahl bedeutet, dass das Wahlrecht abgesehen vom Mindestalter und bestimmten Ausschlusskriterien (=> aktives Wahlrecht) allen Bürgerinnen und Bürgern zusteht. Die Bundestagsabgeordneten werden unmittelbar – ohne Zwischenschaltung z.B. von Wahlmännern oder Wahlfrauen – gewählt. Der Grundsatz der freien Wahl soll eine freie Willensentscheidung der Wählerschaft ermöglichen und Beeinflussungsversuche mit Drohung oder Zwang verhindern. Jede abgegebene Stimme hat das gleiche Gewicht für die Zusammensetzung des Bundestages. Die Fünfprozent- und Grundmandatsklausel sind mit diesem Grundsatz vereinbar. Schließlich muss die geheime Wahl rechtlich und organisatorisch gewährleistet sein. Wählbar ist, wer Deutsche oder Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist und das 18. Lebensjahr vollendet hat (passives Wahlrecht). Wahlrecht Wahlberechtigt sind alle Deutschen, die ebenfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Monaten in Deutschland wohnen oder sich sonst gewöhnlich aufhalten (aktives aktives Wahlrecht ). Auch Deutsche, die sich im Ausland befinden, können unter bestimmten Voraussetzungen wählen. Ausgeschlossen sind dagegen Personen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer bestellt oder denen das Wahlrecht durch richterlichen Beschluss aberkannt wurde. Die Wahlberechtigten werden in einem von der zuständigen Kommunalverwaltung angelegten Wählerverzeichnis erfasst, das öffentlich ausgelegt wird und gegen das Einspruch erhoben werden kann (=> Hinweise zum Wahlverlauf). Auf der Grundlage des Wählerverzeichnisses werden rechtzeitig vor der Wahl die Wahlbenachrichtigungen verschickt, auf denen der Wahltermin sowie die Adresse und die Öffnungszeiten des Wahllokals mitgeteilt werden. Darüber hinaus enthält die Karte Informationen zur Beantragung eines Wahlscheines. Wahlscheines Dieser berechtigt einerseits zur Wahl in einem anderen Wahllokal des Wahlkreises oder andererseits zur Briefwahl. Die Briefwahl kann zusammen mit dem Wahlschein bei der Gemeinde persönlich oder schriftlich beantragt werden, wenn sich Wahlberechtigte am Wahltag aus wichtigem Grunde außerhalb ihres Wahlbezirks aufhalten oder aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen nicht das Wahllokal aufsuchen können. Der gekennzeichnete Stimmzettel muss in einem gesondert verschlossenen Umschlag zusammen mit einer unterschriebenen eidesstattlichen Erklärung im Wahlbriefumschlag zurückgeschickt werden und am Wahltag bis spätestens 18.00 Uhr eingehen. Übersicht: Hinweise zum Wahlverlauf Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten Bei seiner Wahlentscheidung kann der Wähler zwar zwischen verschiedenen Kandidaten im Wahlkreis einerseits und unterschiedlichen Parteilisten andererseits (=> Wahlsystem) auswählen. Diese sind aber schon Ergebnis einer Vorentscheidung, auf die die Wählerschaft keinen direkten Einfluss hat. Abgesehen von Einzelkandidaten im Wahlkreis, die aber bei Bundestagswahlen seit 1953 keine Chance hatten, werden alle Kandidaten von „ihren” Parteien aufgestellt. Dabei kommt es häufig zu einem innerparteilichen Wettbewerb, bei dem sowohl Verdienste in der Partei und Unterstützung wichtiger Personen und Gruppen in der Partei als auch die vermutete Anziehungskraft für die Wählerschaft eine Rolle spielen. Die formalen Bedingungen für die Auswahl der Kandidaten sind gesetzlich vorgeschrieben. Über den Kandidaten im Wahlkreis entscheiden Mitglieder- oder Vertreterversammlungen auf der Ebene des Wahlkreises in geheimer Abstimmung. Besonders begehrt sind hier „sichere” Wahlkreise. Als solche werden Wahlkreise angesehen, die regelmäßig von den Kandidaten der Partei X mit großem Vorsprung gewonnen werden. In solchen Wahlkreisen ist die Entscheidung über den Sitz im Bundestag faktisch schon mit der Kandidatenkür der Partei X gefallen, vorausgesetzt, es kommt nicht zu grundlegenden Veränderungen im Wählerverhalten. Über die Landeslisten der Parteien, insbesondere deren Rangfolge, entscheiden Landesdelegiertenkonferenzen. Dabei gilt, je höher ein Kandidat auf der Liste platziert wird, umso besser sind seine Chancen, in den Bundestag einzuziehen. Entsprechend sind die oberen, chancenreichen Listenplätze heiß begehrt und häufig umkämpft. Dies gilt insbesondere für kleinere Parteien ohne Chancen in den Wahlkreisen. In der Regel macht der Landesvorstand einen Listenvorschlag, der aber von der Landesdelegiertenkonferenz häufig in Einzelheiten noch verändert wird. Der Landesvorstand einer Partei versucht, bei seinem Vorschlag der Rangfolge meist mehrere Gesichtspunkte auszubalancieren: • • • • Regionale Verteilung orientiert sich an der Mitglieder- und Wählerstärke der einzelnen Parteigliederungen und versucht insbesondere, Kandidaten aus traditionell „schwachen” Wahlkreisen und Regionen zu berücksichtigen. Gruppenverteilung zielt auf die Berücksichtigung innerparteilicher Gruppierungen, z.B. Frauen, und eng mit der Partei verbundener Interessengruppen. Fraktionsplanung soll für die Parlamentsarbeit einer Partei besonders wichtigen Experten ein Mandat sichern. Die Spitzenkandidaten, die als „Zugpferde” der Partei wirken sollen, werden von den genannten Verteilungsregeln meist ausgenommen. Wahlsystem Der Bundestag setzt sich von der kommenden Wahl an aus mindestens 598 Abgeordneten (bisher 656) zusammen. Davon werden 299 (bisher 328) in den Wahlkreisen (=> Wahlkreise) jeweils direkt gewählt (Direktmandate Direktmandate) und die übrigen Sitze über die Landeslisten der Parteien vergeben (Listenmandate Listenmandate ). In den Wahlkreisen ist nach den Regeln der relativen Mehrheitswahl die oder der Abgeordnete mit den meisten Erststimmen gewählt. Die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze erfolgt in mehreren Schritten. Dabei werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5% der gültigen Zweitstimmen erhalten (Sperrklausel Sperrklausel ) oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben (Grundmandatsklausel Grundmandatsklausel ). Zunächst wird ermittelt, wie viele Sitze insgesamt auf jede Partei entfallen. Grundlage sind allein die auf die Landeslisten entfallenden Zweitstimmen. Die Verteilung der Mandate erfolgt nach den Grundsätzen der Verhältniswahl mit Hilfe des Verfahrens nach Hare/Niemeyer (siehe unten). Anschließend wird nach demselben Verfahren eine Verteilung auf die einzelnen Landeslisten einer Partei vorgenommen. Von der so ermittelten Gesamtmandatszahl einer Landesliste wird die Zahl der in den Wahlkreisen des Landes gewonnen Sitze abgerechnet. Die übrigen Sitze werden mit den Kandidaten aus der Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt. Erhält eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate als ihr nach der Verrechnung der Zweitstimmen zustehen, so verbleiben ihr diese Sitze als Überhangmandate (1998: 13 für die SPD). Die Zahl der Abgeordneten des Bundestages erhöht sich entsprechend. Eine weitere Aufstockung durch Ausgleichsmandate für andere Parteien findet nicht statt. Bei dem Auszählverfahren nach Hare/Niemeyer wird die Zahl der insgesamt zu vergebenden Bundestagssitze mit der Zahl der Zweitstimmen jeder einzelnen Partei multipliziert und durch die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller Parteien dividiert. Zunächst erhält jede Partei so viele Sitze, wie ganze Zahlen auf sie entfallen. Die dann noch zu vergebenden Mandate werden in der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile ("Reste" hinter dem Komma) zugeteilt. Beispiel Bundestagswahl 1998: Partei SPD CDU CSU B90/Grüne FDP PDS Summen Zweitstimmen Stimmenzahl Sitze nach x 656 Ganzen : 46.408.690 Zahlen 20.181.269 285,27 285 14.004.908 197,96 297 3.324.480 46,99 46 3.301.624 46,67 46 3.080.955 43,55 43 2.515.454 35,56 35 46.408.690 652 Sitze nach dem größten Rest 1 1 1 1 4 Sitze insgesamt 285 198 47 47 43 36 656 Stimmzettel Jede Wählerin und jeder Wähler hat zwei Stimmen, die durch Ankreuzen auf dem Stimmzettel vergeben werden. Mit der Erststimme wird eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter im Wahlkreis und mit der Zweitstimme die Landesliste einer Partei gewählt. Wahlergebnisse und Sitzverteilung Sitzverteilung im 14. Deutschen Bundestag 1998 (Wahl vom 27.09.1998) Insgesamt 669 Abgeordnete einschließlich 13 Überhangmandate (nur SPD) Bundestagswahlergebnisse 1949 - 1998 in Prozent Niedersächsische Bundestagswahlkreise (alt) und Abgeordnete Bundestagswahlkreise in Niedersachsen 1998 Niedersächsische Abgeordnete im 14. Deutschen Bundestag 1998 (Wahl vom 27.09.1998) Insgesamt 68 Sitze Bundestagswahlkreise (neu) und Wahlergebnisse in Niedersachsen Die Bundesrepublik Deutschland ist in 299 Wahlkreise eingeteilt, davon entfallen 29 Wahlkreise (bisher 31) auf Niedersachsen. Bundestagswahlkreise in Niedersachsen 2002 Bundestagswahlergebnisse in Niedersachsen 1949 - 1998 in Prozent Wie informiere ich mich über Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten? Im Internet findet sich eine Fülle von Informationen zu den Themen Bundestag und Bundestagswahl, u.a. Bundestag http://www.bundestag.de/ http://www.bundestag.de/ und Bundeswahlleiter http://www.destatis.de/wahlen/index.htm http://www.destatis.de/wahlen/index.htm Homepages der Parteien sowie der Kandidatinnen und Kandidaten beachten. Parteiprogramme bzw. aktuelle Wahlprogramme bei den Geschäftsstellen der Parteien (Adressen aus dem Telefonbuch oder Werbematerial entnehmen) anfordern. Internet, Partei- oder Kandidatinnen-/Kandidatenvorstellungen in den Tageszeitungen beachten (ergänzend Anzeigenwerbung, Plakatierung, Informationsstände, Wurfsendungen der Parteien und Kandidatenbriefe). Parteidiskussionen bzw. Werbesendungen der Parteien im Hörfunk und im Fernsehen beachten. Briefe an Parteien oder Kandidatinnen und Kandidaten schreiben und Stellungnahmen anfordern. Wahlveranstaltungen der Parteien besuchen (Plakatanschläge an Litfasssäulen, Klebezettel in Hausfluren, Postwurfsendungen und das Internet informieren über die Termine). Besuch von öffentlichen Foren und Veranstaltungen der Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen (Versammlungen, Kundgebungen und Podiumsdiskussionen). Ferner erteilt der Landeswahlleiter Auskünfte über den Ablauf der Wahlen, die zugelassenen Parteien und die nominierten Kandidatinnen und Kandidaten (Anschrift: Niedersächsischer Landeswahlleiter, Lavesallee 6, 30169 Hannover, Tel. 05 11/1 20-6309, Homepage http://www.niedersachsen.de/MI5.htm ). Literaturhinweise: Andersen, Uwe (Hrg.): Wahlen, Schwalbach 2001. Andersen, Uwe/Bovermann, Rainer/Gehne, David H.: Bundestagswahlratgeber, Schwalbach 2002 Woyke, Wichard: Stichwort Wahlen, Opladen 1998. Das Faltblatt ist bei der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung , Hohenzollernstr. 46, 30161 Hannover, Tel.: 0511/3901-253, Fax: 0511/3901-290 oder per E-Mail: [email protected] zu beziehen. Herausgegeben von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Hannover 2002 Text und Zusammenstellung: Prof. Dr. Uwe Andersen und PD Dr. Rainer Bovermann, Ruhr-Universität Bochum Redaktion: Peter Hoffmann, Gestaltung: Dagmar Marowsky Titelbild: Fachschule St. Franziskus, Klasse BSA 2, Lingen Druck: CW Niemeyer Druck GmbH, Hameln